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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

WS08 - Schulentwicklung
Herausgeber: Andreas Fischer, Klaus-Dieter Mertineit & Wilfried Steenblock


Titel:
Nachhaltiges Schulnetzwerk: BBS futur


Nachhaltige Schülerfirmen in der beruflichen Bildung: Wirtschaften in ökologischer, gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung

Beitrag von Rolf DASECKE (Fachberater für berufliche Bildung für Nachhaltigkeit in Niedersachsen)

Abstract

Der beruflichen Bildung kommt eine besondere Verantwortung für nachhaltige Entwicklung zu. Es ist ihre Kernaufgabe, die Handlungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu fördern, um sie auf private, gesellschaftliche und berufliche Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Welche Inhalte und Methoden sind in der Bildung für nachhaltige Entwicklung wirklich relevant? Nachhaltige Schülerfirmen stellen eine praxis- und handlungsorientierte Methode dar, um Kompetenzen zu fördern und neue Inhalte aktiv zu erarbeiten. Vorgestellt werden die Potenziale nachhaltig ausgerichteter Schülerfirmen in der beruflichen Bildung. Dabei werden die Zukunftserwartungen von Jugendlichen und bedeutsame Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft skizziert sowie die Notwendigkeit von nachhaltig ausgerichteten Schülerfirmen begründet. Praxisrelevante Fragen, wie die Integration in den Unterricht oder die rechtliche Absicherung von Schülerfirmen, werden dabei berücksichtigt.

1. Rahmenbedingungen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) an den Berufsbildenden Schulen in Niedersachsen

„Für das Leben lernen wir, nicht für die Schule.“ Dieser Satz ist uns allen sicher geläufig, aber was bedeutet er eigentlich im Kern, auch gerade an einer Berufsbildenden Schule?

Berufliche Bildung muss mehr leisten, als nur den qualifizierten Berufseinstieg zu sichern. Die Jugendlichen, die Berufsbildende Schulen besuchen, sind im Regelfall zwischen 15 und 20 Jahre alt. Sie haben also noch rund 65 Lebensjahre vor sich, davon werden sie wahrscheinlich 50 Jahre im Berufsleben stehen. Wenn sie das Arbeitsleben hinter sich lassen, schreiben wir vermutlich das Jahr 2065. Es ist sicher, dass sich die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bis dahin einschneidend verändert haben werden. Viele dieser Veränderungen sind heute schon klar zu erkennen. Berufliche Bildung hat die mittel- und langfristigen Tendenzen in den Blick zu nehmen und die Schülerinnen und Schüler unter Berücksichtigung ihrer Wünsche und Vorstellungen auf die selbstbestimmte Gestaltung ihres Privat-, Gesellschafts- und Berufslebens vorzubereiten.

2. Ergebnisse der Bertelsmann-Studie zu Jugend und Nachhaltigkeit

Ängste und Erwartungen von Jugendlichen sind jüngst in einer Befragung der Bertelsmann-Stiftung zum Thema „Jugend und Nachhaltigkeit“ erfasst worden (vgl. BERTELSMANN-STIFTUNG 2009). Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Mehr als drei Viertel aller Jugendlichen in Deutschland sind besorgt über den Zustand der Welt in 20 Jahren. Rund 40 Prozent machen sich sogar große Sorgen. Ziel der repräsentativen Umfrage war es, Einsicht in das Problem- und Lösungsbewusstsein von Jugendlichen zu weltweit relevanten Entwicklungen zu bekommen und zu erfahren, welche Perspektiven sie für künftige Generationen in einer globalisierten Welt sehen.

Zu den größten weltweiten Herausforderungen zählen die Jugendlichen das Armutsproblem (75 Prozent), Klimawandel und Umweltzerstörung (73 Prozent) sowie den Mangel an Nahrung und Trinkwasser (70 Prozent). Im Mittelfeld rangieren die Verknappung von Rohstoffen (58 Prozent), die Ausbreitung weltweiter Seuchen und Krankheiten (53 Prozent), die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (49 Prozent) sowie Krieg und bewaffnete Konflikte (48 Prozent).

Zu den weniger dringlichen Herausforderungen gehören nach Einschätzung der Jugendlichen die Wirtschafts- und Finanzkrise, der internationale Terrorismus und der Anstieg der Weltbevölkerung.

Bezüglich möglicher Lösungsansätze sind die Jugendlichen in Deutschland verhalten optimistisch. Die Jugendlichen glauben überwiegend, dass die weltweiten Herausforderungen überwunden werden können. Nur 28 Prozent halten die Probleme für zu groß und unlösbar. Dazu seien jedoch Verhaltensänderungen sowohl bei den Mächtigen in Politik, Wirtschaft und großen Organisationen als auch bei den Bürgern selbst erforderlich. "Damit deutet die Umfrage erstmals auf die Einsicht in einen gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozess bei der Überwindung globaler Krisen hin", sagte Liz Mohn, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung, bei der Vorstellung der Umfrage. "Für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft brauchen wir eine Veränderungsbereitschaft und ein Maß an Kooperation, die alles Bisherige übertreffen."

Als Treiber eines solchen Veränderungsprozesses sehen die befragten Jugendlichen langfristige Strategien der Politik im Interesse nachfolgender Generationen (80 Prozent), ein stärkeres gesellschaftliches Engagement der Wirtschaft (78 Prozent), weltweit gültige Grundregeln im Umgang mit globalen Herausforderungen (74 Prozent), intensivere Bildungsmaßnahmen für die nachhaltige Entwicklung (69 Prozent) und bessere Mitwirkungsmöglichkeiten der Jugend bei gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen (68 Prozent). 64 Prozent der befragten Jugendlichen glauben, dass internationale Nachhaltigkeitsnetzwerke einen Einfluss auf globale Entwicklungen haben. Zudem setzt eine Mehrheit der Befragten große Hoffnungen auf technische Innovationen.

Die Umfrage zeigt, wie sehr sich die Jugendlichen um die Zukunftsfähigkeit der Welt sorgen. Mut macht vor allem, dass es eine große Bereitschaft bei den Jugendlichen gibt, sich für die nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft einzusetzen. Von den Befragten, die sich bisher noch nicht für nachhaltige Entwicklung engagieren, wären 80 Prozent bereit, dies in ihrer Freizeit zu tun, wenn sie wüssten, wie sie sich sinnvoll einbringen könnten.

3. Veränderte wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen im 21. Jahrhundert

Klar erkennbar und wissenschaftlich unstrittig ist die Erkenntnis, dass sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im 21. Jahrhundert einschneidend verändern werden.

Als den entscheidenden Weg zur Lösung der Kernprobleme hat die Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro das Konzept der Nachhaltigkeit entwickelt. Fast alle Staaten dieser Welt haben dort die Agenda 21 verabschiedet. Die Agenda 21 ist kein in sich geschlossenes Konzept. Sie beschreibt einen permanenten, langfristigen Suchprozess nach Lösungsmöglichkeiten für unsere gegenwärtigen und zukünftigen Probleme unter Einbeziehung aller relevanten gesellschaftlichen Gruppen und der einzelnen Bürger. KREIBICH zeigt in diesem Zusammenhang die folgenden Leitperspektiven auf (vgl. KREIBICH 1996):

  • Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und Schonung der Naturressourcen
  • Schaffung und Sicherung von materiellem Wohlstand, wirtschaftlicher Entwicklung und Beschäftigung
  • Schaffung und Sicherung von sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit
  • Wahrung und Förderung der kulturellen Eigenentwicklung und Vielfalt von Gruppen und Lebensgemeinschaften
  • Förderung menschendienlicher Technologien und Verhinderung superriskanter Techniken und irreversibler Umweltzerstörungen

3.1 Veränderte zukünftige Arbeitsmarktbedingungen

Wenn wir unseren Jugendlichen auf ihrem Weg in die berufliche Zukunft helfen wollen, dann müssen wir uns auch vor Augen halten, dass diese Jugendlichen eine andere Berufsbiographie als die Generationen ihrer Eltern und Großeltern haben werden. Arbeitssoziologen sprechen von der zukünftigen Patchwork-Career (vgl. GÁBOR JÁNSZKY 2009). Arbeitnehmer – sowohl Akademiker als auch Facharbeiter – werden in ihrer Berufskarriere zukünftig...

  • ...mehrere Berufe erlernen und ausüben,
  • ...ihr Wissen in den verschiedenen Berufen ständig erneuern und erweitern müssen,
  • ...in verschiedenen Firmen und Unternehmen tätig sein,
  • ...häufig zwischen abhängiger und selbstständiger Tätigkeit wechseln,
  • ...allein oder gemeinsam mit anderen unternehmerisch tätig sein,
  • ...immer wieder an Ausbildungen teilnehmen (Stichwort: Lebenslanges Lernen) und
  • ...zwischen den Tätigkeiten Phasen der Arbeitslosigkeit erleben.

Dieser kurze Überblick über die Wünsche und Befürchtungen von Jugendlichen heute und über Entwicklungstendenzen in Gesellschaft, Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt macht deutlich, dass der Fokus beruflicher Bildung um mittel- und langfristige Perspektiven im Interesse der Lebensbewältigung unserer Schülerinnen und Schüler zu erweitern ist. Die berufliche Bildung muss sich stärker an der Zukunft orientieren. Die Jugendlichen müssen lernen, nicht-nachhaltige Entwicklungen zu identifizieren und diese von nachhaltigen zu unterschieden. Sie müssen auch lernen – so wie sie es wünschen –  ihr Wissen und ihre Erkenntnisse aktiv in gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse einzubringen. Der Schlüssel für die erweiterten Perspektiven des Lernens an Berufsbildenden Schulen ist die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). 

3.2 Wirtschaftliche und gesellschaftliche Notwendigkeit von Schülerfirmen

Die meisten lokalen, regionalen und globalen Umwelt- und Sozialprobleme unserer Zeit sind Ergebnis des wirtschaftlich handelnden Menschen in der Industriegesellschaft, sei er nun Produzent oder Konsument. Die nachsorgende Umweltpolitik der vergangenen 30 Jahre, die versucht hat, über umweltrechtliche Regelungen und End-of-pipe-Technologien die ökologischen Probleme in den Griff zu bekommen, hat sich als Sackgasse erwiesen. Die Probleme sind weitgehend ungelöst, denn häufig sind sie nur verlagert worden. Dieser Ansatz erweist sich langfristig als nicht tragbar, da weder Ressourcen geschont noch Emissionen vermieden werden und zugleich die Kosten explodieren. Heute wird zunehmend versucht, eine vorsorgende, integrierte Umweltpolitik zu betreiben. Das muss auch für Betriebe gelten: Sie sind dazu angehalten, ihre Produkte und Produktionsprozesse permanent auf Verbesserungschancen im Sinne des Umweltschutzes zu überprüfen. Das gilt aber auch für die Konsumentinnen und Konsumenten, die ihre Lebensweisen und Kaufentscheidungen immer wieder vor dem Hintergrund ökologischer und sozialer Auswirkungen zu reflektieren haben. Eine solche Denkweise muss aber erst durch die bewusste Auseinandersetzung mit Fragen der Nachhaltigkeit entwickelt und von den Akteuren verinnerlicht werden.

Ein wichtiger Nebenaspekt ist sicherlich, dass sich ökologisch und sozial ausgerichtete Betriebe am Markt zunehmend als weniger krisenanfällig erweisen und tendenziell an Bedeutung gewinnen. So zeigt allein die Einrichtung und das große Interesse am FTSE-4Good-Europe-50-Index, der Firmen umfasst, die auf Einhaltung ökologischer, gesellschaftlicher und sozialer Standards achten, die zunehmende Relevanz von an Nachhaltigkeit orientierten Unternehmen (vgl. DM 2001).

4. Nachhaltige Schülerfirmen als primär pädagogisches Handlungsfeld

Die bisher aufgezeigten Problem- und Handlungsfelder machen deutlich, dass auch die Beruflichen Schulen ihre Inhalte und Methoden verändern bzw. erweitern müssen, um es den Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, den Anforderungen von morgen gewachsen zu sein. Wenn in der Schule gelernt werden soll, im Sinne der Nachhaltigkeit im Einklang mit der Natur zu leben und zu wirtschaften, allen Gruppen in der Gesellschaft heute und in Zukunft gleiche Entwicklungschancen zu eröffnen, Armut aus der Welt zu verbannen und allen Völkern dieser Welt gleiche wirtschaftliche Bedingungen zu schaffen und zudem noch beim Individuum persönliche und soziale Handlungskompetenz zu entwickeln, dann muss sich Schule grundsätzlich verändern. Das gilt sowohl für die Inhalte als auch für die Methoden.

Nachhaltige Schülerfirmen sind in dieser Schule der Zukunft nicht das Allheilmittel und keine pädagogische Wunderwaffe. Wir sind aber überzeugt, dass sie eine sehr sinnvolle pädagogische Methode darstellen, um notwendige neue Inhalte in den Beruflichen Schulen praxis- und handlungsorientiert zu gestalten. Sie sollten in allen beruflichen Schulformen ihren Platz finden.

Warum sind nachhaltige Schülerfirmen pädagogisch sinnvoll?

Sie holen ein Stück Wirklichkeit in die Schule. Hier agieren Schülerinnen und Schüler mit realen Produkten und Dienstleistungen am realen Markt und machen Umsatz und Gewinn. Unsere Erfahrung ist, dass dies einen unglaublichen Motivationsschub in der Schülerschaft bewirkt. Sie fühlen sich ernst genommen, sie können tatsächlich etwas bewegen, sie sind die Aktiven und nicht die Zuhörenden und sie stehen gleichberechtigt neben den Lehrerinnen und Lehrern. Der Chef ist nämlich in der Regel eine Schülerin oder ein Schüler, Lehrerinnen und Lehrer treten schnell in die Rolle der Moderatoren und Unterstützer zurück. Die Motivation ist so stark, dass in der Regel selbst in der Freizeit und in den Ferien bei Bedarf in den Schülerfirmen freiwillig gearbeitet wird.

Die Lehrkraft ist nicht mehr primär diejenige, die einfache Verhaltensregeln wie regelmäßige Anwesenheit und Pünktlichkeit anmahnen muss. Die Schüler merken sehr schnell, dass Aufträge nur pünktlich zur Zufriedenheit der Kunden erledigt werden können, wenn alle verlässlich mitziehen. Schülerinnen und Schüler motivieren sich gegenseitig zur verantwortungsvollen Arbeit, Abmahnungen werden vom Schülerchef auf dessen Initiative geschrieben, nicht von der Lehrkraft.

Die regelmäßige Arbeit in den Schülerfirmen wirft immer wieder Fragen zu den betriebswirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Handlungsbereichen auf, die einer Klärung bedürfen. Die Fragen kommen aber aus der Schülerschaft und werden von ihr mit Assistenz der Lehrkraft geklärt. Das ist wirklichkeitsnah und schafft eine ganz andere Motivationslage. Endlich müssen nicht mehr die Fragen des Lehrenden mechanisch abgearbeitet werden, die in der konkreten Lebens- und Unterrichtssituation die Schülerinnen und Schüler wahrscheinlich ohnehin nicht interessieren.

Der Alltag in der Schülerfirma verlangt zusammen zu arbeiten, miteinander zu reden, aufkommende Konflikte zu schlichten, Entscheidungen zu treffen und vieles mehr. Das Einüben von Kompetenzen kann als parallel dazu verlaufender Prozess betrachtet werden.

Wer in einer Schülerfirma immer wieder unternehmerische Entscheidungen getroffen und den Alltag in einer Firma erlebt hat – und das erfolgreich –, der verliert die Angst vor Selbstständigkeit. So kann die Grundlage für Unternehmergeist geschaffen werden und die Selbstständigkeit sich zu einer Berufsperspektive entwickeln.

Wir empfehlen allen nachhaltigen Schülerfirmen reale Partnerunternehmen, möglichst aus der gleichen Branche, vor Ort zu gewinnen. Das ermöglicht die Öffnung der Schule nach außen, holt noch mehr Wirklichkeit und Erste-Hand-Informationen in den Unterricht und trägt so zusätzlich zur Motivation bei.

Wie lassen sich nachhaltige Schülerfirmen in den Unterricht integrieren?

Die bisherigen Ausführungen machen sicherlich deutlich, das Schülerfirmen zuerst eine pädagogische Einrichtung sind, in der mit einem neuen methodischen Ansatz neue Inhalte gelernt werden können. Das Lernen steht im Mittelpunkt, nicht das Geldverdienen. Schülerfirmen sind nicht der Ansatz, den Schuletat aufzubessern. Die Alternative heißt nicht Learning or Earning, sondern der Ansatz heißt Learning based on a bit of earning. Wenn Schülerfirmen das Geldverdienen in den Mittelpunkt ihres Unterrichts stellen würden, dann könnten sie sehr schnell an die wettbewerbsrechtlichen Grenzen ihres Tuns stoßen.  Produzieren in der Schule und die Spielregeln des Wettbewerbs in der Sozialen Marktwirtschaft vertragen sich prinzipiell nicht. Die Kostenstruktur bei der schulischen Produktion (Löhne, Sozialabgaben, Raum- und Gerätekosten, etc.) führt z. B. schnell zum unlauteren Wettbewerb und kann zu Abmahnungen durch Mitbewerber am Markt führen. Es ist also wichtig, durch eine offensive Informationspolitik den pädagogischen Charakter der Schülerfirmen in den Mittelpunkt der Darstellung zu rücken und den direkten Kontakt mit einem Bemühen um Transparenz zu den Mitbewerbern zu suchen. Noch besser ist es natürlich, wenn möglichst viele Mitbewerber Partnerunternehmen der Schülerfirma sind. Außerdem ist der regelmäßige Kontakt zur Industrie- und Handelskammer bzw. zur Handwerkskammer vor Ort zu pflegen, um auch hier mögliche Unstimmigkeiten im Keim zu ersticken.

Zur Unterstützung des pädagogischen Charakters sollten die Schülerfirmen freiwillig mit ihren Umsätzen und Gewinnen unterhalb der steuerlichen Geringfügigkeitsgrenzen bleiben, deren aktuelle Sätze beim lokalen Finanzamt erfragt werden können. Dieses Vorgehen vereinfacht auch die Buchführung in der Schülerfirma, weil dann nur eine einfache Buchführung notwendig ist. Diese bleibt aber ein Muss, weil auch die Geringfügigkeit eines Nachweises bedarf.

In der Praxis hat sich bisher gezeigt, dass die Schülerfirmen meistens im Rahmen des Fachunterrichtes (z. B. in geeigneten Lernfeldern) betrieben werden. Häufig geschieht es auch in Kombination, was dann auch die Zusammenarbeit mehrerer Kolleginnen und Kollegen möglich macht. Je nach Tätigkeitsfeld der Schülerfirma bietet sich auch die Kombination mehrerer Fächer an. Aus den möglichen Kooperationen ergeben sich für die Schülerinnen und Schüler dann auch mehr Wochenstunden in den Schülerfirmen. Aus lern- und produktionstechnischen Überlegungen sollten es mindestens 3 – 5 Wochenstunden sein. Grundlegende Lernprozesse können auch in den begleitenden Fachunterricht ausgelagert werden. So können z. B. formale Briefe wie Angebote schreiben oder einholen im Deutschunterricht erarbeitet und Prozentrechnung an Beispielen aus der Schülerfirma im Mathematikunterricht geübt werden.

Nachhaltige Schülerfirmen sollten an den Schulen dauerhaft betrieben werden. Um eine Kontinuität zu schaffen, hat es sich als günstig erwiesen, wenn mindestens zwei Schülerjahrgänge in die Schülerfirma einbezogen sind. Außerdem erhöht das den Realitätsbezug. Gesammelte Erfahrungen können miteinander geteilt werden und ermöglichen einen kontinuierlicheren Betriebsablauf. Mit Hilfe von Stellenbeschreibungen müssen in Ausschreibungen neue Mitarbeiter gewonnen und eingearbeitet werden und betriebsinterne „Karrieremöglichkeiten“ eröffnet werden.

4.1 Rechtliche Absicherung von Schülerfirmen

Schülerfirmen müssen natürlich auch als schulische Veranstaltungen rechtlich abgesichert sein. Es empfiehlt sich, zwischen der Schülerfirma und der jeweiligen Schulleitung den Status der Schülerfirma und die unterrichtlichen und sächlichen Rahmenbedingungen vertraglich zu regeln. Dabei ist auch zu klären, inwieweit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schülerfirmen in ihren betrieblichen Aktivitäten durch den Gemeindeunfallverband abgesichert sind. Eventuell sind mit dem Schulträger Fragen der Nutzung von Räumlichkeiten und Ausstattung der Schule durch die Schülerfirma zu klären.

Eine Schülerfirma muss sich, genau wie jedes andere Unternehmen, im sinnvollen Umfang gegen die Risiken des geschäftlichen Handelns versichern. Eine Produkthaftungsabsicherung erscheint in fast allen Fällen sinnvoll. Vielleicht ist aber auch wie in Niedersachsen eine Absicherung der Risiken über den kommunalen Schadensausgleich möglich. Was sonst noch notwendig ist, hängt stark von den Produkten und Dienstleistungen der jeweiligen Firmen ab und sollte mit Versicherungen und evtl. kommunalen Einrichtungen zur Wirtschaftsförderung und zur Förderung von Existenzgründungen sowie den Kammern geklärt werden. Die sich ergebenden Kontakte sind wichtige Erfahrungen für die Schülerinnen und Schüler. Bei den notwendigen Versicherungen sollte nicht gespart werden. Schülerfirmen erzielen nicht nur Einnahmen, sondern sie verursachen auch Kosten. Das ist eine wichtige Erfahrung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wichtig ist nur, dass die Firma am Ende einen Gewinn erzielt.

Wenn man die Schülerfirmen rechtlich nicht als unterrichtliche Veranstaltungen organisieren möchte, gibt es auch noch andere Möglichkeiten. So können sie in einen Verein, z. B. einen Schulverein, integriert, einem Wirtschaftsunternehmen vor Ort angegliedert oder sogar mit einer geeigneten Rechtsform als eigenständiges Unternehmen angemeldet werden (vgl. FINKE 2000). Was die beste Lösung ist, hängt stark von der konkret geplanten Schülerfirma und der Situation in der jeweiligen Schule ab.

Häufig erscheint es sinnvoll, der Schülerfirma auch eine Rechtsform pro Forma zu geben, auch wenn sie als unterrichtliche Veranstaltung organisiert ist. Die Formen der AG oder der Genossenschaft werden dabei am häufigsten gewählt. Schülerinnen und Schüler können sich dann in realistischen Situationen mit den Vor- und Nachteilen der Rechtsformen auseinandersetzen, sie lernen die Arbeit in Gremien und Versammlungen kennen, Startkapital kann aus der Schüler-, Lehrer- und Elternschaft sowie der schulexternen Öffentlichkeit gewonnen werden und das Wissen der Aktionäre bzw. Genossen (kompetente Eltern und Vertreter der regionalen Wirtschaft) kann genutzt werden. Auch hier eröffnet sich wieder eine Chance zur Öffnung von Schule.

4.2 Betriebswirtschaftliche Handlungsfelder in nachhaltigen Schülerfirmen

Natürlich muss auch die Schülerfirma zunächst gegründet werden. Eine Produktidee ist zu entwickeln, die Marktchancen sind zu erkunden, eine Werbestrategie muss festgelegt werden, Räumlichkeiten sind zu finden, eine Rechtsform ist zu wählen, ein Geschäftsplan auf Grundlage einer an Nachhaltigkeit orientierten Unternehmensleitlinie sollte erstellt werden, der Kontakt zu den Behörden muss gesucht werden, geeignete Partner sind zu gewinnen, der Finanzbedarf ist zu ermitteln und zu decken und, und, und.

Dann muss der Unternehmung eine Organisationsstruktur gegeben werden. Welche Abteilungen sind notwendig? Wie sehen die Informations- und Entscheidungsabläufe aus, wer hat welche Kompetenzen? Welche Aufgaben sind von den Abteilungen wie zu erfüllen? Welcher Personalbedarf ergibt sich? Wie sehen die Stellenbeschreibungen der einzelnen Mitarbeiter aus? Wie können die Mitarbeiter für ihre Funktionen qualifiziert werden? Kann Lohn gezahlt werden, und wenn ja, in welcher Höhe? Sind Sozialabgaben zu zahlen? Welche sächliche Ausstattung ist in den Abteilungen notwendig? Diese Liste von zu klärenden Fragen ist nicht vollständig, sie macht aber deutlich, was alles geklärt werden muss und damit auch gelernt werden kann. Die Antworten können dabei nicht allein vom Lehrer kommen, denn er muss häufig mitlernen. Es kann aber gelernt werden, wie man sich Informationen beschafft: aus Büchern, aber auch aus Gesprächen mit kompetenten Partnern.

Wenn der „Laden“ dann erst einmal läuft, muss die Abwicklung der Aufträge organisiert werden, Materialien müssen beschafft, gelagert und verarbeitet werden, der Vertrieb der erstellten Produkte ist zu sichern. Rechnungen müssen bezahlt und Einnahmen eingefordert werden. Konten sind zu führen. Die Buchführung muss stimmen. Neue Aufträge müssen hereingeholt werden. Die Mitarbeiter sind weiter zu qualifizieren, neue Mitarbeiter müssen gewonnen und eingearbeitet werden. Investitionen sind zu planen, zu finanzieren und durchzuführen. Neue Produkte oder Dienstleistungen sind zu entwickeln. Dabei ist der betriebswirtschaftliche Erfolg der Firma zu sichern, daher sollte ein Controlling-System eingerichtet werden. Ein Jahresabschlussbericht ist zu erstellen, um die Gesellschafter und Geldgeber über den Erfolg informieren zu können. Die Arbeit und die damit verbundenen Lernprozesse hören nicht auf. Es wird aber auch deutlich, dass man die Anzahl der angenommenen Aufträge sinnvoll begrenzen muss, um das Bearbeiten und damit das Lernen angemessen organisieren zu können.

4.3 Gesellschaftliche und soziale Aspekte von Schülerfirmen

In den Schülerfirmen können natürlich auch gesellschaftliche Probleme und Lösungsansätze bearbeitet werden. Dabei ist es von großem Vorteil, dass nicht nur theoretisch über diese Probleme gesprochen wird, sondern dass sie zum Teil erlebbar werden. Die folgenden Beispiele machen deutlich, dass sehr viele gesellschaftliche Diskussionspunkte in nachhaltigen Schülerfirmen problematisiert werden können.

So lassen sich z. B. praktische Erfahrungen zu den Rollen der Geschlechter in unserer Arbeitswelt – hier in der betrieblichen Wirklichkeit der Schülerfirmen – sammeln. Diese Erfahrungen können bewusst gemacht und reflektiert werden und in neue Konzepte der Gleichbehandlung der Geschlechter münden. Es können so aber auch andere Bereiche der Benachteiligung wie z. B. die von ausländischen Mitarbeitern aufgearbeitet werden.

Ein anderes Beispiel wäre die Einbeziehung der Eine-Welt-Problematik in das Denken und Handeln der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Schülerfirmen. So gibt es Schülerfirmen, die mit Produkten aus Entwicklungsregionen dieser Welt handeln und so direkte Kontakte zu dortigen Menschen aufbauen. Das geschieht auch in Kooperation mit Eine-Welt-Läden. Andere Firmen geben ihre Gewinne in Projekte. So beteiligt sich z. B. eine Schülerfirma in Niedersachsen am Wiederaufforstungsprogramm des Regenwaldes auf einem Schulgelände in Ghana. Das Interesse der Schüler am Thema Regenwaldvernichtung und –nutzung entsteht so wie von selbst.

Schule hat die Aufgabe, ihren Schülerinnen und Schülern für das spätere private und berufliche Leben notwendige soziale Kompetenzen praxisnah zu vermitteln. Auch hier bieten nachhaltige Schülerfirmen ideale Voraussetzungen. Learning by doing steht hier im Mittelpunkt, nicht der „pädagogische Zeigefinger“. Die Mitarbeiter der Schülerfirmen lernen aus der Notwendigkeit der betrieblichen Situation miteinander und voneinander. So ergibt sich das Einüben von auf Gemeinschaft ausgerichtete Kompetenzen wie Dialogfähigkeit, Werteorientierung (natürlich am Schlüsselbegriff Nachhaltigkeit), Konfliktlösefähigkeit, Teamfähigkeit, Gemeinsinnorientierung und Partizipationsfähigkeit wie von selbst.

Wird in der Schülerfirma fair miteinander umgegangen, dann werden auch die individuellen Tugenden und Fähigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie z. B. Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Selbstreflexionsfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit und Umgang mit Vielfalt gestärkt.

All diese Kompetenzen stärken nicht nur den Menschen in seinem späteren Berufsleben, sondern eröffnen ihm auch Möglichkeiten, sich stärker und aktiver in Entscheidungsprozesse einer demokratisch strukturierten Gesellschaft vielleicht im Rahmen eines lokalen Agendaprozesses einzubringen. Die Förderung von Unternehmergeist oder Entrepreneurship dient nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der demokratischen Gesellschaft.

4.4 Die ökologische Dimension nachhaltiger Schülerfirmen

Diese Dimension lässt sich vielleicht am einfachsten verdeutlichen, wenn man einmal einen Baum als ein Produkt begreift, das von der Firma Natur erstellt wird. Wenn dann eine Produktanalyse durchgeführt wird, wird deutlich, dass der Baum ausschließlich aus heimischen nachwachsenden Rohstoffen (Humus etc.) ohne große Transportwege hergestellt wird. Dabei wird der Verbrauch der Rohstoffe optimiert. Wo der Baum großen Belastungen ausgesetzt ist (Astgabelungen), verdickt sich der Stamm und die Holzdichte wird größer. Ansonsten wird beim schlanken Stamm Material gespart. Die Produktion erfolgt ausschließlich mit erneuerbaren Energien (Nutzung der Sonnenenergie durch Photosynthese). Das Produkt und sein Produktionsverfahren sind absolut schadstofffrei. Das Produkt ist langlebig. Die abfallenden Blätter und später auch der tote Stamm mit seinen Ästen lassen sich wieder voll in den biologischen Kreislauf integrieren. Es entstehen keine Abfälle und auch keine Transportwege. Mutter Natur betreibt also die ideale Firma bezüglich Material- und Energieeinsparung, Nutzung nachwachsender Rohstoffe und erneuerbarer Energien, Emissionsschutz und Abfallvermeidung.

Dieses Ideal werden Schülerfirmen wohl nie erreichen können. Aber die Produkt- und Produktionsprinzipien der Firma Natur können von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erkannt und Richtschnur für das eigene Handeln werden. Schülerfirmen müssen ihre Produkte und ihre Produktionsverfahren ständig verbessern und weiterentwickeln. Optimale Annäherung wird das Thema sein, nicht die Kopie. Das gilt sowohl für Firmen, die Bioprodukte verkaufen oder auch für solche, die Computerrecycling betreiben. Alle müssen sich in Richtung Firma Natur bewegen. Auch hier kann handlungsorientiert viel in konkreten Zusammenhängen gelernt werden. Die Erkenntnisse sind nicht nur für die späteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Betrieb wichtig, sondern auch für die späteren Konsumentinnen und Konsumenten.

5. Fazit

Schülerfirmen sind primär pädagogische Projekte und als solche ein Ort des wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Lernens. Sie sollten in all diesen Dimensionen sich selbst ständig reflektieren und Schritt für Schritt weiterentwickeln. Das muss natürlich organisiert werden, ohne die Produktion oder die Ausführung von Dienstleistungen zu beeinträchtigen. Unserer Ansicht nach kann das nur in einem sehr vereinfachten Verfahren in Anlehnung an ein Nachhaltigkeitsaudit geschehen, in dem jeder Schülerjahrgang eine Verbesserungsmöglichkeit jeweils in der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder sozialen und in der ökologischen Dimension erschließt und umsetzt. Es kommt zuallererst darauf an, zu lernen, in vernetzten Systemen zu denken und Zusammenhänge und Querverbindungen zu erkennen.

Literatur

BERTELSMANN-STIFTUNG (2009): Jugend und die Zukunft der Welt. Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage in Deutschland und Österreich „Jugend und Nachhaltigkeit“. Gütersloh, Wien. Online: http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_29232_29233_2.pdf  (31-05-2011).

DASECKE, R. (o.J.): Nachhaltige Schülerfirmen. In: REICH, K. (o.J.): Unterrichtsmethoden im konstruktiven und systemischen Methodenpool. Online: http://methodenpool.uni-koeln.de/  (31-05-2011).

DM (2001). Die Deutsche Mark – Die Zeitschrift mit dem Warentest, Ausgabe August 2001.

FINKE, A. (2000): Rechtliche Absicherung von Schülerfirmen. In: SchulVerwaltung Neue Länder (MO), Ausgabe 6/2000.

GÁBOR JÁNSZKY, S. (2009): 2020 - So leben wir in Zukunft. Wien.

KREIBICH, R. (1996): Nachhaltige Entwicklung. Leitbild für die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft. Weinheim/ Basel.


Zitieren dieses Beitrages

DASECKE, R. (2011): Nachhaltige Schülerfirmen in der beruflichen Bildung: Wirtschaften in ökologischer, gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 08, hrsg. v. FISCHER, A./ MERTINEIT, K.-D./ STEENBLOCK, W., 1-11, Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws08/dasecke_ws08-ht2011.pdf (26-09-2011).



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