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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT05 - Berufliche Rahabilitation
Herausgeber: Roland Stein & Meinhard Stach

Titel:
Übergänge in der Beruflichen Rehabilitation - Probleme und Chancen


Übergänge professionell gestalten

Beitrag von Horst BIERMANN & Manfred WEISER (TU Dortmund & BBW Neckargemünd der SRH)

Abstract

Die Frage der Übergänge wird in der Beruflichen Bildung und in der Rehabilitationspädagogik vor allem in lebensspezifischen Abläufen betrachtet. Eine biografische Sichtweise findet sich üblicherweise auch in der Frauenforschung oder Erwachsenenbildung. Kinder mit erhöhtem Förderbedarf besuchen Kindergärten, gemeinsamen Unterricht in der Regelschule oder eben Sonderschulen bevor sie über berufliche Vorbereitungsmaßnahmen, anschließende Ausbildungsprogramme dann mit Unterstützung in den allgemeinen Arbeitsmarkt oder in beschützende Arbeit eingefügt werden. Sozialpädagogische oder therapeutische Betreuung begleiten die ambulanten oder stationären Maßnahmen. Die Gestaltung der Übergänge erfolgt in der Regel unter institutionell-organisatorischen, nicht aber wie im Folgenden thematisiert, unter professionstheoretischen Aspekten. Der Fokus richtet sich dabei nicht auf Lebensphasen und typische biografische Übergänge, sondern auf rehabilitationsspezifische Differenzierungen. Auch hier finden sich Übergänge zum Beispiel zwischen betrieblicher Ausbildung und Berufsschule, sozialpädagogischer Begleitung, therapeutischen Angeboten, Herkunftsfamilie, stationären und ambulanten Maßnahmen. Übergänge werden als solche aber kaum thematisiert. Wir vermuten, dass auch diese Übergänge zu Barrieren für die Entwicklung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden können. Dies vor allem dann, wenn sie unterschiedlichen Professionsverständnissen begegnen, die nicht auf einander abgestimmt sind. Das Ziel des Beitrags ist es, einen Diskussionsbeitrag zum rehabilitationsspezifischen Professionalitätsverständnis zu leisten, das die gemeinsamen professionellen Grundlagen ebenso benennt wie die notwendigen Differenzierungen zwischen denen am Rehabilitations- und Berufsbildungsprozess beteiligten Berufsgruppen. Die Situationsanalyse zeigt einen erheblichen Mangel an beruflichen Rehabilitationspädagogen. Im Zuge der Etablierung von BA-MA Studiengängen plädieren wir für eine Doppelqualifizierung von Ausbildern, Berufsschullehrern, Sozialpädagogen, aber auch Medizinern und Verwaltungsfachleuten im Rahmen eines Weiterbildungs-Masters.

1 Das Qualifizierungsdilemma

Die Zugänge zu einer Tätigkeit in der beruflichen Rehabilitation sind durch Unterschiedlichkeit geprägt. Weder quantitativ noch qualitativ ist in den jeweiligen Professionen eine hinreichende pädagogische Qualifikation zu verzeichnen. So werden betriebliche Ausbilder nicht auf die Arbeit mit heterogenen Zielgruppen vorbereitet, aber auch Berufspädagogik ignoriert in aller Regel Fragen der sonderpädagogischen Arbeit, Sozialpädagogik betrachtet zwar das sogenannten Übergangssystem zunehmend als ihren professionellen Bereich, führt auch im Rahmen von Bildungsketten, die von Klasse 8 bis zur Ausbildung und Nachqualifizierung reichen, z.B. Potenzialanalysen durch – ohne fachlich hierfür ausgebildet zu sein und Sonderpädagogen verfügen meistens nicht über berufsfachlichen Kompetenzen eines Berufsfeldes. Erst Recht befassen sich (Arbeits)Mediziner und Psychologen nicht mit Arbeits- und Berufspädagogik im Rahmen der Rehabilitation. Zwar ermöglicht die Kultusministerkonferenz (KMK) anstelle eines allgemeinen oder affinen Unterrichtsfaches neben der Berufsfachrichtung auch eine sonderpädagogische Studienrichtung zu belegen, aber diese Ausbildung hängt von der Ausbildung in Berufs- und Wirtschaftspädagogik ab, die bundesweit rein zahlenmäßig nicht hinreichend und damit in der Kombination unbedeutend geworden ist. Für die Arbeit in der Werkstufe bzw. Berufspraxisstufe, die in den meisten Bundesländern den Berufsschulbesuch ersetzt, können sich Berufsschullehrer nicht vorbereiten, da diese Kombination nicht möglich ist und somit für sonderpädagogische Förderung „ungelernte“ Lehrer behinderte junge Erwachsene beruflich vorbereiten sollen. Aber selbst wenn die Doppelqualifikation angestrebt wird, fehlt in den sonderpädagogischen Instituten und Lehrstühlen die berufspädagogische Kompetenz in Forschung und Lehre. Damit sind strukturelle Dilemmata benannt; um die Professionalisierung von Rehabilitationspädagogen systematisch voranzubringen müssen zum einen diese Dilemmata aufgehoben werden; zum anderen muss ein Professionalitätsverständnis entwickelt werden, das sich der übergreifenden Aufgabenstellung im Prozess der Rehabilitation bewusst ist und sich gleichzeitig in einem abgestimmten Differenzierungskonzept mit der je eigenen Fachlichkeit einbringen kann.

Das System der beruflichen Rehabilitation befindet sich in einem grundlegenden Wandel. Zwar wird mit Bezug auf die UN-Behindertenrechts-Konvention Teilhabe postuliert, ein inklusives Bildungswesen als Leitbild entworfen (Art. 24), gleicher Zugang zu Ausbildung und Arbeit gefordert (Art. 27), aber die Diskussion des Nationalen Aktionsplans zeigt die Schwierigkeit der Umsetzung der eigentlich verbindlichen und in Deutschland Gesetz gewordenen Konvention. Eine Vielzahl von Maßnahmen verändern derzeit die traditionellen Säulen des Rehabilitationssystems von Berufsbildungswerken, Berufsförderungswerken, Werkstätten für behinderte Menschen und sonstigen begleitenden Diensten wie Integrationsfachdienste oder Unterstützte Beschäftigung in Verbindung mit Arbeitsassistenz und Job-Coaching sowie Training-on-the-Job. So fordern die Arbeits- und Sozialminister eine neue Berufsvorbereitung, das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) versucht ebenfalls über Bildungsketten einen neuen vertikalen Lernzusammenhang zu installieren, die Kostenträger fordern eine umfassende „Ambulantisierung“ – auch der beruflichen Qualifizierung, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) sieht seine Vorstellungen nach Employability als Leitbild mit einer Flexibilisierung der Reha-Wege, Dauer, Träger, Ziele, Finanzierungen, Abschlüsse, Lernorte als Antwort zur Teilhabe (vgl. RehaFutur). Dieser Umbau erfolgt weitgehend ohne Konzept der Qualifizierung, Aus- und Weiterbildung des Personals, das dieses neue Rehabilitationskonzept umsetzen und gestalten soll. Hinzu kommen Anforderungen durch neue Technologien und neue Formen der Arbeitsorganisation. So steht die barrierefreie Entwicklung von Lernmedien und Homepages erst in den Anfängen – eine Studie der Homepages der Berufsbildungswerke (BBW) belegt, dass keine Web-Site barrierefrei ist (Scheer 2011, 71 ff). Universal Design und assistive Technologie sind in der Sonderpädagogik nicht etabliert. Auch Teilzeit- und häusliche Erwerbsarbeit mit Internettätigkeiten sind noch nicht für Arbeitnehmer mit Handicaps gedacht worden, vielmehr denken Kostenträger immer noch weitgehend im Automatismus des Übergangs in Werkstätten oder Unterstützte Beschäftigung oder Frühberentung.

2 Einheitlichkeit und Differenzierung im rehabilitationspädagogischen Professionalisierungskonzept

2.1 Prinzipien-Aufgaben-Instrumente

Wir halten es für notwendig, ein rehabilitationspädagogisches Professionalisierungskonzept zu entwickeln, das die Gemeinsamkeiten der pädagogischen Bezugsdisziplinen Berufs-, Sonder- und Sozialpädagogik betont, um zu einer beruflichen Rehabilitationspädagogik zu kommen, die aber auch gleichzeitig die Unterschiede, die sich durch die verschiedenen Aufgabenstellungen ergeben, benennt und produktiv integriert.

Ein gemeinsames, in sich differenziertes Professionalitätsverständnis könnte dazu beitragen, dass die horizontalen Übergänge, die die Jugendlichen / jungen Erwachsenen täglich bewältigen müssen, nicht zu einer zusätzlichen Erschwernis im Entwicklungsverlauf werden. Die professionellen Abstimmungen im horizontalen Übergang werden häufig nicht systematisch gepflegt sondern finden bedarfsweise – in Fallgesprächen und Hilfe- bzw. Förderplanungen statt. Dabei wird nicht immer – aufgrund der unterschiedlichen Zugangsweisen, der verschiedenen Berufskulturen und -mentalitäten – eine gemeinsame Sprache gefunden.

Neben der Notwendigkeit, eine gemeinsame Fachsprache mit den entsprechenden tragenden Kategorien zu entwickeln, die verschiedenen Selbstverständnisse auszutauschen und in einen gemeinsamen Rahmen zu stellen sowie einen Habitus aufzubauen sowie andere typische Professionalisierungsmerkmale zu schaffen stellt sich heute als besonders wichtige Aufgabe, die Weiterentwicklung des sogenannten Leistungsdreiecks zwischen Kostenträger – Durchführungsträger – Leistungsempfänger; dieses Dreieck ist um die Dimension Empowerment als Prinzip aller Maßnahmen, Verfahren und Prozesse zu erweitern und stellt die am Rehabilitationsprozess Beteiligten vor neue Herausforderungen.

Tragende Elemente der rehabilitationspädagogischen Professionalität sind Kooperation und Reflexivität – dies gilt im Übrigen unseres Erachtens für alle Bereiche pädagogischer Professionalität. Pädagogik – und damit sind die Pädagoginnen und Pädagogen gemeint – kann ihre Wirkung nur in Kooperation entfalten. Zunächst ist da die Kooperation zwischen den Schülern / Auszubildenden und den Rehabilitationspädagogen zu nennen. Dieses Verhältnis ist als ein kooperatives zu gestalten auch wenn die Beziehungen im Spannungsverhältnis der institutionell gegebenen Hierarchie stehen. Der kooperative Aspekt umfasst aber auch die Beziehungen zwischen den professionell Tätigen. Hier bedeutet Kooperation die Absprache und Abstimmung der gemeinsamen wie unterschiedlichen Ziele; zudem geht es darum, diese Ziele zu priorisieren und eine gemeinsam verantwortete Zielhierarchie zu benennen. Die Kooperation verlangt von den Beteiligten Souveränität im Umgang mit sich selbst und anderen, erfordert das Sich-Einlassen auf andere Sichtweisen und die Offenheit, auch andere berufliche Perspektiven als die eigenen als berechtigt und wichtig anzuerkennen.

Die Reflexivität gewinnt ihre Bedeutung vor dem Hintergrund der Individualität jeder pädagogischen Situation. Dies bedeutet, dass aufgrund der Komplexität pädagogischer Situationen als Interaktions- und Kommunikationsverhältnis keine pädagogische Situation mit einer anderen identisch ist. Es mag Ähnlichkeiten geben, Identitäten gibt es nicht. Damit stehen Pädagoginnen und Pädagogen vor der Aufgabe, sich auf jede Situation neu einzustellen und einzulassen; Routinen sind in diesem Sinne nur bedingt hilfreich. Damit sind die pädagogischen Situationen denkend, reflexiv nach- und vorzubereiten. Auch diese Reflexion gelingt in der Regel eher, wenn wir uns kooperativ – d.h. in der Gemeinsamkeit mit anderen dieser Aufgabe stellen.

Die Bedeutung von Kooperation und Reflexivität für die (rehabilitations-)pädagogische Professionalität ist auch eine wesentliche Begründung für die Notwendigkeit von Fallbesprechungen und Supervisionen in diesem Bereich. Regelmäßig durchgeführte Fallbesprechungen können unserer Erfahrung nach dazu beitragen, die individuellen Kompetenzen im Umgang mit schwierigen und oftmals belastenden Situationen zu erhöhen. Sie können aber auch dazu führen, dass durch die thematisch strukturierten Auseinandersetzungen gemeinsame Handlungskonzeptionen entwickelt werden.

In dem von uns vertretenen Professionalitätskonzept stehen wir Ganzheitlichkeitskonzepten kritisch gegenüber. Wir verkennen nicht, dass durch die Orientierung an der Ganzheitlichkeit einer Vereinseitigung der Rehabilitanden auf den Aspekt wirtschaftlicher Verwertbarkeit begegnet werden soll; zudem wird mit dem Anspruch auf Ganzheitlichkeit einer Defizitorientierung, wie sie im sonderpädagogischen Bereich immer wieder zu finden war, entgegengewirkt. Unsere Skepsis begründen wir wie folgt:

In der Geschichte der Sonderpädagogik haben der Arzt BIESALSKI und der WÜRTZ einen defizitorientierten Ganzheitlichkeitsansatz vertreten. Sie bezogen sich auf den „sozialbiologischen Einheitsgedanken“ und stellten einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Defekt des (wie es damals hieß) Krüppels und der Beschädigung der Seele her. Ganzheitlichkeit und Defizitorientierung müssen also nicht in einem Gegensatz stehen.

Menschen können immer nur partiell erfasst werden. Die Totalität, Ganzheitlichkeit des Menschen ist zwar gegeben aber nicht erfassbar.

Im Zusammenhang der Behinderten- / Rehabiltitationspädagogik halten wir die Ganzheitlichkeit auch vor dem Hintergrund des Empowerment-Gedankens für nicht produktiv.

Wir plädieren daher im Anschluss an Hermann GIESECKE für eine rehabilitationspädagogische Professionalität, die sich ihrer partikularen Verantwortlichkeit bewusst ist. Diese partikulare Orientierung lässt Raum für die professionelle Zusammenarbeit, die Gestaltung der Schnittstellen, den Respekt vor dem Arbeitsbereich der je anderen Profession und der Mitgestaltung und –verantwortung der Rehabilitanden. Es bleibt die Herausforderung, sich der Ganzheitlichkeit der Persönlichkeit bewusst zu sein und gleichzeitig die partikulare Zuständigkeit professionell zu gestalten.

In der Diskussion um die pädagogische Professionalität finden sich empirische Konzepte, die ihr Professionalitätsverständnis aus vorliegenden pädagogischen Praxisbereichen formulieren, historische Konzepte, die aus der Entwicklung der pädagogischen Berufe die zugrunde liegenden Professionalisierungen ableiten aber auch normative Ansätze, die aus grundlegenden Überlegungen zur Pädagogik bzw. zu den aktuellen Herausforderungen die Anforderungen an pädagogische Professionalität formulieren und dabei in der Regel umfangreiche Forderungskataloge aufstellen. Die Sinnhaftigkeit solcher Benennungen liegt in der Regel in der Entwicklung eines Aus- oder Weiterbildungscurriculums, das die angesprochenen Kompetenzen vermitteln soll.

Wir wollen die verschiedenen Ansätze um eine weitere Variante bereichern, indem wir auf ein Strukturkonzept der Professionalität zurückgreifen, das der Managementliteratur entnommen ist.

Fredmund MALIK, Präsident des Management Zentrums St. Gallen, hat seine Erfahrungen in der Beratung wirksamer Führungskräfte gesammelt. Dabei betont er zunächst, dass wirksame Persönlichkeiten sehr verschieden sind. „Wirksame Menschen sind so verschieden, wie Menschen nur verschieden sein können“ (MALIK 2000, 19). Die Wirksamkeit liegt daher nicht in der Persönlichkeit oder bestimmten gemeinsamen Persönlichkeitseigenschaften begründet sondern in der Art des Handelns. In der Untersuchung der Arbeitsweise wirksamer Menschen stellt Malik charakteristische Übereinstimmungen fest. Es sind gewisse Regeln, Grundsätze, von denen sich die wirksamen Menschen leiten lassen. Sie erfüllen bestimmte Aufgaben mit besonderer Sorgfalt und Gründlichkeit und drittens zeigen sie handwerkliche Professionalität, d.h. sie handhaben souverän ihre Instrumente. Es lassen sich demnach drei Dimensionen professionellen Handelns unterscheiden:

-       Prinzipien

-       Aufgaben

-       Instrumente.

Da diese drei Dimensionen ein in sich konsistentes, stimmiges Konzept darstellen sollten, sprechen wir in diesem Zusammenhang vom „Dreiklang der Professionalität“, das sich durch eine bewusste Prinzipienorientierung, klaren Aufgabenstellungen und -priorisierungen und der souveränen Beherrschung der entsprechenden Werkzeuge / Instrumente auszeichnet. Dieses Strukturmodell bedarf der inhaltlich-pädagogischen Ausfüllung, es kann aber in der Reflexion und Planung helfen, sich der verschiedenen Ebenen bewusst zu werden und Entscheidungen und Handlungsweisen zu verstehen und kommunizierbar zu machen. Dieses Konzept ist offen für individuelle wie institutionelle Innovationen und kann somit sowohl die Professionalität des individuellen Handelns als auch die immer wieder notwendige Professionalisierung der beteiligten Berufsgruppen stärken.

In dem oben angesprochenen Kommunikationsprozess der am Rehabilitationsprozess Beteiligten könnte dieses Strukturmodell einen Rahmen darstellen, in dem die Unterschiedlichkeiten wie auch Gemeinsamkeiten zum Ausdruck kommen.

Abb. 1: Strukturmodell der Professionalität nach MALIK (2000)

Der Bereich der Grundsätze umfasst die Werthaltungen und grundlegende Auffassungen, mit denen die Aufgaben angegangen werden. Als gemeinsamer Grundsatz der verschiedenen Professionen ist hier der mit dem Empowerment-Konzept verbundene Respekt vor den Entscheidungen und den Perspektiven der Rehabilitanden zu nennen. Dieser gewinnt auch dadurch an Bedeutung, dass wir es in der Rehabilitationspädagogik zunehmend mit jungen Erwachsenen zu tun haben. Ein weiterer Grundsatz könnte das Prinzip der Ressourcenorientierung sein. Damit ist gemeint, dass an den immer vorhandenen Stärken und Kompetenzen der Schüler anzusetzen ist. Dies bedeutet, dass diese Stärken auch konkret wahrgenommen und benannt werden müssen. Ressourcenorientierung kann als Grundsatz nur wirksam werden, wenn die professionell Beteiligten, diese Ressourcen individuell sehen und zur Grundlage der Arbeit machen. Die pädagogischen Aufgaben sind auf diesen Grundlagen immer wieder neu zu bestimmen.

Hinsichtlich der Aufgaben sollte sich die professionelle Tätigkeit unseres Erachtens an den pädagogischen Grundkategorien Bildung, Erziehung, Kompetenzvermittlung orientieren. Damit sind die grundlegenden Aufgaben bestimmt, die jeweils auf die konkreten Rehabilitanden hin entsprechend bestimmt werden müssten.

Bezüglich des Bildungsbegriffes beziehen wir uns dabei auf Wolfgang KLAFKI und das von ihm formulierte Konzept der doppelseitigen Welterschließung. Bildung meint in diesem Zusammenhang die Erschließung von Strukturen, Prozessen und Zusammenhängen der Welt – sowohl der dinglichen als auch der sozialen Welt. Von der subjektiven Seite her gesehen bedeutet dies das Sich-Erschließen für die Wirklichkeit. Das Offensein für Welterfahrung und die Bereitschaft, sich mit der Welt so auseinanderzusetzen, dass sich das eigene Denken und Handeln begreifend und verstehend der Welt nähert, ist einer der Kerngedanken dieses Bildungskonzepts. Dabei versteht sich das Subjekt als Teil der Wirklichkeit und kann so Ansatzpunkte zur Mit-Gestaltung dieser Wirklichkeit gewinnen. Mit-Verantwortung für sich und für andere gewinnt so zentrale Bedeutung.

Die von Klafki formulierte Bildungskonzeption kann zur Fundierung eines rehabilitationspädagogischen Professionalitätskonzepts beitragen, da sie über die Beziehung von Allgemeinem und Besonderem auch den Spannungsbogen von Allgemeinbildung – Berufsbildung – Rehabilitationspädagogik umfasst.

Ein weiterer Aspekt der uns an diesem Punkt bedeutsam erscheint, ist der der in der Aussage „Bildung ist immer Selbstbildung“ zum Ausdruck kommt. Damit wird dem Lernen nach dem Modell des Nürnberger Trichters eine klare Absage erteilt; d. h., dass die Lehrenden sich der Tatsache bewusst werden müssen, dass etwas gelehrt zu haben noch nicht bedeutet, dass dies auch schon gelernt wäre. Außerdem schließt dies mit ein, dass der subjektiven Bedeutung des zu Lernenden eine herausragende Bedeutung zukommt. Schließlich rückt mit dem Hinweis auf Selbstbildung auch die Bildungsprozesse der Pädagogen in den Blick, die ihre eigene Bildung betreiben müssen, um wirksam Bildungsprozesse initiieren und begleiten zu können.

Mit diesen hinweisenden Aussagen wenden wir uns dem Erziehungsbegriff zu, der in den Bildungs- und Erziehungswissenschaften sehr viel umstrittener ist als der Bildungsbegriff. Der Begriff der Bildung wird als pädagogische Grundkategorie weitgehend akzeptiert, während dem Erziehungsbegriff diese Funktion oftmals nicht zugestanden wird; er wird vielmehr abgewertet oder negiert.

Auch wir sehen den Erziehungsbegriff in seiner problematischen Begriffs- und Realgeschichte. Wir wissen um die Konnotationen und kennen die sprachlichen Ursprünge des Erziehungsbegriffes, die z. B. auf die Begriffe Zucht und Züchtigung verweisen. Wir kennen die Beispiele aus der Geschichte der „Schwarzen Pädagogik“; dennoch halten wir am Erziehungsbegriff fest, da in ihm vor allem die unverzichtbare Seite der Wertorientierung bis hin zur Ebene des konkreten Verhaltens zum Ausdruck kommt. Diese Seite des pädagogischen Prozesses wird vollzogen, wird gelebt. Im Sinne eines professionellen Verständnisses der pädagogischen Tätigkeit halten wir es für unverzichtbar, diese Aspekte auch begrifflich zu fassen. Ohne einen Begriff von wesentlichen Aspekten der eigenen professionellen Tätigkeit können diese nicht reflektiert und kommuniziert werden. Die pädagogische Profession ist aber vor allem – wie oben ausgeführt – durch Kooperation und Reflexivität gekennzeichnet. Ohne den Begriff der Erziehung kann der reflexive Zugang nur unzureichend gelingen.

Inhaltlich orientieren wir uns an einem Erziehungsbegriff, der einem demokratischen Gemeinwesen entspricht, partizipativ ausgerichtet ist und das Moment der Selbsterziehung betont. Dieser Erziehungsbegriff steht im Zusammenhang einer interaktionsorientierten Vertragskultur und kann als eine spezifische Art der „moralischen Kommunikation“ (OELKERS) verstanden werden. In der Praxis darf dies keinesfalls mit Moralisieren oder dem Gebrauch moralischer Vorhaltungen verwechselt werden. Hier kommt der Unterschied zwischen der Aufgabe und den Instrumenten in der pädagogischen Professionalität zum Tragen.

Der Begriff der Kompetenzvermittlung umfasst sowohl die lebens- als auch die arbeits- und berufsbezogenen Qualifikation. Im Kompetenzbegriff kommt die handlungsbezogene Dimension des Bildungs- und Erziehungsprozesses zum Ausdruck. Angesichts der gesellschaftlichen und beruflichen Anforderungen stellt sich für die Pädagogik die Aufgabe, die Aneignung der Kompetenzen zu ermöglichen, die für die Bewältigung der gegenwärtigen Aufgaben nötig sind. Dies ist so zu gestalten, dass gleichermaßen die Offenheit für neue Lernanforderungen und entsprechende Lernstrategien und -methoden vermittelt werden. Der Kompetenzbegriff wird in der Berufspädagogik sehr umfassend im Hinblick auf die Vermittlung fachlicher, sozialer, personaler und methodischer Kompetenz gesehen; die diesbezüglichen Diskussionen gruppieren sich um den Begriff der Schlüsselqualifikationen. Zum Teil wird die Vermittlung der Schlüsselqualifikationen auf die Aneignung wichtiger Tugenden wie Höflichkeit, Pünktlichkeit usw. reduziert.

Die Instrumente in diesem Prozess sind der Förderplanung, die Reha- und Teilhabeplanung. Auch die Standards für die damit zu steuernden Prozesse (Beschreibungskriterien, operationalisierte Ziele und die Vereinbarungen über die Erreichung dieser Ziele) und die Hilfeplanung sind Instrumente in diesem Sinne. Die Beteiligung der Betroffenen, Peer counselling und die diesbezüglichen Gespräche und die Gestaltung dieser Gespräche fallen in den Bereich der Instrumente.

Auch die Gestaltung von Arbeitsbündnissen ist ein Instrument, das aber in seiner Ausrichtung bereits die genannten Grundsätze umfasst und in den Prozess der Bildungs- und Erziehungsprozesse eingebunden ist. Dabei greifen wir zwar den Begriff von OEVERMANN auf, orientieren uns aber in der Begründung und Durchführung nur partiell auf seine Konzeption. Das Arbeitsbündnis bringt die Notwendigkeit des Einverständnisses zwischen den Pädagogen und den Rehabilitanden zum Ausdruck, das die Grundlage für die gemeinsam zu verantwortenden Entwicklungsprozesse bildet. Das Arbeitsbündnis bringt die gemeinsame Perspektive zum Ausdruck und kann die Tätigkeit der Pädagogen als Angebot und Dienstleistung verstehen.

2.2 Perspektiven

Zurzeit bestehen Überlegungen, eine Ausbilderqualifizierung über die Kammern zu etablieren. Politisches Ziel ist seitens des BMBF und BMAS, den Betrieb als Lernort zurück zu gewinnen. Die erforderliche Personalqualifizierung ist bereits im IHK Berufspädagogen in einem rehabilitationspädagogischen Modul angedacht worden. Ebenso wird die Sonderpädagogische Zusatzqualifizierung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke als modularisiertes Weiterbildungsangebot überarbeitet. Die Empfehlung des BIBB zu einer 320 Stunden-Maßnahme ist die formale Vorgabe hierfür. Die Werkstätten haben die Zusatzqualifizierung zu einer Weiterbildung als Fachkraft in Arbeits- und Berufsbildung für WfbM professionalisiert, bleiben somit ebenso wie die BBW trägerspezifisch.

Das Land NRW hat vor rund 10 Jahren eine Fortbildung von Berufsschullehrer zu individuellem Förderbedarf in der beruflichen Bildung aufgelegt. Die Module wie Diagnostik-Arbeiten mit Förderplänen, Lehr- und Lernprozesse, Lernortgestaltung, Beratung und Netzwerkarbeit werden zur Zeit neu gefasst und im Februar 2012 soll ein aktualisiertes Angebot für Lehrer von Berufsbildungswerken und öffentlichen Berufskollegs beginnen. Im Hochschulbereich bietet nur die Universität zu Köln einen MA Studiengang zur beruflichen Rehabilitation an, der sich am betrieblichen Eingliederungsmanagement orientiert.

Ein Weiterbildungs-Master in Reha-Päd. sollte trägerübergreifend im Sinne einer Sozialraumorientierung ausgelegt, als Zielgruppe auch bei nicht-akademischer Vorbildung zu belegen und berufsbegleitend sein. Dies setzt Formen des Blended Learning voraus, so dass sich eine Modularisierung anbietet.

Die genannten Maßnahmen können die Professionalisierung der im Rehabilitationsprozess Tätigen voranbringen. Sie werden aber die notwendige individuelle (auch in der professionellen Lerngemeinschaft sich vollziehende) Bildungsarbeit im Sinne der nie abgeschlossenen Professionalisierung nicht ersetzen können. Dies bedeutet, dass die Rehabilitationspädagogen in allen Bereichen die eigen Professionalitätsentwicklung als Aufgabe des lebenslangen Lernens betreiben und dabei in Auseinandersetzung mit den anderen Professionen an der Formulierung der eigenen Aufgabenstellungen und der Schärfung der jeweiligen Instrumente arbeiten müssen. Dabei wird die Kunst darin bestehen, dies nicht in Abgrenzung sondern vor allem in Kooperation mit den anderen Professionen voranzukommen, um damit die Grundlage einer gemeinsamen Professionalitätskultur im Bereich der Rehabilitationspädagogik zu schaffen.

Literatur

BIERMANN, H./ BUCHMANN, U./ FRIESE, M. (2009): Professionspolitische Handlungsbedarfe. In: SEKTION BERUFS- UND WIRTSCHAFTSPÄDAGOGIK DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT (Hrsg.): Memorandum zur Professionalisierung des pädagogischen Personals in der Integrationsförderung aus berufswissenschaftlicher Sicht. Bonn, 36-46.

BIERMANN, H./ WEISER, M. (2010): Rehabilitationspädagogische Professionalität. In: Inklusion braucht Professionalität. CD mit Beiträgen zum Sonderpädagogischen Kongress vom 22.-24. April 2010 in Weimar, hrsg. v. VERBAND SONDERPÄDAGOGIK, Würzburg.

KLAFKI, W. (1963): Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Weinheim.

MALIK, F. (2000): Führen, leisten, leben. Stuttgart.

OELKERS, J. (2000) Erziehung. In: BENNER, D./ OELKERS, J. (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Pädagogik. Darmstadt, 303-340.

SCHEER, B. (2011): Entwicklung eines autorenunterstützenden Systems zur nachhaltigen Sicherstellung der Barrierefreiheit im Internet auf der Grundlage von Open-Source-Software. Dortmund.


Zitieren dieses Beitrages

BIERMANN, H./ WEISER, M. (2011): Übergänge professionell gestalten. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 05, hrsg. v. STEIN, R./ STACH, M., 1-10. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft05/biermann_weiser_ft05-ht2011.pdf (26-09-2011).



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