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bwp@ Ausgabe Nr. 17 | Dezember 2009
Praxisphasen in beruflichen Entwicklungsprozessen
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 17 sind Tade Tramm, H.-Hugo Kremer & Bernadette Dilger

Interinstitutionelle Kooperationen als Gestaltungsperspektive für Betriebspraktika im Übergangssystem

Beitrag von Monique WÖLK (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg)

Abstract

Betriebspraktika spielen als berufsvorbereitende Maßnahme in der Integrationsförderung eine immer wichtigere Rolle. Neben der Vermittlung berufsbezogener Kenntnisse und Fertigkeiten sollen sie den TeilnehmerInnen das Erleben des Berufsalltags, das Erlernen von Verhaltensregeln im Umgang mit KollegInnen und Vorgesetzten sowie die Übernahme von Verantwortung für die eigenen Arbeitsaufgaben ermöglichen. Auf diese Weise soll zugleich die Sozial- und Selbstkompetenz der TeilnehmerInnen gefördert werden. Der Beitrag beschreibt die Konzeption und die Ergebnisse des Kasseler Modellversuches „Schüler mit Entwicklungspotenzial erleben Berufsperspektive“, in dem fünf Jugendliche aus dem schulischen Übergangssystem (Berufsvorbereitung Teilzeit) im Rahmen eines Tandem-Modells von zwei Studierenden der Berufs- und Wirtschaftspädagogik vor und während ihres Betriebspraktikums eine intensive, fachliche und sozialpädagogische Betreuung erhielten. Aus den Modellversuchsergebnissen und den gewonnenen Erfahrungen bei der Umsetzung eines innovativen Konzeptes zur Gestaltung von Betriebspraktika werden Schlussfolgerungen für eine erfolgreiche Integrationsförderung sowohl hinsichtlich der am Modellversuch beteiligten Jugendlichen als auch hinsichtlich der Lehrerbildung gezogen. Gerade vor dem Hintergrund der Diskussionen um die Professionalisierung des Bildungspersonals erscheint hier ein interinstitutioneller Austausch empfehlenswert.


Inter-institutional co-operation as a perspective for organising work experience in the transition system

In-company work experience as a measure to prepare for the world of work is taking on an increasingly important role in encouraging integration. As well as providing work-related knowledge and skills it is also intended to make it possible for participants to experience the daily routine of work, to learn the rules of how to behave with their colleagues and superiors as well as to take on responsibility for their own work tasks. In this way the social competence and self-competence of the participants should be promoted at the same time. This paper describes the conception and the results of the pilot project in Kassel called ‘Pupils with potential experience the world of work’, in which five young people from the school transition system (they are participants in a part-time pre-vocational course) in the context of a tandem model received intense subject-based and social-pedagogical support from two students of vocational education and training and business studies before and after their work experience. The results of the pilot project and the experiences gained in the implementation of an innovative concept for the design of work experience leads to conclusions for a successful promotion of integration with regard to the young people who participated as well as with regard to teacher training. Inter-institutional exchange would seem advisable in this context, particularly against the background of the discussions about the professionalisation of teaching staff.

1  Einleitung

Betriebspraktika spielen im Übergangssystem vom allgemeinbildenden Schulsystem in die reguläre Ausbildung des Berufsbildungssystems bzw. in das Beschäftigungssystem eine wichtige Rolle. Gerade die Berufsvorbereitung, die Jugendlichen verstärkt seit den 1970er Jahren den Übergang in das Beschäftigungssystem erleichtern soll, hat den Betrieb bzw. den Lernort Arbeitsplatz als festen Bestandteil in ihr Maßnahmeangebot integriert. Auf diese Weise soll den Jugendlichen eine realitätsnahe Berufsorientierung ermöglicht werden und eine Vorbereitung auf die Anforderungen des Berufsalltages stattfinden. Durch die Verankerung von Maßnahmen zur Einstiegsqualifizierung für Jugendliche (EQJ) im Rahmen des Ausbildungspaktes zwischen der Bundesregierung und der Wirtschaft sowie im Berufsbildungsgesetz (BBiG) wurde die Stellung des Lernortes Arbeitsplatz im Übergangssystem noch einmal explizit gestärkt.

Im folgenden Beitrag wird ein als innovativ angelegtes Konzept zur Gestaltung von Betriebspraktika im schulischen Übergangssystem vorgestellt, mit dessen Hilfe

·         die Steuerung von Lernortkooperationen zwischen beruflichen Schulen und Betrieben im Rahmen berufsvorbereitender Betriebspraktika durch die Einbeziehung von Studierenden verbessert,

·         den an Betriebspraktika teilnehmenden Jugendlichen durch eine intensive fachliche und sozial-pädagogische Betreuung zu einem Lernerfolg verholfen und

·         der Professionalisierungsprozess von Studierenden der Berufs- und Wirtschaftspädagogik im Rahmen des Lehramtsstudiums unterstützt werden kann.

Erprobt wurde dieser Ansatz im Kasseler Modellversuch „Schüler mit Entwicklungspotenzial erleben Berufsperspektive“, bei dem die intensive, fachliche und sozial-pädagogische Betreuung von Jugendlichen durch Studierende der Berufs- und Wirtschaftspädagogik im Rahmen eines Tandem-Modells vor und während eines Betriebspraktikums im Vordergrund stand.

Zum schulischen Übergangssystem gehörend werden hier jene (berufs-)schulischen Bildungsgänge gezählt, die zu keinem qualifizierten Berufsabschluss führen und den Schulgesetzen der Länder unterliegen. Beispielhaft sind hier zu nennen: das schulische Berufsgrundbildungsjahr (BGJ), sofern es nicht als erstes Ausbildungsjahr anerkannt wird, die Berufsfachschulen, die keinen beruflichen Abschluss vermitteln, sowie berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen, sofern sie nicht von der Agentur für Arbeit gefördert werden. Als Tandem-Modell wird im Kasseler Modellversuch die laufende Begleitung und Betreuung der Jugendlichen vor und während ihres Betriebspraktikums durch die Studierenden bezeichnet, wobei letztere den Jugendlichen nicht nur als ständige und feste Ansprechpartner für alle Arten von Problemen im Betrieb und in der Schule zur Verfügung standen, sondern auch das Verhalten der Jugendlichen bei den gemeinsam durchgeführten betrieblichen Arbeiten nach zuvor festgelegten Kriterien der pädagogischen Diagnostik beobachteten und interpretierten.

Im Beitrag werden zunächst (Abschnitt 2) die inhaltlichen Ziele und organisatorischen Probleme dargestellt, die bei der Durchführung von Betriebspraktika im Übergangssystem berücksichtigt werden müssen. Sie dienen gemeinsam mit den in Abschnitt 3 vorgestellten Überlegungen zu Lernortkooperationen als Ausgangspunkt für die Konzeption und Vorgehensweise im Kasseler Modellversuch. Dieser wird in Abschnitt 4 beschrieben, wobei auch auf die inhaltliche Verzahnung des dem Modellversuch zugrunde liegenden Tandem-Modells mit den Studieninhalten der Lehrer/-innenbildung an der Universität Kassel eingegangen wird. Aus den Modellversuchsergebnissen und den gewonnenen Erfahrungen bei der Umsetzung des Tandem-Modells werden schließlich Schlussfolgerungen für eine Integrationsförderung im Übergangssystem (Abschnitt 5) sowie für eine interinstitutionelle Kooperation in der Lehrer/-innenbildung (Abschnitt 6) gezogen, die gerade vor dem Hintergrund der Diskussionen um die Professionalisierung des Bildungspersonals empfehlenswert erscheint.

2  Betriebspraktika im Übergangssystem – Zielstellungen und Probleme

Betriebspraktika dienen dazu, dass sich die Teilnehmenden berufliche Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen aneignen können. Dabei spielt das Erleben der beruflichen Alltagswelt mit ihren Anforderungen, das Erlernen von Verhaltensregeln im Umgang mit Kolleg/-innen und Vorgesetzten sowie die Übernahme von Verantwortung für die eigenen Arbeitsaufgaben eine wichtige Rolle. Betriebspraktika besitzen somit als Maßnahme der Berufsausbildungsvorbereitung eine große Bedeutung für die Gestaltung des Übergangs von der Schule in den Beruf und sind zu einem festen Bestandteil zahlreicher berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen im Übergangssystem geworden. Dies gilt speziell für benachteiligte Jugendliche, die auf dem regulären Ausbildungsmarkt nur geringe Chancen haben, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden (vgl. BMBF 2005). Durch ein Betriebspraktikum sollen jedoch nicht nur die Jugendlichen auf eine zukünftige Ausbildung vorbereitet werden. Gleichzeitig sollen auch die Betriebe die Möglichkeit haben, die einzelnen Praktikumsteilnehmer/-innen sowohl mit ihren individuellen Potenzialen, Kenntnissen und Fähigkeiten kennenzulernen als auch ihre individuellen Problemlagen zu verstehen, um auf dieser Grundlage ihr zukünftiges Entwicklungspotenzial im Rahmen einer Ausbildung einschätzen und gegebenenfalls nutzen zu können. Die Dauer eines berufsvorbereitenden Betriebspraktikums kann dabei in einem positiven Zusammenhang mit der späteren Übernahme in eine betriebliche Berufsausbildung stehen (vgl. RÜTZEL 2003).

Als didaktisches Konzept steht bei Betriebspraktika das „Lernen in der Produktion“  bzw. das „Lernen im Arbeitsprozess“ im Vordergrund, wobei die Jugendlichen durch die Bearbeitung bestimmter Aufgaben sowohl ihre eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten weiterentwickeln, als auch in betriebliche Produktionsprozesse eingeführt werden. Im Optimalfall dienen die Arbeitsergebnisse der Praktikanten als Grundlage für weitere Arbeitsschritte, die von den Mitarbeiter/-innen des Betriebs ausgeführt werden. In diesem Zusammenhang lassen sich verschiedene Ausbildungsmethoden, wie z. B. das auftragsbezogene Lernen, die Projektmethode oder die Gruppenarbeit unterscheiden (vgl. PÄTZOLD 1996, 70). PÄTZOLD weist jedoch darauf hin, dass der Methode des Vormachens und Nachahmens in der betrieblichen Ausbildung die größte Bedeutung zukommt (vgl. PÄTZOLD 1996, 76). Bezogen auf (berufsvorbereitende) Betriebspraktika verweist dies auf den Umstand, dass die Jugendlichen eine differenzierte fachliche Betreuung benötigen. Denn auch das „Lernen in und an realen Umwelten“ (GREINERT 1992, 12) geschieht nicht von allein. Um einen nachhaltigen Lernprozess in Gang zu setzen, müssen die Produktionsprozesse im Rahmen von Betriebspraktika darüber hinaus so angelegt sein, dass sie nicht nur den Gegenstand individueller Lernerfahrungen für die Praktikanten darstellen, sondern dass sie den Praktikanten auch die Möglichkeit zur theoretischen Reflexion und zum Transfer des Gelernten geben.

Ein weiteres kritisches Moment von Betriebspraktika im Rahmen berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen für benachteiligte Jugendliche stellt die sozial-pädagogische Betreuung der Praktikanten dar. Denn bei den Maßnahme-Teilnehmer/-innen handelt es sich häufig um Jugendliche, denen es aufgrund individueller Probleme, wie z. B. Lernproblemen oder Verhaltensauffälligkeiten, oder wegen ungünstiger sozialer Lebensverhältnisse, wie z. B. familiären Problemen oder Arbeitslosigkeit, nicht gelungen ist, den Übergang vom allgemeinen Bildungssystem in das Beschäftigungssystem selbstständig zu bewältigen (vgl. BOJANOWSKI et al. 2004, 2). Sie müssen durch eine intensive, sozial-pädagogische Betreuung in ihrer Persönlichkeitsbildung gestärkt werden, damit eine nachhaltige Vorbereitung auf eine Ausbildung und die Anforderungen des Berufsalltages stattfinden kann (vgl. BIERMANN/ RÜTZEL 1999, 31). Dazu ist es in erster Linie notwendig, die Jugendlichen innerhalb ihres sozialen Gefüges zu stabilisieren und ihnen solche Inhalte zu vermitteln, die sie dazu befähigen, ihr Leben selbstständig zu gestalten und zu bewältigen (vgl. GREINERT 1992, 9).

Zwischen dem Bildungs- und dem Beschäftigungssystem angesiedelt, ergibt sich für das Übergangssystem und damit auch für berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen eine doppelte Zielstellung. So dienen diese aus bildungspolitischer und pädagogischer Sicht dazu, die Jugendlichen für den ersten Arbeitsmarkt zu qualifizieren und durch die Vermittlung von Ausbildungsfähigkeit eine Sozialisationslücke zwischen der allgemeinbildenden Schule und der Berufsausbildung zu schließen. Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht bestehen ihre Aufgaben wiederum darin, die Jugendlichen in Ausbildung und Arbeit zu integrieren, weshalb die Ausrichtung berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen gleichzeitig an den Ansprüchen der Unternehmen an potenzielle Auszubildende und Beschäftigte orientiert sein muss (vgl. HEISLER 2005, 2). Aus dieser Gemengelage ergeben sich vielfältige Anforderungen an berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen sowie speziell auch an berufsvorbereitende Betriebspraktika: Neben der Vermittlung allgemeinbildender und erster, berufsrelevanter Inhalte muss den Teilnehmer/-innen im Bedarfsfall auch das Nachholen ihres Schulabschlusses ermöglicht werden. Darüber hinaus sollen berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen den Teilnehmer/-innen auch die Möglichkeit bieten, ihre eigene Berufsorientierung und -eignung zu überprüfen bzw. zu festigen. Auf diese Weise unterstützen berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen sowohl die arbeitsmarktbezogene Funktion des Übergangssystems, Beschäftigungslosigkeit unter jugendlichen Schulabgänger/-innen zu vermeiden, als auch die sozial-integrative Funktion der Heranführung an die Arbeitswelt bzw. das Berufsleben und die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung. Gleichzeitig findet auch die formal-rechtliche Funktion des Übergangssystems in der Praxis Berücksichtigung, nämlich den Jugendlichen die Erfüllung ihrer gesetzlichen Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr sowie die Wahrnehmung ihres gesetzlich verankerten Rechts auf Ausbildung und Arbeit zu ermöglichen.

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, sollten berufsvorbereitende Betriebspraktika im Übergangssystem begleitet werden – sowohl fachlich als auch sozial-pädagogisch. Gleichzeitig ist es jedoch ersichtlich, dass Betriebe diese Aufgabe nicht alleine bewältigen können. Eine Zusammenarbeit mit anderen Akteuren und Institutionen ist somit naheliegend und sinnvoll. Dazu kommen speziell im schulischen Übergangssystem die Berufsschule bzw. Berufsschullehrer/-innen sowie Sozialpädagog/-innen in Frage. Wie die Kooperation dieser Akteure im Rahmen berufsvorbereitender Betriebspraktika inhaltlich und organisatorisch für die jugendlichen Maßnahme-Teilnehmer/-innen bestmöglich gestaltet werden kann, ist eine Frage, die unter dem Aspekt der Lernortkooperation näher beleuchtet werden kann.

3 Lernortkooperationen – Potenziale und Probleme für Betriebspraktika im schulischen Übergangssystem

In der berufs- und wirtschaftspädagogischen Literatur wird das Konzept der Lernorte häufig vor dem Hintergrund der Problematik von Lernortkooperationen in der beruflichen Ausbildung diskutiert. Dabei spielen sowohl die strukturellen Unterschiede der kooperierenden Lernorte mit ihren jeweils eigenen, systemimmanenten Zielen und Interessen, als auch die personalen Faktoren und institutionellen Rahmenbedingungen von Kooperationsansätzen in der Praxis eine wichtige Rolle. Diese müssen bedacht werden, damit eine erfolgreiche Koordination der an Lernortkooperationen beteiligten Akteure gelingt. Ausgehend von der beruflichen Ausbildung im Dualen System werden im Folgenden zunächst die im Rahmen von Lernortkooperationen bestehenden Probleme thematisiert, um die wesentlichen Punkte zu identifizieren, die bei einer Ausweitung der an Lernortkooperationen beteiligten Kooperationspartner im Übergangssystem zu beachten sind.

Der Begriff des ‚Lernortes’ wurde 1974 im Rahmen der Bildungsreformdiskussion von der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates eingeführt. Ausgehend vom Dualen System der Berufsausbildung wies der Deutsche Bildungsrat darauf hin, dass bei der Untersuchung und Gestaltung von Lernprozessen nicht nur eine sachliche und zeitliche Dimension zu unterscheiden sei, sondern dass auch die lokalen Bedingungen und Umstände des Lernens Berücksichtigung finden müssten, da es sich bei den verschiedenen, an der Dualen Ausbildung beteiligten Lernorte um räumlich und rechtlich selbstständige Einheiten handele, die sich durch ihre jeweils spezifische, pädagogische und didaktische Funktion voneinander unterschieden (vgl. DEUTSCHER BILDUNGSRAT 1974, 17ff.). Das im Jahr 2005 novellierte Berufsbildungsgesetz führt in §2 die verschiedenen Lernorte auf, die an der Berufsbildung beteiligt sind. Demnach stellen Betriebe der Wirtschaft, vergleichbare Einrichtungen außerhalb der Wirtschaft, berufliche Schulen sowie sonstige Berufsbildungseinrichtungen außerhalb der schulischen und betrieblichen Berufsbildung jeweils unterschiedliche Lernorte dar (vgl. BBiG 2005, §2).

Unter einer Lernortkooperation wird im Allgemeinen das technisch-organisatorische sowie das pädagogische Zusammenwirken des Lehr- und Ausbildungspersonals der an der beruflichen Bildung beteiligten Lernorte verstanden (PÄTZOLD 1997, 123). In struktureller Hinsicht besteht die Kooperationsproblematik darin, dass die verschiedenen, an der beruflichen Ausbildung beteiligten Lernorte neben dem gemeinsamen, berufsbildungsrelevanten Ziel der Erreichung guter Ausbildungs- und Prüfungsergebnisse ihrer Auszubildenden jeweils eigene, systemspezifische Ziele verfolgen. So stellt die Ausbildung in der betrieblichen Gesamtkalkulation einen Kostenfaktor dar, der sich aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht durch eine „Beschränkung auf die Vermittlung arbeitsplatzspezifisch nachgefragter Qualifikationselemente“ (PÄTZOLD 1997, 127) am besten amortisieren lässt. Die berufsschulischen Ausbildungsziele sind demgegenüber vor allem auf den berufstheoretischen Teil der Ausbildung bezogen sowie auf die Vermittlung allgemeiner Lerninhalte und die Reflexion über Arbeit und Beruf. Damit ergänzt der berufsschulische Unterricht die betriebliche Ausbildung nicht nur, sondern erweitert sie auch um eine gesellschaftspolitische Dimension, indem die Berufsschule als Erziehungs- und Bildungseinrichtung die gesellschaftlichen und persönlichen Zielperspektiven der Auszubildenden „nicht lediglich vorgibt, sondern zur Diskussion stellt und zu realisieren hilft“ (PÄTZOLD 1997, 125).

Ein weiteres, strukturelles Problem von Lernortkooperationen zwischen Betrieben und beruflichen Schulen besteht in den unterschiedlichen Zielen und Vorgehensweisen bei der Vermittlung ausbildungsrelevanter Inhalte. EULER bemerkt dazu: „Während in der Schule primär eine lehrergeleitete Vermittlung von vorstrukturierten Lerninhalten stattfindet, konzentriert sich die betriebliche Ausbildung auf die Unterweisung des Auszubildenden in Standardaufgaben. Vor diesem Hintergrund erwirbt der Auszubildende sowohl in der Schule als auch im Betrieb subjektive Erfahrungen, die für ihn jedoch i. d. R. unverbunden und zusammenhanglos bleiben“ (EULER 1996, 185; Hervorhebungen im Original). Den Auszubildenden bleibt es dabei häufig selbst überlassen, den Transfer zwischen den in der Berufsschule vermittelten, theoretischen Inhalten und den im Betriebsalltag benötigten, praktischen Kenntnissen und Fähigkeiten herzustellen (vgl. dazu auch LENNARTZ/ WALTER-LEZIUS 1994, 118). An dieser Problematik hat sich in den vergangenen Jahren nicht viel geändert, auch wenn sich beide kooperierenden Lernorte darin einig sind, dass „neue“ Ausbildungsziele, wie z. B. ganzheitliches Denken, Teamfähigkeit oder Selbstständigkeit, sowie die schnellen Veränderungen von Verfahrensweisen und die Einführung neuer Techniken und Technologien eine intensive Kooperation der an der Berufsausbildung beteiligten Lernorte zur Erreichung beruflicher Handlungskompetenz bei den Auszubildenden erfordern.

Darüber hinaus spielen auch personale Faktoren eine wichtige Rolle für das erfolgreiche Gelingen von Lernortkooperationen. EULER (1999, 262f.) nennt in diesem Zusammenhang vier verschiedene Gründe für das Nicht-Zustandekommen von Lernortkooperationen, von denen ENGGRUBER (2004, 476) drei als besonders relevante Kooperationshindernisse zwischen verschiedenen Lernorten im Übergangssystem aufgreift: die mit den unterschiedlichen Professionen einhergehende berufliche Sozialisation, das Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen der Kooperationspartner im Berufsalltag sowie die sozial-kommunikative Kompetenz der an Lernortkooperationen beteiligten Personen. Diese Aspekte spielen auch bei der Lernortkooperation im Rahmen der Dualen Berufsausbildung eine wichtige Rolle, allerdings wird ihr Problempotenzial im Übergangssystem durch die Einbeziehung von Sozialpädagog/-innen als drittem Kooperationspartner noch verstärkt. Denn mit dem Primat der psychosozialen Förderung von Jugendlichen erweitert diese Personengruppe die klassischen Ziele von Lernortkooperationen, die in der Dualen Berufsausbildung vor allem in der Vermittlung von Fachtheorie und Fachpraxis gesehen werden. Außerdem muss das persönliche Miteinander der Kooperationspartner austariert und gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden. Dies gelingt nur, wenn die Bereitschaft dazu besteht, die Leistungen der jeweils anderen Partner im Rahmen der Lernortkooperation anzuerkennen, auch wenn sich diese bei einzelnen Kooperationspartnern, wie z. B. Sozialpädagog/-innen, nur indirekt im Verhalten oder in den Arbeitsergebnissen der Jugendlichen wiederspiegeln. Nicht zu vernachlässigen ist hier der Aspekt der sozial-kommunikativen Kompetenz der einzelnen Kooperationspartner: Sie müssen sich auf die berufsgruppenspezifischen Sichtweisen und Sprachstile der jeweils anderen einlassen. Dies erfordert sowohl Zeit und Geduld, was den beruflichen Alltagsbedingungen der Beteiligten häufig zuwiderläuft, als auch die Bereitschaft, eventuell vorhandene, gegenseitige Vorurteile zu erkennen und selbstkritisch zu überprüfen (vgl. ENGGRUBER 2004, 476). EULER fasst hierzu treffend zusammen: „In der Kooperation wird die Kompetenz gefordert, Informationen aus dem anderen kulturellen Kontext zu interpretieren und auf die eigenen Gegebenheiten hin auszulegen. Betriebliche Problematiken müssen auf die Thematiken des Lehrplans bezogen werden, fachsystematische Abstraktionen müssen mit den betriebsspezifischen Konkretionen verbunden werden“ (EULER 1999, 264; Hervorhebungen im Original).

Die bis hierher geschilderten, mit der Umsetzung von Lernortkooperationen verbundenen Probleme wurden im Rahmen verschiedener Initiativen und Modellversuchsvorhaben seit den 1990er Jahre zu lösen versucht. Dabei hat man sich vor allem auf die Verbesserung der Voraussetzungen für Lernortkooperationen konzentriert, indem kooperationsfördernde Rahmenbedingungen, wie z. B. die Einrichtung gemeinsamer Arbeitskreise und Weiterbildungsveranstaltungen für Ausbilder/-innen und Berufsschullehrer/-innen oder die Einrichtung von Koordinierungsstellen zur Initiierung und Verstetigung von Lernortkooperationen, geschaffen wurden. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang der in Bayern durchgeführte Modellversuch ‚kobas’ (vgl. BAU/ STAHL 2002) und das von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung initiierte Schwerpunktprogramm ‚Kooperation der Lernorte in der beruflichen Bildung (KOLIBRI)’. Die in diesem Programm durchgeführten, sechs Modellversuche zielen auf die Intensivierung der Lernortkooperation durch inhaltliche, methodische und konzeptionell innovative Formen der Zusammenarbeit. Speziell zur Verbesserung der institutionellen und personellen Rahmenbedingungen von Lernortkooperationen wurden dabei Konzepte erprobt, die neben Berufsschulen und Betrieben weitere Lernorte und Kooperationspartner, wie z. B. allgemeinbildende Schulen, Hochschulen sowie regionale Partner wie Kammern, Kreishandwerkerschaften, Innungen, Verbände oder die Arbeitsverwaltung, in die Modellversuche einbezogen. Damit rückte der bildungspolitisch relevante Aspekt der regionalen Vernetzung von Lernortkooperationen in den Fokus der Aufmerksamkeit (vgl. dazu zusammenfassend EULER 2004).

Mit der Ausweitung der Akteure im Rahmen von Lernortkooperationen im Übergangssystem stellt sich aber nicht nur die Frage nach einer geeigneten Koordinationsstelle, sondern auch nach dem gemeinsamen Kooperationsverständnis und dem Kooperationsziel der beteiligten Partner. In der Literatur wird dabei u. a. auf verschiedene Typologien zur Beschreibung des Kooperationsniveaus zurückgegriffen. BUSCHFELD und EULER (1993) unterscheiden dazu verschiedene Intensitätsstufen der Kooperation, die vom gegenseitigen Informieren der Ausbilder/-innen und Berufsschullehrer/-innen über Erwartungen, Erfahrungen und Probleme im Ausbildungsalltag, das Abstimmen berufspädagogischen Handelns bis zum Zusammenwirken bei gemeinsam vereinbarten Vorhaben reichen. In ähnlicher Weise benennen BERGER und WALDEN (1995) insgesamt fünf Typen der Kooperationsintensität, nämlich keine Kooperationskontakte, sporadische Kooperationsaktivitäten, kontinuierlich-probleminduzierte Aktivitäten, kontinuierlich-fortgeschrittene Aktivitäten und kontinuierlich-konstruktive Aktivitäten. Allein die Kooperationsintensität, die Kooperationsinhalte oder den Kooperationsrahmen der beteiligten Lernorte für eine Typisierung heranzuziehen ist nach PÄTZOLD jedoch nicht ausreichend, um eine Typisierung für Lernortkooperationen zu entwickeln. Seiner Ansicht nach muss auch das in die Kooperation eingebrachte Kooperationsverständnis der beteiligten Akteure berücksichtigt werden. Dabei geht es um die Frage, „...wie wichtig Ausbilder und Lehrer die Zusammenarbeit mit dem anderen Lernort zur Erfüllung ihrer Aufgabe nehmen und welche Perspektive sie dabei entwickeln. [Denn] Kooperatives Handeln ist nicht zu trennen von in den jeweiligen Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen entwickelten bzw. berufsbiographisch herausgeformten handlungsleitenden Kooperationsverständnissen“ (PÄTZOLD 2001, 201). Aus diesem Grund unterscheidet er vier Typen von Lernortkooperationen, die auf verschiedenen Verständnisebenen von Kooperation beruhen. Dabei handelt es sich um das pragmatisch-formale sowie das pragmatisch-utilitaristische Kooperationsverständnis auf den beiden unteren Ebenen. In beiden Fällen wird die Kooperation aufgrund äußerer Umstände eingegangen, weil entweder eine formale Kooperationsveranlassung vorliegt oder subjektive Problemerfahrungen und Eigeninteressen in den täglichen Arbeitszusammenhängen der einzelnen Kooperationspartner den Anstoß zur Kooperation bilden (vgl. PÄTZOLD 2001, 201). Lernortkooperationen, denen ein solches Kooperationsverständnis zugrunde liegt, bleiben jedoch immer im organisatorischen „Klein-Klein“ des beruflichen Alltagsgeschäfts verhaftet, ohne für die beteiligten Auszubildenden einen tatsächlichen Mehrwert im berufspädagogischen Sinne zu schaffen. Im besten Fall geht es dabei um die Optimierung von Lernprozessen durch eine effiziente Verbindung der verschiedenen Lernorte miteinander. Die Qualität individueller Bildungsprozesse besteht – in Anlehnung an BRONFENBRENNERS ökologische Sozialisationstheorie (1981) – aus pädagogischer Sicht jedoch darin, „...die Unterstützungspotenziale der einzelnen Lernorte zu entwickeln, die den lernenden Subjekten Chancen einer lern- und entwicklungsfördernden Verknüpfung bieten. Insofern steht hier nicht eine gemeinsame Zielfindung und Lernoptimierung zwischen den Lernorten an, sondern eine nach innen und außen gerichtete Strukturierung, die den Lernsubjekten den Aufbau eines entwicklungsfördernden, strukturierten, aber offenen Mesosystems einschließlich der Entwicklung systemübergreifender (Exosystem-)Perspektiven eröffnet“ (ECKERT 2004, 109). Um diesen Anspruch im Rahmen von Lernortkooperationen in der Praxis umzusetzen, ist auch ein entsprechendes Kooperationsverständnis der beteiligten Akteure notwendig. PÄTZOLD (2001, 201f.) benennt daher zwei weitere Kooperationstypen, nämlich das didaktisch-methodisch begründete Kooperationsverständnis und das bildungstheoretisch begründete Kooperationsverständnis. Ersteres verlangt von den kooperierenden Akteuren eine Auseinandersetzung mit den Begründungszusammenhängen berufsbezogenen Lernens und eine darauf basierende Entscheidung hinsichtlich der in der Lernortkooperation umzusetzenden didaktisch-methodischen Ansätze. Bei dem bildungstheoretisch begründetem Kooperationsverständnis müssen die Kooperationspartner zusätzlich ein gemeinsames, umfassendes bildungstheoretisches Verständnis mitbringen, aus dem sie für die Lernortkooperation maßgebliche Zielperspektiven in Bezug auf gesellschaftliches Handeln ableiten.

Inwieweit das im Kasseler Modellversuch „Schüler mit Entwicklungspotenzial erleben Berufsperspektive“ umgesetzte Tandem-Modell dazu beitragen kann, die in Abschnitt 2 benannten Ansprüche an Betriebspraktika im schulischen Übergangssystem zu erfüllen und gleichzeitig die im Rahmen von Lernortkooperationen auftretenden Probleme zu lösen, wird in den folgenden Abschnitten dargestellt und diskutiert.

4 Der Kasseler Modellversuch „Schüler mit Entwicklungspotenzial erleben Berufsperspektive“

Bei dem Modellversuch handelt es sich um eine Lernortkooperation im schulischen Übergangssystem, die im Rahmen eines berufsvorbereitenden Praktikums zwischen einer Berufsschule und einem Unternehmen aus dem metalltechnischen Bereich stattfand. Begleitet wurde die Lernortkooperation in Form eines Tandem-Modells von zwei Studierenden der Berufs- und Wirtschaftspädagogik aus dem Institut für Berufsbildung (IBB) der Universität Kassel. Die Studierenden haben dabei eine Steuerungsfunktion in Bezug auf die Kooperationsaktivitäten wahrgenommen und zugleich ihre im Studium erworbenen, theoretischen Kenntnisse zur pädagogischen Diagnostik in der Praxis erprobt. In diesem Abschnitt werden zunächst die am Modellversuch beteiligten Kooperationspartner und ihre konkreten, mit dem Modellversuch verbundenen Ziele vorgestellt (Abschnitt 4.1). Im Anschluss daran erfolgt die Darstellung der Vorgehensweise und der konkreten Inhalte des Modellversuches. Dabei waren zwei Punkte wesentlich: die Gliederung des Praktikums in eine Ausbildungs- und eine Umsetzungsphase (Abschnitt 4.2) sowie die intensive, fachliche und soziale Betreuung der Jugendlichen im Rahmen des Tandem-Modells durch die Studierenden (Abschnitt 4.3). In Abschnitt 4.3 wird außerdem die inhaltliche Verzahnung des Tandem-Modells mit den Studieninhalten der Lehrer/-innenbildung an der Universität Kassel aufgezeigt.

4.1 Kooperationspartner, Beteiligte und Ziele des Modellversuches

Der Modellversuch war ein Gemeinschaftsprojekt der Firma Antrok Lotz Barde GmbH Anlagentechnik aus Baunatal-Hertingshausen, dem Institut für Berufsbildung (IBB) der Universität Kassel, der Max-Eyth-Schule – einer beruflichen Schule mit gewerblich-technischer Ausrichtung in Kassel – und dem Institut für wissenschaftliche Organisations- und Personalentwicklung (I-WOP) aus Kassel. In dem Modellversuch haben fünf männliche Jugendliche im Alter von 16 bis 18 Jahren, die im schulischen Übergangssystem den Bildungsgang ‚Berufsvorbereitung Teilzeit’ besuchten, ein dreimonatiges, berufsvorbereitendes Betriebspraktikum mit metalltechnischem Schwerpunkt in dem Unternehmen absolviert. Dieses wurde von zwei Studierenden der Berufs- und Wirtschaftspädagogik des IBB im Rahmen eines Tandem-Modells intensiv fachlich und sozial-pädagogisch betreut.

Das Konzept für den Modellversuch wurde vom IBB entwickelt und in regelmäßig stattfindenden Treffen von den Kooperationspartnern gemeinsam weiterentwickelt (vgl. dazu auch WÖLK/ SCHÄFER 2009). Somit waren alle beteiligten Akteure an der inhaltlichen und organisatorischen Gestaltung des Modellversuches beteiligt und hatten die Möglichkeit, ihre Vorstellungen und Ziele in die praktische Umsetzung einzubringen. Während der regelmäßig stattfindenden Treffen wurden auch in der Praxis auftauchende Probleme angesprochen, Lösungsmöglichkeiten diskutiert und die weiteren Schritte gemeinschaftlich abgestimmt. Finanziert und initiiert wurde der Modellversuch durch das beteiligte Unternehmen, das die schwierige Lage auf dem Ausbildungsmarkt überwinden wollte und für den eigenen Betrieb potenzielle Auszubildende im metalltechnischen Bereich suchte. Dabei lagen der Entscheidung, die potenziellen Auszubildenden innerhalb einer Personengruppe zu suchen, die bisher nicht im Aufmerksamkeitsfokus des Unternehmens stand, nicht nur betriebliche Überlegungen zugrunde, sondern auch ein ausgeprägtes soziales Engagement des Unternehmensinhabers und der leitenden Angestellten in der Personalabteilung. Seitens der beteiligten Berufsschule bestand das Ziel des Modellversuches vor allem darin, die Jugendlichen aus dem schulischen Übergangssystem an das Arbeitsleben bzw. die Anforderungen des Berufsalltages heranzuführen, sie auf diese Weise auf eine Ausbildung vorzubereiten und ihre Berufsorientierung zu stärken. Das IBB als einer der beiden betreuenden und koordinierenden Partner des Modellversuches wollte mit der Erprobung des Tandem-Modells wiederum ein neuartiges Steuerungsmodell im Rahmen von Lernortkooperationen erproben und dabei gleichzeitig eine stärkere Verzahnung der Kasseler Lehramtsstudiengänge Berufs- und Wirtschaftspädagogik mit der Praxis erreichen.

Bei den fünf jugendlichen Praktikumsteilnehmern handelt es sich um ‚benachteiligte Jugendliche’, die aufgrund ihres schlechten oder nicht vorhandenen Bildungsabschlusses sowie aufgrund ihrer sozialen Umstände kaum in der Lage sind, selbstständig einen Ausbildungsplatz oder eine Beschäftigung zu finden. Die Elternhäuser der Jugendlichen zeichnen sich insgesamt durch ein geringes Einkommen bzw. Arbeitslosigkeit und dadurch bedingte prekäre Lebenslagen aus. Sie lassen sich weiterhin mit dem Begriff ‚bildungsfern’ beschreiben und bieten den Jugendlichen nur einen geringen sozialen Rückhalt. Auch fehlt die Unterstützung seitens der Eltern bei der Strukturierung ihres Tages oder der Organisation wichtiger behördlicher bzw. schulischer Angelegenheiten. Die Jugendlichen selber sind verhaltensauffällig und entwicklungsverzögert. Ihre Selbstregulationsfähigkeit und Konzentration sind stark eingeschränkt. Damit geht eine geringe Ausdauer und Motivation zur Bearbeitung oder Lösung von Aufgaben und Problemen einher. Hinzu kommt ein geringes Selbstwertgefühl, so dass die Selbstwirksamkeitserwartung der Jugendlichen insgesamt sehr schwach ausgeprägt ist. Somit liegt eine Akkumulation verschiedener Arten von Benachteiligung bei den Jugendlichen vor, ohne dass sie mit Bestimmtheit einer einzelnen, als benachteiligt im Sinne des Sozialgesetzbuches anerkannten Personengruppe zugeordnet werden könnten und eine spezielle, dringend benötigte Förderung erhielten. Stattdessen finden sie sich im schulischen Übergangssystem als Teilnehmer des Bildungsganges ‚Berufsvorbereitung Teilzeit’ wieder, in dessen Rahmen sie mit Hilfe berufsvorbereitender Betriebspraktika an eine Berufsausbildung herangeführt werden sollen. Diese Betriebspraktika werden aufgrund personaler Engpässe i. d. R. nur in geringem Maße durch die Berufsschule betreut – eine Kooperation der Lernorte findet somit kaum statt.

An diesem Punkt setzt der Modellversuch an: Da die Berufsorientierung der Jugendlichen bereits grundsätzlich auf den metalltechnischen Bereich ausgerichtet ist, bietet sich ein Betriebspraktikum im metalltechnischen Bereich an. Dabei sollten sie sowohl ihre fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten erweitern, als auch die Möglichkeit erhalten, ihre Sozial- und Selbstkompetenz durch die erfolgreiche Bearbeitung von Arbeitsaufträgen sowie die Bewältigung eines geregelten Arbeitsalltags, die Arbeit im Team und die Einbindung in die betrieblichen Abläufe weiter zu entwickeln. Die notwendige fachliche und sozial-pädagogische Betreuung wurde dabei von den Studierenden der Berufs- und Wirtschaftspädagogik des IBB geleistet. Bei ihnen handelte es sich um einen Diplomanden der Berufspädagogik, der in seinem Studium die berufliche Fachrichtung Metalltechnik gewählt hat und bereits Erfahrung in der Jugendsozialarbeit besitzt, und einen Diplomanden der Wirtschaftspädagogik, der seine Teilnahme an dem Modellversuch mit der Durchführung der im Studium geforderten betriebspraktischen Studien verbunden hat. Unterstützung bei der Wahrnehmung ihrer Betreuungsaufgaben erhielten sie in fachlicher Hinsicht vom Ausbildungsleiter des Unternehmens und in Bezug auf die sozial-pädagogischen Aspekte von der Ehefrau des Firmeninhabers, bei der es sich um eine ausgebildete Sozialpädagogin handelt.

4.2 Inhaltliche Gliederung des Betriebspraktikums

Das insgesamt dreimonatige Betriebspraktikum zeichnete sich durch seine Gliederung in eine vierwöchige Ausbildungs- und eine daran anschließende, achtwöchige Anwendungsphase aus. Während der Ausbildungsphase waren die Jugendlichen an vier Tagen pro Woche im Betrieb und besuchten an einem Tag pro Woche den Berufsschulunterricht. Dabei wurden ihnen gezielt praktikumsrelevante, theoretische Inhalte vermittelt, um sie bei der Durchführung der Praktikumsaufgaben zu unterstützen.

Im Betrieb erhielten die Jugendlichen zunächst eine fachliche ‚Grundausbildung’ im Metallbereich. Dazu gehörte neben der Unterweisung in Arbeitssicherheit und Unfallverhütung auch die Material- und Maschinenkunde. Um die Kenntnisse der Jugendlichen und ihr Leistungsniveau in Bezug auf die metalltechnischen Fertigkeiten anzugleichen, übten sie unter der Anleitung von Mitarbeitern und Studierenden zunächst die Grundfertigkeiten der Metallbearbeitung, wie z. B. Anreißen, Bohren, Gewinde schneiden und Schweißen. Auf diese Weise konnten sie sich zunächst mit den im Unternehmen eingesetzten Werkstoffen, Werkzeugen und grundlegenden Bearbeitungsverfahren vertraut machen, ohne dass Fehler sogleich Auswirkungen auf den laufenden Betrieb hatten. Zudem lernten sie die organisationalen Rahmenbedingungen in einer Werkstatt kennen und hatten die Möglichkeit, erste Kontakte zu den Mitarbeitern im Unternehmen aufzubauen. Die neu erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten setzten die Jugendlichen schließlich bei der gemeinsamen Bearbeitung eines realen Arbeitsauftrages ein, wobei sie durch die Studierenden und die Mitarbeiter des Unternehmens unterstützt wurden. Der Arbeitsauftrag, dessen Anforderungen an den Inhalten des ersten Ausbildungsjahres für Anlagenmechaniker ausgerichtet war, bestand im selbstständigen Bau eines Rohrbocks nach den Vorgaben einer technischen Zeichnung.

In der zweiten, achtwöchigen Praktikumsphase wurden die Jugendlichen schließlich im wöchentlichen Wechsel an verschiedenen Arbeitsplätzen und in unterschiedlichen Abteilungen sowie Unternehmensstandorten in Kassel eingesetzt. Dabei arbeiteten sie mit den anderen Beschäftigten des Unternehmens zusammen. Ziel war es, dass die Jugendlichen verschiedene Arbeitsbereiche des Unternehmens kennenlernten, wie z. B. die Instandsetzung, den Stahlbau mit der Schweißerei, Gießformen und Stanzwerkzeuge oder die Zerspanung. Auf diese Weise sollten sie ihre Kenntnisse und Fertigkeiten im Erleben verschiedener beruflicher Ernstsituationen erproben und weiter vertiefen.

4.3  Gestaltung des Tandem-Modells und Verzahnung mit den Studieninhalten der Lehrer/-innenbildung an der Universität Kassel

Als Tandem-Modell wird im Kasseler Modellversuch die organisatorische sowie fachliche und sozial-pädagogische Begleitung des Betriebspraktikums durch die beiden Studierenden der Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Universität Kassel bezeichnet. Sie fungierten in organisatorischer Hinsicht außerdem als Informationsschnittstelle zwischen dem Unternehmen, der Schule und dem Elternhaus, so dass im Betrieb oder der Schule auftauchende Probleme schnell gelöst werden konnten.

Speziell in Bezug auf die Jugendlichen diente das Tandem-Modell dazu, ihre soziale Integration in den Betrieb zu unterstützen, ihnen bei fachlichen sowie organisatorischen Problemen zur Seite zu stehen und sie zu motivieren, schwierige Situationen zu bewältigen. Die Jugendlichen sollten durch die Arbeit im Team, den Umgang mit den studentischen Betreuern und den Beschäftigten der Firma ein neues Verhaltensrepertoire erlernen, um sich in der Berufs- und Arbeitswelt zurechtzufinden. Beide Studierenden waren über die gesamte Dauer des Praktikums sowohl im Betrieb, als auch in der Schule anwesend und standen den Jugendlichen als feste Ansprechpartner zur Verfügung. Da einer der beiden studentischen Betreuer gemeinsam mit den Jugendlichen den in der ersten Praktikumsphase zu bearbeitenden Arbeitsauftrag ausführte, konnte eine intensive fachliche und sozialpädagogische Betreuung verwirklicht werden.

Um die Jugendlichen bestmöglich auf das Praktikum vorzubereiten und ihnen sowohl die Anforderungen als auch die möglichen Chancen des Praktikums vor Augen zu führen, haben die beiden Studierenden die Jugendlichen vor dem Praktikumsstart acht Wochen in der Berufsschule begleitet. Diese Informations- und Vorbereitungsphase beinhaltete neben einer Firmenpräsentation und der Vorstellung der Praktikumsinhalte auch eine Schulungsphase zur Erstellung der notwendigen Bewerbungsunterlagen. Zu diesem Zweck war einer der beiden studentischen Betreuer des Modellversuches drei- bis viermal mal pro Woche in der Schule anwesend, wobei er die Jugendlichen sowie ihre individuellen Wünsche, Bedürfnisse und Problemlagen kennenlernte. Nachdem die Praktikumsteilnehmer feststanden, setzten sich die Studierenden mit den Eltern der Jugendlichen in Verbindung. Sie suchten diese zu Hause auf und erläuterten ihnen das Ziel, die Inhalte und die Organisation des Praktikums. Gleichzeitig wurden die Eltern um Unterstützung gebeten, damit die Jugendlichen im Praktikum regelmäßig und pünktlich zur Arbeit kommen.

Darüber hinaus war die Umsetzung des Tandem-Modells in die Lehrer/-innenbildung an der Universität Kassel eingebunden. Im Rahmen eines Moduls zur pädagogischen Diagnostik haben sich die am Modellversuch beteiligten Studierenden zunächst mit den Aspekten Beobachtung, Beratung und Förderung im Rahmen von Unterricht auseinandergesetzt. Dabei wurden sowohl die Subjekt-, Potenzial- und Förderorientierung als Kriterien der diagnostischen Kompetenz behandelt, als auch pädagogische Interventionsmöglichkeiten sowie Ansätze zur Leistungsmessung und Stärkung der Selbstwirksamkeit und Selbsteinschätzung von Schüler/-innen aufgezeigt. Ziel dieses Moduls ist es, angehende Lehrer/-innen in diagnostischer Hinsicht auf ihr zukünftiges Aufgabenfeld vorzubereiten und ihnen dazu geeignete Methoden an die Hand zu geben. Weiterhin sollen sie für die Entwicklungszusammenhänge von Jugendlichen sensibilisiert und in die Lage versetzt werden, sich kritisch mit den verschiedenen Methoden des Beobachtens, Beratens und Förderns sowie den Modellen der pädagogischen Diagnostik auseinanderzusetzen. Die im Modul erworbenen Kenntnisse haben die Studierenden in den Modellversuch eingebracht, indem sie einen Beobachtungs- und Bewertungsbogen entwickelten, mit dessen Hilfe die Entwicklung der fachlichen und sozialen Kompetenzen der Jugendlichen im Laufe des Betriebspraktikums festgehalten wurde. Gleichzeitig haben sie durch die Fördergespräche mit den Jugendlichen vor und während des Betriebspraktikums sowie durch die aufsuchende Elternarbeit ihre theoretischen Kenntnisse hinsichtlich pädagogischer Interventionsmöglichkeiten praktisch erprobt. Die begleitende Supervision ermöglichte ihnen zudem die Rekonstruktion und Offenlegung ihrer subjektiven Theorien, so dass die Studierenden im Rahmen des Tandem-Modells auch ihr eigenes Handeln reflektieren und gegebenenfalls anpassen konnten.

In den folgenden Abschnitten werden die Ergebnisse des Modellversuches dargestellt. Inwieweit sich die in Abschnitt 3 aufgezeigten Probleme von Lernortkooperationen in struktureller, institutioneller und personeller Hinsicht durch den Ansatz des Kasseler Modellversuches „Schüler mit Entwicklungspotenzial erleben Berufsperspektive“ lösen lassen, wird in Abschnitt 5 diskutiert. Die Förderlichkeit des eingesetzten Tandem-Modells im Rahmen der Lehrer/-innenbildung und sein Nutzen für den Professionalisierungsprozess, auch in Bezug auf die Integrationsförderung, werden schließlich in Abschnitt 6 erörtert.

5  Ergebnisse des Modellversuches und Schlussfolgerungen für die Gestaltung von Lernortkooperationen im Übergangssystem

In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse des Kasseler Modellversuches dargestellt und der Nutzen des eingesetzten Tandem-Modells für die am Modellversuch beteiligten Jugendlichen aufgezeigt. Darüber hinaus wird die Frage diskutiert, inwieweit sich Tandem-Modelle zwischen den Praktikumsteilnehmern und Lehramtsstudierenden im Rahmen von Lernortkooperationen zur Lösung kooperationsspezifischer Probleme struktureller und personaler Art eignen, und damit zu einer verbesserten inhaltlichen und organisatorischen Abstimmung der beteiligten Akteure untereinander beitragen können.

5.1 Ergebnisse des Modellversuches hinsichtlich der Entwicklung der beteiligten Jugendlichen

Alle Jugendlichen haben das Praktikum bis zum Ende durchgeführt und die ihnen angebotene Verlängerung des Praktikums bis zum Sommer 2009 angenommen. Drei der fünf Jugendlichen haben im Herbst 2009 eine Ausbildung als Anlagenmechaniker im Praktikumsunternehmen begonnen, ein weiterer Jugendlicher hat einen Ausbildungsplatz zum Elektriker in einem anderen Unternehmen erhalten. Der fünfte Praktikumsteilnehmer holt derzeit seinen Hauptschulabschluss in der Berufsschule nach.

Weiterhin kann festgestellt werden, dass alle Jugendlichen ihre ‚metalltechnische Grundausbildung’ in der ersten Praktikumsphase erfolgreich absolviert haben. Der Ausbildungsleiter des Unternehmens bescheinigte ihnen diesbezüglich klare Fortschritte in der Handhabung der Werkzeuge, im Umgang mit den Maschinen und hinsichtlich der Integration in die organisatorischen Abläufe einer Werkstatt. Durch den Einsatz der neu erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten bei der selbstverantwortlichen Bearbeitung von Arbeitsaufgaben an verschiedenen Arbeitsplätzen im Unternehmen während der zweiten Praktikumsphase wurde zudem die Berufsorientierung der Jugendlichen gestärkt. Denn sie haben die Anforderungen, die der Beruf des Anlagenmechanikers an sie stellt, unter realen Arbeitsbedingungen erlebt und erfolgreich bewältigt.

Auch hinsichtlich des Sozialverhaltens konnten bei den Jugendlichen Fortschritte erzielt werden. Nachdem sie anfangs nur eine geringe Selbstwirksamkeitserwartung in Bezug auf die Erfüllung ihrer Arbeitsaufgaben zeigten, änderte sich dies im Laufe der Praktikumszeit. So stellten die Berufsschullehrer, der Ausbildungsleiter und die beiden studentischen Betreuer zur Mitte des Praktikums übereinstimmend fest, dass sich die Jugendlichen weiterentwickelt hatten. Sie kämen ihren Arbeitsaufgaben mit Fleiß und Ausdauer nach, hätten ein Pflicht- und Verantwortungsgefühl gegenüber ihren Arbeitsaufgaben entwickelt und seien in der Schule ruhiger und konzentrierter. Ebenso hat sich die Selbstwirksamkeitserwartung der Jugendlichen hinsichtlich der Lösung fachlicher Aufgaben im Laufe des Praktikums erhöht. Betont werden sollte zudem die Tatsache, dass es sich bei dem ersten, gemeinschaftlich zu bearbeitenden Arbeitsauftrag der Jugendlichen im Praktikum um die Herstellung eines notwendigen Betriebsmittels handelte. Dies hat die Motivation der Jugendlichen zusätzlich gesteigert, da ihnen auf diese Weise von Beginn des Praktikums an vermittelt wurde, dass ihre Tätigkeiten im Betrieb wichtig waren und die Qualität ihres Arbeitsergebnisses eine betriebsrelevante Bedeutung hatte.

Für die Motivation der Jugendlichen stellte sich zudem als sehr wichtig heraus, dass ihnen zu Beginn des Praktikums von dem Unternehmen ihre Arbeitskleidung mit aufgedrucktem Firmen-Logo zur Verfügung gestellt wurde. Dies trug zur Identifikation der Jugendlichen mit dem Unternehmen bei, was sich beispielsweise darin zeigte, dass sie die Arbeitskleidung auch in der Schule und in der Freizeit trugen. Die Annahme der Praktikantenrolle sowie die Identifikation mit dem Unternehmen und die Ausbildung eines Pflicht- und Verantwortungsbewusstseins gegenüber ihrer Aufgabenerfüllung wurden auch dadurch unterstützt, dass die Jugendlichen mit ihren Erfolgserlebnissen vor den Klassenkameraden glänzen konnten: Schließlich eigneten sie sich nicht nur neues Wissen an, sondern verdienten auch Geld. Die Vergütung des Praktikums mit € 10,- pro Anwesenheitstag stellte sich dabei als geglücktes Entlohnungsmodell heraus, da die Jugendlichen ihre Fehltage am Monatsende sogleich als finanzielle Einbuße spürten.

Ein weiteres, wichtiges Ergebnis des Modellversuches ist die Bedeutung der aufsuchenden Elternarbeit. Sie bewirkte eine verstärkte Unterstützung der Jugendlichen seitens ihres privaten Umfeldes. Dies führte auch zur Einhaltung der Arbeitszeiten und anderer Termine durch die Jugendlichen. Sofern Probleme durch individuelle Problemlagen, unentschuldigte Ausfallzeiten, Verspätungen oder Krankheiten auftraten, konnten diese durch die Kontaktaufnahme der Studierenden mit den Eltern und der Berufsschule schnell geklärt und gelöst werden. Zu den Betreuungsaufgaben der Studierenden zählten neben der fachlichen Hilfe auch die Unterstützung beim Ausfüllen des Berichtsheftes, die Koordination von inner- und außerbetrieblichen Terminen der Jugendlichen sowie die Erteilung von Nachhilfeunterricht in verschiedenen Schulfächern. Diese Form der Betreuung war für die Jugendlichen von großer Wichtigkeit. Dabei war der Umstand, dass die Studierenden für die Jugendlichen ständig greifbar waren, besonders bedeutsam. Auf diese Weise entwickelten sich die studentischen Betreuer zu einer sozialen Stütze der Jugendlichen, ohne die sie kaum die Energie aufgebracht hätten, das Betriebspraktikum bis zum Ende durchzuführen.

5.2 Der Einsatz des Tandem-Modells als Steuerungsfunktion im Rahmen der Lernortkooperation

Wie in Abschnitt 3 dargestellt wurde, erfordern die mit Lernortkooperationen einhergehenden strukturellen und personalen Probleme Maßnahmen zur Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Kooperationspartnern sowie zur Verbesserung der Voraussetzungen für Lernortkooperationen. Dabei ist jedoch zwischen solchen Maßnahmen zu unterscheiden, die der Verbesserung der inhaltlichen Zusammenarbeit dienen und solchen, die eine gezielte Koordination und Steuerung von Lernortkooperationen zum Ziel haben. Die Ausweitung von Lernortkooperationen auf weitere Akteure, wie z. B. Kammern, Verbände oder die Arbeitsverwaltung, und die damit einhergehende regionale Vernetzung stellt vor allem unter inhaltlichen Aspekten einen wichtigen Schritt zur qualitativen Verbesserung der Zusammenarbeit dar. Das Problem der gezielten Koordination und Steuerung von Lernortkooperationen wird auf diese Weise jedoch nicht gelöst, sondern eher verstärkt. Denn mit der Ausweitung der Kooperationspartner vervielfachen sich gerade jene Abstimmungsprozesse, die bereits in ‚klassischen’ Lernortkooperationen zwischen beruflichen Schulen und Betrieben als problematisch erkannt wurden.

Dieses Problem wurde – u. a. angeregt durch die im Rahmen des von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung initiierten Schwerpunktprogramms ‚Kooperation der Lernorte in der beruflichen Bildung (KOLIBRI)’ durchgeführten Modellversuche sowie von dem bayerischen Modellversuch ‚kobas’ – in der Vergangenheit mit der Einrichtung von Koordinierungsstellen zur Initiierung und Verstetigung von Lernortkooperationen zu lösen versucht. Speziell für die regionale Vernetzung und Verankerung von Lernortkooperationen ist dieses Vorgehen von großer Bedeutung, da ein ‚unabhängiger’ Akteur in diesem Fall als koordinierende Instanz auftritt und den Austausch unter den Kooperationspartnern anregt. Damit können die in der Alltagspraxis auftauchenden Probleme von Lernortkooperation jedoch nur ansatzweise gelöst werden. Diese bestehen nämlich häufig in einem eklatanten Ressourcenmangel, der den dringend notwendigen, schnellen und informellen Kontakt zwischen den Kooperationspartnern erschwert oder gar behindert. Um Lernortkooperationen effektiv zu unterstützen, ist es daher notwendig, ein Steuerungskonzept zu entwickeln, das sowohl die inhaltlich-qualitative Zusammenarbeit der Kooperationspartner unterstützt, als auch eine koordinierende Funktion übernimmt.

Im Kasseler Modellversuch „Schüler mit Entwicklungspotenzial erleben Berufsperspektive“ wurde ein solches Konzept durch die Einbeziehung von Studierenden der Berufs- und Wirtschaftspädagogik in eine Lernortkooperation zwischen einer beruflichen Schule und einem Betrieb erprobt. Die Studierenden haben die Jugendlichen dabei im Betriebspraktikum und im Berufsschulunterricht im Rahmen eines Tandem-Modells betreut, begleitet und beobachtet. Ihre Aufgabe war es, den Jugendlichen als ständige, feste Ansprechpartner für alle Arten von Problemen im Betrieb und in der Schule zur Verfügung zu stehen und gleichzeitig das Verhalten der Jugendlichen nach zuvor festgelegten Kriterien der pädagogischen Diagnostik zu beobachten. Da die Studierenden die am Modellversuch beteiligten Jugendlichen in beiden Lernorten betreuten, fungierten sie zudem als Informationsschnittstelle und damit als wichtige, organisatorische Steuerungsinstanz, die mit den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort vertraut war. Zugleich stellten sie für die beteiligten Kooperationspartner eine Entlastung dar, da sie zur schnellen Lösung von Problemen fachlicher, organisatorischer und sozial-pädagogischer Art in beiden Lernorten zur Verfügung standen. Auf diese Weise hat das umgesetzte Tandem-Modell zwischen Jugendlichen und Studierenden nicht nur zu einem reibungslosen Praktikumsablauf beigetragen, sondern auch die Zusammenarbeit der Kooperationspartner maßgeblich unterstützt und verbessert.

Diese Aussage gilt auch in Bezug auf die inhaltlich-qualitative Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Kooperationspartnern. Da die Studierenden bereits in die Konzeptions- und Vorbereitungsphase des Modellversuches einbezogen waren, konnten sie nicht nur zur Abstimmung der berufsschulischen Unterrichtsinhalte und der fachlichen Praktikumsinhalte beitragen, sondern ihre didaktisch-methodischen Kenntnisse aus dem Studium direkt in die Entwicklung des fachlichen Arbeitsauftrages für die Jugendlichen in der ersten Praktikumsphase einbringen. Damit haben die Studierenden maßgeblich dazu beigetragen, dass die beteiligten Kooperationspartner während der gemeinsamen Treffen ein Einverständnis über das didaktische Vorgehen im Betriebspraktikum erzielten, den durch die Jugendlichen zu bearbeitenden Arbeitsauftrag gemeinsam entwickelten und dabei ein umfassendes, handlungsorientiertes Lehr- und Lernkonzept zu Grunde legten, das auf dem bestehenden Vorwissen der Jugendlichen aufbaute. Auf diese Weise entwickelte sich das zunächst eher pragmatisch-utilitaristische Kooperationsverständnis der beteiligten Kooperationspartner im Verlauf des Modellversuches zu einem didaktisch-methodisch begründetem Kooperationsverständnis.

6 Schlussfolgerungen für eine interinstitutionelle Kooperation in der Lehrer/-innenbildung

Praktische Phasen besitzen in der Lehrer/-innenbildung eine große Bedeutung für den Professionalisierungsprozess der Studierenden. Diese sollen im Rahmen schulischer und betrieblicher Praktika ihr im Studium erworbenes, theoretisches Fachwissen sowie ihre didaktischen Fähigkeiten im Praxiseinsatz erproben und auf diese Weise berufliche Handlungskompetenz erlangen. Bezug nehmend auf das Konzept der reflexiven pädagogischen Professionalisierung (ARNOLD 2005) wirken nach ARNOLD und GOMEZ TUTOR (2005, 164f.) in der beruflichen Handlungskompetenz drei Dimensionen von Professionalität zusammen: das fachliche Wissen zur Planung und Bewertung pädagogischer Situationen, das Können zur Durchführung und Gestaltung pädagogischen Handelns sowie die Reflexion des eigenen pädagogischen Handelns, um dieses in Zukunft gegebenenfalls zu verändern. Um den Prozess der reflexiven pädagogischen Professionalisierung im Lehramtsstudium zu fördern, sind die praktischen Phasen i. d. R. in das Studium integriert und werden im Rahmen entsprechender Seminare begleitet.

In das Studium der Berufs- und Wirtschaftspädagogik an der Universität Kassel sind solche Praktikumsphasen ebenfalls integriert. Allerdings dienen sie hauptsächlich dem didaktischen und fachwissenschaftlichen Kompetenzerwerb der Studierenden. Der in der Lehrer/-innenbildung ebenfalls wichtige Aspekt des diagnostischen Kompetenzerwerbs bleibt dabei weitgehend ausgeklammert. Um dieses Problem zu lösen, wurde der Modellversuch in ein Modul zur pädagogischen Diagnostik eingebunden. Die beteiligten Studierenden haben hier zunächst theoretische, diagnostische Kenntnisse erworben und diese im Sinne der Theorie-Praxis-Verzahnung im Rahmen des Modellversuches erprobt. Dabei haben sie mit Hilfe von Beobachtungs- und Bewertungsbögen die Entwicklung der fachlichen und sozialen Kompetenzen der Jugendlichen im Laufe des Betriebspraktikums verfolgt. Die dabei auftauchenden Probleme wurden im Rahmen der begleitenden Supervision mit den betreuenden Dozenten diskutiert, was den Studierenden eine theoriegeleitete Reflexion und Interpretation ihrer Vorgehensweise und ihrer Handlungen in verschiedenen praktischen Situationen ermöglichte. Gleichzeitig wurde auf diese Weise das Verhalten der Jugendlichen interpretiert. Damit setzte bei den Studierenden eine spiralförmige Entwicklung von Aktion und Reflexion ein, die zur Integration der neu erworbenen Erfahrungen in ihr bestehendes, theoretisches Vorwissen sowie zu Handlungsänderungen in der Praxis führte.

Darüber hinaus zeigt das im Kasseler Modellversuch erprobte Tandem-Modell zwischen Jugendlichen und Studierenden im Rahmen einer Lernortkooperation eine Möglichkeit auf, wie speziell im Hinblick auf die Integrationsförderung eine interinstitutionelle Kooperation für die Lehrer/-innenbildung fruchtbar gemacht werden kann. So konnten die am Modellversuch beteiligten Studierenden nicht nur ihr fachliches und didaktisches Wissen bereits in die Vorbereitung des Betriebspraktikums einbringen, sondern zugleich ihre sozial-pädagogischen (Betreuungs-)Fähigkeiten testen, Managementerfahrungen in der Koordination verschiedener Akteure mit unterschiedlichen Interessen und Zielen sammeln und dabei gleichzeitig Kooperationskompetenzen aufbauen. Gerade letzteres stellt für PÄTZOLD einen wichtigen Aspekt der Lehrer/-innenbildung dar. So müssten „...Kooperationselemente in der Aus- und Weiterbildung des Lehr- und Ausbildungspersonals einen höheren Stellenwert erhalten [...] Dazu gehören u. a. die Bereitschaft zum Gedankenaustausch als Grundlage für Problemlösungen, Akzeptanz von Kritik, Bereitschaft zum gegenseitigen Informationsaustausch, aktive Förderung des Gruppenklimas durch Vermittlung bei Konflikten, die Bereitschaft und Flexibilität, sich mit anderen (Fach-)Gebieten und Meinungen inhaltlich auseinander zu setzen und sich in andere Bereich einzuarbeiten und hineinzudenken“ (PÄTZOLD 2001, 210f.).

Schließlich zeigt der Kasseler Modellversuch einen Ansatz auf, wie Studierende mit einem grundsätzlichen Interesse an der Integrationsförderung an diesen Bereich herangeführt werden können. So hat der Umgang mit den Jugendlichen im Rahmen des Modellversuches bei den Studierenden nach eigenen Aussagen zu einem tieferen Verständnis für die besonderen Problemlagen der Jugendlichen beigetragen. Dies ist gerade vor dem Hintergrund erfreulich, als dass die Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik in der DGfE im ‚Memorandum zur Professionalisierung des pädagogischen Personals in der Integrationsförderung aus berufsbildungswissenschaftlicher Sicht’ nachdrücklich darauf hinweist, dass die berufliche Integrationsförderung im Studium der Berufs- und Wirtschaftspädagogik angesichts der Herausforderungen durch das quantitative Wachstum des Übergangssystems bisher zu wenig Beachtung gefunden hat.


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Zitieren dieses Beitrages

WÖLK, M. (2009): Interinstitutionelle Kooperationen als Gestaltungsperspektive für Betriebspraktika im Übergangssystem. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 17, 1-20. Online: www.bwpat.de/ausgabe17/woelk_bwpat17.pdf (17-12- 2009).

 

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