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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT10 - Gesundheit
Herausgeber: Mathias Bonse-Rohmann & Ulrike Weyland

Titel:
Übergänge in den Gesundheitsfachberufen und deren Lehrerbildung ermöglichen – Potentiale erkennen und fördern


Akademisierung der therapeutischen Gesundheitsfachberufe – Chancen und Herausforderungen für Berufe im Übergang

Beitrag von Ursula WALKENHORST (Hochschule für Gesundheit Bochum)

1 Einleitung

Die Veränderungen im Gesundheitswesen und in der Bevölkerung tragen zu neuen Entwicklungen im Versorgungsbereich bei. Diesen Entwicklungen in Form von zukunftsorientierten Strukturen und Konzepten zu begegnen, bedarf eines veränderten Qualifikationsprofils der Berufe im Gesundheitswesen. Hier gilt es, sowohl über neue Ausbildungsniveaus als auch über eine neue Aufgabenverteilung nachzudenken, die einerseits die Delegation und andererseits  die Substitution von Aufgaben beinhaltet. Die Akademisierung der therapeutischen Gesundheitsfachberufe in der Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie stellt dabei eine seit ca. 10 Jahren wahrnehmbare Entwicklung dar (WALKENHORST 2008). Die Landschaft der Studiengänge weist dabei allerdings eine große Heterogenität auf, die zu einem breiten Qualifikationsmix an akademischen Abschlüssen und Qualifikationsprofilen führt. Die Konstruktion der Studiengänge ist zudem sehr stark durch berufsgesetzliche Vorgaben geprägt und führt damit zu curricularen Herausforderungen, die sich insbesondere in der sinnvollen Vernetzung von Theorie und Praxis zeigen. Die gesamte Entwicklung findet unter dem Einfluss einer breit geführten berufs-, gesundheits- und bildungspolitischen Diskussion statt.

Damit bewegen sich die therapeutischen Gesundheitsfachberufe in einem Transitionsprozess, der einer differenzierten wissenschaftlichen Diskussion aus dem Blickwinkel verschiedener Disziplinen bedarf. Hier besteht die Notwendigkeit, die Konsequenzen aus den unterschiedlichen Perspektiven zu benennen und sowohl theoretisch (u.a. professionssoziologisch) als auch praktisch (u.a. gesundheitsökonomisch) zu betrachten und zu bewerten, um Chancen und Herausforderungen dieses Transitionsprozesses in den zu etablierenden Dialogstrukturen zwischen den verschiedenen Akteuren zu identifizieren, gemeinsam Lösungen zu entwickeln und erforderliche empirische Forschungsergebnisse zu liefern.

Der folgende Beitrag zeigt die verschiedenen Elemente der Entwicklung und Diskussionen auf und stellt insbesondere die Übergangssituation der Berufe in den Vordergrund. Der Entwurf eines Ausblickes auf das Jahr 2020 weist auf die notwendigen Schritte, die es für die Zukunft zu tun gilt.

2 Herausforderungen des Gesundheitssystems von morgen

2.1 Versorgungssituation der Zukunft

Die Versorgungssituation der Zukunft ist zunächst einmal gesellschaftlich geprägt durch den demografischen Wandel, der zu einer Zunahme älterer Menschen in der Bevölkerung führt, bei denen parallel davon auszugehen ist, das diese einen höheren Pflege- und Betreuungsaufwand benötigen werden. Multimorbidität, eine Zunahme an chronischen Erkrankungen sowie veränderte Lebensstile und -gewohnheiten tragen zu neuen Herausforderungen in den Versorgungsstrukturen bei (vgl. SVR 2005; SVR 2007; SVR 2009). Hinzu kommt eine kulturelle Veränderung der Bevölkerung, sodass sich das Gesellschafts- und Gesundheitssystem auf einen höheren Bevölkerungsanteil von Menschen mit Migrationshintergrund einstellen muss, die andere Versorgungsbedarfe und -bedürfnisse haben. Dies alles geschieht vor dem Hintergrund einer Abnahme der Ressourcen im Gesundheitswesen. Dabei trägt die Ökonomisierung sowohl zu einer differenzierten Effektivitäts- und Effizienzdebatte als auch zu einem neuen Umgang mit vorhandenen Ressourcen bei.

Zukünftige Versorgungsstrukturen müssen neben dem heute bereits begonnenen Aufbau integrierter sektoraler Versorgungskonzepte auch die Entwicklung von zielgruppenspezifischen und generationsspezifischen Versorgungskonzepten bedenken. Alters- und krankheitsbezogene Schnittstellen und Übergänge (‘Transitional care‘ - SVR 2009) müssen darüber hinaus genauso berücksichtigt werden wie der Aufbau einer Versorgung mit einem starken regionalen und häuslichen Bezug (‘Community Based Care‘ – ebd.). Erforderlich wird es zudem weiterhin sein, Versorgungsstrukturen abzubauen, die zu sozialer Ungleichheit beitragen (HRADIL 2005). Den Versorgungsanforderungen der Zukunft hat sich in den letzten Jahren der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen besonders gewidmet und hierbei auch die therapeutischen und pflegerischen Berufe mit in den Blick genommen. Es ist deutlich, dass ihnen ein großer Stellenwert eingeräumt wird, da sie in der Versorgung einen wesentlichen Beitrag liefern, der bisher jedoch häufig nicht gewürdigt und wahrgenommen wurde. Hier teilen die therapeutischen und pflegerischen Gesundheitsfachberufe ein gemeinsames Los.

2.2 Veränderte Aufgaben und Strukturen

Die veränderten Versorgungsstrukturen tragen dazu bei, dass komplexe und modifizierte  Aufgaben auf das Gesundheitspersonal zukommen werden. Aus diesen resultiert die Forderung, sich mit den Qualifikationsprofilen der Gesundheitsberufe und den notwendigen Qualifikationsanforderungen auseinanderzusetzen. Waren die Aufgaben bisher scheinbar eindeutig verteilt, so ergeben neue Schnittstellen, höhere Qualitätsansprüche und Überlegungen zu interprofessionellen Versorgungskonzepten neue Aufgabenstrukturen. Es ist davon auszugehen, dass die zukünftigen Versorgungsstrukturen eine stärkere Vernetzung der Systeme Gesundheit, Bildung und Soziales sowie der Berufe selber mit sich bringen und somit eine differenzierte Analyse der einzelnen Tätigkeitsfelder erfordern: Wer macht was? Mit welcher Zielsetzung? Mit welcher Qualität? Für wen? Welche Aufgaben können abgegeben werden, da sie nicht dem originären Profil entsprechen? Welche Aufgaben können von mehreren Berufen übernommen werden, da diese ggf. identisch sind? Was kann delegiert werden? Wie können neue Aufgabenverteilungen aussehen? Wie lassen sich unökonomische Parallelstrukturen in der Versorgung vermeiden, die u.a. aus Unkenntnis über die gesamten Leistungen, die von den Nutzer/-innen in Anspruch genommen werden, in den Gesundheitsfachberufen resultieren? Wo mangelt es an entsprechenden Kommunikationsstrukturen?

Diese Fragen beschäftigen sowohl die Berufe intern als auch im Dialog miteinander. Aus einer gesundheitswissenschaftlichen Perspektive ist es ein wichtiger Beitrag, die nutzerorientierte Perspektive immer wieder in den Mittelpunkt zu stellen und von einer einseitigen berufsbezogenen Sichtweise abzuweichen (SCHAEFFER 2004). Noch nicht zu beantworten ist die Frage, ob Spezifizierungen oder Diversifizierungen in den Berufen zu einer adäquaten Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft der Versorgung beitragen. Hier werden in den nächsten Jahren die Absolvent/-innen der unterschiedlichen Studiengangsmodelle die Arbeitswelt mit prägen und die Notwendigkeiten des Arbeitsmarktes die Hochschullandschaft beeinflussen.

2.3 Qualifikationsbedarf in den Gesundheitsfachberufen

Der Qualifikationsbedarf in den Gesundheitsberufen ist erkennbar gestiegen und resultiert nicht nur aus den aufgezeigten Veränderungen im Gesundheitswesen, sondern auch aus neuen theoretischen Erkenntnissen, die in den einzelnen Berufen entstanden sind (BOURGEAULT et al. 2008). Hinzu kommt der Einfluss durch internationale Forschungsergebnisse, die in Deutschland mit großem Interesse wahrgenommen werden. Die bisherigen Ausbildungen auf Berufsfachschulebene reichen, das lässt sich daraus erkennen, nicht mehr aus, um die Versorgungssituation von morgen zu bewältigen. Erforderlich ist die Ausbildung einer wissenschafts-, theorie- und evidenzbasierten Vorgehensweise, die Hinweise auf ein akademisches Niveau geben. Es ist ein Kompetenzprofil erforderlich, das sich in einem reflektierten und wissenschaftlich begründeten Handeln zeigt. Parallel ergibt sich die Anforderung, nicht nur disziplinär, sondern insbesondere interdisziplinär zu denken und zu handeln (ROBERT-BOSCH-STIFTUNG 2010). Der Professionenmix (‘collaborative care‘ - SVR 2009) wird die potenzielle Arbeitsstruktur im Gesundheitswesen kennzeichnen. Dies setzt jedoch voraus, dass die Fragen nach den Pool- und Kernkompetenzen in den Berufsgruppen beantwortet werden: Was zeichnet einen Beruf aus? Was ist der originäre Gegenstand des Berufes und damit disziplinspezifisch und was ist das Gemeinsame an den Berufen und ist berufsübergreifend notwendig zu erlernen?

Aus einer berufspädagogischen Perspektive lassen sich hier weitere Fragen aufwerfen: Wie wird ein Beruf erlernt? Wie entwickelt sich eine berufliche Identität und wann ist es didaktisch und curricular sinnvoll, in interdisziplinäre Ausbildungsstrukturen überzugehen? 

Eine Antwort auf die neuen Qualifikationsanforderungen ist der Aufbau von Studiengängen, der als ein wichtiger Schritt im Akademisierungsprozess gesehen werden kann, sowie der entsprechende Aufbau von Wissenschaft und Forschung. Aber auch hier darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die neue Qualität, die durch akademisch ausgebildetes Personal in das Gesundheitswesen gelangt, sich an dem Nutzen für die Patient/-innen orientieren und messen lassen muss.

3 Entwicklung und Stand der Akademisierung

In den letzten ca. 10 Jahren ist die Akademisierung in den therapeutischen Gesundheitsberufen in rasanten Schritten vorangegangen (KÄLBLE 2006). Mit viel Engagement der Wissenschaftler/-innen, die sich dem Aufbau der ersten Studiengänge widmeten, und sicherlich mit einer nicht zu übersehenden Skepsis in gesellschaftspolitischen, aber auch berufspolitischen Kreisen, haben die ersten Studierenden ihre Studien aufgenommen und damit einen Schritt in Richtung der bereits vorhandenen Entwicklungen im internationalen Raum getan.

3.1 Internationale Entwicklungen

Die Etablierung von Bachelor-, Master- und PhD-Studiengänge ist im europäischen und außereuropäischen Raum vor Jahrzehnten bereits geschehen. Bachelorstudiengänge, die 6-8 Semester dauern und gleichzeitig den Erwerb der Berufszulassung ermöglichen, sind international sowohl an Universitäten als auch an fachhochschulähnlichen Hochschultypen zu finden. Die berufliche Qualifizierung ist zum Teil sogar auf Masterebene angesiedelt und in den USA kristallisiert sich die Entwicklung eines PhD-Abschlusses als Einstiegsqualifikation heraus, um an Patient/-innen qualitativ hochwertig arbeiten zu können. Lehrstühle an Universitäten, die die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses ermöglichen, gut ausgestattete Forschungsinstitute sowie ein differenziertes Ausbildungsspektrum mit getrennten Tätigkeits- und Verantwortungsbereichen kennzeichnen das Bild im internationalen Raum.

Dennoch gilt es das Bild, das überall als anstrebenswert angesehen wird, auch kritisch zu betrachten. So geht es nicht nur darum, die (akademischen) Ausbildungsabschlüsse zu loben, sondern sich auch die Berufsfelder und die Systeme anzusehen. Die Gesundheits- und auch die Bildungssysteme sind nicht immer miteinander zu vergleichen und bedürfen einer systematischen Betrachtung und Bewertung. Hier wird häufig zu schnell der Anschluss an die internationalen Entwicklungen als zentrales Argument genannt und wenig differenziert argumentiert. Politisch findet dieser Argumentationsstrang zudem wenig Gehör, da das deutsche Berufsbildungssystem seinerseits als vorbildlich bewertet wird. Jedoch wird dabei außer Acht gelassen, dass die Gesundheitsfachberufe kein Teil des öffentlichen beruflichen Bildungssystems sind, sondern sich mit ihren Ausbildungsstrukturen außerhalb befinden und mit besonderen Rahmenbedingungen zu kämpfen haben.

Auch der Versuch der Übertragung von internationalen Forschungsergebnissen auf das deutsche Versorgungssystem muss scheitern, wenn nicht genau geschaut wird, unter welchen Bedingungen die Ergebnisse entstanden sind. 

Dennoch, die Orientierung an den internationalen Modellen und Strukturen, an den Ergebnissen der Analyse erfolgreicher und gescheiterter Konzepte, muss und wird in den nächsten Jahren handlungsleitend sein.

3.2 Nationale Entwicklungen

Seit Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts sind die Akademisierungsentwicklungen auch in Deutschland zu beobachten. Zunächst aufgefordert durch die Veränderungen im Gesundheitswesen, beschleunigt durch internationale Optionen und Angebote, einen akademischen Abschluss von deutschen Berufsfachschulabsolvent/-innen zu erwerben, dann als erste Zertifikatsmaßnahmen im Hochschulbereich (besonders in der Ergotherapie) und schließlich über unterschiedlich differenzierte Anrechnungsmodelle, hat die Akademisierung auch hier ihren Weg gefunden - allerdings sowohl unter dem Einfluss der föderalistischen Strukturen in Deutschland als auch unter unterschiedlichen politischen Maßgaben. Die aktuellste Maßgabe ist hierbei die sogenannte Modellklausel, die im September 2009 in Kraft getreten ist und es nunmehr erlaubt, neben der bisherigen berufsfachschulischen Ausbildung andere Formen der Ausbildung im Hochschulbereich zu erproben.

Derzeit ist von ca. 30 Studiengangsangeboten für die therapeutischen Gesundheitsfachberufe in Deutschland auszugehen, wovon ca. 3 Masterstudiengänge entwickelt wurden. Die nicht eindeutig bezifferbare Studiengangsanzahl resultiert aus der nicht mehr überschaubaren Entwicklung in diesem Bereich, die insbesondere durch die Gründung von privaten Hochschulen in dem Feld der Gesundheitsfachberufe bestimmt wird. Allerdings ist zu beobachten, dass der aktuellen Option, die Studiengänge als primärqualifizierende bzw. grundständige Studiengänge in der Hochschule zu entwickeln, nur wenige Hochschulen folgen (können). Hier mangelt es entweder an Ressourcen, um die Studiengänge aufzubauen oder an Partnern, mit denen der Studiengang gemeinsam entwickelt werden könnte.

3.3 Merkmale der derzeitigen Ausbildungs- und Studiensituation

Die Akademisierungsentwicklungen tragen verständlicherweise zu einer Beunruhigung im Bereich der Berufsfachschulen bei. Noch ist unklar, welche Auswirkungen die Entwicklungen auf die Berufsfachschulen haben. Politisch sind die Berufsfachschulen gewollt und die Absolvent/-innen werden in einem hohen Maße gebraucht. Ihre Vertreter/-innen nehmen trotz der latenten Verunsicherung dennoch mit großem positivem Interesse an der Akademisierung teil, da durchaus gesehen wird, dass der Aufbau von Wissenschaft und Forschung auch unzweifelhafte Auswirkungen auf die Qualitätssicherung ihrer Arbeit und ihrer Arbeitsplätze haben kann. Derzeit sind ca. 500 Berufsfachschulen in den Bereichen Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie im Bildungsbereich tätig und sichern die Gesundheitsversorgung mit ihren Absolvent/-innen. Die Zahl lässt weder eine komplette Überführung der Schulen in den Hochschulbereich zu wie dies in Österreich und in der Schweiz geschehen ist, noch können alle Berufsfachschulen mit einer Hochschule kooperieren. Über eine Zweistufigkeit im Ausbildungsniveau wird sehr ambivalent diskutiert und aktuell wird in der Kooperation mit einer Hochschule die erste und beste Lösung gesehen, attraktiv neben den Hochschulangeboten zu bleiben. Die Angst einer Deprofessionalisierung parallel zu der Professionalisierung der Berufe kennzeichnet den Akademisierungsprozess aus der Perspektive der Schulen.

An den Hochschulen zeigen sich andere Themen, die es zu bedenken und zu diskutieren gilt. Mit der heterogenen Studienlandschaft (additive und ausbildungsintegrative Modellen, mit und ohne Anrechnungsmöglichkeiten, in enger oder weiter Kooperation mit einer Berufsfachschule oder auch mit mehreren, als Vollzeitstudium oder berufsbegleitend, mit und ohne integrierte fachliche Weiterbildungsanteile, disziplinär oder interdisziplinär ausgerichtet - der Kreativität sind da meist nur die Ressourcen als Grenzen gesetzt) entwickelt sich ein nicht mehr eindeutig zu definierendes Qualitäts- und Qualifikationsprofil. Der Bachelorabschluss lässt sich zwar immer noch formal vergleichen (hierfür sorgen grundsätzlich auch die Akkreditierungsagenturen), aber es macht einen Unterschied, ob eine wissenschaftliche Sozialisation vom ersten Tag an im Hochschulkontext stattgefunden hat oder als Anhang über einen ganzen Zeitraum erlebt wurde. Auch wenn hierzu noch keine empirischen Ergebnisse vorliegen, kann davon ausgegangen werden, dass unterschiedliche Kompetenzprofile die Absolvent/-innen kennzeichnen und es für Arbeitsgeber erschwert sein wird, die notwendigen Tätigkeitsbeschreibungen vorzunehmen. Hinzu kommen noch Bachelorabschlüsse bzw. Masterabschlüsse, die durch Studienteile im internationalen Raum erworben wurden und sich noch einmal anders darstellen als die deutschen Modelle (vgl. WALKENHORST 2006).    

Eine weitere Entwicklung, die insbesondere die Fachhochschulen als derzeit stärkster Hochschultypus im Akademisierungsprozess  beschäftigen wird, ist die Entwicklung erster Bachelor- und Masterstudiengänge an den Medizinischen Fakultäten der Universitäten. Hierüber könnte ein weiterer wichtiger Schritt in der Professionalisierung der Berufe geschehen, da die Einrichtung von fachspezifischen Lehrstühlen in der Logopädie, Ergotherapie und Physiotherapie an Universitäten möglich werden könnte und darüber sowohl der Forschungsbereich gestärkt als auch der Promotionsbereich aufgebaut werden könnte. Ob durch diese Entwicklung eine weitere Zweistufigkeit auf akademischem Niveau erreicht wird (Bachelor-FH und Bachelor-Uni) ist derzeit nicht abzusehen und gilt es zu beobachten.

4 Berufe im Übergang – Transitionsprozesse in den therapeutischen Gesundheitsfachberufen

Die therapeutischen Gesundheitsfachberufe, die sich in einem beobachtbaren Transitionsprozess befinden, werfen durch ihre Entwicklungen vielfältige Fragen auf, die sich an unterschiedliche Disziplinen richten und die Komplexität des Veränderungsprozesses ausmachen.

4.1 Übergangsperspektiven

In den vergangenen Jahren ist die Diskussion schwerpunktmäßig aus einer berufspolitischen Perspektive geführt worden, da hier der stärkste Antrieb war, sich zu verändern und einen neuen Status anzustreben. Für die Umsetzung des Wunsches, die Berufe zu einem neuen Image zu führen, wurden insbesondere traditionelle professionssoziologische Argumente herangezogen. Einige Jahre lang bestimmte die scheinbar notwendige Erfüllung der Professionsmerkmale die berufspolitischen Diskussionen (PFADENHAUER 2005). Die Veränderungen im Gesundheitswesen und die berechtigten Anforderungen an neue Qualifikationsprofile wurden zwar gesehen, aber argumentativ wenig politisch genutzt. Gerne wurde und wird zum Teil wenig kritisch mit der Notwendigkeit und Qualität der Berufe argumentiert, sondern eher damit, dass es ihnen nunmehr quasi zusteht, einen entsprechenden Rang im Gesundheitswesen einzunehmen. Dies reicht erkennbar nicht aus, um sich in einen wissenschaftlichen Diskurs mit anderen Disziplinen, insbesondere der Medizin zu begeben.

Berufspolitisch ist ebenfalls nicht zu unterschätzen, dass die Verbände die bisher praktisch ausgebildeten Berufsangehörigen vertreten und es hier ein berechtigtes Interesse gibt, die eigenen Mitglieder zu unterstützen. Über neue Qualifikationsniveaus nachzudenken und diese zu unterstützen, trägt damit zu vielfältigen Auseinandersetzungen bei.

Die gesundheitswissenschaftliche Perspektive, die die Gesundheit der Bevölkerung und den Nutzen der Versorgungsleistungen für die Empfänger/-innen in den Mittelpunkt stellt, findet bisher nur vereinzelt Einzug in die (insbesondere berufspolitischen) Diskussionen. Dies ist insofern verständlich, da diese Betrachtung mit einer kritischen Auseinandersetzung des eigenen Beitrages zur Versorgung einhergehen muss und es ggf. die Erkenntnis geben könnte, das einzelne Leistungen gar nicht erforderlich sind bzw. das im interdisziplinären Zusammenspiel der Berufe die eigene Berufsgruppe ggf. weniger notwendig ist. Die nutzerorientierte Perspektive ist jedoch die Anforderung, die sowohl aus der Perspektive der Versorgung als auch der Patient/-innen selber gefordert ist.

Aus einer gesundheitswirtschaftlichen Perspektive befinden sich die Berufe in einer Übergangssituation, die die Gesundheitseinrichtungen selber betreffen. Die Frage nach dem adäquaten Arbeitsplatz und einer angemessenen Bezahlung stellt die Arbeitgeber vor komplexe Herausforderungen. Hier gilt es über neue Strukturen in den Einrichtungen nachzudenken, aber auch an der Konkretisierung von Tätigkeitsbeschreibungen und der Klärung von Haftungsfragen mitzuwirken. Dies beschäftigt gleichzeitig auch Juristen und führt zu einem Übergang aus einer rechtlichen Perspektive. In den nächsten Jahren werden sowohl die Fragen zu klären sein mit welchen Profilen welche Tätigkeiten ausgeführt werden, aber auch, welche haftungsrechtlichen Aspekte bedacht werden müssen, wenn sich die Frage nach der Delegation oder Substitution von Aufgaben stellt. Dabei sei insbesondere auf die Diskussion um die Übertragung von heilkundlichen Tätigkeiten der Ärzte auf andere Berufsgruppen verwiesen und die Diskussion um den sogenannten ‘First-Contact‘ der Patienten zu den therapeutischen Versorgungsleistungen. 

Eine weitere Übergangssituation stellt sich berufssoziologisch. Das Spektrum der Berufsbilder verändert sich sowohl auf der Qualifikationsebene als auch auf der Profilebene: Welche Berufe werden in den nächsten Jahren im Gesundheitswesen anzutreffen sein? Wie differenziert oder generalisiert werden sich die Berufe darstellen? Welche Konsequenzen resultieren hieraus für die Bildungssysteme? Welchen Stellenwert werden Fort- und Weiterbildungen einnehmen? Bildungspolitische Fragestellungen lassen sich zum Teil parallel darin wiederfinden, da Fragen zum Spektrum der Berufsbilder direkt Auswirkungen auf Angebote und Strukturen von Bildungseinrichtungen haben.

Darüber hinaus stellen individuelle berufsbiografische Übergänge den Einzelnen vor Auseinandersetzungen. Die Entscheidung, sich ggf. nach einer Berufsausbildung für ein Studium zu entscheiden oder auch direkt ein Studium aufzunehmen, führt häufig im persönlichen Umfeld zu Diskussionen. Studierende, die direkt ein Studium nach der Schule aufnehmen, werden bereits in den praktischen Studienphasen mit der Thematik der Akademisierung konfrontiert, da sie hier auf Praktikant/-innen aus den Berufsfachschulen treffen und sich ihr Arbeitsfeld zum Teil selber schaffen müssen. Das bedeutet konkret, dass sich die aktuell Studierenden in einem politischen Feld befinden, das sie nicht selber politisch initiativ gewählt haben, mit dessen Folgen sie aber konfrontiert sind.

Nicht zuletzt führt der Akademisierungsprozess auch zu Übergangsdiskussionen im berufspädagogischen Bereich. Die Studiengänge bedürfen neuer Konzepte in der Umsetzung der Berufsgesetze und der Gestaltung der Curricula. Clinical education, interdisziplinäre Lernarrangements, akademische Praxisphasen sowie Skillslab-Trainings stellen Anforderungen an spezifische und innovative Überlegungen aus einer pädagogischen und didaktischen Perspektive. Hier liefern bisherige hochschuldidaktische Konzepte nur erste Ansätze und in den nächsten Jahren bedarf es hier umfassender Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die neue Erkenntnisse liefern. Dabei stellt insbesondere die Verzahnung von theoretischen und praktischen Anteilen eine besondere Herausforderung dar.

 

Abb. 1:   Übergangsprozesse in der Berufsentwicklung der therapeutischen Gesundheitsfachberufe

In der vorangegangenen Abbildung sind die zentralen Übergangsprozesse in der Berufsentwicklung noch einmal aufgezeigt. Relevant ist, dass die Parallelität der Übergänge die Berufsentwicklung gleichermaßen vor die Aufgabe stellt, die Übergangssituationen zu bewältigen. Deutlich wird die Komplexität der wissenschaftlichen Aspekte, die den Akademisierungsprozess begleiten.

4.2 Herausforderungen und Chancen

Die aufgezeigten Übergangsprozesse haben deutlich gemacht, dass eine differenzierte Diskussion aus der Perspektive der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen erfolgen muss. Dies ist bisher wenig erfolgt, da die derzeitigen Fachvertreter/-innen an den Hochschulen zunächst sehr stark um den Aufbau der Studiengänge und erster Forschungsaktivitäten bemüht sind und die fachspezifischen Interessen im Vordergrund stehen. Notwendig ist es hier, die verschiedenen Disziplinen auf die Entwicklungen in den Gesundheitsfachberufen aufmerksam zu machen und die Erkenntnisse der Bezugswissenschaften zur Bewältigung der zu bewältigenden Herausforderungen zu nutzen. Die parallel verlaufenden Transitionen sollten gleichfalls durch den Aufbau von Dialogstrukturen aller Beteiligter unterstützt werden. Hierzu gehören sowohl die Akteure aus den verschiedenen Kontexten wie den Hochschulen, den Gesundheitseinrichtungen, den Gewerkschaften bzw. Arbeitgeber als auch die bisherigen Berufspraktiker/-innen, Vertreter/-innen der Berufsfachschulen sowie die zukünftigen Absolvent/-innen aus den Studiengängen. Die letzte Gruppe stellt insofern eine besondere Herausforderung dar, als  es in der Verantwortung der Hochschulen liegt, eine Arbeitsmarktsituation mit zu gestalten, die den Absolvent/-innen eine Zukunft bietet. 

Die Chancen dieser Prozesse sind gleichfalls unverkennbar. Gelingt es eine differenzierte wissenschaftliche Diskussion zu führen, ist zu erwarten, dass die Entwicklungen theoretisch und empirisch auf eine breite Basis gestellt werden können und eine fundierte Argumentationsgrundlage für die Dialoge mit Bedenkenträgern der Akademisierung vorhanden ist. Eine differenzierte wissenschaftliche Diskussion führt auch zu einer höheren Akzeptanz der Absolvent/-innen im Gesundheitswesen, da die bisherigen Diskussionen häufig disziplinär und zum Teil ideologisch geführt werden und zu Ressentiments beitragen. Eine Neuschaffung von Strukturen im Gesundheitswesen, die u.a. durch den Akademisierungsprozess angeregt werden, kann nicht nur zu mehr Qualität im Gesundheitswesen beitragen, sondern leistet auch einen Beitrag zu einer effizienten Versorgung. Das Überdenken der bildungspolitischen Strukturen, in denen die Ausbildungen der Gesundheitsfachberufe bisher stattfinden - die Ausbildungseinrichtungen befinden sich derzeit außerhalb des Berufsbildungssystems - kann zu einer bisher nicht stattgefundenen Diskussion im Zusammenhang mit Sozialer Ungleichheit führen, da die Ausbildungen mit einem hohen Schulgeld belegt sind und diese bevorzugt von Personen aus entsprechenden Schichten aufgenommen werden können.

Nicht zuletzt tragen die Übergangsprozesse aus einer berufspädagogischen Perspektive zu einer Weiterentwicklung methodischer und didaktischer Konzepte bei und liefern wichtige Erkenntnisse für den Bereich der Hochschuldidaktik.

4.3 …was für die Zukunft zu leisten ist

Für die nächsten Jahre lassen sich eine Reihe von Aufgaben identifizieren, die es zu tun gilt, um den Akademisierungsprozess und den Transitionsprozess zu guten Ergebnissen zu führen. Hierzu gehören zunächst eine differenzierte und systematische Evaluation der derzeitigen Ausbildungs- und Studiensituation, um die Ergebnisse der Veränderungen zu erfassen und zu kommunizieren. Dabei geht es sowohl um die Möglichkeit, Aussagen über den Mehrwert der Studiengänge im Vergleich mit den Berufsfachschulausbildungen deutlich zu machen als auch den Mehrwert für die Versorgung zu beschreiben und messbar zu machen. Die Definition der Verantwortungs- und Haftungsbereiche der einzelnen Berufsprofile (vom Berufsfachschulabsolventen bis zum promovierten Therapeuten) steht als eine weitere Aufgabe an. Hierzu bedarf es der Expertise von Sozialrechtlern/-innen, die sich konkret damit beschäftigen. Unabdingbar ist es auch, die einzelnen Kompetenzprofile der unterschiedlichen Ausbildungsniveaus zu definieren, um hier zu einer stimmigen Situation mit den Tätigkeits- und Haftungsbereichen zu kommen. Was kann ein/e Bachelorabsolvent/in in Unterscheidung zu einem / einer / Berufsfachschulabsolvent/-in? Welche Aufgaben kann wer übernehmen? Darüber hinaus muss der Anspruch an eine interdisziplinäre Zusammenarbeit untersucht werden: Wo gibt es gelingende Konzepte? Über welche Kompetenzen verfügen Personen, die interdisziplinäre arbeiten? Wie lässt sich dies ausbilden? Wo liegen die Grenzen der Interdisziplinarität?

Die zu leistenden Aufgaben ließen sich noch weiter führen, aber hier sollen zunächst nur die Kernaufgaben benannt werden.

5 Therapeutische Gesundheitsfachberufe im Jahr 2020

Die therapeutischen Gesundheitsfachberufe zeigen sich nach fast 20 Jahren Akademisierung im Jahr 2020 als eine Gruppe, die neben den Bachelorstudiengängen in Deutschland das Repertoire an Masterstudiengängen erweitert hat, erfolgreich größere Forschungsprojekte eingeworben hat, deren Einsatzbereiche im Gesundheitswesen für akademisierte Therapeut/-innen und deren tarifliche Eingruppierungsmöglichkeiten geklärt sind. An den Universitäten haben sich die ersten Lehrstühle für die therapeutischen Disziplinen entwickelt und ermöglichen den Nachweis einerseits der Wirksamkeit therapeutischer Maßnahmen und andererseits  auch den Nachweis, dass die Akademisierung einen wichtigen Beitrag für die Versorgungsqualität leistet. Die Absolvent/-innen der Studiengänge entwickeln wichtige Versorgungskonzepte mit und tragen zu einer Neustrukturierung der Versorgung durch ihr theoretisches und praktisches Wissen bei. Für die Umsetzung dieser Vorstellungen müssen in den nächsten Jahren Taten aller genannten Akteure folgen und die Notwendigkeit einer differenzierten wissenschaftlichen Übergangsperspektive ernst genommen werden.

Literatur

BOURGEAULT, I., KUHLMANN, E., NEITERMANN, E., WREDE, S. (2008): Wie kann ein optimaler Qualifikationsmix effektiv verwirklicht werden – und warum? Grundsatzpapier WHO. Weltgesundheitsorganisation im Namen des Europäischen Observatoriums für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik.

HRADIL, S. (2005): Soziale Ungleichheit in Deutschland. 8. Aufl. Wiesbaden.

KÄLBLE, K. (2006): Gesundheitsberufe unter Modernisierungsdruck - Akademisierung, Professionalisierung und neue Entwicklungen durch Studienreformen und Bologna-Prozess. In: Pundt, J. (Hrsg.): Professionalisierung im Gesundheitswesen. Positionen - Potenziale - Perspektiven. Bern, 213-233.

PFADENHAUER, M. (Hrsg.) (2005): Professionelles Handeln. Wiesbaden.

ROBERT-BOSCH-STIFTUNG (2010): Kooperation der Gesundheitsberufe.  Qualität und Sicherung der Gesundheitsversorgung von morgen. Memorandum der Robert-Bosch-Stiftung. Stuttgart.

SCHAEFFER, D. (2004): Der Patient als Nutzer. Krankheitsbewältigung und Versorgungsnutzung im Verlauf chronischer Krankheit. Bern.

SVR (2005). Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung der Qualität im Gesundheitswesen. Koordination und Qualität im Gesundheitswesen. Kurzfassung. Baden-Baden.  

SVR (2007). Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung der Qualität im Gesundheitswesen. Kooperation und Verantwortung - Voraussetzungen einer zielorientierten Gesundheitsversorgung. Kurzfassung. Baden-Baden.  

SVR (2009). Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung der Qualität im Gesundheitswesen. Koordination und Integration - Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens. Sondergutachten. Kurzfassung. Baden-Baden. 

WALKENHORST, U. (2006): Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie auf dem Weg zur Professionalisierung. In: PUNDT , J. (Hrsg.): Professionalisierung im Gesundheitswesen. Positionen – Potenziale - Perspektiven. Bern, 106-126.

WALKENHORST, U. (2008): Potenziale der Ergotherapie in der Gesundheits- und Krankenversorgung - eine handlungsorientierte professionssoziologische Analyse. Idstein.


Zitieren dieses Beitrages

WALKENHORST, U. (2011): Akademisierung der therapeutischen Gesundheitsfachberufe – Chancen und Herausforderungen für Berufe im Übergang. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 10, hrsg. v. BONSE-ROHMANN, M./ WEYLAND, U., 1-12. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft10/walkenhorst_ft10-ht2011.pdf (26-09-2011).



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