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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT09 - Ernährungswissenschaft
Herausgeberinnen: Barbara Fegebank & Doreen Forßbohm

Titel:
Stufen und Brüche auf Lernwegen im Gastgewerbe


Ausbildung im Gastgewerbe: Berufe neu denken?!

Beitrag von Barbara FEGEBANK (TU Dresden)

Abstract

Zunächst wird der Bezug zum Rahmenthema der 16. Hochschultage Berufliche Bildung hergestellt, indem die Debatte um die Bildungsgesellschaft, insbesondere mit neuen Konzeptionen um den Bildungsbegriff, die Subjektivierung und die erweiterte Bedeutungsdimension des Berufsbegriffes aufgenommen wird. Die Frage, ob sich solche Überlegungen auch in der Ernährungswirtschaft und der Neugestaltung ihrer Berufsgruppen und Berufe wiederfindet wird sodann in der Auseinandersetzung mit dem Berufsfeld und der Klassifikation der Berufe zu beantworten gesucht. In einem Perspektivwechsel wird das „Leben in Vielfalt“ und damit verbunden die subjektorientierte Berufstheorie in den Blick genommen, um fernerhin die Gedanken auf den „flexibilisierten Menschen“ richten zu können. Hier stellt sich die Frage, ob der flexibilisierte Mensch durch flexible Bildungsgänge (im Gegensatz zu standardisierten Systemen) befördert wird und ob in besonderer Weise hier die neueren Vorschläge zur Übergangsgestaltung einen Beitrag leisten können. Schließlich wird den Überlegungen von VOß zum Arbeitnehmer als Unternehmer seiner Arbeitskraft gefolgt und die Konsequenzen für die Bildung in einem offenen Bildungssystem kritisch beleuchtet. Der Beitrag schließt mit dem Hinweis auf neuere Modellierungsversuche zur „Didaktik“ im Zusammenhang des bildungsbiografischen Denkens.

1 Einleitung

Es ist nicht neu, sich mit „Übergängen“ im Bildungssystem auseinanderzusetzen.

1971 hat die sechste Europäische Kultusministerkonferenz das Problem der Übergänge im Bildungswesen in Venedig behandelt. Das große Problem des Bildungssystems in Deutschland bestand und besteht in der fehlenden Konsistenz im Bildungsverlauf. Bemühungen und bisher entwickelte Strategien, dies zu bewältigen, haben den gewünschten Erfolg bislang vermissen lassen. Denken wir nur an die Idee, das vertikale in das horizontale Bildungssystem, das für mehr Chancengleichheit in den Bildungsverläufen stehen sollte, zu überführen. Dies erfolgte nur „halbherzig“ und hat die Bildungslandschaft noch zerklüfteter gemacht als sie schon war und dies nicht nur wegen der föderalistischen Struktur in der Bundesrepublik Deutschland. Die neuere Berufsbildungsforschung, die sich in den 1960er Jahren etablierte, nimmt in diesem Zusammenhang „immer neu verhandelte und nie endgültig zu lösende ordnungspolitische und didaktische Probleme von Berufsabgrenzung einerseits und Verwandtschaft von Berufen andererseits“ (STRATMANN 1967, 91) in den Blick. Berufe und deren Aggregation in Gruppen oder Felder sind auch international zu einer Forschungs- und Entwicklungsdomäne geworden, um einer Vergleichbarkeit auf globalisierten Arbeitsmärkten gerecht zu werden. Wie es scheint, sind wir von einer derartigen Gleichartigkeit noch weit entfernt.

Begründungen gibt es dafür viele.

Zunächst sind die Bildung, die Bildungstradition und die Bildungspolitik zu nennen.

Im Rückblick auf das deutsche Bildungssystem fällt auf, dass zwischen Allgemein- und Berufsbildung getrennt wird. „Auf der Ebene der Schule zeigt sich dies in der Trennung zwischen allgemeinbildenden Schulen und beruflichen Schulen. Bei Hochschulen gibt es die Trennung zwischen den auf wissenschaftliche Forschung ausgerichteten Universitäten und den auf Anwendung bezogenen Fachhochschulen“ (MAYER 2000, 197). Die Trennung zwischen allgemeiner Bildung und Bildung als praktisch verwertbarem Wissen (Bildung als Qualifikation) hat in Deutschland Tradition.

MAYER sieht die Zeit, in der den Einzelnen zu Beginn ihres Lebensweges ein Vorrat an Wissen und Fertigkeiten mitgegeben werden konnte, der für die gesamte Lebensspanne reichte, endgültig vorbei. „Daher muss die Schule heute ihre primäre Aufgabe darin sehen, den Einstieg in einen lebenslangen Bildungsprozess zu vermitteln. Eine eng berufsbezogene Erstausbildung verliert demzufolge ihren Sinn, da nur noch wenige erwarten dürfen, während ihres ganzen Arbeitslebens in ihrem Ausbildungsberuf zu bleiben. Zudem ändern sich die Tätigkeitsanforderungen während des Arbeitslebens schneller“ (ebenda, 198) und es gibt keine Garantien für einen Arbeitsplatz mehr. Das Bildungssystem sollte mehr Gleichwertigkeit, mehr Durchlässigkeit, mehr Innovation und Flexibilität fördern.

Diese Forderungen sind nicht ganz neu und MAYER steht damit auch nicht allein, wobei bereits ein gewandeltes Verständnis von Bildung sich durchzusetzen scheint.

„In der Diskussion um frühe Bildungsprozesse und deren theoretische Fundierung zeichnen sich prinzipiell zwei unterschiedliche Positionen ab: Einige greifen vorrangig auf die traditionsreiche deutsche Diskussion um die Bedeutung von Bildung für die Persönlichkeitsentwicklung zurück ... Der Begriff von Bildung wird von Prozessen wie Lernen, Entwicklung oder Erziehung, im Gegensatz zu internationalen Entwicklungen, deutlich abgegrenzt. Das zentrale Stichwort in dieser Argumentation lautet „Selbstbildung“. Bildung wird als ein individuumzentrierter Ansatz konzeptualisiert, der bewusst von dem der Erziehung abgehoben wird. Bildung in diesem Sinne wird als Selbstaneignung der Welt durch das Kind definiert, das sich in diesem Prozess zugleich selbst hervorbringt“ (FTHENAKIS).

Eine davon abweichende Konzeptualisierung begreift Bildung als einen sozialen Prozess, der jeweils in einem konkreten Kontext eingebettet ist und vom Lernenden selbst, dessen Fachkräften, Eltern und anderen Erwachsenen co-konstruiert wird. „Mit anderen Worten: Es wird damit begonnen, Bildungskonzepte, die auf konstruktivistischen Ansätzen aufbauten, durch solche zu ersetzen, die sich sozial-konstruktivistischen Grundsätzen verpflichtet fühlen. Und anstelle von Selbstentfaltungstheorien werden interaktionistische Ansätze herangezogen … für eine Fundierung des gesamten Bildungsverlaufs. Dies hat tief greifende Folgen, was das Verständnis von Bildungsqualität und die Weiterentwicklung von Bildungsinstitutionen betrifft …

Eine Bildungskonzeption, die dem Prinzip der Co-Konstruktion Rechnung trägt, setzt aber auch ein anderes als das gegenwärtig in vielen Ländern bestehende Bildungssystem voraus, und dies gilt sowohl in strukturell-organisatorischer als auch in pädagogischer Hinsicht. (FTHENAKIS).

Der Debatte um die Bildung, die mit der Transitionsforschung momentan auf einem Höhepunkt zu sein scheint, muss im berufsbildenden Bereich noch die Debatte um den Wandel in der Arbeit und die um die Bedeutungsdimension des Berufes hinzugefügt werden.

Betrachtet man die Curriculumentwicklung während der letzten Jahre, so finden sich Erfolg versprechende Strategien, wie z. B. die Festlegung institutionsübergreifender Grundsätze und Prinzipien, die das pädagogische Handeln bestimmen sollen, Lernfelder, in denen situationserschließend vorgegangen werden soll, verbindliche Festlegung von Kooperationen und/oder die Betonung der Schülerperspektive, um nur einige zu nennen.

Wie sind nun die Probleme in der Ernährungswirtschaft anzugehen bzw. einzuschätzen? Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.

2 Ernährungswirtschaft – Gastgewerbe: Unübersehbare Vielfalt?

Bei dem Versuch „Ernährungswirtschaft“ und dieser zugeordnete Berufe auszumachen, trifft man in der Literatur und bei verschiedenen Institutionen nicht nur auf eine Vielzahl abweichender Bezeichnungen, sondern auch auf unterschiedliche Systematisierungen bzw. Kategorisierungen, die Gleichartigkeit und -wertigkeit nicht ohne Weiteres zulassen.

Das Gesamtsystem der Wertschöpfungskette für Lebensmittel hat z. B. die Bezeichnungen: Agrar- und Ernährungswirtschaft, Agriculture & Food Chain, Agribusiness, Food Chain bzw. Food Value Chain oder Food System. Dem Gesamtsystem sind diverse Dienstleistungen auf allen Stufen zuzurechnen (vgl. STRECKER 1996).

So gesehen gehören die Betriebsmittelhersteller der Landwirtschaft (Futtermittel, Saatgut, Düngemittel …) sowie die Landwirtschaft, Fischerei u. Ä. genauso zur Ernährungswirtschaft wie die Lebensmittelindustrie, das Lebensmittelhandwerk, der Lebensmittelhandel (Groß- und Einzelhandel) und nicht zuletzt die Gastronomie und Großverbraucher (z. B. Gemeinschaftsverpflegung in Kantinen und Mensen).

Auf allen Systemebenen und in allen Systembereichen sind zahlreiche Menschen tätig, von denen die professionell Ausgebildeten hier interessieren. Das führt zu den Berufen in der Ernährungswirtschaft, die, da auf eine Vielzahl von beruflichen Handlungsfeldern ausgerichtet, entsprechend vielfältig sind. Berufe und ihre Profilierungen sind ein Ergebnis historischer Entwicklungen in Wirtschaft und Bildung und damit auch ein Ergebnis ständig fortschreitender Spezialisierung, wobei es auch Versuche gab und gibt, dieser mit der Spezialisierung einhergehenden „Zergliederung“ entgegenzuwirken, was besonders in der Ausübung der Berufe – in Industrie und Handwerk – auf Widerstände stößt.

Betrachten wir die Ernährungswirtschaft als ein „Berufsfeld“, sind die zugehörigen Berufe aufzuspüren, was sich als schwierige Aufgabe erweist.

Während die Ausbildung von Lehrenden für das berufsbildende Schulwesen in der Regel auf ein Berufsfeld hin orientiert ist, ist die Berufsausbildung Jugendlicher in erster Linie auf einen Beruf gerichtet.

„Berufsfeld“ ist kein eindeutig definierter Begriff, dessen Diskussion hier jedoch nicht geführt werden kann. Es werden hier zunächst die Ausführungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) vom Mai 2008 zugrunde gelegt, wobei die Berufsfeld-Definition auf der Basis der Klassifikationen der Berufe von 1992 erfolgte. Diese wird ausdrücklich abgegrenzt von der Definition der Berufsfelder, die für die duale Berufsausbildung im Zusammenhang mit der Anrechnung des Besuchs eines schulischen Berufsgrundbildungsjahres (BGJ) sowie einer einjährigen Berufsfachschule verwendet wird.

Um die Vielfalt der Berufe in Deutschland abbilden zu können, wurden systematische Gruppierungen von Berufen vorgenommen. Bisher geschah dies anhand der Klassifikation der Berufe 1988 (KldB 1988), die im Jahr 2011 durch die neu entwickelte Klassifikation der Berufe 2010 (KldB 2010) abgelöst wird. Dahinter steht die Bundesagentur für Arbeit. Daneben gibt es die KldB 1992 des Statistischen Bundesamtes. Beide Klassifikationen von 1988 und 1992 beruhen in ihrer Gliederungsstruktur (mit Ausnahme der vierstelligen Berufsklasse) auf der KldB aus dem Jahr 1970, ergänzt und bereinigt durch die Fassung von 1975. Die Ebene der Berufsordnungen (3-Steller) war seitdem weitgehend unverändert und bildete somit die deutsche Berufsstruktur der 1950er und 1960er Jahre ab.

Um die heutigen komplexen Strukturen von Beruf und Beschäftigung abzubilden, wurde im August 2007 von der BA eine interne Arbeitsgruppe eingerichtet, deren Auftrag es war, bis Mitte 2010 eine neue Klassifikation der Berufe zu entwickeln. Mit ihrer Einführung nun soll diese neue einheitliche nationale Klassifikation der Berufe konsistente Analysen auf Berufsebene über verschiedene Datenquellen hinweg ermöglichen.

Bei der KldB 2010 – so heißt es bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) – handelt es sich um eine vollständige Neuentwicklung, die die aktuelle Berufslandschaft in Deutschland realitätsnah abbildet. Damit können – so heißt es weiter – die in den letzten Jahrzehnten deutlich veränderten Berufsstrukturen zukünftig in Statistiken und Analysen angemessen widergegeben werden. Ein weiterer Vorteil der KldB 2010 ist die hohe Kompatibilität zur internationalen Berufsklassifikation, der ISCO-08 (International Standard Classification of Occupations 2008), da durch sie die internationale Vergleichbarkeit von Berufsinformationen in den amtlichen Statistiken und in der Forschung deutlich verbessert wird. Mit der Einführung der neuen KldB 2010 werden die derzeit bestehenden beiden nationalen Klassifikationen von 1988 (BA) und von 1992 (Statistisches Bundesamt) somit abgelöst und zugleich das Nebeneinander zweier verschiedener nationaler Berufsklassifikationen beendet.

Das Schlüsselverzeichnis der BA von 2010 berücksichtigt bereits den Deutschen Qualifizierungsrahmen, allerdings ist dieser noch nicht voll ausgereift und beachtet in erster Linie Bildungsgänge und nicht individuelle Qualifikationen.

Dessen Anliegen ist, den Bedarf an Qualifikationen nach Qualifikationsstufen (ISCED - International Standard Classification of Education) in den Wirtschaftszweigen und Berufsfeldern (unter Einbeziehung von Tätigkeitsmerkmalen) sowie das Angebot nach Qualifikationsstufen und Berufsfeldern zu projizieren. So geht es um mehr als nur zahlenmäßige Abbildungen einer Berufslandschaft!

Die hierarchische Gliederung der KldB 2010 sieht fünf numerisch codierte Gliederungsebenen vor, wobei die KldB 2010 in der obersten Hierarchieebene aus zehn Berufsbereichen, auf der untersten Ebene (5-Steller) aus 1.286 Einheiten besteht:

  • Berufsbereiche
  • Berufshauptgruppen
  • Berufsgruppen
  • Berufsuntergruppen
  • Berufsgattungen

Die KldB 2010 ist weiterhin nach zwei Dimensionen gegliedert und dies betrifft wiederum die Ausbildung, das Image und andere einen Beruf profilierende Merkmale. Die strukturgebende Dimension ist die so genannte „Berufsfachlichkeit“. Das bedeutet, die Berufe sind in den obersten vier Ebenen anhand ihrer Ähnlichkeit der sie auszeichnenden Tätigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten gruppiert. Auf der untersten Ebene erfolgt dann noch eine Untergliederung anhand der zweiten Dimension – dem „Anforderungsniveau“. Das Anforderungsniveau bezieht sich auf die Komplexität der auszuübenden Tätigkeit und wird in vier Komplexitätsgraden – von 1 „Helfer- und Anlerntätigkeiten“ bis 4 „hoch komplexe Tätigkeiten“ – erfasst.

Für eine berufsfeldorientierte Ausbildungsgestaltung ergibt sich nun, dass man z. B. nicht mehr Ernährungsberufe gebündelt in Berufsgruppen und -ordnungen findet, sondern sie aus den Hauptgruppen, Gruppen und Untergruppen herausfiltern muss!

Folgende Beispiele zeigen das:

  • In der Berufshauptgruppe 3 Techniker und gleichrangige nichttechnische Berufe findet sich in der Berufsgruppe 32 Biowissenschaftliche und Gesundheitsfachkräfte die Berufsuntergruppe 322 Medizinische Fachberufe (ohne Krankenpflege) zum Beispiel mit den Diätassistenten und Ernährungsberatern (3223).
  • In der Berufshauptgruppe 5 Dienstleistungsberufe, Verkäufer in Geschäften und auf Märkten findet sich unter Berufsgruppe 51 Personenbezogene Dienstleistungsberufe und Sicherheitsbedienstete die Berufsuntergruppe 512 Dienstleistungsberufe im hauswirtschaftlichen Bereich und im Gaststättengewerbe zum Beispiel mit Hauswirtschaftlichen und verwandten Berufen (5121), Köchen (5122) und Kellnern und Barkeepern (5123).
  • Als letztes Beispiel ist die Berufsgruppe 74 zu nennen: Sonstige Handwerks- und verwandte Berufe (sie gehören zur Hauptgruppe 7: Handwerks- und verwandte Berufe). Hier sind Berufe in der Nahrungsmittelverarbeitung und verwandte Berufe (741) zugeordnet:

    7411    Fleischer, Fischhändler und verwandte Berufe

    7412    Bäcker, Konditoren und Süßwarenhersteller

    7413    Molkereiwarenhersteller

    7414    Obst-, Gemüse- und verwandte Konservierer

    7415    Nahrungsmittel- und Getränkekoster und -klassierer

    7416    Tabakaufbereiter und Tabakwarenhersteller.

Für den Berufssuchenden einfacher ist das Auffinden von Ernährungsberufen bei der BA (berufenet 2010) und dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (2000); es sind Klassifikationen, die anderen spezifischen Zwecken dienen, aber auch nicht individuelle berufliche Qualifikationen und schon gar nicht Bildungsverläufe berücksichtigen.

Dies sollte der Ausbildungsgestaltung obliegen, in der jedoch auch ein Defizit besteht, nämlich zwischen berufsprofilbezogenem Vorgehen und den tatsächlichen Anforderungen einer sich schnell wandelnden Wirtschaftsgesellschaft, da streng nach Lehrplänen und Ausbildungsordnungen, die über Jahre, manchmal Jahrzehnte Gültigkeit haben, vorzugehen ist.

In der beruflichen Erstausbildung kann nur sog. berufliches Kernwissen vermittelt werden, wenn dann überhaupt festgelegt ist, welches dieses ist (wo bestehen Kerncurricula?). Das Kernwissen muss mehr und mehr ergänzt und erweitert werden, will der Lernende, der Absolvent eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Aber es geht nicht nur um Chancen, mit seiner Berufsausbildung Geld zu verdienen, sondern es geht auch darum, zu erkennen, welche Möglichkeiten und Potentiale nach einer Erstausbildung bestehen. Es gibt z. B. zahlreiche Möglichkeiten des Einsatzes einer Fachkraft im Gaststättengewerbe und entsprechende Weiterbildungsmöglichkeiten, aber die Orientierung an Inhalten, sprich Wissen (Wissensarten), führt dazu, immer Neues hinzuzufügen, anstatt auf Transferleistungen zu setzen, die bei einer zielorientierten Ausbildung im Zentrum stehen und den Lernenden/Ausgebildeten autodidaktisch (selbststeuernd, selbstorganisiert) Neues erschließen lassen. Es wird zu sehr auf das Additivum gesetzt – das zeigt auch die kaum überschaubare Anzahl an Weiterbildungsangeboten – anstatt auf Modularisierung mit flexiblen Möglichkeiten einer Ausrichtung auf reale Aufgaben.

Hier kann – rückblickend – die Frage angeschlossen werden, ob die genannten Kategorisierungen nach „Berufsfachlichkeit“ und „Anforderungniveau“ derartiges überhaupt zulassen?

Solche Gedanken führen zur Auseinandersetzung mit dem „Leben mit der Vielfalt“, das einen Perspektivwechsel erfordert.

3 Leben mit Vielfalt

BIFFL spricht von dem flexibilisierten Menschen (2008, 37) und konstatiert, dass ein Wesensmerkmal der Neukonstituierung der Welt, der Wirtschaft wie der Gesellschaft im Rahmen der Globalisierung eine größere Flexibilität in den Arbeitsorganisationsstrukturen ebenso wie in den zwischenmenschlichen Beziehungen (Lebensphasenpartnerschaften) ist. Wichtig ist, mit dem Wandel besser umzugehen, ein gemeinsames Verständnis für die Prozesse und deren Dynamik zu entwickeln. Und es ist eine gemeinsame Sichtweise erforderlich, damit wir „eine Vision erzielen, wie wir vorgehen müssen, um die Chancen, die sich aus dem technologischen und wirtschaftlichen Wandel in einer globalisierten Welt ergeben, wahrnehmen zu können. Sie ist aber auch die Voraussetzung, um zu verhindern, dass die Flexibilisierung der Arbeitswelt und der zwischenmenschlichen Beziehungen zur Verarmung und zum Verlust der Lebenschancen infolge von Brüchen im Erwerbsverlauf oder der Familienbeziehungen führen“ (ebenda).

Eine der Voraussetzungen ist in der Verbesserung des Qualifikationsniveaus des Menschen zu sehen. Sein Beruf ist Element eines Produktionsprozesses, dessen Strukturen sich stark verändert haben.

„Die Entstandardisierung der Produktion und Beschäftigungsformen geht Hand in Hand mit einer Erosion des nationalen Organisationsgrads der Arbeiterschaft, einer Entstandardi-sierung der Arbeitszeit, der Entlohnungssysteme und der mikroökonomischen Arbeitsorganisation, etwa der Verringerung der vertikalen Hierarchien und Kontrollsysteme zugunsten einer Ausweitung von Teamarbeit und damit horizontaler Kontrollsysteme. Diese verschiedenen Formen der Flexibilisierung bedeuten, dass die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, zwischen Markt und Haushalt immer häufiger zu Problemen führt“ (ebenda, 41). Und es ist fraglich, ob „Beruf“ so – wie beschrieben – überhaupt noch kategorisiert werden kann.

„Die Herausforderung besteht in der Entwicklung eines industriellen Rahmens, der sicherstellt, dass Übergänge zwischen den diversen Lebensphasen (Schule – Arbeit - Weiterbildung – Familienarbeit – internationale Mobilität etc.) sozial abgefedert sind (Anpassung des Systems der Wohlfahrt an die geänderten Anforderungsprofile)“ (ebenda, 46).

Wird der Prozess nicht von allen mitgetragen, kann es zu einer sozialen Fragmentierung kommen.

Um dies zu verhindern setzen BECK, BRATER und DAHEIM bei der Lebensgestaltung und persönlichen Entwicklung des arbeitenden Menschen an und entwickelten eine subjektbezogene Berufstheorie, die eine Perspektive einnimmt, die Berufe als ‚Subjektstrukturen‘ sieht und analysiert (BECK u. a. 1997, 25).

Das Berufsbild enthält in der Regel eine allgemeine Definition und eine Liste von „Inhalten“ (Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten). Schaut man sich diese näher an, sind schon funktionelle Qualifikationen, wie Fachkönnen, benannt, aber auch persönliche Qualifikationen, die von den anderen nicht immer und nicht klar zu trennen sind: z. B. Selbstständigkeit und Kreativität im Berufsbild des Koches oder das Erscheinungsbild und Auftreten im Berufsbild der Fachkraft im Gastgewerbe oder im beratenden Verkaufsgespräch das Reagieren auf unterschiedliche Gästetypen.

So gesehen ist Berufsausbildung auch ein Beitrag zur Persönlichkeitsbildung, zur Formung der Person, ihrer Eigenschaften und Fähigkeiten, die in der globalisierten Welt immer bedeutender werden, wie die Flexibilisierung.

In der näheren Betrachtung ist Folgendes zu beachten:

Das Berufsbild umfasst dann nicht nur irgendwelche „technischen“ Spezialkenntnisse, sondern erfasst zumindest Teile der Persönlichkeit selbst und dient als Schablone ihrer Entwicklung, „indem es ihre Denkweisen, Beobachtungsgabe, Ausdrucksfähigkeit, innere Haltung und äußere Gesten und Erscheinungsformen nach dem ihm eigenen Muster prägt bzw. auszubilden vorschreibt. Verschiedenen Berufen wohnen offenbar in dieser Hinsicht ganz verschiedene ‚Persönlichkeitsmodelle’ inne (womit sie ganz unterschiedliche ‚Kanäle’ der persönlichen Entwicklung darstellen). Ferner wird bereits deutlich, wie die Berufe die persönliche Entwicklung für bestimmte arbeitseinsatzbezogene Zwecke ‚funktionalisieren’, also diejenigen Aspekte und Orientierungen betonen, die dem jeweiligen Berufszweck dienen“ (ebenda, 27): ‚Menschenkenntnis’ umschließt z. B. bei einem Verkäufer die Fähigkeit, die ‚Kaufkraft des Kunden einzuschätzen’; die Form der Anrede, die gelernt werden soll, dient dazu, den Kunden zum Bleiben und Kaufen zu motivieren (vgl. ebenda).

Festgelegt wird im Berufsbild auch, was einer nicht können muss, denn wenn es um eine Einführung oder Grundkenntnisse geht, die in der weiteren Ausbildung nicht wieder aufgenommen, fortgeführt werden, ist damit ein Ausschluss gegeben, eine Negativbestimmung. In einer derartigen Beschreibung von Inkompetenz liegt der „Schnittpunkt“ zu einem Nachbarberuf. Solche Nahtstellen finden sich zwischen allen gastronomischen Berufen (gibt es doch auch gleiche Lernfelder in den jeweiligen Ausbildungen) und zu landwirtschaftlichen Berufen, aber auch zum Beruf des Hauswirtschafters/der Hauswirtschafterin und Berufen aus dem Feld „Wirtschaft und Verwaltung“ (Verkäufer, Kaufmann).

Jeder Beruf soll aber seine Besonderheiten wahren und sich deutlich von den anderen abgrenzen. Das hat zur Folge, dass zunächst in eine Vielzahl einzelner Wissens- und Qualifikationsbereiche kurz hineingeschaut wird, um sie dann schnell wieder ad acta zu legen. Die Ausbildung ist so mit lauter Stoppschildern und Sperren versehen. Ein Beruf dient angesichts dieser vielfältigen ‚Einkesselungen’ nicht nur als Schablone der Entwicklung der persönlichen Fähigkeiten, Handlungs-, Orientierungs- und Denkweisen, sondern zugleich auch als Medium ihrer Vereinseitigung, Einschränkung, Spezialisierung, wirkt also gleichzeitig auch als entwicklungshemmend oder -verhindernd, indem er Lernprozesse an bestimmten Punkten abzubrechen vorschreibt bzw. komplexe Qualifikationsbereiche in für sich unselbständige Teile zerteilt (vgl. ebenda, 27/28).

Mit dem Qualifikationsprofil wird der Einzelne in vielfältige strukturell notwendige soziale Beziehungen eingebunden. „Arbeitsfähigkeiten bzw. ‚Kompetenzen’ lassen sich inhaltlich gar nicht auf unterschiedliche Berufe aufteilen, ohne daß damit zugleich soziale Beziehungen, Abhängigkeiten und Kooperationsbezüge zwischen den jeweiligen Spezialisten begründet würden“ (ebenda).

Jedes Berufsbild enthält somit einerseits eine Innen- und Subjektseite, andererseits trägt es zur Verfestigung von Strukturmerkmalen bei und Berufe dienen dann als institutionalisierte Kombinationen von Arbeitsfähigkeiten.

Berufe „sind nicht nur gesellschaftliche Organisationsformen des arbeitsrelevanten Wissens und Könnens, sondern darüber hinaus Organisationsformen der menschlichen Subjektivität selbst“.

Der „Berufspersönlichkeit“ entspricht eine Berufsbiografie, die in der Regel mit der Berufsausbildung (möglicherweise nach einer Orientierungsphase) beginnt. Eine biografische Zäsur gibt es zwischen Lernphase und Arbeitsphase, die theoretisch immer zusammenfällt mit dem Übergang vom subjektiven Erwerb eines Arbeitskräftemusters zu dessen Einsatz, der Arbeitskräftenutzung. Die Arbeitskräftenutzung konkretisiert sich in der inneren Arbeitsteilung von Betrieben und Haushalten/Institutionen in mehr oder weniger hierarchisch geordneten Arbeitspositionen. Je schneller gesellschaftlicher Wandel stattfindet, desto weniger ist von einer Entsprechung des Arbeitskräftemusters (eher langfristig und auf Dauer angelegt) mit der Arbeitskräftenutzung, besonders bei restriktiven Arbeitsbedingungen und begrenzten Möglichkeiten zur Fähigkeitserweiterung, zu erwarten.

So schließen Berufsbiografien nicht nur aufsteigende Berufskarrieren ein, sondern auch Entwicklungshindernisse, die auch im „Subjektiven“ liegen können, so dass eine subjektorientierte Berufstheorie zwar zu Erkenntnissen einer besseren Angleichung von Arbeitskräftemuster und -nutzung beitragen kann, nicht aber diese Angleichung selbst befördern kann.

4 Der flexibilisierte Mensch – Unternehmer der eigenen Arbeitskraft

Das Arbeitskräftemuster ergibt sich – wie dargelegt – aus relativ starren Ausbildungsplänen, die selektierend und maßgeschneidert auf bestimmte Arbeitseinsätze ausgerichtet sind, selbst wenn in den „Grundlagen“ eine „gewisse Breite“ ausgewiesen ist. Zudem fließen in die Aneignung des Musters – wie erwiesen – Individuelles und Originäres ein. Dennoch reicht dies nicht aus, der geforderten Flexibilisierung in der Nutzung der Arbeitskraft dann nachzukommen. Für das bisherige Übergangssystem, das genauso fremdbestimmt ist wie das Ausbildungssystem, wird bereits eine Umgestaltung gefordert, die eine individuelle Begleitung junger Menschen vorsieht und als erster Ansatz in Richtung der Gestaltung eigener Wege in den Beruf und in der Berufsausübung gilt. Noch einen Schritt weiter geht VOß, wenn er vorschlägt, der Arbeitnehmer soll zum „Unternehmer seiner eigenen Arbeitskraft“ werden (2007, 60ff).

„Vor dem Hintergrund der notwendigen Umgestaltung eines sog. Übergangssystems ist der Aufbau kohärenter Förderungsstrukturen im regionalen Kontext in den Fokus gerückt“ heißt es bei BYLINSKI und sie zeigt dazu den derzeitigen Stand auf (2010, 13-15):

Es etablieren sich mehr und mehr regionale Übergangsmanagements (RÜM), um mehr Transparenz zu den bestehenden Bildungs- und Förderangeboten zu schaffen, die die Gestaltung der individuellen Übergangswege unterstützt bzw. erst möglich macht.

Eine der Maßnahmen (es geht auch darum bestehende Maßnahmen fernerhin zu koordinieren) ist die Unterstützung „besonders gefährdeter“ Schülerinnen und Schüler durch Berufseinstiegsbegleiter. An diese und andere im Übergangsgeschehen stehenden pädagogischen Fachkräfte werden hohe Anforderungen gestellt.

„Die konzeptionelle Gestaltung eines regionalen Übergangsmanagements bezieht sich insbesondere auf zwei Dimensionen, die im pädagogischen Handeln untrennbar miteinander verbunden sind und beide gleichzeitig auch Anforderungsbereiche an die pädagogisch Handelnden darstellen:

  • zum einen die individuelle Übergangs- bzw. Bildungsbegleitung im Übergang von Schule in den Beruf als ein Ansatz aus dem Case Management;
  • zum anderen die Gestaltung eines strukturellen Übergangsmanagements und eine interventionsbezogene Steuerung des gesamten Angebotsspektrums im Übergangsbereich“.

Auf der ersten Ebene geht es um eine individuelle, „biografische Berufswegebegleitung“, „die dadurch gekennzeichnet ist, dass jeweils die Kompetenzen, Stärken und die Interessen des einzelnen Jugendlichen die Basis für individuelle Unterstützungs- und Förderangebote bilden. Eine biografische Unterstützung beinhaltet dabei auch die Reflexion über getroffene Entscheidungen (MEULEMANN 1999) und die Unterstützung einer biografischen Lebensbewältigung (BÖHNISCH 1997) weil Berufswegeplanung auch als Lebensplanung (Nationaler Pakt 2009) verstanden wird. Ziel ist es, gemeinsam mit den jungen Menschen realistische Bildungs- und Ausbildungswünsche zu entwickeln…“ (BYLINSKI 2010, 14). Der Prozess muss system- und ressourcenorientiert angelegt und ausgestaltet werden.

Auf der zweiten Ebene geht es um Vernetzung und Kooperation aller regional beteiligten Akteure, wobei die Zusammenarbeit nicht immer einfach ist (z. B. unterschiedliche Handlungslogiken und gesetzliche Grundlagen).

Die Berufseinstiegsbegleitung gilt als eine sinnvolle Ergänzung zur Gestaltung des Übergangsbereiches und zur Unterstützung individueller Bildungswege junger Menschen; sie kann nicht die alleinige Maßnahme sein. Und sie ist es auch nicht, denn schon lange gibt es bereits ausbildungsvorbereitende Maßnahmen (vgl. Empfehlung vom 23.09.2009 des Landesausschusses für Berufsbildung nrw).

„Obwohl die einzelnen Angebote sach- und zielgruppengerecht konzipiert wurden, stellt sich der Erfolg für die Jugendlichen oft nicht ein. Häufig nehmen junge Menschen Angebote wahr, ohne dass das Qualifikationsangebot und der Qualifikationsbedarf des Jugendlichen übereinstimmen. Grund dafür ist eine Vielzahl von intransparenten und unabgestimmten Förderangeboten und -programmen, wobei die Angebotsträger de facto um die gleichen Jugendlichen konkurrieren. Folge ist, dass Jugendliche nicht optimal in ihrer individuellen Entwicklung gefördert werden können“ (Landesausschuss für Berufsbildung nrw vom 23.09.2009). Daraufhin wurden Empfehlungen für eine bessere Koordinierung ausgesprochen, aber auch zur Qualitätsverbesserung in Transparenz und Beratung.

Im September 2010 wurde die BMBF-Bildungsketten-Initiative gestartet, die die Vermeidung von Schulabbrüchen, die Verbesserung des Übergangs in duale Ausbildungen und die Fachkräftesicherung zum Ziel hat. Mit der Initiative sollen bis zu 30.000 bildungsgefährdete Schülerinnen und Schüler durch bis zu 1.000 hauptamtliche Berufseinstiegsbegleiter betreut werden.

Derartige Aktivitäten tragen sicher dazu bei, dass sich junge Menschen besser – z. B. im Dschungel der Berufe – zurechtfinden oder ihnen Wege offengelegt werden, die sie von sich aus nie gegangen wären, eine Flexibilisierung wird damit aber noch nicht erreicht. Man fragt sich auch, ob die in diesen Fällen erwünscht ist, wird doch – im Idealfall – eine begleitende Berufswegeplanung durchgeführt, die wiederum durch Detailsteuerung – system- und ressourcenorientiert, wie BYLINSKI sagt (s. o.) – geprägt ist. Die deutsche Wirtschaft braucht Fachkräfte und die gilt es zu erhalten und zu sichern. Es geht also eher darum, die Arbeitskräftemuster an der Arbeitskräftenutzung zu orientieren als umgekehrt und dann kann von einer „Individualisierung“, „Subjektivierung“ nicht die Rede sein. „Mit dem Wandel besser umgehen“, „ein gemeinsames Verständnis für die Prozesse und deren Dynamik entwickeln“ sind die Forderungen (s. o.), die aus einer globalisierten Welt resultieren. Mit Berufseinstiegsbegleitern o. Ä. können sie nicht erfüllt werden.

Ähnlich sieht es auch VOß. Er stellt folgende These auf: Im Zuge des Wandels der Arbeit hat sich auch die grundlegende Verfassung der Arbeitskraft in unserer Gesellschaft verändert. Aus dem bisherigen „Arbeitnehmer“ wird eine Art Unternehmer – ein „Unternehmer der eigenen Arbeitskraft“ (2007, 60). Aufgrund dieser These wirft VOß die Frage auf „Was bedeutet das für das Verständnis von Beruflichkeit und Bildung?“ und versucht eine Antwort zu geben, indem er behauptet, dass Flexibilität freigesetzt werden kann, wenn Verantwortlichkeiten und Spielräume der Arbeitenden erhöht werden (vgl. ebenda, 61).

Seine – zugegebenermaßen etwas ungewöhnlichen – Vorschläge scheinen es wert, diskutiert zu werden, da sie nicht nur – wie manche meinen – utopisch sind, sondern in Ansätzen bereits vorhanden.

„Industriesoziologen sprechen auch von „Entgrenzung der Arbeit“… Folge ist eine Zunahme von sehr ambivalenten Autonomien für die Beschäftigten, die bedeuten, dass sie die erforderlichen Strukturen für ihre Arbeit im Betrieb, wie insgesamt für ihre Erwerbssituation, immer mehr selbst herstellen müssen“ (VOß 2007, 61).

„Dafür setzt sich zurzeit auch der Begriff „Subjektivierung von Arbeit“ durch. Dieser Begriff verweist darauf, dass sich Arbeitende im Zuge solcher Veränderungen in nicht wenigen Bereichen tatsächlich verstärkt mit ihrer ganzen Persönlichkeit in die Arbeit einbringen und diese mitgestalten können, dies aber auch tun und können müssen. Oder anders ausgedrückt: Die Entgrenzung der Arbeit führt zu teilweise erheblich steigenden Anforderungen an die Subjektivität der Betroffenen“ (ebenda).

Die bisherige Form der Arbeitskraft war darauf ausgerichtet, „Arbeitsfähigkeit an einen Betrieb gegen Lohn zu verkaufen und sich dann eher passiv Kontroll-Anweisungen zu unterwerfen. Nun entsteht eine regelrechte Umkehrung der Anforderungslogik. Arbeit heißt immer weniger die Erfüllung fremdgesetzter Anforderungen bei geringen Gestaltungsspielräumen und fixen Ressourcen. Zunehmend ist fast das Gegenteil verlangt: aktive Selbststeuerung im Sinne allgemeiner Unternehmenserfordernisse, die im Detail oft erst definiert und für die Ressourcen nicht selten erst beschafft und dann kostenbewusst gehandhabt werden müssen“ (ebenda).

Nicht mehr reaktiv, sondern aktiv muss der Arbeitnehmer sein, den man aufgrund seiner Eigenschaften als Unternehmer der Arbeitskraft bezeichnen kann und der den bisherigen „verberuflichten Arbeitnehmer“ ablöst. Voß konkretisiert diese Aussage, worauf hier jedoch nicht näher eingegangen werden kann.

Gleichwohl muss noch erwähnt werden, dass aus einem derart geänderten Verständnis von Beruf ein neuer Berufsbegriff entstehen muss. „Der neue Beruf hat immer noch eine spezialisierte berufliche Basis – die aber gleich doppelte Konkurrenz bekommt: durch eine verstärkte Ökonomisierung sowie eine wachsende Bedeutung der existenziellen Funktion von Arbeit und Arbeitskraft“ (ebenda, 69).

Auch die Berufsbildung stellt sich für einen Arbeitskraftunternehmer anders dar.

„Bisher wurden Individuen im Bildungssystem in sozial präformierte und regulierte Berufsformen einsozialisiert. Nun muss es darum gehen, Menschen bei der lebenslangen Entwicklung eines je individuellen Berufs gesellschaftlich aktiv zu unterstützen“ (ebenda).

Das heißt nicht, dem Einzelnen die Verantwortung für Bildung und Ausbildung vollständig zu überlassen. „Trotzdem wird Bildung eine veränderte Qualität ausbilden müssen, mit der die gesellschaftliche Regulierung in einem neuen Verhältnis zur individuellen Nutzung und Gestaltung steht“ (ebenda). Bildung muss die individuelle Formierung eigener Fähigkeitsmuster systematisch befördern und flankieren und nicht wie bisher begrenzen und behindern.

„Vorbei ist die Zeit standardisierter Ausbildungen auf der Basis starrer Berufe mit minimalen Spielräumen, in denen Betroffene passive Absolventen strenger staatlicher Anstalten sind. Erforderlich ist es jetzt, Individuen als aktive Gestalter und damit als die eigentlichen Träger gesellschaftlicher Bildung zu sehen“ (ebenda, 70). Sie müssen sich frei bewegen können in einem zwar öffentlich geförderten und strukturierten, aber weitgehend offenen und flexiblen Bildungssystem. Vielfältige Angebote werden je nach persönlichem Bildungsbedarf für eine lebenslange Verberuflichung aktiv genutzt. Das erfordert ein persönliches Bildungsmanagement.

Merkmale eines derartig offenen Bildungssystems (sie sind nicht utopisch, da z. T. schon bekannt und diskutiert) sind (vgl. ebenda, 70ff.):

  • Systematische Modularisierung von Bildung.
  • Lebenslanges Lernen.
  • Integration von Bildung in das Leben von Menschen.
  • Persönliche Kompetenzportfolios.
  • Steuerung durch öffentlich zugeteilte Bildungs-Ziehungsrechte.
  • Professionelle Unterstützung.
  • Schaffung ausreichender Qualifikationen.

Und nicht zuletzt heißt dies, dass allgemeine Persönlichkeitseigenschaften, ein umfassendes Gesellschafts- und Kulturwissen sowie nicht zuletzt ein breites lebenspraktisches Erfahrungspotenzial (also das, was traditionell „Bildung“ heißt) mehr denn je Basis jeglichen Berufs sind.

Träger und entscheidende Akteure dieses Bildungssystems sind hier die Nachfrager. Demgegenüber fungiert das öffentliche System als flexible Möglichkeitsstruktur.

5 Fazit – Konsequenzen für die Berufsfelddidaktik

Diese Gedanken und Ansätze über das Neudenken der Berufe tangieren auch das Berufsfeld Ernährung und Hauswirtschaft. Auch wenn wir es hier mit Berufen zu tun haben, von denen viele noch immer sehr traditionsgebunden sind, ändert das nichts an der Tatsache, dass der Weg zu diesen Berufen und ihre Ausübung auch den neuen Anforderungen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik (insbesondere Bildungspolitik) genügen müssen.

Schaut man auf die vielen Maßnahmen, die derzeit ergriffen werden, um Jugendlichen den Übergang in die Arbeitswelt zu ermöglichen bzw. zu erleichtern, dann muss auch dieses Berufsfeld für derartige Maßnahmen gerüstet sein.

Für die Pädagogen bedeutet das, ihr didaktisches Arbeiten, wie schon so oft, wiederum umzustellen. An Vorschlägen mangelt es auch hier nicht, allerdings wird keine neue Didaktik gefordert. Neue Begriffe – wie z. B. Lernfelddidaktik – gibt es zwar, aber eine theoretische Auseinandersetzung oder gar Grundlegung fehlt zum großen Teil noch.

Zunächst kann festgehalten werden, dass mit dem Paradigmenwechsel in den 1990er Jahren im berufsbildenden Bereich (von den Schulen über die Betriebe/Haushalte bis zur Lehramtsausbildung) schon didaktischen Ansätzen gefolgt wird, die bereits den Lernenden in den Mittelpunkt stellen, seine Selbstorganisation, Selbstbestimmung im Handeln und Entscheiden fördern und ihn auf das lebenslange Lernen vorbereiten zu suchen, aber meist wird hier nur – im Gegensatz zu früher, als die Inhaltsorientierung im Zentrum stand – auf Methodisches und/oder die neuen Medien abgestellt.

Interessant im Zusammenhang des bildungsbiografischen Denkens scheinen Modellierungsversuche wie die „Didaktik als Theorie des arrangierten Lernens“ (vgl. SACHER 2005) oder „Ansätze zum situierten Lernen“ (vgl. TULODZIECKI 2005; schon bei FEGEBANK 2004 im Ansatz der „situationserschließenden Didaktik“ enthalten) zu sein.

Hier steht die komplexe Lernsituation mit der Lernumgebung und entsprechenden Lernaufgaben als Aktgefüge des Lernens des einzelnen mit seinen Erfahrungen, Erlebnissen, Eindrücken und Interessen im Fokus und es werden kognitionstheoretische und konstruktivistische Ansätze in Verbindung gebracht, als eine Art „pragmatische Zwischenposition“.

„Diese Position ist dadurch gekennzeichnet, dass einerseits die Bedeutung von Lernen in Problem- und Handlungszusammenhängen – im Sinne der konstruktivistischen Auffassung – betont wird, dass andererseits allerdings von der Sinnhaftigkeit eines Aufbaus kognitiver Strukturen bzw. mentaler Modelle durch geeignete Instruktionen – im Sinne kognitionstheoretischer Ansätze – ausgegangen wird (…)“ (TULODZIECKI 2005, 241).

Die Theoriediskussion muss an anderer Stelle fortgesetzt werden. Die weiteren Beiträge der Fachtagung widmen sich – vor dem Hintergrund dieser grundlegenden theoretischen Erörterungen – konkreten Beispielen, Projekten und Fragestellungen zu Übergängen im Bereich gastronomischer Ausbildung und Berufsausübung.

Literatur

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BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT (2010): Neue Klassifikation der Berufe 2010. Online: http://statistik.arbeitsagentur.de/  (13-02-2011).

BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT (2010): Methodenbericht Klassifikation der Berufe 2010, Entwicklung und Ergebnis. Nürnberg. Online: http://statistik.arbeitsagentur.de/  (13-02-2011).

BYLINSKI, U. (2010): Gestaltung individueller Wege in den Beruf. In: berufsbildung, H. 125, 13-15.

FEGEBANK, B. (2004): Berufsfeldlehre Ernährung und Hauswirtschaft. Baltmannsweiler.

FTHENAKIS, W. E.: Frühkindliche Bildung und Konsistenz im Bildungsverlauf, http://www.balingen.eu/servlet/PB/show/1256654/Kauder-Publication.01.pdf  (21-10-2010).

KUTSCHA, G. (1994): Zur Professionalisierung des Berufspädagogen und Konsequenzen für das Studium der Lehrer und Lehrerinnen an beruflichen Schulen. In: Bildung und Beruf, Schriftenreihe des BLBS, Nachdruck aus: Die berufsbildende Schule 41, 1989/12, 762-775.

MAYER, K. U. (2000): Die Bildungsgesellschaft. In: PONGS, A. (Hrsg.): In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? München, 193-218.

SACHER, W. (2005): Didaktik als Theorie des arrangierten Lernens. In: STADTFELD, P./ DIECKMANN, B. (Hrsg.): Allgemeine Didaktik im Wandel. Bad Heilbrunn, 173-213.

STATISTISCHES BUNDESAMT (1992): Klassifizierung der Berufe – Systematisches und alphabetisches Verzeichnis der Berufsbenennungen. Ausgabe 1992. Stuttgart.

STRATMANN, K. (1967): Die Krise der Berufserziehung im 18. Jahrhundert als Ursprungsfeld pädagogischen Denkens. Düsseldorf.

STRECKER, O. et al. (1996): Marketing in der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Frankfurt.

TULODZIECKI, G. (2005): Digitale Medien in einem problem- und fallorientierten Unterricht. In: STADTFELD, P./ DIECKMANN, B. (Hrsg.): Allgemeine Didaktik im Wandel. Bad Heilbrunn, 235-251.

VOß, G. (2007): Subjektivierung von Arbeit. Neue Anforderungen an Berufsorientierung und Berufsberatung oder: Welchen Beruf hat der Arbeitskraftunternehmer? In: BADER, R. et al. (Hrsg.): Entwicklung unternehmerischer Kompetenz in der Berufsbildung. Bielefeld, 60-76.


Zitieren dieses Beitrages

FEGEBANK, B. (2011): Ausbildung im Gastgewerbe: Berufe neu denken?! In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 09, hrsg. v. FEGEBANK, B./ FORßBOHM, D., 1-15. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft09/fegebank_ft09-ht2011.pdf (26-09-2011).



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