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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT11 - Hauswirtschaft
Herausgeberinnen: Irmhild Kettschau & Kathrin Gemballa

Titel:
Übergänge in der hauswirtschaftlichen Berufsbildung gestalten - Perspektiven auf die individuelle Förderung und die Systemgestaltung in der Domäne Hauswirtschaft


Berufliche Bildung für eine nachhaltige Entwicklung in der Ernährungsbranche

Beitrag von Nancy MATTAUSCH & Irmhild KETTSCHAU (Fachhochschule Münster)

Abstract

Der folgende Beitrag reißt die ökologischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen unseres derzeitigen Ernährungssystems an. Es wird verdeutlicht, dass ein Umdenken hin zu einer nachhaltigen Ernährung unumgänglich ist. Damit der Ernährungssektor diesen Weg beschreiten bzw. forcieren kann, ist unter anderem hervorragend qualifiziertes Personal erforderlich, das in der Lage ist, betriebliche Prozesse in ihrer Komplexität zu begreifen und ganzheitlich zu gestalten. An der Fachhochschule Münster wird im 2-jährigen Förderprojekt „Berufliche Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BBNE) in der Ernährungsbranche“ ein Rahmencurriculum BBNE entwickelt, erprobt und standardisiert. Dabei werden insbesondere die Ordnungsmittel für dienstleistungsorientierte Berufe wie Hauswirtschafter/Hauswirtschafterin, Koch/Köchin, Restaurantfachmann/-frau und Fachkraft für Systemgastronomie hinsichtlich ihrer Anknüpfungspunkte für ein Nachhaltigkeitscurriculum analysiert. Exemplarische Untersuchungen von Arbeitsprozessen in Betrieben der Gemeinschaftsverpflegung sollen die Erarbeitung der für nachhaltiges Handeln erforderlichen Kompetenzen und Qualifikationen unterstützen.

1 Einführung

Klimawandel, Verknappung von Ressourcen wie Erdöl, das ungelöste Hungerproblem und andere global relevante Themen erfordern lösungsorientiertes Handeln dringender denn je. Wir wissen, dass unsere Wirtschaftsweise in den Industriestaaten längst spürbare Auswirkungen auf unsere Lebensqualität hat und noch haben wird. Die Beanspruchung der uns zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen hat ein verträgliches Maß überschritten. Vor dem Hintergrund einer steigenden Weltbevölkerung vor allem in Entwicklungsländern und deren zunehmende Orientierung an westlichen Konsummustern begründet sich die eindrückliche Forderung, den Umweltverbrauch zu senken. Die derzeitige Weltbevölkerung benötigt bereits die Kapazität von 1,5 Planeten Erde für die Erzeugung der in einem Jahr verbrauchten Ressourcen (WWF 2010, 6). Unter Beibehaltung der jetzigen Wirtschaftsweise würde die Beanspruchung im Jahre 2030 bei etwa zwei Planeten Erde liegen (WWF 2010, 9). Diese Berechnung ist theoretisch, denn wir haben nur einen Planeten Erde. Diese Zahlen führen uns dennoch klar vor Augen, dass ein Umdenken zwingend erforderlich ist. Neben den gravierenden Umweltbeeinträchtigungen kommt unsere Wirtschaftsweise einer gerechten Verteilung der Konsumchancen zwischen Nord und Süd nicht nach (intragenerationelle Gerechtigkeit). Ebenso bleibt zu befürchten, dass ohne gravierende Veränderungen kommende Generationen nicht mehr die gleichen Chancen für ein qualitätvolles Leben vorfinden werden (intergenerationelle Gerechtigkeit).

Der in diesem Artikel häufig verwendete Begriff der Nachhaltigkeit wird nicht weiter erläutert, um Wiederholungen zu anderen Artikeln in diesem Band zu vermeiden. Die Autorinnen legen die Begriffserklärung der Brundtland-Kommission von 1987 zu Grunde, die in der deutschen Übersetzung von Volker Hauff zum damaligen Zeitpunkt mit dem Begriff der dauerhaften Entwicklung übersetzt wurde: „Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ (HAUFF 1987, 46).

2 Herausforderungen einer nachhaltigen Ernährung

Zur Deckung menschlicher Konsumbedarfe und -wünsche in Industrieländern, wie Wohnen, Ernährung, Freizeitgestaltung oder Gesundheit wird unter anderem Energie in großem Umfang eingesetzt. So erfordert das „Wohnen“ mehr als 30 % des Primärenergieeinsatzes privater Haushalte. Auf Platz 2 liegt mit rund 20 % das Bedarfsfeld „Ernährung“ (BUND/ MISEREOR 1997, 108). Allein schon diese Größenordnung begründet die Relevanz des Ernährungsthemas für eine Wende in Richtung einer nachhaltigkeitsorientierten Versorgung und Lebensgestaltung. Zahlreiche Herausforderungen im Handlungsfeld „Ernährung“ unterstützen diese Forderung. Beispielhaft sind zu nennen:

  • Der gestiegene Fleischverzehr erfordert einen hohen Einsatz an Ressourcen (Flächen für Futtermittelanbau und Aufbringen der Gülle, Energieeinsatz, Chemikalien), um die nachgefragten Fleischmengen zu erzeugen (METHFESSEL/ QUELLMALZ 2008, 21f). So hat sich der Fleischverzehr in Deutschland von 1950 mit 26,2 kg pro Kopf bis 2009 mit 60,5 kg pro Kopf innerhalb von knapp 60 Jahren mehr als verdoppelt (DEUTSCHER FLEISCHER-VERBAND 2009, 31). Zudem herrscht auf den Weltmärkten ein enormer Preisdruck, so dass vielfach Produktionsweisen zum Einsatz kommen, die weder dem Tierschutz gerecht werden, noch den Menschen sichere und gesunde Lebensmittel garantieren. Skandale, die die Qualität und gesundheitliche Unbedenklichkeit von Fleisch und Fleischprodukten in Frage stellen, zeigen den Verbrauchern immer wieder auf, welche Auswirkungen eine ethisch bedenkliche, von natürlichen Kreisläufen abgekoppelte Massentierhaltung mit sich bringen kann.
  • Der verbreitete Konsum von Lebensmitteln in hohen Verarbeitungsstufen (Convenience) basiert ebenfalls auf intensiver industrieller Produktion, mit entsprechenden Energieeinsätzen und transportiert zudem zahlreiche Zusatzstoffe auf den Teller der Verbraucher. Die hohe Energiedichte und teilweise Verfremdung des natürlichen Geschmacks der Lebensmittel sind unter anderem viel kritisierte Konsequenzen.
  • Das Überangebot an Lebensmitteln, die scheinbare jederzeitige Verfügbarkeit von Produkten unabhängig von Ort und Jahreszeit entkoppeln Nahrung und Ernährung von regionalen und saisonalen Herstellungsbedingungen. Hohe technische und energetische Aufwände bei Herstellung und Transport sind erforderlich, um dieses Angebotslevel aufrecht zu erhalten. Dennoch bleibt die Geschmacksvielfalt der Lebensmittel oft auf der Strecke. Durchgesetzt haben sich einige wenige Sorten und Rassen mit wirtschaftlich profitablen Eigenschaften wie Ertrag, schnelles Wachstum und maschinelle Bearbeitbarkeit. Aus globaler Perspektive basiert die Nahrungsmittelversorgung auf der Züchtung von nur 15-30 Pflanzenspezies. Bei Ausfall von nur einer dieser Arten stünden wir umgehend vor großen Versorgungsschwierigkeiten (ALBRECHT et al. 2011, 18). Erstrebenswert wäre demnach die Rückkehr zu alten Rassen und Sorten, die an die jeweiligen Standorte angepasst und robust sind. Allein dadurch käme wieder eine größere Geschmacksvielfalt auf den Teller.    
  • Entlang der gesamten Produktionskette ‚from field to fork‘ entstehen enorme Verluste. Schätzungen liefern sehr unterschiedliche Zahlen. ALBRECHT et al. (2011, 19) meinen, dass rund ein Drittel aller Lebensmittel zwischen Produzent und Verbraucher in essbarem Zustand weggeworfen wird. Andere Schätzungen nennen zum Teil noch höhere Werte. Normen wie z.B. in der ehemaligen Verordnung (EWG) Nr. 1677/88 (besser bekannt als Gurkenverordnung) sowie vermeintlich ästhetische Ansprüche sorgen in Industrieländern dafür, dass bereits auf dem Acker eine Selektion stattfindet, die ihresgleichen sucht und in den Lebensmittelgeschäften fortgesetzt wird. In exemplarisch untersuchten österreichischen Discountern kommen jährlich 13,5 Tonnen Lebensmittelabfälle pro Filiale zusammen (SCHNEIDER 2008, 5). Eine Studie des Instituts für Abfallwirtschaft der Universität für Bodenkultur in Wien ergab, dass in oberösterreichischen Haushalten jährlich über 15 kg Lebensmittel und Speisereste pro Person weggeworfen werden. Davon war ein Drittel noch original(-verpackt) (LAND OBERÖSTERREICH 2009, 51f).
  • Die Konsumenten zeigen widersprüchliche Verhaltensweisen. Teils (verbal) interessieren sie sich für gute Lebensmittel und reagieren sehr sensibel auf ’Lebensmittelskandale‘, wie sie sie sich erst kürzlich durch Dioxinbelastung in Eiern wieder ereignet haben. Die offenbar dominierenden Einflussgrößen sind jedoch Verfügbarkeit, Bequemlichkeit, Zeit- und Geldersparnis. Zudem fehlt es vielfach an Kenntnissen und Kompetenzen, um sich auf den komplexen Märkten zurechtzufinden und die Lebensmittel im Haushalt handwerklich sachgerecht zuzubereiten.
  • Infolge sich verändernder Lebens- und Arbeitsbedingungen erhält die Außer-Haus-Verpflegung einen immer größeren Stellenwert – bereits 44 % aller Nahrungsmittelausgaben fließen in diesen Sektor (RÜCKERT-JOHN 2007, 25). Vor allem in diesem Bereich fehlt es bisher an nachhaltigen Angeboten auf breiter Basis.
  • 60-70 % der erschlossenen Süßwasserreserven werden für die landwirtschaftliche Bewässerung eingesetzt (GRUNDWALD/ KOPFMÜLLER 2006, 91). Staaten mit hohem Bevölkerungswachstum – vor allem in Asien und Afrika – werden aufgrund von Wassermangel künftig nicht mehr ausreichend Lebensmittel selbst produzieren können. Werden Nahrungsmittel importiert, wird gleichzeitig so genanntes virtuelles Wasser importiert. Das ist die tatsächliche Menge Wasser, die entlang der Wertschöpfungskette in ein Produkt fließt. Baut nun ein wassergestresstes Land bewässerungsintensive Kulturen für den Export an, so exportiert dieses Land gleichzeitig hohe Mengen an virtuellem Wasser und verstärkt seine Wasserproblematik. Während die Deutschen im Schnitt knapp 130 Liter Wasser pro Person und Tag im Haushalt direkt verbrauchen, sind es nochmal 4.000 Liter virtuelles Wasser pro Person und Tag, die wir in der Regel nicht sehen bzw. nicht bewusst wahrnehmen. Die Hälfte davon ist laut der WWF importiert (2009, 11). Allein in einer Tasse mit 125 Milliliter Kaffee stecken 140 Liter virtuelles Wasser (WWF 2009, 20).

Die genannten Argumente ließen sich um weitere ergänzen, sollen an dieser Stelle jedoch genügen, um die Dringlichkeit für ein Handeln im Ernährungssystem hin zu mehr Nachhaltigkeit aufzuzeigen. Doch wer soll diesen grundlegenden Wandel gestalten? Bei solch einer Aufforderung an die Ernährungsbranche ist auch stets die Notwendigkeit entsprechender Strukturen zu berücksichtigen. Neben den erforderlichen Beschaffungsstrukturen für nachhaltig produzierte Lebensmittel wird vor allem gut ausgebildetes Personal benötigt, das in der Lage ist, betriebliche Abläufe ganzheitlich zu gestalten und zu kommunizieren.

3 Berufliche Bildung für eine nachhaltige Entwicklung in der Ernährungsbranche

Es kommt nun also darauf an, die berufliche Bildung in den Ernährungs- und Hauswirtschaftsberufen als eine wichtige Voraussetzung zur Schaffung und Entwicklung nachhaltigkeitsorientierter Angebotsstrukturen auf Waren-  und Dienstleistungsmärkten sowie auf gesellschaftlicher Ebene zu stärken. Ziel muss es sein, den Fachkräften eine sichere Orientierung, fundiertes Wissen und umfassende Handlungskompetenzen zu vermitteln, die es ihnen ermöglichen, die Nachhaltigkeitsrelevanz bestimmter Handlungssituationen zu erkennen und zu analysieren, um dann nachhaltigkeitsförderliche Lösungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Lebensmittelproduktion, Ernährung und Verpflegungsdienstleistungen zu entwerfen, umzusetzen und zu vermarkten.

Der großen Bedeutung, die der Ernährung für eine nachhaltige Entwicklung zukommt, entspricht bislang noch nicht die Aufmerksamkeit und Berücksichtigung gegenüber dem Ernährungssektor in Konzepten für eine nachhaltige Berufsbildung. Um diese Aussage zu bekräftigen, wurden exemplarisch die Ordnungsmittel (Ausbildungsverordnungen und KMK-Rahmenlehrpläne) für folgende dienstleistungsorientiere Berufe in der Ernährungsbranche studiert:

  • Hauswirtschafter/Hauswirtschafterin
  • Koch/Köchin
  • Restaurantfachmann/-frau
  • Fachkraft für Systemgastronomie

Es fällt auf, dass der Begriff der Nachhaltigkeit in den genannten Ordnungsmitteln bisher nicht verankert ist. Dies ist sicherlich auch der Aktualität des Nachhaltigkeitsbegriffes geschuldet, zumal die Ordnungsmittel dieser Berufe letztmalig in den 1990er Jahren aktualisiert wurden. Nichtsdestotrotz finden sich in diesen Ordnungsmitteln zahlreiche Anknüpfungspunkte für nachhaltiges Handeln. Oder anders formuliert: nachhaltigkeitsrelevante Inhalte sind in zahlreichen Lernfeldern längst vertreten, wenn auch nicht unter dem Siegel der Nachhaltigkeit. Hier ließe sich leicht anknüpfen und das Thema erweitern. Zur Verdeutlichung seien hier einige wenige Auszüge aus dem Rahmenlehrplan der Kultusministerkonferenz (1999) für den Ausbildungsberuf Hauswirtschafter/Hauswirtschafterin genannt:

  • Bei der Beschaffung qualitative, ökonomische und ökologische Aspekte beachten (Lernfeld 2),
  • Ökologische Bedeutung sachgerechter Lagerung kennen (Lernfeld 3),
  • Bedeutung qualitativ hochwertiger Speisen und Getränke für eine vollwertige Ernährung (Lernfeld 4)

Neben dem Wunsch nach einer Erweiterung / Erneuerung der Ordnungsmittel mag es ebenso in den fachinternen Debatten und Projekten noch an einer breiten Verankerung des Nachhaltigkeitsthemas in Aus- und Weiterbildungskonzepten fehlen. Dabei könnte dieses Thema durchaus das Potenzial aufweisen, der sehr heterogenen Domäne Ernährung / Hauswirtschaft mit ihren zersplitterten, vielfach von Kleinst-, Klein- und Mittelbetrieben geprägten Strukturen ein modernes Profil mit hoher Attraktivität, Innovations- und Vernetzungsfähigkeit zu verleihen. Nicht zuletzt die Ausbildungsstandorte für die berufliche Lehrerbildung in der Fachrichtung Ernährungs- und Hauswirtschaftswissenschaften können hier Verantwortung übernehmen, um das Thema Nachhaltigkeit in Konzepten der beruflichen Bildung stark zu machen und so Lehrkräfte als Multiplikatoren und Mentoren einer nachhaltigkeitsorientierten Entwicklung in der Berufspraxis zu platzieren.

Den Fachkräften Kompetenzen zur Entwicklung und Umsetzung von Strategien einer an Nachhaltigkeit orientierten Ernährung und Verpflegung zu vermitteln, ist notwendig und sinnvoll: notwendig, um letztlich zur Verringerung der mit Ernährung und Nahrungsmittelproduktion verbundenen ökologischen und teils auch ökonomischen Belastungen beizutragen und eine global gerechte Ernährung heute herzustellen und in der Generationenfolge zu erhalten. Sinnvoll, um den Berufstätigen in einer oftmals nicht sehr hoch geachteten Branche ein modernes, zukunftsorientiertes Kompetenzprofil zu verleihen, mit dem sie sich auf dem wachsenden Dienstleistungsmarkt behaupten können.

4 Exkurs: Gemeinschaftsverpflegung (GV)

4.1 Gliederung und Größe des Sektors

Das Münsteraner Projekt hat – wie auch die anderen im Förderschwerpunkt BBNE geförderten Projekte – Pilotcharakter. Im Projektzeitraum von zwei Jahren fokussiert das Projektteam vor allem auf die dienstleistungsorientierten Berufe der Domäne Ernährung/Hauswirtschaft sowie den Sektor Gemeinschaftsverpflegung. Diese Form der Verpflegung ist für weite Teile unserer Gesellschaft von hoher Bedeutung (vgl. Abbildung 1). Vorab einer Curriculumentwicklung erfolgt zunächst eine Sektoranalyse, um Strukturen, Potenziale und Herausforderungen dieses spezifischen Bereiches zu erfassen und bei dem weiteren Vorgehen zu berücksichtigen. 

Die Gemeinschaftsverpflegung bildet zusammen mit der Individualverpflegung den großen Sektor der Außer-Haus-Verpflegung ab. Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung versorgen definierte Personengruppen in besonderen Lebenssituationen mit Speisen (z.B. Patienten eines Krankenhauses oder Studenten in Mensen). Zugang zu diesem Speisenangebot hat demnach nur ein bestimmter Personenkreis von Berechtigten. Möglicherweise hat die Zielgruppe (z.B. Senioren, erkrankte Menschen) spezielle Ernährungsbedürfnisse. Im Gegensatz zur Individualverpflegung wechselt das Speisenangebot in einem konzeptionell vorgegebenen Rhythmus, in der Regel täglich oder wöchentlich. Die Speisen werden zwar häufig bezuschusst, dennoch unterliegt die Speisengestaltung häufig einer engen Preiskalkulation. Im Hinblick auf die Einführung und Etablierung eines nachhaltigen Verpflegungskonzeptes sind daher insbesondere Kreativität bei der Speiseplangestaltung, Flexibilität und exakte Speisenkalkulationen gefragt.

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Abb. 1: Bereiche der Gemeinschaftsverpflegung (eigene Darstellung nach PAULUS 1988, 230)

Die Gemeinschaftsverpflegung umfasst die Speisenversorgung im beruflichen Umfeld, in der Bildung sowie im pflegerischen Kontext. Diese drei Bereiche beinhalten zahlreiche Unterkategorien (vgl. Abbildung 1), die die Versorgung von weiten Teilen der Bevölkerung abdecken. Dieser Markt ist äußerst dynamisch und gewinnt für die Ernährung unserer Bevölkerung an Bedeutung. Dies ist unter anderem auf veränderte Lebens- und Arbeitsbedingungen zurückzuführen. So wird beispielsweise für immer mehr Schulkinder vor dem Hintergrund einer Ganztagsbetreuung die Versorgung mit einer warmen Mahlzeit in der Schule notwendig. In Deutschland steigt der Anteil älterer Bevölkerungsgruppen und so wird der Seniorenmarkt in der Branche mit sehr guten Wachstumschancen bewertet (DEUTSCHER FACHVERLAG 2010, 35). Umso mehr ist die GV mit ihren zahlreichen Großhaushalten gefragt, Menschen nicht nur mit Speisen zu sättigen, sondern aufgrund der in Kapitel 2 genannten Herausforderungen nachhaltige Elemente in die Speisenkonzepte zu integrieren. 

Die Relevanz der Gemeinschaftsverpflegung lässt sich auch an ihrer Größe verdeutlichen. In Abbildung 2 ist die Anzahl der Einrichtungen beispielhafter Bereiche im Jahre 2009 dargestellt. Beurteilt nach Größe stehen damit die Schulen und Kindergärten an erster Stelle, wobei in die Statistik auch Einrichtungen ohne eigene Küche einbezogen worden sind. Auf dem letzten Rang befinden sich die Hochschulen mit 300 Einrichtungen. Allerdings würde sich diese Reihenfolge unter Berücksichtigung der Größe verändern. Dies wäre unter anderem beim Vergleich des Wareneinsatzes der Fall, der in Hochschulmensen deutlich höher ausfällt als in einer Schulkantine. Denn die 300 deutschen hochschulgastronomischen Einrichtungen versorgen eine sehr große Anzahl an Personen.

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        * : inklusive Betriebe ohne Küche, ** Kantinen ab 100 Mitarbeitern

Abb. 2: Anzahl Einrichtungen in ausgewählten Bereichen der Gemeinschaftsverpflegung im Jahr 2009 (Quelle: CHD-EXPERT 2009)

Auch wenn sich aus der Anzahl der Betriebe nicht ohne weiteres Rückschlüsse auf die Anzahl der von diesen Einrichtungen versorgten Personen ziehen lassen, so ist doch zumindest zu erahnen, dass hinter mehr als 100.000 Einrichtungen ein Vielfaches an Kunden, Gästen bzw. Patienten steckt.

4.2 Nachhaltigkeit in der Gemeinschaftsverpflegung im Trend?

Lässt sich aus den in 4.1 genannten Zahlen ein großes Potenzial für die Etablierung nachhaltiger Verpflegungskonzepte ableiten? Die Realität zeigt, dass nachhaltige Speisenangebote im Außer-Haus-Bereich noch immer in der Nische stecken. Obwohl einige GV-Betriebe seit Jahren mit gutem Beispiel vorangehen, sind sie nach wie vor recht wenig kopierte Beispiele.

Besteht bei GV-Betrieben grundsätzlich ein Interesse am Thema Nachhaltigkeit? Umfragen wie in Abbildung 3 dargestellt, bestätigen ein Interesse zumindest für die Betriebsverpflegung. Immerhin 75 % der Befragten geben an, bei neuen Produkten eine stärkere Berücksichtigung der Nachhaltigkeit für wichtig zu erachten. Produkteigenschaften wie besserer Geschmack und bessere Optik sowie die Beachtung von Gesundheitsaspekten erachtet die deutliche Mehrheit der Befragten ebenfalls für wichtig. Hingegen liegt der Aspekt der längeren Haltbarkeit von Produkten mit 27 % deutlich auf dem letzten Rang und auch die niedrigen Kosten beim Personal sind kein ausschlaggebendes Kriterium für den Einsatz neuer Produkte. Frische und Geschmack – beides auch Elemente einer nachhaltigen Verpflegung – sind also gefragt. Nun ist bei dieser Befragung der Aspekt der sozialen Erwünschtheit nicht außer Acht zu lassen, zumal die Befragungen telefonisch durchgeführt wurden. Und dass eine Interessensbekundung nicht zwangsläufig mit einer Kaufentscheidung einhergeht, ist bei der Bewertung solcher Zahlen stets im Hinterkopf zu behalten. Nachhaltigkeitswissen zieht noch längst kein nachhaltiges Handeln nach sich. Dennoch ist es bemerkenswert, dass die Nachhaltigkeit in dieser Umfrage Berücksichtigung findet und offensichtlich für die Küchenchefs ein aktuelles und relevantes Thema ist.

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  ** n=147 (telefonisch); Durchführung 2009

Abb. 3: Erwünschte Verbesserungen durch neue Produkte in Betriebsrestaurants (Quelle: HAMBURG MESSE UND CONGRESS GMBH 2009)

5 Das Münsteraner Projekt

5.1 Projektrahmen

In einem vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) beauftragten und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt wird am Institut für Berufliche Lehrerbildung (IBL) der Fachhochschule Münster ein Rahmencurriculum zur „Beruflichen Bildung für eine nachhaltige Entwicklung in der Ernährungsbranche“ erarbeitet. Das Projekt reiht sich ein in den BIBB-Förderschwerpunkt „Berufliche Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BBNE) in der zweiten Hälfte der UN-Dekade Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (2005-2014)“, in dem insgesamt sieben Projekte verschiedener Branchen gefördert werden.

Prozessbegleitend wird der Transfer der Projektergebnisse durch umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit sichergestellt. Die wissenschaftliche Begleitung obliegt dem Institut für Berufs- und Wirtschaftspädagogik (IBW) an der Universität Hamburg und der ICON-INSTITUTE GmbH & Co. KG.

5.2 Ziele und Vorgehensweise

Zunächst gilt es, die bisherigen Ansätze aus Projekten wie „EuKoNa“ (Europäische Kompetenzentwicklung zum nachhaltigen Wirtschaften; Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes NRW), „Globale Welt Hotel“ (Universitäten Hamburg und Lüneburg) und „Nachhaltigkeit in Bildung und Praxis des Ernährungs- und Verpflegungsbereiches“ (Fachhochschule Münster) zusammenzuführen und weiterzuentwickeln. In einem Auftaktworkshop wurden die genannten Projekte zur Nachhaltigkeitsbildung in der Ernährungs- und Hauswirtschaftsbranche dem interessierten Fachpublikum vorgestellt und auf mögliche Synergien geprüft.

Für die Projektdurchführung wurde ein Methodenmix aus Experteninterviews und der Analyse betrieblicher Arbeits- und Geschäftsprozesse in der Gemeinschaftsverpflegung gewählt. Diese Werkzeuge dienen dazu, bedeutsame Handlungssituationen herauszufiltern - das sind Situationen, die eine Vielzahl beruflicher Handlungen exemplarisch zu erschließen vermögen. Parallel dazu erfolgt das Studium der Ordnungsmittel für die Ausbildungsberufe Hauswirtschafter/Hauswirtschafterin, Koch/Köchin, Restaurantfachmann/-frau und Fachkraft für Systemgastronomie sowie ergänzend für die jeweiligen Qualifikationsstufen HelferIn, TechnikerIn und MeisterIn. Die Ordnungsmittel werden auf ihre Anknüpfungspunkte hinsichtlich einer nachhaltigen Verpflegung abgeprüft und mit Erweiterungsvorschlägen versehen. Darauf aufbauend werden die zur Bewältigung dieser Situationen erforderlichen Kompetenzprofile bestimmt. Sodann erfolgt die Entwicklung der Curriculumelemente für die oben genannten Berufe.

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Abb. 4: Ausbildungsverhältnisse in ausgewählten Berufen des Gastgewerbes und der Hauswirtschaft (Quellen: * DIHK und ** BIBB)

Abbildung 4 zeigt die Anzahl der Ausbildungsverhältnisse für ausgewählte Ausbildungsberufe des Gastgewerbes und der Hauswirtschaft. In der Summe ergibt sich eine Anzahl von rund 77.000 Personen, die alle zwei (Fachkraft im Gastgewerbe) bzw. drei Jahre eine Ausbildung abschließen. Die Zahl verdeutlicht welches Potenzial ein Nachhaltigkeitscurriculum in sich birgt und entsprechend genutzt werden sollte. Durch eine Verstetigung der Nachhaltigkeitsthematik in den Ordnungsmitteln könnten viele junge Menschen erreicht und sensibilisiert werden.

Im Projekt sollen die fachwissenschaftlichen Inhalte die drei Dimensionen des Nachhaltigkeitsdreiecks (Ökologie, Ökonomie und Soziales) branchenspezifisch ausfüllen, unter Berücksichtigung von Spannungsverhältnissen und Wechselwirkungen begründen und soweit möglich operationalisieren. Die fachliche Grundlage bildet das Konzept des Integrierenden Nachhaltigkeitsdreiecks (vgl. KLEINE 2009, 125). Die fachlichen Inhalte werden – basierend auf einer Expertise „Nachhaltige Verpflegungskonzepte“ – erarbeitet und im Integrierenden Nachhaltigkeitsdreieck verortet. Ebenso werden diese im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit auf einem Workshop im Mai 2011 dem interessierten Fachpublikum präsentiert und zur Diskussion gestellt. Der gesamte Entwicklungsprozess wird von einem Expertenpanel aus Bildungswissenschaft und Berufspraxis begleitet.

In der anschließenden Feldphase werden Curriculumelemente exemplarisch in den wichtigsten beruflichen Qualifikationsebenen erprobt, evaluiert und optimiert. Dabei werden wichtige regionale Partner eines bestehenden und erprobten Netzwerkes eingebunden, z.B. Berufsbildungswerke, Ausbildungsbetriebe, Kammern und Berufliche Schulen. Auch an der Fachhochschule Münster sind Erprobungen geeigneter Curriculumelemente in Lehrveranstaltungen vorgesehen. 

Abschließend werden fachlich-inhaltliche Erkenntnisse und methodisch-didaktische Umsetzungsmöglichkeiten systematisiert. Auf dieser Grundlage erfolgt die Untersuchung und Beschreibung möglicher Verankerungspunkte in den Lehr- und Ausbildungsplänen der beruflichen Bildung. Als Ergebnis sollen Module für ein Rahmencurriculum einer beruflichen Bildung für eine nachhaltige Entwicklung in der Ernährungsbranche formuliert und weitgehend mit den zuständigen Gremien und Institutionen abgestimmt sein. Dabei ist eine möglichst enge Verzahnung des Projektprozesses mit der weiteren Entwicklung der Ordnung der fachspezifischen Berufsbildung sowie den anstehenden Arbeiten zur Umsetzung des Europäischen bzw. Deutschen Qualifizierungsrahmens in der Domäne Ernährung/Hauswirtschaft vorgesehen.

Zum Weiterlesen:

Der Förderschwerpunkt vom Bundesinstitut für Berufsbildung: http://bbne.bibb.de/de/56741.htm   

Aktuelle Informationen zum Münsteraner Projekt: https://www.fh-muenster.de/bbne   

Literatur

ALBRECHT, S./ FUCHS, N./ HEUSCHKEL, Z. (2011): Die zehn Gebote der Welternährung. In: Frankfurter Rundschau 67, H. 108, 18-19.

BUND/ MISEREOR (Hrsg.) (1997): Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung. Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. 4. Aufl., Berlin.

CHD-EXPERT (2010): Der Ausser-Haus-Markt. Online: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/157579/umfrage/anzahl-der-einrichtungen-in-der-gemeinschaftsverpflegung-in-2009/  (10-05-2011).

DEUTSCHER FACHVERLAG (2010): Jahrbuch Außer-Haus-Markt 2009/10. Sonderpublikation der gastronomischen Fachzeitschriften gv-praxis, food-service, FoodService Europe & Middle East, AHGZ. Frankfurt a.M.

DEUTSCHER FLEISCHER-VERBAND (2009): Fleischverzehr. In: Geschäftsbericht 2009/2010. Online: http://www.fleischerhandwerk.de/upload/pdf/GB2010_Fleischverzehr.pdf (10-05-2011).

DIHK, DEUTSCHER INDUSTRIE- UND HANDELSKAMMERTAG (2010): Anzahl aller bestehenden und neu abgeschlossenen Ausbildungsverhältnisse im Gastgewerbe (2007-2009). Online: http://de.statista.com (09-03-2011).

GRUNDWALD, A./ KOPFMÜLLER, J. (2006): Nachhaltigkeit. Frankfurt a. M.

HAMBURG MESSE UND CONGRESS GMBH (2009): Erwünschte Verbesserungen durch neue Produkte in Betriebsrestaurants. Online: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/77792/umfrage/erwuenschte-verbesserungen-durch-neue-produkte-in-betriebsrestaurants/  (08-03-2011).

HAUFF, V. (1987): Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Greven.

HAUFF VON, M./ KLEINE, A. (2009): Nachhaltige Entwicklung, Grundlagen und Umsetzung. München.

KMK (Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland) (1999): Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Hauswirtschafter/Hauswirtschafterin.

LAND OBERÖSTERREICH (Abteilung Umweltschutz) (Hrsg.) (2009): Untersuchung der Lebensmittel im Restmüll einer oberösterreichischen Region. Online: http://www.land-oberoesterreich.gv.at/files/publikationen/US_lebensmittel_restmuell.pdf  (01-02-2011).

METHFESSEL, B./ QUELLMALZ, K. (2008): Nachhaltigkeit und Ernährung – Materialien für den fächerübergreifenden Unterricht. In: Haushalt und Bildung 85, H. 3, 21-36.

PAULUS, K./ DOSSINGER, M. (1988): Außer-Haus-Verpflegung. In: DGE (Hrsg.): Ernährungsbericht 1988. Frankfurt a.M., 229-257.

RÜCKERT-JOHN, J. (2007): Natürlich essen. Kantinen und Restaurants auf dem Weg zu nachhaltiger Ernährung. Frankfurt a.M.

SCHNEIDER, F. (2008): Lebensmittel im Abfall – mehr als eine technische Herausforderung. In: Ländlicher Raum – online. Jahrgang 2008. Online: http://www.laendlicher-raum.at/article/articleview/79286/1/10402  (02-02-2011).

WWF DEUTSCHLAND (Hrsg.) (2009): Der Wasser-Fußabdruck Deutschlands. Woher stammt das Wasser, das in unseren Lebensmitteln steckt? Online: http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/pdf_neu/wwf_studie_wasserfussabdruck.pdf  (02-02-2011).

WWF (Hrsg.) (2010): Living Planet Report 2010. Biodiversität, Biokapazität und Entwicklung. Online: http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/pdf_neu/Living-Planet-Report-2010.pdf  (27-02-2011).


Zitieren dieses Beitrages

MATTAUSCH, N./ KETTSCHAU, I. (2011): Berufliche Bildung für eine nachhaltige Entwicklung in der Ernährungsbranche. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 11, hrsg. v. KETTSCHAU, I./ GEMBALLA, K., 1-13. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft11/mattausch_kettschau_ft11-ht2011.pdf (26-09-2011).



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