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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

WS27 - Hochschulqualifikationen
Herausgeber: Berthold Gehlert & Günter Pätzold


Titel:
Wann und wo beginnt studieren? – Durchlässigkeit zwischen Berufsbildung und Hochschulbildung im Kontext von Reformkonzepten


Duales Studium in Bayern

Beitrag von Michael ROSSNER (Hochschule Coburg)

Abstract

Am Beispiel der Kooperation zwischen dem Beruflichen Schulzentrum Bamberg und der Hochschule Coburg in der dualen Ausbildung Elektrotechnik (Erwerbung der Abschlüsse „Bachelor of Engineering“ und Gesellenbrief IHK) sollen innovative Ausbildungsansätze dargestellt werden, die eine anspruchsvolle Doppelqualifikation in kurzer Ausbildungszeit durch gegenseitige Anerkennung von Ausbildungsleistungen ermöglicht. Das hier verwirklichte Kooperationskonzept ist innerhalb des Dualen Studiums Bayern durch einige Alleinstellungsmerkmale gekennzeichnet. Die wichtigsten Punkte sind:

1. Abschluss in einem grundständigen Studiengang mit umfangreichen Theoriehintergrund (164 SWS)

2. Abschluss (IHK) in den Ausbildungsrichtungen - Geräte und Systemelektroniker - Elektroniker für Betriebstechnik mit allen Berufsschul- und Berufspraxisanteilen

3. Bildung einer eigenen Berufsschulklasse für die Auszubildenden

4. Anerkennungsmodell von ausgesuchten Berufsschulleistungen auf das Hochschulstudium

1 Strukturen Dualer Studiengänge in Bayern

Verstärkt durch den Bologna Prozess befindet sich die Ausbildungslandschaft derzeit in einem starken Umbruch. Neben einer Reduzierung der Studiendauer in den grundständigen Studiengängen von 8 auf 7 Semester muss auch besonders eine Reduzierung der Praxisanteile in den Ausbildungen an den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (früher Fachhochschulen), gerade in den technischen Bereichen, konstatiert werden.

Ebenfalls nimmt die Mobilität (Wechselverhalten innerhalb und nach der Ausbildung) der Studierenden zu. Verbunden mit einem weiteren Rückgang der Studienanfängerzahlen in den Ingenieurwissenschaften ergibt sich daraus für den mittelständisch geprägten nordbayerischen Industrieraum ein starker Handlungsbedarf drohendem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Eine dieser Maßnahmen ist die Einführung des hier vorgestellten Verbundstudienganges.

Prinzipiell schließt ein Studieninteressent mit entsprechenden Studienvoraussetzungen mit einem Betrieb einen Ausbildungsvertrag über die gesamte Ausbildungszeit (9 Semester), wobei die ersten zwei Semester rein gewerbliche Ausbildung im Betrieb und an der Berufsschule darstellen. Die verbleibenden 7 Semester entsprechen einem vollständigen Bachelorstudium in dem in den vorlesungsfreien Zeiten weitere betriebliche Kenntnisse erworben werden und noch fehlende Berufsschulinhalte vermittelt werden.

Am Ende dieser Ausbildung erhält der Auszubildende dann sowohl einen Gesellenbrief als auch den Hochschulabschluss „Bachelor of Engineering“.

Dieses Konzept bietet den Studieninteressierten mehrere Vorteile:

  • Finanzielle Unabhängigkeit während des Studiums
    (Während der gesamten Ausbildung werden Stipendien oder Ausbildungsvergütungen vom Betrieb geleistet)
    Eine unbedingte Konzentration auf die Ausbildungsinhalte ohne weitere (finanzielle) Verpflichtung ist so gewährleistet
  • Durch die starke Verzahnung von Praxis- und Theoriephasen ist eine intensivere und unmittelbarere Verarbeitung des Lernstoffes möglich
  • Es entstehen frühzeitig Erfahrungen und Kontakte im industriellen Umfeld
  • Durch die Verfolgung zweier organisatorisch entflochtener Ausbildungen besteht jederzeit die Möglichkeit eine der Ausbildungen zu beenden und trotzdem einen Abschluss zu erreichen

2 Detaillierte Vorstellung des Organisationsmodell

Bei der Erstellung eines tragfähigen Modells, bei dem Betriebe, Hochschule, Berufsschule und IHK ihre Vorstellungen und Bedürfnisse vertreten sahen, war viel Abstimmungsarbeit und Kompromissbereitschaft von allen Beteiligten gefordert. Die Berufsschule und die Hochschule entwickelten einen Zeitplan, bei dem die Ferien der Schule und die Studienzeiten, Semesterferien und Prüfungszeiten berücksichtigt werden mussten. Bei der Erstellung dieses Zeitplanes war ebenso maßgebend, dass eine separate Klasse für Hochschuldual Schüler an der Berufsschule eingerichtet wird, die die Lehrplaninhalte in wesentlich kürzeren Zeiträumen vermitteln kann. Hierzu wurde davon ausgegangen, dass die Abiturienten kompakter und in einer stark dozierenden Weise unterrichtet werden können. Allerdings durfte der zeitliche Unterrichtsumfang insgesamt nicht zu gering werden, da in der separaten Klasse zwei Ausbildungsrichtungen (Gräte und Systemtechnik sowie Betriebselektronik) vereint wurden um eine genügende Klassenstärke zu erreichen und die Auszubildenden im Blick auf eine breite Studiumsbasis alle Ausbildungsinhalte aller Berufsrichtungen mit vermittelt bekommen sollten. Auf die allgemein bildenden Fächer Deutsch, Religion und Sport wurde zugunsten von Fachunterricht verzichtet.

Wegen der räumlichen Entfernung zwischen Hochschule und Berufsschule wurde ein Modell entwickelt, bei dem die Auszubildenden / Studierenden möglichst keine Fahrtzeiten an einem Tag zurücklegen sollten. Daher wurde ein reines Ausbildungsjahr mit Betriebsphasen und Berufsschulphasen beschlossen, das dem Studium vorangestellt war. Voraussetzung hierfür ist, das der Auszubildende, sobald er im Besitz eines mit einem der unterstützenden Betriebe geschlossenen Ausbildungsvertrag ist, durch Vormerkung an der Hochschule einen garantierten Studienplatz für das kommende Jahr erhält. Im 2. Ausbildungsjahr beginnt dann das Studium. Ab diesem Zeitpunkt sind Betriebsphasen und Berufsschulphasen nur noch während der Semesterferien möglich. Daher musste ein wesentlicher schulischer Anteil im 1. Ausbildungsjahr platziert werden mit der Maßgabe, dass im ersten Jahr schon die Inhalte des 2. Ausbildungsjahres mit abgedeckt werden.

Das Ergebnis wurde im folgenden Organisationsmodell zusammengefasst und mit allen Beteiligten abgestimmt.

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3 Anerkennungsmodell von Berufsschulleistungen auf das Hochschulstudium

Für die Studierenden bedeutet dieses Modell natürlich eine sehr starke Belastung. da die freien Zeiträume der Semesterferien viel geringer sind als bei anderen Studierenden. Um an dieser Stelle die Hochschul Dual Auszubildenden wiederum zu entlasten, wurde eine Möglichkeit der Anerkennung von Berufsschulleistungen auf das Elektrotechnik Studium entwickelt. An dieser Stelle haben sich die Hochschule und die Berufsschule zusammengesetzt und alle Bereiche des Grundstudiums durchleuchtet und einige Vorlesungen und Praktika des Elektrotechnikstudiums gefunden, bei denen die Inhalte sehr ähnlich waren. An diesen Schnittstellen wurde vereinbart, dass die berufsschulischen Leistungen von der Hochschule anerkannt werden und die Studierenden diese Vorlesungen und Praktika an der Hochschule nicht mehr besuchen brauchen.

Sinnvolle Überschneidungsmöglichkeiten ergaben sich in folgenden Bereichen:

 

Englisch                                                   4 ETCS           4 SWS

Automatisierungstechnik und SPS                 2 ETCS           2 SWS

Netze und Sicherheit                                  2 ETCS           2 SWS

Wahlpflichtmodul Betrieblicher Auftrag           2 ETCS           2 SWS

Messtechnikpraktikum                                  2 ETCS           2 SWS

Bauelementepraktikum                                 2 ETCS           2 SWS


Diese ursprünglichen Ziele mussten im Laufe der Ausbildungszeit angepasst werden, da die technischen Möglichkeiten an der Berufsschule für die Praktika-Ausbildung der Messtechnik und der Bauelemente zu gering war und eine notwendige finanzielle Aufrüstung in der kurzen Zeit nicht möglich war. Wesentliche Voraussetzung für die Anerkennung von in der Berufsschule erbrachten Leistungen war neben der separaten Klasse aus Schülern mit Hochschulzugangsberechtigung die Ernennung von qualifizierten Lehrern (Universitärer Abschluss im Bereich Elektrotechnik u. Berufserfahrung) zu Lehrbeauftragten der Hochschule Coburg. Die bei diesen Lehrern erbrachten Prüfungsleistungen in den oben genannten Fächern konnten dann auch in dem angegebenen Umfang auf das Studium angerechnet werden. Zwischen Berufsschule und Hochschule wurde die Anerkennung von Studienleistungen durch ein Zertifikat bestätigt.

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4 Zusammenfassung

Die hier dargestellte Kooperation zwischen IHK, Betrieben Studierenden Hochschule und Berufsschule bietet für alle Beteiligten erhebliche Vorteile.

Die Auszubildenden können finanziell unabhängig, frei von Existenzsorgen studieren.

Sie haben die Chance ihren potentiellen späteren Arbeitgeber frühzeitig kennenzulernen und haben eine sehr hohe Chance auf ein späteres Beschäftigungsverhältnis in dem Betrieb.

Sie lernen frühzeitig berufliche Realitäten in ihrem Ausbildungsfeld kennen, können ihr theoretisch erworbenes Wissen in zeitnahen Praxisphasen erproben und sind in den Berufswelten der Ingenieure und der Arbeiter verbunden.

Aufgrund der Entkopplung der Ausbildungen besteht bei Scheitern in einer Ausbildung immer noch eine Rückfallposition in der anderen Ausbildung.

Im Gegensatz zu den Modellen der Berufsakademien wird hier ein vollumfängliches theoretisches Studium vermittelt, das den hier angesprochenen hochqualifizierten auch die Möglichkeiten auf Master und Promotion eröffnet.

Die Hochschule erschließt sich ein besonders qualifiziertes und interessiertes Klientel mit meist gymnasialem Hintergrund. Sie knüpft über die kooperierenden Betriebe weiter Kontakte mit der umliegenden Wirtschaft und erhält durch die Anerkennung von Prüfungsleistungen eine signifikante Entlastung besonders in den betreuungsintensiven Praktika.

Die Berufsschule wird in noch stärkerem Maße von Abiturienten wahrgenommen, erhält die Möglichkeit interessantere und anspruchsvolle Lehrinhalte auf hohem Niveau zu kommunizieren und kann theoretisch sogar an Projekten der Hochschule partizipieren.

Die umliegenden Industriebetriebe können so dem demographischen Trend und der Abwanderung von Fachkräften entgegenwirken. Sie lernen frühzeitig potentielle Arbeitnehmer kennen und sparen sich aufwendige Bewerbungsverfahren und Teile der Einarbeitungsphasen

Insgesamt wird also eine sehr starke Win-Win Situation aller Beteiligten erreicht, die die Mühen des geschilderten Abstimmungsprozesses deutlich übertrifft.

5 Ergebnisse der Abschlussdiskussion

In der Abschlussdiskussion ergaben sich folgende Diskussionspunkte:

Der zeitliche Gewinn dieses Modells wurde in der Diskussion hinterfragt und konnte besonders am Beispiel eines Ingenieurs erläutert werden, der die hier angesprochene Doppelqualifikation  auf konventionellem Wege erwerben musste. In diesem direkten Vergleich besteht hier ein Zeitgewinn von 2 Jahren bei der Dualen Ausbildung. Im Falle, dass der Abiturient sofort nach einem Einstiegspraktikum zu studieren beginnt, ist der Zeitaufwand fast identisch. Allerdings erlangt der Student auch nur einen Abschluss, hat keine Rückfallposition, falls er das Studium nicht schafft oder abbricht und hat sehr viel weniger praktische Erfahrung.

Die Vorteile dieses Verbundstudium-Modells wurden von den Teilnehmen diskutiert und  mit anderen Modellen verglichen. Die Akademie Ausbildung in Baden-Württemberg hat im Gegensatz zu dem Coburger Modell nicht den vergleichbaren Studienumfang. Das Coburger Modell umfasst ein vollständiges Bachelor Studium,  mit ca. 150 SWS Theorieanteilen. Dies bietet bessere Voraussetzungen wenn der Studierende später eine wissenschaftliche Höherqualifizierung im Sinne von Master oder Promotion  anstreben sollte.

Die Vergütungen und realen Summen der Weiterbildungsverträge wurden angesprochen. Hier muss gesagt werden, dass jeder Betrieb in diesem Punkt eigenständig handeln darf und sich bis jetzt kein einheitliches Finanzierungsmodell entwickelt hat. Einige Betriebe zahlen die Studiengebühren und ein zusätzliches Weiterbildungsgeld bis zu ca. 300,00 €. Einige zahlen während der reinen Studienphase, wenn die Ausbildung schon abgeschlossen ist, die Ausbildungsvergütung weiter. Manche Betriebe nehmen die Ausbildungsvergütung der dreieinhalb Jahre und verteilen die Gesamtsumme auf die gesamte Ausbildungszeit von viereinhalb Jahren. Einige Betriebe zahlen neben der Ausbildungsvergütung noch Fahrtkosten zur Hochschule und zur Berufsschule, einige zahlen Unterbringungskosten am Schulstandort. Im Prinzip ist jede nur mögliche Variante denkbar. Allerdings wäre es sicherlich wünschenswert, wenn die finanzielle Gestaltung so angelegt ist, dass dieses Verbundstudiumsmodell aus Sicht der Studierenden als erheblicher Vorteil gewertet wird und somit als Anreiz für ein Verbundstudium stärker ins Gewicht fällt.

Die Honorierung der Leistungen der Berufsschullehrer wurde angesprochen. Fraglich bei einer flächendeckenden Realisierung diese Coburger Modells wäre, ob das Wissenschaftsministerium dem Kultusministerium finanzielle Zusagen machen könne, da die Berufsschullehrer Teile der Hochschulausbildung übernehmen. Momentan gibt es in dieser Richtung allerdings keine Perspektiven, da sich dieses Modell noch in der Erprobungsphase befindet.


Zitieren dieses Beitrages

ROSSNER, M. (2011): Duales Studium in Bayern. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 27, hrsg. v. GEHLERT, B./ PÄTZOLD, G., 1-6. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws27/rossner_ws27-ht2011.pdf (26-09-2011).



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