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bwp@ Ausgabe Nr. 18 | Juni 2010
Individuelle Bildungsgänge im Berufsbildungssystem
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 18 sind Karin Büchter, Anke Grotlüschen & H.-Hugo Kremer

Grundbildung am Übergang Schule-Beruf und die Bedeutung der individuellen Kompetenzentwicklung

Beitrag von Eva ANSLINGER & Eva QUANTE-BRANDT (Universität Bremen & Akademie für Arbeit und Politik)

Abstract

Ausgangspunkt des Beitrags ist der Befund, dass Jugendliche und junge Erwachsene, die nach Pisa zur Risikogruppe gerechnet werden können, weitere Kompetenzen benötigen, um an das Regelsystem der beruflichen Bildung anschließen zu können. Jedoch werden die zum Teil wenig entwickelten Kenntnisse im Bereich der Grundbildung in den Maßnahmen des Übergangssystems weder systematisch diagnostiziert noch gefördert, da zum einen davon ausgegangen wird, dass diese Kenntnisse im Lesen und Schreiben nicht ressourcenorientiert zu fördern sind. Zum anderen sind die Verfahren zur Kompetenzfeststellung für Bildungsträger sowie für Schulen zu zeitaufwendig und nicht zu finanzieren. Die Unterrichtsgestaltung sowie deren Umsetzung durch das pädagogische Personal setzen daher weder umfassend an den Kenntnisständen noch an den Bedürfnissen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen an, um einen subjektiv passenden Übergang zu ermöglichen. Gleichzeitig sind die Maßnahmeninhalte und deren Ziele für die Lernenden nicht transparent, was sich sowohl auf die Entwicklung der individuellen Kompetenzstände auswirkt als auch auf das erfolgreiche Einmünden in Ausbildung. Anhand qualitativer Daten aus dem Projekt Literalitätsentwicklung von Arbeitskräften, Teilprojekt Prozessbegleitende Diagnostik am Übergang Schule-Beruf, wird herausgearbeitete, über welche Kenntnisstände die Lernenden im Bereich der Grundbildung verfügen und wie eine Kompetenzerweiterung ermöglicht werden kann.


Basic education at the transition between school and work and the significance of individual development of competence

The starting point of this paper is the finding that young people and young adults who, following PISA, can be allocated to the risk group require further competences in order to go on to the regular system of vocational education and training. However, the, in part, rather undeveloped knowledge in the area of basic education is not being systematically diagnosed or supported in the measures within the transition systems, since, on the one hand, the assumption is that these numeracy and literacy skills cannot be supported in terms of funding. On the other hand, the processes for establishing the competences in education providers as well as schools are too time-consuming and too cost-intensive. The teaching curriculum as well as the actual teaching by the teaching staff therefore does not comprehensively build on either the level of knowledge or the needs of the young people and young adults, in order to make a subjectively appropriate transition possible. At the same time the content of the measures and their aims are not clear for the young people, which has consequences not only for the development of their individual levels of competence, but also for the success of their transition into training. Using qualitative data from the project ‘Developing Literacy of Employees’, and the sub-project of ‘The Process of on-going Diagnosis at the Transition between School and Work’, this paper analyses the levels of knowledge of learners in the area of basic education and how it can be made possible for these competences to be improved.

1 Problemaufriss/Einleitung

Die Veränderungen der Arbeitsgesellschaft von einer Industrie- und Produktionsgesellschaft zu einer Dienst- und Wissensgesellschaft wirken sich umfassend auf das System der beruflichen Bildung aus. Das Qualifikations- und Anforderungsniveau an junge Erwachsene steigt stetig, so dass Jugendlichen, die nach Pisa zur so genannten Risikogruppe gezählt werden, der Übergang zu einer Berufsausbildung trotz des prognostizierten Fachkräftemangels weiter erschwert bleibt.
Kennzeichen der Risikogruppe sind u. a. gering entwickelte und altersgerechte Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Mathematik und den damit zusammenhängenden geringeren Kompetenzen zum Transfer von Kenntnisständen (GRUNDMANN 2007). Ebenso wird vielfach das wenig entwickelte Potenzial an sozialer Kompetenz angemerkt. Gründe werden in den sozialen Lebenslagen gesehen, die vielfach von Armut im umfassenden Sinne geprägt sind (VESTER 2009, Deutsches Pisa-Konsortium 2001). Die Schüler und Schülerinnen ohne Schulabschlüsse bzw. mit Hauptschulabschluss verfügen über schlechte Einmündungsvoraussetzungen in das duale System. Einerseits wirken Vorurteilsstrukturen der Betriebe bezüglich der Kompetenzen der jungen Erwachsenen, aber andererseits ist auch festzustellen, dass den Jugendlichen z. T. formale Grundlagen fehlen, um in das duale System in seiner gegenwärtigen Verfasstheit einmünden zu können. Diese Diskrepanz hat sich nicht zuletzt deshalb auch verschärft, weil die Neuordnung der Ausbildungsberufe nicht genügend mit kontinuierlichen Nachlernprozessen für junge Erwachsene begleitet wird.
Damit der formale Schulabschluss nicht das alleinige Einmündungskriterium für das duale System bleibt, haben sich unter der Federführung der Bundesagentur für Arbeit die Bündnispartner auf einen Katalog zur „Ausbildungsreife“ (Bundesagentur für Arbeit 2009) verständigt. In diesem werden Indikatoren benannt, die die Ausbildungsfähigkeit junger Erwachsener qualitativ beschreiben. Interessant an dieser Herangehensweise ist die Trennung formaler Schulabschlüsse von Kompetenzen im Bereich Lesen, Schreiben und Mathematik,  was insbesondere für Migrantinnen und Migranten sowie für die Risikogruppe generell eine Integrationswirkung in das duale System haben kann. Eine genauere Betrachtung des umfangreichen Kataloges zeigt, dass das beschriebene Niveau in den Basiskompetenzen der Grundbildung nicht unterhalb der formalen Schulabschlüsse liegt. Die zusätzliche Perspektive auf die Sozialkompetenz ist eine sinnvolle Ergänzung auf die Ausbildungsfähigkeit, und dies eröffnet bei einer Höhergewichtung dieses Kompetenzbereiches ggf. einen Zugang zum dualen System, der bei einer ausschließlichen Betrachtung des Schulabschlusses nicht möglich geworden wäre. Aus einer Einmündung dieser Schüler- und Schülerinnengruppe erwächst aber für den sich anschließenden Bildungsbereich, dass Förderangebote vorgehalten werden, um diese Basiskompetenzen nachlernen zu können.    
Zweierlei Aspekte an dem Katalog sind kritisch zu betrachten: Erstens suggeriert der Reifungsbegriff einen natürlichen Prozess der Herausbildung dieser Fähigkeiten, obwohl allseits bekannt ist, dass die Wirkungen der sozialen Lebenslage eindeutig die Entwicklung von Kompetenzen beeinflussen und ein gesteuerter Bildungsprozess erforderlich ist, damit junge Erwachsene den Kriterien der Ausbildungsfähigkeit entsprechen können. Zweitens bleibt unklar, wie diese Kompetenzen in den unterschiedlichen Aufgabenfeldern festgestellt werden, stützt sich diese lediglich auf das Erfahrungswissen der Akteure. Es ist zu befürchten, dass der Katalog zur Ausbildungsreife aufgrund der Unschärfe nur die Selektion am Übergang Schule-Beruf weiter befördert. Dies wird im folgenden Beitrag deutlich werden, wenn der Frage nachgegangen wird, ob aufwendig, nach Qualitätsstandards (vgl. DRUCKREY 2007) konzipierte Kompetenzfeststellungsverfahren in den Nachqualifizierungsmaßnahmen Anwendung finden.
Die politischen Forderungen zur besseren Integration der Risikogruppe werden verbunden mit der besseren Entwicklung und Unterstützung von Sprach- und Literalitätsfähigkeiten. Damit kommt einer systematischen Entwicklung der Lese- und Schreibfähigkeiten in der allgemein bildenden Schule eine zentrale Bedeutung zu, die auch für den Übergang von der Schule in den Beruf zentral ist. GRUNDMANN (2007) vertritt die These, dass 15% der Ausbildungsstellenbewerber und -bewerberinnen mangels ausreichender Lese- und Schreibkompetenz von den Ausbildungsbetrieben nicht in das Ausbildungssystem aufgenommen werden. Diese These deckt sich mit dem Befund der BIBB-Übergangsstudie, in der eine Gruppe von 20% identifiziert werden konnte, die zwar in das Übergangssystem einmündet, aber im Verlauf von 36 Monaten nicht den Sprung in das Ausbildungssystem schafft (vgl. BEICHT et al. 2008). Insgesamt konnte in der Studie festgestellt werden, dass niedrige Schulabschlüsse die Chance auf eine betriebliche Ausbildung drosseln. Dieses gilt insbesondere für neue Berufe und Berufe im höheren Dienstleistungsgewerbe. Berufe, in die Jugendliche mit Hauptschulabschluss einmünden können (z.B. Bau- und Baunebenberufe), wurden in den letzten 10 Jahren sukzessiv abgebaut (vgl. SOLGA 2009), so dass auch in diesen Bereichen nur noch junge Erwachsene mit guten Abgangszeugnisnoten Chancen auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz haben. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, wie die Angebote der beruflichen Bildung Jugendliche und junge Erwachsene mit schlechteren Zugangsvoraussetzungen über den Einsatz von Kompetenzfeststellungsverfahren passgenau in Angebote des Übergangssystems integriert werden können und welche Bedarfe sie im Kernfach Deutsch aufweisen, um eine Anschlussfähigkeit an das duale Ausbildungssystem herzustellen.
Der Beitrag nimmt die Problematik fehlender Grundbildungskenntnisse am Übergang Schule-Beruf auf und thematisiert zunächst die Möglichkeiten der ressourcenorientierten Förderdiagnostik von Literalität und deren Anschluss an Kompetenzfeststellungsverfahren sowie die Bereitschaft von Lehrkräften und Teilnehmenden, sich diesem Thema zuzuwenden. Im zweiten Teil des Beitrags wird anhand der Untersuchung von Abschlussarbeiten im Übergangssystem gezeigt, welche Bedarfe junge Menschen im Bereich der Literalität aufweisen. Der letzte Abschnitt befasst sich mit der systematischen Förderung von Literalität in Maßnahmen des Übergangssystems. Anschließend wird diskutiert, inwieweit das Thema Förderdiagnostik von Literalität in eine Curriculumentwicklung des Übergangssystems bzw. auch im dualen System Eingang finden sollte, um Jugendlichen die Möglichkeit zu eröffnen, die biografische Statuspassage Schule-Ausbildung besser bewältigen zu können.

Sample der Untersuchung

Um die Lese- und Schreibkompetenzen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen am Übergang Schule-Beruf einschätzen zu können, wurden im Rahmen des Projekts „Literalitätsentwicklung von Arbeitskräften1, Teilprojekt Prozessbegleitende Diagnostik am Übergang Schule-Beruf“ Jugendliche und junge Erwachsene nach subjektiven Einschätzungen ihrer eigenen Literalitätskompetenzen qualitativ befragt. Gleichzeitig wurden die Einschätzungen von Lehrkräften in den Bildungsgängen den Aussagen der Lernenden gegenübergestellt. Für die in diesem Artikel vorgestellten Ergebnisse wurde eine Sonderauswertung der Daten vorgenommen. In das Sample wurden drei unterschiedliche Institutionen aufgenommen, die Maßnahmen des Übergangssystems durchführen. Dabei wurden ein national agierender, anerkannter Weiterbildungsträger, ein regionaler Bildungsträger und eine Berufsschule des Landes Bremen berücksichtigt. In der qualitativ angelegten Befragung wurden 31 Lernende (16 weibliche und 15 männliche) unterschiedlicher berufsorientierender und -vorbereitender Bildungsgänge leitfadengestützt interviewt. Der Migrationsanteil liegt bei ca. einem Drittel (32%). Neben den Lernenden wurden 16 Lehrende derselben Ausbildungsgänge befragt und in die Analyse einbezogen.
Darüber hinaus wurden zur besseren Einschätzung der Schreibfähigkeiten von Jugendlichen am Übergang Schule-Beruf 81 Deutscharbeiten einer an der Befragung beteiligten Institution analysiert. Die Arbeiten sind angelehnt an die Anforderungen an eine allgemeinbildende Hauptschulabschlussprüfung, die in berufsorientierten Bildungsgängen durchgeführt werden.

2 Kompetenzfeststellung und Literalitätsförderung am Übergang Schule-Beruf

Kompetenzfeststellungsverfahren sollen jungen Erwachsenen am Übergang Schule-Beruf eine umfassende Orientierung hinsichtlich ihrer Könnensstände sowie hinsichtlich ihrer Eignung zu einem bestimmten Berufsfeld ermöglichen. Dabei wird der Ansatz verfolgt, Diagnostik von Handlungskompetenzen mit beruflichen Anforderungen zu verbinden und gezielt, mit Blick auf die spezifischen Bedarfe der Lernenden, umzusetzen im Sinne einer passgenauen Förderung. Die verschiedenen am Markt existierenden Kompetenzfeststellungsverfahren beziehen sich dabei auf unterschiedliche Berufsbilder vor allem im dualen System der Berufsbildung. Besonders die simulations- bzw. handlungsorientierten Verfahren bilden berufliche Handlungskompetenzen ressourcenorientiert ab, um im Rahmen der Maßnahme individuelle Förderbedarfe zur Herstellung von Ausbildungsreife anregen zu können (vgl. QUANTE-BRANDT et al. 2009). Hierzu wurden Qualitätsstandards entwickelt, mit denen verschiedene Methoden von Kompetenzfeststellungsverfahren bewertet werden können (Zusammenfassung der Qualitätsstandards vgl. DRUCKREY 2007). Die Standards setzen sich aus drei Bereichen zusammen: erstens die grundlegenden pädagogischen Prinzipien (z.B. Kompetenzansatz, Subjektorientierung, Transparenzprinzip), zweitens die Standards zur professionellen Umsetzung (z.B. Qualifizierung des pädagogischen Personals) und drittens die systematische Beobachtung und Bewertung (vgl. QUANTE-BRANDT et al. 2009, 68). Die pädagogische Durchführung ist an verschiedene Bedingungen geknüpft, die den Einsatz von qualifiziertem pädagogischen Personal, angemessene Beobachtungssituationen sowie der schriftlichen Dokumentation der Ergebnisse und die Rückmeldung an die Teilnehmenden erfassen (vgl. BYLINSKI 2008, 45). Verbindet man die oben dargestellten Qualitätsstandards von Kompetenzfeststellungsverfahren mit förderdiagnostischen Prinzipien, können Nachlernprozesse junger Erwachsener in der Grundbildung unterstützt werden, obwohl davon ausgegangen werden muss, dass die Weiterentwicklung der Literalität zunächst durch die Lernenden negativ besetzt ist und ein ressourcenorientierter Zugang nicht auf der Hand liegt.
Eine systematische Literalitätsdiagnostik kann u. E. mit vorhandenen Kompetenzfeststellungsverfahren verbunden werden und als eine Ergänzung bzw. teilweise Vertiefung und Erweiterung der Diagnostik verstanden werden. Literalitätsdiagnostik ist also unter dem Aspekt der Zusätzlichkeit in die Verfahren zu integrieren. Nach didaktischen Grundsätzen, die sich aus der Methode ergeben, muss die förderdiagnostische Literalitätsentwicklung vom pädagogischen Fachpersonal in die strukturellen und curricularen Gegebenheiten eingebunden werden (vgl. QUANTE-BRANDT et al. 2009). Werden jedoch Kompetenzfeststellungsverfahren nach den oben genannten Qualitätsstandards in der Praxis umgesetzt? Welche Rolle wird dabei der Grundbildung zugemessen?

2.1 Kompetenzfeststellung aus der Sicht von Lehrkräften

Kompetenzfeststellungen werden in den drei untersuchten Bildungsgängen sehr unterschiedlich ein- und umgesetzt. Diese reichen von selbst entwickelten Verfahren von einzelnen Lehrkräften über trägerinterne Verfahren bis zu standardisierten Verfahren, die jedoch meist durch einen externen Träger durchgeführt werden. Getestet werden soziale Kompetenzen, Rechtschreibfähigkeiten oder berufsfachliche Kompetenzen. Im Fokus stehen meist soziale und schulische Kompetenzen.  
Die Kompetenzfeststellung bei einem anerkannten Weiterbildungsträger in Bremen wird, je nach Maßnahme, von einem externen Träger durchgeführt. Die Kompetenzfeststellung dient als ein Selektionskriterium, um eine zielgerichtete Zuweisung zu Maßnahmen der aufnehmenden Institution sicherzustellen. Damit ist die Zielsetzung der Kompetenzfeststellung nicht auf Ressourcenorientierung ausgerichtet. Beim aufnehmenden Träger erfolgt dann keine systematische Kompetenzfeststellung mehr, und die Ergebnisse aus der Testung werden nicht an das Lehrpersonal weitergeleitet. Aus diesem Grund erfassen die befragten Lehrkräfte beim Weiterbildungsträger die Kompetenzen und soziografischen Hintergründe der Teilnehmenden ein weiteres Mal, meist über persönliche Gespräche (Eingangsgespräche). Die Einschätzung basiert im Wesentlichen auf den Erfahrungen und der Menschenkenntnis der Lehrkräfte. Ein standardisierter Test zur Erfassung der Sprachfähigkeit erfolgt bei Migrantinnen und Migranten, die im Unterricht als förderbedürftig aufgefallen sind. Dieser im Multiple Choice-Verfahren durchgeführte Test bildet laut Lehrkraft die Sprachkompetenzen der Lernenden nur zum Teil ab. Der Test wird deshalb durch eigene Verfahren zur Erfassung der Literalität ergänzt, beispielsweise durch Diktate.
Auch bei dem zweiten befragten Träger, der überwiegend Berufsorientierungs- und Berufsvorbereitungsmaßnahmen im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit umsetzt, werden z.T. die Kompetenzfeststellungsverfahren durch die abgebende Institution durchgeführt (Bundesagentur für Arbeit oder BAgIS – Bremer Arge). Kritisch angemerkt wird jedoch von den Lehrkräften, dass die dort ermittelten Ergebnisse aus Datenschutzgründen nicht an die aufnehmende Institution weitergegeben werden dürfen. Hier muss, wie beim oben benannten Bildungsträger, eine weitere Kompetenzfeststellung durchgeführt werden. Doch können keine standardisierten Verfahren verwendet werden aufgrund des hohen personellen Aufwandes und der dadurch entstehenden hohen Kosten. Um dennoch einen Überblick über die Kompetenzen der Lernenden zu erhalten, wurde vom Träger ein eigenes Verfahren entwickelt. In diesem Verfahren werden mit der Hilfe von Checklisten Selbst- und Fremdeinschätzungen der Lernenden erhoben sowie ein Profiling durchgeführt. Dabei werden vor allem überfachliche und allgemeine Kompetenzen am Anfang, in der Mitte und am Ende der Maßnahme erfasst. Generell zielt ein Profiling auf die Vermittlung in ein existierendes Anforderungsprofil in einem Unternehmen und weniger auf die Ermittlung von Kompetenzen und Lernbedarfen in einer Bildungsmaßnahme. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Begrifflichkeiten, aber auch die Zielsetzung der eingesetzten Verfahren diffus sind. Werden unsystematisch Verfahren eingesetzt, können unrealistische Erwartungshaltungen gegenüber der Zielgruppe gezeichnet werden, die vor allem bei der Grundbildung zu einem ungeeigneten Förderansatz führen können.
Ergänzt wird das Kompetenzfeststellungsverfahren des Trägers durch Einzelgespräche. Zur Erfassung der Literalität werden von einzelnen Lehrkräften eigens konzipierte Tests durchgeführt, die meist ein Diktat und das Lösen von Grundrechenaufgaben enthalten. Eine Lehrkraft erläutert in diesem Zusammenhang, dass in einigen Maßnahmen des Bildungsträgers generell keine Assessments oder Profilings durchgeführt würden, da die Teilnehmenden zu schwach seien, um diesen Test „zu bestehen“ (Zitat LK). Man wolle weitere Negativerfahrung der ohnehin sehr belasteten Zielgruppe vermeiden. Werden die oben erwähnten Verfahren zur Selektion eingesetzt, kann die Aussage der Lehrkraft in den Gesamtkontext eingeordnet werden. Versteht man aber Kompetenzfeststellung zur Ermittlung von Ressourcen, kann davon ausgegangen werden, dass die pädagogischen Fachkräfte die Chancen und Möglichkeiten systematisch angelegter Verfahren unterschätzen bzw. Kompetenzfeststellung generell in einen anderen bzw. falschen Kontext einordnen.  
In der schulisch durchgeführten Berufsorientierung an einer Berufsschule in Bremen werden bislang ebenfalls keine systematischen Kompetenzfeststellungen durchgeführt. Die Lehrkräfte sind auf ihre individuellen Kenntnisse und Erfahrungen in Bezug auf die Kompetenzen von Lernenden am Übergang Schule-Beruf angewiesen. Auch in dieser Institution haben einige Lehrkräfte eigene Verfahren entwickelt, die maßgeblich auf die Erfassung schulischer Kompetenzen beschränkt sind. Berufsfachliche oder überfachliche Kompetenzen werden mit den Verfahren nicht ermittelt. Um auch in diesem Bereich kompetenzorientiert arbeiten zu können, äußern einige Lehrkräfte den Wunsch nach einem „guten Verfahren“ (Zitat LK), um ein umfassenderes Bild mit individuellen Stärken und Schwächen der Lernenden zu erhalten. Zurzeit versuchen die Lehrkräfte nach eigener Aussage, sich dem „Level der Schüler im Unterricht anzunähern“ (Zitat LK), ohne diesen Level konkreter zu bestimmen.
Insgesamt werden nach den Aussagen der Lehrkräfte in unterschiedlichen Institutionen am Übergang Schule-Beruf keine standardisierten Verfahren zur Feststellung von berufsfachlichen-, überfachlichen- oder Literalitätskompetenzen umgesetzt. In allen drei untersuchten Institutionen sind die Lehrkräfte bei der Erfassung von Kompetenzen auf ihr Erfahrungswissen angewiesen. Um dieses Erfahrungswissen zu ergänzen, werden meist eigene Verfahren entwickelt, die insbesondere auf die Erfassung schulischer Kompetenzen abzielen. Mit dem Schreiben eines Diktats oder mit dem Lösen von Grundrechenaufgaben werden den Lernenden in erster Linie ihre schulischen Defizite aufgezeigt. Aus der Sicht von Lehrkräften in Maßnahmen des Übergangssystems wären ressourcenorientierte Verfahren zur umfangreichen Erfassung von überfachlichen und berufsfachlichen Kompetenzen sowie die ressourcenorientierte Erfassung schulischer Kompetenzen hilfreich, um einerseits leistungshomogenere Lerngruppen bilden zu können und um andererseits im Förderprozess an den Kompetenzen der jungen Erwachsenen direkt ansetzen zu können. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Ergebnissen einer weiteren Untersuchung im Rahmen des Projekts lea, Teilprojekt Beraten, Prüfen und Zertifizierung, bei der 22 Institutionen des Bremer Weiterbildungs- und Übergangssystems befragt wurden, wie Kompetenzfeststellung in der jeweiligen Institution umgesetzt wird (vgl. SCHÜGL 2009).

2.2 Kompetenzfeststellung aus der Sicht von Lernenden

Die Umsetzung von Kompetenzfeststellungsverfahren aus der Sicht von Lernenden in Maßnahmen des Übergangssystems differiert stark hinsichtlich der Maßnahmen und der Zusammensetzung der Lerngruppen. In der schulischen Berufsorientierung finden nach Aussage der Befragten vor allem PC-gestützte Testverfahren aus dem Internet (Berufe.net) Anwendung sowie Ausflüge zu regionalen Berufsinformationsmessen, die aber mit Kompetenzfeststellungsverfahren nicht in Verbindung stehen. Die Ergebnisse dieser Internet-Testverfahren sind nach Angaben der Lernenden oft unbefriedigend und geben nur unzureichend berufliche Orientierung, wie das Zitat eines Lernenden zeigt: „Hm… Berufsorientierungstest hab ich schon mal im Internet gemacht, damals. Kam aber nicht direkt was bei raus, der sagte mir nur, ich soll irgendwie Grabpfleger werden oder…äh Altenpfleger und… hab mir das nur durchgelesen, was man da halt machen muss, ja, und dann hab ich gleich entschieden, nee, das machst du nicht, ne? Und hab dann halt versucht, generell selber halt durch Praktika und so einen eigenen Weg zu finden“ (Zitat ZG). Ein weiterer Nachteil dieser Verfahren ist die unzureichende Rückmeldung über spezifische Kompetenzen der Getesteten. Es werden lediglich in Frage kommende Berufsfelder benannt, die Jugendliche interessieren könnten. Die eingesetzten Verfahren dienen zwar der Orientierung im Ausbildungssystem, sind aber nicht in den Kontext von Kompetenzfeststellung einzuordnen, in denen handlungsorientiert Kompetenzen und Fähigkeiten von Lernenden gezielt herausgearbeitet werden und die Zone der nächsten Entwicklung bestimmt wird.
Werden umfangreichere Tests durchgeführt, beispielweise bei den abgebenden Institutionen, berichten die Lernenden über Stresssituationen in der Testsituation: „In acht Minuten musst du so und soviel Aufgaben fertig haben und ich hab das nicht richtig hingekriegt und dann hab ich gesagt, ich hör auf damit, ich geh einfach. Und dann bin ich halt weggegangen, hab gesagt tschüß, ich krieg das nicht hin“ (Zitat ZG). Statt Ressourcen zu ermitteln, werden die jungen Erwachsenen eher frustriert, da Grenzen z.B. in der Konzentrationsfähigkeit bestätigt werden, nicht aber Ressourcen der Jugendlichen festgestellt werden, an denen ein sinnvoller Förderprozess anschließen kann.
Des Weiteren ist auffällig, dass viele der Befragten sich zwar an die Teilnahme an einem Testverfahren erinnern, aber dennoch keine Details zu Inhalten oder Ergebnissen der Tests benennen können. Vielmehr berichten sie über ihre Gefühle in der Situation (vgl. oben), oder sie erläutern, dass der Test bestanden wurde: „Habe ich bestanden“ (Zitat ZG). Diese Aussage irritiert vor allem deswegen, da diese Verfahren detailliert Auskunft über Kompetenzen geben sollen und nicht vergleichbar sind mit schulischen Abschlussprüfungen oder betrieblichen Einstellungstests, die bestanden oder nicht bestanden werden können.
Insgesamt entsteht der Eindruck, dass den befragten jungen Erwachsenen am Übergang Schule-Beruf nicht deutlich ist, was ein Kompetenzfeststellungsverfahren ist, welchem Zeck es dient und wie die Ergebnisse in den Förderprozess einfließen. Gleichzeitig gehen nur wenige der Befragten auf die konkreten Feststellungsverfahren in der Maßnahme ein. Die durchgeführten Einzelgespräche oder Selbst- und Fremdeinschätzungen werden meist nicht in den Kontext von Kompetenzfeststellung eingeordnet. Um Lernende in den Förderprozess einzubeziehen, müssen die standardisierten oder eigenen Verfahren so gestaltet und umgesetzt werden, dass Kompetenzfeststellung und die Inhalte der Fördermaßnahme - auch von den Lernenden - in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht werden. Dazu werden neben geeigneten Verfahren, die den oben benannten Qualitätsanforderungen Rechnung tragen, geeignete Rückmeldungssysteme an die Zielgruppe benötigt, um den Lernenden in seinen eigenen Förderprozess einzubeziehen. Diese Offenlegung des Lernprozesses für den Lernenden stärkt junge Erwachsene in mehrfacher Weise: Erstens fühlen sich die Lernenden ernst genommen. Zweitens lernen die jungen Erwachsenen, dass sie für ihren Lernprozess Verantwortung tragen (im Sinne des Lebenslangen Lernens), und drittens können sie den Förderprozess selbst steuern und ihre Interessen und Kompetenzen in die Maßnahme einbringen.  

2.3 Zwischenfazit und Schlussfolgerungen

Die für das Übergangssystem konzipierten Kompetenzfeststellungsverfahren können meist aus Kostengründen nicht flächendeckend in die Bildungsgänge integriert werden, da sie einen zu hohen Fortbildungsbedarf von Lehrkräften sowie einen hohen Personaleinsatz in der Umsetzung benötigen. Ohne eine finanzielle Absicherung von Kompetenzfeststellungsverfahren ist auch die Qualität von Fördermaßnahmen in den untersuchten Bildungsgängen nicht gewährleistet. Der Erwerb der Verfahren, vor allem aber die Qualifizierung des Personals, ist besonders bei den handlungsorientierten Verfahren sehr kostenaufwendig. Dieser Umstand ist problematisch, da qualifiziertes Personal die grundlegende Voraussetzung eines erfolgreichen Einsatzes von Kompetenzfeststellung am Übergang Schule-Beruf ist (vgl. QUANTE-BRANDT et al. 2009). Aus den vorgenannten Gründen existiert zurzeit im Übergangssystem keine geförderte Kultur von systematischen Kompetenzfeststellungsverfahren.
Teilweise lösen die Verantwortlichen dieses Problem mit selbst konzipierten Verfahren. Damit kann den formalen Ansprüchen und Erwartungen an eine qualitativ hochwertige Umsetzung von Kompetenzfeststellungsverfahren meist nicht Rechnung getragen werden, da die umfangreichen Qualitätsstandards in diesen Verfahren keine Anwendung finden. Werden von abgebenden Institutionen umfangreichere Kompetenzfeststellungsverfahren im Vorfeld von Maßnahmen durchgeführt, dienen diese Verfahren mehr der Zuweisung in Bildungsgänge, und damit wirken sie selektiv, statt fördernd. Auch die mangelnde Weitergabe der Ergebnisse aus diesen Verfahren trägt eher zu einer Testmüdigkeit und Verschwendung von Ressourcen bei den jungen Erwachsenen bei, als dass passgenaue Förderangebote daraus initiiert werden könnten. Es existiert keine Transparenz darüber, welche Verfahren zu welchem Zweck eingesetzt werden. Damit wird auch dem Subjektbezug nur zum Teil Rechnung getragen, da die Lernenden nicht autonom und emanzipatorisch in den Kompetenzfeststellungs- und Förderprozess eingebunden sind.
Wünschenswert wäre eine Kopplung von Kompetenzfeststellungsverfahren mit förderdiagnostischen Instrumenten zur Literalitätsentwicklung, um einen umfassenden Förderprozess am Übergang Schule-Beruf anstoßen zu können. Da allerdings eher eigene Verfahren Anwendung finden als Verfahren, die den ermittelten Qualitätsstandards folgen, wird auch eine qualitativ hochwertige und ressourcenorientierte Einbettung von Literalitätsdiagnostik erschwert.  

3 Grundbildung am Übergang Schule-Beruf

Junge Erwachsene am Übergang Schule-Beruf, die auf Nachlernprozesse angewiesen sind, haben aufgrund negativer Schulerfahrungen, die häufig durch soziale Faktoren verstärkt werden, ihre Literalität nicht altersgemäß entwickeln können. Gleichzeitig sind „gute schulische Basiskenntnisse“ ein Kriterium für Ausbildungsreife, allerdings sind die Kriterien im Segment der sogenannten „Sprachbeherrschung“, unter die auch Rechtschreibung, Lesen und Mathematik fallen, nicht klar ausdifferenziert und reichen von einfachen Kenntnissen bis zu anspruchsvollen Niveaus weit über dem eines Hauptschulabschlusses (vgl. Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife der Bundesagentur für Arbeit 2009, 22) hinaus. Vor allem brüchige Schullaufbahnen, die meist bereits im Grundschulalter ihren Ausgangspunkt haben, sind für die Lücken in den schulischen Kenntnissen verantwortlich. Gründe für brüchige Schulkarrieren sind häufige Umzüge, oft bedingt durch schwierige Familienkonstellationen und schlechte Wohnverhältnisse sowie längerfristige Krankheiten, soziale Probleme in der Familie und in der Schule, ein Durchreichen nach „unten“ bis zur Förderschule sowie Schulabsentismus (vgl. RICKING et al. 2009, 14 ff.). Unabhängig vom Grund für längere Schulabstinenz sind die Auswirkungen auf die Grundbildung von jungen Erwachsenen eklatant. Jugendliche und junge Erwachsene haben sich fragmentiertes Wissen angeeignet, das sie oft nicht in einen Zusammenhang mit aktuellen Anforderungen in der Ausbildungs- und Arbeitswelt bringen können. Wenn die jungen Erwachsenen in das Ausbildungssystem eingemündet sind, werden die entstandenen Lücken in der Literalität zu einem immer größeren Problem. Vor allem, wenn schwierige Fachtexte erschlossen werden müssen bzw. die jungen Erwachsenen frei formulieren sollen, beispielsweise beim Schreiben des Berichtsheftes, werden die Lücken zu einer unüberwindbaren Hürde, die zu Ausbildungsbrüchen führen können. Befinden sich die Lernenden noch am Übergang Schule-Beruf und streben das Nachholen eines Schulabschlusses an, werden die Probleme beim Schreiben einer Inhaltsangabe oder einer Stellungnahme im Rahmen von Klausuren deutlich. Dann ist ein Maßnahmeabbruch eine häufige Konsequenz.
Um den Stand der Literalitätskenntnisse mit dem Schwerpunkt Schreiben von jungen Erwachsenen am Übergang Schule-Beruf besser einschätzen zu können, wurden im Rahmen des Projekts „Literalitätsentwicklung von Arbeitskräften, Teilprojekt Prozessbegleitende Diagnostik am Übergang Schule-Beruf“, 81 Deutscharbeiten verschiedener schulischer Berufsorientierungsgänge analysiert und ausgewertet.

3.1 Heterogene Schreibkenntnisse von Lernenden am Übergang Schule-Beruf  

Die Deutscharbeiten der Schülerinnen und Schüler wurden mit einem speziellen Blick auf die Rechtschreibung mit den Teilbereichen Groß- und Kleinschreibung, Dopplungen und Dehnungen sowie Interpunktion und auf das Textverständnis hin analysiert. Aufgabe der Lernenden war es, zu einem Zeitungsartikel mit dem Thema Schuluniformen eine Inhaltsangabe und anschließend eine Stellungnahme zu verfassen. Angelehnt ist die Aufgabe an eine zentrale Deutschprüfung zum Hauptschulabschluss, wie sie in einigen Bundesländern wie Niedersachsen und Baden-Württemberg durchgeführt wird. Anhand einer Fehleranalyse der Schriftsätze sollte geprüft werden, inwiefern auch die spezifischen Kompetenzen der Lernenden aus diesen abgeleitet werden können und inwieweit dieses Vorgehen ein praktikabler Weg für Lehrkräfte ist, Kompetenzstände im Schreiben zu erheben, um daraus Förderansätze zu initiieren.
Die detaillierte Fehleranalyse hat ergeben, dass jede Schülerin/jeder Schüler unterschiedlich große Probleme mit der Rechtschreibung hat: Entweder haben sie kaum Schwierigkeiten in nur einem oder aber in mehreren der analysierten Teilbereiche. Die Streuung innerhalb der Teilbereiche ist ebenfalls sehr groß: Der kleinste Fehlerquotient im Teilbereich „Rechtschreibung insgesamt“ lag bei 0,46%, der höchste bei 16,5%. Ausdifferenziert in die Teilbereiche fällt auf, dass die Schülerinnen und Schüler die meisten Fehler im Bereich der Groß- und Kleinschreibung machen, gefolgt von Dopplungsfehlern. Dehnungsfehler hingegen stellen ein marginales Rechtschreibproblem dar: 51 der 81 Schüler haben keinen Dehnungsfehler gemacht.
Die meisten Grammatikfehler stellten ein vergessenes oder zusätzliches „s“ beim Wort „das“ oder „dass“ dar. Im Bereich der Interpunktion fällt auf, dass nur wenige der Schülerinnen und Schüler fehlerfrei die Satzzeichen setzen können. Vor allem das Setzen von Kommata fällt den Untersuchten schwer. Einige schreiben ihren Aufsatz im wahrsten Sinne des Wortes „ohne Punkt und Komma“, so dass der höchste Fehlerquotient im Bereich der Interpunktion bei 11,84 % liegt.
Zur Einordnung der Ergebnisse in die Modelle zur Schriftsprachentwicklung wurde eine Vielzahl von Modellen analysiert, die sich im Wesentlichen auf PIAGETS kognitives Entwicklungsmodell beziehen. Dieses basiert auf vier aufeinander aufbauender, irreversiblen  Entwicklungsstufen, beginnend mit dem Säuglingsalter (Sensomotorische Phase; 0. bis 2. Lebensjahr) bis ins Jugendalter (Phase der formalen Operation; ab 11./12. Lebensjahr) (vgl. GUDJONS 1995, 124). In der Forschung zur Entwicklung der Schriftsprache hat sich nach NICKEL (2006, 100) folgendes, dreistufiges Phasenmodell durchgesetzt:

  1. Funktionsphase: Einsicht in den von anderen Zeichensystemen unterschiedlichen Charakter der Schrift;
  2. Strukturphase: Einsicht in die „technologische Logik“ der Phonem-Graphem-Korrespondenzen;
  3. Normphase: Einsicht in die konventionelle Schreibweise.

 Die zweite Phase, die Strukturphase, ist beim Rechtschreibregelerwerb besonderes wichtig. Die Laut-Buchstabe-Kongruenz ist die bedeutsamste Regelmäßigkeit der deutschen Sprache, so dass sich nach RICHTER (1998) eine regelgerechte Rechtschreibung nicht entwickeln kann, wenn die Lernenden dieses Prinzip nicht erkannt haben. Dennoch kann man lauttreu, aber gleichzeitig falsch schreiben. Die Erkenntnis, dass die Schrift nicht immer lauttreu ist, markiert den Übergang der Lernenden von der zweiten zur dritten Phase des Schriftsprachenerwerbs, der Normphase. In der dritten Phase wird gelernt, dass Schriftsprache übergreifenden Regeln unterliegt. Wann genau welche Regeln erlernt werden, ist bislang wissenschaftlich noch nicht endgültig geklärt. SCHEERER-NEUMANN (1989) geht allerdings davon aus, dass die Groß- und Kleinschreibung und Kenntnis über die Wortfamilien (Morphemkonstanz) relativ früh gelernt wird. SPITTA (1988) konkretisiert diese Phase und geht davon aus, dass die grundlegenden Kenntnisse im Rechtschreibsystem im Alter von acht bis neun Jahren erlernt werden, also noch in der Grundschule. Ein Teil der getesteten Lernenden ist auf der Stufe der phonematischen Schreibung (Funktionsphase) stehengeblieben. Diese Lernenden haben Schreibstrategien aus den höheren Phasen entweder gar nicht erst angewendet oder diese fehlerhaft gebraucht. Der überwiegende Teil der jungen Erwachsenen macht in Texten Fehler aufgrund eines mangelnden Regelwissens. Dies betrifft vor allem die Fehler in der Groß- und Kleinschreibung sowie in der Interpunktion als auch die Verwendung der Konjunktion das/dass. Deutlich wird insgesamt, dass die jungen Erwachsenen wenig Erfahrung in der Textproduktion aufweisen, dieses betrifft einerseits die Länge von Sätzen (oft zu lang und unverständlich) als auch die Satzkonstruktion (Verwendung von Zeiten etc.).
Richtet man den Blick lediglich auf die von den Lernenden gemachten Fehler, können zwar Probleme einzelner Lernender im Schreiben eindrucksvoll aufgezeigt werden, jedoch hat man damit noch keine Informationen darüber, welche Bereiche der Schriftsprache bereits erlernt wurden (im Sinne eines ressourcenorientierten Ansatzes) und welche Entwicklungsschritte (Zone der nächsten Entwicklung) in dem anschließenden Förderprozess bearbeitet werden sollen. Die ausschließliche Fehleranalyse ist u. E. nur als Selektionskriterium ein geeignetes Instrument, um beispielsweise leistungshomogene Gruppen zu bilden. Analysiert man also lediglich die Rechtschreibung nach Fehlern, kann man dem Postulat der Kompetenzorientierung zur Förderung der Schreibfähigkeiten junger Erwachsener im Übergangssystem nicht Rechnung tragen.
Kompetenzmodell und E-Assessment zur Bestimmung der Zone der nächsten Entwicklung
Das Kompetenzmodell zur förderdiagnostischen Bestimmung von Schreibkenntnissen des Verbundprojekts „lea.“ (vgl. GROTLÜSCHEN et al. 2010) orientiert sich nicht an Fehlern in geschriebenen Texten, sondern an sogenannten Kann-Beschreibungen, analog zum gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen bzw. den Bildungsstandards für das Fach Deutsch. Das lea.-Kompetenzmodell ist strukturiert in sechs Niveaustufen. Die unterste Niveaustufe (alpha 1) setzt bei der Buchstabenkenntnis an, die höchste Niveaustufe (alpha 6) beschreibt den Kenntnisstand auf Hauptschulabschlussniveau. Zurzeit wird das Kompetenzmodell empirisch überprüft, aufgrund dessen möglicherweise einzelne Kann-Beschreibungen revidiert und neu zugeordnet werden.

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Der Vorteil einer solchen Diagnostik  - orientiert an den Kompetenzen der Lernenden - liegt darin, dass man den Lernenden die negativen Lern- und Diagnostikerfahrungen erspart, da sie oder er nur solange getestet wird, bis die Leistungsgrenze erreicht ist. Darüber hinaus sind die Feststellung von Schreibkompetenzen anhand einer Dokumentenanalyse, die sehr zeitaufwendig ist, und die Bestimmung der Förderbedarfe von heterogenen Lerngruppen nicht immer in der Praxis durchführbar, auch weil die Lehrkräfte in mehreren Klassen tätig sind. Um den Getesteten sowie dem Lehrpersonal eine qualitativ hochwertige und zeitnahe Rückmeldung der Testergebnisse zu ermöglichen sowie die Motivation, an einem Testverfahren teilzunehmen, zu erhöhen, wird das Diagnostikinstrument zusätzlich als E-Assessment gestaltet. Dieses Verfahren ist weniger zeitintensiv und kann auch in größeren Lerngruppen umgesetzt werden. Die Lehrkraft erhält für alle Lernenden eine umfassende Kompetenzbeschreibung in der Dimension Schreiben und kann damit binnendifferenzierte Förderangebote anschließen.
Überträgt man die oben ausgeführte Fehleranalyse auf das Kompetenzmodell, werden generell zweierlei Dinge deutlich: erstens bewegen sich die Kompetenzen der jungen Erwachsenen ca. zwischen den Alpha-Levels 2 - 6, d.h., die jungen Erwachsenen verfügen über unterschiedliche Kompetenzen, die auf verschiedenen Kompetenzstufen liegen und sich als ein „Puzzle“ oder „Patchwork“ darstellen. Zweitens zeigt die Analyse der Deutscharbeiten von jungen Erwachsenen am Übergang Schule-Beruf, dass ihre Kenntnisstände sehr heterogen sind. Zur Einordnung der ermittelten Fehler der Lernenden in das Kompetenzmodell wurden die gemachten Fehler den im Kompetenzmodell ermittelten Kann-Beschreibungen zugeordnet. Damit können zunächst lediglich Aussagen darüber getroffen werden, auf welcher Stufe eine bestimmte Fehlerquelle nicht mehr auftreten darf. Zur Einordnung in Kompetenzen wurden daher nicht die Fehler, sondern die bereits gut gekonnten Formulierungen der Deutscharbeiten analysiert (allerdings lediglich exemplarisch, da dieses Verfahren besonders zeitaufwendig ist) und auf die Kann-Beschreibungen übertragen.
Die Strategien der Lernenden, einen Text zu verfassen, sind sehr unterschiedlich. Es besteht die Tendenz, dass Lernende in einer niedrigeren Kompetenzstufe nur wenige oder keine Formulierungen verwenden, die auf Alpha-Stufe fünf oder sechs angesiedelt werden können. Dies spricht dafür, dass das lea.-Kompetenzmodell eine Rangfolge aufweist. Andererseits werden Formulierungen auf einem niedrigen Alpha-Level z.T. falsch verwendet, höhere Alpha-Levels hingegen werden richtig geschrieben. Dies spricht dafür, dass die Kompetenzen der Lernenden nicht immer einer Hierarchisierung folgen und eher ein „Patchwork“ auf unterschiedlichen Stufen darstellen. Ursachen für das „Patchwork“ an Kompetenzen liegen z. T. darin, dass sich die jungen Erwachsenen im Verlauf der Schulzeit im Bereich der  Literalität Kenntnisse aneignen konnten, die zum Teil aber wieder vergessen wurden oder im Alltag keine Anwendung finden. Ein Teil der Jugendlichen benötigt vor allem im Bereich von Rechtschreibung/Regelwissen eine passgenaue Förderung, um ein Kompetenzniveau in der Nähe des Hauptschulabschlusses zu erreichen. Ca. ein Drittel benötigt eine intensive Förderung, ansetzend auf Kompetenzstufe alpha 2, da sie lediglich über wenige „Puzzleteile“ im Bereich der Schriftsprache verfügen. Daher ist eine umfangreiche Diagnostik, orientiert an den Kann-Beschreibungen und daraus abgeleitet die Zone der nächsten Entwicklung, unumgänglich zum Anstoßen eines passgenauen und kompetenzorientierten Förderprozesses.
Insgesamt ist eine Analyse der Richtigschreibung in Aufsätzen in Abgleich mit Fehlern äußerst umfangreich und in der Praxis nicht umsetzbar. Zur ressourcenorientierten Bestimmung und Förderung von Literalität reicht es daher u. E. nicht aus, die Lernenden ein Diktat schreiben zu lassen, um anhand der produzierten Fehler die Kenntnisse zu bestimmen. Mit dieser Methode werden zwar Grenzen in der Rechtschreibung aufgezeigt, nicht aber die bereits erworbenen Kompetenzen. Zur passgenauen Förderdiagnostik werden daher kompetenzorientierte Verfahren benötigt, wie beispielsweise das lea.-Diagnostikinstrument, um eine passgenaue, kompetenzorientierte Förderung zu initiieren.  

3.3 Förderung von Literalität am Übergang Schule-Beruf aus der Sicht der Lehrkräfte

Vergleicht man die Aussagen der Lehrenden zur Literalität ihrer Lerngruppen mit der Analyse der Deutscharbeiten, ist generell festzustellen, dass einige Lehrkräfte die Literalitätskenntnisse der Lernenden relativ präzise einschätzen können: „Aber normalerweise kommen die, also beherrschen die das ABC und die können die Buchstaben und die Laute schreiben und sie können auch nach Lauten schreiben bis auf diese üblichen Schwierigkeiten...ja... mit Dehnungsbuchstaben und Verdopplungen und das große Problem der Groß- und Kleinschreibung“ (Zitat LK). Eine Förderdiagnostik, möglichst als E-Assessment zur Bestimmung des genauen Kenntnisstandes, kann eine Arbeitserleichterung für die Lehrkräfte darstellen (s.o.). Zwar seien die Kenntnisstände einzelner Lernender durchaus bekannt, jedoch sind in den Lernsituationen meist zwischen 10 und 20 Lernende mit unterschiedlichen Niveaus und daraus resultierenden unterschiedlichen Förderbedarfen, die von einer Lehrkraft nicht in den Unterrichtssituationen aufgearbeitet werden können.
Weitaus problematischer als die Diagnostik ist nach Aussagen von Lehrkräften die Durchführung von binnendifferenziertem, passgenauem Unterricht in den jeweiligen Fördersituationen. Dabei verfolgen die befragten Lehrkräfte unterschiedliche Strategien. Einerseits versuchen sie, sich am mittleren Niveau der Lerngruppe zu orientieren und z.T. über verschiedene Aufgabenstellungen auch die unterschiedlichen Kenntnisstände der Lernenden in den Unterricht zu integrieren. Andere wiederum ziehen aus dem Internet verschiede Arbeitsmaterialien, auch mit Grundschulinhalten, um die Teilnehmenden in den Maßnahmen beispielsweise zu einem Hauptschulabschluss zu führen. Benötigt werden nach Aussagen der Lehrkräfte vor allem Materialien, die aufeinander aufbauen und an den Interessen von jungen Erwachsenen ansetzen: „Das müsste aber so Material auch sein, was aufeinander aufbaut. Meistens hab ich mir ja mühevoll irgendwo welches gesucht. Ich hab mal gesucht oder hab mal in [allgemeinbildenden] Schulen Lehrer gefragt, sag mal, wie mach ich das jetzt eigentlich oder wie sieht das eigentlich aus. Das wäre natürlich schon schön, da welche zu haben, aber die [Lernenden] sind halt eben erwachsen. Die sind also volljährig“ (Zitat LK). Vor allem in Maßnahmen des außerschulischen Übergangssystems werden in dieser Hinsicht Bedarfe formuliert. In der schulischen Berufsorientierung wird bemängelt, dass die curricular-didaktischen Vorgaben, die zu einem Hauptschulabschluss führen sollen, von vielen Lernenden noch nicht erfüllt werden können, oder die Lehrkräfte, speziell für die Deutschförderung, über kein geeignetes Curriculum verfügen, um die Lernenden gezielt auf die Prüfung vorzubereiten. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der gewählten Berufsfelder und unter Berücksichtigung der Dauer von Maßnahmen.
Ein maßgebliches Problem in der Förderung der Literalität am Übergang Schule-Beruf stellt der Zeitfaktor dar. Zwar seien „80 bis 90 Prozent eigentlich clever genug […], diese Defizite aufzuarbeiten“ (Zitat LK), allerdings sind Maßnahmen, die sich zum Teil noch nicht mal über den Zeitraum von einem Jahr erstrecken, zu kurz, um Lücken im Lesen und Schreiben zu schließen. Dies betrifft vor allem sehr schwache Lernende oder Migrantinnen und Migranten, die erst vor kurzer Zeit nach Deutschland eingewandert sind und die deutsche Sprache noch nicht hinreichend beherrschen: „Wir können [es in der Maßnahme] nicht leisten, dass diese gravierenden Rechtschreibschwächen innerhalb von sechs Monaten behoben werden“ (Zitat LK).
Der letzte Punkt, der von den Lehrkräften im Zusammenhang mit der Förderung der Literalität angesprochen wird, ist der Bedarf an Aus- und Weiterbildung in der Initiierung von Nachlernprozessen junger Erwachsener im Bereich der Literalität. Es werden vor allem Fortbildungsbedarfe im Bereich der Deutschförderung von sehr schwachen Lernenden im jungen Erwachsenenalter geäußert sowie im Umgang mit heterogenen Lerngruppen.

3.4 Förderung von Literalität am Übergang Schule-Beruf aus der Sicht der Lernenden

Die Lernenden schätzen analog zu den Lehrkräften ihre Kenntnisse im Lesen und Schreiben recht differenziert ein. Daher sind sie - so die Vermutung - auch in der Lage, die Angemessenheit des Förderunterrichts im jeweiligen Bildungsgang beurteilen zu können. Der Einbezug der Lernenden in den Förderprozess ist in zweierlei Hinsicht bedeutsam. Erstens wird die Motivation der Lernenden gefördert, wenn sie in den Förderprozess aktiv eingebunden werden und an ihrem Kenntnisstand angesetzt wird. Zweitens brechen die jungen Erwachsenen in einem Förderprozess relativ schnell weg, wenn sie unter- oder überfordert werden (vgl. LEHMANN et al. 2006). Setzt der Unterricht nicht an den Interessen und den Kenntnisständen der Lernenden an, werden auch keine Lernfortschritte erzielt.
Die aktive Einbindung der Lernenden betrifft die Offenlegung der Inhalte, aber auch der Lernziele. Ist für die jungen Erwachsenen dieses nicht klar, äußern sie Unzufriedenheit in Bezug auf die Inhalte, aber auch in Bezug auf Methoden und die verwendeten Lernmaterialien: „Die letzten Tage haben wir, ja, Texte für Textverständnis gekriegt und wir sollen… ja, einfache Texte, er [die Lehrkraft] kommt dann mit Grundschulsachen an und das ist das Problem, also… Okay gut, wir haben ein paar Leute, die sprechen kaum Deutsch. Wir haben auch ein paar Leute, die, die gar keinen Abschluss haben oder gerade mal so den Hauptschulabschluss geschafft haben, aber es ist auch sehr schwierig, das alles unter einen - unter einen Hut zu kriegen, was ich auch verstehe, aber es ist - wie gesagt - mit A. [Lehrkraft] ist das sowieso immer schwer. Ich hab manchmal das Gefühl, dass er sowieso gar keine Lust hat irgendwas zu machen, von daher… Na ja“ (Zitat ZG). Im Zitat wird darüber hinaus eine weitere Dimension angesprochen, die für den Lernprozess bedeutsam ist. Die Lernenden entwickeln im Laufe der Schulzeit ein Gespür für die Qualität der Lehre sowie für die Motivation der Lehrkräfte. Nehmen diese die jungen Erwachsenen nicht engagiert mit auf den Lernweg, steigen die Jugendlichen ebenfalls gedanklich aus. Nachlernprozesse im Bereich der Literalität werden - so das Ergebnis - von den Lernenden in vielschichtiger und sensibler Weise wahrgenommen.
Insgesamt zeigt sich, dass eine Diagnostik von Kompetenzen dann sinnvoll ist, wenn sich daran ein individueller Förderprozess anschließt, der von den jungen Erwachsenen in einen sinnvollen Zusammenhang gestellt werden kann. Dies wird bislang weder durch die Lernenden noch durch die Lehrkräfte hergestellt. Lernende erkennen die zentralen Probleme im Übergangssystem, die vor allem in der Konzeption der Maßnahmen selbst liegen. Die Probleme beziehen sich einerseits auf die unterschiedlichen Leistungsstände der Lernenden und das didaktische Problem der Förderung dieser Gruppen, als auch auf die Zeitproblematik. Die jungen Erwachsenen wünschen sich ein empathisches Eingehen auf ihre individuellen Probleme im Bereich der Grundbildung und Unterstützung zur Bewältigung des Übergangs. Es zeigt sich, dass die Professionalität des Bildungspersonals für einen gelungen Lernprozess von zentraler Bedeutung ist. Die Lernenden spüren sensibel nach, dass die Lehrkräfte die Situation in ähnlicher Weise belastet wie die jungen Erwachsenen selbst.  

3.5 Ressourcenorientierte Förderansätze

Die Analyse der qualitativen Interviews von Lehrkräften und jungen Erwachsenen am Übergang Schule-Beruf zeigt, dass eine systematische und individuelle Förderung notwendig ist, um eine Verbesserung der Grundbildung am Übergang Schule-Beruf zu ermöglichen.
Im Rahmen des Projekts „lea., Teilprojekt Prozessbegleitende Diagnostik am Übergang Schule-Beruf“, wurden zwei Förderprozesse im Bereich der Grundbildung angestoßen und Konzepte und Lernmaterialien zur Förderung der Zielgruppe erprobt. Die erste Fördersituation wurde in der schulischen Berufsorientierung direkt im Unterricht einer Berufsschule angesiedelt, die zweite Fördersituation wurde angesiedelt in einem Quartierszentrum mit offenem Curriculum. In beiden sehr unterschiedlichen Fördersituationen konnten gemeinsame Erfolgsfaktoren identifiziert werden, um individuelle Lernfortschritte bei jungen Erwachsenen im Bereich Lesen und Schreiben zu ermöglichen. Da das Thema Grundbildung im jungen Erwachsenenalter ein sensibles Thema darstellt, war eine vertrauensvolle Lernatmosphäre Voraussetzung. Begünstigt wurden die Lernsituationen darüber hinaus über den engen und vertrauensvollen Kontakt zu den Lehrkräften. Die Lernziele der sehr heterogenen Zielgruppen sowie der daran anschließende Förderprozess wurde individuell mit den Lernenden geklärt. Handlungsleitend ist dabei, dass die Lernenden den Lernprozess mitbestimmen und auch selbst mitsteuern im Sinne eines emanzipatorischen Lernansatzes und somit Verantwortung für das eigene Lernen übernehmen. Eine Binnendifferenzierung der Lernmaterialien wurde meist über die Aufgabenstellung hergestellt, so dass sowohl in der Gruppe als auch in Einzel- oder Partnerarbeit gelernt werden konnte. Insgesamt zeigte sich in der Förderung, dass das Nachlernen im Bereich der Grundbildung sehr viel Zeit beansprucht und dass über den Verlauf der Fördermaßnahme nur kleine Lernfortschritte erzielt werden können. Umso wichtiger erscheint es, die Lernenden zu befähigen, Selbstlernkompetenzen zu erwerben und das Interesse für das Lesen und Schreiben in vielen Alltags- und Arbeitssituationen zu wecken, um den Übungsprozess in den Alltag zu integrieren und über die Maßnahmedauer hinaus anzuregen.     

4 Fazit und Ausblick

Kompetenzfeststellungsverfahren, die den Qualitätsstandards bei der Ermittlung von Ressourcen von Lernenden entsprechen, werden zurzeit in Maßnahmen des Übergangssystems nicht umfassend eingesetzt. Gründe hierfür sind hohe Kosten, ein hoher Bedarf an qualifiziertem Bildungspersonal sowie umfangreiche zeitliche Ressourcen, die von der jeweiligen Bildungsinstitution derzeit nicht zu tragen sind. Alternativ werden in den Institutionen eigene Verfahren entwickelt, bzw. die Lehrkräfte entwickeln individuelle Verfahren, die auf ihren Erfahrungen mit der Zielgruppe basieren. Eine strukturelle Einbindung in eine ressourcenorientierte Förderung sozialer, fachlicher oder überfachlicher Kompetenzen oder gar von Grundbildung erfolgt bislang jedoch nicht. Damit werden Chancen vergeben, innerhalb der ohnehin sehr kurzfristigen Maßnahmen teilnehmendenorientiert zu arbeiten und Lernerfolge zu erzielen. Die Förderung in den Maßnahmen orientiert sich meist am mittleren Leistungsniveau der jungen Erwachsenen. Eine individuelle Förderung der Zielgruppe kann aufgrund der strukturellen Bedingungen und der wenig strukturierten methodisch-didaktischen Ausrichtung der Konzepte in den untersuchten Maßnahmen nur vereinzelt umgesetzt werden. Darüber hinaus zeigt die Auswertung der Schreibkenntnisse junger Erwachsener in Nachlernprozessen, dass ein erheblicher Anteil von jungen Erwachsenen (ca. ein Drittel) zu schwach ist, um im Laufe der Maßnahme eine Anschlussfähigkeit an das Niveau eines Hauptschulabschlusses zu erreichen. Damit ist auch die Integration in das Berufsausbildungssystem gefährdet sowie der Erfolg von Maßnahmen des Übergangssystems.
Die Struktur der Angebote, Inhalte und Ziele der Maßnahmen in Bezug auf Kompetenzfeststellungsverfahren und Grundbildung haben Auswirkungen auf die generelle Kompetenzerweiterung von Lernenden sowie in erweiterter Perspektive auf die Vermittlung in das Ausbildungssystem. Das bedeutet, dass über die derzeitigen Konzeptionen der Kompetenzfeststellungsverfahren die bereits erworbenen Fähig- und Fertigkeiten (vor allem im Lesen und Schreiben), aber auch die Probleme nicht ausreichend sichtbar gemacht werden und damit auch kein systematischer und ressourcenorientierter Förderprozess angestoßen werden kann. Berücksichtigt man vor dem Hintergrund der Schreibkenntnisse junger Erwachsener am Übergang Schule-Beruf die Dauer von Maßnahmen im Übergangssystem, die meist auf 10 - 12 Monate angelegt sind, wird deutlich, dass auch eine qualitativ hochwertige und individuelle Förderung eine geringe Wirkung auf den Lernfortschritt haben muss. Ein Teil der Jugendlichen benötigt neben einer individuellen Förderung mehr Zeit, um die Schreibkenntnisse an den Hauptschulabschluss anschlussfähig zu machen, womit  Chancen auf dem Ausbildungsmarkt eröffnet werden können.
Die Befragung von Lehrkräften und Lernenden hat gezeigt, dass die Themen Kompetenzfeststellung und Förderdiagnostik von Grundbildung bislang nicht so umgesetzt werden, wie es die im Rahmen des Benachteiligtenprogramms ausgearbeiteten Qualitätsstandards erfordern. Lehrkräfte und Lernende sind mit dem Ziel und Zweck, nämlich die Herausarbeitung von Ressourcen und der Zone der nächsten Entwicklung, nicht vertraut. Derzeit wirken die eingesetzten Verfahren in ihrer Zielsetzung selektiv (Zuweisung in Maßnahmen) statt fördernd (curricular-didaktische Anstöße). Vor allem die Lehrkräfte wünschen sich zur Verbesserung der eigenen Arbeit sinnvolle Instrumente zur Feststellung von sozialen und fachlichen Kompetenzen, um einen passgenauen Förderprozess initiieren zu können. Aber auch die Lernenden sollten stärker in die Diagnostik und den Lernprozess einbezogen werden, um die Möglichkeit zu eröffnen, Selbstlernkompetenzen zu entwickeln und eigenverantwortlich den Lernprozess mit zu steuern. Die curriculare Gestaltung von Lernsituationen im Übergangssystem sollte also nach den Prinzipien der Teilnehmerorientierung der Erwachsenenbildung und Subjektbildung konzipiert werden, um den jungen Erwachsenen die Bedeutung der benötigten Kompetenzen im Ausbildungs- und Arbeitsalltag zu vergegenwärtigen und den Förderprozess transparent zu gestalten. Nur unter Berücksichtigung dieses Postulats kann im Rahmen der sogenannten Basiskompetenzen, aber auch in den sozialen Kompetenzen eine „Ausbildungsreife“ erzielt werden, die wiederum eine Integration in das reguläre Ausbildungssystem ermöglicht. Die Analyse der Schreibkompetenzen hat gezeigt, dass ca. ein Drittel eine intensive Förderung im Bereich der Rechtschreibung benötigt und ein weiteres Drittel ebenfalls noch nicht die Kompetenzen entwickelt hat, die im Katalog zur Ausbildungsreife der Bundesagentur für Arbeit gefordert werden, um im Bereich der „Sprachfähigkeit“ als ausbildungsreif zu gelten.      
Zur Umsetzung subjektorientierter Bildungsprozesse benötigen Lehrkräfte neben geeigneter Instrumente zur Feststellung von Kompetenzen und Fertigkeiten eine gezielte Aus- und Weiterbildung im Bereich der Grundbildung sowie in der Gestaltung von binnendifferenziertem Förderunterricht, der an den ermittelten Ressourcen der Lernenden unmittelbar ansetzt. Plädiert wird für einen umfassenden Einsatz von systematischen Kompetenzfeststellungsverfahren mit einer integrierten Förderdiagnostik von Grundbildung in Maßnahmen des Übergangssystems sowie für deren Integration in die  erziehungswissenschaftliche Aus- und Weiterbildung aller in diesem System agierenden Professionen.


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Zitieren dieses Beitrages

ANSLINGER, E./ QUANTE-BRANDT, E. (2010): Grundbildung am Übergang Schule-Beruf und die Bedeutung der individuellen Kompetenzentwicklung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 18, 1-19. Online:     http://www.bwpat.de/ausgabe18/anslinger_quante-brandt_bwpat18.pdf  (28-06-2010).

 

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