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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

WS22 - Geringqualifizierte
Herausgeber: Eckart Severing & Jürgen Spatz


Titel:
Wie werden aus An- und Ungelernten Fachkräfte?


Da geht noch viel – Wie werden aus An- und Ungelernten Fachkräfte? – Der Frankfurter Weg zum Berufsabschluss

Beitrag von Conrad SKERUTSCH (Werkstatt Frankfurt e.V.)

Abstract

Rund 8 Millionen Erwerbspersonen (Stand 2009) haben keinen anerkannten Berufsabschluss. Rund die Hälfte befindet sich im Alter von 25 – 50 Jahren. Zu spät für eine herkömmliche Ausbildung und noch nicht so alt, um schon aus dem Erwerbsleben abzutreten. Ein sehr großer Teil dieser „An- und Ungelernten“ ist von Arbeitslosigkeit bedroht oder befindet sich schon länger in Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig braucht der heutige Arbeitsmarkt immer mehr Fachkräfte. Die Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaft Werkstatt Frankfurt e.V. hat 2005 ein Qualifizierungsverfahren für erwachsene An- und Ungelernte entwickelt. Den „Frankfurter Weg zum Berufsabschluss“. Diese Qualifizierung beruht ganz wesentlich auf den Prinzipien des „Lernen im Arbeitsprozess“ und unterstützt sehr umfangreich das „selbstorganisierte Lernen“. Gerade für Menschen, die im herkömmlichen, durch formales Lernen organisierten Bildungssystem, eher schlechte Erfahrungen gemacht haben, ist dieses Verfahren überaus erfolgreich. 90% der Absolventen, die sich zur externen Berufsabschlussprüfung der jeweiligen Kammern anmelden, bestehen diese erfolgreich.

1 Der „Frankfurter Weg zum Berufsabschluss“ - Warum wir uns auf den Frankfurter Weg gemacht haben

Mit dem 4. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) fand eine strategische Neuausrichtung der Förderung von langzeitarbeitslosen Menschen statt. Wir standen vor der Frage, ob wir weiterhin auf öffentlich geförderte Beschäftigung setzten, oder ob wir unser Angebot um anspruchsvolle, vor allem abschlussorientierte Qualifizierung ergänzen sollten. Da fast ¾ aller arbeitsuchenden Langzeitarbeitslosen (in Frankfurt sind dies rd. 14.000 Menschen) über keinen verwertbaren Berufsabschluss verfügen, sind wir überzeugt, nur durch einen „Weg zum Berufsabschluss“ zu einer nachhaltigen Integration beitragen zu können. Wir entwickelten daher ein Verfahren, welches sich auf die besonderen Bedürfnisse dieser Zielgruppe einstellt und daher modularisiert ist („jeder Teil-Schritt ist ein Erfolg“), auf handlungsorientierte Lernzugänge setzt.

2 Das Konzept

Der „Frankfurter Weg zum Berufsabschluss“ ist eine mehrstufige und modularisierte Qualifizierung, die bis zu einem anerkannten Berufsabschluss (§45 BBiG -Externenprüfung) führen kann. Das Ziel ist, wie auch in der dualen Berufsausbildung(nach Berufsbildungsgesetz, bzw. Handwerksordnung), berufliche Handlungsfähigkeit zu erlangen und den Erwerb der erforderlichen Berufserfahrung im Arbeitsprozess zu ermöglichen. Der „Frankfurter Weg zum Berufsabschluss“ kombiniert mehrere Lernorte und Elemente; die Mitarbeit im Betrieb, die Qualifizierung im Arbeitsprozess, damit das Lernen, die Umsetzung und das Einüben des Gelernten sinnvoll verbunden wird; Qualifizierungsbausteine, die von den Kammern zertifiziert sind, die Mitarbeit in moderierten Lern- und Arbeitsgruppen, um den Lern- und Arbeitsprozess zu reflektieren

3 Wer kann teilnehmen?

Unsere Qualifizierung richtet sich an Arbeitssuchende im Alter von 25 bis 45 Jahren, die un- oder angelernt sind, Berufserfahrung, aber keinen Berufsabschluss haben (nicht formal qualifiziert sind), eine Ausbildung abgebrochen haben, einen Berufsabschluss im Ausland erworben haben, der in Deutschland nicht anerkannt wird, von den Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr für die Erstausbildung eingestellt werden, die Mitarbeit und Qualifizierung im Arbeitsprozess als förderlich für ihre Entwicklung ansehen. Wir haben uns ganz besonders auf die Lebenslage von SGB-II-Kunden konzentriert, nehmen aber selbstverständlich auch gerne SGB-III-Kunden in unsere Maßnahme auf.

4 Wo findet die Qualifizierung statt und welche Berufsabschlüsse werden angeboten?

Alle Qualifizierungen finden in den Betrieben (u.a. Recyclingzentrum, Lebensmittelläden, Second-Hand-Kaufhaus, Modenäherei, Malerbetrieb, Gastronomie) von Werkstatt Frankfurt statt. Hier arbeiten und qualifizieren sich zurzeit rund 700 Teilnehmer/-innen (auch in anderen Programmen).

Derzeit bieten wir folgende Abschlüsse an:

  • Elektroniker/in Energie- und Gebäudetechnik
  • Informationselektroniker/in
  • Berufskraftfahrer/in
  • Maler und Lackierer/in
  • Trockenbaumonteur/in
  • Fachlagerist/in
  • Fachkraft für Lagerlogistik
  • Einzelhandelskaufmann/-kauffrau
  • Verkäufer/in
  • Restaurantfachfrau/-mann
  • Köchin/Koch
  • Fachkraft im Gastgewerbe
  • Gärtner/in im Garten- und Landschaftsbau
  • Modenäher/in,
  • Modeschneider/in
  • Gebäudereiniger/in

5 Die drei Stufen mit zertifizierten Qualifizierungsbausteinen

Die Gliederung des „Frankfurter Wegs zum Berufsabschluss“ in drei Stufen (jeweils zwölf Monate) erleichtert den Teilnehmern/ Teilnehmerinnen die Entscheidung für diese Qualifizierung. Sie binden sich lediglich für eine Stufe und entscheiden sich erst nach zwölf Monaten für die Fortsetzung entsprechend ihren Entwicklungsfortschritten. Der Stufenwechsel ist nach einer erfolgreichen Stufenabschlussprüfung möglich. Die Prüfung nach Stufe 2 entspricht dem Niveau einer Zwischenprüfung in der Ausbildung.

Jede Stufe beinhaltet so genannte Qualifizierungsbausteine. Welche und wie viele Qualifizierungsbausteine der Einzelne in der jeweiligen Stufe erreichen kann, sind abhängig von der Berufsrichtung. Durchschnittlich werden zwei bis vier Qualifizierungsbausteine in einem Umfang von jeweils 200 bis 400 Stunden in einer Stufe absolviert. Die Modularisierung über Qualifizierungsbausteine ist grundsätzlich ein Element aus der Berufsvorbereitung für Jugendliche (Berufsausbildungsvorbereitungs-Bescheinigungsverordnung - BAVBVO). Wir haben dieses Konzept gewählt, weil Qualifizierungsbausteine den Arbeitgebern bekannt sind und sie als Zertifikate der Kammern eine höhere Bewertung erfahren als Trägerzertifikate. Die Inhalte sind – wie gesetzlich vorgeschrieben – den Ausbildungsordnungen entnommen. Die Leistungsnachweise zum Abschluss eines Qualifizierungsbausteins werden im Arbeitsprozess erbracht und die Bewertung erfolgt nach den Kriterien: „kann grundlegende Tätigkeiten nicht/ unter Anleitung/ selbständig ausführen“ bzw. „kann komplexe Tätigkeiten nicht/ unter Anleitung/ selbständig ausführen“. Die zertifizierten Qualifizierungsbausteine dokumentieren Teilqualifikationen und sind wichtig für Teilnehmer/-innen, die den „Frankfurter Weg zum Berufsabschluss“ bereits nach Stufe 1 beenden.

6 Der Ein- und Ausstieg ist jederzeit möglich

Der stufenförmige und modulare Aufbau des „Frankfurter Wegs zum Berufsabschluss“ ermöglicht den Seitenein- und -ausstieg und berücksichtigt, dass viele Teilnehmer/-innen nicht bei Null anfangen. Von diesem offenen System kann z.B. ein Maler aus Osteuropa profitieren, dessen Ausbildung in Deutschland nicht anerkannt wird. Der Mann hat in seiner Heimat gearbeitet, ist aber mit den hiesigen Arbeitstechniken nicht vertraut und im Kundenkontakt aufgrund seiner geringen Deutschkenntnisse noch unsicher. Bei der täglichen Arbeit lernen wir die Fähigkeiten des Mannes kennen und erarbeiten gemeinsam mit ihm, in welchen Bereichen noch Förderbedarf und Entwicklungspotentiale bestehen. Seine Deutschkenntnisse verbessert er durch die Mitarbeit in den Arbeitsgruppen und durch den zusätzlichen Besuch von Kursen an der VHS. Bereits nach 17 Monaten Mitarbeit und Qualifizierung kann sich der Maler zur Externenprüfung anmelden. Ein anderes Beispiel: Eine Teilnehmerin kann nach zwölf Monaten ihre Mitarbeit und Qualifizierung in den WF-Betrieben beenden und in einem Betrieb des ersten Arbeitsmarktes weiterarbeiten. Sie erwirbt auch hier berufliche Nachweise und kann sich dann bei der zuständigen Kammer zur Externenprüfung anmelden. Möglich ist auch, dass Teilnehmer/-innen während eines Praktikums in einem Betrieb des ersten Arbeitsmarktes für eine befristete Arbeitsstelle „abgeworben“ werden. Sollte erneut Arbeitslosigkeit eintreten, kann die Mitarbeit und Qualifizierung in den WF-Betrieben fortgesetzt und so der Weg zum Berufsabschluss weiterverfolgt werden. Unabhängig von den Prüfungsterminen der Kammern organisieren wir zweimal im Monat den Einstieg und nicht wie sonst üblich nur zweimal im Jahr. Teilnehmer/-innen, die die Externenprüfung ablegen wollen, melden sich im Laufe der Stufe 3 an.

7 Was noch zum Gelingen beiträgt

  • Zwei bis vier Stunden pro Woche sind als eigene Lernzeit vorgesehen, zu Hause oder auch in den Räumen von Werkstatt Frankfurt.
  • Zum Lernen stehen den Teilnehmern/-innen Präsenzbibliothek und Computer vor Ort zur Verfügung.
  • Es ist möglich, gewünscht und wird auch unterstützt, dass die Teilnehmer/-innen zusätzliche eigene Lerngruppen organisieren und sich gegenseitig unterstützen.
  • Darüber hinaus vertiefen die Teilnehmer/-innen ihr Wissen während Praktika bei Arbeitgebern auf dem ersten Arbeitsmarkt und es besteht die Möglichkeit, an Fachkursen bei externen Bildungsträgern teilzunehmen.
  • In angemessener Zeit vor der Externenprüfung werden die Teilnehmer/-innen intensiv auf die Prüfung vorbereitet.
  • Zur Klärung persönlicher und sozialer Fragestellungen können die Teilnehmer/-innen die betriebliche Sozialberatung in Anspruch nehmen.

8 Lernen im Arbeitsprozess als Schlüssel zum Erfolg

Die gesamte Mitarbeits- und Qualifizierungszeit beim „Frankfurter Weg zum Berufsabschluss“ beträgt zurzeit 39 Stunden pro Woche. Bis zu 35 Stunden arbeiten und lernen die Teilnehmer/-innen im Arbeitsprozess in den Betrieben von Werkstatt Frankfurt. Hier bringen sie ihre vorhandenen Fähigkeiten, Kenntnisse und Kompetenzen ein und leisten ihren Beitrag zum Betriebsergebnis. Diese Erfolgserlebnisse sind wichtig, da sich die Teilnehmer/-innen in ihrer Arbeitslosigkeit teilweise als „minderwertig“ und „nicht gebraucht“ betrachtet haben oder betrachtet wurden. Durch die kontinuierliche Mitarbeit steigt Belastbarkeit bzw. Arbeitsleistung und weitere Fertigkeiten und Kompetenzen für die Arbeitswelt werden schrittweise eingeübt und verbessert.

9 Lernen im Arbeitsprozess – ein Konzept mit vielen Vorteilen

Die moderne Arbeitswelt stellt hohe Anforderungen an die Arbeitenden: Es reicht nicht mehr, über ein hohes Maß an fachlichen Kenntnissen zu verfügen, sondern es müssen komplexe berufliche Handlungssituationen bewältigt werden, die selbständiges Handeln erfordern. An Stelle von bloßer Anwendung regelgeleiteter, standardisierter Handlungsmuster werden hohe Kompetenzen an situativem und wahrnehmungsgeleitetem Handeln verlangt. Unter diesen Bedingungen bietet die Integration beruflicher Lernprozesse in den Prozess der realen Arbeit eine Reihe von wesentlichen Vorteilen:

  • Das Lernen findet dort statt, wo die Dynamik und die Anforderungen an das permanente Lernen ihren Ausgangspunkt haben: in der Arbeitswelt. Wer in der Arbeit gelernt hat und lernen kann, ist mit seinem Wissen und Können immer up to date.
  • Wer im Arbeitsprozess gelernt hat, hat nicht nur Fachwissen gesammelt, sondern auch gelernt, sich selbstverständlich in seinem betrieblichen Umfeld zu bewegen (ohne „Praxisschock“).
  • Lernen im Arbeitsprozess fördert auch Schlüsselqualifikationen wie soziale Kompetenzen, Teamfähigkeit, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit.
  • Beim arbeitsintegrierten Lernen wird die Selbstlernkompetenz erweitert, die eine wichtige Voraussetzung für das heute unerlässliche „lebenslange Lernen“ darstellt.

10 Fazit

Nach nun 5 Jahren Praxiserfahrung mit dem „Frankfurter Weg zum Berufsabschluss“ können wir feststellen, dass sich der zentrale Ansatz des „Lernen im Arbeitsprozess“ als richtig und nachhaltig erwiesen hat. Viele unserer Absolventen sind im stark formalisierten Bildungssystem nicht erfolgreich gewesen. Nun durch die handlungsorientierte Methodik, durch die konkrete, reale Arbeitserfahrung sind gerade diese Menschen überaus erfolgreich. 90% der Absolventen, die sich zur externen Berufsabschlussprüfung der jeweiligen Kammern anmelden, bestehen diese erfolgreich. Über 70% können wir in reguläre, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vermitteln.

In Gießen und Bremen laufen bereits ähnliche Projekte. Es vergeht kaum ein Monat, in dem wir nicht von Kolleginnen und Kollegen aus anderen Städten besucht werden, die sich unsere Arbeit im „Frankfurter Weg zum Berufsabschluss“ vor Ort anschauen wollen.

Allerdings ist eine Übernahme unseres Verfahrens offenkundig nicht so einfach. Voraussetzung ist einfach eine reale Betriebswelt (mit „echten“ Produkten, Dienstleistungen und Kunden), die bei aller Professionalität aber auch die Lernprozessbegleitung durch geschulte Anleiter/-innen ermöglicht.


Zitieren dieses Beitrages

SKERUTSCH, C. (2011): Da geht noch viel – Wie werden aus An- und Ungelernten Fachkräfte? – Der Frankfurter Weg zum Berufsabschluss. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 22, hrsg. v. SEVERING, E./ SPATZ, J., 1-6. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws22/skerutsch_ws22-ht2011.pdf (26-09-2011).



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