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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

WS22 - Geringqualifizierte
Herausgeber: Eckart Severing & Jürgen Spatz


Titel:
Wie werden aus An- und Ungelernten Fachkräfte?


Potenziale An- und Ungelernter nutzen – Erfolgsfaktoren abschlussorientierter modularer Nachqualifizierung

Beitrag von Eva SCHWEIGARD-KAHN, Ursula KRINGS & Peter MUNK (Forschungsinstitut Betriebliche Bildung Nürnberg & Bundesministerium für Bildung und Forschung)

Abstract

In der Öffentlichkeit werden An- und Ungelernte vor allem als Gruppe von Personen mit Problemen und Defiziten wahrgenommen. Dies liegt insbesondere an ihren schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, dem damit oft verbundenen Einstieg und längeren Verbleib in Arbeitslosigkeit und fehlenden Aufstiegschancen. Die überwiegende Mehrheit verfügt dennoch bereits über eine gewisse Berufs- und Arbeitserfahrung und vielfältige formelle und informelle Kompetenzen und Qualifikationen. Modulare Nachqualifizierung wurde bereits in den 1990er Jahren in Modellversuchen als innovative Qualifizierungsform für die Benachteiligtenförderung entwickelt. Dabei wurden Qualitätsstandards für bedarfsgerechte Weiterbildungsangebote, insbesondere unter Berücksichtigung der Anforderungen der Betriebe, formuliert. Die gesetzlichen Regelungen zum nachträglichen Erwerb eines Berufsabschlusses wurden seitdem verbessert. Trotzdem blieb diese Möglichkeit eher ein Randphänomen. Damit Nachqualifizierung in ausgewählten Modellregionen zum Regelangebot wird, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung das Strukturentwicklungsprogramm „Perspektive Berufsabschluss“ (2008-2013) aufgelegt. Dabei spielen insbesondere lokale Netzwerkstrukturen eine zentrale Rolle bei der Verbreitung bestehender Möglichkeiten zur Nachqualifizierung. Bildungspolitisch ist dieser Ansatz zur Sicherung von ausreichenden Fachkräften vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in der Politik und Fachwelt mittlerweile angekommen. Aus der fachlichen Begleitung des Programms werden in dem Beitrag die zentralen Handlungsfelder in der Nachqualifizierung vorgestellt: auf die bisher eruierten Erfolgsfaktoren wird eingegangen.

1 Zur Einführung – Die Lage von An- und Ungelernten auf dem Arbeitsmarkt

An- und Ungelernte sind eine sehr heterogene Gruppe. Zu ihr zählen sowohl Schul-, Ausbildungs- und Studienabbrecher/-innen als auch Menschen mit einer im Ausland absolvierten Berufsbildung, die in Deutschland nicht anerkannt wird. Gleichermaßen werden Personen mit einem deutschen Berufsabschluss, der jedoch heute auf dem Arbeitsmarkt aufgrund eines strukturellen oder technologischen Wandels nicht mehr verwertbar ist, den An- und Ungelernten zugerechnet. Im Jahr 2008 fielen 9,6 Prozent der deutschen jungen Erwachsenen (Altersgruppe der 20- bis 34-Jährigen) in die Gruppe der Ungelernten. Bei den ausländischen Jugendlichen waren es mit 35,7 Prozent fast viermal so viele (BUNDESINSTITUT FÜR BERFUSBILDUNG 2011). Wie die folgende Abbildung zeigt, liegt die Ungelerntenquote seit Jahren relativ stabil auf hohem Niveau.

 

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Abb. 1:   Junge Erwachsene ohne Berufsausbildung (1996-2008)
Quelle: BUNDESINSTITUT FÜR BERFUSBILDUNG (2011)

Allen An- und Ungelernten gemeinsam ist ihre schwierige Situation auf dem Arbeitsmarkt. Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung haben vergleichsweise schlechte Arbeitsmarktchancen. Das spiegelt sich auch in den qualifikationsspezifischen Arbeitslosenquoten wider: Die Arbeitslosenquoten von Ungelernten steigen seit den 1980er Jahren überproportional an. Im Jahr 2009 war die Arbeitslosenquote der Geringqualifizierten mit 21,9 Prozent dreimal so hoch wie bei Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung (6,6 Prozent) (INSTITUT FÜR ARBEITSMARKT- UND BERUFSFORSCHUNG 2011). Besonders für junge Erwachsene ohne abgeschlossene Berufsausbildung, die noch viele Arbeitsjahre vor sich und keine gesicherte Beschäftigung haben, ist diese Situation schwierig.

 

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Abb. 2:   Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquote
Quelle: INSTITUT FÜR ARBEITSMARKT- UND BERUFSFORSCHUNG (2011)

Wenn An- und Ungelernte in Arbeit stehen, haben sie häufig mit prekären Beschäftigungsverhältnissen (Zeit- und Leiharbeit, befristete Beschäftigung, Mini- und Midi-Jobs, Niedriglohnsektor) zu kämpfen und tragen zudem ein hohes Arbeitsplatzverlustrisiko, weil sie mangels einer formalen Fachqualifikation für Betriebe als austauschbar gelten. Durch den nachträglichen Erwerb eines Berufsabschlusses durch Nachqualifizierung können die beruflichen Perspektiven von An- und Ungelernten nachhaltig verbessert werden.

2 Qualifikationsanforderungen von Unternehmen

Angelernte werden häufig als schnell ersetzbare Arbeitskräfte gesehen, die als atmende Belegschaft in ausgewählten Tätigkeitsfeldern eingesetzt werden. Deswegen wurde bisher bei angelernt Beschäftigten wenig Qualifizierungsbedarf gesehen. Doch die Gleichung, dass einfache Arbeiten keine besonderen Qualifikationen mehr erfordern, gilt nicht mehr. Der Trend geht weg von weisungsgebundenen Arbeiten hin zu mehr Verantwortung und Mitgestaltung. Zu beobachten ist eine Auffächerung der betrieblichen Qualifikationsniveaus und damit einhergehend eine weitergehende Segmentierung von Arbeit. Die eindeutige Abgrenzung zwischen Hilfstätigkeit, Anlerntätigkeit und Facharbeit weicht auf. Einerseits wird Facharbeit anspruchsvoller durch die Verknüpfung handwerklich-technologischen Wissens und Könnens mit Dienstleistungsaufgaben. Andererseits übernehmen angelernte Mitarbeiter verstärkt höher qualifizierte produktionsbezogene Tätigkeiten. Daneben bleiben traditionelle Facharbeitertätigkeiten bestehen: auch einfach strukturierte Hilfstätigkeiten in taylorisierten Arbeitsprozessen gibt es weiterhin, ihre Bedeutung nimmt jedoch ab. In der Folge dieser Segmentierungsprozesse treten bei den Unternehmen Flexibilitäts- und Qualitätsprobleme auf, geeignete Mitarbeiter für vakante Stellen zu finden, wird schwieriger. Darauf verweisen Studien zur Früherkennung von Qualifikationserfordernissen im Bereich der einfachen Arbeit des Forschungsinstituts Betriebliche Bildung (f-bb) (GALILÄER 2006).

In dieser Situation reicht es nicht mehr, An- und Ungelernte jeweils ad hoc für neue Aufgaben schnell zu qualifizieren. Nur durch eine grundlegende Nachqualifizierung kann die erforderliche umfassende berufliche Handlungskompetenz erworben werden.

3 Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung – Qualitätsstandards

Damit An- und Ungelernte erfolgreich zum Berufsabschluss kommen können, müssen zum einen die Anforderungen von Unternehmen berücksichtigt werden und zum anderen die bereits vorliegenden Erfahrungen der An- und Ungelernten berücksichtigt werden. Voraussetzung für die Weiterbildungsakzeptanz bei Unternehmen ist neben Kostengesichtspunkten der unmittelbare Bezug zum aktuellen betrieblichen Qualifizierungsbedarf sowie eine auf die betrieblichen Erfordernisse abgestimmte flexible Gestaltung. Im Vorfeld muss im Betrieb der Qualifizierungsbedarf ermittelt werden, hierbei kann ein Bildungsdienstleister unterstützen und beraten.

Bei der Gestaltung der Nachqualifizierung haben sich in Projekten (vgl. KRINGS/ OBERTH/ ZELLER 2001) und Modellversuchen (vgl. ECKHARDT/ GUTSCHOW/ SCHAPFEL-KAISER 2002) Flexibilität, Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit als zentrale Anforderungen erwiesen. Hieraus ergibt sich eine Reihe von Qualitätskriterien:

  • Qualifizierung wird modularisiert angeboten, so wird gewährleistet, dass sich Qualifizierung am aktuellen unternehmerischen Qualifikationsbedarf ausrichten kann.
  • Der Modulschnitt und die Kombination der einzelnen Module ist gestaltungsoffen, so dass eine passgenaue Ausrichtung auf die aktuellen Anforderungen des jeweiligen Betriebs gegeben ist.
  • Module werden unter Bezug auf das Berufsbild zu fachtheoretischen und fachpraktischen sowie zu fachübergreifenden Inhalten geschnitten.
  • Die Lerninhalte spiegeln betriebliche Tätigkeitsfelder wider und werden auf anerkannte Berufsbilder bezogen, so dass sie Wege zum Nachholen eines Berufsabschlusses eröffnen.
  • Die Unterteilung in Module erlaubt es auch, das An- und Ungelernte nur die Module durchlaufen, die sie noch benötigen. So können Vorerfahrungen, beispielsweise im Ausland erworbene Qualifikationen berücksichtigt werden.
  • Die Absolvierung einzelner Module wird betriebsübergreifend dokumentiert.

Weitere Bedingungen einer erfolgreichen Qualifizierung An- und Ungelernter sind:

  • eine möglichst geringe Beanspruchung der personellen Ressourcen im Unternehmen sowohl bei der Planung als auch bei der Umsetzung der Qualifizierung,
  • eine enge Zusammenarbeit zwischen kompetenten Bildungsdienstleistern und Unternehmen sowie
  • eine Lernbegleitung, die den Erfolg der Qualifizierung abstützt.

Nur wenige Unternehmen kennen und nutzen die Chancen und Möglichkeiten, die Nachqualifizierung für die betriebliche Personalentwicklung eröffnet. Häufig fehlt im Unternehmen überhaupt das Wissen, welche Qualifikationen ihre an- und ungelernten Mitarbeiter bereits haben, beispielsweise in Form von im Ausland durchlaufenen Ausbildungen, die in Deutschland nicht anerkannt wurden.

Alle bisherigen Projekterfahrungen haben gezeigt, dass nur eine kontinuierliche Unterstützung der Betriebe – insbesondere der kleinen und mittelständischen Unternehmen – sicherstellt, dass die abschlussorientierte Qualifizierung für alle Beteiligten erfolgreich werden kann. Bedarfsermittlung, Gestaltung der Module, Planung und Umsetzung sind nur in Kooperation mit geeigneten Bildungsdienstleistern möglich. Es braucht Bildungsdienstleister, die Kompetenzen bei der Nachqualifizierung entwickelt haben und bereit sind, flexible Wege zu gehen, die den jeweiligen Anforderungen der Betriebe und der An- und Ungelernten gerecht werden (vgl. KRINGS 2004).

Unternehmen sehen sich vor eine Vielzahl von Fragen und Problemen gestellt. Um nur einige zu nennen: „Wie stelle ich den Qualifizierungsbedarf fest? Wie kann ich die Kompetenzen von Menschen mit Migrationshintergrund berücksichtigen? Wie finde ich geeignete Qualifizierungsangebote und Bildungsdienstleister? Wie kann die Finanzierung sicher gestellt werden?

Um alle diese Fragen beantworten zu können, bedarf es einer Kontinuität der Beratung und Betreuung im Sinne eines umfassenden Service-Angebots sowie entsprechende Qualifizierungsangebote.

4 Nachqualifizierung regional etablieren- der Ansatz im BMBF-Programm „Perspektive Berufsabschluss“

Die Erfahrungen aus der oben genannten Modellversuchen und dem Vorläuferprogramm BQF („Kompetenzen fördern – Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen mit besonderen Förderbedarf) zeigen, dass sich Nachqualifizierung regional nur dann etablieren kann, wenn in Abstimmung mit den relevanten regionalen Akteuren vor Ort geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden. Genau hier setzt das Strukturentwicklungsprogramm „Perspektive Berufsabschluss“ (Förderzeitraum 2008-2013) mit der „Abschlussorientierten modularen Nachqualifizierung“ als Förderschwerpunkt 2 an und greift auf die bisherigen Erfahrungen und entwickelten Erfolgskriterien zurück. „Perspektive Berufsabschluss“ ist ein Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und wird aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union kofinanziert (www.perspektive-berufsabschluss.de). Mit der Ausweitung des Programms durch eine zweite Förderrunde im Herbst 2010 wurden für diesen Förderschwerpunkt auch branchenbezogene Ansätze im Gesundheits- und Pflegebereich, in der IT-und Logistikbranche sowie zielgruppenspezifische Ansätze für Straffällige explizit aufgenommen.

Der Förderschwerpunkt verfolgt folgende Ziele (vgl. KRINGS/ MUNK 2009):

  • Jungen Erwachsenen Möglichkeiten zu eröffnen, einen Berufsabschluss zu erwerben, wenn eine reguläre betriebliche Ausbildung aus persönlichen, sozialen oder wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in Frage kommt.
  • Unternehmen Wege aufzeigen, wie sie aus An- und Ungelernten Fachkräfte machen können, die flexibel einsetzbar sind und deren berufliche Qualifikationen auch über längere Zeit verwertbar sind.
  • Modulare Nachqualifizierung gemeinsam mit den relevanten Arbeitsmarktakteuren – in Ergänzung zu herkömmlichen Umschulungen und der beruflichen Erstausbildung –vor Ort zum regionalen Regelangebot zu machen und nachhaltig zu etablieren.

Damit beschäftige und arbeitslose An- und Ungelernte mit und ohne Migrationshintergrund eine zweite Chance auf einen Berufsabschluss bekommen, sind die bundesweit 42 regionalen Projekte des Förderschwerpunkts „Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung“ seit drei (22 Projekte der ersten Förderrunde) bzw. rund einem Jahr (20 Projekte der zweiten Förderunde) aktiv, um

  • die Wirtschaft und An- und Ungelernte durch eine breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit für Nachqualifizierung zu sensibilisieren und zu mobilisieren,
  • regionale Nachqualifizierungsbedarfe und -angebote zu erfassen und transparent zu machen,
  • auf der Grundlage bestehender Fördermöglichkeiten tragfähige Fördermodelle für Nachqualifizierung zu entwickeln und so
  • den Grundstein für bedarfsgerechte Beratungsdienstleistungen für Unternehmen und An- und Ungelernte rund um die Nachqualifizierung zu legen sowie
  • bestehende Nachqualifizierungsangebote zu erheben, auszuweiten und auf die individuelle Bedarfe der beiden Zielgruppen auszurichten.

Als Querschnittaufgabe wird im Programm und durchgehend in allen regionalen Projekten Gender und Cultural Mainstreaming berücksichtigt. Das heißt, dass bei allen Aktivitäten in der Planung, Organisation und Durchführung einer Nachqualifizierung bis hin zur Erzielung nachhaltiger Wirkungen darauf geachtet wird, dass die Projekte die Anforderungen aller An- und Ungelernten unabhängig vom Geschlecht und Herkunft (z.B. Nationalität, Migrationshintergrund, Kultur) berücksichtigen (vgl. SCHWEIGARD-KAHN 2011).

Über Medienarbeit, adressatenorientiert gestaltete Informationsmaterialien und Beratungsinstrumente, Internetangebote und eine Vielzahl von Veranstaltungen und Schulungsangeboten werden Unternehmen, Betroffene und Multiplikatoren darüber informiert, wie passgenaue Qualifizierung Geringqualifizierter nach betrieblichem Bedarf aussehen kann. In Presseartikeln, Rundfunk- und Filmbeiträgen werden anhand von Good-Practice Beispielen Beratungsmöglichkeiten, Nachqualifizierungsangebote und Fördermöglichkeiten vorgestellt.

 

 

Abb. 3:  Nachqualifizierung als regionales Regelangebot (KNOLL/ SCHWEIGARD 2008)

Das f-bb unterstützt die regionalen Projekte der „Abschlussorientierten modularen Nachqualifizierung“ als wissenschaftliche Begleitung bei der Programmumsetzung durch Monitoring, fachliche Beratung, überregionale Vernetzung, thematische Arbeitsgruppen und bundeslandübergreifende Regionaltreffen. Weitere Aufgabenschwerpunkte sind die Zuarbeit für das Programmmanagement sowie Öffentlichkeitsarbeit im Sinne einer Übertragbarkeit der Ansätze auf andere Regionen. Die wissenschaftliche Begleitung ist als prozessbegleitende formative Evaluation angelegt (vgl. MUNK et. al. 2010). Um die Wirkung der erreichten Strukturveränderungen auf die jeweiligen Adressatengruppen in den Regionen zu untersuchen, gibt es seit Frühjahr 2011 zusätzlich eine stärker summativ angelegte Programmevaluation.

5 Handlungsfelder und erfolg versprechende Strategien in der Nachqualifizierung

Um Nachqualifizierung als innovative Bildungsform regional zu etablieren, wird in der „Abschlussorientierten modularen Nachqualifizierung“ im Programm ein Ansatz regionaler Strukturentwicklung verfolgt.

Regionale Strukturentwicklung in der Nachqualifizierung bezieht sich im Wesentlichen auf die folgenden drei Handlungsfelder:

  • Netzwerkarbeit: Verstetigung und Optimierung regionaler Netzwerkarbeit zur Installation nachhaltiger regionaler Netzwerke in der Nachqualifizierung
  • Beratung: Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Beratung zum nachhaltigen Auf- bzw. Ausbau von Serviceangeboten rund um die Nachqualifizierung
  • Nachqualifizierungsangebote: Regionale Etablierung von Qualitätsstandards zur Durchführung von abschlussorientierter modularer Nachqualifizierung in Kooperation von Betrieben und Bildungsanbietern für einen nachhaltigen Auf- bzw. Ausbau des regionalen Nachqualifizierungsangebotes
  • Öffentlichkeitsarbeit als Querschnittsthema: Bekanntmachung von Nachqualifizierung durch eine konzertierte breitenwirksame und adressantenorientierte Aktionen unter Einbindung von Netzwerkpartnern in der Region

Der Ansatz regionaler Strukturentwicklung in der Nachqualifizierung wird im Folgenden anhand dieser Handlungsfelder dargestellt.

5.1 Handlungsfeld 1: Strukturentwicklung durch regionale Netzwerke

Strukturen wie in der beruflichen Erstausbildung sind in der Nachqualifizierung An- und Ungelernter hin zu einem Berufsabschluss noch nicht weit verbreitet. Damit diese Qualifizierungsform für Unternehmen und für An- und Ungelernte an Attraktivität gewinnt, gilt es, in der Region geeignete Voraussetzungen für die abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung gering qualifizierter Beschäftigter und Arbeitsloser zu schaffen. Strukturentwicklung kann nur in enger Kooperation mit den regional tätigen Netzwerkpartnern gelingen. Im Zusammenwirken der lokalen Entscheidungsträger können geeignete Voraussetzungen geschaffen werden, damit Bildungsinnovationen zu regionalen Regelangeboten werden. Neue Bildungsangebote etablieren sich in den Regionen dann, wenn sie an den Bedarfen der regionalen Wirtschaft ansetzen, adressatenorientiert gestaltet sind und eine (öffentliche) Förderung gewährleistet ist. Die Weiterentwicklung einer geeigneten und funktionierenden Netzwerkstruktur ist daher eine zentrale Aufgabe der regionalen Projekte (vgl. KRINGS/ MUNK 2009).

  • In Netzwerken für Nachqualifizierung bringen Fach-, Berufs- und Branchenverbände sowie die kommunale Wirtschaftsförderung ihre Expertise zum (künftigen) Fachkräftebedarf und zur Standortentwicklung in der Region ein, die von (Branchenleit-)betrieben konkretisiert werden können. Konzertierte öffentlichkeitswirksame Aktionen können dazu beitragen, dass Betriebe der Weiterbildung von Geringqualifizierten einen höheren Stellenwert einräumen und diese für eine berufliche Qualifizierung motivieren.
  • Damit Nachqualifizierung auf die Bedürfnisse der Zielgruppe (junger) Erwachsener ohne Berufsabschluss ausgerichtet wird, sind insbesondere Gewerkschaften, Migrantenorganisationen und kommunale Gleichstellungsbeauftragte als deren Interessensvertretungen in die Netzwerkarbeit einzubeziehen. Wegen des hohen Anteils von Personen mit Migrationshintergrund bei der Zielgruppe der An- und Ungelernten ist es sinnvoll, vor allem Migrantenorganisationen in die Netzwerkarbeit einzubinden. MOZAIK gGmbH Bielefeld kann auf bereits erprobte Konzepte zurückgreifen und trägt als Begleitprojekt „Mit MigrantInnen für MigrantInnen - Interkulturelle Kooperation zur Verbesserung der Bildungsintegration“ im Programm dazu bei, regionale Migrantenorganisationen für die bildungspolitischen Themen des Förderprogramms zu sensibilisieren und zu schulen (vgl. MOZAIK 2011). Darüber hinaus werden (interkulturelle) Schulungen für regionale Arbeitsmarktakteure durchgeführt, mit dem Ziel durch eine stärkere Sensibilisierung dieser Akteure für die Zielgruppe die Teilnahme von Migranten/-innen an Nachqualifizierung zu steigern.
  • Abgestimmte Beratungs- und Unterstützungsangebote mit sozialen oder beruflichen Beratungsanbietern erleichtern zudem den Zugang zu beschäftigten und arbeitslosen An- und Ungelernten mit und ohne Migrationshintergrund und Unternehmen.
  • Mit den zuständigen Stellen als prüfende Instanzen sind im Netzwerk für alle Partner verbindliche Qualitätskriterien abzustimmen, um modulare abschlussorientierte Nachqualifizierung umzusetzen. Richtschnur sind dabei für IHK- bzw. HWK-Berufe die Zulassungsvoraussetzungen zur Externenprüfung nach Absatz 2 § 45 Berufsbildungsgesetz (BBiG) bzw. § 37 der Handwerksordnung (HwO).
  • Orientiert an abgestimmten Verfahren mit den zuständigen Stellen, an bestehenden Förderinstrumenten und weiteren regionalen Rahmenbedingungen entwickeln Bildungsanbieter dann gemeinsam Nachqualifizierungsangebote. In Kooperation mit den Fördermittelgebern wiederum werden Finanzierungsmöglichkeiten für Nachqualifizierung angepasst oder neu erschlossen.

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Abb. 4:   Netzwerke für Nachqualifizierung
Quelle: DAUSER/ LONGMUß 2010

Eine gute Ausgangslage für den Netzwerkaufbau bietet eine bereits vorhandene Kooperationskultur mit informellen und formellen Partnerschaften. Dem Wettbewerbs- und Konkurrenzdruck auf dem Bildungsmarkt kann durch verbindlich festgelegte Qualitätskriterien für die Zusammenarbeit im Netzwerk begegnet werden. In Kooperationsvereinbarungen zwischen regionalen Bildungsdienstleistern wurde im Rahmen des Programms eine produktive Interaktion befördert. Weitere Erfolgsfaktoren für regionale Netzwerkarbeit auf die von den regionalen Projekten zurückgegriffen wird, wurden/werden im Kontext von „Lernende Regionen“ bzw. „Lernen vor Ort“ und „JOBSTARTER“ herausgearbeitet. Praxisnahe Umsetzungshilfen für eine nachhaltige Netzwerkarbeit in der Nachqualifizierung sind in einer gesonderten Leitfadenreihe aus dem Programm „Perspektive Berufsabschluss“ veröffentlicht worden (vgl. Dauser/ Longmuß 2010).

5.2 Handlungsfeld 2: Auf- und Ausbau von regionalen Beratungsangeboten

Beratung im Kontext der Nachqualifizierung verweist Personalverantwortlichen anhand des Qualifizierungsbedarfs ihrer angelernten Belegschaft auf passgenaue Qualifizierungsmöglichkeiten, verbessert die Zusammenarbeit zwischen Bildungsdienstleistern und Betrieben und begleitet An- und Ungelernte auf ihrem Weg zum Berufsabschluss.

Regional abgestimmte Beratungsangebote bewirken, dass einerseits Betriebe verstärkt in die Weiterbildung von Geringqualifizierten investieren und andererseits An- und Ungelernte motiviert werden, sich beruflich zu qualifizieren. Indem bestehende Beratungsangebote für Unternehmen bzw. An- und Ungelernte auf Nachqualifizierung ausgerichtet werden, wird vor Ort ein breites Angebot von Beratungs- und Unterstützungsleistungen aufgebaut. Thematische Workshops helfen dabei, bei den genannten Institutionen Beratungskompetenzen für Nachqualifizierung aufzubauen. In Abstimmung mit den regionalen Netzwerkpartnern entwickelte Beratungsinstrumente tragen zu mehr Professionalität in der Beratung bei. Trägerübergreifende Beratung hilft, den Bildungsmarkt transparent zu machen und Qualitätskriterien für Nachqualifizierungsangebote zu etablieren. Im Sinne der Nachhaltigkeit wird darauf hin gewirkt, Beratungsangebote zu Nachqualifizierung für Unternehmen sowie für An- und Ungelernte an bestehende Institutionen anzubinden (vgl. DAUSER et. al. 2010).

Für die verschiedenen Phasen des Beratungsprozesses in der Nachqualifizierung wurden im Programm „Perspektive Berufsabschluss“ Qualitätskriterien herausgearbeitet und auf die besonderen Erfordernisse vor Ort ausgerichtete Beratungsinstrumente entwickelt. Dabei wurden auch auf andere Regionen adaptierbare Strategien zur Professionalisierung von Beratungsprozessen im Beratungsnetzwerk herausgearbeitet (vgl. DAUSER/ SCHWEIGARD-KAHN 2011).

 

 

Abb. 5:   Der Beratungsprozess in der Nachqualifizierung (DAUSER/ SCHWEIGARD-KAHN 2011)

Im ersten Beratungsschritt werden einerseits Betriebe aus Branchen mit Fachkräftebedarf und/oder Beschäftigungspotential für die Integration von An- und Ungelernten, andererseits beschäftigte oder arbeitslose An- und Ungelernte sensibilisiert und informiert. Um alle Zielgruppen in der Nachqualifizierung zu erreichen, sind die Beratungsangebote gender- und kultursensibel auszugestalten. Insbesondere im Zugang zu Unternehmen sind meist zeitintensive individuelle Beratungen erforderlich, um Vorteile für eine langfristige Personalentwicklung von An- und Ungelernten aufzuzeigen. Dies kann nach den Erfahrungen aus „Perspektive Berufsabschluss“ durch öffentlichkeitswirksam aufbereitete Good-practice oder durch die Kooperation mit der regionalen Wirtschaftsförderung, einem Arbeitgeberverband, Betriebsräten und Gewerkschaften erreicht werden.

Anschließend kann im zweiten Beratungsschritt über eine systematisch angelegte Bedarfsanalyse der Qualifizierungsbedarf ermittelt werden, der die Grundlage für individuell erstellte Qualifizierungspläne bildet. Im Vorfeld der Nachqualifizierung ist zum Beispiel anhand von Kompetenzfeststellungsverfahren zu klären, ob die formalen Qualifikations- bzw. Tätigkeitsnachweise für die Zulassung zur Externenprüfung bei der zuständigen Stelle gegeben sind und ob berufliche Teilqualifikationen – oder im Ausland erworbene Qualifikationen – anerkannt werden. Dazu sind zielgruppenspezifische Beratungsinstrumente im Programm entwickelt und erprobt worden.

Durch die Kooperation im Beratungsnetzwerk wird dann drittens ein passendes Nachqualifizierungsangebot für den anvisierten Beruf entwickelt oder auf geeignete bereits verfügbare Nachqualifizierungsangebote verwiesen. Letztendlich umgesetzt wird die Nachqualifizierung durch die Lernortkooperation von Betrieb und Bildungsanbieter, in dem der Berater zwischen den Teilnehmern, Unternehmen und den Bildungsdienstleistern vermittelt und flankierend eingreift.

  • Unternehmen erkennen zwar angesichts des sich abzeichnenden Fachkräftemangels zunehmend die Notwendigkeit, Qualifizierungsreserven Geringqualifizierter zu erschließen. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen können langfristig angelegte Maßnahmen beruflicher Qualifizierung aber meist nur dann umsetzen, wenn sie bei deren Planung und Durchführung unterstützt werden (vgl. Kapitel 3). Auch im Hinblick auf die Bedürfnisse der Zielgruppe ist es entscheidend, durch eine intensive Kooperation mit dem Betrieb ein Lernen im Arbeitsprozess zu ermöglichen.
  • Wenn Lernschwierigkeiten auftreten, kann es hilfreich sein, flankierende Unterstützungsleistungen (sogenannte weiterbildungsbegleitende Hilfen(WbH)) wie beispielsweise Lernbegleitung („Lernen lernen“) oder sprachsensible Angebote für die Teilnehmenden anzubieten. Betrachtet man die Lebensumstände – insbesondere die familiäre Situation– vieler potentieller Interessenten für Nachqualifizierung, ist im Einzelfall flankierend auch eine Hilfestellung bei der Organisation des (Lern-)Umfeldes durch sozialpädagogische Begleitung bereitzustellen.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil im Beratungsprozess ist viertens die anschließende Dokumentation und Auswertung der Beratungsgespräche mit An- und Ungelernten und Betrieben über Datenbanken. Durch eine systematische Erfassung und Analyse von Beratungsdienstleistungen wird die Kooperation im Beratungsnetzwerk verbessert – insbesondere, wenn die generierten Daten Netzwerkpartnern wie Agenturen für Arbeit bzw. Trägern der Grundsicherung nach dem SGB II über Datenbanksysteme direkt zugänglich gemacht werden. Außerdem können Datenbanken einen Beitrag zur bedarfsgerechten Steuerung bei der Entwicklung von adäquaten Nachqualifizierungsangeboten leisten.

Bei allen Schritten im Beratungsprozess ist es für den Beratungsanbieter sinnvoll, lokale Netzwerkpartner anzusprechen und über die spezifischen Kenntnisse in der Region informiert zu sein wie beispielsweise über die lokale Arbeitskräftenachfrage und -angebot, regionale Entwicklungen wie Abwanderung bzw. demografische Entwicklung, das regional vorhandene Kurs- und Beratungsangebot oder über die Mobilitätsanforderungen im ländlichen Raum.

5.3 Handlungsfeld 3: Auf- und Ausbau von regionalen Nachqualifizierungsangeboten

Modulare Nachqualifizierung als Ergänzung zu klassischen Umschulungen und der dualen Ausbildung hat sich als innovative Qualifizierungsform vor allem über bereits erprobte Qualitätsstandards bewährt, die im Rahmen von Modellversuchen des BIBB und dem bereits erwähnten BQF-Programm des BMBF formuliert wurden. Durch eine modulare Gestaltung wird eine an die individuellen Bedürfnisse angepasste Qualifizierung angestrebt. Durch enge Kooperation zwischen Betrieben und Bildungsdienstleistern ist eine arbeitsplatznahe Qualifizierung gewährleistet. Zertifikate sorgen für Transparenz und machen Qualifizierungswege nachvollziehbar (vgl. Kapitel 3).

Der Weg zu einem bedarfsgerechten regionalen Nachqualifizierungsangebot verläuft idealtypisch über folgende drei Schritte:

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Abb. 6:  Phasenmodell zur regionalen Verankerung von Nachqualifizierungsangebote
(FORSCHUNGSINSTITUT BETRIEBLICHE BILDUNG 2011)

 

Phase 1: Transparenz herstellen

Angenommen werden Nachqualifizierungsangebote von An- und Ungelernten und Betrieben, wenn sie dem regionalen Bedarf entsprechen. Die Entwicklung von Nachqualifizierungsangeboten, die am regionalen Arbeitsmarkt ausgerichtet sind, setzt eine sorgfältige Analyse der vorhandenen Angebots- und Nachfragestrukturen und den Bedarf an weiteren Angeboten voraus. In welchen Berufsfeldern Nachqualifizierungsangebote aufgelegt werden sollten, wird aus dem Abgleich von Angebot und Nachfrage abgeleitet. Durch ein regelmäßiges Nachqualifizierungs(NQ-)monitoring können Ergebnisse zeitnah transparent gemacht werden und Grundlage für eine Abstimmung mit Bildungsdienstleistern und Arbeitsmarktakteuren sein. Als geeignete Formen der zielgruppengerechten Aufbereitung des regionalen Nachqualifizierungsangebots haben sich im Programm „Perspektive Berufsabschluss“ insbesondere „Nachqualifizierungskataloge“ und Angebotspräsentationen im Internet erwiesen. Nachqualifizierungskataloge werden vor allem für die Beratung von An- und Ungelernten und Unternehmen eingesetzt. Außerdem kann die gebündelte Präsentation von Nachqualifizierungsmöglichkeiten verschiedener Bildungsanbieter über das Internet - insbesondere auf regional etablierten Weiterbildungsdatenbanken – für alle Zielgruppen in der Nachqualifizierung zu einem nützlichen Rechercheinstrument werden. Durch Bedarfsanalysen wie Befragungen in Unternehmen sowie bei An -und Ungelernten können die individuellen Anforderungen an geeignete Nachqualifizierungskonzepte erhoben werden.

Phase 2: Nachqualifizierungs(NQ)angebote ausbauen

Um aber (jungen) Erwachsenen individuelle Qualifizierungswege und Unternehmen eine bedarfsgerechte Personalentwicklung eröffnen zu können, muss vor Ort ein breit gefächertes Nachqualifizierungsangebot bereitgestellt werden: Eine vielfältige Berufspalette ermöglicht, unterschiedliche berufliche Vorkenntnisse der Nachzuqualifizierenden zu berücksichtigen bzw. am Fachkräftebedarf der regionalen Wirtschaft orientiert zu qualifizieren. Angeknüpft wird hierbei auch an die BIBB-Ausbildungsbausteine, die aktuell im BMBF-Programm „JOBSTARTER CONNECT“ (vgl. Beitrag ACKER/ WEITERER 2011 in diesem Band) für die Nachqualifizierung erprobt werden, und an die ZWH-Qualifizierungsbausteine. Durch eine systematische Verzahnung verschiedener Qualifizierungsformen – darunter sind Vorbereitungskurse für die Externenprüfung, modulare abschlussorientierte Nachqualifizierungen und Umschulungen zu verstehen – kann an das Niveau vorhandener beruflicher Kompetenzen der jeweiligen Teilnehmer angesetzt werden. Um Weiterbildungsinteressenten mit unterschiedlichen individuellen Vorraussetzungen gerecht zu werden, bedarf es einer flexiblen Organisation der Qualifizierung. Um flexible Aus- und Einstiege in Qualifizierung, aber nicht zuletzt auch, um eine gute Zusammenarbeit regionaler Bildungsanbieter – trotz konkurrierender Interessen – zu gewährleisten, werden regionale Nachqualifizierungsangebote über integrierte Modulkonzepte aufeinander abgestimmt.

Phase 3: Qualitätskriterien für abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung regional verankern

Vor allem im Rahmen der lokalen Netzwerkarbeit – beispielsweise im Netzwerk von Bildungsdienstleistern – werden in Abstimmung mit den regionalen Arbeitsmarktakteuren Qualitätskriterien für Nachqualifizierung regional verankert und verbreitet (vgl. Kapitel 5.1.). Die geltenden Qualitätsstandards in der Nachqualifizierung aus Vorläuferprogrammen werden aufgegriffen, regional angepasst und weiterentwickelt (vgl. MUNK et. al. 2010). Entscheidendes Qualitätskriterium für nachhaltige Nachqualifizierungsangebote ist es vor allem, die individuellen Anforderungen der An- und Ungelernten und der Betriebe zu berücksichtigen. Eine weitere wichtige Erkenntnis der regionalen Projekt von „Perspektive Berufsabschluss“ ist: Damit bestehende Modulkonzepte übertragen werden können –beispielsweise für An- und Ungelernte eines anderen Bezirks der Agentur für Arbeit – müssen immer wieder neu verbindliche Absprachen bezüglich der

  • Sicherung der Finanzierung von abschlussorientierter modularer Nachqualifizierung mit der Arbeitsförderung (SGB-II und SGB-III Rechtskreis)
  • Sicherung der Zulassung zur Externenprüfung mit den zuständigen Stellen (HWK, IHK, Innungen, Kreishandwerkerschaften, weitere zuständige Stellen für landesweit geregelte Berufe wie grüne Berufe oder Berufe im Gesundheitsbereich)

stattfinden.

6 Zwischenbilanz und weiterer Handlungsbedarf

Das BMBF-Programm „Perspektive Berufsabschluss“ (2008 - 2013) ist ein Strukturentwicklungsprogramm, welches vom f-bb zum Förderschwerpunkt „Abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung“ wissenschaftlich begleitet wird. Ziel der  ausgewählten 42 Regionen ist es, nachhaltige Strukturen in der Nachqualifizierung zu schaffen. Bei der Bewertung der Erfolge regionaler Strukturentwicklung sind allerdings die regionalen Ausgangsbedingungen zu berücksichtigen. Denn der Erfolg von den an der Programmumsetzung Beteiligten hängt beispielsweise von der Kooperationsbereitschaft regionaler Bildungs- und Arbeitsmarktakteure oder bestehenden Strukturen und Erfahrungen in der Nachqualifizierung ab. Zudem haben die aktuellen Förderbedingungen für langfristige Qualifizierungsmaßnahmen auf Bundes-, Landes- und regionaler Ebene einen entscheidenden Einfluss. Vor diesem Hintergrund kann über alle ausgewählten Regionen hinweg nachfolgende erste Zwischenbilanz nach rund drei Jahren Programmlaufzeit gezogen werden (Ergebnisse des Monitorings durch die wissenschaftliche Begleitung):

  • Netzwerkarbeit: Es wurden funktionierende Netzwerke für Nachqualifizierung aufgebaut: Bestehende Gremien und Netzwerke, wie Bildungs- oder Migrationsnetzwerke wurden für ein Engagement für die Nachqualifizierung gewonnen. Eigene Netzwerke für Nachqualifizierung wurden mit den regionalen Bildungsanbietern, den zuständigen Stellen und den regionalen Trägern der Arbeitsförderung und Grundsicherung installiert. In Zusammenarbeit mit regionalen Bildungsanbietern und in Rückkopplung mit den zuständigen Stellen wurden Qualitätskriterien für Nachqualifizierung definiert, die an die regionalen Bedingungen angepasst sind. Schulungsangebote zum Thema Nachqualifizierung und eine engere Kooperation mit und für Migrantenorganisationen durch sogenannte Bildungsbeauftragte aus den Vereinen fanden statt. Konzertierte öffentlichkeitswirksame Aktionen für Nachqualifizierung wurden in Kooperation mit Netzwerkpartnern organisiert (vgl. DAUSER/ LONGMUß 2010).
  • Beratung: Professionelle Beratungsangebote zu Nachqualifizierung für Unternehmen sowie für An- und Ungelernte wurden eingerichtet: Bestehende Beratungsangebote für Betriebe und An- und Ungelernte wurden auf Nachqualifizierung ausgerichtet, z.B. durch einen Know-how Transfer in Multiplikatorenschulungen. Außerdem wurden im Netzwerk abgestimmte Beratungsinstrumente zur Sicherung der Beratungsqualität bereitgestellt z.B. Beratungsleitfäden, Fragebögen zur Bedarfserhebung, Kompetenzfeststellungsverfahren sowie Verfahren zur Dokumentation von Beratungsleistungen (vgl. DAUSER/ SCHWEIGARD-KAHN 2011).
  • Nachqualifizierungsangebote: Das regionale Nachqualifizierungsangebot wurde ausgebaut: Regionale Nachqualifizierungskataloge, die teilweise an bestehende Datenbanken angebunden sind, tragen dazu bei, die Angebotsstruktur vor Ort transparenter zu machen. Für Berufsfelder mit Beschäftigungschancen für An- und Ungelernte wurden auf die individuellen Vorraussetzungen angepasste Nachqualifizierungskonzepte aufgelegt. Die vorliegenden Nachqualifizierungsangebote sind in vielen Regionen bereits überwiegend gemäß der Anerkennungs- und Zulassungsverordnung Weiterbildung (AZWV) zertifiziert. Damit ist eine wichtige Voraussetzung für die Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit erfüllt. Zudem wurden vereinfachte Verfahren für die Zulassung zur Externenprüfung mit den zuständigen Stellen (v.a. IHKs und HWKs) beispielsweise im Rahmen von Qualifizierungspässen abgestimmt.

Die Zielgruppe der sozial- und bildungsbenachteiligten (jungen) Erwachsenen wird über die regional verfügbaren Nachqualifizierungsangebote jedoch bisher nur eingeschränkt erreicht. Ein künftiges Aktionsfeld wird also sein, Nachqualifizierungsmöglichkeiten gerade auch für Personen mit weniger guten Ausgangsbedingungen zu erschließen. Bedarfsgerechte Dienstleistungsangebote wie weiterbildungsbegleitende Hilfen als flankierende Unterstützungsleistungen, die in dieser Richtung wirken könnten, müssen jedoch erst noch für die abschlussorientierte modulare Nachqualifizierung entwickelt, erprobt und regional implementiert werden. Bisher gibt es nur vereinzelt konzeptionelle und praktische Ansatzpunkte von WbH in der Nachqualifizierung, beispielsweise aus dem IQ-Netzwerk des BMAS für Personen mit Migrationshintergrund. Dazu gehören z.B. sprachsensibler Unterricht als zentraler Bestandteil einer adressatenorientierten beruflichen Weiterbildung (vgl. BETHSCHEIDER u. a. 2010 und Beitrag von BETHSCHEIDER 2011 in diesem Band) oder Stütz- und Lernunterricht sowie sozialpädagogische Begleitung (vgl. DAUSER/ SCHWEIGARD-KAHN 2011). Die bereits erzielten Erfolge im Programm „Perspektive Berufsabschluss“ schaffen geeignete Vorraussetzungen, damit diese Entwicklungsaufgaben von den regionalen Projekten in Angriff genommen werden können und sich Nachqualifizierung als zweiter Weg zum Berufsabschluss regional und strukturell etablieren kann.

Literatur

BETHSCHEIDER, M./ DIMPL, U./ OHM, U./ VOGT, W. (2010): Positionspapier Weiterbildungsbegleitende Hilfen als zentraler Bestandteil adressatenorientierter beruflicher Weiterbildung. Zur Relevanz von Deutsch als Zweisprache und Bildungssprache in der beruflichen Weiterbildung. AMT FÜR MULTIKULTURELLE ANGELEGENHEITEN (Hrsg.). Frankfurt am Main.

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Dauser, D./ SCHWEIGARD-KAHN (2011): Beratung in der Nachqualifizierung. Strategien, Instrumente und Erfahrungen. Leitfaden für die Bildungspraxis, Bd. 49., Bielefeld.

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SCHWEIGARD-KAHN, E. (2011): Cultural Mainstreaming in der abschlussorientierten modularen Nachqualifizierung - Handlungsfelder und erste Umsetzungsergebnisse im Programm "Perspektive Berufsabschluss". In: GRANATO, M./ WEISS, R./ MÜNK, D. (Hrsg.): Schriften zur Berufsbildungsforschung der Arbeitsgemeinschaft Berufsbildungsforschungsnetz (AG BFN), Band 9. Bielefeld, 113-142.


Zitieren dieses Beitrages

SCHWEIGARD-KAHN, E./ KRINGS, U./ MUNK P. (2011): Potenziale An- und Ungelernter nutzen – Erfolgsfaktoren abschlussorientierter modularer Nachqualifizierung. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 22, hrsg. v. SEVERING, E./ SPATZ, J., 1-18. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws22/schweigard-kahn_etal_ws22-ht2011.pdf (26-09-2011).



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