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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

WS08 - Schulentwicklung
Herausgeber: Andreas Fischer, Klaus-Dieter Mertineit & Wilfried Steenblock


Titel:
Nachhaltiges Schulnetzwerk: BBS futur


Visionen über Berufsbildende Schulen der Zukunft

Beitrag von Peggy PFINGSTEN (Niedersächsisches Kultusministerium)

Abstract

Das Land Niedersachsen hat größtes Interesse daran, dass die Zukunftschancen der kommenden Generationen nachhaltig gesichert werden. Umdenken und Verhaltensänderungen sollen initiiert werden. Bildung spielt dabei eine Schlüsselrolle. Der immer noch schwer fassbare Begriff der Nachhaltigen Bildung ist anhand konkreter Beispiele mit Leben zu füllen. Nachhaltige Entwicklung soll die kreativen Potentiale des Einzelnen fördern, seine Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit und seine Problemlöse- und Handlungsfähigkeit entwickeln. Kurz gefasst: Die jungen Menschen sollen sich Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Vernunft bewusst werden und diese annehmen. Wir alle wissen: Bildung prägt die Persönlichkeit und stiftet Selbstvertrauen. Bildung entscheidet über Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung. Daher sollen Niedersächsische berufsbildende Schulen im Sinne qualitätsorientierter lernender Organisationen im Rahmen ihrer Eigenverantwortung die Möglichkeit erhalten, sich zu nachhaltig wirkenden Bildungsstätten in ihren Regionen weiterzuentwickeln. „Ich weiß freilich nicht, ob es besser werden wird, wenn es anders wird, ich weiß aber, dass es anders werden muss, wenn es besser werden soll." Dieser Aphorismus des Göttinger Gelehrten Georg Christoph Lichtenberg stand als Motto über dem Schulversuch ProReKo und gilt auch für die Zukunftsperspektiven der beruflichen Bildung.

1 Regionales Kompetenzzentrum

Wenn aus einer klassischen berufsbildenden Schule ein Regionales Kompetenzzentrum (ReKo) wird, dann sind dazu an erster Stelle engagierte Menschen notwendig, um an einem gemeinsames Ziel zu arbeiten. Sie leisten einen aktiven Beitrag, um die Zukunft einer ganzen Region mit zu gestalten. Das Regionale Kompetenzzentrum ist also das Werk vieler Menschen. Diese Menschen tragen mit Ideenreichtum, Einsatzkraft und Wissen dafür Sorge, dass ihre Schule anerkannt wird - als Partner der Bevölkerung, den Institutionen und der Wirtschaft. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn sich die berufsbildende Schule grundlegend modernisiert. Sie muss stärker als bisher in die Lage versetzt werden, sich selbst weiterzuentwickeln. Hierzu bedarf  es großer Selbstständigkeit und Gestaltungsspielräume.

Niedersachsen hat sich seit dem 1. Januar 2011 mit dem Transferprozess ProReKo auf den Weg begeben. Alle berufsbildenden Schulen entwickeln sich zu Regionalen Kompetenzzentren. Die positiven Ergebnisse des Schulversuches ProReKo werden übertragen.

Das bedeutet zum Beispiel:

  • ein konsequentes Qualitätsmanagement
  • arbeitsmarktfähige Bildungsangebote
  • die volle Budgetverantwortung
  • die Selbstverantwortung des Personalmanagements
  • die Anpassung der Schulverfassung
  • die Steuerung nach Zielvorgaben

Die Übertragung der ProReKo - Ergebnisse hat aber direkten Einfluss auf die berufsbildende Schule und ihre pädagogische Führung. Die Schule wird dabei immer mehr zu einer Organisation, die sich kontinuierlich weiterentwickeln muss, um gegenwärtigen und zukünftigen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Dies bedeutet für das pädagogische Führungspersonal die Notwendigkeit, sich professionell als Motor und Moderator zu verstehen. Rolle und Funktion der Schulleitung wandeln sich. Die Schulleitung muss die Entwicklung der Schule hin zu einer sich selbst verwaltenden, lernenden Organisation initiieren und aktiv steuern. Zu den tradierten und vielfältigen Aufgabenfeldern kommen völlig neue hinzu.

2 Schulleitung oder das „Innovationsverhaltensprofil eines Initiators“

Zum Innovationsverhaltensprofil der Schulleitung gehören zukünftig folgende Aufgaben:

  • Sie führt die Schule aufgrund von Visionen.
  • Sie verbindet die Innovationen mit den Visionen.
  • Sie orientiert sich an den Lernbedürfnissen der Schülerinnen und Schüler.
  • Sie veranlasst Innovationen auch bei geringer Bereitschaft und starker Belastung des Kollegiums.
  • Sie stellt hohe Erwartungen an die Lehrkräfte.
  • Sie fordert Beiträge der Lehrkräfte in verbindlicher Weise ein.
  • Sie trifft Entscheidungen im Sinne langfristiger Ziele.

Eine alte chinesische Weisheit besagt: „Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“ Beides ist zukünftig nötig. Herkömmliches Lernen erreicht die Schülerinnen und Schüler nicht mehr so wie früher. Um die Schulen herum entstehen neue Bildungslandschaften. Dabei entstehen verschiedene Tätigkeitsfelder. Unter anderem sind Fragen zu klären, woran wir uns orientieren sollen oder welche Qualitäten wir in den jungen Menschen stärken wollen. Wir wissen, dass unsere Schülerinnen und Schüler in offene, dynamische, pluralistische und globalisierte Gesellschaften hineinwachsen. Während Internet und Chatroom heute bereits zum Alltag der Jugendlichen zählen, scheinen die traditionellen Sozialisationsinstanzen wie Familien, Schule, lebenslange Berufe und die damit verbundenen stabilen Wertesysteme in den Hintergrund zu treten. Metaphorisch ausgedrückt bedeutet dies, dass wir in der Tat Mauern brauchen, um in unseren Schulen Werthaltungen und Orientierung anzubieten. Wir brauchen aber auch Windmühlen, die unsere Schülerinnen und Schüler auf die offenen Systeme und die damit verbundenen Unsicherheiten vorbereiten.

Erforderlich ist die Förderung und Entwicklung fachlicher und überfachlicher Kompetenzen. Gemeint ist der Erwerb eines soliden Basiswissens, das Begreifen und Verstehen zentraler Begriffe, Strukturen und Prozesse. Gemeint sind die Entwicklung von Strategien des Denkens, des Problemlösens, des Darstellens und des Präsentierens sowie des Aufbaus von sozialer Verantwortlichkeit und Eigenständigkeit im Lernen.

Die Lehrkräfte wandeln sich vom Wissensvermittler zum Strategieanbieter, zum Berater, Begleiter und Moderator eines lebenslangen Lernprozesses. Psychologe, Sozialarbeiter, Entertainer, Krisenmanager – Lehrkräfte müssen viele Fähigkeiten und Qualitäten mitbringen. Um diese vielfältigen Anforderungen erfüllen zu können, dürfen sich Lehrkräfte nicht länger als Einzelkämpfer verstehen. Sie sind Mitglieder eines kompetenten Bildungsteams.

Diese qualitativ erstklassige Arbeit der Lehrkräfte muss auch in unserer Gesellschaft eine hohe Wertschätzung erfahren. Das zukünftige Haus der beruflichen Bildung funktioniert jedoch nicht ohne Schülerinnen und Schüler: „Wo komme ich her, wo will ich hin?“ Kein junger Mensch darf uns verloren gehen, lautet das Motto. Vor allem wird es wichtig sein, was jemand kann, nicht wo er oder sie es gelernt hat.

Wir sprechen von den Erfordernissen des „Lebenslangen Lernens“. Und das hat einen guten Grund, denn die Innovationszyklen in Wissenschaft und Wirtschaft verändern sich rasant.
Lebenslanges Lernen von der frühkindlichen Bildung über die Schulen und Hochschulen bis zur beruflichen Aus-, Fort- und Weiterbildung kann aber nicht allein die Zukunftsaufgabe der Politik sein. Es bedarf der gemeinschaftlichen Anstrengung aller Akteure. Übergänge zwischen den Bildungsbereichen müssen gestaltet werden und bedürfen einer engen Kooperation zwischen Bildungseinrichtungen, Trägern und Schulbehörden.

Im Sinne einer staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft wird das Land Niedersachsen die Initiativen zum Aufbau von regionalen Bildungslandschaften unterstützen. Es soll dazu beigetragen werden, dass die Jugendlichen in unserem Land durch kluge und wegweisende politische Entscheidungen zukunftssichere Berufsperspektiven erhalten. Es gilt, gangbare Wege aufzuzeigen, die zu einer qualifizierten Berufsausübung führen. Gleichzeitig müssen die Optionen zur Weiterqualifizierung und persönliche Entwicklungsmöglichkeiten bis hin zum Studium offen gehalten werden. Berufliche Perspektiven sind immens wichtig, um junge Menschen zum lebenslangen Lernen zu motivieren. Erst hierdurch wird eine sichere Basis auch für private Zukunftsplanungen geschaffen.

3 Der Wettbewerb um die „klugen Köpfe“ beginnt!

Bereits heute klagen viele Branchen über einen zunehmenden Fachkräftemangel. Die demografische Entwicklung wird diesen Mangel an qualifizierten Nachwuchskräften voraussichtlich verschärfen und sich damit auch auf die Suche nach „dem geeigneten“ Auszubildenden auswirken. Schon ab 2013 wird die Zahl der Schülerinnen und Schüler im berufsbildenden Bereich kontinuierlich sinken. Der Bedarf an Fachkräften wird weiter steigen. All diese Entwicklungen stellen neue Herausforderungen an die Nachwuchssicherung und Nachwuchsbindung. Kooperationsmodelle werden damit weiter zwingend notwendig, um ein angemessenes Bildungsangebot in der Fläche zu gewährleisten. Die Zusammenarbeit und Absprache zwischen den verschiedenen Schulträgern und Schulen wird von größter Bedeutung sein.

Wenn die immer wieder geäußerte Aussage „Auszubildende sind unsere Zukunft“ richtig ist – und wer wird dies verneinen? –, dann sind wir verpflichtet, unsere jungen Leute so „fit“ zu machen, dass sie die beruflichen Probleme der Zukunft annehmen und lösen lernen. Dazu gehört es, die Anforderungen der Zukunft zu antizipieren. Die Schülerinnen und Schüler müssen die Möglichkeit bekommen, wirtschaftliche, technische, soziale und ökologische Prozesse zu begreifen und das Zusammenwirken dieser scheinbar unterschiedlichen Systeme zu verstehen. Dabei führt das selbstständige Lernen und das Suchen nach der besten und kreativsten Lösung zu „Erfindergeist“ – eine Grundlage jeglicher Weiterentwicklung.

Das Land Niedersachsen schafft die Rahmenbedingungen dafür, dass sich berufsbildende Schulen zu Innovations- und Zukunftszentren entwickeln können. Von ihnen können Impulse für die regionale Wirtschaft ausgehen. Deswegen sind landesweit bereits 15 Innovations- und Zukunftszentren sowie neun Projektschulen eingerichtet worden.

4 Nachhaltige Projekte und zukünftige Herausforderungen

In diesen Kontext ist das Pilotprojekt „Systematische Integration des Themas Nachhaltigkeit in Unterricht und in Schulorganisation an Berufsbildenden Schulen“, kurz: bbs-futur“ einzuordnen. Das Land Niedersachsen schafft gemeinsam mit der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) die Rahmenbedingungen für eine Qualitätsinitiative für nachhaltige Entwicklung niedersächsischer Berufsschulen. Bei diesem Pilotprojekt geht es darum, „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ in den schulischen Alltag berufsbildender Schulen einzubinden. Erwartet werden konkrete Beiträge für die Unterrichts- und Schulentwicklung. Handlungsleitend ist generell die Maxime, heute nicht auf Kosten zukünftiger Generationen zu leben. Erwartet wird, dass das Pilotprojekt, wie auch andere gute Umsetzungsbeispiele, die in Niedersachsen zu finden sind, in unserer Bildungslandschaft wie „Leuchttürme“, also als Orientierungspunkte und Signalgeber wirken. In den nächsten Jahren stehen wir vor der Aufgabe, diese Beispiele flächendeckend zu verwirklichen.

Dabei sind gleichzeitig die anstehenden Herausforderungen und Entwicklungen der beruflichen Bildung zu beachten. So schafft die zunehmende Öffnung Europas neue Bildungs- und Berufschancen. Die Bedeutung erworbener Qualifikationen wächst; Kompetenzen werden immer wichtiger. Diese müssen problemlos in den unterschiedlichsten Bereichen und europäischen Ländern anerkannt werden. Der Wettbewerb um gut ausgebildete Fachkräfte beginnt zukünftig auch weltweit.

Wichtig ist zukünftig nicht mehr, in welcher Institution und wie lange jemand einen bestimmten Bildungsgang absolviert hat. Es geht nicht um Abschlüsse, sondern um  Kompetenzen, die erworben werden. Es geht darum, was jemand kann. Daher ist ein einheitliches Bezugssystem auf der Basis von kompetenzorientierten Lernergebnissen - also des Outputs - notwendig. Der Deutsche Qualifikationsrahmen gibt uns die Chance, Gemeinsamkeiten in der Ausbildung herauszustellen.

Bildung ist immer dann nachhaltig, wenn Lernende ihre Lernwege verändern oder verlassen können, um in einem anderen Bildungssektor darauf aufzubauen. Bildungswege müssen den Einzelnen voranbringen und dürfen nicht in Sackgassen enden. Zu jedem Abschluss muss es einen Anschluss geben. Transparenz und Durchlässigkeit werden in Zukunft immer wichtiger.

Das Duale System der beruflichen Bildung ist auch im europäischen Kontext ein System mit Zukunft. Erforderlich ist allerdings eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung dieses Systems. Dabei muss der steigende Bedarf an anspruchsvollen Qualifikationen besonders berücksichtigt werden. Wir brauchen nicht nur einen akademischen, sondern auch einen beruflichen "Königsweg" zu den Spitzenpositionen. Auch heute werden in Deutschland viele Berufspositionen, die in anderen Ländern mit akademisch Qualifizierten besetzt werden, erfolgreich von beruflich Qualifizierten wahrgenommen. Diese Entwicklung sollten wir ausbauen.

Der Landesregierung geht es insbesondere um die Steigerung von Bildungsqualität, die Erleichterung der Übergänge und die Sicherung von Abschlüssen. Hierbei sind alle Schülerinnen und Schüler in den Blick zu nehmen, um sie begabungsgerecht und individuell zu fördern und zu fordern. Mit Vernunft, Verantwortung und einem offenen Dialog werden wir auch zukünftig gemeinsam optimale Rahmenbedingungen für alle gestalten. Deswegen bedanke mich bei allen, die die bildungspolitischen Entwicklungen unseres Landes unterstützen.


Zitieren dieses Beitrages

PFINGSTEN, P. (2011): Visionen über Berufsbildende Schulen der Zukunft. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 08, hrsg. v. FISCHER, A./ MERTINEIT, K.-D./ STEENBLOCK, W., 1-5, Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws08/pfingsten_ws08-ht2011.pdf (26-09-2011).



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