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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT11 - Hauswirtschaft
Herausgeberinnen: Irmhild Kettschau & Kathrin Gemballa

Titel:
Übergänge in der hauswirtschaftlichen Berufsbildung gestalten - Perspektiven auf die individuelle Förderung und die Systemgestaltung in der Domäne Hauswirtschaft


Übergänge ermöglichen und gestalten durch regionale Netzwerke

Beitrag von Andreas DIETTRICH (Universität Rostock)

Abstract

Die Übergangsproblematik in der beruflichen Bildung kann sowohl als strukturelle als auch als individuelle Problematik aufgefasst werden. Mit dem Instrument der Netzwerkbildung werden beide Aspekte konzeptionell verbunden, wobei insbesondere regionale Netzwerke ein erfolgversprechender Ansatz sind, Übergänge zu ermöglichen und zu gestalten. Vor dem Hintergrund aktueller Innovations- und Modernisierungsstrategien in der beruflichen Bildung werden im Beitrag Netzwerkkonzepte vorgestellt und insbesondere die Konsequenzen für das Zusammenwirken des Personals in der beruflichen Bildung, d. h. Lehrer/-innen, Ausbilder/-innen, Sozialpädagogen/-innen usw., herausgearbeitet. Verbesserte Lernortkooperation und -vernetzung trägt nicht nur zur Professionalisierung des Bildungspersonals bei, sondern ermöglicht auch bessere individuelle Förderung sowie die Entwicklung regionaler Unterstützungsstrukturen, wie anhand von Beispielen aufgezeigt wird.

1  Einordnung und Problemstellung

Die Bewältigung von Übergängen ist derzeit eine zentrale Herausforderung für die (Berufs-) Bildungspolitik und die Berufsbildungspraxis. Eine Vielzahl von Modellprojekten und -initiativen widmet sich derzeit dieser Fragestellung, häufig in Bezugnahme auf die aktuellen Konzepte und Programme der Europäischen Bildungspolitik. In der Regel geht es dabei um Fragen der Durchlässigkeit zwischen Teilsystemen eines nationalen Bildungssystems (d. h. zwischen Allgemeinbildung, Berufsbildung, Hochschulbildung, informellem und lebensbegleitendem Lernen) oder zwischen Bildungssystemen aus unterschiedlichen Ländern im Sinne transnationaler Mobilität. Diesbezüglich soll die Forderung nach Übergängen häufig über Transparenzmodelle (wie z. B. EQR und DQR), Anrechnungskonzepte (wie z. B. in ANKOM oder DECVET) oder über weitere mobilitätsunterstützende Maßnahmen und Instrumente (wie z. B. ECVET) sichergestellt werden. Neben diesen eher auf Strukturveränderungen im Bildungssystem abzielenden Aktivitäten gibt es eine ebenso große Anzahl von Initiativen, die auf die Förderung einzelner Personen und Personengruppen abzielen, z. B. in der Berufsbildung auf junge Erwachsene ohne Berufsausbildung oder auf Jugendliche mit einem Migrationshintergrund. Diese Personengruppen sollen durch ein individualisiertes Angebot (z. B. Berufswegebegleitung, Nachqualifizierung, Ausbildungsbausteine) unterstützt werden, erfolgreich die Übergangsproblematik an der „ersten Schwelle“ (von dem Verlassen der allgemeinbildenden Schule in die Ausbildung) oder an der „zweiten Schwelle“ (von der Ausbildung in Beschäftigung) zu bewältigen.

Somit hat die Problematik von „Übergängen“ immer grundsätzlich zwei Seiten bzw. Perspektiven: Zum einen Strukturen, Voraussetzungen und Mechanismen des Bildungssystems (strukturelle Seite der Übergangsproblematik), zum anderen die Seite der individuellen Dispositionen, Kompetenzen und Strategien des Subjekts, das einen Übergang erfolgreich vollziehen soll, will oder muss. Somit liegt das „Ziel ‘durchlässiger’ Bildungsstrukturen und Ausbildungswege [...] in der Förderung der Möglichkeit individueller Bildungsmobilität. Die individuelle Bildungsmobilität schließt grundsätzlich die soziale Mobilität ein und zielt damit auch auf die Chance der sozialen Integration und des Aufstiegs“ (FROMMBERGER 2009).

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Abb. 1:   Übergangsproblematik als strukturelle und individuelle Herausforderung.

Es handelt sich somit bei der Gestaltung von Übergängen immer um Übergänge von Subjekten von einer Struktur in die andere. Herauszustellen ist dabei das Vorhandensein strukturell limitierter oder geförderter Möglichkeiten und Grenzen. Übergänge im o. g. Sinne müssen also scheitern, wenn entweder das Bildungssystem diese Möglichkeit strukturell nicht vorsieht und/oder der Einzelne aufgrund seiner individuellen Situation den Übergang nicht bewältigen kann oder möchte. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, ob und wie diese beiden Dimensionen gekoppelt werden können. Hier sind m. E. regionale Netzwerke ein etabliertes und geeignetes Instrument, vereinen sie doch per se immer Struktur und Person vor dem Hintergrund regionaler Konstellationen und Kontexte und ermöglichen das Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure und Institutionen z. B. der beruflichen Bildung. Das Bildungspersonal arbeitet einerseits in den Strukturen des Bildungssystems und gestaltet diese mit, andererseits arbeitet es mit den betroffenen Akteuren bzw. mit den an der Bewältigung von Übergängen interessierten Subjekten zusammen.

2  Hintergrund: Innovations- und Modernisierungsstrategien in der beruflichen Bildung

Vor einer Auseinandersetzung mit dem Netzwerkkonzept stellt sich die Frage nach dem Kontext, d. h. den Rahmenbedingungen und dem gesellschaftlichen Hintergrund der Auseinandersetzung mit der Übergangsproblematik. Unter Bezugnahme auf gesellschaftliche Megatrends (z. B. Internationalisierung, Wissensorientierung, Informatisierung) und ihre sozialen und ökonomischen Konsequenzen wird immer wieder konstatiert, dass sowohl im deutschen (Dualen) System der Berufsausbildung als auch im Fort- und Weiterbildungsbereich Reform- und Modernisierungsbedarf besteht. In entsprechenden Gutachten (z. B. DREXEL 2005, EULER/ SEVERING 2007, BAETHGE/ SOLGA/ WIECK 2007, BERTELSMANN STIFTUNG (Hrsg.) 2008) sind in den letzten Jahren unterschiedliche Zusammenhänge und Begründungen formuliert worden: So führt bezüglich der beruflichen Ausbildung z. B. das Konzept der Marktsteuerung dazu, dass insbesondere zu Zeiten schwacher wirtschaftlicher Entwicklung das Angebot von Ausbildungsplätzen sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht nicht ausreichend ist – dies gilt insbesondere und weiterhin für die Situation in den neuen Bundesländern. EULER/ SEVERING (2007) sprechen in diesem Kontext von einer „schleichenden Erosion des dualen Systems“, die sich z. B. an der deutlichen Senkung der Einmündungsquote der Schulabgänger ins Duale System zeigt. Darüber hinaus befinden sich derzeit weiterhin über 300.000 Jugendliche im sogenannten Übergangssystem. Hierunter lassen sich Maßnahmen zur Ausbildungsvorbereitung bzw. Maßnahmen als „Ausbildungsersatz“ zusammenfassen, die in der Regel keine Anrechenbarkeit auf die Dualen Ausbildungsgänge vorsehen und daher vielfach als Warteschleifen interpretiert werden müssen.

Entsprechende Entgrenzungsstrategien zeigen sich aber nicht nur am „unteren Randbereich“ des Dualen Systems der beruflichen Ausbildung, sondern auch am oberen Randbereich. Häufig gelingt es nicht, leistungsstarke Jugendliche für eine Duale Ausbildung zu gewinnen und entsprechende Anreize in Form von Fort- und Weiterbildungsansätzen und betrieblichen Karrierepfaden außerhalb des Hochschulsystems zu etablieren. Dies ist u. a. darauf zurückzuführen, dass sich die Möglichkeit zum Übergang vom Berufsbildungssystem in das Hochschulsystem häufig nur als theoretische Option offenbart. Hinzu kommt eine den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen angepasste Personalpolitik von Betrieben. Zu nennen sind z. B. eine zunehmende Einstellung von Mitarbeitern mit Bachelor-Abschluss anstatt von Absolventen des Dualen Systems in einigen Berufsfeldern, eine vermehrte Segmentierung von Belegschaften in gut qualifizierte und betrieblich geförderte Kernbelegschaften und Randbelegschaften aus Zeit- und Leiharbeitspersonal sowie eine Verkürzung der betrieblichen Planungszyklen, die eine betriebliche Investition in eine mindestens dreijährige Berufsausbildung unwahrscheinlich erscheinen lassen. Die Schwierigkeiten nehmen desgleichen aufgrund von Externalisierungs- und Outsourcingstrategien im Bereich der betrieblichen Aus- und Weiterbildung zu und lassen sich aufgrund des Bedeutungszuwachses von Zeit- und Leiharbeit mit noch unklaren Konsequenzen für betriebliche Aus- und Weiterbildungspolitik und individuelle Berufs- und Bildungsbiographien erweitern.

Vor diesem Hintergrund wird immer wieder eine Reform und Weiterentwicklung des Berufsbildungssystems gefordert, beispielsweise im Sinne einer stärkeren Flexibilisierung mit dem Ziel der Integration der von den Jugendlichen im Übergangssystem erbrachten Lernleistungen in das reguläre Ausbildungssystem (vgl. EULER/ SEVERING 2007). Hiermit verbunden ist die Ermöglichung von Übergängen.

Allerdings sind in den letzten Jahren bereits eine Vielzahl von innovativen Ansätzen in die Berufsbildung integriert worden und haben durchaus zu einer Weiterentwicklung bzw. Reform der beruflichen Bildung bzw. des Berufsbildungssystems beigetragen. Aktuelle, im Wesentlichen bildungsbereichsübergreifende Innovations- und Modernisierungsstrategien, zeigen sich z. B. in

  • didaktischen Prinzipien und Gestaltungsmerkmalen der Aus- und Weiterbildung (z. B. Geschäftsprozessorientierung, handlungsorientierte Prüfungen, Lernberatung)
  • Kompetenz- und Outputorientierung beruflicher Bildung (z. B. Bildungsstandards, kompetenzorientierte Ausbildungsordnungen, Kompetenzanalysen)
  • neuen Berufen und Berufsbildern (von derzeit 349 dualen Ausbildungsberufen wurden im Zeitraum 1996-2010 insgesamt 82 neue entwickelt und 230 modernisiert; Überschreitung traditioneller Berufsgrenzen)
  • Intensivierung von Vernetzung und (Lernort-)Kooperation ( z. B. externes Ausbildungsmanagement, Bildungsdienstleister, Kompetenzzentren)
  • Flexibilisierung und modularisierte Lerneinheiten (z. B. gestaltungsoffene Ausbildungsordnungen, Qualifizierungsbausteine, Zusatzqualifikationen)
  • systematische Verbindung der Bildungsbereiche - Durchlässigkeit und Anrechenbarkeit (z. B. Leistungspunktesysteme, Europäische und Nationale Qualifikationsrahmen als Transparenzinstrumente, IT-Weiterbildungssystem)

Allein diese Aufzählung verdeutlich, dass sich die Berufsbildung in Deutschland in den letzten Jahren in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt und auf wesentliche Veränderungen der gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen reagiert hat, wobei – und das ist für Deutschland weitgehend neu – einige Aspekte wie z. B. die Kompetenz- und Outputorientierung in allen Bildungsbereichen umgesetzt werden. Dies lässt strategische und strukturelle Annährungen zwischen den Bildungsbereichen erwarten, wodurch u. U. Chancen zur Verbesserung von Durchlässigkeit und Übergängen geboten werden.

Ein Umsetzungsinstrument im Rahmen der angedeuteten Innovationsstrategien ist die verstärkte Nutzung von Netzwerkkonzepten, sowohl für die Organisation beruflicher Bildung als auch für die pädagogische Gestaltung. Diese sind häufig verbunden mit einer intensiven Regionalisierung, Dezentralisierung und Individualisierung beruflichen Lernens und der Integration formellen und informellen Lernens, wobei entsprechende Abgrenzungen im Kontext lebenslangen Lernens zunehmend verschwimmen (SCHIERSMANN u. a. 2001). Somit wachsen auch aufgrund dieses Trends die Teilbereiche des Berufsbildungssystems bzw. die unterschiedlichen Teilbereiche des Bildungssystems durch gemeinsame strukturelle Innovationen stärker zusammen. Dabei stellt sich die Frage, ob und wie regionale Netzwerke einen Beitrag leisten können, Übergänge zu ermöglichen und zu gestalten.

3 Netzwerkkonzepte in der beruflichen Bildung

In Bezug auf Innovations- und Modernisierungsstrategien in der beruflichen Bildung wird häufig auf die zunehmende Bedeutung von sozialem Kapital, Regionalisierung und auf den Zusammenhang zwischen der regionalen Organisation von Berufsbildung und Netzwerkarbeit verwiesen. (Soziale) Netzwerke können als eine gesellschaftliche Organisationsform zwischen der „Regulierung über Märkte“ und „Regulierung durch Bürokratie“ betrachtet werden (vgl. im Folgenden auch DIETTRICH 2010). Nach DEHNBOSTEL bestehen Netzwerke „aus Interaktionen und Kooperationen zwischen Personen, Gruppen und Organisationen. Anlass und Ziel der Netzwerkarbeit sind es, gemeinsame Interessen zu verfolgen und gemeinsame Aufgaben zu bearbeiten“ (DEHNBOSTEL 2003, 184). Ein Beispiel stellt die Ermöglichung von Übergängen durch regionale Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure und Institutionen aus unterschiedlichen Bildungsbereichen dar. Als konstituierende Merkmale für Netzwerke gelten das Vorliegen interdependenter Beziehungen zwischen den Akteuren, keine alleinige Entscheidungs- und Kontrollfunktion, lose Kopplung der Akteure mit geringer Formalisierung, relative Autonomie der Akteure, das Vorhandensein eines Regelungssystems sowie die Existenz einer thematischen Ausrichtung (GRAMLINGER 2002). Bezogen auf Verhaltensmerkmale der Akteure lassen sich auf der Grundlage der Definition DEHNBOSTELs folgende Kriterien benennen, die für das erfolgreiche ‚Funktionieren’ von Netzwerken von besonderer Relevanz sind (DEHNOSTEL 2003, 184):

  • Interaktion und Kooperation mit anderen bestehen und versprechen Vorteile
  • Selbststeuerung und Selbstorganisation sind grundlegende Organisationsprinzipien
  • Es besteht gegenseitiges Vertrauen, das die Basis der Kooperation bildet
  • Netzwerkbeteiligte wahren ihre Eigenständigkeit und schränken ihre Autonomie nur zu Interaktions- und Kooperationszwecken ein
  • Netzwerkarbeit wird von keinem dominiert oder kontrolliert
  • Arbeits- und Kooperationsaufgaben und ihre Entwicklung sind am Prinzip der Dezentralisierung orientiert.

Interaktions- und Kooperationsbeziehungen sind zum einen eine Voraussetzung für die Realisierung des Netzwerks und somit ein konstitutives Merkmal, zum anderen lässt sich an ihrer Intensität und Qualität auch die Qualität der Netzwerkrelationen bzw. der Netzwerkerfolge erkennen. Damit kommt den Interaktions- und Kommunikationsbeziehungen und der Gestaltung dieser eine zentrale Bedeutung in der Netzwerkarbeit zu, insbesondere bei der Akzentuierung des Netzwerks auf Lern- und Bildungseffekte.

In der (Berufsbildungs-)Praxis haben sich unterschiedliche Ausprägungen und Formen von Netzwerken entwickelt. Zur Erfassung, Beschreibung, Erklärung und letztendlich auch zur Gestaltung und Prognose sind in der Netzwerkforschung seitens unterschiedlicher Bezugsdisziplinen eine Vielzahl von Typologisierungen von Netzwerken erarbeitet worden. Die Entwicklung von Typologien als „systematische Darstellung und Anwendung von Unterscheidungsmerkmalen“ (SYDOW u. a. 2003, 48) ermöglicht einerseits aus einer wissenschaftlichen Perspektive heraus die theoretische Durchdringung und Systematisierung von beobachteten Netzwerkphänomenen und trägt zur weiteren Konturierung einer (auch) pädagogisch geprägten Netzwerktheorie bei. Andererseits kann aus der Perspektive der konkreten Netzwerkgestaltung und -praxis einer Typologie von unterschiedlichen typ- bzw. fallbezogenen Anforderungen an die Initiierung und Verstetigung konkreter Netzwerke entsprochen und der Netzwerkpraxis ein Analyse- und Gestaltungsinstrument zur Verfügung gestellt werden.

Mit der Initiierung von Netzwerken sind unterschiedliche spezifische Erwartungen für die Gestaltung der beruflichen Bildung, des lebenslangen Lernens und der Ermöglichung von Durchlässigkeit und Übergängen in der Wissens- und Informationsgesellschaft verbunden. So konzipierte z. B. DOHMEN unter dem Leitbild einer „offenen Lern-Netzwerk-Gesellschaft“ (DOHMEN 1996, 28) ein neues Leitbild des lebenslangen Lernens, das sich durch offene Lernstrukturen in allen Lebensbereichen und in allen Phasen beruflicher und außerberuflicher Lernbiographien auszeichnet. Entsprechende institutionelle Konsequenzen hinsichtlich der Lernorganisation und der Gestaltung von Lernprozessen arbeiten DOBISCHAT/ BENZENBERG heraus, die darauf verweisen, dass der Einsatz von Netzwerken zu „Grenzverschiebungen [...] im traditionell institutionell-organisatorisch wie auch im didaktisch-methodischen Gefüge der Weiterbildung” (DOBISCHAT/ BENZENBERG 2002, 225) führt und sich somit Funktionen und traditionelle Abgrenzungen der Weiterbildungs- respektive Berufsbildungsinstitutionen verändern.

Grundsätzlich besteht vor dem Hintergrund der Netzwerkidee auch weitgehend darüber Konsens, dass die Bearbeitung der Konsequenzen des gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Wandels, aber auch die Bewältigung der Übergangsproblematik, zunehmend im regionalen Kontext erfolgt bzw. erfolgen muss (z. B. FAULSTICH 1996). Es geht also darum, regionale Lösungen für übergreifende gesellschaftliche Problemstellungen zu entwickeln und hierbei eine entsprechend große Anzahl von regionalen Akteuren zu aktivieren und adäquate Lern- und Arbeitskontexte zu schaffen, um so individualisierte Wissensbestände und Erfahrungen zur Entwicklung innovativer Handlungskonzepte zu kombinieren.

Netzwerke in der beruflichen Bildung und im Kontext lebenslangen Lernens können nach unterschiedlichen Kriterien systematisiert und strukturiert werden, z. B. nach ihrem Entstehungskontext, ihrer Zielsetzung oder ihrem Lernpotential. Im Folgenden sollen als Strukturierungsmerkmale einerseits der Zweck bzw. die Zielsetzung des Netzwerks herangezogen werden, andererseits die Handlungsebene des Netzwerks im Bildungssystem. Diesbezüglich ist zwischen Netzwerken auf der Makroebene des Bildungssystems (wie Strukturmerkmale, Systematiken, Gesetze und Verordnungen etc.), der Mesoebene, d. h. der Institutionen und Lernorte (wie Betriebe, Berufsbildende Schulen, überbetriebliche Bildungsstätten und Kompetenzzentren, Bildungsdienstleister, Hochschulen etc.) und der Mikroebene, d. h. der konkreten Lehr-/Lernsituation (wie Lernumgebung, Interaktion, Beziehung Lernender/Lehrender, Didaktik etc.) zu unterscheiden. Unter diesen Prämissen könnte eine Zuordnung empirisch vorfindbarer Netzwerkformen – bei aller Problematik der Abgrenzung und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – entsprechend folgender zweidimensionaler Systematik erfolgen:

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Abb. 2:   Netzwerktypen in beruflicher Bildung und Lebenslangem Lernen

Auf der Makroebene finden sich insbesondere (berufs-)bildungspolitische Netzwerke, die explizit oder implizit die Gestaltung des Berufsbildungssystems im Blick haben. Mögliche Institutionen sind z. B. die Sozialpartner, Parteien oder politische Gremien und Institutionen.

In Bezug auf die Bedeutung für die Berufsbildung und das Lebenslange Lernen kann – insbesondere auf der Mesoebene – in Netzwerke mit überwiegend sozialer und ökonomischer Zielsetzung und in solche mit dem vorrangigen Zweck der Kompetenzentwicklung und Qualifizierung unterschieden werden (vgl. im Folgenden auch DIETTRICH/ ELSHOLZ 2007). In Netzwerken mit eher sozialer oder ökonomischer Zielsetzung, die derzeit auch als Geschäftsmodell in unterschiedlichen Bereichen im Trend liegen, kommen Lernprozesse der Akteure im Rahmen ihrer Netzwerkarbeit eher zufällig zustande und sind in der Regel nicht intendiert. Diese Netzwerke dienen dazu, auf der Mesoebene mitunter neue Ausbildungsplätze durch die Kooperation in Verbünden bereitzustellen, die regionale Infrastruktur durch das Netzwerkkonzept zu verbessern oder benachteiligte Zielgruppen institutionell zu unterstützen.

Netzwerke zur Kompetenzentwicklung und Qualifizierung sind dagegen explizit „durch ihre Lern-, Qualifizierungs- und Bildungsausrichtung geprägt. Die Qualität des Lernens wird wesentlich durch neue Lernarrangements und Lernkulturen gestützt“ (DEHNBOSTEL u. a. 2003, 49) und gefördert – das Lernen für die beteiligten Akteure ist das explizite Ziel dieser Netzwerke.

Betrachtet man die Untergruppe der regionalen Aus- und Weiterbildungsnetzwerke genauer, so können diese Netzwerke dazu dienen, verbesserte Bildungsangebote zu generieren. Netzwerke werden dabei als Organisationsform aufgefasst, die durch gemeinsame Kooperation und Koordination unterschiedlicher Netzwerkpartner z. B. zur Senkung von Transaktionskosten in der beruflichen Bildung beitragen, so dass auf regionaler Ebene ein verbessertes und stärker nachfrageorientiertes Bildungsangebot entwickelt werden kann. Zu nennen sind z. B. Anbieterkooperationen oder die zunehmende Integration von Bildungsberatung in die konkrete Aus- und Weiterbildungsarbeit. Hier steht folglich die Organisationsdimension der Netzwerke zur Kompetenzentwicklung und der Qualifizierung im Fokus. In regionalen Aus- und Weiterbildungsnetzwerken kann das für die Ermöglichung von Übergängen (über Anrechnung von Lernleistungen aus anderen Bildungseinrichtungen) wichtige Vertrauen zwischen den Akteuren gestärkt werden. Zudem können Akteure im Netzwerk Absprachen hinsichtlich gemeinsam entwickelter und getragener Konzepte, z. B. hinsichtlich Prüfungsverfahren oder der Qualität von Unterricht und Unterweisung formulieren, die wiederum Grundlage für die Akzeptanz einer Bildungsleistung aus einem anderen Bildungsbereich und somit die Basis für erfolgreiche Übergänge sind.

In expliziten Lern- und Bildungsnetzwerken steht auf der Mikroebene die Lerndimension im Sinne einer Lernumgebung bzw. als Lernform im Fokus. In Netzwerken als Lernform ist die Netzwerkarbeit und -interaktion pädagogisch organisiert, zudem können unterschiedliche Lernmethoden und Lernarten an unterschiedlichen Lernorten didaktisch verbunden werden: Somit stehen die Netzwerkakteure und ihre persönlichen bzw. beruflichen Interessen im Zentrum der Netzwerkarbeit. Besonders bedeutsam sind hier der gegenseitige Erfahrungsaustausch der Netzwerkakteure und das von- und miteinander Lernen. Das Lernen vollzieht sich dementsprechend stark erfahrungsorientiert und wird in unterschiedlicher Ausprägung mit organisiertem Lernen verbunden, d. h. Netzwerke ermöglichen eine den Teilnehmerbedürfnissen angepasste Gewichtung formellen und informellen Lernens. Kommunikations- und Kooperationsgelegenheiten bieten Ansatzpunkte für informelles Lernen: Begriffe und Formen, die in diesem Netzwerktyp zum Tragen kommen, sind u. a. das vernetzte Lernen oder das Konzept der Erfahrungsgruppen. Somit grenzt hier der Netzwerkbegriff an den Begriff der „Community“ an. Netzwerke im Sinne von Communities ermöglichen den Erfahrungsaustausch, den Austausch von regionalem Expertenwissen und den problembezogenen Wissenserwerb, z. B. auch einen institutions- und bildungsbereichsübergreifender Austausch bezüglich der Problematik von Durchlässigkeit und Übergängen.

Es lassen sich pointiert zwei Typen von Netzwerken in der beruflichen Bildung und im lebenslangen Lernen gegenüberstellen:

Tabelle 1:  Netzwerke zur Kompetenzentwicklung und Qualifizierung

 

Regionale Aus- und Weiterbildungsnetzwerke

Lern- und Bildungsnetzwerke

Netzwerk-Akteure

Institutionen

Individuen

Ziele

Verbesserte, nachfrage-orientierte Bildungsangebote und -strukturen inklusive Bildungsberatung

Bildung bzw. Kompetenzentwicklung der Akteure durch individuelles und kollaboratives Lernen

Netzwerkverständnis

Intermediäre Organisationsform – Institutionen vernetzen (Mesoebene)

Offene Lernform – Lernen ermöglichen (Mikroebene)

Netzwerkperspektive

Strukturen und Prozesse

 

Lernprozesse in Netzwerken

 


Regionale Kooperation und Vernetzung mit dem Fokus auf berufliche Bildung und Lebenslanges Lernen kann somit in sehr unterschiedlichen Ausprägungen erfolgen, die sowohl bei der Untersuchung und Analyse von Netzwerken in der sozialwissenschaftlichen Forschung, insbesondere aber auch bei der Initiierung und Erprobung regionaler Berufsbildungskonzepte und entsprechender -projekte genau zu differenzieren sind.

Diese hier vorgestellte analytische Trennung, die sich auch empirisch weitgehend nachvollziehen lässt, hilft Netzwerke den Idealtypen zuzuordnen und verdeutlicht die jeweilige Betrachtungsperspektive (vgl. z. B. LUDWIG 2004). In der Praxis der Netzwerkarbeit kann ein Netzwerk durchaus auch mehrere Dimensionen aufweisen, denen existierende Netzwerktypologien schwer zuzuordnen sind. Desgleichen können auch die Formen des Lernens in schneller Abfolge wechseln. Allerdings dienen diese Unterscheidungen auch dazu, differenzierte Handlungs- und Gestaltungsempfehlungen im Rahmen konkreter Entwicklungsprojekte zu formulieren – so z. B. für die Gestaltung oder das Management von Netzwerken.

Vor dem Hintergrund der dargestellten Systematisierung wird die Vielfalt und Komplexität der unterschiedlichen Erscheinungsformen von Netzwerken in der beruflichen Bildung bzw. im Bildungssystem deutlich. Somit stellt sich das Problem heraus, das Netzwerkkonzept als Ganzes hinsichtlich seiner Relevanz und Funktionalität einzuschätzen. Allerdings erscheint das Konzept zur Bearbeitung der Übergangsproblematik auf allen Ebenen des Bildungssystems hilfreich: Auf der Makroebene dienen berufsbildungspolitische Netzwerke bzw. Netzwerke mit sozialer Zielsetzung der verbesserten Kooperation in der Förderung z. B. zwischen Arbeitsagenturen, zuständigen Stellen sowie öffentlichen und privaten Bildungsanbietern. Auf der Mesoebene können regionale Aus- und Weiterbildungsnetzwerke zur regionalen Organisation von Beratungs- und Begleitungsangeboten z. B. im Kontext von Bildungsketten genutzt werden. Auf der Mikroebene bewirken Lern- und Bildungsnetzwerke einen lernort-übergreifenden Erfahrungsaustausch und können zur Sensibilisierung und insbesondere zur kooperativen Professionalisierung beispielsweise in Bezug auf individuelle Förderung und Begleitung von Übergängen genutzt werden. Dieser Aspekt soll im Folgenden aufgegriffen werden. Anzumerken ist, dass die hierzu vorliegenden Erfahrungen eher einzelfall- und regionsbezogen sind. Jedoch deutet sich aufgrund der Vielzahl der Erfahrungen an, dass der Netzwerkansatz auch für die Gestaltung und Ermöglichung von Übergängen unterstützend wirkt – eine umfassende empirische Forschung hierzu steht noch aus.

4 Rolle des Berufsbildungspersonals

Dem Bildungspersonal kommt eine zentrale Aufgabe für die Bewältigung von Übergängen zu: So sind Lehrer/-innen, Ausbilder/-innen oder Sozialpädagogen in den Regionen „Mittler“ zwischen den Strukturen des Bildungssystems und dem Bewältigen formaler Bildungsgänge sowie den Menschen, die erfolgreich Übergänge meistern können sollen. Gleichzeitig steht das Bildungspersonal aktuell vor der Herausforderung, umfassende Veränderungen im etablierten Tätigkeitsbereich zu bewältigen. Neben die erfolgreiche Bewältigung der Ausbildungsaufgabe bei veränderten Rahmenbedingungen und neuen Steuerungslogiken (z. B. Output- und Kompetenzorientierung) tritt ein Perspektiven- und Rollenwechsel innerhalb des pädagogischen Konzepts bzw. der Umgang mit Rollenpluralität („vom Unterweiser zum Lernberater“). Zusätzlich soll das Bildungspersonal an den unterschiedlichen Lernorten erweiterte Aufgaben übernehmen. Hierzu zählen u. a. die Weiterentwicklung von Bildungsinstitutionen, die Unterstützung von Berufsorientierung und Beschäftigungsfähigkeit oder letztendlich auch die Ermöglichung von Berufskarrieren und Übergängen vor dem Hintergrund der angedeuteten Innovationen im Bildungssystem Deutschlands und Europas (z. B. BAHL 2008).

Vor diesem Hintergrund ist in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik in den letzten Jahren ein intensiver Diskurs über die Qualifizierung und Professionalisierung des Bildungspersonals geführt worden. Aus meiner Sicht kann eine (kooperative) reflexive pädagogische Professionalisierung der Bildungsakteure an den unterschiedlichen Lernorten durch drei komplementäre Strategien erfolgen:

  • Professionalisierung durch neue Rollenwahrnehmung und -differenzierung und Reflexion
  • Professionalisierung durch Fort- und Weiterbildung
  • Professionalisierung durch verbesserte Lernortkooperation und -vernetzung (DIETTRICH 2009)

Im Rahmen der Strategie zur Professionalisierung durch verbesserte Lernortkooperation und -vernetzung soll den Herausforderungen in der beruflichen Bildung durch ein kooperatives Zusammenwirken der beteiligten Akteure und durch eine Vernetzung der Institutionen unter Bezugnahme auf die dargelegten Netzwerkkonzepte wirkungsvoll begegnet werden. Notwendig ist eine Institutionalisierung der Lernortkooperation und die Entwicklung lernortübergreifender Lehr-Lernarrangements, mit denen Übergänge vorbereitet und unterstützt werden, indem mitunter eine Anschlussfähigkeit zu anderen Bildungsbereichen hergestellt wird (i. S. der Herstellung von Transparenz der Anforderungen oder einer Standardisierung von Prüfungen und Kompetenzfeststellungsverfahren). Wichtig ist zudem die Nutzung von Flexibilisierungseffekten durch eine neue Aufgabenverteilung zwischen den Lernorten insbesondere aufgrund des demographischen Faktors (DÖRING/ SEVERING 2000). Hierzu gehören besonders die Förderung von Jugendlichen an der ersten Schwelle sowie die kollektive oder regionale Entwicklung von Strategien zum Umgang mit den zunehmenden heterogenen Voraussetzungen der Lernenden. Da das Berufsbildungspersonal bzw. der einzelne Ausbilder oder Lehrer viele der hier nur angedeuteten Herausforderungen nicht mehr allein bewältigen kann, sind inner- oder zwischenbetriebliche, lernortübergreifende oder regionale Netzwerke weiterzuentwickeln, die eine weitere Professionalisierung des Bildungspersonals durch die Möglichkeit kooperativer und arbeitsteiliger Zusammenarbeit unterstützen. Entsprechend der Argumentation, Übergänge als gestaltbare Situation zwischen Struktur und Subjekt zu fassen, sollen abschließend zwei Beispiele (Pilotinitiative DECVET; Projekt XENOS-Mentoren) – als exemplarische Belege des Konzeptes – diesen Zusammenhang aufzeigen.

5 Beispiele und Ausblick

Ziel der Pilotinitiative DECVET ist es, in zehn Pilotprojekten Modelle für ein Leistungspunktesystem zur Erfassung, Übertragung und Anrechnung von Lernergebnissen und Kompetenzen von einem Teilbereich des beruflichen Bildungssystems in einen anderen zu entwickeln und zu erproben (vgl. MILOLAZA u. a. 2008; BMBF 2008). Es geht vornehmlich um die Erprobung struktureller Reformen. Somit ist die Pilotinitiative vorerst auf der Makroebene, d. h. auf der Ebene des Bildungssystems zu verorten. Starke Berührungspunkte sind jedoch auch zur Meso- und Mikroebene erkennbare.

Über eine regional begrenzte bzw. projektbezogene Implementierung transparenter und transferierbarer Anrechnungsmodelle wird zunächst angestrebt, die bisher defizitären vertikalen und horizontalen Durchlässigkeiten zwischen den Subsystemen beruflicher Bildung zu erhöhen und damit die Planungsmöglichkeiten und Umsetzungschancen für individuelle Qualifizierungs- und Karrierewege im Kontext lebenslangen Lernens wesentlich zu verbessern. Darüber hinaus werden von derartigen Anrechnungsmodellen positive Impulse für eine bessere Verknüpfung von Lernformen und intensivere Kooperationen der Bildungsinstitutionen erwartet (vgl. DIETTRICH u. a. 2010).

In den zehn Pilotprojekten, die 2008 ihre Arbeit aufnahmen, werden branchenspezifische Modelle und Verfahren zur Bestimmung, Bewertung und Anrechnung von Lernergebnissen und Kompetenzen für vier Schnittstellen des deutschen Berufsbildungssystems entwickelt und somit Übergänge zwischen den Teilsystemen der beruflichen Bildung in Deutschland strukturell ermöglicht.

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Abb. 3:   Struktur der Pilotinitiative DECVET (Quelle: www.decvet.net)

Anspruch der Projekte ist es, in Abhängigkeit der jeweiligen Rahmenbedingungen (Branche und Berufsfeld, Merkmale der Kooperationspartner: z. B. KMU/Großbetriebe, Innovationsoffenheit der Akteure, rechtliche und regionale Bedingungen etc.) umsetzbare Verfahren pilothaft zu entwickeln und auszuprobieren. Hierzu wurden zuerst Verfahren und Modelle theoretisch-konzeptionell unter Einbezug der Bildungspraxis entwickelt. Seit Mitte des Jahres 2009 werden diese exemplarisch mit ausgewählten Personengruppen in unterschiedlichen Bildungsinstitutionen, Schulen und Betrieben hinsichtlich ihrer Eignung und Praxisadäquanz erprobt. Je nach Schnittstelle sind an der Erprobung alle für den Kompetenzentwicklungs- sowie Kompetenzfeststellungsprozess und für das Anrechnungsverfahren relevanten Akteure beteiligt. Hierzu zählen Schüler unterschiedlicher Schulformen, Aus- und Fortzubildende, Lehrkräfte, Aus- und Weiterbildungspersonal, als auch Prüfungsausschüsse, Kammern oder Vertreter von Fachministerien.

Für die entwickelten Anrechnungsmodelle implizieren die o.g. Konstruktionsprinzipien, dass die Zu- und Übergänge in den Subsystemen der Berufsbildung nicht mehr primär an formale Bildungsabschlüsse und Zertifikate respektive das „Durchlaufen“ vorgegebener Bildungswege (Inputsteuerung) gekoppelt, sondern über die Feststellung vorhandener Lernergebnisse und Kompetenzen gestaltet werden (Outputsteuerung). Für die hier diskutierte Fragestellung sind zwei Zwischenergebnisse dieser Pilotinitiative besonders interessant: Erstens offenbart sich, dass die Entwicklung, Erprobung und aktuelle Überlegungen zur Implementierung von formalen Strukturen und Mechanismen für Anrechnung und Übergänge keineswegs dazu führen, dass diese Chancen von einer Vielzahl von Akteuren aktiv im Sinne der Gestaltung des eigenen Übergangs genutzt werden. Die Erfahrungen zeigen, dass Personen in der Übergangsphase viel stärker motiviert, begleitet und unterstützt werden müssen, um die angebotenen Instrumente zu nutzen. Häufig führen individuelle Beweggründe, z. B. der Wunsch nach Verbleib im angestammten Bildungsbereich dazu, dass Personen den bildungssystematisch möglichen und bildungspolitisch gewünschten Übergang gar nicht vollziehen. Struktur- und Subjektebene müssen daher noch besser verknüpft werden. Zweitens wird deutlich, dass Übergänge zwischen Teilsystemen durch intensive regionale Kooperation und gemeinsame Entwicklung von Instrumenten erleichtert wird. Dies gelingt z. B. durch die Kooperation von Institutionen der Ausbildungsvorbereitung und der Dualen Ausbildung. Häufig erfolgt dies in netzwerkartigen Strukturen, wobei dem Bildungspersonal, aber auch Akteuren der Bildungsorganisation und -verwaltung sowie dem Prüfungspersonal eine entscheidende Rolle zukommt: Diese Akteure bauen in der Zusammenarbeit Vertrauen zueinander auf, entwickeln und definieren gemeinsame Maßstäbe für die Erzeugung und Beschreibung von Qualität (z. B. von Ausbildungskonzepten und Prüfungsverfahren) und beraten ihre Institutionen inhaltlich zu Fragen von Durchlässigkeit und Anrechnung und damit zur Gestaltbarkeit von Übergängen. Letztendlich ist das Bildungspersonal auch in DECVET wichtiger Ansprechpartner für die Personen im Übergang und „vermittelt“ somit zwischen Struktur und Subjekt.

Das Projekt „XENOS-Mentoren“ konzentriert sich eher auf die Mesoebene und wurde von Arbeit und Leben Sachsen-Anhalt e.V. durchgeführt (vgl. DIETTRICH/ JAHN 2008). Das Ziel bestand darin, ein lernortübergreifendes Fortbildungskonzept zu entwickeln und zu erproben, welches Ausbilder, Lehrer, Sozialpädagogen und Stützlehrer gemeinsam zu „Mentoren“ qualifiziert, die dann in ihrer Berufspraxis als Multiplikatoren wirken und in Netzwerken kooperieren sollen. Diese Mentoren aus den verschiedenen Lernorten sollten in die Lage versetzt werden, einerseits die Beschäftigungsfähigkeit der Jugendlichen zu fördern und damit Übergänge zu unterstützen und andererseits gesellschaftspolitische Fragestellungen (Fremdenfeindlichkeit, Interkulturalität etc.) gemeinsam in die berufliche Bildungsarbeit einzubetten.

Die fast zweijährige Fortbildung zielte auf die Weiterentwicklung berufspädagogischer Kompetenzen und auf die Erweiterung der pädagogischen Rolle. Das Mentoring-Konzept lieferte hierbei einen erfolgversprechenden didaktisch-methodischen Rahmen: Unterschiedliche Akteursgruppen des Bildungspersonals werden zu Mentoren, die Jugendlichen werden in diesem Sinne zu Mentees, so dass deren Persönlichkeitsentwicklung in den Mittelpunkt rückt. Der Mentor als Leitbild pädagogischen Handelns vereint neue und erweiterte Rollenbilder und Aufgaben, mit denen sich die Teilnehmenden nach Abschluss der Maßnahme identifizierten. Sie sehen sich als Fachmann, Helfer, Motivator, Erzieher und Berater. Charakteristische Elemente dieser „neuen“ Rollen sind u.a. die

  • fürsorgliche, vertrauensvolle Unterstützung in verschiedenen Lebensbereichen,
  • Übernahme von Erziehungs- und Vorbildfunktionen,
  • Übertragung von Verantwortung und Motivation und
  • Vermittlung einer positiven Zukunftssicht.

Ferner sollte bei den Teilnehmern die Einsicht in die Notwendigkeit einer verstärkten Lernortkooperation gefördert werden, so dass die Mentoren lernortübergreifende Kooperationsmöglichkeiten kennen, nutzen sowie nachhaltig aufbauen, pflegen und weiterentwickeln. Damit wird der Querschnittscharakter deutlich, da eine Vielzahl von Aufgaben, die insbesondere die Persönlichkeitsentwicklung betreffen, nur durch gemeinsame pädagogische Zielsetzungen und Aktivitäten effektiv bearbeitet werden können.

Um die Mentoren in diesem Sinne zu qualifizieren, wurden die 60 Teilnehmer vier heterogenen (lernortübergreifenden) Lerngruppen zugeordnet, in welchen zehn Module zu durchlaufen waren (z. B. zur Interkulturalität, Didaktik, Methodik, Mentoring, Kommunikation, Mobilität, Berufsberatung, etc.). Die lernortübergreifende Gruppenzusammensetzung ermöglichte einen intensiven, offenen Austausch und initiierte ein Perspektivwechsel hinsichtlich der Aufgaben, Probleme und Strategien anderer Lernorte. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Lernortkooperation und damit auch für die Gestaltung bedeutsam, da ein wechselseitiger Einblick in die differenzierten Problemfelder der Kooperationspartner Grundlage einer vertrauensvollen Zusammenarbeit ist. Die Evaluation zeigte, dass bei 82 % der Mentoren die Motivation im Laufe der Qualifizierung angestiegen ist, wobei die thematische Konzeption des Curriculums, der Fokus auf den Erfahrungsaustausch, die methodische Gestaltung sowie die lernortübergreifende Gruppenzusammensetzung einen wesentlichen Beitrag leisteten.

Erwähnenswert für die hier vorliegende Fragestellung ist die Umkehr der Einstellungen gegenüber Lernortkooperationen. Während vor der Fortbildung noch eine deutliche Ablehnung der Aussage dominierte, dass mit der Zusammenarbeit eine Vielzahl von Problemen lösbar ist, sprachen sich die Mentoren nach der Qualifizierung für eine Intensivierung von Kooperationen aus. Dies kann auf die Gruppenheterogenität und den lernortübergreifenden Erfahrungsaustausch zurückgeführt werden. Dieser positive, über Projektende wirksame Kooperationsgedanke im Sinne eines Lern- und Bildungsnetzwerkes, ist eng mit dem Mentorenleitbild und einer professionellen Einstellung verbunden, denn die Identifikation von Kooperationschancen eröffnet der pädagogischen Arbeit Perspektiven und Möglichkeiten, die ein Akteur allein nicht wahrnehmen kann. Ferner konnte die Akzeptanz der Bewältigung „neuer“ Aufgaben – wie sie in der Herstellung der Mobilitätsbereitschaft bei den Auszubildenden zu sehen ist – gesteigert werden (vgl. JAHN/ JÄGER 2008).

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Abb. 4:   Einstellungsveränderungen in Bezug auf die berufliche Tätigkeit

Das Projekt „XENOS-Mentoren“ verdeutlicht, dass langfristig orientiertes, gemeinsames, lernortübergreifendes Lernen Vertrauen, Offenheit und einen Erfahrungsaustausch zwischen den verschiedenen Lernorten initiieren kann, was wiederum Grundlage von Einstellungsveränderungen und Basis für den Aufbau langfristiger persönlicher und institutioneller Kooperationen ist (vgl. JAHN/ JÄGER 2008). Das entstandene, lernortübergreifende Netzwerk zielt stark auf die Beratung, Begleitung und Unterstützung von Jugendlichen hinsichtlich der Entwicklung ihrer Persönlichkeit und Gestaltung ihrer beruflichen Biographie. Indirekt wird damit aber auch der Übergang z. B. aus dem Übergangssystem in eine Duale Ausbildung unterstützt, indem das Bildungspersonal gemeinsam entwickelte Strategien (Beratung, Förderung, Erziehung etc.) lernortübergreifend umsetzt. Allerdings verfügt dieses Projekt über keine Anbindung an Projekte und Initiativen, die Übergänge strukturell vorbereiten und gestalten (z. B. DECVET). Vor diesem Hintergrund ergibt sich m. E. ein Plädoyer, mehr (Berufs-)Bildungsprojekte durchzuführen und zu fördern, die zur Ermöglichung und Gestaltung von Übergängen das hier im Fokus stehende Verhältnis von Struktur und Subjekt bearbeiten und die Rolle des Bildungspersonals sowie die Gestaltung und ggf. Weiterentwicklung entsprechender Netzwerke in den Mittelpunkt stellen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Bewältigung von Übergängen immer eine Kopplung struktureller und subjektbezogener Aspekte impliziert. Diese Kopplung kann im regionalen Kontext durch Netzwerke erfolgen. Übergänge sind somit insbesondere auch ein regionales und nicht ausschließlich ein nationales/transnationales Handlungsfeld. Vor diesem Hintergrund werden Bildungsinstitutionen und das Bildungspersonal an den unterschiedlichen Lernorten verstärkt kooperieren (müssen). Dies bedingt die Entwicklung und Implementierung lernortübergreifender Professionalisierungskonzepte. Infrastrukturelle Konzepte wie DQR/EQR oder ECVET/DECVET bleiben bezüglich realer "Übergangsfälle" ohne regionale Einbindung und Berücksichtigung der individuellen Bedingungen des im Übergang befindlichen Akteurs weitgehend wirkungslos. Umgekehrt ist die individuelle Förderung von Akteuren zur Bewältigung von Übergängen größtenteils wirkungslos, wenn sie nicht auf die strukturellen Möglichkeiten bezogen wird bzw. von der Weiterentwicklung von Strukturen isoliert bleibt. Hier besteht m. E. weiterhin Handlungsbedarf für (Berufs-) Bildungspolitik und (Berufs-)Bildungsforschung.

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Zitieren dieses Beitrages

DIETTRICH, A. (2011): Übergänge ermöglichen und gestalten durch regionale Netzwerke. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 11, hrsg. v. KETTSCHAU, I./ GEMBALLA, K., 1-18. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft11/diettrich_ft11-ht2011.pdf (26-09-2011).



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