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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT02 - Arbeitslehre
Herausgeberinnen: Marianne Friese & Ilka Benner

Titel:
Arbeitslehre. Neue Anforderungen an berufsorientierte Kompetenzentwicklung und Professionalisierung des pädagogischen Personals


Betriebliche Bildung als Referenz der Arbeitslehre

Beitrag von Peter DEHNBOSTEL (Helmut Schmidt Universität Hamburg)

Abstract

Für den Lernbereich Arbeitslehre und die schulische Berufsausbildungsvorbereitung sind Arbeit und Beruf zentrale Referenzthemen, die didaktisch und curricular in den Unterricht einbezogen werden müssen. Das bedeutet, die Inhalte und Entwicklungen zu erfassen und zu erschließen, die die betriebliche Bildung in ihrer Organisation und ihren Qualifizierungsprozessen kennzeichnen. An erster Stelle sind dies die betriebliche Bildungsarbeit und das betriebliche Bildungsmanagement. Die betriebliche Bildungsarbeit als junges Fachgebiet umfasst prinzipiell alle Trainings-, Qualifizierungs- und Berufsbildungsmaßnahmen, die unmittelbar im Unternehmen stattfinden oder von diesem veranlasst werden. Das betriebliche Bildungsmanagement geht über die betriebliche Bildungsarbeit hinaus. Es plant, lenkt und steuert die betriebliche Bildung, wobei es im Spannungsfeld von betrieblich-ökonomischen Interessen und individuellen Bildungsinteressen steht. Zentrale Handlungsfelder der betrieblichen Bildungsarbeit in modernen Arbeits- und Organisationskonzepten sind die lern- und kompetenzförderliche Gestaltung der Arbeit, Arbeiten und Lernen verbindende Lernformen sowie die Beratung und Begleitung im Betrieb. Wichtige beruflich-betriebliche Lernkonzepte sind das situierte Lernen, das selbstgesteuerte Lernen sowie das Erfahrungs- bzw. reflexive Lernen.

1  Einleitung

Das Unterrichtsfach Arbeitslehre konstituiert sich wesentlich durch den Bezug auf Arbeit und Beruf. Schüler der Sekundarstufen I und II müssen auf den Übergang von der Schule in die Ausbildung und Arbeitswelt vorbereitet werden. Zentrale didaktisch-curriculare Bezüge sind dabei die Erwerbsarbeit und die vorherrschende, durch anerkannte Ausbildungsberufe geprägte Berufsform der Arbeit. Für den Lernbereich Arbeitslehre und die schulische Berufsausbildungsvorbereitung konzentriert sich der Bezug auf Arbeit und Beruf in der betrieblichen Bildung, deren Inhalte und Entwicklungen praktisch-konzeptionell und theoretisch für den Sekundarstufenunterricht zu erschließen sind. Die im Fach Arbeitslehre zu fördernde Arbeits- und Berufsorientierung setzt einen Überblick über aktuelle Forschungs- und Entwicklungsbefunde in der betrieblichen Bildung voraus. Zu fragen ist: Wie sieht die betriebliche Bildung aus, wie hat sich die betriebliche Bildungsarbeit angesichts neuer Arbeits-, Organisations- und Unternehmenskonzepte entwickelt? Welche betrieblichen Lernformen und Lernkonzepte bestehen?

Ein Dreh- und Angelpunkt für die Entwicklung der betrieblichen Bildung ist die Renaissance des Lernens in der Arbeit und der ihr zugrunde liegende allgemeine Wandel der Arbeit und der Qualifikationsanforderungen. Mit diesem Wandel wird die betriebliche Bildungsarbeit systematisiert, Lernen und Arbeiten werden verbunden, die Arbeit wird lern- und kompetenzförderlich gestaltet, neue Lernformen inmitten der Arbeit einschließlich des E-Learnings werden eingeführt und Beratung und Begleitung in und bei der Arbeit nehmen zu. Dem informellen, also dem nicht geplanten, beiläufigen Lernen im Prozess der Arbeit kommt für die kompetenzbasierte Aus- und Weiterbildung im Betrieb eine entscheidende Rolle zu. Diese Gegenstandsfelder werden im Folgenden beschrieben.

Der zweite Abschnitt behandelt die Grundlagen der betrieblichen Bildungsarbeit sowie das der betrieblichen Bildungsarbeit übergeordnete betriebliche Bildungsmanagement. Abschließend wird auf das Spannungsfeld zwischen bildungstheoretischen und managementorientierten Positionen im Bildungsmanagement und in der betrieblichen Bildungsarbeit eingegangen.

Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit den zentralen Handlungsfeldern betrieblicher Bildungsarbeit. Zunächst wird die lern- und kompetenzförderliche Arbeitsgestaltung thematisiert, wobei besonders auf einschlägige Analyse- und Gestaltungskriterien eingegangen wird. Es schließt sich die Darstellung von Arbeiten und Lernen verbindenden Lernformen an, die gezielt formales und informelles Lernen verbinden. Als drittes Handlungsfeld werden Begriffe und grundlegende Ansätze der Begleitung und Beratung im Betrieb vorgestellt.

Der vierte Abschnitt widmet sich betrieblichen Lernkonzepten. Auf die Arbeit bezogene Lernansätze und Konzepte beruflichen Lernens werden gezielt seit den Zeiten der Reformpädagogik in den 1920er Jahren verfolgt. Aber erst mit der Renaissance des Lernens in der Arbeit und neuen betrieblichen Qualifikationsanforderungen setzen sich auf breiter Basis betriebliche Lernkonzepte durch, die lerntheoretisch und didaktisch die Handlungsorientierung, die Ganzheitlichkeit der Handlungen und die Selbststeuerung des Lernenden in den Mittelpunkt stellen. Mit dem situierten Lernen, dem selbstgesteuerten Lernen und dem Erfahrungs- bzw. reflexivem Lernen werden die wichtigsten Ansätze vorgestellt.

2 Betriebliche Bildungsarbeit und betriebliches Bildungsmanagement

2.1 Betriebliche Bildungsarbeit

Unter betrieblicher Bildungsarbeit sind zunächst alle Trainings-, Qualifizierungs- und Kompetenzentwicklungsprozesse zu verstehen, die unmittelbar im Unternehmen stattfinden oder vom Betrieb veranlasst oder verantwortet werden (vgl. ARNOLD 1991; DEHNBOSTEL 2010, 26ff.). Der bereits angesprochene Wandel von Arbeit und Qualifizierung sowie die Kompetenzorientierung haben der betrieblichen Bildungsarbeit eine veränderte konzeptionelle Grundlage gegeben, die nicht mehr vorrangig auf die Durchführung von Einzelmaßnahmen und auf Teilbereiche wie das duale System setzt, sondern auf die gesamten Qualifizierungs- und Kompetenzentwicklungsprozesse zielt. Führte die betriebliche Bildungsarbeit traditionell eine Art Nischendasein, so geht es im Rahmen veränderter Arbeits- und Unternehmenskonzepte wie dem lernenden Unternehmen um ihre grundlegende Neustrukturierung und Integration in die betriebliche Ablauf- und Aufbauorganisation.

Ergebnis dieser Entwicklung ist eine konzeptionell ausgewiesene betriebliche Bildungsarbeit mit den Leitzielen des Erwerbs einer umfassenden beruflichen Handlungskompetenz und der reflexiven Handlungsfähigkeit. Betriebliche Bildungsarbeit wird vor diesem Hintergrund als Einheit von Berufs- und Betriebspädagogik, Personalentwicklung und Organisationsentwicklung definiert und – wie international gebräuchlich – als Human Ressource Development (HRD) bezeichnet. In diesem weiten Verständnis umfasst betriebliche Bildungsarbeit die Gesamtheit aller auf Individuen, Gruppen und die Organisation bezogenen Lernprozesse im Betrieb. Sie integriert einerseits nur Teilbereiche der Personal- und Organisationsentwicklung, weist aber andererseits in ihrer berufs- und betriebspädagogischen Anbindung an Qualitäts- und Bildungsstandards, berufliche Aus- und Weiterbildungsgänge sowie an das öffentlich-rechtliche Bildungssystem über diese hinaus.

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Abb. 1: Betriebliche Bildungsarbeit

In diesem Modell betrieblicher Bildungsarbeit beinhalten die Lernprozesse sowohl das formale, organisierte Lernen als auch das Erfahrungslernen bzw. informelle Lernen. Es bezieht eine Personal- und Organisationsentwicklung ein, die sich von einem Anpassungs- zu einem Gestaltungsansatz, von einer reaktiven zu einer antizipierenden Strategie entwickelt hat.

2.2 Betriebliches Bildungsmanagement

Das betriebliche Bildungsmanagement geht über die betriebliche Bildungsarbeit hinaus (vgl. FALK 2000; GEISSLER 2009). Es analysiert, plant, lenkt, gestaltet, optimiert und bewertet die vielfältigen Formen und Inhalte der betrieblichen Qualifizierung und Kompetenzentwicklung. So wie der Begriff des Managements im betriebswirtschaftlichen Zusammenhang der Unternehmensführung entspricht, bezieht sich der Begriff des betrieblichen Bildungsmanagements auf die Leitung und Lenkung der betrieblichen Bildung. Betriebliches Bildungsmanagement legt die übergreifenden Kompetenz- und Qualifikationsziele fest, schafft Strukturen und Regeln zur Durchsetzung dieser Ziele, setzt sie in konkrete Maßnahmen um und prüft die Effizienz und den Erfolg. Es bezieht sich über die Lernangebote auf die konkreten Maßnahmen und Konzepte betrieblicher Qualifizierung und Kompetenzentwicklung und geht dabei sowohl von der aktuellen als auch von der zukünftigen Situation des Unternehmens und der Beschäftigten aus. Dabei werden prinzipiell die rechtlichen, ökonomischen, technologischen und ökologischen Rahmenbedingungen einbezogen. Generell wird zwischen dem operativen, dem strategischen und dem normativen Bildungsmanagement unterschieden (vgl. RÜEGG-STÜRM 2003; DIESNER 2008).

Die zentrale Aufgabe des strategischen Bildungsmanagements besteht in der Festlegung der langfristigen Bildungs- und Qualifikationsziele auf der Grundlage der allgemeinen Unternehmensgrundsätze und der Unternehmenskultur. Das strategische Bildungsmanagement hat eine prospektive Aufgabe und gewinnt die Aussagen zur zukünftigen Qualifizierung aus Rahmen- und Bedingungsanalysen der Gegenwart und Zukunft. Es wirkt wesentlich auf Investitionen und die Aufstellung von Unternehmenszielen und Zielvereinbarungen ein. Bei der Festlegung der strategischen Ziele des Bildungsmanagements besteht ein Spannungsverhältnis zwischen Unternehmens- und individuellen Bildungszielen.

Das operative Bildungsmanagement befasst sich mit den konkreten Maßnahmen zur Umsetzung des strategischen Managements. Dazu gehören die Organisation und Gestaltung der betrieblichen Qualifizierungs- und Bildungsangebote sowie der Ablauf der einzelnen Maßnahmen, von der Bedarfsanalyse über die Umsetzung und Durchführung bis hin zum Controlling ebenso wie Kostenmanagement und Kompetenzanalysen. Die Analyse der effektiven Kosten der betrieblichen Qualifizierung soll dazu beitragen, die Qualifizierungs- und Kompetenzentwicklungsmaßnahmen kalkulierbar zu machen. Die Analyseerkenntnisse fließen in die Budgetplanung der Personalentwicklung ein, wobei dies häufig in Groß-, kaum in Mittel- und so gut wie gar nicht in Kleinbetrieben stattfindet. Für die Analyse der Kosten bestehen Messgrößen, die u. a. einzelne Veranstaltungen, Kostenarten und Kostenstellen erfassen.

Das normative Bildungsmanagement dient der Festlegung, Reflexion und Klärung der Grundannahmen für die betriebliche Qualifizierung und Bildung. In Übereinstimmung mit dem normativen Management versucht das normative Bildungsmanagement die Bildungs- und Persönlichkeitsentwicklung an Werten und Zielen zu orientieren, die denen der Unternehmenskultur und unternehmerischen Handelns allgemein entsprechen. In den Konzepten des betrieblichen Bildungsmanagements findet häufig eine Beschränkung auf das operative und strategische Bildungsmanagement statt, in denen dann Ziele und Inhalte des normativen Bildungsmanagements partiell aufgenommen werden.

2.3 Bildungsmanagement im Spannungsfeld von Management- und Bildungstheorien

Prinzipiell ist das betriebliche Bildungsmanagement zwischen einem wirtschaftswissenschaftlichen bzw. betriebswirtschaftlichen und einem berufsbildenden bzw. bildungstheoretischen Bezugssystem angesiedelt. Es steht damit im Spannungsfeld von betrieblich-ökonomischen Interessen und individuellen Bildungsinteressen und -bedürfnissen (vgl. HEID 2003). Je nach Nähe zu einem der beiden Bezugssysteme richten sich das betriebliche Bildungsmanagement und die betriebliche Bildungsarbeit entweder stärker auf Kennzahlen, quantitative Ergebnisse und das ökonomische Kalkül von Bildung oder stärker auf eine subjektbezogene Kompetenzentwicklung im Rahmen der Zielsetzungen der Berufs- und Betriebspädagogik.

Kritiker sehen im Bildungsmanagement ein instrumentelles und Bildung letztlich negierendes Konzept, das Bildungs- und Qualifizierungsprozesse unter dem Primat der Ökonomie kontrollier-, nachweis- und verrechenbar machen will. Einige beim Bildungsmanagement angewandte Konzepte mit arbeitsfunktionaler Ausrichtung zeigen, dass diese Befürchtungen durchaus zu Recht bestehen. Die primär wirtschafts- und betriebswissenschaftliche Ausrichtung bedingt ein Management, das die Qualifizierung utilitär ausrichtet und sich an quantitativ messbaren Soll-Ist-Vergleichen orientiert. Letztlich folgt diese Orientierung dem Leitbild des Homo oeconomicus und distanziert sich damit von einem auf Persönlichkeitsentwicklung und Autonomie zielenden Bildungsverständnis.

Die Frage ist, ob dieses Spannungsfeld zu nivellieren oder zu harmonisieren ist. Für herkömmliche industrielle Organisations- und Arbeitsverhältnisse ist dies schlichtweg nicht möglich gewesen, da industrielle Arbeit und Bildung einen nicht überbrückbaren Gegensatz bildeten. Mit neuen Arbeits- und Organisationskonzepten, dem betrieblichen und beruflichen Wandel und dem Bezug auf Kompetenzen verändern sich die Konstellationen. Die Schnittmengen zwischen betrieblichen Qualifikationsanforderungen und individuellen Bildungsoptionen sind größer geworden. Ein antagonistischer Widerspruch von Arbeit und Bildung kann kaum behauptet werden. Entsprechend kommen Definitionen von Bildung auf, die mit dem betrieblichen Management vereinbar sind (vgl. DIESNER 2008, 33-36). Indem hierbei Bildung und Kompetenzen nahezu gleichgesetzt werden, stellt sich aber die Frage, inwieweit dies dem Bildungsbegriff im Sinne der abendländischen Bildungsidee und ihren neuzeitlichen Bestimmungen entspricht.

3 Handlungsfelder betrieblicher Bildungsarbeit

3.1 Lern- und kompetenzförderliche Arbeitsgestaltung

Seit es ein Bewusstsein darüber gibt, dass das Arbeiten räumlich, zeitlich und methodisch eine von der Lebenswelt gesonderte Sphäre bildet, wird die Gestaltung des Arbeitsplatzes unter effizienzorientierten Kriterien als wichtige Aufgabe angesehen. Arbeitsgestaltende Instrumente und Methoden wurden eingesetzt, auch wenn sie nicht als solche aufgefasst und bezeichnet wurden, wie die Beispiele der Meisterlehre und der traditionellen Beistelllehre zeigen. Das Lernen in der Arbeit erfolgte informell und instruktionistisch. In der heutigen betrieblichen Bildungsarbeit geht es mit Blick auf das allseits akzeptierte Leitziel einer umfassenden beruflichen Handlungskompetenz nicht mehr nur um eine lern- sondern auch gezielt kompetenzförderliche Arbeitsgestaltung unter Rückgriff auf das informelle Lernen in der Arbeit.

Die Herstellung lernförderlicher Arbeitsbedingungen begründet sich zunächst ökonomisch und arbeitsorganisatorisch (vgl. SONNTAG 1996; DEHNBOSTEL 2007, 66ff.). Für Arbeitsplätze mit einfacher Arbeit kann dies bedeuten, dass sie lernförderlich reorganisiert, ebenso aber auch, dass sie abgebaut werden. Für anspruchsvollere Arbeitsplätze ist ihre lernförderliche Gestaltung durchweg notwendig. Die Schaffung von lernförderlichen Arbeitsbedingungen und Lernumgebungen ist also stets mit Widersprüchen verbunden, da betriebswirtschaftliche Ziele und Kalküle in einem Spannungsverhältnis zu lern-, kompetenz- und arbeitnehmerorientierten Zielen stehen.

Generell gilt, dass die jeweiligen betrieblichen Arbeits- und Organisationskonzepte sowie die Lernkultur die Konzepte zur lern- und kompetenzförderlichen Gestaltung des Arbeitsplatzes wesentlich beeinflussen. Spätestens seit den 1990er Jahren besteht die Aufgabe, die Arbeit lern- und kompetenzförderlich zu gestalten. Neue Lernformen und Freiräume in der Arbeit, wie die Möglichkeit zum Austausch über erfolgreiche Problembewältigungsstrategien mit Arbeitskollegen oder zur Erprobung eigener Strategien der Erfüllung von Arbeitsaufgaben, erhöhen die Lernhaltigkeit der jeweiligen Tätigkeit und unterstützen damit auch die Kompetenzentwicklung der Beschäftigten. So wie lernförderliche Arbeitsgestaltung die Kompetenz der Beschäftigten fördert, führt lernarme Arbeit zu Kompetenzverlust und Kompetenzdefiziten. „Der lange Arm der Arbeit“ beeinflusst darüber hinaus den Freizeitbereich, die Sozialkontakte und letztlich die Persönlichkeitsentwicklung. Die Gestaltung von Arbeit besitzt damit immer eine über die Arbeitswelt hinausgehende individuelle und gesellschaftspolitische Dimension.

Für die betriebliche Bildungsarbeit stellt sich nun die zentrale Frage, welche Kriterien eine lern- und kompetenzförderliche Arbeit auszeichnen und wie Arbeitsumgebungen entsprechend zu gestalten sind. Seit den 1980/90er Jahren werden – einhergehend mit der Renaissance des Lernens in der Arbeit – zu diesem Thema wissenschaftliche Studien und Analysen durchgeführt. Es sind Kriterien erarbeitet worden, an denen sich sowohl die Analyse des Lernens und der Lernmöglichkeiten in der Arbeit als auch eine lern- und kompetenzförderliche Gestaltung von Arbeitsumgebungen orientieren können. Diese Kriterien sind vorrangig aus arbeitswissenschaftlicher, arbeits- und organisationspsychologischer sowie berufspädagogischer Sicht erarbeitet worden und sind in der folgenden Abbildung aufgelistet:

 

Dimensionen

Kurzcharakteristik

 

Vollständige Handlung/ Projektorientierung

Aufgaben mit möglichst vielen zusammenhängenden Einzelhandlungen im Sinne der vollständigen Handlung und der Projektmethode

 

Handlungsspielraum

 

Freiheits- und Entscheidungsgrade in der Arbeit, d. h. die unterschiedlichen Möglichkeiten kompetent zu handeln (selbstgesteuertes Arbeiten)

 

Problem-, Komplexitätserfahrung

Ist abhängig vom Umfang und der Vielschichtigkeit der Arbeit, vom Grad der Unbestimmtheit und Vernetzung

 

Soziale Unterstützung/ Kollektivität

Kommunikation, Anregungen, Hilfestellungen mit und durch Kollegen und Vorgesetzte; Gemeinschaftlichkeit

 

Individuelle Entwicklung

 

Aufgaben sollen dem Entwicklungsstand des Einzelnen entsprechen, d. h. sie dürfen ihn nicht unter- oder überfordern

 

Entwicklung von Professionalität

 

Verbesserung der beruflichen Handlungsfähigkeit durch Erarbeitung erfolgreicher Handlungsstrategien im Verlauf der Expertiseentwicklung (Entwicklung vom Novizen bis zum Experten)

 

Reflexivität

Möglichkeiten der strukturellen und Selbstreflexivität

Abb. 2:   Kriterien lern- und kompetenzförderlicher Arbeit (vgl. DEHNBOSTEL 2007, 69)

3.2 Neue betriebliche Lernformen

Für die betriebliche Bildungsarbeit sind Arbeiten und Lernen verbindende Lernformen inmitten der Arbeit neue Organisationsformen, die das Lernen am Arbeitsplatz gestalten, fordern und fördern. Mit der gezielten Verbindung von Arbeitserfahrungen und Lernen, mit der Verbindung von informellem und formalem Lernen werden Arbeitsplätze und Arbeitsprozesse unter lernsystematischen Gesichtspunkten erweitert und angereichert. Es wird ein Rahmen geschaffen, der das Lernen über Erfahrungen und das informelle Lernen durch die Verbindung mit formalem Lernen in den Kontext eines bewussten Lernens und der reflexiven Handlungsfähigkeit stellt, ohne dass es dabei formalisiert wird und die charakteristischen Merkmale des als nicht-organisiertes Lernen verliert. Aktuelle Beispiele sind betriebliche Lernformen wie Coaching, Qualitätszirkel, Lernstatt, Lerninseln, Communities of Practice und E-Learningformen.

Betriebliche Lernformen sind in nennenswertem Maße erst mit neuen Arbeits- und Organisationskonzepten aufgekommen. Sie stellen das informelle Lernen über Erfahrungen in und bei der Arbeit in den Kontext eines bewussten, reflexiven Lernens, indem die vielfältigen fachlichen, sozialen und personalen Erfahrungen als Lernprozesse verstanden und um Lerninhalte erweitert werden. Dabei reicht das informelle Lernen von einem hoch komplexen Arbeits- und Lernvorgang über sinnlich-körperlich gebundene Erfahrungen bis hin zu unbewussten Verarbeitungsprozessen. Grundsätzlich ist informelles Lernen als subjektgebundener Aneignungsprozess von sozialen und situativen Bedingungen abhängig (vgl. MOLZBERGER 2007, 81ff.).

Die verschiedenen betrieblichen Lernformen zielen ebenso auf die qualifikatorischen Erfordernisse der Arbeit wie auf individuelle Kompetenzentwicklung. Ihnen ist gemeinsam, dass Arbeitsplätze und Arbeitsprozesse unter lernsystematischen und arbeitspädagogischen Gesichtspunkten erweitert und angereichert werden und gezielte Kompetenzentwicklung unter fachlichen, sozialen und personalen Aspekten ermöglicht wird. Lernformen wie Lerninseln und Arbeits- und Lernaufgaben zeigen, wie diese Verbindung von Lernen und Arbeiten mitten im Arbeitsprozess erfolgreich praktiziert wird.

Für betriebliche Lernformen ist eine doppelte Infrastruktur kennzeichnend: eine Arbeitsinfrastruktur und eine Lerninfrastruktur. Die Arbeitsinfrastruktur entspricht im Hinblick auf Arbeitsaufgaben, Technik, Arbeitsorganisation und Qualifikationsanforderungen der jeweiligen Arbeitsumgebung, die Lerninfrastruktur stellt zusätzliche räumliche, zeitliche, sachliche und personelle Ressourcen bereit. Das Lernen ist zwar arbeitsgebunden, beschränkt sich jedoch nicht auf erfahrungsbezogene Lernprozesse in der Arbeit. Arbeitshandeln und darauf bezogene Reflexionen stehen mit ausgewiesenen Zielen und Inhalten betrieblicher Bildungsarbeit in Wechselbeziehung. Wie die folgende Abbildung zeigt, werden informelles Lernen und formelles Lernen auf der Basis der Verschränkung der Arbeitsinfrastruktur mit einer Lerninfrastruktur systematisch verbunden.

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Abb. 3:   Betriebliche Bildungsarbeit

3.3 Beratung und Begleitung in der betrieblichen Bildungsarbeit

Für die betriebliche Bildungsarbeit sind die Begriffe Beratung und Begleitung deutlich zu unterscheiden, da dies die Entwicklungsgeschichte der Begriffe in der Berufs- und Arbeitswelt nahe legt und es für aktuelle und zukünftige Konzepte sinnvoll und notwendig erscheint (vgl. DEHNBOSTEL 2010, 101ff.). Dies widerspricht nicht der Tatsache, dass in einer Reihe von Konzepten Beratung und Begleitung konzeptionell und praktisch verbunden werden. Grob gesagt, weist die Begleitung auf einen längerfristigen, kontinuierlichen Prozess hin, während die Beratung eher punktuell und eingeschränkt verläuft. Verbunden mit der Beratung und Begleitung sind häufig Kompetenzanalysen und Personalgespräche.

Die Beratung stellt in der Berufsbildung und betrieblichen Bildungsarbeit einen zeitlich begrenzten und zumeist kurzen Prozess von Information und Auskunft dar. Im Allgemeinen umfasst sie einen Reflexions- und Rückkopplungsprozess mit den Beratenden und ist nicht standardisiert. In der Berufsbildung steht die personenbezogene Beratung im Mittelpunkt, die von einer organisationsbezogenen Beratung von Betrieben und Qualifizierungseinrichtungen zu unterscheiden ist. Die personenbezogene Beratung kann auf eine Lernberatung beschränkt bleiben oder auch eine darüber hinausgehende Kompetenzentwicklungsberatung sein. Die Beratung kann im Vorfeld einer Qualifizierung stattfinden, in einer konkreten Qualifizierungssituation oder auch im Anschluss daran. Und sie kann sich sowohl auf Einzelpersonen als auch auf Gruppen beziehen.

In der betrieblichen Bildungsarbeit gewinnen Begleitungskonzepte zunehmend an Bedeutung, wobei sich in den letzten Jahren drei unterschiedliche Typen herausgebildet haben:

  • die Lernprozessbegleitung,
  • das Mentoring und
  • das Coaching.

Die Lernprozessbegleitung erfolgt in modernen betrieblichen Aus- und Weiterbildungskonzepten größtenteils am Arbeitsplatz. Sie wird als direkte personelle Unterstützung von Lernenden verstanden und von ausgebildeten Lernprozessbegleitern oder auch von Vorgesetzten, Fachkollegen und betrieblichen Experten wahrgenommen. Sie fordert und fördert Lern- und Veränderungsprozesse und hat reflektierende und optimierende Funktionen. Sie integriert formales und informelles Lernen und trägt zumeist zu einer über das Lernen hinausgehenden Begleitung der Kompetenzentwicklung bei, auch wenn der Schwerpunkt im Unterschied zum Coaching in der Begleitung des Lernens liegt.

Das Mentoring ist ein Begleittyp, bei dem es im Wesentlichen um die Anleitung und Förderung des Nachwuchses und um die Karriereplanung geht. Als Mentoren fungieren höhergestellte Führungskräfte, die nicht unmittelbare Vorgesetzte sind und nicht unbedingt aus demselben Unternehmen kommen müssen. Auch erfahrene Berater und Experten kommen als Mentoren in Frage. Ziel ist die Weiterentwicklung der Persönlichkeit und der beruflichen Fähigkeiten des Mentee sowie die Förderung seiner Karriere. In der betrieblichen Bildungsarbeit und Personalentwicklung finden zusätzlich Unterstützungs- und Begleitformen wie Lernpatenschaften und Tandemlernen Anwendung, die im weiteren Sinn zum Mentoring gehören.

Am weitesten verbreitet in der betrieblichen Bildungsarbeit und Berufsbildung ist das Coaching. Der ursprünglich in sozialen Bereichen, Psychotherapie und Spitzensport verwendete Begriff hat sich im Laufe der Zeit zu einer Sammelbezeichnung für unterschiedliche Begleitungsansätze entwickelt, gleichwohl ist er unverwechselbar. Coaching in der betrieblichen Bildungsarbeit ist ein besonderer Typ der Begleitung, der Personen oder Gruppen eine professionelle Reflexion und Weiterentwicklung ihrer Lern- und Kompetenzentwicklungsprozesse ermöglichen will, um Selbstständigkeit und Selbststeuerung zu erhöhen. Das Einzel-Coaching und das Gruppen-Coaching haben in jüngster Zeit in Unternehmen als Formen der Weiterbildungsbegleitung verstärkt Einzug gehalten. Beide Formen können durch einen externen Coach, einen internen Coach oder einen Vorgesetzten- bzw. Linien-Coach durchgeführt werden. Anstelle persönlicher Anliegen im Klientenverhältnis, wie beim außerbetrieblichen Coaching vorherrschend, konzentrieren sich Coachingprozesse auf mittleren und unteren betrieblichen Hierarchieebenen auf die Begleitung von qualifikatorischen, kompetenzgebundenen und beruflichen Entwicklungen im Rahmen von Maßnahmen und Konzepten betrieblicher Bildungsarbeit.

4 Betriebliche Lernkonzepte

4.1 Situiertes Lernen

Das situierte Lernen hat das Handeln und alltägliche Tun einer Gemeinschaft praktisch tätiger Menschen, einer „Community of Practice“ zum Gegenstand (vgl. LAVE 1993; WENGER/ SNYDER 2000). Die Situation und der soziale Kontext prägen das situierte Lernen, womit zugleich gesagt ist, dass dieses Lernen nicht funktional reduziert, sondern eine Form der Enkulturation, des Hineinwachsens in die Lern- und Arbeitskultur ist. In wissenschaftlicher Betrachtung steht hinter dem situierten Lernen eine soziale Theorie des Lernens.

So sieht auch NIEMEYER (2005, 79ff.) das Lernen als den sukzessiven Entwicklungsprozess vom Novizen zum Experten innerhalb einer Community of Practice. Lernen ist danach als Prozess des kontinuierlichen Hineinwachsens in eine soziale Gruppe mit ihren spezifischen Handlungszielen, Kompetenzen, Binnenstrukturen und Regeln zu verstehen. Die Entwicklung zum vollwertigen Mitglied umfasst nicht nur den Erwerb der einschlägigen von der Gruppe beherrschten Kompetenzen, sondern auch den Erwerb der typischen kulturellen Praktiken und die Herausbildung einer Gruppenidentität. Vier Komponenten sind für diesen Prozess grundlegend:

  • Sinn und Bedeutung des Lernens.
    Neuerworbenes Wissen, Kompetenzen und Erfahrungen werden im Lernprozess mit früheren Erfahrungen in Einklang gebracht. Sie wirken sinnstiftend, da sich das Lernen in einem authentischen Praxiszusammenhang abspielt und nicht in einer Situation, die künstlich zum Zwecke des Lernens konstruiert wird.
  • Praxisgebundenheit des Lernens.
    Der Lernprozess vollzieht sich ausschließlich durch praktische Erfahrung und aktives Handeln in und mit der Gemeinschaft.
  • Identitätsbildung.
    Die oft langwierige Entwicklung zum Experten umfasst die Herausbildung einer Identität als Mitglied der jeweiligen betrieblichen Arbeitsgruppe oder sozialen Gemeinschaft.
  • Community of Practice bzw. Praktikergemeinschaft.
    Die Gruppe als soziale Gemeinschaft, deren individuelle und kollektive Handlungen auf ein gemeinsames Ziel gerichtet sind, gibt den Rahmen für das Gruppenlernen und formt auch das Lernen des Einzelnen.

 

Abb. 4:   Merkmale des Situierten Lernens

Das Konzept des situierten Lernens gründet sich auf Lernprozesse, für die Interaktionen im sozialen Kontext der Community of Practice, eine sinnhafte und nachhaltige Praxis sowie die Relevanz des eigenen Handelns konstitutiv sind. Zudem ist die Zugehörigkeit zu einer Gruppe sozial und individuell fördernd und integrierend. Lernen und Kompetenzentwicklung finden bei allen Gruppenmitgliedern in einem gemeinsamen sozialen Raum statt.

Auf das Lernen in der Arbeit trifft dies besonders zu. Hier wird bei der Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Arbeitsauftrag in einem festgelegten Rahmen gelernt, in der Gruppe und in der Organisation werden Einstellungen und Werthaltungen erworben. Ein solches Verständnis von Lernen grenzt sich vom institutionalisierten, formalisierten Lernen ab und bedingt eine grundsätzliche Aufwertung informellen Lernens im Handlungs- und Arbeitskontext.

4.2 Selbstgesteuertes Lernen

Das selbstgesteuerte Lernen wird gegenwärtig in Theorie und Praxis als das für die berufliche Aus- und Weiterbildung und für das Lernen in der Arbeit bedeutsamste Konzept bezeichnet (vgl. WITTHAUS u.a. 2003; EULER u.a. 2006). Als pädagogische Leitidee wird vom selbstgesteuerten Lernen gesprochen, wenn der Lernende wesentliche Entscheidungen über Planung, Inhalte, Durchführung und Bewertung des Lernens beeinflussen oder weitgehend selbst treffen kann. In modernen Unternehmen findet selbstgesteuertes Lernen sowohl in organisierten Lernsituationen außerhalb der Arbeit als auch – und dies mit zunehmender Tendenz – im Prozess der Arbeit selbst statt.

In der betrieblichen Bildungsarbeit wird das selbstgesteuerte Lernen als die selbstständige und selbstbestimmte Steuerung von Lernprozessen verstanden. Die Lernenden bestimmen Ziele und Inhalte des Lernprozesses in einem bestimmten Rahmen weitgehend selbstständig, ebenso wie die Methoden, Instrumente und Hilfsmittel zur Regulierung des Lernens. Der Handlungsrahmen bzw. die übergeordnete strukturelle Einordnung der jeweiligen Lernsituation in Arbeitsabläufe und -prozesse ist dabei allerdings vorgegeben bzw. erfolgt unter betriebswirtschaftlichen Kriterien. Im Hinblick auf den Rahmen und die Umgebung handelt es sich beim selbstgesteuerten Lernen nicht um ein autonomes Lernen, sondern um die zielgerichtete Auswahl und Bestimmung von Lernmöglichkeiten und Lernwegen.

Hiermit ist auch der entscheidende Unterschied zwischen selbstgesteuertem und selbstorganisiertem Lernen angesprochen: Beim selbstorganisierten Lernen werden die institutionellen und organisatorischen Rahmenbedingungen des Lernens durch die Lernenden bestimmt und sind nicht – wie beim selbstgesteuerten Lernen – von außen festgelegt. Lernen in Arbeitsprozessen findet jedoch zumeist in nicht speziell für das Lernen angelegten Handlungs- und Arbeitssituationen statt, die in ihren Zielen sowie den übergeordneten Organisationsstrukturen determiniert sind, die aber gleichwohl ein selbstständiges und selbstgesteuertes Lernen im vorgegebenen Rahmen ermöglichen, zumal ein Lernen über Erfahrungen. Dabei kann sich die Selbststeuerung sowohl auf den Einzelnen als auch auf eine Gruppe beziehen.

Unabhängig von lerntheoretischen Zusammenhängen sind Selbststeuerungsprozesse in reorganisierten Arbeitsstrukturen konstitutiv für die Funktionsweise partizipativer und vernetzter Arbeitsformen. Die Gestaltung neu gewonnener Handlungs- und Dispositionsspielräume, die Durchführung kontinuierlicher Verbesserungsprozesse, die Anwendung integrierter Qualitätssicherungsverfahren sowie die Einlösung von Zielvereinbarungen erfolgen in zunehmendem Maße selbstgesteuert. Dieserart Selbststeuerungsprozesse sind die Konsequenz von Dezentralisierung und Enthierarchisierung in neuen Arbeits- und Organisationskonzepten. Sie sind symptomatisch für moderne Arbeitsprozesse und zugleich untrennbar mit größtenteils informell ablaufenden Lernprozessen verbunden.

Dabei ordnen sich die Selbststeuerung in der Arbeit und das daraus resultierende Lernen zweifellos Zwecken und Kriterien unter, die auf betriebswirtschaftliche Kalküle, auf Wettbewerbsfähigkeit und dementsprechende Organisations- und Qualifikationsformen zielen. Die Selbststeuerung ist in modernen Unternehmen zu einem wichtigen betriebswirtschaftlichen Faktor geworden. Aus der Perspektive des Subjekts gesehen treten anstelle von instruktionistisch und hierarchisch angelegten Denk-, Verhaltens- und Orientierungsmustern selbstgesteuerte Handlungs- und Lernorientierungen. Es werden Prozesse und Entwicklungen möglich, die reale Erfahrungen und subjektive Interessen verstärkt aufnehmen und die einer Differenzierung von Bildungswegen und Lebensmustern entsprechen. Inwieweit diese Entwicklungen in der Arbeit wirklich stattfinden können und die Selbststeuerung sich nicht vorrangig in einer erhöhten Verantwortung und Belastung erschöpft, ist von den jeweiligen Arbeitsbedingungen und der Arbeitskultur abhängig.

4.3 Erfahrungs- bzw. reflexives Lernen

Das Erfahrungslernen kommt ebenso wie das situierte Lernen den veränderten Lern- und Arbeitsbedingungen in modernen Arbeitsprozessen und der Renaissance des Lernens in der Arbeit entgegen. Dem Erfahrungslernen liegen reale Arbeits- und Handlungssituationen zugrunde und ihre Einbeziehung in arbeitsbezogene Lernkonzepte hat historisch viele Vorläufer. In Verbindung mit konstruktivistischen Lernansätzen ist besonders auf den Ansatz John Deweys zu verweisen (vgl. GONON/ STOLZ 2002, 64ff.).

Konstitution und kontinuierliche Fortsetzung des Erfahrungslernens finden in einer Vielzahl von vergleichbaren Spiral- bzw. Kreislaufmodellen ihren Niederschlag. Beispielhaft sei auf das in der folgenden Übersicht dargestellte Modell von KRÜGER/ LERSCH (1993, 147) verwiesen. Der „Kreislauf der Erfahrung“ wird in vier Phasen beschrieben: Er beginnt mit der aktiven Phase der äußeren Erfahrung durch eine Arbeitshandlung, die in der zweiten Phase auf die Realität bzw. Umwelt einwirkt. In der passiven Phase der äußeren Erfahrung erfahren die Handelnden oder an der Handlung Beteiligten daraufhin eine sinnliche Rückmeldung. In der abschließenden Phase der inneren Erfahrung des Subjekts wird zwischen der aktiven und passiven äußeren Erfahrung ein Zusammenhang hergestellt. Die Verarbeitung der abgeglichenen Erfahrung erfolgt nach KRÜGER/ LERSCH über die Reflexion und führt zu einem verbesserten Handlungswissen, das wiederum die Ausgangsposition für eine neuerliche aktive Handlung bildet.

 

Abb. 5:   Der Kreislauf der Erfahrung

Dieses Kreislaufmodell des Erfahrungslernens gilt prinzipiell für alle Orte, an denen Handlungen erfolgen und reflektiert werden. Die Erfahrungen beziehen sich dabei vorrangig auf sinnliche, zusätzlich aber auch auf kognitive, emotionale und soziale Erfahrungsanteile. Inwieweit diese jeweils zum Tragen kommen, ist wesentlich von den jeweiligen Handlungsgegenständen, Sozialbeziehungen und Organisationskonzepten abhängig. Die Logik betrieblicher Organisations- und Geschäftsprozesse setzt hier Grenzen durch die Ausrichtung des Arbeitshandelns an vorrangig technisch-ökonomischen Zielsetzungen und Zweckbestimmungen. Diese Grenzen werden allerdings durch die Neugestaltung betrieblichen und arbeitsintegrierten Lernens erweitert.

Erfahrungslernen als Fachterminus ist definitorisch als ein Lernen zu beschreiben, das über das Verstehen und das bewusste Reflektieren von Erfahrungen erfolgt. Die zugrunde liegenden Erfahrungen sind Ergebnis sinnlicher, emotionaler, sozialer und kognitiver Wahrnehmungen. Es findet dann ein intensives Erfahrungslernen in der Arbeit statt, wenn die Arbeitshandlungen mit Problemen, Herausforderungen und Ungewissheiten für den Arbeitenden verbunden sind, reflektiert werden und zu Erkenntnissen führen. Erfahrungslernen kann in diesem Sinne auch als reflexives Lernen bezeichnet werden.

5 Schlussbemerkung

Die skizzierten Entwicklungen und Forschungsergebnisse in der betrieblichen Bildung sollten für den Lernbereich Arbeitslehre und die schulische Berufsausbildungsvorbereitung fruchtbar gemacht und kompetenzbasiert sowie im Rahmen von Bildungs- und Qualitätsstandards umgesetzt werden. Dabei wäre die Positionierung der betrieblichen Bildung im Spannungsfeld von wirtschaftlichen und Bildungsinteressen als übergeordnete Thematik hervorzuheben. Unter bildungspolitischen und strukturellen Gesichtspunkten sollte zudem der zurzeit entstehende Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) einbezogen werden, der die Berufsausbildungsvorbereitung und Abschlüsse der Sekundarstufe I aufnimmt und die Forderungen nach mehr Transparenz, Durchlässigkeit und Gleichwertigkeit im Bildungssystem in seinen Zielsetzungen verfolgt. Im Lernbereich Arbeitslehre und in der Berufsausbildungsvorbereitung werden vielfach Qualifikationen und Kompetenzen erworben, die unterhalb anerkannter Abschlüsse und anerkannter Berufsausbildungsgänge liegen. Ihre Validierung, Zuordnung und Einordnung in den DQR könnte insbesondere für sozial benachteiligte Jugendliche die Chancen verbessern, dass Kompetenzen anerkannt und die berufliche und soziale Integration verbessert wird. Für diese Zielgruppe ist die Berücksichtigung des informellen Kompetenzerwerbs besonders wichtig, da ihre Situation ja gerade durch ein Defizit an formal erworbenen Kompetenzen gekennzeichnet ist. Der mit dem DQR verbundene Anspruch, diese Kompetenzen einzubeziehen, muss in der Arbeitslehre und im Bereich der zahlreichen Übergangsmaßnahmen zwischen Schule und Berufsausbildung über Validierungs- und Anerkennungsverfahren fundiert und umgesetzt werden.

Literatur

ARNOLD, R. (Hrsg.) (1991): Taschenbuch der betrieblichen Bildungsarbeit. Baltmannsweiler.

DEHNBOSTEL, P. (2010): Betriebliche Bildungsarbeit. Kompetenzorientierte Aus- und Weiterbildung im Betrieb. Baltsmannsweiler.

DEHNBOSTEL, P. (2007): Lernen im Prozess der Arbeit. Münster u. a.

DIESNER, I. (2008): Bildungsmanagement in Unternehmen. Konzeptualisierung einer Theorie auf der normativen und strategischen Ebene. Wiesbaden.

EULER, D./ LANG, M./ PÄTZOLD, G. (Hrsg.) (2006): Selbstgesteuertes Lernen in der beruflichen Bildung. (Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Beiheft 20). Stuttgart.

FALK, R. (2000): Betriebliches Bildungsmanagement. Arbeitsbuch für Studium und Praxis. Köln.

GESSLER, M. (Hrsg.) (2009): Handlungsfelder des Bildungsmanagements. Ein Handbuch. Münster u. a.

GONON, P./ STOLZ, S. (2002): Arbeit, Beruf und Bildung. Bern.

HEID, H. (2003): Bildung im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen Qualifikationsanforderungen und individuellen Entwicklungsbedürfnissen. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 99, H. 4, 10-25.

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Zitieren dieses Beitrages

Dehnbostel, P. (2011): Betriebliche Bildung als Referenz der Arbeitslehre. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 02, hrsg. v. FRIESE, M./ BENNER, I., 1-17. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft02/dehnbostel_ft02-ht2011.pdf (26-09-2011).



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