Partner von bwp@: 
  SAP University Alliances Community (UAC)   giz - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit    Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.    Österr. Konferenz für Berufsbildungsforschung       

bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

Kurzvorträge
Herausgeberin: Margit Ebbinghaus


Titel:
Facettenvielfalt der Übergänge in der beruflichen Bildung


Das Berufsvorbereitungsjahr als Übergang von der Schule zum Beruf: Eine Längsschnittuntersuchung zum Verbleib eines Absolventenjahrgangs und zur Wirksamkeit des Berufsvorbereitungsjahres

Beitrag von Tanja ERBAN (Lehrstuhl für Pädagogik TU München)

Abstract

Der Beitrag gewährt Einblicke in die Ergebnisse einer Untersuchung des Berufsvorbereitungsjahres an einer Berufsschule in München, die als monostrukturierte berufliche Schule ausschließlich Jugendliche ohne Ausbildungsplatz beschult. Eine deskriptive Bestandsaufnahme erfasst die Zusammensetzung der Zielgruppe und hält den Verbleib am Ende des Schuljahres fest. Im Fokus steht der Karriereverlauf der BVJ-Absolventen, die direkt im Anschluss an das Berufsvorbereitungsjahr eine Ausbildung begonnen haben. Ergänzt wird die explorative Untersuchung durch vertiefende Fallstudien und gibt Aufschluss über die Schwierigkeiten in Schule und Betrieb während der Ausbildung. Die Zusammenschau der Ergebnisse zeigt, dass einem Drittel dieser BVJ-Absolventen der erfolgreiche Berufsabschluss innerhalb von 3 ½ Jahren geglückt ist. Ein weiteres in Ausbildung verbleibendes Drittel lässt ebenfalls einen erfolgreichen Abschluss erwarten. Insgesamt wird deutlich, dass Jugendliche in benachteiligenden Lebenslagen mehr Zeit für die Ausbildung benötigen und sie intensiver betreut werden müssen.

1 Einleitung

Seit den Anfängen der Berufschule bis heute ist eine sozial selektive Auslagerung Benachteiligter in "Übergangssysteme" zu beobachten. Bereits KERSCHENSTEINER sah in der Beschulung von Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz in der Berufsschule ein prinzipielles Legitimationsproblem und wehrte sich vehement gegen eine Erweiterung des Aufgabenbereichs der Berufsschule. Die Beschulung von Jugendlichen, die in keinem Ausbildungsverhältnis stehen, aber schulpflichtig sind, versprach nie Prestige und Ansehen und stand im Gegensatz zu der eigentlichen Auffassung von Berufsschule. Ob „Ungelerntenbeschulung“, „Jungarbeiterproblem“ oder „Benachteiligtenförderung“, oft wurde dieses Thema als vorübergehendes Problem bagatellisiert und galt doch als bildungspolitische wie auch arbeitsmarktpolitische Herausforderung. Parallel zu Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt erfolgten stets strukturelle Veränderungen, die in pädagogisch-didaktischen Orientierungen begründet waren. Dabei sind nach BIERMANN und RÜTZEL (1999) Spannungsfelder erkennbar, die von Allgemeinbildung versus Berufsbildung, Vollausbildung versus Fach-/Teilqualifikation, Theorie versus Praxis, Fachbildung versus Persönlichkeitsbildung reichen. SCHELTEN (2006) beklagt, dass die Berufspädagogik im Grunde seit über 50 Jahren kein Lösungskonzept für Jugendliche ohne Ausbildungsplatz entwickelt hat. Er macht deutlich, dass die Berufsschule ihre Legitimation nicht mehr ausschließlich über die Berufsausbildung erfährt, sondern gleichrangig über die Berufsvorbereitung in ihren vielfältigen Variationen. Dabei betont er, dass vor allem mit Hilfe der Förderung der personalen Kompetenzen die individuelle Integration dieser Jugendlichen in die Berufswelt vorangetrieben werden kann. Ebenso proklamiert KIPP (2007), dass neben der Verantwortung gegenüber den Jugendlichen deren über Jahrzehnte hinweg kontinuierliche Präsenz mit rund 30 bis 35 Prozent aller Schüler an berufsbildenden Schulen dagegenspricht, diese Jugendlichen von berufspädagogischer Seite zu ignorieren und zu vernachlässigen.

Trotz der anhaltenden quantitativen Bedeutsamkeit existieren kaum empirische Untersuchungen zur Wirksamkeit berufsschulischer Fördermaßnahmen und zum Verbleib der Absolventen eines Berufsvorbereitungsjahres in Bezug auf das erfolgreiche Abschließen einer Berufsausbildung. Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung steht deshalb der komplette Jahrgang von Absolventen[1] des Berufsvorbereitungsjahres, die im Schuljahr 2003/04 diese vollzeitschulische Maßnahme an der Berufsschule zur Berufsvorbereitung in München besucht haben. Diese Schule stellt in der deutschen Bildungslandschaft eine Besonderheit dar. Sie gilt als monostrukturierte berufliche Schule, an der keine Fachklassen im Rahmen des dualen Systems der Berufsausbildung unterrichtet werden. Im Fokus stehen Jugendliche, die im Anschluss an die Hauptschule keinen Ausbildungsplatz gefunden oder eine Ausbildung abgebrochen haben oder gemeinhin als noch nicht „ausbildungsreif“ gelten. Neben der Erfüllung der Schulpflicht ist die wesentliche Aufgabe der Schule, die Integrationsmöglichkeiten dieser Jugendlichen ins Berufsleben zu verbessern.

2 Vorstellung der Untersuchung

Gegenstand der hier vorgestellten Untersuchung sind die 169 Absolventen eines Jahrganges des Berufsvorbereitungsjahres der Berufsschule zur Berufsvorbereitung in München. Die als Wirkungs- und Verbleibsforschung angelegte explorative Untersuchung umfasst fünf Schwerpunkte, bei der eine deskriptive Statistik herangezogen wird: Zunächst erfolgt die Deskription möglicher Formen von Benachteiligung (t1), die bei den Absolventen des Berufsvorbereitungsjahres eines Jahrgangs vorliegen. Des Weiteren wird der Verbleib (t1) aller BVJ-Absolventen im Anschluss an das Berufsvorbereitungsjahr erfasst. In der Folge konzentriert sich die Untersuchung über einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren auf den Karriereverlauf der 60 BVJ-Absolventen, die im Anschluss an das Berufsvorbereitungsjahr eine Ausbildung begonnen haben (t2-t4). Ein weiterer Untersuchungsschwerpunkt besteht darin, die Wirksamkeit (t2) des Berufsvorbereitungsjahres aus Sicht eben dieser BVJ-Absolventen beurteilen zu lassen. Ergänzt wird die explorative Untersuchung durch vertiefende Fallstudien mit elf Jugendlichen (t2). Die narrativ angelegten Interviews dokumentieren die individuellen Dispositionen der Jugendlichen beim Eintritt in das Berufsvorbereitungsjahr. Sie zeichnen nach, auf welchen Wegen die Jugendlichen in das Berufsvorbereitungsjahr gelangt sind und wie sie mit Schwierigkeiten in der anschließenden Ausbildung umgehen. Der fünfte Untersuchungsschwerpunkt beleuchtet die berufliche und persönliche Lebenssituation der BVJ-Absolventen während ihrer Berufsausbildung (t2-t4).

Die Darstellung der in der Untersuchung eingesetzten Methoden in Abbildung 1 ermöglicht einen Überblick über den zeitlichen Verlauf sowie der beteiligten Personen.

Initiates file download

Abb. 1:   Erhebungsverlauf der Untersuchung

3 Ergebnisse

3.1 Formen der Benachteiligung

Der Blick auf die Adressaten des Berufsvorbereitungsjahres zeigt, dass ein Großteil der Jugendlichen (56,8 Prozent) die Hauptschule ohne Schulabschluss verlässt. Teilweise wird die Hauptschule sogar nur bis zur achten Klasse besucht. Unter anderem können Lernschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten, Probleme im häuslichen Umfeld, unzureichende Unterstützung durch Eltern oder Lehrkräfte in der Hauptschule, oder auch unerwartet eintretende Schicksalsschläge dazugeführt haben, dass über die Hälfte der 169 befragten BVJ-Absolventen ohne Schulabschluss in das Berufsvorbereitungsjahr eintreten.

Außerdem fällt der hohe Prozentsatz von Jugendlichen mit Migrationshintergrund (75 Prozent) auf. Besonders hervorzuheben ist eine Gruppe von nicht-deutschen Jugendlichen, die ohne im Vorfeld eine deutsche Schule besucht zu haben in das Berufsvorbereitungsjahr eintritt. Nur teilweise sind sie freiwillig nach Deutschland gekommen. Zudem mussten sie nicht selten einige Jahre ohne ihre Familien verbringen. Vor allem Jugendliche mit außereuropäischer Schulbildung haben Schwierigkeiten, die in ihrer Heimat erworbenen schulischen Qualifikationen auf dem deutschen Ausbildungsmarkt wirksam einzubringen. Die Anzahl der Teilnehmer am schulinternen Deutsch-Förderkurs verweisen zudem auf große Sprachdefizite, die eine erfolgreiche Integration in die Berufswelt mit beeinträchtigen. Dagegen spielen statusrechtliche Schwierigkeiten eher eine untergeordnete Rolle.

Neben der hohen Anzahl von Jugendlichen mit Migrationshintergrund fällt außerdem auf, dass die Jugendlichen überwiegend in Stadtbezirken mit (sehr) hohem sozialpolitischem Handlungsbedarf (67,9 Prozent) leben. Die Angaben zur Berufstätigkeit der Eltern liegen überwiegend im Bereich der einfachen manuellen Berufe und der einfachen persönlichen Dienstleistungen, bei denen über 60 Prozent Ungelernte zu finden sind. Darüber hinaus beschreiben ein Drittel der Befragten ihre Mutter als Hausfrau und damit als nicht berufstätig.

Die BVJ-Absolventen orientieren sich in ihrer Berufswahl an den gängigen, staatlich anerkannten Ausbildungsberufen. Ihre Berufswünsche sind konkret und spiegeln traditionelle Rollenvorstellungen wieder.

Schwierigkeiten bei der Lehrstellensuche werden den Angaben der BVJ-Absolventen zufolge überwiegend der eigenen Person (Schulabschlüsse, wenig engagiertes Bewerbungsverhalten), weniger der Arbeitsmarktlage zugeschrieben. Aus den BVJ-Abschlusszeugnissen ist die Anzahl der Fehltage zu entnehmen. Diese belegen, dass nur drei von 169 BVJ-Absolventen an keinem Unterrichtstag gefehlt haben. Die meisten BVJ-Absolventen fehlen zwischen elf und 15 Unterrichtstagen von insgesamt 190 möglichen Unterrichtstagen. Bei einem Drittel der BVJ-Jugendlichen sind keine unentschuldigten Fehltage im Zeugnis vermerkt. Bei 49 BVJ-Absolventen sind ein bis fünf unentschuldigte Fehltage, bei 20 BVJ-Absolventen sechs bis zehn, bei 17 BVJ-Absolventen elf bis 15 Fehltage und bei 13 weiteren Jugendlichen 16 bis 20 Fehltage festzustellen.

3.2 Verbleib

Zunächst erfolgt ein Überblick über den Verbleib des gesamten BVJ-Jahrgangs (n=169) am Ende des Berufsvorbereitungsjahres. Im Folgenden werden die Ergebnisse zum Verbleib der 60 Absolventen, die im Anschluss an das Berufsvorbereitungsjahr eine Ausbildung begonnen haben, über den Zeitraum von dreieinhalb Jahren vorgestellt.

3.2.1 Verbleib aller 169 BVJ-Absolventen direkt im Anschluss an das BVJ (t1)

Im Anschluss an das Berufsvorbereitungsjahr beginnen 64 von 169 BVJ-Absolventen (37,9 Prozent) eine Ausbildung. Nach dem Berufsvorbereitungsjahr eine Arbeitsstelle antreten wollen 40 BVJ-Absolventen (23,7 Prozent), sofern sie keinen Ausbildungsplatz finden. Konkrete Vorstellungen, wo und in welcher Form sie als ungelernte Arbeitskraft arbeiten könnten, haben bereits 23 Befragte. Die genannten Betriebe kennen sie überwiegend von ihren Nebentätigkeiten neben der Schule oder über Beziehungen (Eltern, Verwandte). Eine weitere berufsvorbereitende Maßnahme besuchen, ein Praktikum absolvieren und/oder weiterhin zur Schule gehen, geben 31 BVJ-Absolventen (18,4 Prozent) als Zukunftspläne an. Zum Zeitpunkt der Befragung sind 29 befragte Jugendliche (17 Prozent) auf der Suche nach einem Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatz. Fünf Absolventen (3 Prozent) sind der Kategorie „Sonstiges“ zuzuordnen. Darunter sind drei Schüler, die ein freiwilliges soziales Jahr und zwei Schüler, die ihren Wehrdienst absolvieren wollen.

Von den 64 Jugendlichen, die eine Ausbildung begonnen haben, können vier nicht mehr erreicht werden. So wird für die Untersuchung des Verbleibs der BVJ-Absolventen und der Wirksamkeit des Berufsvorbereitungsjahres eine Gesamtzahl von 60 Probanden zugrunde gelegt.

3.2.2 Verbleib der 60 BVJ-Absolventen in der Ausbildung (t2-t4)

Wie in Abbildung 2 zu sehen ist, gelingt es im ersten Ausbildungsjahr (t2) 46 von 60 BVJ-Absolventen, in der Ausbildung zu verbleiben. Elf Jugendliche brechen die Ausbildung ab, drei weitere Jugendliche münden in ein neues Ausbildungsverhältnis. Es sind insgesamt 14 Vertragslösungen festzustellen.

Im zweiten Ausbildungsjahr (t3) verbleiben 37 BVJ-Absolventen ohne Ausbildungswechsel erfolgreich in der Ausbildung. Elf Jugendliche lösen ihr Ausbildungsverhältnis, wobei sieben Jugendliche die Ausbildung wechseln. Von den drei BVJ-Absolventen, die im ersten Ausbildungsjahr einen Ausbildungswechsel vorgenommen haben, befindet sich ein Jugendlicher weiterhin in Ausbildung, ein Jugendlicher nimmt erneut einen Ausbildungswechsel vor, ein weiterer bricht die Ausbildung erneut ab. Somit sind während des zweiten Ausbildungsjahres weitere elf Vertragslösungen zu registrieren. Ein BVJ-Absolvent, der im Verlauf des ersten Ausbildungsjahres die Ausbildung abgebrochen hat, kann erneut eine Ausbildung in einem anderen Ausbildungsberuf beginnen. Zwei BVJ-Absolventen, die während des ersten Ausbildungsjahres die Ausbildung abgebrochen haben, geben die Teilnahme einer berufsvorbereitenden Maßnahme an. Fünf BVJ-Absolventen, die im ersten Ausbildungsjahr ihr Ausbildungsverhältnis gelöst haben, befinden sich auf Arbeitssuche (n=1) bzw. sind erwerbstätig (n=4). Bei drei Jugendlichen ist keine Aussage möglich.

Im dritten Ausbildungsjahr (t4) sind 35 BVJ-Absolventen weiterhin in Ausbildung, ohne bereits einen Ausbildungsabbruch bzw. –wechsel vorgenommen zu haben. Weitere sieben Jugendliche, die im ersten bzw. zweiten Ausbildungsjahr einen Ausbildungswechsel vorgenommen haben, befinden sich ebenfalls weiter in Ausbildung. Ein BVJ-Absolvent, der im zweiten Ausbildungsjahr den Ausbildungsvertrag gelöst hatte, kann erneut ein Ausbildungsverhältnis eingehen. Insgesamt sind sechs Vertragslösungen zu verzeichnen. Hierzu wird auch der Abbruch der berufsvorbereitenden Maßnahme von zwei Jugendlichen gezählt. Acht BVJ-Absolventen, die im ersten bzw. zweiten Ausbildungsjahr ihre Ausbildung abgebrochen haben, befinden sich auf Arbeitssuche (n=1) bzw. sind erwerbstätig (n=7). Bei drei Jugendlichen ist keine Aussage möglich.

Dreieinhalb Jahre nach Beendigung des Berufsvorbereitungsjahres ist 22 von 60 BVJ-Absolventen der erfolgreiche Abschluss der Berufsausbildung geglückt. Weitere 21 Jugendliche befinden sich weiterhin in Ausbildung. Neun BVJ-Absolventen sind erwerbstätig, drei Jugendliche befinden sich auf der Suche nach einem Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatz. Ein Jugendlicher muss eine Gefängnisstrafe ableisten (Sonstiges). Bei vier Jugendlichen ist keine Aussage möglich.

Initiates file download

Abb. 2:   Verbleib der 60 BVJ-Absolventen über den Zeitraum von 3 ½ Jahren

So sind im Untersuchungszeitraum von dreieinhalb Jahren bei den 60 BVJ-Absolventen, die im Anschluss an das Berufsvorbereitungsjahr eine Ausbildung begonnen haben, insgesamt 31 Vertragslösungen festzustellen. Hierbei handelt es sich bei 17 Vertragslösungen um „echte“ Abbrüche. Diesen Jugendlichen (fünf deutsche und zwölf mit Migrationshintergrund) gelingt es im Untersuchungszeitraum nicht, erneut eine Ausbildung aufzunehmen. Weitere vier BVJ-Absolventen, die ihre Ausbildung abgebrochen haben, münden erneut in ein Ausbildungsverhältnis (Abbruch und Ausbildungswechsel um ein Jahr zeitlich versetzt). Des Weiteren sind zehn Ausbildungswechsel zu beobachten. Von den insgesamt 31 Vertragslösungen sind 25 von 60 BVJ-Absolventen betroffen. Das bedeutet, dass einige Jugendliche mehrfach ihre Verträge gelöst haben.

Die Initiative zur Vertragslösung ging in den meisten Fällen von den Auszubildenden aus. Nach Auskunft der Jugendlichen führten im Ausbildungsbetrieb in erster Linie Konflikte mit Ausbildern, Meistern und/oder dem Betriebsinhaber zum Abbruch der Ausbildung. Auch Probleme mit Kollegen, die finanzielle Situation des Betriebs, Diebstahl, fachfremde Tätigkeiten und Mängel in der Vermittlung von Kenntnissen waren aus Sicht der Jugendlichen maßgeblich für den Abbruch (mit) verantwortlich.

Nach Auflösung des Ausbildungsvertrages münden zehn Jugendliche direkt in ein neues Ausbildungsverhältnis. Bei zwei weiteren liegt zwischen dem Zeitpunkt der Vertragslösung und des erneuten Ausbildungsbeginns eine Zeitspanne von einem Jahr. Von diesen 12 Personen wechseln sieben den Ausbildungsbetrieb. Für fünf Jugendliche ist mit der erneuten Vertragsschließung auch ein Berufswechsel verbunden.

Zwei Jugendliche brechen die Ausbildung ab und besuchen in der Folge eine berufsvorbereitende Maßnahme der Agentur für Arbeit, um den qualifizierenden Hauptschulabschluss nachzuholen. Die Maßnahme brechen sie erneut ab. Neun Jugendliche sind erwerbstätig. Zu „Sonstiges“ zählt ein Jugendlicher, der nach zweimaligem Ausbildungswechsel die Ausbildung erneut abbrechen muss, um eine Haftstrafe anzutreten. Arbeit suchend bezeichnen sich drei Jugendliche. Bei vier ehemaligen BVJ-Schülern können nur aufgrund der Auskunft der betreffenden Berufsschule formale Angaben zum Ausbildungsabbruch gemacht werden.

3.3 Wirksamkeit des Berufsvorbereitungsjahres

Hinsichtlich der Wirksamkeit des Berufsvorbereitungsjahres beurteilen die Jugendlichen das Berufsvorbereitungsjahr als überwiegend positiv. Dabei erfahren das Erreichen eines Schulabschlusses, das Klima in der Klasse, die praktischen Angebote (Betriebspraktikum und produktionsorientierter Ansatz) und die Unterstützung bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz durch den Klassenlehrer und die Schulsozialarbeit die beste Bewertung.

In ihren Eigenschaften machten die Jugendlichen nach eigener Einschätzung durch den Besuch des Berufsvorbereitungsjahres bei der Teamfähigkeit die größten Fortschritte.

Die Einschätzung der Vorbereitung auf die Berufsschule durch das Berufsvorbereitungsjahr hängt mit der Passung zwischen gewähltem Ausbildungsberuf und besuchtem Berufsvorbereitungsjahr zusammen. Jugendliche, welche einen, den Berufsfeldern des Berufsvorbereitungsjahres entsprechenden Beruf gewählt haben, bewerten die Vorbereitung mit „gut“. Umgekehrt finden sich Jugendliche mit einem, den Berufsfeldern des Berufsvorbereitungsjahres nicht entsprechenden Berufs weniger gut auf den Berufsschulbesuch vorbereitet.

3.4 Fallstudien

Bei der Auswahl der Jugendlichen wurde neben dem Aspekt der Freiwilligkeit auch berücksichtigt, dass der Vielfalt benachteiligender Faktoren Rechnung getragen wird. So konnten insgesamt elf Jugendliche für vertiefende Interviews gewonnen werden, um über Entwicklungen ihres Lebens und ihre derzeitige Situation zu sprechen.

Unter den ausgewählten sechs jungen Frauen und fünf jungen Männern haben zwei die türkische, jeweils eine(r) die angolanische, irakische, kroatische, thailändische und ukrainische sowie vier Jugendliche die deutsche Staatsangehörigkeit. Vor dem Besuch des Berufsvorbereitungsjahres besuchten sechs der elf Jugendlichen die Grund- und Hauptschule in Deutschland. Davon verließen zwei Jugendliche die Hauptschule ohne Hauptschulabschluss nach der achten Klasse, vier verließen die Hauptschule mit dem erfolgreichen Hauptschulabschluss. Die restlichen fünf Befragten halten sich zum Befragungszeitpunkt erst seit drei bis vier Jahren in Deutschland auf und waren bei ihrer Ankunft in Deutschland für den Besuch der Hauptschule bereits zu alt. Zudem konnte die im Ausland erworbene schulische Bildung nicht anerkannt werden. Mit dem erfolgreichen Abschließen des Berufsvorbereitungsjahres haben diese fünf den erfolgreichen Hauptschulabschluss erhalten. Zum Zeitpunkt der Befragung haben von den elf interviewten Personen vier ihr Ausbildungsverhältnis gelöst. Davon haben zwei ihre Ausbildung ganz abgebrochen und befinden sich auf der Suche nach einer neuen Lehrstelle. Die beiden anderen Jugendlichen können ihre Ausbildung in einem anderen Ausbildungsbetrieb fortsetzen. Am Ende des Untersuchungszeitraums von dreieinhalb Jahren haben acht BVJ-Absolventen ihre Berufsausbildung erfolgreich beendet, ein Jugendlicher befindet sich aufgrund von Ausbildungswechsel weiterhin in Ausbildung und zwei junge Männer gehen als Un- bzw. Angelernte einer Erwerbstätigkeit nach.

Die Einzelfalldarstellungen konzentrieren sich auf folgende Fragen:

  • Wie kommen Jugendliche in das Berufsvorbereitungsjahr?
  • Schwierigkeiten während der Ausbildung

Wege ins Berufsvorbereitungsjahr: Die Entscheidung, das Berufsvorbereitungsjahr zu besuchen, erfolgt überwiegend auf Anraten von Lehrkräften der zuletzt besuchten Haupt- bzw. Berufsschule sowie durch die Berater der Bundesagentur für Arbeit. Die jugendlichen Migranten, die bislang keine deutsche Schule besucht haben, werden überwiegend in Deutschkursen von der Möglichkeit in Kenntnis gesetzt, durch das Berufsvorbereitungsjahr den fehlenden Schulabschluss nachholen zu können.

-        Burhan wächst in einer Familie mit sieben Geschwistern auf. Er tritt mit fast sieben Jahren in die Grundschule ein. Dort besucht er eine Klasse mit ausschließlich türkischstämmigen Kindern. Sein gesamtes Umfeld ist türkisch. Er hat nur wenig Kontakt zu deutschen Kindern und Jugendlichen. Für die Schule hat er nach eigenen Angaben zuhause nichts gelernt. Die Hilfe der Eltern beschränkt sich lediglich auf Ermahnungen. Auf die Frage, inwiefern die Eltern den regelmäßigen Besuch der Schule unterstützt haben, äußert er: „Ja... Äh... mein Vater hat immer gesagt ,Du musst da hingehen.’…“ So schließt er die Hauptschule nach insgesamt neun Schuljahren  mit dem erfolgreichen Hauptschulabschluss ab. Die Prüfung zum qualifizierenden Hauptschulabschluss schafft er nicht. Da Bewerbungen um eine Lehrstelle zum Kaufmann im Einzelhandel erfolglos bleiben, muss Burhan seine Schulpflicht erfüllen. Eine Beraterin der Agentur für Arbeit empfiehlt ihm, sich für das Berufsvorbereitungsjahr an der Berufsschule zur Berufsvorbereitung anzumelden.

-        Timon wächst in einer Familie mit sieben Kindern auf. Er kommt mit fast acht Jahren in die erste Klasse. Nach drei Jahren Grundschule besucht er in der vierten Klasse eine Schule zur individuellen Sprachförderung. Trotz Empfehlung eines weiteren Verbleibs an dieser Schule melden ihn die Eltern an der Hauptschule des heimatlichen Wohnortes an. Timon wird in den Schülerunterlagen als ruhiger und sensibler Junge beschrieben, der neue Sachverhalte oft fehlerhaft und diffus aufnimmt und unfähig ist, sich länger zu konzentrieren. Bei ihm wurde aufgrund einer fachärztlich festgestellten Legasthenie die Rechtschreibleistung nicht bewertet. Er selbst berichtet von Streitereien der Eltern, die ihn sehr belasten würden. „Es nimmt mich schon mit... also ich hat`s dieses Jahr schon mal hier, dass ich `nen Nervenzusammenbruch hatte… dadurch, dass die zuhause recht viel gestritten haben… mir kamen ends plötzlich die Tränen... ist schon eine Geschichte, die einen ziemlich mitnimmt.“ Sein Weg in das Berufsvorbereitungsjahr ist größtenteils vom belasteten Verhältnis zu seinen Mitschülern in der Hauptschule gekennzeichnet. Jahre lang wird er in der Schule von seinen Mitschülern gehänselt und unterdrückt. Einen konkreten Grund dafür kann er selbst nicht nennen. Durch das Gespräch kann dieser nur andeutungsweise lokalisiert werden: Seiner Ansicht nach hat er in Sachen Lernen keine Probleme – solange er ausreichend Zeit dafür bekommen hat. Er kann seinen jüngeren Geschwistern nicht bei den Hausaufgaben helfen – „sind alle besser“. Die Hänseleien haben nach Timons Angaben zudem dazu geführt, dass er die Lust am Lernen verlor und nicht mehr in die Schule gehen wollte. Eine Konzentration auf die Lerninhalte war für ihn nicht mehr möglich. Nach der Wiederholung der achten Klasse hat er erneut das Klassenziel nicht erreicht. Auf Wunsch der Eltern, die eng mit der Berufsberatung zusammenarbeiten, verlässt Timon die Hauptschule. Er selbst begründet es folgendermaßen: „Na ja, ich bin einmal Achte durchgefallen, hab sie dann noch mal gemacht und wär’ dann noch mal durchgefallen... wegen dem... das hat mir eigentlich... na, eher keinen Spaß gemacht... dadurch, dass die mich immer geärgert haben, konnte ich auch nicht mehr aufpassen wirklich... Hab mir dann eher gesagt ,Na ja, geh ich lieber runter und geh auf ne neue Schule’ - alles andere... BVJ - und schau, dass ich da... ja vielleicht nicht so sehr Kontakt mit allen anderen krieg, aber doch aufpassen kann und dadurch meinen Hauptschulabschluss mach’…“ So meldet er sich für das Berufsvorbereitungsjahr an. 

Schwierigkeiten während der Ausbildung: Zu Schwierigkeiten während der Ausbildung äußern sich die vier Jugendlichen, die ihr Ausbildungsverhältnis zum Zeitpunkt der Befragung bereits gelöst haben. Vor allem das Verhältnis zum Arbeitgeber bzw. Ausbilder ist dabei besonders betroffen. Überwiegend von den Jugendlichen wahrgenommene Antipathien und ausländerfeindliche Äußerungen der Vorgesetzten führen letztlich dazu, die Ausbildung abzubrechen.

-        Igor befindet sich zum Zeitpunkt des Gesprächs noch in Ausbildung. Er trägt sich allerdings mit dem Gedanken, seinen Ausbildungsbetrieb zu verlassen. Grund dafür ist die, in seinen Augen permanente Ausnutzung seiner Arbeitskraft durch den Arbeitgeber: „Wir sind für die nur leichte Arbeitskräfte.“ Wie weiter oben beschrieben, kam es dadurch bereits zu handfesten Auseinandersetzungen. Einerseits werden Aufgaben von ihm verlangt, welche nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fallen. Denn obwohl er erst im ersten Lehrjahr ist, sollte Igor einen Auszubildenden im dritten Lehrjahr auf die Abschlussprüfung vorbereiten, da er einer der wenigen in der Küche diverse Gerichte und Desserts beherrsche und der Küchenchef keine Zeit hätte. Andererseits sieht er sich enormen Druck ausgesetzt, wenn der Arbeitgeber bei voll besetzter Gaststube Igor und andere Auszubildende in unangemessener Wortwahl zu höherem Arbeitstempo antreibt oder grundlos zu schreien anfängt. Dankbar zeige sich jedoch keiner der Vorgesetzten. Auch interessiere die Arbeitgeber der Gesundheitszustand ihrer Auszubildenden wenig. In vier Wochen Krankenhausaufenthalt erkundigte sich ein einziger befreundeter Arbeitskollege nach Igors Zustand. Für seine weitere Zukunft in diesem Betrieb bleiben ihm nach eigenen Aussagen folgende Optionen: Entweder er arrangiert sich mit dem Verhalten seiner Arbeitskollegen und Vorgesetzten und „zügelt sein Temperament“, oder er verlässt die Arbeitsstelle. Für diesen Fall könne er möglicherweise die Ausbildung bei seinem ehemaligen Ausbilder (dieser besitzt mittlerweile ein eigenes Restaurant) oder in einer Großküche fortsetzen.

-        Esref hat seine Ausbildung zum Fachverkäufer im Nahrungsmittelhandwerk (Fleischerei) Ende März 2005 von sich aus beendet. Die Gründe für die Trennung von seinem Ausbildungsbetrieb liegen jedoch nicht in der schulisch oder betrieblich erbrachten Leistung. Vielmehr ist es das ausländerfeindliche Verhalten seines Filialleiters die Ursache für Esrefs Entscheidung. Esref, türkischer Staatsbürger und seit dreieinhalb Jahren in Deutschland, gibt an, hoch motiviert die Ausbildung begonnen zu haben. Ein Wechsel der Filiale ließ ihn an einen Filialleiter geraten, der keinen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber türkischen Mitbürgern machte. „Ich hab ihm am zweiten Tag gesehen... des klingt ja eigentlich typisch ausländische Ausrede... aber es ist schon wahr... ich hab ihm am zweiten Tag gesehen... ja typische Fragen ,Ja, wie heißt du? Wie alt bist du? Was machst du?’... Auf einmal fragt er mich so ,Woher kommst du?’… ,Aus der Türkei’... dann hat er mir eiskalt ins Gesicht gesagt ,Na, dann hast du ja Pech. Ich mag keine Türken.’... Ja. am nächsten Tag ist so weiter gegangen... auf einmal hat er zu mir gesagt ,Ja, du brauchst dich gar nicht Mühe geben. Am nächsten Ende des Monats kündige ich dich sowieso.’... Dann hab ich mich selber gekündigt, damit ich eine Bestätigung habe, dass ich mich auf eigenen Wunsch gekündigt habe.“

3.5 Berufliche und private Lebenssituation

Die Befragung am Ende der Probezeit (t2) zeigt, dass die meisten Jugendlichen überwiegend motiviert in der Berufsschule lernen. Die Anforderungen fallen dabei weder schwer noch leicht, sodass auch die Schulleistungen der Jugendlichen entsprechend beurteilt werden. Fachpraktischer Unterricht wird dabei von den Befragten am leichtesten empfunden, Fachrechnen hingegen scheint vielen Probleme zu bereiten. Jedoch nimmt nur etwa ein Drittel eine Lernhilfe in Anspruch. Eine gute Atmosphäre in der Klasse trägt, ähnlich wie das Arbeitsklima im Betrieb, zum Wohlbefinden der Jugendlichen im Klassenverband bei. Jugendliche mit einem Außenseiterdasein fühlen sich eher unwohl. Das Verhalten in der Klasse scheint sich unauffällig zu gestalten. Sanktionen des Klassenlehrers in der Berufsschule werden kaum genannt.

Im Ausbildungsbetrieb ist die Motivation zu arbeiten meistens groß. Die Anforderungen, welche an die Jugendlichen gestellt werden, gestalten sich für die meisten Befragten leicht. Wie bereits weiter oben erwähnt, ist dieses subjektive Empfinden der Jugendlichen vom Arbeitsklima abhängig. Die Arbeitsleistung der Jugendlichen wird größtenteils vom Arbeitgeber mit „gut“ beurteilt. Am Arbeitsplatz scheinen sich die meisten Jugendlichen sehr positiv zu verhalten. Lediglich beim selbstständigen Erledigen von Aufgaben sehen sie noch einen Nachholbedarf.

Probleme in der Ausbildung lassen sich vor allem in der sozialen Interaktion am Arbeitsplatz erkennen. Wie sich die Jugendlichen sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Berufsschule fühlen, ist in hohem Grade vom Verhältnis zu den Arbeitskollegen und den Vorgesetzten abhängig. Die beruflichen Anforderungen fallen dabei gering ins Gewicht, außer sie sind mit Belastungen eben jener Verhältnisse gekoppelt.

Aus den Leitfaden gestützten Telefoninterviews (t3/t4) mit den 60 BVJ-Absolventen, die nach dem Berufsvorbereitungsjahr eine Ausbildung begonnen haben, ergeben sich folgende Hinweise zu ihrer allgemeinen Lebenssituation: Die überwiegende Mehrheit der sich in Ausbildung befindenden BVJ-Absolventen ist mit ihrer Berufswahl und ihrem Ausbildungsbetrieb zufrieden. Was die ökonomischen Verhältnisse anbelangt, so muss von den befragten BVJ-Absolventen nur eine kleine Gruppe einen Teil ihrer Ausbildungsvergütungen an die Eltern abgeben. Die überwiegende Mehrheit darf über die volle Höhe der Vergütung frei verfügen, ein großer Teil erhält zudem von den Eltern einen finanziellen Zuschuss (Kindergeld). Für den Erwerb des Führerscheins werden die meisten Ausgaben getätigt. An zweiter und dritter Stelle folgen Ausgaben für Ausgehen und das persönliche Aussehen (Kleidung, Kosmetika). Die Freizeit wird sowohl zur Pflege sozialer Kontakte (Ausgehen, Freunde treffen, Kino, Disko) wie auch für sportliche Aktivitäten (Fußball, Fitness) genutzt. Kreative Freizeitbeschäftigungen wie Malen oder Musizieren spielen kaum eine Rolle. Auch am Ende des zweiten und dritten Ausbildungsjahres sind das erfolgreiche Beenden der Ausbildung und ein sicherer Arbeitsplatz für die Zeit danach die wichtigsten Ziele der befragten Jugendlichen.

4 Interpretation

4.1.1 Formen der Benachteiligung

Die Ergebnisse spiegeln ein sehr heterogenes Bild der Absolventen des Berufsvorbereitungsjahres wieder. Es wäre zu einfach, von dem „benachteiligten“ Jugendlichen zu sprechen. Es sind vielmehr benachteiligende Faktoren (Geschlecht, Lernschwierigkeiten, soziales Umfeld, Migrationshintergrund, Konjunktur), die sehr vielschichtig sind, unterschiedlich stark die Lebenswelt der Jugendlichen beeinflussen und die Chancen der Integration in die Ausbildungs- und Berufswelt deutlich erschweren.  

Es fällt auf, dass die meisten Angebote zur Behebung schulischer Defizite die Förderung der deutschen Sprache betreffen. Dieses Phänomen erklärt sich durch den hohen Anteil von BVJ-Schülern mit Migrationshintergrund. Aufgrund von Defiziten in der deutschen Sprache ist anzunehmen, dass die BVJ-Schüler häufig Schwierigkeiten haben, selbstständig Texte zu lesen und zu erfassen. Das eigenständige Erarbeiten von Lerninhalten anhand von Leittexten ist jedoch eine wichtige Voraussetzung, um im Berufsschulunterricht während der Ausbildung bestehen zu können. Aber auch fehlende Basisfähigkeiten in anderen Bereichen wie z.B. im Fach Mathematik (z.B. Grundrechenarten) verhindern, dass die Schüler darauf aufbauende Lerninhalte verstehen und nachvollziehen können. Zudem blockieren nicht selten die in früheren Jahren erlebten negativen Lernerfolge im Umgang mit Zahlen die Lernbereitschaft der Schüler.

Das Fallbeispiel von Timon zeigt, wie eng schulische Teilleistungsstörungen mit Schwierigkeiten im sozialen Umfeld zusammenhängen können. So scheinen die anhaltenden Beziehungsprobleme der Eltern sowie seine Außenseiterrolle in der Klasse den Jugendlichen derart zu belasten, dass er hinsichtlich Leistungsvermögen, Konzentrationsfähigkeit und Arbeitstempo beeinträchtigt ist. Erst das Berufsvorbereitungsjahr, das für ihn nach eigenen Angaben einen Neustart darstellt, bedingt den Bruch dieser negativen Entwicklung. Es gelingt Timon, im Anschluss an das Berufsvorbereitungsjahr eine Ausbildung als Schreiner an der Adolf-Kolping Berufsschule in München, einer privaten, staatlich anerkannten Berufsschule zur sonderpädagogischen Förderung, aufzunehmen. Verschiedene Faktoren wie die kleine Klassenstärke mit zehn Schülern, die intensivere individuelle Betreuung, die Gewährung von ausreichend Zeit zum Lernen und zum Erledigen von Aufgaben unterstützen den Ausbildungsverlauf positiv und führen letztlich zu einem erfolgreichen Berufsabschluss nach den regulären drei Ausbildungsjahren.

Das Fallbeispiel von Burhan macht deutlich, wie benachteiligend eine lebensweltliche Segregation sein kann. Burhan ist zwar in München geboren und aufgewachsen. Dennoch hat er in der Grundschule eine so genannte Übergangsklasse besucht. Diese Übergangsklasse wurde speziell für türkische Kinder eingerichtet. Sprachliche Defizite konnten allerdings nur begrenzt kompensiert werden, zumal die Kinder sich nach Burhans Angaben auf dem Pausenhof und auch während des Unterrichts vorrangig in ihrer Muttersprache unterhalten haben. Im Interview stellt sich auch heraus, dass Burhan nur wenig Kontakt zu deutschen Jugendlichen unterhält. Er spricht von drei deutschen Freunden. Seine Lebenswelt ist fast ausnahmslos türkisch geprägt. Die anhaltenden Sprachdefizite erschweren im weiteren Karriereverlauf die erfolgreiche Partizipation in Schule und Ausbildung. Probleme in der Berufsschule und ein verschärfter Verweis sind Anlass zu Auseinandersetzungen mit dem Ausbilder. So bricht Burhan die Ausbildung zum Maler und Lackierer im ersten Ausbildungsjahr nach der Probezeit ab. Derzeit arbeitet er als ungelernte Hilfskraft in der Elektronikfirma, für die auch sein Onkel tätig ist. Dies lässt darauf schließen, dass Burhan am Arbeitsplatz ebenfalls mehr Kontakt mit türkischen bzw. türkisch sprechenden als mit deutschen Kollegen hat. So hat er beruflich eine Nische gefunden, in der die deutsche Sprache eher nachrangig von Bedeutung ist. Auf seine Integration wird sich dies jedoch nicht förderlich auswirken.

4.1.2 Verbleib direkt nach dem Berufsvorbereitungsjahr

Nicht ausschließlich die Einmündung in ein Ausbildungsverhältnis ist positiv zu bewerten. Vielmehr gilt es, die Eingliederungsbilanz zu hinterfragen, nach der ausschließlich der Übergang in Ausbildung, nicht aber in Beschäftigung bzw. Weiterbildung ein Erfolg darstellt. Es zeigt sich sehr deutlich, dass auch Angaben zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, zum Besuch einer Maßnahme und ähnlichem (Schulbesuch, Bundeswehr und Soziales Jahr) keine Sackgasse darstellen, sondern die Chancen der Integration in die Berufswelt entscheidend verbessern. So sind sich viele BVJ-Absolventen am Ende des Berufsvorbereitungsjahres sicher, eine Arbeitsstelle antreten zu wollen, falls sie nicht doch noch bis September einen Ausbildungsplatz finden sollten. Konkrete Vorstellungen, wo und in welcher Form sie arbeiten könnten, hat die Mehrheit der Befragten. Die genannten Betriebe kennen sie überwiegend von ihren Nebentätigkeiten neben der Schule oder über Beziehungen (Eltern, Verwandte). Dies zeigt, dass sie sich zum Befragungszeitpunkt wohl bereits mit ihren schlechten Aussichten auf dem Ausbildungsmarkt auseinandergesetzt und sich Alternativen für eine Berufausbildung überlegt haben. Unter den BVJ-Absolventen, die zum Befragungszeitpunkt noch keinen Ausbildungsplatz besitzen, sind überwiegend Jugendliche mit Migrationshintergrund zu finden. Das verwundert nicht, gibt jedoch Anlass zur Sorge. Studien zeigen, dass für Jugendliche mit Migrationshintergrund, die unmittelbar nach der Schule eine Berufsausbildung beginnen wollen, trotz gleicher schulischer Qualifikation die Chancen auf einen Ausbildungsplatz geringer sind als bei Jugendlichen deutscher Herkunft. (vgl. AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG 2008)

4.1.3 Verbleib der 60 BVJ-Absolventen im Untersuchungszeitraum (t2-t4)

Die Zusammenschau der Ergebnisse zeigt zum Teil ein erfreuliches, zum Teil aber auch ein nachdenklich stimmendes Bild: Unbedingt positiv zu werten ist, dass einem guten Drittel (22 von 60) der erfolgreiche Berufsabschluss in der regulären Ausbildungszeit geglückt ist. Die sich zum Zeitpunkt der letzten Befragung weiterhin in Ausbildung befindenden 21 BVJ-Absolventen lassen einen erfolgreichen Berufsabschluss erwarten. Es zeigt sich, dass diese Jugendlichen wohl mehr Zeit für die Ausbildung eingeräumt werden und eine intensivere Betreuung durch Sozialpädagogen und verpflichtender Nachhilfe-Förderung zuteil kommen müsste.

Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass für viele BVJ-Absolventen eine Vertragslösung auch die Einstellung weiterer Bildungsbemühungen darstellt. Es handelt sich somit um ein eingeschränkt positiv zu wertendes Ergebnis. Jede Vertragslösung ist mit einer erheblichen Beeinträchtigung der beruflichen Planungen der jungen Erwachsenen verbunden. Betrachtet man die anschließenden beruflichen Integrationsversuche der Jugendlichen, so gehen zwar die meisten einer Erwerbstätigkeit nach, diese ist allerdings formal gesehen nicht qualifiziert und garantiert kaum beruflichen Aufstieg oder Schutz vor Arbeitslosigkeit.

Trotz der überwiegend positiven Entwicklung der BVJ-Absolventen, denen der Verbleib in der Ausbildung bzw. der erfolgreiche Berufsabschluss geglückt ist, darf man eines nicht außer Acht lassen:

Quantitativ gesehen ist der Erfolg dieser BVJ-Absolventen bedenklich, wenn man davon ausgeht, dass die Untersuchung ursprünglich bei 169 Absolventen des Berufsvorbereitungsjahres eines Jahrganges ansetzte. Bezogen auf die Gesamtzahl der BVJ-Absolventen sind es 13 Prozent, die in der regulären Ausbildungszeit die Berufsausbildung erfolgreich abschließen. Dieser geringe Prozentwert könnte zu Kritik an der Wirksamkeit des Berufsvorbereitungsjahres führen.

Doch einseitige Schuldzuweisungen und Hinterfragen der Sinnhaftigkeit des Berufsvorbereitungsjahres sind wenig zielführend. Die Problemlagen der Jugendlichen sind zu komplex und zu heterogen, als dass es möglich wäre, alle Jugendlichen in einem einzigen Schuljahr hinsichtlich ihrer sprachlichen Defizite, Leistungsrückstände und auch in ihren sozialen und personalen Kompetenzen so zu qualifizieren, dass alle den Übergang zur Berufsausbildung problemlos schaffen könnten. So ist es für jeden einzelnen Jugendlichen als Erfolg zu werten, dem es gelingt, im Anschluss an das Berufsvorbereitungsjahr ein Ausbildungsverhältnis aufzunehmen, in der Ausbildung trotz möglicher Ausbildungswechsel zu verbleiben und erfolgreich diese zu beenden.

Dass jedoch Angebote zur Berufsvorbereitung nicht eine Sackgasse oder das Ende von Ausbildungsambitionen darstellen, zeigt das Übergangspanel des Deutschen Jugendinstituts Die Daten belegen, dass auch ein bis zwei Jahre nach Beendigung des Berufsvorbereitungsjahres die Jugendlichen in eine Berufsausbildung einmünden. „So gibt es Indizien, dass leistungsschwächere Jugendliche,…, zu nicht unerheblichen Anteilen in eine berufliche Ausbildung einmünden, wenn auch vielfach erst nach mehreren Jahren.“ (MÖLLER/ WALWEI 2009, 341)

4.1.4 Wirksamkeit des Berufsvorbereitungsjahres

Die Absolventen des Berufsvorbereitungsjahres sehen die Bedeutung der vollzeitschulischen Fördermaßnahme in allen fünf abgefragten Bereichen (Lernbereitschaft, Lernfähigkeit, schulischer Abschluss, Erkennen des Berufswunsches, Finden eines Ausbildungsplatzes) als wichtig an. Dass dem schulischen Abschluss und dem Finden eines Ausbildungsplatzes eine gleich hohe Bedeutung beigemessen wird, macht die hohe Relevanz eines gelungenen Berufeinstiegs für das weitere Leben der Schüler deutlich.

Insgesamt lässt sich eine überwiegend positive Bilanz des Berufsvorbereitungsjahres feststellen. Berufsrelevante persönliche Eigenschaften konnten – sofern sie nicht schon aus Sicht der BVJ-Absolventen vor dem Besuch des Berufsvorbereitungsjahres ausgeprägt waren – gut verbessert werden. In der Berufswahl fühlen sich die BVJ-Absolventen neben Eltern und Freunden vor allem durch den fachpraktischen Unterricht und durch das Betriebspraktikum positiv beeinflusst. Klassenlehrkräfte werden in ihrer pädagogischen Arbeit und Unterstützung sehr positiv wahrgenommen. Ebenso fühlen sich die BVJ-Absolventen, die das Hilfsangebot der Schulsozialarbeiter nutzen, sehr gut verstanden und in ihren Bedürfnissen ernst genommen.

Die Produktionsschule, das Aushängeschild der Schule, sollte auch den Schülern als produktorientierter Ansatz in seinem Aufbau und seinen Zielen transparent gemacht und der Unterschied zu gewöhnlichem Fachpraxis-Unterricht verdeutlicht werden. Abgesehen von der mangelnden Transparenz macht den Schülern das praktische Arbeiten Spaß. Sie bestätigen, sich in vielen Bereichen verbessert zu haben, und empfinden die Inhalte überwiegend als sinnvolle Vorbereitung auf einen Beruf. Insgesamt wird die Vorbereitung auf den Ausbildungsberuf umso besser beurteilt, je höher die Kongruenz zwischen Berufsfeld im Berufsvorbereitungsjahr und dem später gewählten Ausbildungsberuf ist. Dabei wird dem Fachrechnen und dem Fachpraxis-Unterricht die meiste Bedeutung beigemessen.

Um eine höhere Übereinstimmung der angebotenen Berufsfelder im Berufsvorbereitungsjahr und den späteren ergriffenen Berufen zu erreichen und dabei auch neue Berufe zu berücksichtigen, wäre eine Zusammenarbeit mit Betrieben, anderen Fachberufsschulen und auch Maßnahmen der Agentur für Arbeit sicherlich erfolgversprechend. Eine Erhöhung des Stundenanteils der fachpraktischen Elemente würde außerdem einer vorhandenen Schulmüdigkeit der an schulische Misserfolge gewöhnten Klientel entgegenwirken und die Motivation sowie den Realitätsbezug erhöhen.

4.1.5 Fallstudien

Der Weg in das Berufsvorbereitungsjahr führt bei allen befragten Jugendlichen über eine Empfehlung der Klassenlehrkräfte, Betreuer oder Berater der Agentur für Arbeit. Für diejenigen Jugendlichen, die im Vorfeld noch keine deutsche Schule besucht haben, ist das Berufsvorbereitungsjahr neben dem Besuch von berufsvorbereitenden Maßnahmen der Agentur für Arbeit die einzige Möglichkeit, einen deutschen Schulabschluss zu erwerben. Mit dem Besuch der „neuen“ Schule gehen große Hoffnungen von einer Verbesserung der bisherigen Lebens- und Lernsituation einher. Das Berufsvorbereitungsjahr verspricht einen neuen Anfang ohne den Ballast bisheriger negativer Schulerfahrungen. Mit großer Motivation und dem Ziel, den Hauptschulabschluss zu erwerben und/oder  einen Ausbildungsplatz zu finden, beginnen die elf Jugendlichen das Berufsvorbereitungsjahr. Bei den Jugendlichen, die ihre Ausbildung ohne Unterbrechungen erfolgreich absolvieren, werden in den Interviews durchaus Schwierigkeiten im Betrieb oder in der Berufschule eingeräumt. In der Berufschule haben die Befragten sehr mit den Leistungsanforderungen und dem etwas höheren Lerntempo im Vergleich zum Berufsvorbereitungsjahr zu kämpfen. Auch fällt einigen die Umstellung auf eine 40-Stunden-Woche nicht so leicht, die nur wenig Raum für intensive Prüfungsvorbereitungen lässt. Bei den Schwierigkeiten im Betrieb handelt es sich meist um Auseinandersetzungen mit dem unmittelbaren Vorgesetzten. Dabei geht es vor allem darum, dass sich die BVJ-Absolventen ungerecht behandelt fühlen. Dennoch werden die bestehenden Schwierigkeiten weitgehend als Normalität einer Berufsausbildung betrachtet, die man aushalten und irgendwie damit umgehen muss. Schwierigkeiten in dem Ausmaß, dass sie zu einem Abbruch oder Wechsel der Ausbildung führen, kann lediglich bei vier der elf befragten BVJ-Absolventen festgestellt werden. In diesen Fällen ist das ungerechte, zum Teil das ungerecht empfundene Verhalten der Vorgesetzten Hauptgrund für die Vertragslösung.

5 Folgerungen

Folgerungen, die aus den Ergebnissen abzuleiten sind, betreffen sowohl die Unterrichts-, die Personal- als auch die Organisationsentwicklung. Dabei sind unter anderem folgende Aspekte zu empfehlen:

5.1 Personalentwicklung

Um der Komplexität der Lebenssituation der Jugendlichen in ihrem professionellen Handeln in der Schule gerecht zu werden, muss auch die Ausbildung der Lehrkräfte zukünftig verstärkt sozialpädagogische, sonderpädagogische und interkulturelle Kompetenzen enthalten. NIEMEYER (2004) setzt sich mit der Professionalisierung der an der Benachteiligtenförderung beteiligten Berufsgruppen auseinander. Sie gibt zu bedenken, dass die im Rahmen der jeweiligen beruflichen Erstqualifikation erworbenen fachlichen Qualifikationen aufgrund der weitgehend kognitiven Schwerpunktsetzung nicht ausreichend sind für eine erfolgreiche Förderung und berufliche und soziale Eingliederung von Jugendlichen mit nicht so guten Voraussetzungen. Diese pädagogischen Kompetenzen werden meist informell im Arbeitsprozess und über Fortbildungen erworben. Eine  zielgerichtete und nachhaltige Qualifizierung der Lehrpersonen könnte jedoch mit der Etablierung der beruflichen Bildung Benachteiligter als integraler Bestandteil der Berufsschulehrerbildung erzielt werden.

Eine zunehmende Internationalisierung aller Lebensbereiche, die weltweite Vernetzung, die Globalisierung der Lebenswelten und massive Migration- und Fluchtbewegungen führen dazu, dass die Realität in den Klassenzimmern schon längst mehrsprachig und multikulturell ist. Die Schule ist der Ort, an dem alle Schülerinnen und Schüler wesentliche Kompetenzen erwerben können, die die Teilhabe in einer sozial, sprachlich und kulturell zunehmend ausdifferenzierten (Arbeits-)Welt ermöglichen soll. Interkulturelle Erziehung erfordert die Entwicklung von Einstellungen und Verhaltensweisen, die dem ethischen Grundsatz der Humanität und den Prinzipien von Freiheit und Verantwortung, von Solidarität und Völkerverständigung, von Demokratie und Toleranz verpflichtet sind. Eine grundlegende Gelingensbedingung hierfür ist, die sprachliche, kulturelle und soziale Heterogenität der Schüler als positive Herausforderung und Potential in den Blick zu nehmen und für die Schul- und Unterrichtsentwicklung zu nutzen. Dies wird aber nur erreicht werden können, wenn interkulturelle und geschlechterspezifische Bildung ebenfalls zum festen Bestandteil der Lehrerausbildung werden.

Darüber hinaus erfordert die Umgestaltung schulischer Sondereinrichtungen in inklusive Systeme ein Umdenken in Bezug auf die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften. Neben strukturellen Änderungen sind differenzierte fachliche Kompetenzen in Diagnostik und Förderung notwendig, um den unterschiedlichen Lernbedürfnissen einer heterogenen Schülerschaft gerecht werden zu können.

5.2 Organisationsentwicklung

5.2.1 Koordinierte Überleitungen an der ersten Schwelle

Die Benachteiligtenförderung sollte keine isolierte Aufgabe des Übergangssektors sein. Eine Annäherung oder gar Kooperation unterschiedlicher erziehungswissenschaftlicher Teildisziplinen in der Schulpraxis könnte die Effizienz von schulischen Fördermaßnahmen enorm verbessern. SCHROEDER/ THIELEN (2009) stellen fest, dass nicht in allen Bundesländern das Berufsvorbereitungsjahr im Zentrum der bildungspolitischen Zielsetzungen steht. Nur vereinzelt sind Bestrebungen zu erkennen, diesen Bildungsgang weiterzuentwickeln. Es gibt Initiativen und Schulversuche, die schulübergreifende Bildungsgänge einrichten, in denen das Berufsvorbereitungsjahr ein konzeptioneller und organisatorischer Bestandteil und in Kooperation mit zumeist Förder- und Hauptschulen eingebunden ist (vgl. SCHROEDER/ THIELEN 2009). So hat zum Beispiel das Projekt „Flexible Übergangsphasen“ (FlexPhasen),  an dem sich im so genannten Nordverbund Schleswig-Holstein gemeinsam mit den Bundesländern Brandenburg, Bremen, Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen beteiligte, eine enge Verzahnung von Haupt- und Förderschulen verbunden mit einer verstärkte Berufsorientierung zum Schwerpunkt. Der Unterricht findet dann nicht nur in der Hauptschule statt, sondern auch an berufsbildenden Schulen, in Lernwerkstätten, Betrieben und sozialen Einrichtungen. In Kooperation mit Förderzentren und berufsbildenden Schulen können Hauptschulen  „Flexible Übergangsphasen“ (FlexPhasen) bilden, die drei Schuljahre dauern und mit dem achten Schuljahr beginnen. Durch eine intensivere individuelle Förderung und mehr Praxisanteile sollten möglichst alle Bildungspotenziale der Jugendlichen ausgeschöpft werden. Mit Hilfe der Erstellung von individuellen Bildungsplänen sollten die Leistungen der Schüler verbessert und der qualifizierte Hauptschulabschluss ermöglicht werden (vgl. SCHROEDER/ THIELEN 2009).

5.2.2 Förderung während BVJ – Äußere Differenzierung

Der Bildungsnachteil durch schlechte und niedere Schulabschlüsse stellt ein großes Hemmnis am Übergang zur Berufsausbildung dar. So gelingt es vielen Jugendlichen zwar, ihren Hauptschulabschluss zu verbessern bzw. sich formal zu qualifizieren, sie sind aber am Ausbildungsmarkt weiterhin nur bedingt konkurrenzfähig. Denn als Ausbildungsbewerber mit einfachem Hauptschulabschluss stehen sie weiterhin einer großen Bewerberzahl mit höherem Schulabschluss gegenüber. Der Forderung nach Erhöhung des fachpraktischen Stundenanteils und einer stärkeren Berücksichtigung der Heterogenität der Schülerklientel versucht die Einrichtung von kooperativen Beschulungsformen im Sinne einer äußeren Differenzierung nachzukommen. So werden an der Berufsschule in München folgende BVJ-Formen angeboten:

  • Schulisches Berufsvorbereitungsjahr (BVJ/s) für noch nicht ausbildungsreife Jugendliche,

  • kooperatives Berufsvorbereitungsjahr (BVJ/k) für noch nicht ausbildungsreife Jugendliche,

  • Berufsintegrationsjahr (BIJ) für noch nicht ausbildungsreife Jugendliche mit erhöhtem Sprachförderbedarf (vgl. BAYER. STAATSMINISTERIUM FÜR UNTERRICHT UND KULTUS 2008, 1)

  • Schulversuch „Zweijähriges BVJ für Jugendliche mit Migrationshintergrund“ (Im ersten Schuljahr besuchen Jugendliche mit Migrationshintergrund ein einjähriges Berufsvorbereitungsjahr mit dem Schwerpunkt „Sprachförderung. Im zweiten Schuljahr münden sie bei Bedarf in ein kooperatives Berufsintegrationsjahr.)

5.2.3 Berufsvorbereitung als gebundene Ganztagesschule

Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung haben gezeigt, dass die größte Barriere, einen Ausbildungsplatz zu finden, sprachliche Defizite darstellen, und dass viele Jugendliche mit Migrationshintergrund auch nach dem Berufsvorbereitungsjahr einen hohen sprachlichen Förderbedarf aufweisen. Darüber hinaus besteht die Freizeitgestaltung aus weitgehend ungeleiteten sportlichen Aktivitäten (kaum Vereinszugehörigkeit) und einem überwiegend passiven Konsumverhalten. Speziell für Jugendliche mit Migrationshintergrund liegt deshalb die Ausweitung von Angeboten zur Sprachförderung nahe. Dies könnte beispielsweise durch die Einführung von Wahlpflichtkursen erfolgen. Im Sinne einer gebundenen Ganztagsschule könnten die Schüler an mindestens vier Nachmittagen pro Woche an Übungseinheiten in Deutsch als Zweitsprache oder Mathematik, an Bausteinen zum interkulturellen Lernen, an Projekten zur Freizeitgestaltung (Buch-Club, verschiedene Sportgruppen, Musik und Tanz, Theater, Fotografie, Mediengestaltung, kreatives Schreiben/Malen, Drechsel- und Schnitzkurs) teilnehmen.

Aufgrund der häufig finanziell schlechter gestellten Situation ist eine Teilnahme an Sport- und Musikvereinen oft nicht möglich. Bei den Angeboten zur Freizeitgestaltung wäre eine Öffnung für Jugendliche ohne Migrationshintergrund sinnvoll. Dies würde die gesellschaftliche Integration der jungen Migranten unterstützen und die interkulturelle Kompetenz aller Schüler verbessern.

5.3 Unterrichtsentwicklung

Um der Heterogenität der Schülerklientel gerecht zu werden, sind lern- und entwicklungsfördernde Unterrichtskonzepte erforderlich, die im Spannungsfeld von Solidarität und Individualisierung stehen (vgl. WERNING/ LÜTJE-KLOSE 2006, 143). Die Lernwerkstatt als Beispiel einer selbst gesteuerten Lernform, wie sie an der Münchner Hauptschule am Winthirplatz seit einigen Jahren eingerichtet ist, unterstützt die innere Differenzierung und Individualisierung von Lernprozessen. Gerade für Jugendliche, die Probleme haben, dem herkömmlichen Unterricht zu folgen, bietet die Lernwerkstatt gemäß ihrem Lerntempo und kognitivem Leistungsvermögen ein weitgehend selbstständiges und selbstgesteuertes Arbeiten. Der Wissenserwerb erfolgt meist in Form von Lernspielen, die gerade für eher motorische Lerntypen besonders gut geeignet sind (vgl. SCHULTE-RENTROP 2008).

Abschließend ist zu sagen, dass das Berufsvorbereitungsjahr ursprünglich als Antwort der bildungspolitischen Verantwortlichen auf die Jugendarbeitslosigkeit eingerichtet wurde. Dennoch soll es nicht nur ein „Auffanglager“ für die Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz darstellen, sondern einen verbesserten Übergang zwischen Schule und Erwerbssystem schaffen. Die Möglichkeiten einer breiten Berufsgrundbildung für sozial geschwächte und förderbedürftige Schüler werden durch das Berufsvorbereitungsjahr gewährt. Allerdings stößt das Berufsvorbereitungsjahr wie auch alle anderen berufsvorbereitenden Maßnahmen an strukturelle Grenzen. Der Arbeitsmarkt in Deutschland hält immer weniger Arbeit für gering qualifizierte Arbeitskräfte bereit. Die berufliche Integration wird dadurch deutlich erschwert. Die Ausbildungssuchenden sind auf außerbetriebliche Fördermaßnahmen angewiesen, da das duale Berufsbildungssystem nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt. Aufgrund dieser fördernden Einrichtungen können zwar berufliche Fähigkeiten und Fertigkeiten verbessert werden sowie die persönliche Entwicklung unterstützt werden. Die Qualifikationen der Teilnehmer steigen, auch die Chancen auf einen Ausbildungsplatz erhöhen sich. Dennoch ist ein kontinuierlicher Verbleib im Ausbildungs- und Erwerbsarbeitssystem nicht garantiert. Phasen der Erwerbslosigkeit sind nicht auszuschließen. Umso wichtiger erscheint es, die Jugendlichen spätestens im Berufsvorbereitungsjahr mit Kompetenzen auszustatten, diese Wechsel erfolgreich zu bewältigen, und ihnen somit eine gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

Literatur

AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG (Hrsg.) (2008): Bildung in Deutschland 2008. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Übergängen im Anschluss an den Sekundarbereich I. Bielefeld.

BAYERISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR UNTERRICHT UND KULTUS (2008): VII - 5 O9100-7.78 473 Online: http://www.schulberatung.bayern.de/imperia/md/content/schulberatung/pdfmuc/schulinformation/bs_laufende_projekte_240708.pdf  (17-05-2011).

BIERMANN, H./ RÜTZEL, J. (1999): Didaktik der beruflichen Bildung Benachteiligter. In: BIERMANN, H./ BONZ, B./ RÜTZEL, J. (Hrsg.): Beiträge zur Didaktik der Berufsbildung Benachteiligter. Stuttgart, 21-46.

ERBAN, T. (2010): Das Berufsvorbereitungsjahr als Übergang von der Schule zum Beruf. Eine Längsschnittuntersuchung zum Verbleib eines Absolventenjahrgangs und zur Wirksamkeit des Berufsvorbereitungsjahres.

KIPP, M. (2007): Vorwort. In: STOMPOROWSKI, S.: Pädagogik im Zwischenraum - Acht Studien zur beruflichen Bildung Benachteiligter an berufsbildenden Schulen. Paderborn, I-IV.

MÖLLER, J./ WALWEI, U. (Hrsg.) (2009): Handbuch Arbeitsmarkt. IAB Bibliothek - Die Buchreihe des IAB Nr. 314. Bielefeld.

NIEMEYER, B. (2004): Benachteiligtenförderung zwischen Berufung und Profession. Professionstheoretische Überlegungen zu einem diffusen Bildungsbereich. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online. Ausgabe 6. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe6/niemeyer-a-bwpat6.shtml  (16-05-2011).

SCHELTEN, A. (2006): Die Rolle der Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz an der Berufsschule. In: Die berufsbildende Schule, 58/10, 243-244.

SCHROEDER, J./ THIELEN, M. (2009): Das Berufsvorbereitungsjahr. Eine Einführung. Stuttgart.

SCHULTE-RENTROP, M. (2008): Die Lernwerkstatt - Ergänzung zum gebundenen Unterricht. In: Die berufsbildende Schule, 60/5, 163-164.

WERNING, R./ LÜTJE-KLOSE, B. (2006): Einführung in die Pädagogik der Lernbeeinträchtigungen. 2. Auflage. München, Basel.


[1]  Die vorliegende Arbeit verwendet bei Personenbezeichnungen durchgängig die grammatikalisch maskuline Form. Selbstverständlich ist damit auch die feminine Form angesprochen.


Zitieren dieses Beitrages

ERBAN, T. (2011): Das Berufsvorbereitungsjahr als Übergang von der Schule zum Beruf: Eine Längsschnittuntersuchung zum Verbleib eines Absolventenjahrgangs und zur Wirksamkeit des Berufsvorbereitungsjahres. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Kurzvorträge, hrsg. v. EBBINGHAUS, M., 1-20. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/kv/erban_kv-ht2011.pdf (26-09-2011).



Hochschultage Berufliche Bildung 2011 - Web page

http://www.hochschultage-2011.de/