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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

WS08 - Schulentwicklung
Herausgeber: Andreas Fischer, Klaus-Dieter Mertineit & Wilfried Steenblock


Titel:
Nachhaltiges Schulnetzwerk: BBS futur


Exemplarische Beiträge einer Schulentwicklung zur nachhaltigen Berufsbildung: Erfahrungen aus dem Projekt JADE

Beitrag von Wilfried STEENBLOCK (Berufsbildende Schulen Friedenstraße Wilhelmshaven)

Abstract

Vorgestellt werden Beiträge einer Schulentwicklung zur nachhaltigen Berufsbildung anhand von Erfahrungen aus dem Projekt JADE. Für das Projekt bbs-futur knüpft die BBS Friedenstraße Wilhelmshaven daran an und entwickelt Ansätze zu einer nachhaltigen Entwicklung von Bildungsgängen, der Unterrichts- sowie der Personalentwicklung. Konkret wird der Bildungsgang der Berufseinstiegsschule um eine Produktionsstätte ergänzt, in der die Schüler/innen ein ständiges schulintegriertes Praktikum absolvieren. Im Unterricht werden komplexe Arbeits- und Lernaufgaben angeboten. Im Rahmen der Personalentwicklung wird eine projektorientierte Fortbildung angeboten, die über die Bearbeitung beruflicher Standardsituationen hinausgeht und durch unterschiedliche Kooperationen ergänzt wird. Die konzeptionellen Ansätze lassen sich auf andere Bereiche übertragen.

1 Problemskizze

Die Berufsbildenden Schulen Friedenstraße in Wilhelmshaven bieten eine breite Palette beruflicher Bildungsangebote (BES, BFS, FOS, BG, FS) und sind geprägt von der wirtschaftlich schwachen Struktur der Region Wilhelmshaven Friesland. Die einst als Kriegshafen von Kaiser Wilhelm II gegründete Stadt hat in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wichtige Unternehmen des Feinwerk- und Maschinenbaus wie Olympia Schreibmaschinenwerk, Kuhlmann Zeichenmaschinen und Krupp Kranbau mit vielen Industriearbeitsplätzen verloren. Die Versuche große Chemieunternehmen für den Hafenstandort zu gewinnen, hatte im Hinblick auf die Generation von Arbeitsplätzen nur geringen Erfolg. Viele Hoffnungen werden jetzt in den Tiefwasserhafen für den Containerverkehr gesetzt, der mit dem neuen JadeWeserPort für wirtschaftlichen Aufschwung sorgen soll.

Der Mangel an Arbeitsplätzen steht auch in direktem Zusammenhang mit einem Mangel an Ausbildungsplätzen für ausbildungsbereite Jugendliche. Dadurch ist der mit fünfzig Prozent relativ hohe Anteil an Schüler/innen in Vollzeitschulformen zu erklären. Die Gesamtschülerzahl von z.Zt. 2300 wird demografisch bedingt in den nächsten Jahren aber um bis zu dreißig Prozent sinken. Daraus ergibt sich u.a. die Frage nach dem Bestand aller Bildungsgänge für die Schule. 

2 Leitbild der Schule

Vor dem Hintergrund dieser kurzen Problemskizze wird deutlich, wie wichtig die Formulierung eines Leitbildes für die Entwicklung der Schule im Kontext der regionalen Wirtschaftsstruktur ist. Das Kollegium der Schule hat sich deshalb für eine nachhaltige Entwicklungsstrategie entschieden, um zukünftigen Anforderungen gerecht werden zu können. So wurden vier Aspekte im Leitbild festgelegt:

  • Nachhaltige Entwicklung als verbindende Vision aller Fachbereiche
  • Heranführung junger Menschen an die Anforderungen der modernen Berufs- und Arbeitswelt
  • Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der lokalen Wirtschaft und ihrer Konkurrenzfähigkeit
  • Förderung einer nachhaltigen ökonomischen, ökologischen und sozialen Entwicklung in der Region

3 Beitrag der BBS Friedenstraße für das Projekt bbs-futur

Für das Projekt bbs-futur, in dem konzeptionelle Modelle für eine nachhaltige Ausrichtung von Berufsbildenden Schulen entwickeln werden, kann die exemplarische Darstellung des Weges der BBS Friedenstraße in folgenden Bereichen einen Beitrag leisten:

Nachhaltige Entwicklung…

  1. … in der Gestaltung von Bildungsgängen: Berufseinstiegsschule mit integrierter Produktionsrealität
  2. …in der Unterrichtsentwicklung: Unterrichtsmodell für BBNE
  3. …in der Personalentwicklung: projektorientierte Fortbildung und Herbstakademie

3.1 Entwicklung von Bildungsgängen

Etwa zehn Prozent der Schüler/innen an den BBS Friedenstraße, d.h. ca. 230 Schüler/innen pro Jahr, verfügen nicht über die notwendige Ausbildungsreife und versuchen diese in den Schulformen der Berufseinstiegsschule zu erwerben. Der Mangel in der Ausbildungsreife zeigt sich häufig in einer schwach ausgeprägten Kompetenz in den Kulturtechniken Rechnen, Schreiben und Lesen, aber auch in einem Mangel in den geforderten Sozialkompetenzen. Die häufig aus bildungsfernen Familien stammenden Jugendlichen sind mit üblichen schulischen Methoden kaum zu motivieren. Bildungsziele sind für sie nicht relevant, Bildung als Grundlage einer Erwerbstätigkeit oder Gesellschaftsfähigkeit stellt für sie keine ausreichende Motivation dar. Dennoch möchten sie ihre Bedürfnisse, z.B. nach gesellschaftlicher Wertschätzung befriedigt sehen. Aus diesen Forderungen ergeben sich Bedingungen für die Gestaltung eines zielgruppengerechten Bildungsganges, denn die Qualität einer nachhaltigen Schulentwicklung zeigt sich auch an den Partizipationsmöglichkeiten sozialer Randgruppen.

Die Berufseinstiegsschule der BBS Friedenstraße wurde durch eine Produktionsstätte so ergänzt, dass die Schüler/innen dort ein ständiges schulintegriertes Praktikum in einem realistischen Betrieb machen können. Die sogenannte schulintegrierte Produktionsschule wird vom Bildungswerk der niedersächsischen Wirtschaft BNW betrieben und bildet gemeinsam mit der BBS das „duale System“ der Berufsausbildung ab. In der Berufseinstiegsschule arbeiten Schüler/innen gemeinsam mit den Lehrkräften produktionsorientiert in Theorie und Fachpraxis. In der Produktionsstätte produzieren die Schüler/innen marktgängige Waren unter der Anleitung von Fachkräften des Betriebes. Neben der reinen Unterrichtsversorgung wird dabei durch das Zusatzangebot in der Produktionsstätte die Erziehung zur realen Arbeitswoche von ca. 40 Stunden organisiert.

Dem Unterricht kommt die Aufgabe zu, reale Produktionsprozesse vorzubereiten und zu reflektieren sowie produktionsrelevante Kenntnisse und Fertigkeiten zu entwickeln. Neben den fachspezifischen Kompetenzen werden dabei auch Defizite in den Kulturtechniken bearbeitet, weil sie unabdingbare Elemente beruflichen Handelns darstellen.

Im Produktionsprozess können die Schüler/innen notwendige Arbeitstugenden einüben sowie die sach- und fachgerechte Ausführung übertragener Aufgaben umsetzen. Eine kleine monetäre Belohnung verbessert dabei die Motivationslage und unterstützt den Realitätsbezug durch Leistungsorientierung. Eine bedeutende Erfahrung ist dabei das Erkennen und Gestalten von Handlungsfreiheiten in fremdbestimmten Arbeitsverhältnissen.

Als besonders wichtig hat sich die enge Verzahnung der beiden Lernorte herauskristallisiert. Durch die räumliche Nähe des gemeinsamen Daches und der akteursgebundenen Verbindung der „Berufserzieher“ sind pädagogische Abstimmungsprozesse in der geforderten Dynamik möglich und die Gestaltung des pädagogischen Schonraumes kann lernwirksam ausgerichtet werden.

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Abb. 1: Darstellung des dualen Konzeptes der Berufseinstiegsschule mit integrierter Produktionsrealität (eigene Darstellung)

Der Bau realer Solaranlagen führt dabei zu einer Berufserziehung zur nachhaltigen Technik und lässt die Schüler/innen eine öffentliche Wertschätzung durch „ihr Produkt“ erfahren. So entwickelten und bauten sie u.a. eine mobile solare Dusche für Großveranstaltungen auf einem PKW-Anhänger. Diese Dusche wurde z.B. auf einer Jugendfreizeit mit ca. 2500 Jugendlichen eingesetzt und von den „Produzenten“ betreut. Dabei empfingen die BBS-Schüler/innen durch die intensive Nutzung ihrer Entwicklung Aufmerksamkeit und Anerkennung ihrer Arbeit. Bei den Berufseinstiegsschüler/innen führt das zu einer Verbesserung ihres Selbstwertgefühls und damit auch zu einer Verbesserung ihrer Lernbereitschaft und ihrer Lernfähigkeit.

Das Projekt wird zurzeit im dritten Jahr betrieben. Eine hohe Zahl der Übergänge in duale Berufsausbildungsgänge demonstriert den Erfolg. 

3.2 Unterrichtsentwicklung für BBNE

Die Entwicklung und Förderung einer Kompetenz für nachhaltige Entwicklung kann nicht durch punktuelle Unterrichtssequenzen erreicht werden. Aus der modernen Lernforschung wissen wir, dass sich die neuronalen Netze keine Einzelfälle merken, sondern aus einer Vielzahl von Einzelfällen durch Abstraktion allgemeine, generalisierende Strukturen gebildet werden.

Das bedeutet für den Unterricht, dass zielführende Problemlösungsstrategien in komplexen Arbeits- und Lernaufgaben möglichst immer wieder nach dem gleichen Muster eingeübt werden müssen. Deshalb ist an den BBS Friedenstraße ein Unterrichtsmodell entwickelt worden, das zunächst beispielhaft auf einen Unterricht im Berufsfeld Elektrotechnik bezogen ist, aber z.Zt. auf die weiteren Fachbereiche der Schule übertragen wird.

Die Erziehung zur Förderung von Denkmustern für Nachhaltige Entwicklung setzt zunächst eine Aufgabenkritik und die Erarbeitung von Gestaltungsfreiheiten voraus. Der Entwurf eines didaktischen Konzepts von Thorsten HIPPE (vgl. HIPPE 2009) mit den Strukturschritten

  • Problematisierende Gegenwartsanalyse
  • Komparative Optionsanalyse und
  • Evaluative Entscheidungsanalyse,

das für die ökonomische und politische Bildung entwickelt wurde, kann diese Ausgangsforderungen eher erfüllen als das eingeführte Unterrichtskonzept der `Vollständigen Handlung`.

Im Bereich der gewerblichen Bildung hat die Ausführung einer Problemlösung mit der anschließenden kritischen Würdigung der Ergebnisse aber einen besonderen Stellenwert, der in dem didaktischen Konzept nach HIPPE jedoch nicht berücksichtigt wird. Im Folgenden wird ein beispielhafter Unterricht der Elektrotechnik vorgestellt, der in seiner Konzeption das Modell von HIPPE erweitert und geeignet scheint, den bildenden Charakter des Prozesses für nachhaltige Entwicklung zu fördern.

Betrachtet wird das Lernfeld 10 des Rahmenlehrplanes für Elektroniker/innen „Elektrische Anlagen der Haustechnik in Betrieb nehmen und in Stand halten“. Eine entsprechende Lernsituation und -aufgabe kann in Form eines Kund(inn)en-Auftrages formuliert werden: Ein Kunde bzw. eine Kundin möchte das Waschbecken in einer Garage mit einem elektrischen Warmwasserbereiter ausgestattet haben.

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Abb. 2: Schüler/innen der BBS-F integrieren Solarkomponenten in eine Heizungsanlage

Zunächst ist eine Analyse der Aufgabenstellung und Bausituation erforderlich, d. h. im Rahmen eines „Kund(inn)en-Gespräches“ ist die Bedürfnislage zu klären. Dabei spielen Nutzungshäufigkeit, geforderte Warmwassertemperatur und -menge eine Rolle. Hinsichtlich einer sinnvollen Installation ist die Lage der Garage zu den Versorgungsleitungen zu klären, sie kann z.B. freistehend oder in das Wohnhaus integriert sein. Für den Betrieb von Warmwasserzapfstellen ist nach entsprechenden technischen Vorschriften und Normen zu suchen und mit den Bedingungen der Installation in einer Garage abzugleichen.

Diese Unterrichtsphase kann als problemorientierte Sachanalyse bezeichnet werden. Sie soll den Lernenden in die Lage versetzen seine Ausgangsbedingungen zu klären und sich ggf. auch zusätzliches Fachwissen anzueignen. Wichtig ist dabei die ergebnisoffene und sachliche Analyse und Darstellung der Bedingungssituation.

Die integrative Berücksichtigung nachhaltiger Entwicklung in der Berufsbildung bedeutet für die Schüler/innen in dieser Unterrichtsphase vordringlich die Ermittlung von Handlungs- und Entscheidungsfreiheiten. Deshalb muss der Kund(inn)en-Auftrag hinterfragt werden. Will der Kunde bzw. die Kundin unbedingt eine elektrische Warmwasserbereitung oder möchte er/sie „warmes Wasser“ im Sinne einer Dienstleistung konsumieren. Mit der geeigneten Abklärung des Auftrages kann ggf. eine erhebliche Gestaltungsfreiheit erarbeitet werden. Im vorliegenden Fall kann warmes Wasser z. B. elektrisch, gasbetrieben oder solar bereitet werden. Technisch kann es ein Boiler, Speicher oder Durchlaufsystem sein. All diese Alternativen führen zu unterschiedlichen Handlungs- und Nutzungsfolgen und fördern Gestaltungskompetenzen der Schüler/innen. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um unmittelbare Entscheidungen wie z. B. Systemlösungen im vorliegenden Fall oder um Material- bzw. Werkzeugauswahl handelt. Selbst bei mittelbaren Entscheidungen zur Gestaltung des Arbeitsplatzes über die betriebliche Mitbestimmung handelt es sich um Handlungs- und Entscheidungsfreiheiten. Wichtig ist in dieser Phase die grundsätzliche Analyse der Freiheitsgrade, um den Schüler/innen die Gestaltungsmöglichkeiten ihrer Berufstätigkeit deutlich zu machen.

Nach Klärung der Ausgangssituation sind die für den Unterricht sinnvollen Alternativlösungen zu bestimmen und im Hinblick auf eine vergleichende Analyse so weit durchzuplanen, dass entscheidungsreife Vergleichsdaten herausgearbeitet werden. Diese Unterrichtsphase wird als komparative Optionsanalyse bezeichnet.

Um den exemplarischen Charakter herauszustellen, bietet sich für die o. g. Lernsituation der Vergleich der elektrischen, gasbetriebenen und solaren Warmwasserbereitung an.

Um die Handlungsoptionen in ihren Konsequenzen vergleichen zu können, ist eine vollständige Projektierung der Aufgabe erforderlich. Im Unterricht für Elektroniker ist die Projektierung von nichtelektrischen Lösungen, die eher dem Beruf des Anlagenmechanikers SHK zugeordnet werden können zwar ein Problem, die Lehrkraft kann aber je nach curricularer Zielstellung durch aufbereitete Materialien den Unterricht fachlich entsprechend steuern. Durch geeignete didaktische Reduktion lassen sich wesentliche Aussagen auch aus berufsfremden Gebieten in den Unterricht einbringen. Im Hinblick auf die Entwicklung von Systemkompetenzen ist die Bearbeitung berufsübergreifender Fachtheorie von Bedeutung.

Da die nachhaltige Entwicklung durch die Trias

  • ökonomische,
  • ökologische und
  • soziale Entwicklung

beschrieben wird, können aus diesen Leitlinien die Bewertungsmaßstäbe für Alternativlösungen abgeleitet werden.

Es bildet sich also zur Unterrichtsorganisation eine Matrix aus den Handlungsalternativen in den Spalten (Optionen) und den Bewertungsmaßstäben in den Zeilen (Entwicklungen).

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Abb. 3: Übersicht zum didaktischen Konzept einer beruflichen Bildung für nachhaltige Entwicklung (eigene Darstellung)

Für den ökonomischen Vergleich eignet sich die Ermittlung der kalkulatorischen Kosten der Anlage pro entnommene Wassermenge oder pro Zeiteinheit. Die Schüler/innen haben erfahrungsgemäß ein recht sicheres Gefühl für die ökonomische Orientierung und bestätigen durch eine rechnerische Überprüfung häufig ihre Grundannahmen. Die Qualität der Aussage steht und fällt jedoch mit der sorgfältigen Projektierung der Anlage. Deshalb trägt dieses Verfahren in erheblichem Maße zur Ausbildung der Fachkompetenz bei.

Für eine ökologische Bewertung kann der spezifische CO2-Ausstoß oder der eingesetzte Primärenergiebedarf pro Warmwassermenge herangezogen werden. Bei dem vorliegenden Beispiel ist dafür die jeweilige Energieumwandlungskette bzw. die Energiebereitstellungstechnik zu analysieren. Je nach pädagogischer Intention können hierbei durch aufbereitete Materialien unterschiedliche Schwerpunkte im Unterricht gesetzt werden. Deutlich muss in dieser Phase aber die Umweltbelastung bei dem Aufbau und bei dem  Betrieb der Anlage werden. Allein schon durch die Projektion der Umweltbelastungen über eine kalkulierte Abschreibungszeit von z. B. 20 Jahren wird den Schüler/innen die Verantwortung ihres Handelns deutlich. Wage Vorstellungen von umweltfreundlichen Lösungen werden dadurch einer konkreten Betrachtung zugeführt und die Bewertung erfolgt auf einer rationalen Basis.

Die soziale Folgenabschätzung ist eine recht schwierige Aufgabenstellung, bietet aber die Chance, Fachunterricht und politischen Unterricht zu verbinden. Die verantwortliche Lehrkraft muss hierbei entsprechend der curricularen Vorgaben mit vorbereiteten Unterrichtsmaterialien unterstützend und steuernd eingreifen.

Für die hier beschriebene Aufgabenstellung bietet sich z. B. die Entwicklung auf dem heimischen Arbeitsmarkt an, wenn der Einsatz fossiler Energie durch solare Energie substituiert wird. Da der Einsatz von Sonnenkollektoren durch die Verwendung vergegenständlichter menschlicher Arbeit die Nutzung der freien Ressource Sonne ermöglicht, werden Geldexporte für ausländisches Gas oder für Steinkohle bei der Stromproduktion durch zusätzliche Arbeitsplätze im Inland ersetzt. Im Hinblick auf die Darstellung globaler Veränderungen kann auch die Bedrohung der Überschwemmung ganzer Landstriche bei einer Erhöhung des Meeresspiegels durch den Treibhauseffekt Gegenstand des Unterrichts sein.

Das Instrument der komparativen Optionsanalyse bietet also in hervorragender Weise die Möglichkeit Entscheidungsfolgeabschätzungen zu üben. Werden auf diese Weise allgemein- und fachbildende Inhalte erschlossen, führt der Unterricht zur intendierten Gestaltungskompetenz bei den Schüler/innen.

In der Unterrichtsphase der evaluativen Entscheidungsanalyse steht zunächst die Abwägung der Ergebnisse der optionalen Planung im Fokus. Im Rahmen der Sachanalyse wurden bestimmte Bedingungen der Problemlösung oder des Auftrags geklärt und beschrieben. Sie dienen jetzt u. a. als Orientierungspunkte für die Entscheidungsfindung. Die optionalen Planungen führen zu unterschiedlichen individuellen und gesellschaftlichen Konsequenzen. In dieser Phase ist die Herausarbeitung der entscheidungsbestimmenden Faktoren ein wichtiger Beitrag zum Bildungsprozess. Die Schüler/innen erleben, wie gesellschaftliche Entscheidungen durch die Setzung von Rahmenbedingungen determiniert werden. Im vorliegenden Fall kann gezeigt werden, wie der Energiepreis und die öffentliche Förderung z. B. von Solarenergie einen Einfluss auf die Entscheidung haben. In anderen Fällen kann z. B. die Entwicklung des Materialpreises oder die Personalkosten die Entscheidung determinieren. Wenn die Schüler/innen sich für eine der Optionen begründet entscheiden müssen, durchleben sie den Prozess der kognitiven Dissonanz, der sich lernwirksam auswirkt.

In der reflexiven Ausführungsanalyse wird die Lösungsalternative ausgeführt oder präsentiert. Im Hinblick auf die Erziehung zu einem Qualitätsbewusstsein ist die Bewertung der Ausführungsqualität nach vorher bestimmten Kriterien notwendig. Für die Erziehung zur nachhaltigen Entwicklung ist die Reflexion des Entscheidungsprozesses von besonderer Bedeutung. Hier kann die Darstellung des Spannungsfeldes von Anspruch und Realität zu Einsichten in fachtheoretische und gesellschaftliche Zusammenhänge führen. Im vorliegenden Beispiel kann es durchaus sein, dass eine unter ökologischer oder sozialer Schwerpunktsetzung herausragende Handlungsalternative, z.B. die solare Warmwasserbereitung, nicht umgesetzt werden kann, weil die gegebenen technischen oder gesellschaftlichen Bedingungen die Lösung nicht zulassen und eine elektrische Warmwasserbereitung determinieren. Der bildende Wert des Unterrichts ergibt sich in solch einem Falle aber auch durch die Darstellung der Umsetzungshemmnisse. Sie zeigen den Lernenden möglicherweise fachliche Fortbildungsnotwendigkeiten oder zukünftige Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Gestaltung der Gesellschaft auf.

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Abb. 4: Schüler/innen reflektieren technische Lösungen zur Nutzung der thermischen Solarenergie

Mit dem aufgezeigten Artikulationsansatz eines Unterrichts kann der berufspädagogischen Intention nach der Auslösung von Bildungsprozessen durch Reflexion beruflichen Handelns entsprochen werden. Persönlichkeitsbildung führt dabei zum Verständnis der Umwelt im weiteren Sinne und zur verantwortlichen Gestaltungskompetenz. Der erhebliche Aufwand erfordert aber eine weitere didaktische Bearbeitung des Lernstoffes. Das kann aber nur gelingen, wenn in der curricularen Planung der exemplarische Charakter der ausgewählten Lernsituationen und Lernaufgaben berücksichtigt wird und der Unterricht zum lebenslangen Lernen befähigt.

3.3 Personalentwicklung durch projektorientierte Fortbildung

Das o.g. Unterrichtsmodell ist geeignet, Entscheidungsfolgeabschätzungen und -bewertungen durchzuführen. Diese Anforderungen gehen aber weit über die Bearbeitung von beruflichen Standardlösungen hinaus und bedeuten für die Lehrkräfte neben pädagogischen Kompetenzen eine erhebliche Anforderung an fachwissenschaftliche Qualifikationen, die der fortlaufenden Aktualisierung bedürfen. Hier bieten sich projektorientierte Formen zur Lehrerfortbildung an.

Für die beschriebene schulintegrierte Produktionsstätte wird die Produktion für ein Elektrofahrzeug in Trikeausführung nach dem Pedelec-Prinzip vorbereitet. Im Rahmen dieses Projektes ist es zu einer Kooperation mit zwei Fachhochschulen gekommen.

Mit der Fachhochschule Dortmund ist das Fahrgestell gemeinsam weiterentwickelt worden. Grundlegende Entwicklungen und Konstruktionen wurden dort im Rahmen von Diplom- bzw. Bachelorarbeiten durchgeführt. An der BBS Friedenstraße wurden im Anschluss fünf Prototypen des Fahrzeugs gebaut. Die Entwicklungsfertigung wurde unter der Leitung einer Theorielehrkraft von Fachpraxislehrern mit Schülerteams durchgeführt. Gesammelte Erfahrungen bei der Konstruktion, aus denen sich Änderungsvorschläge ergaben, gingen wiederum in eine Neubearbeitung des Projektes in der Fachhochschule ein. Die Betreuung der Studenten erfolgte über den zuständigen Professor der FH Dortmund und einer leitenden Lehrkraft der BBS Friedenstraße.

Besonders intensiv befassten sich die Lehrerteams der Schule mit aktuellen Methoden der CAD und CAM Verfahren. Zur weiteren Bearbeitung des Projektes wurden für die Schule Softwaremodule und CAM-Interfaces beschafft und in die Unterrichtspraxis implementiert.

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Abb. 5: Probefahrt mit dem JADE-Trike Versuchsträger

Mit der Fachhochschule Wilhelmshaven wurde eine Kooperation zur Entwicklung einer Fahrzeugkarosserie eingegangen. Das Ziel dieses Teilprojektes ist die Fertigung der Karosserie in Faserverbundtechnologie. Diese Fertigungsmethoden sind ein wichtiger Bestandteil in der Innovation der Unterrichtsinhalte für die Technikerschule der BBS Friedenstraße. Nach dem Designentwurf durch Studenten der FHS wird ein Prototyp der Karosserie bei einem regionalen Flugzeugbauer in Zusammenarbeit mit den beteiligten Lehrkräften gefertigt. Dadurch erhalten die Lehrkräfte vertiefte Einblicke in Konstruktion und Fertigung von Bauteilen in Faserverbundtechnologie und können diese Erkenntnisse in ihren Unterricht einfließen lassen.

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Abb. 6: Entwurf einer Karosserie für das JADE-Trike, Werner MEYER, Jadehochschule, 2011

Die so durchgeführte projektorientierte Lehrerfortbildung ist ausgesprochen praxisnah und motivierend. Die Fortbildungsergebnisse können recht schnell in die praktische Unterrichtsarbeit eingehen, tragen durch Aktualität zur Akzeptanz bei den Lernenden bei und somit auch zu einer höheren Arbeitsplatzzufriedenheit der Lehrkräfte.

Neben dem beschriebenen Projekt gibt es an der Schule weitere Projekte zur Nutzung der Solarenergie in thermischer und photovoltaischer Anwendung. Hinzu kommt ein Projekt zur Förderung des nachhaltigen Konsums. Dabei war die Schule ein Praxispartner des Institutes für Umweltkommunikation der Leuphana Universität Lüneburg im Projekt BINK (Bildungsinstitutionen nachhaltiger Konsum). In dem Forschungsprojekt ging es um die Frage, wie Jugendliche in ihrem Konsumverhalten zur Nachhaltigkeit bewogen werden können. Seitens der Schule ist das Projekt im Bereich Berufliches Gymnasium angesiedelt. Die Steuergruppe wird aus Lehrkräften und Schüler/innen gebildet. Neben inhaltlichen Aspekten sind in diesem Projekt die sozialwissenschaftlichen Forschungsmethoden ein besonderer Beitrag zur Lehrerfortbildung.

Um das Thema der nachhaltigen Entwicklung in seiner ganzen Breite zu präsentieren, wurde an den BBS Friedenstraße eine Herbstakademie in Form einer schulinternen Lehrerfortbildung an zwei Tagen durchgeführt.

Die Lehrkräfte konnten aus einem Vortragskatalog Veranstaltungen nach ihrer Interessenlage auswählen und in Teams die gewonnenen Erkenntnisse in die Konzipierung von Lernsituationen einfließen lassen (vgl. dazu MERTINEIT/ STEENBLOCK 2011).

4 Ausblick

Die aufgezeigten konzeptionellen Ansätze werden gegenwärtig auf weitere Fachbereiche übertragen und erweitert. So plant ein Lehrkräfteteam die Produktion und Vermarktung nachhaltiger Verpflegungsangebote für Schüler/innen der Schule. Hierfür bietet sich als methodischer Rahmen die Einrichtung einer Schülerfirma an.

Im Bereich der Fahrzeugtechnik ist die Verlängerung der Lebensdauer von Fahrzeugkomponenten ein Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung. Im Rahmen des Unterrichts werden die technischen Voraussetzungen und Arbeitsschritte zur Wiederverwendung von Baugruppen, wie z.B. die Aufbereitung des Generators als Austauschteil thematisiert.

Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung können technische und organisatorische Problemlösungen sein, sie können sich in Entscheidungen der Personalentwicklung darstellen oder in der Förderung benachteiligter Schüler/innen. Es gibt keine Patentrezepte. Wenn Schule ihrer Verantwortung gerecht werden will, muss sie glaubhaft darstellen, dass sie sich dem Grundsatz unterwirft ihr Wirken so zu gestalten, dass durch ihr Tun spätere Generationen weder hier noch anderswo belastet werden.

Literatur

HIPPE, T. (2009): Wie ist sozialwissenschaftliche Bildung möglich? Wiesbaden.

KMK (2003): Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Elektroniker / Elektronikerin. Online: http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/Bildung/BeruflicheBildung/rlp/elektroniker.pdf  (24-05-2011).

NUN (o.J.): Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung. Online: http://nun.nibis.de/themenbereiche/bereich.php?b=3  (24-05-2011).

MERTINEIT, K.-D./ STEENBLOCK, W. (2011): Die BBS Friedenstraße auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung. Hohengehren.


Zitieren dieses Beitrages

STEENBLOCK, W. (2011): Exemplarische Beiträge einer Schulentwicklung zur nachhaltigen Berufsbildung: Erfahrungen aus dem Projekt JADE. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 08, hrsg. v. FISCHER, A./ MERTINEIT, K.-D./ STEENBLOCK, W., 1-12, Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws08/steenblock_ws08-ht2011.pdf (26-09-2011).



Hochschultage Berufliche Bildung 2011 - Web page

http://www.hochschultage-2011.de/