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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT02 - Arbeitslehre
Herausgeberinnen: Marianne Friese & Ilka Benner

Titel:
Arbeitslehre. Neue Anforderungen an berufsorientierte Kompetenzentwicklung und Professionalisierung des pädagogischen Personals


Das Betriebspraktikum als Instrument schulischer Berufsorientierung

Beitrag von Thomas BERGZOG (Bundesinstitut für Berufsbildung)

Abstract

Bis zum Ende der Sekundarstufe I haben trotz der stetigen Zunahme berufsorientierender Angebote rund 40 % der Jugendlichen keinen konkreten Berufswunsch entwickelt. Dem Schülerbetriebspraktikum wird heute ein besonders großer Einfluss auf die Entwicklung von Berufswünschen zugeschrieben. Das Betriebspraktikum kann bei der Findung von Berufswünschen helfen. Die Effizienz des Betriebspraktikums kann gesteigert werden, wenn es optimal vor- bzw. nachbereitet wird und eingebettet ist in einen logisch aufgebauten, kontinuierlichen Berufsorientierungsprozess. Dabei sollten alle an diesem Prozess mitwirkenden Akteure zusammenwirken, da die Schulen überfordert wären, wenn man sie mit dieser Aufgabe alleine lässt. Der Artikel stellt in erster Linie die Ergebnisse eines Forschungsprojekts des Bundesinstituts für Berufsbildung vor, das auf der Basis von Befragungen versucht hat, einen Empfehlungskatalog für die am Berufsorientierungsprozess beteiligten Akteure zusammenzustellen.

1 Ein Rückblick

In den 70er Jahren begannen die Schülerbetriebspraktika sich in den Schulen zu etablieren. Schon damals hieß es: „Eine gezielte Vorbereitung und eine intensive Aufbereitung der Erfahrungen sind unerlässlich. Die drei Strukturelemente des Praktikums – Vorbereitung – Durchführung – Nachbereitung – sind als didaktische Einheit zu verstehen.“ (KAISER 1979, 196). An gleicher Stelle weiter: „Sinn und Zweck der Schülerpraktika werden immer dann fragwürdig, wenn die Praktika einseitig unter den Gedanken der Berufsfindung gestellt werden. Solche Praktika verfehlen vollends ihren Zweck, wenn sie als Mittel der Eignungsfeststellung für bestimmte Berufe oder der Stellenvermittlung angesehen werden.“ (KAISER 1979, 196).

Die Aufteilung von Schülerbetriebspraktika in die drei genannten Strukturelemente klingt heute selbstverständlich. Eine flächendeckende optimale Umsetzung von KAISERs Forderung ist allerdings auch nach Jahrzehnten nicht überall Selbstverständlichkeit geworden. Seine zweite Aussage muss aus heutiger Sicht differenzierter gesehen werden. Praktika „einseitig“ unter den Gedanken der Berufsfindung zu stellen, ist sicher problematisch wie vieles, was mit dem Wort „einseitig“ behaftet ist. Dass Praktika ihren Zweck „vollends verfehlen“, wenn sie in Zusammenhang mit Eignungsfeststellung oder Stellenvermittlung gestellt werden, mag aus der damaligen Sicht nachvollziehbar gewesen sein, kann vor dem Hintergrund der heutigen Ausbildungs- und Arbeitsmarktlage, nicht mehr unwidersprochen bleiben.

Der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt hat sich drastisch verändert und wird sich weiter verändern. Damals sollten die jungen Menschen in erster Linie einmal aus der behüteten Schule herauskommen und an der Arbeitswelt „schnuppern“. Ausbildungsabbrüche, also Brüche in der Ausbildungsbiografie, spielten nicht die Rolle wie heute. Es brauchten noch nicht mehrere 100.000 Jugendliche jedes Jahr im sogenannten Übergangssystem in Wartestellung zu verharren, was mit persönlichen, aber auch gesamtgesellschaftlichen Belastungen verbunden ist. 2006 wurden rd. 6 Mrd. Euro im sog. Übergangssystem auf Jugendliche verwendet (vgl. NEUMANN u.a. 2010). Rund 2/3 der Jugendlichen mündeten im Anschluss an die Maßnahme nicht direkt in eine Ausbildung ein, sodass rund 4 Mrd. Euro ohne direkten sichtbaren Nutzen blieben.

Schulen sollten der Vermittlung von Allgemeinbildung dienen. Berufsbildung als Teil der Allgemeinbildung oder gleichwertige Partnerin anzusehen, hatte allgemein im Bildungsverständnis der Lehrkräfte praktisch keinen Raum. Was hat sich verändert in den gut 30 Jahren? Gibt es Defizite und wenn, woran müssen die Mitverantwortlichen arbeiten? Zuerst muss das Spektrum ein wenig ausgebreitet werden, um sich der Frage, welche Rolle Praktika spielen, anzunähern.

2 Entwicklung

Positiv zu vermerken ist, dass sich die Behandlung des Themas Berufsorientierung in Forschung und Praxis stetig erweitert hat. Berufsorientierung ist bundesweit fester Bestandteil an Schulen geworden – in ihrer Intensität allerdings abnehmend, je höher der Schulabschluss ist.

Verschiedenste Maßnahmen sind mehr oder weniger obligatorisch geworden. Betriebsbesichtigungen, -führungen, -erkundungen, Besuche regionaler Messen, Tage der offenen Tür, Girl´s Day, Medien, die in der Schule Anwendung finden wie Berufe aktuell oder der Qualipass – um nur ein paar zu nennen – werden mehr oder weniger genutzt. Potenzialanalysen werden durchgeführt. Flächendeckend werden Berufsberatungen in Anspruch genommen und Berufsinformationszentren besucht. Dass Ausbilder/-innen beispielsweise in die Schulen kommen und über ihre Berufstätigkeiten informieren, ist dann schon seltener. Die Liste von Orientierungsmöglichkeiten lässt sich erweitern auch auf das Umfeld der Jugendlichen, die mit ihren Verwandten und Freunden sprechen oder das Internet nutzen. Das Angebot ist vielschichtig und erscheint auf den ersten Blick mehr als ausreichend.

Das gleiche gilt auch für die Praktika selbst: Die Bandbreite reicht von Schnupperpraktika, Kontrastpraktika (zwei hintereinander folgende Praktika in verschiedenen Berufsfeldern), Tages- bzw. Langzeitpraktika bis hin zu freiwilligen Praktika in den Ferien oder auch auf die in der letzten Zeit vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Praktika an überbetrieblichen und vergleichbaren Bildungsstätten.

3 Das Vorfeld

Schülerbetriebspraktika als Instrument der Berufsorientierung. Wenn dieser Überschrift ein Fragezeichen nachgestellt wird, lautet die Antwort trotz des mittlerweile großen Angebots: Ja, aber…!

Die genannten Orientierungsveranstaltungen, die vornehmlich schon im Vorfeld der Schülerpraktika durchgeführt werden, sind nur bedingt sinnvoll, wenn sie als einzelne für sich stehende Maßnahmen immer mal wieder in den Unterricht eingeschoben werden. Vielmehr sollten sie so konzipiert sein, dass sie aufeinander aufbauen und ineinander greifen. Informationsvermittlung, Beratung, Potenzialanalyse sollten Hilfestellung geben bei der jeweils passenden Auswahl der Praktikumsplätze. Die Beachtung der zeitlichen Abfolge und der Sinnzusammenhänge hat Bedeutung für den Lernerfolg. Trotz der Zunahme schulischer Beispiele guter Umsetzung hapert es daran allerdings – auch nach über 30 Jahren – im Alltag immer noch an vielen Schulen. Der prozessuale Charakter der Berufsorientierung, der sich im Schulunterricht spiegeln sollte, ist nicht selten Zufälligkeiten ausgesetzt: Sei es, dass die Schulleitung andere Prioritäten setzt, die Kollegien die für die Berufsorientierung zuständigen Lehrkräfte nicht ausreichend unterstützen oder auch nur Probleme bei Terminen und Absprachen die Prozesse negativ beeinflussen, wie sich aus etlichen Interviews, die im Rahmen des Forschungsprojekts „Beruf fängt in der Schule an“ des Bundesinstituts für Berufsbildung [BIBB] herauslesen lässt (vgl. BERGZOG 2008). Vornehmlich liegen die Auswertungen (nach MAYRING 1996) der qualitativen Studien aus diesem Projekt den Aussagen im Folgenden zugrunde. Neben verschiedenen quantitativen Erhebungen wurden u.a. mit 45 Schüler/-innen, 39 Lehrkräften und 19 Ausbilderinnen und Ausbildern Interviews geführt, transkribiert und computergestützt ausgewertet.

4 Die didaktische Einheit

Die didaktische Einheit Schülerbetriebspraktikum mit der Vorbereitung, der Durchführung und der Nachbereitung stellt zweifellos den Höhepunkt der schulischen Orientierungsmaßnahmen dar.

4.1 Die Vorbereitung

Steht das Schülerbetriebspraktikum an, spricht die verantwortliche Lehrkraft im Unterricht über die Modalitäten, die Jugendlichen werden meist aufgefordert, sich Plätze zu besorgen. Manchmal besorgen aber auch die Schulen welche oder vermitteln. Dies ist allerdings insofern fragwürdig, als dadurch die von Betrieben geforderte Eigeninitiative nicht gefördert wird. Hat der Jugendliche keine Richtungsvorstellungen im Vorfeld entwickeln können, hat dies zur Folge, dass Praktikumsplätze nicht immer nur nach einem für sinnvoll gehaltenen Ausbildungsberuf ausgewählt werden, sondern zum Beispiel mit Blick auf die Erreichbarkeit eines Betriebes nach der Bequemlichkeit.

In manchen Betrieben wird ein kleines Vorstellungsverfahren mit einer Bewerbung und einem Bewerbungsgespräch durchgeführt. Hierdurch sollen die Jugendlichen eine Vorstellung bekommen, wie es in etwa einmal nach der Schulzeit bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz zugehen wird. Manche Betriebe verzichten darauf, um diesen Mehraufwand zu vermeiden. Nicht selten besorgen auch die Eltern über ihre eigenen beruflichen Beziehungen Plätze.

Diese wenigen Beispiele zeigen, dass nach den Zufälligkeiten im Vorfeld bei der Vorbereitung und der Suche nach einem Praktikumsplatz ebenfalls Zufälligkeiten vorprogrammiert sein können.

4.2 Die Durchführung

Insgesamt positiv zu vermerken ist: Was die Durchführung angeht, haben die im Rahmen des BIBB-Forschungsprojekts in einigen Bundesländern (Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Baden-Württemberg) durchgeführten quantitativen und qualitativen Befragungen in Haupt-, Realschulen und umliegenden Ausbildungsbetrieben ergeben, dass die Schüler/-innen ebenso wie die Ausbildenden mehrheitlich gute Erfahrungen gemacht haben. Ein Großteil der Jugendlichen konnte einen Einblick in den jeweiligen Beruf bekommen und fühlte sich gut aufgehoben. Die meisten verantwortlichen Lehrkräfte besuchten die Betriebe während der Praktikumszeit. Nicht selten „blühten“ demotivierte Jugendliche während eines solchen Praktikums regelrecht auf.

4.3 Die Nachbereitung

Ist das Praktikum vorbei, beginnt mit der Nachbereitung der dritte Teil der didaktischen Einheit. Die Befragungen zu diesem Teil ergab allerdings sehr häufig: Die Jugendlichen kommen zurück in die Schule, berichten ein wenig über das Erlebte und stellen eine für die Notengebung relevante Praktikumsmappe fertig. Die Heranziehung der Mappen für die Notengebung scheint in der Summe allerdings insofern fragwürdig zu sein, als diese unter unterschiedlichen Voraussetzungen entstehen, sei es, dass sie im Betrieb oder zu Hause erstellt werden kann bzw. werden muss, sei es dass manche Jugendliche von den Betrieben gute Unterlagen zur Verfügung gestellt bekommen, andere wiederum keine.

Viele Lehrkräfte wenden sich mit Hinweisen auf knappe Wochenstundenzahlen und einzuhaltende Lehrpläne oft schnell wieder anderen Themen zu. Für eine individuelle Analyse bleibt oft keine Zeit. Auch sind es Ausnahmefälle, wenn Jugendliche nach ihren Praktika zum Beispiel in den unteren Klassen, deren Schüler/-innen noch vor der Praktikumszeit stehen, über ihre Erfahrungen berichten. Defizite in der Nachbereitung bedeuten die Gefahr, dass die Erfahrungen aus dem Praktikum nicht nachhaltig sind und im Sande verlaufen. Nicht selten steht auch heute noch das Praktikum als mehr oder weniger isolierte Maßnahme da. Berufsorientierung als Prozess, in die die Praktika eingebettet sind, hingegen bedeutet auch, dass die Nachbereitung – zumal in der Schulzeit meist mehrere Praktika absolviert werden – möglichst nahtlos in die nächste Vorbereitungsphase einmünden sollte.

5 Der Alltag

Nach all den Maßnahmen, die schon im Vorfeld durchgeführt wurden, nach Durchlaufen oft mehrerer Praktika sollte im Ergebnis herauskommen, dass zumindest die meisten Schüler/-innen am Ende der Schulzeit wissen, wo die eigenen Fähigkeiten und Neigungen liegen und welche Berufe am ehesten in Frage kommen könnten. Dies ist aber nicht so: 50 % der Jugendlichen wissen nach der neunten und 40 % nach der zehnten Klasse nicht, was sie werden wollen, wie quantitative Auswertungen des Forschungsprojekts „Beruf fängt in der Schule an“ ergaben.

Haben sie einen Ausbildungsplatz nach der Schulzeit, brechen unterschiedlich nach Branche und Ausbildungseinrichtung mitunter ein Fünftel oder mehr der Jugendlichen ihre Ausbildung vorzeitig ab, rund die Hälfte davon wegen falscher Vorstellungen vom Ausbildungsberuf (vgl. WESTDEUTSCHER HANDWERKSTAG 2002).

Die Schulen sind hierfür natürlich nicht allein verantwortlich. Augenfällig ist aber, dass es Schulen gibt, die die Berufsorientierung in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt haben und in ihren Unterricht mehrere unterschiedliche Schülerpraktika integriert haben. Hier bauen die Maßnahmen kontinuierlich, strukturiert und stringent aufeinander auf. Das Bildungsverständnis der Lehrkräfte bezieht Berufsbildung ein.

Diese Vorbilder finden jedoch nicht nur Nachahmer. Es gibt Schulen, wo dieses Bildungsverständnis längst nicht vorherrscht, sich Lehrkräfte für ihr Fach und das Fachwissen, nicht aber für die Berufsbildung mitverantwortlich fühlen. Je nach Schule sind die Unterschiede erheblich, was die Anzahl von abgeschlossenen Ausbildungsplatzverträgen am Ende der Schulzeit betrifft. Alle noch so anerkannten und etablierten Maßnahmen stehen und fallen also letztlich mit der Haltung der Schulleitung und dem Engagement der Lehrkräfte.

5.1 Beispiel: Betriebserkundung

Die oben angeschnittenen Befragungsergebnisse zur Vorbereitungs- und Nachbereitungsphase zeigen, dass der Schulalltag oft etwas anders aussieht, als es das reichhaltige Angebot an Maßnahmen und das zugrunde liegende didaktische Verständnis vermuten lassen könnten. Das Gleiche gilt für das Vorfeld.

Sinnvoll – auch im Hinblick auf Chancengerechtigkeit für die Schüler/-innen – sind die Maßnahmen nur, wenn sie kontinuierlich und für alle angeboten werden. Dass es diese Kontinuität nicht überall gibt, zeigt das Beispiel der Betriebserkundungen. Manche Klassen kommen in den Genuss einer oder sogar mehrerer Erkundungen, andere nicht. Dies kann sich innerhalb einer Schule abspielen. Manche Schulen haben hierfür regelrechte Kooperationsverträge mit Betrieben, andere nicht. Es gibt Beispiele, dass solche Erkundungen abgeschafft wurden, weil die Disziplinlosigkeit einzelner Jugendlicher von der Schule als peinlich gegenüber dem Betrieb und deren Bemühungen empfunden wurden. Auf der anderen Seite wurden solche Erkundungen, nachdem sie abgeschafft waren, mit Erfolg und ohne Disziplinprobleme wieder eingeführt, indem man beispielsweise Gruppen nach Interessen zusammenstellte.

5.2 Beispiel: Fächerübergreifender Unterricht

Ein ganz anderes Beispiel aus dem Bereich Schulalltag stellt der viel propagierte fächerübergreifende Unterricht dar. Die vermeintliche Selbstverständlichkeit endet, wenn es sie überhaupt gibt, in Bezug auf Berufsorientierung – so Aussagen mehrerer Lehrkräfte in den Interviews – oft damit, dass im Fach Deutsch schon mal Bewerbungen geübt oder die Praktikumsmappen mit bewertet werden.

Fächerübergreifender Unterricht im folgend gemeinten Sinne könnte für die schulische Berufsorientierung, verstanden als gemeinschaftliche Aufgabe, und damit auch das Schülerpraktikum als Instrument der Berufsorientierung meines Erachtens aufwerten: Es gibt rund 350 Ausbildungsberufe, die Jugendlichen kennen ebenso wie die meisten Lehrkräfte nur einen kleinen Teil davon. Die für die Berufsorientierung verantwortlichen Lehrkräfte sind überfordert, wenn sie diese breite Palette von Berufen den Schülerinnen und Schülern ausreichend nahe bringen wollten, zumal die meisten Lehrkräfte über zu geringe Wochenstundenzahlen klagen. Bis heute ist man an vielen Schulen noch nicht so weit, dass ein Lehrerkollegium dahingehend als Kollektiv auftritt, als dass jede Lehrkraft die seinem Fach zuzuordnenden – zumindest wichtigeren – Ausbildungsberufe professionell aufbereitet vorstellt. Einem entsprechenden Engagement und Teamgeist im Lehrerkollegium muss natürlich eine entsprechend fördernde Schulleitung voranstehen.

Voraussetzung für einen derartigen fächerübergreifenden Unterricht wären auch entsprechende Schulungen der Lehrkräfte und natürlich auch Kenntnisse über die örtlichen Infrastrukturen. Denn es macht in Bezug auf Schülerbetriebspraktika wenig Sinn, Berufe vorzustellen, die sich für ein Praktikum eignen, wenn die entsprechenden nicht in erreichbarer Nähe vorzufinden sind.

Die Folge kann sein, dass viele interessante Berufe nicht ins Kalkül der Jugendlichen einbezogen werden, weil die Jugendlichen keinen positiven Bezug zu weniger bekannten Berufen herstellen können bzw. diese schlicht unbekannt sind.

Tabelle 1:   Exemplarische Beispiele für Berufszuordnungen zu Unterrichtsfächern

Kunst

Chemie / Biologie

Musik

Sport

Werken

Design / Kunsthandwerk etc.

Laborberufe / Berufe zu Pflanzen / Tieren etc.

Musikfach-

handel/

Instrumenten-bau etc.

Therapeutische Berufe / Fitness etc.

Berufe Metall / Holz etc.


Die Tabelle zeigt natürlich nur einen kleinen Ausschnitt. Es müssten Berufsgruppen und Berufe einer genaueren Zuordnung unterzogen werden, wobei die Relevanz der Berufe und ihr Vorkommen in der jeweiligen Region der einzelnen Schulen zu berücksichtigen ist.

5.3 Beispiel: Besuche der Berufsinformationszentren

Berufsinformationszentren (BIZ) sind flächendeckend bundesweit vorhanden. Jede Klasse stattet dort obligatorisch einen Besuch ab. Demgegenüber gehen aber nur die wenigsten danach von sich aus wiederholt dorthin, um sich vertiefend zu informieren. Gerade weil es sich bei BIZ um ein flächendeckend vorhandenes Instrument handelt, besteht anscheinend Handlungsbedarf, die Attraktivität dieses Instrumentes zu erhöhen.

6 Erfolgversprechende Praktika – Beispiele

Um der Gefahr entgegenzusteuern, dass Lernerfolge aus Praktika wieder versanden, sind neben angemessener Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung – individuell natürlich unterschiedlich – mehrere aufeinander aufbauende Praktika innerhalb der Schulzeit vorteilhaft. Neben den „normalen“ zwei- oder dreiwöchigen Praktika hier ein paar Typenbeispiele, die nach Aussagen der Interviewten als besonders hilfreich angesehen werden.

6.1 Kontrastpraktikum

Am Anfang, wenn die Richtungen noch verschwommen sind, hat sich bewährt, ein Kontrastpraktikum durchzuführen. Zwei – es könnten auch drei sein – Praktika werden dabei ohne zeitliche Unterbrechung in zwei verschiedenen Berufsfeldern absolviert (Dauer je nachdem jeweils ein bis zwei Wochen pro Berufsfeld). Hierbei soll der Jugendliche erfahren, was ihm mehr oder was ihm weniger liegen könnte. Hieran schließen sich später vertiefende Praktika nach der Interessenlage an.

6.2 Langzeitpraktika (Tagespraktika)

Gegen Ende der Schulzeit geht der Jugendliche bis zu einem halben Jahr einen Tag in der Woche in einen Betrieb. Die entscheidende Vorteile: Die Ausbildenden lernen den Jugendlichen besser kennen. Wenn der Jugendliche sich entsprechend verhält, steigt die Chance der Übernahme in eine Ausbildung und zwar auch dann, wenn die Notenlage dem eher entgegen sprechen.

6.3 Ferienpraktika

Betriebe sehen es gerne, wenn Jugendliche Eigeninitiative beweisen (vgl. BIBB-RBS). Wenn Sie einen Teil ihrer Ferien opfern, um die Arbeit bzw. einen Beruf in einem Betrieb kennen zu lernen, wird dies positiv aufgenommen und erhöht ebenfalls die Chance auf einen Ausbildungsplatz. Von dieser Möglichkeit wird aber viel zu selten Gebrauch gemacht. Die Jugendlichen sollten hierzu stärker als es bislang geschieht, motiviert werden.

7 Berufswunsch und Bewerbungsverhalten

Die Grafik zeigt, dass der Einfluss von Praktika auf den Berufswunsch besonders stark ist, gefolgt von den Gesprächen mit Eltern und Freunden. Etwas abgeschlagen tauchen die Lehrkräfte auf.

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Abb. 1:   Einfluss auf den Berufswunsch

 

Fächert man die Rubrik „Sonstiges“ auf, zeigt sich:

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Abb. 2:   Berufswunsch durch „Sonstiges“ (aufgefächert)

Die Berufsberatung als professioneller Ansprechpartner wird gerade mal von gut 2 % genannt. Nun kann in diesem Zusammenhang die Reflexionsfähigkeit der Jugendlichen in Frage gestellt werden. Es kann hier nur beurteilt werden, dass ihnen der Einfluss nicht bewusst ist und im Unterbewusstsein dieser Einfluss vielleicht stärker ist als in der Befragung angegeben. Ein Hinweis, dass das Instrument, das bundesweit etabliert ist, optimierungsfähig ist, dürfte sich aber ableiten lassen; und Ähnliches lässt sich auch aus anderen Untersuchungen (BEINKE 2006, 61f) ausdifferenziert ablesen.

Unabhängig vom Optimierungsbedarf zeigt sich der Wert der Schülerpraktika darin, dass sie mit Bezug auf die Entwicklung von Berufswünschen am häufigsten genannt wurden. Der Erfolg, der sich mit der Entwicklung von Berufswünschen einstellt, lässt sich in Zahlen ablesen:

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Abb. 3:   Bewerbungsverhalten von Schüler/innen mit konkreten Berufswünschen

Gut die Hälfte der Jugendlichen aus Abgangsklassen mit Berufswunsch hatten sich zum Befragungszeitpunkt Frühsommer beworben, fast ein Viertel eine feste Zusage.

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Abb. 4:   Bewerbungsverhalten von Schüler/innen ohne konkreten Berufswünschen

Gut 70 % derjenigen ohne Berufswunsch hatten noch keine Bewerbung verschickt. Dies ist auch im Zusammenhang mit Bewerbungsfristen nicht unwichtig. Keinen Berufswunsch entwickelt zu haben, hat Einfluss auf das Bemühen um einen Ausbildungsplatz. Jugendliche mit konkreten Wünschen klemmen sich nicht nur mehr dahinter, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, sie sind auch erfolgreicher.

8 Fazit/ Empfehlungen

Ein Hauptziel des Forschungsprojekts „Beruf fängt in der Schule an“ war, auf der Basis der zahlreichen quantitativen, aber auch besonders qualitativen Befragungen Empfehlungen abzuleiten und zusammenzustellen, die hilfreich sein können, um die Berufsorientierung allgemein, besonders aber die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Schülerbetriebspraktika verbessern zu helfen. Einige der Ableitungen sind bereits angeklungen (vgl. BERGZOG 2008; vgl. BIBB 2006):

  • Praktika sollten zielgenau und den individuellen Bedürfnissen angepasst ausgewählt werden;
  • spezielle Praktika können bei der Erlangung eines Ausbildungsvertrages helfen;
  • das gesamte Kollegium und die Schulleitung ist – wenn nötig – zu sensibilisieren;
  • die Lehrkräfte aller Fächer sollten sich einschlägig fortbilden und Praktika unterziehen (verbindlicher als bislang);
  • Zusammenarbeit innerhalb der Schulen, zwischen Schulen vor Ort, wo immer möglich mit den Eltern der Jugendlichen, aber auch Kooperationen zwischen Berufsberatung und weiteren Institutionen wie zum Beispiel Berufsschulen, Betrieben oder Jugendhilfeeinrichtungen außerhalb von Praktikumszeiten sollten vertieft und gepflegt werden.


Die Verantwortung der Schulen wächst, ob sie das wollen oder nicht. Dies gilt zumal da, wo Eltern nicht in der Lage sind, ihre Kinder effektiv zu unterstützen. Allein wäre sie mit dieser Aufgabe überfordert. Nur wenn alle beteiligten Akteure sich der gemeinsamen Verantwortung bewusst sind und ihr gerecht werden, kann die Effektivität von Schülerpraktika speziell, aber auch der schulischen Berufsorientierung insgesamt gesteigert werden. Ganztagsschulen sind hier gegenüber herkömmlichen in erheblichem Vorteil.

Es gibt Leuchtturmschulen, die Berufsorientierung unter Einsatz mehrerer aufeinander aufbauender Praktika und vieler sonstiger Maßnahmen kontinuierlich und nachhaltig erfolgreich durchführen, was sich niederschlägt in überdurchschnittlichen Ausbildungsplatzvertragsquoten. Aber es gibt auch immer noch die vielen Schulen, bei denen eine solche Praxis weniger entwickelt ist.

Auch wenn die Bedeutung von Berufsorientierung mit ihren Höhepunkten, den Schülerpraktika, nicht mehr in Frage gestellt wird, gibt es aber an vielen Schulen auch weiterhin Optimierungsbedarf. Der Aufwand, der mit Schülerpraktika für alle beteiligten Akteure verbunden ist, scheint zu hoch, wenn damit lediglich erreicht wird, dass einer von 350 Ausbildungsberufen ausgeschlossen wird. Mit der Umsetzung von Stringenz, Strukturierung und Kontinuität, mit engagierten Schulleitungen und Kollegien, mit Vernetzungen zwischen Schulen, Betrieben, aber auch Berufsschulen, Eltern und allen anderen an der Berufsorientierung beteiligten Einrichtungen in den jeweiligen Regionen lassen sich Lernerfolge weiter verbessern.

Schülerbetriebspraktika können unter diesen Voraussetzungen die Chancen für viele Jugendliche, den Übergang von Schule in Ausbildung erfolgreich zu meistern, zählbar erhöhen und damit ein besonders wertvolles Instrument schulischer Berufsorientierung sein.

Literatur

BEINKE, L. (2006): Berufswahl und ihre Rahmenbedingungen. Frankfurt/M.

BERGZOG, T. (2008): Beruf fängt in der Schule an - Die Bedeutung von Schülerbetriebspraktika im Rahmen des Berufsorientierungsprozesses. Bielefeld.

BUNDESINSTITUT FÜR BERUFSBILDUNG [BIBB] (2003): RBS-Befragung Nr. 25. Bonn.

BUNDESINSTITUT FÜR BERUFSBILDUNG [BIBB] (Hrsg.) (2006): Empfehlungen des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung zur Berufsorientierung und Berufsberatung u.a. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, Nr. 1/2006.

KAISER, F.-J. (1979): Berufswahlunterricht. In: BUNDESANSTALT FÜR ARBEIT (Hrsg.): Handbuch zur Berufswahlvorbereitung. Nürnberg, 196.

MAYRING, PH. (1996): Einführung in die qualitative Sozialforschung. Weinheim.

NEUMANN, M. u.a. (2010): Die Integration Jugendlicher in Ausbildung und Beschäftigung. Probleme, Programme und Reformpotenziale. Köln.

WESTDEUTSCHER HANDWERKSKAMMERTAG (Hrsg.) (2002): Gründe für Ausbildungsabbrüche. Ergebnisse einer repräsentativen EMNID-Befragung von Jugendlichen, Ausbildern und Berufskolleglehrern. Online: www.de.statista.com  (1.3.2011).


Zitieren dieses Beitrages

BERGZOG, T. (2011): Das Betriebspraktikum als Instrument schulischer Berufsorientierung. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 02, hrsg. v. FRIESE, M./ BENNER, I., 1-12. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft02/bergzog_ft02-ht2011.pdf (26-09-2011).



Hochschultage Berufliche Bildung 2011 - Web page

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