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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT11 - Hauswirtschaft
Herausgeberinnen: Irmhild Kettschau & Kathrin Gemballa

Titel:
Übergänge in der hauswirtschaftlichen Berufsbildung gestalten - Perspektiven auf die individuelle Förderung und die Systemgestaltung in der Domäne Hauswirtschaft


Portfolio-Arbeit in der Lehrerausbildung und in der Schulpraxis

Beitrag von Thilo HARTH & Mona MASSUMI (Fachhochschule Münster & Robert-Wetzlar Berufskolleg Unesco-Projekt-Schule der Stadt Bonn)

Abstract

Aus Sicht der beruflichen Lehrerbildung und der Schulpraxis am Berufskolleg ist die Arbeit mit und über Portfolios aufgrund von vier Merkmalen interessant und weiterführend: Portfolios können als innovative Lehr-Lern-Instrumente in Schule und Hochschule genutzt werden, weil sie als Katalysator zur Öffnung des traditionellen Lehr-Lern-Settings für Selbstorganisation der Lernenden und zur Veränderung der Rolle der Lehrenden wirken können. Sie repräsentieren zweitens eine Form zur alternativen Leistungsfeststellung. Drittens sind Portfolios zur individuellen Förderung in Schule und Hochschule geeignet und können viertens eine Grundlage zum Nachweis erworbener Kompetenzen sein, was im Kontext der Europäisierung der Berufsbildung und Outcome-Orientierung zunehmend wichtig wird. Im Beitrag werden diese Dimensionen der Portfolioarbeit sowie Chancen und Grenzen der Portfolioarbeit aus Erfahrungen im Unterricht am Berufskolleg und der beruflichen Lehrerbildung entfaltet. Darüber hinaus wird eine gelungen Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Phasen der Lehrerausbildung dokumentiert.

1 Einleitung

Die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit dem Instrument Portfolio ist seit mehr als sechs Jahren fester Bestandteil in der Lehre der Berufspädagogik am Institut für Berufliche Lehrerbildung (IBL). Das Instrument Portfolio soll nicht nur in seinen unterschiedlichen Ausprägungen und seiner didaktischen Reichweite verstanden, sondern auch praktisch erfahrbar werden. In Seminaren zum Themengebiet ‚Methoden der Berufsbildung‘ können Studierende nur über das Erarbeiten eines Entwicklungsportfolios einen Nachweis ihrer Studienleistung erwerben und sind somit gezwungen, sich den zeitlichen, formalen und inhaltlichen Anforderungen zur Anfertigung eines Portfolios zu stellen. Lernen über Portfolios wird somit als Lernen mit Portfolios angeboten, wodurch ein direkter Transfer zum künftigen Lehrerhandeln mit diesem Instrument möglich wird.

Wie vielfältige Rückmeldungen aus den Studienseminaren – der zweiten Phase der Lehrerausbildung – und Kommentare in Begegnungen und Gesprächen mit unseren ehemaligen Studierenden aus ihrem Schuldienst zeigen, können die angehenden Lehrerinnen und Lehrer die in der ersten Ausbildungsphase gewonnenen Erfahrungen in ihrem Referendariat nutzen, weil sie dort zunehmend mit dem Anfertigen eines Portfolios konfrontiert werden. Einige ehemalige Studierende sind von den Erfahrungen ihrer Portfolioarbeit nachhaltig inspiriert. Sie arbeiten als junge Lehrerinnen und Lehrer gezielt und dauerhaft mit Portfolios in ihrem Unterricht.

In diesem Beitrag werden sowohl die Erfahrungen aus der Arbeit mit den Studierenden bei deren ersten Portfoliobegegnungen in der Hochschullehre berichtet als auch über die Erfahrungen mit dem Portfolioeinsatz im Deutschunterricht für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund am Robert-Wetzlar-Berufskolleg in Bonn. Während die Erfahrungen aus dem Hochschulkontext von beiden Autoren in unterschiedlichen Rollen als Leiter bzw. Teilnehmerin im Seminar geschildert und reflektiert werden können, beziehen sich die Portfolioerkenntnisse auf den Unterricht von Mona Massumi im anschließenden Referendariat und in ihrer Berufseinstiegsphase am Berufskolleg. Die Erkenntnisse aus der Schulpraxis waren wiederum Gegenstand in den Portfoliolehrveranstaltungen von Thilo Harth im IBL.

Damit wurde über die Portfolioarbeit eine Brücke zwischen erster und zweiter Ausbildungsphase sowie dem Berufseinstieg möglich, der in der Lehrerausbildung immer wieder zu Recht gewünscht bzw. eingefordert wird (vgl. TERHART 2000, 15).

2 Definitionen des Portfoliobegriffs

Der Begriff Portfolio ist – wie viele pädagogische Begrifflichkeiten – nicht eindeutig definiert. HÄCKER begründet diesen Umstand mit der Entwicklung dieser Methode aus der individuellen Praxis, mit dem Zweckpluralismus von Portfolios und mit dem Ziel, über Portfolios der individuellen Leistungsfähigkeit der Lernenden Rechnung zu tragen (2005, 13f.).

Zur Annäherung an die Begrifflichkeit ist die Unterscheidung in zwei zentrale Dimensionen hilfreich. Unter einem Portfolio lässt sich zunächst eine alternative Form der Leistungsfeststellung verstehen:

Indem Lernende eine gezielte Auswahl von Dokumenten zu einem Thema anlegen, diese Auswahl begründen, eigene Beurteilungen ergänzen und Reflexionen ihres Lernverhalten dokumentieren, werden nicht nur Lernergebnisse, sondern auch der eigene Lernprozess sichtbar, welcher in die Bewertung mit einbezogen werden kann. „In der Portfolio-Mappe trägt der Schüler eine bewusst getroffene Auswahl seiner Arbeit zusammen, die seine Bemühungen, Lernfortschritte und Arbeitsergebnisse dokumentiert. Die Inhalte der Mappe zeigen das Potenzial und die einzelnen Entwicklungsschritte des Schülers. Bei der Bewertung von Portfolios ist es ganz wichtig, den Schüler aktiv mit einzubeziehen. Der Schüler entscheidet, was er in sein Portfolio aufnehmen möchte, reflektiert und rechtfertigt seine Auswahl und setzt sich anhand dessen, was er schon erreicht hat, neue Lernziele“ (EASLEY/ MITCHELL 2004, 26). Als Beurteilungsgrundlage dient nunmehr die selbstbestimmte Leistungsdarstellung durch die Lernenden anstelle der fremdbestimmten Leistungsfeststellung durch den Lehrenden mittels Tests, Klausuren etc. Beurteilungen anhand von Portfolios lassen so eine Orientierung an den Kompetenzen der Lernenden zu (HÄCKER 2005, 13).

Die zweite Dimension des Portfolios als innovatives Lehr-Lern-Instrument ist mit der Leistungsfeststellungsdimension eng verknüpft: Die stärkere Fokussierung auf den Lernprozess mittels Portfolios ist nicht nur für die Leistungsfeststellung eine zentrale Neuerung, sondern auch für die Wahrnehmung des Lernens generell. Lehrende erhalten mittels des Portfolios eine Erkenntnisgrundlage für eine gezielte, individuelle Lernförderung. Lernende machen sich ihren eigenen Lernprozess sichtbar und damit für die eigene Reflexion zugänglich, was als Voraussetzung für selbstgesteuerte Lernprozesse angesehen werden kann. „Das Portfolio erzählt … die Geschichte des Lernens, wobei die Schülerinnen und Schüler unterstützt werden, alles ins Portfolio aufzunehmen, was ihnen hilft, diese Geschichte besser zu erzählen“ (ebd., 14).

BOHL fasst wesentliche Charakteristika der Methode u. a. als das Bemühen um

  • einen Dialog mit allen am Lernprozess Beteiligten,
  • Aufwertung des Lernprozesses gegenüber dem Lernprodukt,
  • hohe und vielfältige Partizipation der Lernenden,
  • eine mündliche und schriftliche Reflexion über das eigene Lernverhalten und
  • Dokumentation des individuellen Lernfortschrittes zusammen (2006, 148).

Aus diesen Merkmalen und den beschriebenen Dimensionen von Portfolios sind vielfältige Anwendungsvarianten ableitbar. Zwei grundlegende Varianten sollen hier unterschieden werden: während ein Produktportfolio gesammelte und ausgewählte Ergebnisse eines Arbeitsprozesses enthält (wie man das aus den Bereichen Kunst, Design, Architektur kennt) und Aussagen über die Themen, Inhalte sowie Qualität der Ergebnisse zulässt, steht beim Prozess- oder Entwicklungsportfolio die Dokumentation, Beschreibung, Analyse und Kommentierung des Arbeits- und Lernprozesses im Mittelpunkt. Auf diese Weise wird in Zwischenergebnissen, Vergleichen, Rückbesinnungen, Querverweisen, eigenen Schwerpunktsetzungen etc. der Entstehungsprozess von Arbeitsergebnissen nachvollziehbar (BOHL 2006, 146).

3 Portfolioarbeit aus Sicht der beruflichen Lehrerbildung und Schulpraxis

Aus Sicht der beruflichen Lehrerbildung sowie aus der Schulpraxis am Berufskolleg ist die Arbeit mit und über Portfolios aus den beiden bereits genannten Dimensionen innovatives Lehr-Lern-Instrument und alternatives Leistungsfeststellungsverfahren interessant und weiterführend. Hinzu kommen zwei weitere zentrale und aktuelle Elemente: die individuelle Förderung im beruflichen Unterricht und die Europäisierung der Berufsbildung.

3.1 Innovatives Lehr-Lern-Instrument

Bei allen gegenwärtigen Reformbemühungen um die Lehrerausbildung in Deutschland ist an den lehrerbildenden Hochschulen die Diskrepanz zwischen formulierten Ansprüchen an das künftige Lehrerhandeln und erlebter Lernkultur – besser sollte von Lehrkultur an Hochschulen die Rede sein – nach wie vor offensichtlich. Während insbesondere in der Lehre der Didaktik und (Berufs-)Pädagogik der Anspruch auf offenen, selbstorganisierten, subjektorientierten Unterricht postuliert und entfaltet wird, von Ganzheitlichkeit, Handlungslogik, Förderung außerfachlicher Kompetenzen und aktivierungsfördernden Methoden oder von Prüfungen in Ausbildungsberufen anhand eines realen Kundenauftrages die Rede ist und eigenverantwortliches Lernen über geeignete Lernarrangements ermöglicht werden soll, vollzieht sich das Lehr-/Lerngeschehen in den Lehrveranstaltungen zu häufig weiter in den traditionellen Ritualen von Vorlesungen und Seminaren mit eindeutiger Dominanz des Lehrenden im Lehr-Lerngeschehen. Ein ähnlicher Befund kann ebenfalls für die Unterrichtspraxis am Berufskolleg diagnostiziert werden.

Der Einsatz von Portfolios kann als Katalysator zur Öffnung des traditionellen Lehr-Lern-Settings für Selbstorganisation der Lernenden und zur Veränderung der Rolle der Lehrenden wirken. Indem die Lernenden nicht nur das Lernergebnis, sondern auch ihren eigenen Lernprozess im Blick haben und kontinuierlich reflektieren, wird ihnen mehr und mehr bewusst, dass es auf ihr eigenes Lernerhandeln ankommt und der Lernfortschritt vor allem von ihnen selbst abhängt. Indem Lehrende diese individuellen Zugänge zum Lerngegenstand fördern, unterstützen und begleiten, wandelt sich deren Rolle von der Steuerung, Kontrolle und Planung des Lehr-Lerngeschehens hin zur Begleitung, Beratung und Impulsgebung. Natürlich ist dies eine idealtypische Beschreibung, die von perfekten zeitlichen und räumlichen Rahmenbedingungen, angemessenen Gruppengrößen und motivierenden Lernenden ausgeht. Gleichwohl belegen Stellungnahmen in den angefertigten Portfolios den innovativen Charakter für das eigene Lernerhandeln, die intensivere Auseinandersetzung mit den Lerngegenständen und die Wahrnehmung eines höheren Wirkungsgrades beim Lernen:

„Ich bin bis jetzt doch sehr erstaunt, wie sehr mich mein Portfolio beschäftigt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so intensiv damit auseinandersetze. Es gibt Tage, da ist wirklich niemand mehr vor mir sicher. Dann rede ich von morgens bis abends über mein Portfolio. Das hat mich selbst erstaunt. (…) Insgesamt bin ich, bis jetzt, von dieser Methode sehr angetan und positiv überrascht, obwohl es manchmal ziemlich anstrengende Phasen gibt.“ Zwischenfazit Studentin L.

„Erstes Mal habe ich etwas selbständig geschrieben und musste mein Fehlern alleine korrigieren. Am Anfang war ich unsicher und wusste nicht, ob mein Text eine passende Übung für Akkusativ und Dativ wäre. Schritt für Schritt habe ich mein Angst ein bisschen mehr verloren. Ich glaube ich komme meinem Ziel ein bisschen näher. Ich muss dafür aber immer weiterarbeiten. Dann kann ich auch eine gute Erzieherin werden und mit den Kindern gut reden und auch mit Eltern.“ Schülerin R.

„Durch die Eigenverantwortung am Lernerfolg habe ich mich auf jeden Fall intensiver mit den Inhalten auseinander gesetzt als ich es in einer ‚normalen’ Prüfungsvorbereitung getan hätte.“ Ausblick Studentin R.

„Ich denke in diese zeit mit Portfolio habe ich mehr gelernt als ich in den ganze Jahre davor gelernt habe. Aber das ist nicht alles ich muss noch viel dran weiterarbeiten bis ich mein Ziel erreichen kann, um einen Beruf als Verkäuferin haben zu können“ Schülerin Ou.

„Obwohl mir die Portfoliomethode zur Erarbeitung eines Themas anfangs etwas befremdlich erschien, bin ich mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Sicherlich hätten einige Aspekte noch weiter von mir vertieft werden können, doch durch meine individuelle Zielformulierung zu Beginn dieser Arbeit konnte ich mich hinsichtlich meines persönlichen Anliegens mit den Seminarinhalten auseinandersetzen.“ Projektion Studentin W.

Diese Effekte, die von vielen Protagonisten erkannt und in ihren Portfolios dargelegt werden, sind eine wesentliche Ermutigung für die weitere Portfolioarbeit.

3.2 Alternatives Leistungsfeststellungsverfahren

Der im vorhergehenden Kapitel angedeutete Wandel der Lernkultur, der sich über das Portfolio als innovatives Lehr-Lern-Instrument zumindest initiieren lässt, erfordert zugleich einen Wandel der Prüfungskultur. Wenn stärker der Lernprozess und die Aneignung außerfachlicher Kompetenzen in den Blick geraten sollen, dann muss sich dies auch in der Leistungsfeststellung niederschlagen. Einerseits liegt mit einem Portfolio dazu eine umfassende Dokumentation des Lernprozesses jedes einzelnen Lernenden und damit eine hervorragende Beurteilungsbasis vor, andererseits sind die unterschiedlichen Herangehensweisen der Lernenden häufig schwer vergleichbar. Hier gerät die Arbeit mit Portfolios in das Spannungsfeld zwischen der gewollten Individualisierung des Lernprozesses und der Definition von Kriterien, die eine Vergleichbarkeit der Lernleistungen zulässt und einen Weg findet, die im Portfolio dokumentierten Lernfort- und -rückschritte möglichst objektiv und gerecht zu bewerten. Auf diesen Zusammenhang wird im Schlusskapitel noch einmal eingegangen.

Zunächst lassen sich mit Portfolios die Dominanz von traditionellen Prüfungsformen wie Klausur und mündlichen Prüfung im Lehramtsstudium und beruflichen Unterricht durchbrechen. Eine Dominanz, die auch von unseren Studierenden zu Recht beklagt wird, was ebenfalls in Portfolios zum Ausdruck kommt:

„Oft lerne ich für eine Klausur und finde Bereiche interessant. Dann habe ich aber keine Zeit, tiefer in die Materie zu gehen, weil ich mich auf die erwarteten Klausurinhalte konzentrieren muss. Nach der Klausur bin ich froh, dass ich das Thema hinter mich gebracht habe.“ Auszug aus dem Vorwort zum Prozessportfolio der Studentin K.

Nun lässt sich im Massenbetrieb Schule oder Hochschule die Dominanz von traditionellen Prüfungsformen kaum vermeiden. Es kann auch nicht Ziel sein, eine Dominanz von Portfolioarbeit zu etablieren wie die grundlegenden Erfahrungen in Kapitel 3 zeigen. Allerdings zeigen nachfolgende Zitate aus den Schüler- und Studierendenportfolios wie wertvoll die Fokussierung auf den Lernprozess sein kann und wie sinnvoll die Berücksichtigung dieses dokumentierten Prozesses für die Leistungsfeststellung ist.

„Diese Arbeit zeigt meine Schwierigkeiten mich in ganzen Sätzen auszudrücken. Man kann das bei meinem ersten Versuch der Bildbeschreibung sehen. Man kann aber meinen Fortschritt in den nächsten Versuchen sehen. Das finde ich voll cool. Bei früheren Arbeiten konnte ich immer nur die schlechte Note sehen. Bei meinem Portfolio zählt nicht nur die Zahlen (auf dem Zeugnis), sondern auch wie ich sie gemacht habe.“ Schüler J.

„Es hat mich gereizt, einfach etwas Neues auszuprobieren. Außerdem wird es den Klausuren-Lernstress am Ende des Semesters abmildern, weil ich in diesem Seminar die Möglichkeit habe, meine Leistungen über das Semester verteilt zu erbringen. Denn häufig lerne ich zu Beginn des Semesters weniger und muss dann dafür kurz vor der Klausurenzeit alles wiederholen.“ Erfahrungen einer Studentin aus einer Lehrveranstaltung mit Portfolios am IBL

„Ich habe mich in der letzten zeit auch mit einem Freund unterhalten und ihn nach Ratschlägen gefragt. Ich habe ihn gefragt wie ich meine Sprache verbessern könnte und was ich dafür tun könnte. Daraufhin sagte er mir, um eine Sprache zu beherrschen muss man Kommunizieren. Man kann nicht zu hause sitzen und hoffen das die Sprache zu einem geflogen kommt. Also muss man der Sprache entgegen kommen.“ Schüler M.

„Ich hatte mir das Ziel gesetzt, dass ich Interview in der Stadt mit Deutschen führe und das immer wieder filme. Ich habe diese Arbeit ausgewählt, weil ich die Hemmung verlieren möchte, wenn ich mich mit Deutschen unterhalte. […] Die Arbeit hat mir jetzt gezeigt, dass ich mich überwinden kann und mutig bin.“ Schülerin C.

3.3 Individuelle Förderung in der Hochschullehre und im beruflichen Unterricht

Individuelle Förderung bei Schulklassen mit 25 bis 30 Schülerinnen und Schülern erfordert von den Lehrenden besondere diagnostische Kompetenzen und geeignete Rahmenbedingungen wie Freiräume zum kollegialen Austausch der Lehrenden über Stärken und Schwächen von Schülern oder unterstützende räumliche Ausstattungen. Während die Ausbildung diagnostischer Kompetenzen erst in jüngster Zeit Einzug in die Curricula der Lehrerbildung gehalten haben, sind die Rahmenbedingungen häufig schwer modifizierbar. Unter diesen Umständen ist das Portfolio ein leicht einsetzbares Hilfsmittel für Lehrende, um erste Schritte zur Diagnose von Stärken und Schwächen ihrer Lernenden gehen zu können sowie ihre Ansätze individueller Förderung auf diese Diagnose abzustimmen. „Bei der Portfolioarbeit werden Lernende in Situationen gebracht, anhand selbst ausgewählter authentischer Dokumente eigene Bemühungen, Fortschritte und Leistungen in entsprechenden Domänen darzustellen. Die tatsächlichen Leistungsprodukte bleiben im Spiel und werden nicht vorschnell durch Stellvertreter (i.d.R. Ziffernzensuren) ersetzt. Neben den Produkten des Lernens wird auch der Prozess der Entstehung in den Blick genommen. Damit wird diagnostisch relevantes Material gesichert, auf dessen Grundlage reine inhaltlich gehaltvolle Lernberatung erfolgen kann. In solchen Dokumenten schlägt sich erwartbar die Individualität der Lernenden in besonderem Maße nieder“ (HÄCKER 2011, 165f.) Wie aussagekräftig ein Portfolio den individuellen Lernprozess abbilden kann, zeigen besonders die Auszüge aus Schülerportfolios:

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Abb. 1: Auszug aus dem Portfolio des Schülers M.

„Ich habe beim Schreiben gemerkt dass ich immer sehr auf meinem Ausdruck achte z. B. während eine Hausaufgabe oder Gespräche. Mir ist es wichtig, dass sich das sehr gut anhört. Ich glaube kann mich bei das Portfolio-Arbeit noch mehr auf mein Wortschatz konzentrieren und für mich Wege sehen wie ich meinen Ausdruck mehr verbessern kann. Vielleicht lerne ich dabei auch mehr zu mir selbst vertrauen, dass mein Ausdruck ganz gut ist.“ Schüler B.

„Im Alltag gibt es sehr oft Situationen, in denen man die eigene Meinung oder einen Standpunkt vertreten muss. Ich bin eine Person die immer ihre Meinung sagt und gerne Meinungsaustäusche durchführt. Wenn ich mich aber nicht ausdrücken kann, dann fühle ich mich unwohl. Daher ist es für mich wichtig mich in der deutschen Sprache gut auszudrücken denn ich weiß, dass ich jetzt immer in Deutschland bleiben werde und diese Gespräche in deutschen Sprache durchführen muss. Argumentationen sind eine gute Übungen dazu. Ich denke diese Portfolio-Arbeit ist deswegen sehr hilfreich für mich.“ Schülerin E.

3.4 Europäisierung der Berufsbildung

Mit den Bemühungen um Transparenz von erworbenen Kompetenzen und um Durchlässigkeit der Bildungssysteme in Europa sind zunehmend Instrumente gefragt, die sich nicht allein an formalen Zertifikaten und Abschlüssen orientieren, sondern an den tatsächlichen formell oder informell erworbenen Kompetenzen jedes Einzelnen und einer entsprechenden Dokumentation dieser Kompetenzen. Portfolios können dazu einen Beitrag leisten, wie Maßnahmen innerhalb der Pilotinitiative DECVET (Entwicklung eines Leistungspunktesystems in der beruflichen Bildung) zeigen. Da es nur für bewertete Lerneinheiten Leistungspunkte (ECVET) geben kann, müssen Verfahren entwickelt werden, die die in den Lerneinheiten festgelegten Kompetenzen überprüfbar machen. Kompetenzen sind allerdings nur indirekt – etwa über die Beobachtung der Kenntnisse und Fertigkeiten eines Lernenden in einer bestimmten Handlungssituation  – prüf- und bewertbar. Ein Portfolio oder in reduzierter Form ein schriftliches ‚Lerndokument‘ kann die Grundlage zur Prüfung und Bewertung eines Kompetenzerwerbes sein. So werden im Projekt Eurolevel, als Teil der DECVET-Pilotinitiative, beispielsweise Fertigkeiten der Lernenden mit Hilfe von ‚Lerndokumenten‘ nachgewiesen (LANG/ DAMBACHER 2011, 78). Der vom Ausbilder vorgegebene betriebliche Auftrag wird vom Lernenden durchgeführt und in einem Lerndokument beschrieben. „Der Lernende weist damit nach,

  • dass er seine Arbeitsaufgabe vorbereiten, planen, durchführen, auswerten, dokumentieren und abschließen kann,
  • dass er Lösungsmöglichkeiten zur Erreichung der Ziele entwickeln und die notwendigen Arbeiten selbstständig ausführen kann
  • und dass er Informationen einholen, strukturieren, auswerten, beurteilen und einsetzen kann“ (ebd.).

Im beschriebenen Projekt ist nicht von Portfolioarbeit die Rede, aber der Einsatz von schriftlichen Lerndokumenten weist in diese Richtung. Die Idee zum schriftlichen Nachweis von erworbenen Kompetenzen ist in Richtung informell erworbener Kenntnisse und Fähigkeiten ausbaubar. Wer mit dem Instrument Entwicklungsportfolio vertraut ist, kann auch in einer Familienphase oder im Rahmen seiner Freizeitaktivitäten erworbene Kompetenzen kontinuierlich dokumentieren und als Grundlage zur Zertifizierung heranziehen. Ob das jeweils praktikabel und weiterführend ist, kann gegenwärtig nur spekuliert werden; es zeigen sich allerdings neue Verwendungskontexte für die Portfolioarbeit im Kontext der Europäisierung und Outcome-Orientierung. 

4 Grundlegende Erfahrungen mit Portfolioarbeit in Schule und Hochschule

Unsere Erfahrungen mit der Portfolioarbeit in Schule und Hochschule bestätigt einige Befunde, die zum Teil in der Literatur aus dem praktischen Einsatz immer wieder genannt werden (vgl. z.B. LISSMANN 2010, 107; RICHTER 2006, 240; MEISSNER 2006, 246). Die Kenntnis der hier aufgeführten sechs grundlegenden Erfahrungen kann den Start mit Portfolios vor dem ersten eigenen Erproben der Portfolioarbeit erleichtern.

4.1 Portfolioarbeit macht Lernende neugierig

Es ist zunächst wenig überraschend, dass mit neuen Medien oder Methoden im Unterricht ein motivierender Neuigkeitseffekt eintreten kann. Beim Portfolio kommt ein weiterer Effekt hinzu: Lernende merken mit Beginn ihrer Portfolioarbeit sehr schnell wie die Verlagerung des Lernens auf den eigenen Lernprozess und die Reflexion des eigenen Lernverhaltens sie selbst verantwortlich für ihr eigenes Lernen macht und wie sich damit dieses Vorgehen von traditionellem Unterrichtsgeschehen unterscheidet. Das macht neugierig.

4.2 Portfolioarbeit führt bei Lernenden zu Verunsicherungen

Der Effekt der stärkeren Verlagerung der Verantwortung für das Lernen auf die Lernenden und die damit einhergehende Veränderung der Rolle des Lehrenden sowie des Stellenwertes von traditionellen Prüfungsformen ist weitreichend, ungewohnt und führt folglich zu Verunsicherungen bei Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden:

„Am Anfang war ich ein bisschen schockiert. Ich kenne Portfolios überhaupt nicht und ich sollte jetzt ein Portfolio machen??? Nein. Bitte nicht. Es ist für mich viel besser eine Klassenarbeit zu schreiben. Mindestens kenn ich doch die Klassenarbeit. Aber leider musste ich ein Portfolio machen. Deshalb hatte ich mir die Informationsblätter, die meine Lehrerin verteilt hat, immer wieder sehr genau gelesen. Dann bin ich mir endlich klar geworden, was ein Portfolio bedeutet und was man für ein Portfolio machen kann. […] Weil es für mich das erste Portfolio war, bin ich sehr unsicher. Aber zum Glück habe ich Vorschläge von viele Seite bekommen. Auf die Daueer hate ich auch viel Spaß gekriegt. Ich hatte paar Geschichten geschrieben. Ich fand es fantastisch, dass meine Ideen automatisch bekommen sind.[…]“ Schüler X.

„Das Portfolio stellt mich vor eine ungewisse und schwierige Aufgabe. Ich hatte bis zu diesem Seminar noch nie den Auftrag eines zu erstellen. Von der Erstellung meines Portfolios verspreche ich mir eine gute Übersicht und Zusammenfassung einiger Themen, die das Seminar umfasst und die mich interessieren.“ Vorwort Studentin K.

4.3 Portfolios bedeuten für Lehrende und Lernende einen hohen Aufwand

Lehrende müssen sowohl die Einführungs- und Auswertungsphase intensiv vorbereiten als auch in der Durchführungsphase viel Zeit und Energie in die Betreuung und Beratung der Lernenden investieren. Lernende sind nicht nur zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand aufgerufen, sondern sollen darüber hinaus ihr eigenes Lernverhalten zumeist schriftlich reflektieren. Entsprechend  beklagen Lernende den hohen Zeitaufwand, die Überbetonung des Schriftlichen und die Komplexität der Anforderungen (LISSMANN/ HÄCKER/ FLUCK 2009, 42). „In einem Punkt sind sich die Expertinnen und Experten wohl einig: sollen nicht bloß oberflächlich ‚Hochglanzportfolios‘ entstehen, ist die Portfolioarbeit mit einem hohen Aufwand verbunden, sowohl auf Seite der Lernenden als auch der Lehrenden. Bei der Portfoliomethode gilt meines Erachtens genauso wie bei allen anderen Lehr-/Lernformen: Einer der wichtigsten Faktoren für einen hohen Lernerfolg ist ein regelmäßiges, kritisch-konstruktives Feedback. Dem sind leider in fast allen Bildungsorganisationen aufgrund ungünstiger Rahmenbedingungen, insbesondere mangelnder Zeit- und Personalressourcen, enge Grenzen gesteckt“ (HIMPSL-GUTERMANN 2011, 44). Bleibt dieses regelmäßige Feedback jedoch aus, ist von großen Motivationsproblemen im Fortschritt der Portfolios auszugehen.

„Ich habe so viel an meine Portfolio gearbeitet nicht nur in die Schule auch zu Hause so viel. Und die Portfolio-Arbeit war so lange, fast das ganze Halbjahr. Ich glaube manchmal es ist bestimmt leichter gewesen wenn wir einfach 2 Klassenarbeiten mehr geschrieben hatten, dann musste ich nicht so viel tun.“ Schülerin T.

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich so viele Stunden mit dem Portfolio zu tun haben werde. Wenn ich das mal mit meiner Vorbereitung mit einer mündlichen Prüfung in einem ähnlichen Seminar im letzten Semester vergleiche, dann war der Aufwand enorm.“ Ausblick Student H.

4.4 Portfolios verändern die Rolle des Lehrenden

Die Veränderung der Rolle des Lehrenden wird insbesondere bei der Frage der Bewertung von Zwischenergebnissen, Selbstreflexionen der Lernenden und Abschlussbeurteilungen deutlich. Was erwartet der Lehrende von mir? Wie selbstbestimmt kann ich mein Portfolio erstellen? Wie weit kann ich dem Lehrenden im Hinblick auf die Abgabe der Kontrolle und Steuerung für meinen Lernprozess trauen? Im Hinblick auf den hohen Aufwand und die Schwierigkeiten, sich über einen längeren Zeitraum für die Portfolioerstellung zu motivieren, ist der Ruf von Lernenden nach mehr Steuerung, Organisation, Planung und Hilfestellung durch die Lehrenden allzu verständlich:

„Ich spielte dieses Mal die Rolle einer Lehrerin. Ich sollte die Aufgaben formulieren, aber auch überlegen wie ich das löse. Das war ein großer Unterschied. Am Anfang war das sehr schwer weil Frau Massumi hat nicht gesagt zum Zielerreichen musst du so oder so arbeiten. Dann habe ich selbst lange nachgedacht und gemacht. Ich merke jetzt, dass ich tatsächlich etwas für mich tue, nicht für eine bestimmte Note, weil ich weiß der Lehrer will das so.“ Schülerin E.

„Eigentlich erwarte ich von einem Dozenten, dass er, das, was wichtig ist für ein Thema raussucht und in der Lehrveranstaltung darüber gesprochen wird. Da kann man dann ja immer noch entscheiden, was einen interessiert und was nicht. Aber man/ich weiß dann, was gelernt werden soll.“ Fazit Student B.

4.5 Portfolios überfordern

Portfolios sind ein Ausdruck des Wandels der Lernkultur, der nicht plötzlich, sondern nur allmählich gelingen kann. Mit Einstellungen und Sichtweisen traditionellen Unterrichts kann die Portfolioarbeit zunächst einmal als Zumutung empfunden werden. Diese mögliche Überforderung sollte gleichsam im Prozess der Portfolioerstellung vom Lehrenden antizipiert werden, damit kontinuierlich Brücken und Hilfestellungen zur Bewältigung des Wandels angeboten werden können.

„Mich nervt die ständige Fixierung auf mein eigenes Lernverhalten; was soll ich da schon ständig schreiben – noch dazu, wo ich vom Professor klare Gliederungen und Hinweise zum Abarbeiten erwarte. Ich werde das nicht bei Berufsschülern einsetzen, die sind doch völlig überfordert.“ Student S.

„In diesem Fall hieß es das nicht ich an meinem ersten Ziel geblieben bin um ihn intensiv zu bearbeiten. Ich habe was ganz anderes gemacht und bearbeitet, weil am Anfang das zu schwer für mich war allein und selbstständig zu arbeiten.“ Schüler H.

„Meine Schwierigkeit war meine Faulheit. So eine Arbeit war auch unangenehm für mich, weil ich sollte die Aufgaben bestimmen und sollte sie dann auch lösen. Es ist leichter, wenn ich von jemandem eine Aufgabe bekomme und dann sie löse. Es war schwer immer einen Weg zu finden wie ich mein Ziel erreichen kann.“ Schülerin E.

4.6 Portfolioarbeit ist kein Allheilmittel

Wie sich insbesondere aus den Thesen zur Verunsicherung, zum Aufwand und zur Überforderung ablesen lässt, kann Portfolioarbeit kein Allheilmittel sein. Gerade der hohe Aufwand ist ein Hinweis darauf, dass im Verlauf eines Schuljahres oder Semesters eine Portfolioarbeit nicht von der nächsten Portfolioarbeit abgelöst werden kann, sondern diese Erarbeitung einen besonderen Stellenwert, besondere Rahmenbedingungen, Abwechslung mit Phasen anderer Unterrichtsorganisation und Leistungsfeststellungsverfahren erfordert. Darüber hinaus erreicht Portfolioarbeit nicht jeden Lernenden und Lehrenden gleichermaßen, (was selbstverständlich für alle Methoden und Lehr-Lern-Verfahren ebenfalls gilt).

„Irgendwie hatte ich die ganze Zeit kein Bock auf die Portfolio. Ich will einfach richtigen Unterricht. Ich kann das Wort nicht mehr hören. Ich hab nicht viel gemacht und nix gelernt.“ Schüler D.

„Ich bin traurig weil ich habe so viel im Portfolio an meine Rechtschreibung gearbeitet. Jetzt habe ich eine Klassenarbeit geschrieben. Das ist wieder 5 und meine Rechtschreibung war so schlecht.“ Schülerin V.

„Das Portfolio war für mich bis zum Schluss schwer zugänglich. Diese Art des Arbeitens fiel mir nicht leicht.“ Abschlussfragebogen bei Studierenden

5 Fazit

Mit dem Einsatz von Portfolios im Lehr-Lerngeschehen steht ein Instrument zur Innovation des Lernprozesses in Richtung eines Wandels der Lernkultur zur Verfügung. Über den im Portfolio dokumentierten Lernprozess ergeben sich Chancen zur alternativen Leistungsfeststellung, zur individuellen Förderung der Lernenden und zum Nachweis erworbener Kompetenzen, was im Zuge der Outcome-Orientierung und im Hinblick auf den wachsenden Stellenwert informell angeeigneter Kompetenzen im Zuge der Europäisierung der Berufsbildung immer bedeutsamer wird.

Unsere Erfahrungen mit dem Portfolioeinsatz in Schule und Hochschule belegen zugleich Neugierde und Verunsicherung sowie einen hohen Aufwand für alle Beteiligten. Sie zeigen teilweise Tendenzen der Überforderungen der Lernenden und einen Wandel der Rolle der Lehrenden. Sie machen darüber hinaus deutlich, dass Portfolioarbeit im Spannungsfeld zwischen stärkerer Individualisierung des Lernens bei gleichzeitigem Anspruch nach Vereinheitlichung der Bewertungskriterien zur Vergleichbarkeit der Resultate stehen. Dieses Spannungsfeld führt zur generellen Frage nach dem Verhältnis von Fremd- und Selbststeuerung in zeitgemäßen Lehr-Lern-Settings. Wie viel Hilfestellung ist nötig bzw. gerade noch vertretbar, damit genügend Freiräume zur Entfaltung der Lernenden und zur Förderung außerfachlicher Kompetenzen verbleiben. Wie viel Selbststeuerung der Lernenden ist erträglich, um zu einem substantiellen Lernergebnis in angemessener Zeit zu kommen? Es kommt auf die richtige Dosis im Verhältnis von Selbst- und Fremdsteuerung an, was auch am Sachverhalt deutlich wird, dass Portfolioarbeit kein Allheilmittel sein kann. Die richtige Dosierung zwischen Fremd- und Selbststeuerung unter Einbeziehung von Portfolios bringt abschließend KLAUS HIMPSL-GUTERMANN eloquent auf den Punkt:

„Lernen in formalen Settings findet immer unter Anleitung statt, also im Wechselspiel zwischen Fremd- und Selbststeuerung, und ich würde das Gespür für die richtige Mischung als ‚die hohe Kunst des Lehrens‘ bezeichnen. Dabei gefällt mir das Bild des ‚Scaffolding‘ besonders gut: Die Lernenden – insbesondere, wenn sie noch unerfahren sind – unterstützen und vorsichtig einzelne Stützen wieder wegnehmen, ihnen also mehr Verantwortung übertragen und Selbstbestimmung zulassen. Genau dafür ist meiner Meinung nach das Portfolio hervorragend geeignet, denn ich kann mich als Lehrender – je nach Grad der Anleitung der Portfolioprozesse – fast beliebig auf der Skala zwischen Fremd- und Selbstbestimmung bewegen. Enge Vorgaben hinsichtlich der Lerninhalte, Lernziele, Lernergebnisse und Beurteilungskriterien nach genauen Rastern kann ich mit zunehmender Expertise der Lernenden schrittweise lockern, während gleichzeitig durch das Reflexionsportfolio die für die Selbstverantwortung wichtigen metakognitiven Kompetenzen erworben werden“ (2011, 34).

Es ist ein wesentliches Ausbildungsziel in der beruflichen Lehrerbildung in unserem Institut, ein Gespür für dieses Verhältnis zwischen Fremd- und Selbststeuerung im zeitgemäßen Unterricht zu bekommen und Instrumente – wie etwa Entwicklungsportfolios – zur unterrichtlichen Realisierung einer geeigneten Mischung in der Steuerung durch Lehrende kennen zu lernen.

Literatur

BOHL, T. (2006): Prüfen und Bewerten im Offenen Unterricht. Weinheim und Basel.

EASLEY, S.-D./ MITCHELL, K. (2004): Arbeiten mit Portfolios. Mülheim an der Ruhr.

HÄCKER, T. (2005): Mit der Portfoliomethode den Unterricht verändern. In: Pädagogik, H. 3, 13-18.

HÄCKER, T. (2011): Portfolio revisited – über Grenzen und Möglichkeiten eines viel versprechenden Konzepts. In: MEYER, T./ MAYRBERGER, K./ MÜNTE-GOUSSAR, S./ SCHWALBE, C. (Hrsg.): Kontrolle und Selbstkontrolle. Zur Ambivalenz von E-Portfolios in Bildungsprozessen. Wiesbaden, 162-183.

HIMPSL-GUTREMANN, K. (2011): Statement im Kapitel Perspektiven. In: MEYER, T./ MAYRBERGER, K./ MÜNTE-GOUSSAR, S./ SCHWALBE, C. (Hrsg.): Kontrolle und Selbstkontrolle. Zur Ambivalenz von E-Portfolios in Bildungsprozessen. Wiesbaden, 34 und 44.

LANG, T./ DAMBACHER, M. (2011): Förderung der Durchlässigkeit und Anrechnung von Kompetenzen: Das Europäische Leistungspunktesystem für die berufliche Bildung und das Projekt „Eurolevel“. In: Die berufsbildende Schule, H. 3, 76-79.

LISSMANN, U./ HÄCKER, T./ FLUCK, L. (2011): Portfolioarbeit – aus der Sicht rheinland-pfälzischen Lehrpersonen. In: Hochschulschriftenserver der Universität Koblenz-Landau. Online: http://kola.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2009/475/pdf/Portfoliobefragung_09_10_05.pdf  (30-04-2011).

LISMANN, U. (2010): Zehn Jahre Portfoliobeurteilung – Anspruch und Wirklichkeit. In: BIERMANN, C./ VILKWEIN, K. (Hrsg.): Portfolio-Perspektiven. Schule und Unterricht mit Portfolios gestalten. Weinheim und Basel, 100-114.

MEISSNER, M. (2006): Selbst-bewusst in die Professionalität. In: BRUNNER, I./ HÄCKER, T./ WINTER, F. (Hrsg.): Das Handbuch Portfolioarbeit. Seelze-Velber, 242-248.

RICHTER, A. (2006): Portfolios im universitären Kontext: wann, wo, wie? In: BRUNNER, I./ HÄCKER, T./ F. WINTER (Hrsg.): Das Handbuch Portfolioarbeit. Seelze-Velber, 234-241.

TERHART, E. (Hrsg.) (2000): Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland. Abschlussbericht der von der Kultusministerkonferenz eingesetzten Kommission. Weinheim.


Zitieren dieses Beitrages

HARTH, T./ MASSUMI, M. (2011): Portfolio-Arbeit in der Lehrerausbildung und in der Schulpraxis. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 11, hrsg. v. KETTSCHAU, I./ GEMBALLA, K., 1-14. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft11/harth_massumi_ft11-ht2011.pdf (26-09-2011).



Hochschultage Berufliche Bildung 2011 - Web page

http://www.hochschultage-2011.de/