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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT10 - Gesundheit
Herausgeber: Mathias Bonse-Rohmann & Ulrike Weyland

Titel:
Übergänge in den Gesundheitsfachberufen und deren Lehrerbildung ermöglichen – Potentiale erkennen und fördern


Potentiale und Chancen der Logopädie – Wie können Übergänge in der Berufsbildung nachhaltig gestaltet werden?

Beitrag von Monika RAUSCH (Europäische Fachhochschule, Rostock)

Abstract

Ausgehend von einer Begriffsklärung ‘Logopädie/Sprachtherapie‘ werden die berufsgesetzlichen und sozialrechtlich geregelten Übergänge in die berufliche Bildung und in den Arbeitsmarkt dargestellt. Wie die theoretisch möglichen Übergänge tatsächlich genutzt werden, wird durch vorhandenes Zahlenmaterial belegt und durch Erfahrungen aus Perspektive des Berufsverbandes für Logopädie (dlb) ergänzt. Auf dieser Grundlage werden Potentiale und Chancen der Logopädie analysiert. Daraus kann unter Vernachlässigung einer Schwächen und Risiko-Analyse ein vorläufiges Fazit formuliert werden. Die Logopädie befindet sich danach strukturell am Übergang von der beruflichen in hochschulische Bildung. Es wird von Einflussmöglichkeiten und Interessen der verschiedenen gestaltenden Akteure abhängen, ob der Übergang realisiert und die Potentiale und Chancen genutzt werden können.

1 Einführung

Um die Frage im Vortragstitel beantworten zu können, werden im Folgenden zunächst die darin verwendeten Begriffe entfaltet, d.h. es wird skizziert, a) was unter  ‘Logopädie‘ verstanden wird bzw. welche Berufe oder Qualifikationen  unter der Bezeichnung subsummiert werden können und b) welche Übergänge im deutschen Bildungssystem für die Logopädie relevant sind. Ausgehend von den wenigen Daten, die zu den Übergängen vorliegen, und ergänzt durch erfahrungsbasierte Hypothesen sollen  die Potentiale und Chancen der Logopädie analysiert werden. Die Passivkonstruktion der Frage lässt aber offen, wer denn Akteur der Gestaltung sein kann. Diese Frage wird in einem kurzen Exkurs beleuchtet.  Auf dieser Grundlage (Begriffsklärung, Zahlen, Analyse) wird schließlich die im Vortragstitel gestellte Frage in einem vorläufigen Fazit  beantwortet. Vorläufig muss dieses Fazit deshalb sein, weil die Situation der Gesundheitsfachberufe derzeit durch eine große Veränderungsdynamik gekennzeichnet ist und weil in der Analyse aufgrund fehlender Zahlen mit Hypothesen gearbeitet wird, die erst durch empirische Daten belegt werden müssten.

2 Begriffserläuterungen

2.1 Logopädie - Sprachtherapie

‘Logopädin/Logopäde‘ ist eine gesetzlich geschützte Berufsbezeichnung für Absolventen einer berufsrechtlich geregelten dreijährigen Ausbildung an staatlich anerkannten Schulen für Logopädie. Die Ausbildungsinhalte und Vorgaben für die staatliche Prüfung sind in der sog. LogAPrO, der Logopäden-Ausbildungs- und Prüfungs-Ordnung festgeschrieben. Grundlage dieser Vorgaben ist das Gesetz über den Beruf des Logopäden (LogopG), das aufgrund der Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Nr. 19 GG 1980 im Deutschen Bundestag verabschiedet wurde. Seit 2009 enthält das Logopädengesetz (Gesetz über den Beruf des Logopäden vom 7. Mai 1980 (BGBl. I S. 529) auch eine Modellklausel, die den Ländern parallel zur Fachschulausbildung die Erprobung von Studiengängen erlaubt (Art. 3 G zur Einführung einer Modellklausel in die BerufsG der Hebammen, Logopäden, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten vom 25. 9. 2009 (BGBl. I S. 3158).

Mit dieser berufsgesetzlichen Seite ist aber nur ein Teil professioneller Tätigkeit im Gebiet der Logopädie bestimmt. Ein anderer Teil wird durch die Sozialgesetzgebung festgelegt. Im Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) nämlich, das die Grundlagen der Gesetzlichen Krankenversicherung beinhaltet, wird u.a. festlegt, wer welche Leistungen unter welchen Bedingungen zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgeben darf. Im § 124 SGB V werden die Heilmittel, d.h. Leistungen der physikalischen Therapie, der Sprachtherapie oder der Ergotherapie genannt, die nur von zugelassenen Leistungserbringern abgegeben werden dürfen.  Der Spitzenverband Bund der Gesetzlichen Krankenkassen hat nach den Vorgaben des § 124 SGB V die normative Kompetenz, Zulassungsempfehlungen zu formulieren, die eine einheitliche Anwendung der Zulassung sichern sollen. Berufsangehörige mit der gesetzlich geschützten Berufsbezeichnung ‘Logopädin/Logopäde‘ gelten nach den Zulassungsempfehlungen als zulassungsfähig. Daneben gibt es aber weitere Abschlüsse, bei denen die Möglichkeit der Zulassung besteht: staatlich anerkannte Sprachtherapeuten, staatlich geprüfte Atem-, Sprech- und Stimmlehrer, medizinische Sprachheilpädagogen, Diplom-Sprechwissenschaftler, Bachelorabsolventen der Sprachtherapie und der Logopädie, Masterabsolventen der klinischen Linguistik sowie der Sonderpädagogik und Rehabilitationswissenschaften Schwerpunkt Sprach- und Kommunikationstherapie. Antragsteller mit weiteren Abschlüssen wie z.B. der Patholinguistik, können für bestimmte Leistungen wie z.B. die Therapie kindlicher Sprach- und Sprechstörungen zugelassen werden. Weitere Zulassungen sind im Einzelfall möglich. Sozialrechtlich ergibt sich also ein sehr uneinheitliches Bild. Die Ursachen für dieses heterogene Bild liegen in der historischen Entwicklung des Gebietes, das sich an der Schnittstelle von Bildungs- und Gesundheitswesen entwickelte. Weil aber an dieser Stelle auch die verfassungsgemäße Naht zwischen den Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Länder verläuft, konnten sich diese widersprüchlichen und uneinheitlichen Systeme entwickeln. Eine wissenschaftshistorische Betrachtung der Logopädie/Sprachtherapie kann hier nicht vorgenommen werden. Es kann lediglich folgendes festgestellt werden: Das Heilmittel heißt ‘Sprachtherapie‘, die gesetzlich geschützte Berufsbezeichnung heißt ‘Logopädin/Logopäde‘. Eine Fachschulexamen ermöglicht ebenso wie verschiedene Studienabschlüsse die Zulassung, so dass im Folgenden das heterogene Bild unter der Schrägstrichbezeichnung ‘Logopädie/Sprachtherapie‘ zusammengefasst wird.

2.2 Übergänge im Bildungssystem für die Logopädie/Sprachtherapie

Der Heterogenität der Logopädie/Sprachtherapie entsprechend sind im Bildungssystem viele und unterschiedliche Übergänge zu verorten. Die folgende Grafik (Abb. 1) nutzt zur Darstellung der Übergänge die Systematik, die auch im Bericht Bildung in Deutschland 2010 (BMBF, 2010) verwendet wird, die zwischen schulischer, beruflicher und hochschulischer Bildung unterscheidet. Übergänge sind zwischen diesen Systemkomponenten und in den Arbeitsmarkt hinein vorhanden.

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Abb. 1:   Übergänge in die Qualifikation Logopädie/Sprachtherapie (rote Pfeile) und in den Arbeitsmarkt (grüne Pfeile); LLA=Logopädenlehranstalt, LS=Logopädie/Sprachtherapie

Im Logopädengesetz ist der Realschlussabschluss als Zugangsvoraussetzung festgelegt oder ein gleichwertiger Ausbildungsabschluss oder der Hauptschulabschluss plus eine mindestens zweijährige Berufsausbildung. Bis 2008 war zusätzlich die Vollendung des 18. Lebensjahres Zugangsvoraussetzung zur Logopädieausbildung. Zugangsvoraussetzung für ein Fachhochschulstudium ist bekanntlich die Fachhochschulreife, für ein Universitätsstudium die Allgemeine Hochschulreife.

Das sind die im System grundsätzlich möglichen Übergänge. Für eine Einschätzung der Bedeutung  sind  die empirischen Größen wichtiger, welche Übergänge zu welchen Anteilen tatsächlich genutzt werden.

3 Zahlen und Hypothesen

3.1 Berufsangehörige

Der Blick auf die Zahlen der anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen zeigt, dass Logopädinnen/Sprachtherapeutinnen eine vergleichsweise kleine Berufsgruppe sind. Die Gesundheitspersonalrechnung des Statistischen Bundesamtes weist für das Jahr 2009 ca. 326.000 Ärzte aus, 121.000 Physiotherapeuten und gut 1 Mill. Pflegekräfte (inkl. Pflegehelfer) (STATISTISCHES BUNDESAMT, 2010). Logopäden bzw. Sprachtherapeuten tauchen in dieser Berufsstatistik nur in einer Restkategorie auf: Die Kategorie therapeutische Berufe anderweitig nicht genannt umfasst Ergotherapeuten, Motopäden, Musiktherapeuten, Orthoptisten usw. mit 109.000 Berufsangehörigen insgesamt. Die Zahl der Logopädinnen und Sprachtherapeutinnen kann also nur geschätzt werden aus der Anzahl der Verbandsmitglieder und einer Hochrechnung aus dem Organisationsgrad der Verbände. Allerdings ist die Berechnungsgrundlage für den Organisationsgrad im Deutschen Bundesverband für Logopädie (dbl) heute nicht mehr plausibel, seit die Studierenden nicht mehr, wie früher anhand des Wechsels von der außerordentlichen zur ordentlichen Mitgliedschaft nachweisbar, zu beinahe 100 % Verbandsmitglieder werden. Die Berufsgruppe der Logopädinnen/Sprachtherapeutinnen wird verbandsintern auf etwa 20.000 Berufsangehörige geschätzt.

3.2 Fachschulen und Studiengänge

Nach der Gesundheitsberichtserstattung des Bundes (STATISTISCHES BUNDESAMT, o.J.) haben am Ende des Schuljahres 2008/2009 insgesamt 5128 Physiotherapeutinnen/ ‑therapeuten, 1609 Ergotherapeutinnen/-therapeuten und 901 Logopädinnen/Logopäden die jeweiligen Fachschulen verlassen. Der Blick auf die Anzahl der Schulen lässt allerdings daran zweifeln, ob diese Zahl die Wirklichkeit angemessen abbildet: Die Datenbank der Bundesagentur für Arbeit (o.J.) Kursnet, enthält 88 Schulen für Logopädie (119 minus 31 doppelt gezählte). Die letzte Zählung des dbl ergab 85 Schulen, davon 21 in öffentlicher Trägerschaft. Bei etwa 900 Absolventen pro Jahrgang würde die einzelne Schule nur 10 Logopäden auf den Arbeitsmarkt entlassen.

Die Übersicht über Studiengänge, die vom GKV-Spitzenverband eine Vollzulassung bekommen, enthält derzeit fünf Studiengänge. Einen Modellstudiengang nach § 4 Abs 5 LogopG bietet bisher nur die Hochschule für Gesundheit in Bochum an. Weitere Studiengänge beispielsweise in Rostock oder Bamberg sind aber in Planung und sollen zum Wintersemester 2011/2012 starten. Das Feld ist hier - wie in allen Berufen, für die die neue Modellklausel gilt -  durch eine große Veränderungsdynamik gekennzeichnet.

Viele weitere Studiengänge nennen Logopädinnen ausdrücklich als Zielgruppe, wie beispielsweise ‘Gesundheits- und Therapiewissenschaften‘, ‘Therapiemanagement‘ oder ‘Health Care Science‘.  Allerdings haben nur sechs Studiengänge, die derzeit für examinierte Logopädinnen angeboten werden,  entweder eine Professur für Logopädie oder weisen die Logopädie in der Bezeichnung des Studiengangs aus.

3.3 Schul- und Bildungsabschlüsse

Zu den prozentualen Anteilen von Abiturienten, Hochschulabsolventen  oder von Bewerber mit mittlerem Schulabschluss von allen Bewerbern, liegen keine verlässlichen Daten vor. Allerdings hat der Deutsche Bundesverband für Logopädie mehrfach seine Mitglieder dazu befragt. Aus den Antworten, deren Repräsentativität nicht bekannt ist, lassen sich zumindest Hypothesen für die spätere Analyse ableiten. Ende 2008 gaben 12 % der Befragten an, einen Hochschulabschluss schon vor dem Logopädie Examen erworben zu haben. Die Antwortquote lag bei dieser webbasierten Umfrage unter den Verbandsmitgliedern bei 36 % . 13 % haben nach dieser Befragung einen Hochschulabschluss nach NACH dem Logopädie-Examen erworben. Trotz der zu vermutenden Verzerrung durch eine größere Antwortneigung von Befragten mit Hochschulabschluss sind die Zahlen nicht vollständig unwahrscheinlich. Der Studiengang Lehr- und Forschungslogopädie an der RWTH Aachen war zum Zeitpunkt der Befragung seit 17 Jahren, der Studiengang Logopädie an der HAWK Hildesheim seit sieben Jahren etabliert. Weitere Hochschulabsolventen sind aus anderen Studiengängen hervorgegangen. Die hohe Zahl der Hochschulabschlüsse vor dem Logopädie-Examen kann u.a. dadurch erklärt werden, dass viele  Absolventen der sprachheilpädagogischen Studiengänge der ehemaligen DDR nach 1989 als Logopäden anerkannt wurden. Daneben gibt es aber auch viele Doppelqualifikationen von Linguisten, Lehrern, Psychologen und vereinzelten Medizinern. Bei aller Vorsicht gegenüber der Verlässlichkeit der Zahlen kann ein relativ hoher Anteil von Hochschulabschlüssen in der Berufsgruppe angenommen werden, ein Anteil, der durch eine empirische Überprüfung geprüft und präzisiert werden könnte.

Der Anteil der Abiturienten wurde mehrfach bei den Schulen für Logopädie erfragt. Einzelne Schulen hatten dabei einen Anteil von 100 % Abiturienten, bis Mitte der 1990 Jahre lag der Anteil der Abiturienten noch bei 80 %. In den 1990er Jahren kam es durch die sog. „Arbeitsamt“-Förderung nach SGB III zu einem Boom an Schulneugründungen, weil sich die Schulen über das Geld der Umschulungsmaßnahmen finanzieren konnten. Zwischen 1992 und 2010 stieg die Zahl der Logopädiefachschulen von 30 (TESAK, 1999) auf 85 bzw. 88 (BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT, o.J.). Der Anteil der Abiturienten sank in diesem Zusammenhang. 2005 wurde die dreijährige Förderung nicht verlängert, so dass die Schulen in privater Trägerschaft nun überwiegend auf die private Finanzierung der Ausbildungskosten durch die Bewerber angewiesen waren und bis heute sind. Das führte zu weiteren Veränderungen in der Struktur der Bewerber und in den Selektionsmöglichkeiten für die Schulen.

Eher Informelle Informationen, die durch empirische Daten zu erhärten wären, besagen, dass es in den primärqualifizierenden Studiengängen (nach der Modellklausel im Logopädengesetz bzw. mit dem Studienziel einer Zulassung nach § 124 SGB V) eine hohe Nachfrage nach Studienplätzen und deutlich mehr Bewerber als Studienplätze gibt. Bei der Entscheidung für ein Studium oder eine Fachschulausbildung spielt vermutlich auch die Finanzierung eine Rolle. Während nur eine Minderheit der Studiengänge eine halbjährliche Semestergebühr erhebt, verlangen 77 % der Schulen ein monatliches Schulgeld. 30 % der Schulen (von 88) geben dieses Schulgeld im Internet an, es beträgt im Durchschnitt dieser Schulen 526,- Euro (von 87,59 bis 795,- Euro) monatlich. 47 % der Schulen geben die Höhe des Schulgelds aber nur auf Anfrage an. Weil die Höhe des Schulgeldes ein Wettbewerbsargument ist, kann angenommen werden, dass der tatsächliche Durchschnitt noch höher ist. Nur 13 Schulen verlangen keine monatliche Studiengebühr, die übrigen machen keine Angabe.

Würden methodisch verlässlich erhobene Daten die beschriebenen Tendenzen bestätigen, dann könnte man sagen: die Logopädie/Sprachtherapie ist de facto sowohl in der beruflichen als auch in der hochschulischen Bildung verortet und findet ein deutlich größeres Interesse bei Bewerbern mit höheren Bildungsabschlüssen als die Zugangsvoraussetzungen des Berufsgesetzes erwarten lassen.

4 Analyse der Potentiale und Chancen

Was bedeutet das nun in Hinblick auf die Potentiale und Chancen der Logopädie? ‘Potential‘ wird in diesem Zusammenhang verstanden als Leistungsfähigkeit der Berufsgruppe als Ganzes. Der Begriff ‘Chancen‘ meint hier die Möglichkeiten der Berufsgruppe, die eigene Leistungsfähigkeit gewinnbringend für sich und/oder die Gesellschaft zu nutzen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass die Chancen und Potentiale wegen der schlechten Datenqualität bzw. der fehlenden Daten nur hypothetisch formuliert werden können.

Die bisherigen Erfahrungen mit der Anzahl der Bewerber bei steigender Zahl der Angebote, lassen vermuten, dass das Interesse am Berufsfeld Logopädie/Sprachtherapie anhaltend groß ist. PAHL vermutet 2009, dass die Bewerber an Berufsfachschulen die Vorteile einer traditionellen Berufsausbildung im Auge haben und sich ganz bewusst für die schulische Berufsausbildung entscheiden. Ob das auch heute angesichts der Wahl zwischen Schul- und Hochschulangebot und angesichts sehr unterschiedlichen Kosten noch gilt, könnte anhand methodisch sauberer Vergleiche im Bereich Logopädie/Sprachtherapie besonders gut ermittelt werden. Insgesamt interessieren sich aber Bewerber mit eher hoher Qualifikation für das Berufsfeld Logopädie/Sprachtherapie.

Von vielen hochqualifizierten Bewerbern ist vermutlich auch ein großes Innovationspotential für die Versorgung zu erwarten. Als ein möglicher Indikator könnte die Anzahl neu entwickelter Test- und Therapieverfahren gewertet werden. Ende der 70-er Jahre gab es drei deutschsprachige standardisierte Testverfahren, um Sprachentwicklung und sprachliche Fähigkeiten von Kindern zu erfassen und nur einen für Erwachsene. 2010 werden von der Testzentrale 18 standardisierte Tests für Kinder herausgegeben, zusätzlich geben auch andere Verlage Tests heraus. Im Testhandbuch Sprache (BEUSHAUSEN, 2007) sind 28 Testverfahren aufgeführt. Angesichts des hohen finanziellen und personellen Aufwands, den die Entwicklung eines standardisierten Verfahrens erfordert, ist diese Steigerung in nur 30 Jahren beachtlich.

Das Innovations- und Entwicklungspotential hängt mit dem nächsten Punkt zusammen: Die wissenschaftshistorische und wissenschaftstheoretisch vielfältige und langdauernde Beschäftigung mit dem Gegenstand 'Sprache' hat auch dazu geführt, dass es bereits Vorarbeiten in der Sprachphilosophie, der Psychologie, in der Linguistik und in den kognitiven Neurowissenschaften für die Theoriebildung einer Logopädiewissenschaften gibt. Dies kann wie folgt als Potential gewertet werden. Der Begründungsdruck im Gesundheitswesen nimmt spürbar zu. Wirksamkeitsnachweise sind aber nur auf der Grundlage schlüssiger Theorien zu erbringen. Auf dem Weg zu Therapietheorien ist die Logopädie/Sprachtherapie aufgrund der Vorarbeiten zum Gegenstand Sprache schon die ersten Schritte gegangen, auf denen in der Theorieentwicklung einer Logopädie-/Sprachtherapiewissenschaft aufgebaut werden kann. Zumindest aber hat die historische Entwicklung der Logopädie und die Konkurrenz zur akademischen Sprachtherapie, und hier insbesondere der Linguistik hat dazu geführt, dass die Logopädie schon heute multidisziplinär denkt. Als Indikator dafür, das das so ist, kann gewertet werden, dass es beispielsweise immer mehr linguistisch fundierte Therapieverfahren gibt, einschließlich Veröffentlichungen und Fortbildungen dazu, obwohl sich die Anzahl der Stunden in der LogAPrO nicht verändert hat. Daraus kann geschlossen werden, dass die Weiterentwicklungen in der Linguistik in der Logopädie auch rezipiert und integriert werden, und zwar gleichsam bottom-up. GROHNFELDT und RITTERFELD (2000, 29) formulieren,  “dass Sprachheilpädagogen und Logopäden wie kaum eine andere Berufsgruppe in der Lage sind, sich zwischen den wissenschaftlichen Welten zu bewegen: Sie verstehen und sprechen deren unterschiedliche Fachsprachen, ...“. In Zeiten, in denen Interdisziplinarität in einem arbeitsteiligen und hochspezialisierten Gesundheitswesen (SACHVERSTÄNDIGENRAT, 2007) hoch gehandelt wird, kann das als Potential der Berufsgruppe gewertet werden.

Bei der Suche nach Chancen für die Logopädie/Sprachtherapie können die deutlichen Veränderungen im Gesundheits- und auch im Bildungswesen als Chancen begriffen werden. Die Chance für die Berufsgruppe könnte darin bestehen, das eigene Potential einzulösen und auch in neuen Tätigkeitsfeldern tätig zu werden, beispielsweise in der frühkindlichen Bildung durch logopädiespezifischen Beiträge zur Sprachförderung. Möglicherweise eröffnet auch die Stärkung von Inklusion neue Chancen für Logopädinnen und Sprachtherapeutinnen.

 Die vielleicht größte Chance besteht aber möglicherweise in der Abkehr von der strikten Segmentierung des deutschen Bildungssystems. Im Vorwort zum Programmheft für die 16.  Hochschultage ist die Rede von Entgrenzung. Für die Logopädie/Sprachtherapie im Übergang zwischen beruflicher und hochschulischer Bildung könnte diese Entgrenzung Weiterentwicklung bedeuten. Die aktuelle Entwicklung in der Bildungslandschaft der Gesundheitsfachberufe und darin auch der Logopädie/Sprachtherapie zeigt eine große Vielfalt von Studiengängen an Berufsfachschulen in Kooperation mit Fachhochschulen oder mit Universitäten, konsekutive Studiengänge von Fachhochschulen und Universitäten oder parallele Bildungsgänge. Diese Vielfalt und die aktuelle „Entgrenzung“ kann der Logopädie Weiterentwicklung ermöglichen. 

Bereits jetzt haben sich für die Logopädie/Sprachtherapie Bildungsgänge gleichsam an der Schnittstelle zwischen zwei 'Säulen des Bildungswesens' angesiedelt. Die Weiterentwicklung des Fachgebietes durch Studiengänge und ihre Ergebnisse könnte den von der Berufsgruppe selbst unter dem Schlagwort „Akademisierung“ schon lange geforderten Wechsel der Bildungsebene fördern. Sowohl für die Logopädie, aber auch für andere berufsrechtlich geregelte Gesundheitsberufe steht damit insgesamt die Frage an: wo soll eine zukunftsfähige Logopädie/Sprachtherapie bildungsinstitutionell angesiedelt sein? Was ist gesellschaftlich sinnvoll? (Ob das politisch mehrheitsfähig ist, ist eine ganz andere Frage.) Was gesellschaftlich sinnvoll ist, kann auf beide Seiten bezogen werden: auf die Seite der Versorgung: welche Therapeuten braucht die zukünftige Versorgung? Aber auch für die Seite der Bildung: Welche Menschen will die Gesellschaft für diese Berufe gewinnen. Das führt zu der Frage nach den „Gestaltern“ und ihren jeweiligen Interessen:

5 Akteure der Gestaltung

Bewerber, Absolventen, Berufsangehörige, Verbände, Logopädieschulen, Schulträger, Hochschulen, Akteure der Gesundheitsversorgung, Arbeitgeber, Gewerkschaften und schließlich auch der Gesetzgeber können die weitere Entwicklung der Logopädie/Sprachtherapie und den Übergang von der beruflichen zur hochschulischen Bildung gestalten. Dabei ist davon auszugehen, dass die verschiedenen Akteure jeweils eigene Einflussmöglichkeiten haben, aber auch unterschiedliche Interessen.

Bewerber nehmen Einfluss durch die Wahl eine Bildungsganges: Hochschule oder Berufsfachschule, privat oder in öffentlicher Trägerschaft, kostenpflichtig oder nicht. Je stärker die Nachfrage nach Studienplätzen bzw. je geringer die Nachfrage nach einer fachschulischen Ausbildung, desto eher gelingt der Übergang des Berufes als Ganzes in die Hochschule. Von den Absolventen und Berufsangehörigen hängt es ab, ob trotz der Vielfalt der Abschlüsse zu einer einheitlichen Berufsidentität kommt oder ob es hier zu Divergenzen zwischen Fachschulabsolventen und Hochschulabsolventen kommt. Verbände bündeln die Interessen der Berufsangehörigen und bringen sie in die politische Diskussion ein. Ob Akademisierung als Mehrheitsposition formuliert werden kann, hängt einerseits von der Ausbildung einer Berufsidentität ab, andererseits auch davon, ob akademisch Qualifizierte als Konkurrenz oder Bedrohung für die eigene Marktposition erlebt werden. Logopädieschulen und Schulträger haben sich noch in den 90-er Jahren gegen die Akademisierung gesperrt, bemühen sich in letzter Zeit aber immer zahlreicher um Kooperationen mit Fachhochschulen. Die Hochschulen zeigen sich sehr offen gegenüber den Gesundheitsfachberufen und ihren Studiengängen. Bei den Kostenträgern der Versorgung (GKV und andere Sozialversicherungsträger) und auch bei den Arbeitgebern dominiert die Angst vor Kostensteigerungen. Der mögliche Gewinn wird demgegenüber entweder übersehen oder gering eingeschätzt. Die Berufsgruppe selbst hat den Gewinn für die Versorgung offensichtlich noch nicht überzeugend darlegen können. In der Versorgung spielen aber auch die Berufsgruppen eine wichtige Rolle, die eine Akademisierung der Gesundheitsberufe als Konkurrenz sehen und im Sinne des eigenen Statuserhalts abwehren.  Die Gewerkschaften engagieren sich vor allem für die Pflegeberufe, so dass die Vermutung naheliegt, dass die Therapieberufe nicht als davon zu unterscheidende Gruppe wahrgenommen werden. Selbstkritisch ist aber anmerken, dass der Anteil der Logopäden mit einer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft eher gering ist. Der Gesetzgeber schließlich hat im Sinne der Demokratie die Argumente abzuwägen, die vorgetragen werden. Dabei spielt das Gewicht dessen, der Argumente vorträgt, natürlich auch eine Rolle. Insgesamt wird es aber immer mehr darauf ankommen, dass die Gesundheitsberufe selbst den gesamtgesellschaftlichen Gewinn der Entwicklung belegen können.

6 Vorläufiges Fazit

Wegen der historischen Vorgeschichte ist das Nebeneinander verschiedener Qualifikationen im Berufsfeld Logopädie/Sprachtherapie nur begrenzt auf andere Gesundheitsberufe übertragbar, aber in der Analyse der Potentiale und Chancen, und auch in der hier ausgelassenen Analyse der Schwächen und Gefahren, lassen sich vermutlich Parallelen ausmachen.  Auf allen Ebenen sind derzeit Veränderungen auszumachen: auf berufsgesetzlicher Ebene die Einfügung der Modellklausel, die jetzt primärqualifizierende Studiengänge ermöglicht, auf der Ebene der Bildung die Kompetenzorientierung, auf der Ebene des beruflichen Selbstverständnisses die Autonomiebestrebungen, die durch die Berufsverbände vorangetrieben werden und schließlich auf der Ebene der Versorgung die Diskussion um Interdisziplinarität und Aufgabenverteilung. All diese Veränderungen machen die Gesundheitsberufe, und darin gerade auch die Logopädie/Sprachtherapie wegen ihrer Besonderheiten, zu einem sehr spannenden Thema für die Berufsbildungsforschung. Berufspädagogische und berufssoziologische bzw. wissenschaftssoziologische empirische Untersuchungen der Sachlage und der aktuellen Veränderungen wären deshalb  wünschenswert und lohnend.

Literatur

BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG (2010): Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Perspektiven des Bildungswesens im demographischen Wandel. Bielefeld.

BEUSHAUSEN, U. (2007): Testhandbuch Sprache. Diagnostikverfahren in der Logopädie und Sprachtherapie. Bern.

BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT (o.J.): Kursnet. Online: http://kursnet-finden.arbeitsagentur.de/kurs/index.jsp  (13-05-2011).

GROHNFELDT, M./ RITTERFELD, U. (2000): Grundlagen der Sprachheilpädagogik und Logopädie. In: Grohnfeldt, M. (Hrsg.): Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie. Band 1: Selbstverständnis und theoretischen Grundlagen. Stuttgart, 15-46.

PAHL, J.-P. (2009). Berufsfachschule. Ausformungen und Entwicklungsmöglichkeiten. Bielefeld.

SACHVERSTÄNDIGENRAT (2007): Kooperation und Verantwortung – Voraussetzungen einer zielorientierten Gesundheitsversorgung. Gutachten 2007 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Unterrichtung durch die Bundesregierung. Online: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/063/1606339.pdf  (13-05-2011)

STATISTISCHES BUNDESAMT (o.J.): Indikator 9.1 des Indikatorensatzes der GBE der Länder: Schulentlassene mit bestandener Abschlussprüfung aus Schulen des Gesundheitswesens nach Geschlecht, Region, ab 1993.
Schuljahr: 2008/09, Region: Deutschland. Online: Opens external link in new windowZur WEBPAGE - www.gbe-bund.de/oowa921-install/servlet/oowa/aw92/dboowasys921.xwdevkit/xwd_init?gbe.isgbetol
/xs_start_neu/&p_aid=i&p_aid=56607257&nummer=435&p_sprache=D&p_indsp=770&p_aid=54822998  (13-05-2011).

STATISTISCHES BUNDESAMT (2010): Gesundheit. Personal. Fachserie 12 Reihe 7.3.1, 2009, erschienen 2010. Wiesbaden: destatis. Online: Opens external link in new windowZur WEBPAGE - www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/
Fachveroeffentlichungen/Gesundheit/Gesundheitspersonal/Personal2120731097004,property=file.pdf  (13-05-2011)

TESAK, J. (1999): Der gegenwärtige Stand der Logopädie-Ausbildung in Deutschland. In: DEUTSCHER BUNDESVERBAND FÜR LOGOPÄDIE (Hrsg.): Logopädie braucht wissenschaftliche Kompetenz. Plädoyer für eine Hochschulausbildung. Frechen: dbl, 11-16.

TESTZENTRALE (2009): Testkatalog 2010/2011. Göttingen.


Zitieren dieses Beitrages

RAUSCH, M. (2011): Potentiale und Chancen der Logopädie – Wie können Übergänge in der Berufsbildung nachhaltig gestaltet werden? In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 10, hrsg. v. BONSE-ROHMANN, M./ WEYLAND, U., 1-10. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft10/rausch_ft10-ht2011.pdf (26-09-2011).



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http://www.hochschultage-2011.de/