Partner von bwp@: 
  SAP University Alliances Community (UAC)   giz - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit    Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.    Österr. Konferenz für Berufsbildungsforschung       

bwp@ Ausgabe Nr. 22 | Juni 2012
Funktionen und Erträge pädagogischer Diagnostik im wirtschafts- und berufspädagogischen Bereich
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 22 sind Tade Tramm, Susan Seeber & H.-Hugo Kremer

Messung der Befähigung zum Umgang mit Geld und Finanzthemen: Ausgewählte Instrumente und alternative diagnostische Zugänge

Beitrag von Carmela Aprea (Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung, Lugano/ CH)


Abstract

Der Befähigung zum adäquaten Umgang mit finanziellen Mitteln kommt angesichts einschneidender gesellschaftlicher Entwicklungen eine zentrale Bedeutung für das individuelle und gesamtwirtschaftliche Wohlergehen zu. Darüber hinaus muss das Verständnis von Finanzthemen in Zeiten eines immer mehr in die außerökonomische Sphäre ausstrahlenden Finanzsystems als zentraler Bestandteil der politischen Grundbildung angesehen werden. Gleichzeitig gehen mit diesen Entwicklungen höhere Anforderungen einher, die sich nicht mehr allein durch familiäre Sozialisation und Alltagserfahrungen bewältigen lassen, sondern systematisch organisierte Lern- und Bildungsprozesse erfordern. Die Gestaltung dieser Prozesse wiederum setzt die Verfügbarkeit geeigneter Instrumente zur Erfassung des Lernbedarfs voraus. Vor diesem Hintergrund wird in diesem Beitrag anhand ausgewählter Beispiele dargelegt, wie die Befähigung zum Umgang mit Geld und Finanzthemen derzeit gemessen wird. Darüber hinaus werden zwei Studien erörtert, in denen alternative (vorwiegend individual-)diagnostische Zugänge erprobt wurden. Zum einen handelt es sich dabei um die Entwicklung und erste (itemanalytische) Überprüfung von kompetenzorientierten Testaufgaben (quantitativer Zugang). Zum anderen wird über eine phänomenographisch orientierte Studie berichtet, in der Vorstellungen von Jugendlichen zu finanzbezogenen Phänomenen mittels halb-strukturierter Einzelinterviews erhoben wurden (qualitativer Zugang). Der Akzent beider Zugänge liegt vor allem darauf, möglichst ganzheitliche und auf die zu bewältigenden Aufgaben zugeschnittene Informationen für die Optimierung und Individualisierung bzw. Differenzierung gegenstandsbezogener Lernprozesse bereitzustellen.


Measuring the ability to deal with money and financial themes: Selected instruments and alternative diagnostic approaches

The ability to deal competently with financial resources is becoming increasingly significant for individual and wider economic well-being in the context of major societal developments. Furthermore, the understanding of financial themes in times of the increasing spreading out of the finance system into the non-economic sphere must be seen as a key component of political basic education. At the same time, higher demands occur with these developments, which can no longer be met with family socialisation and day-to-day experiences alone, but call for systematically organised processes of learning and education. The design of these processes has as a pre-requisite the availability of appropriate instruments for capturing what needs to be learned. Against this background this paper shows, using selected examples, how the ability to deal with money and financial themes is currently measured. In addition two studies are discussed in which alternative (predominantly individual) diagnostic approaches are tested. On the one hand, one study deals with the development and the initial (item-analytical) assessment of competence-oriented test tasks (quantitative approach). On the other hand, a phenomenographically-oriented study is reported on, in which data on the ideas of young people regarding finance-related phenomena are collected using semi-structured individual interviews (qualitative approach). The focus of both approaches is, for the most part, to deliver tasks that are as consistent as possible and information that is tailored to the tasks that need to be undertaken for the optimisation and individualisation or differentiation of subject-related learning processes.

1 Einleitung

Die Befähigung zum adäquaten Umgang mit Geld und Finanzthemen ist ein Gegenstandsbereich, dem in der öffentlichen Diskussion derzeit eine sehr große Beachtung entgegen gebracht wird, denn geld- und finanzbezogene Problem- und Aufgabenstellungen werden zunehmend nicht nur Personen betreffen, die beruflich im Finanzwesen tätig sind, sondern im Alltag aller Menschen eine immer größere Bedeutung mit weitreichenden Folgen für das individuelle und gesamtwirtschaftliche Wohlergehen einnehmen. Darüber hinaus muss das Verständnis von Finanzthemen in Zeiten eines immer mehr in die außerökonomische Sphäre ausstrahlenden Finanzsystems als zentraler Bestandteil der politischen Grundbildung in der Demokratie angesehen werden. Neben den Erschütterungen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise sowie der jüngsten Schuldenkrise in vielen europäischen Ländern wird der Bedeutungszuwachs dieser Thematik auf das Zusammenwirken einer Reihe von sozialen, politischen und ökonomischen Entwicklungstendenzen zurückgeführt, die sich beispielsweise folgendermaßen äußern (vgl. z.B. REIFNER 2006):

Aus dem demographischen Wandel sowie dem zunehmenden Rückzug des Staates aus den sozialen Sicherungssystemen wird ein Bedarf an mehr Eigeninitiative bei der Absicherung der Lebensrisiken sowie der Altersvorsorge extrapoliert. 

Dieser erhöhte Bedarf wird dadurch verstärkt, dass die Familie als alternative Absicherung in Zeiten hoher Mobilitätsanforderungen, gestiegener Scheidungsraten und kinderlosen bzw. Ein-Kind-Ehen oftmals nicht mehr greift. 

Die Problemlage des höheren Bedarfs an Eigeninitiative wird zudem massiv dadurch verschärft, dass die Finanzdienstleistungen zur möglichen Deckung dieses Bedarfs – nicht nur für Laien – immer unverständlicher und undurchsichtiger werden. Für den Einzelnen fällt damit nicht nur ein Mehr an finanziellen Entscheidungen an, sondern die Entscheidungssituationen gestalten sich auch weit komplexer.

Mit den hier exemplarisch skizzierten Entwicklungen gehen Anforderungen einher, die sich nicht mehr allein durch familiäre Sozialisation und Alltagserfahrungen bewältigen lassen, sondern systematisch organisierte Lern- und Bildungsprozesse erfordern. Die Gestaltung dieser Prozesse wiederum wirft die Frage nach der Verfügbarkeit geeigneter – d.h. theoretisch und empirisch fundierter – Instrumente zur Erfassung des Lernbedarfs auf. Dieser Frage soll im vorliegenden Beitrag nachgegangen werden, wobei der Fokus auf Instrumenten zur Messung der Befähigung im Umgang mit Geld und Finanzthemen für Jugendliche am Übergang zur beruflichen Bildung liegt. 

Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut: Anhand ausgewählter Beispiele wird im Abschnitt 2 zunächst dargelegt, wie die Befähigung zum Umgang mit Geld und Finanzthemen derzeit gemessen wird. Im Abschnitt 3 werden dann zwei explorative Studien erörtert, in denen alternative (vorwiegend individual-)diagnostische Zugänge zu diesem Gegenstandsbereich entwickelt und empirisch erprobt wurden.  Die Überlegungen des Beitrags werden im abschließenden vierten Abschnitt zusammengefasst, und es wird ein Ausblick auf weiterführende Forschungsarbeiten in diesem Themengebiet gegeben.

2 Darstellung ausgewählter Instrumente zur Messung der Befähigung zum Umgang mit Geld und Finanzthemen

2.1 Überblick

Diagnostische Verfahren zur Messung der Befähigung zum Umgang mit Geld und Finanzthemen wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten vor allem im angelsächsischen Sprachraum entwickelt, während vergleichbare Bemühungen im deutschsprachigen Bereich erst langsam im Entstehen begriffen sind. In beiden Fällen sind die vorliegenden Untersuchungen überwiegend als Auftragsforschungen für private Interessengruppen (insbesondere Banken und Bankenverbände) und gelegentlich auch für staatliche Institutionen (z.B. Nationalbanken) angelegt bzw. werden direkt von diesen durchgeführt, während vorrangig wissenschaftlich orientierte Initiativen eher selten sind. Wie sich aktuellen Literaturübersichten (z.B. HUSTON 2010; MARCOLIN/ ABRAHAM 2006, OECD 2005; für Deutschland, Österreich und die Schweiz vgl. zudem APREA 2011) entnehmen lässt, sind diese Untersuchungen bzw. die in ihnen zum Einsatz gebrachten Instrumente durch die folgenden Merkmale charakterisiert: 

In konzeptueller Hinsicht rekurrieren die vorhandenen Untersuchungen mehrheitlich auf den Ansatz der „Financial Literacy“, worunter in der Regel die Befähigung zu einem informierten Urteil und einer effektiven Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit Geld- und Finanzangelegenheiten verstanden wird. Zuweilen findet sich als Synonym auch die Bezeichnung „Financial Capability“. Im Deutschen werden diese Begriffe meist mit „Finanzieller Allgemeinbildung“ oder „Finanzieller Alphabetisierung“ übersetzt. 

Bezüglich der inhaltlichen Konkretisierung weisen die vorliegenden Instrumente eine recht große Spannbreite auf, die von wenigen Items zu Basiskenntnissen und -fähigkeiten (z.B. zu spezifischen Termini) über Aspekte der Kreditaufnahme und Geldanlage bis hin zu Fragen zur langfristigen Finanzplanung oder zu komplexen geldpolitischen Zusammenhängen reicht. Ergänzend wird zuweilen auch betriebs- und/oder volkswirtschaftliches Orientierungswissen einbezogen. Ferner werden in den meisten Untersuchungen Daten zu weiteren, mit Financial Literacy in Verbindung gebrachten Aspekten (z.B. sozio-ökonomische Daten, Daten zum Gebrauch von Finanzprodukten oder zur Ver-/Überschuldung) erhoben.

Als Zielgruppe werden vorwiegend Erwachsene auf verschiedenen Altersstufen in den Blick genommen. In geringerem Umfang liegen Instrumente für Schülerinnen und Schüler sowie für Studierende vor. 

Im Hinblick auf die methodische Ausrichtung dominieren schriftliche und mündliche Befragungen, wobei zwischen subjektiven Einschätzungen und objektiven Testverfahren unterschieden wird. Gelegentlich finden sich auch Mischformen. In den meisten Fällen werden Fragen mit überwiegend gebundenem Antwortformat gestellt. 

Zur weiteren Veranschaulichung der hier skizzierten Merkmale sollen im Folgenden exemplarisch einige der in Australien, den USA und Großbritannien sowie im deutschsprachigen Raum eingesetzten Instrumente zur Messung von Financial Literacy dargestellt werden, wobei sich die Auswahl an der Häufigkeit der Zitation der jeweiligen Untersuchung bzw. des jeweiligen Instruments in der einschlägigen Literatur orientiert. Im Anschluss an diese Ausführungen werden die vorliegenden Instrumente einer kritischen Würdigung unterzogen.

2.2 Messung von Financial Literacy in Australien

In Australien erfolgt die Messung von Financial Literacy bislang vor allem im Rahmen von zwei umfänglichen Studien, nämlich zum einen in der Studie der Australia and New Zealand Banking Group (ANZ) und zum anderen in jener der Commonwealth Bank Foundation (CBF). 

Die ANZ Studie, die in den Jahren 2002, 2005 und 2008 als repräsentative Telefonumfrage mit jeweils rund 4000 erwachsenen Personen (ab 18 Jahren) durchgeführt wurde, enthält 26 Selbsteinschätzungsfragen zu den Themenbereichen Barzahlung und Banktransaktionen, Kreditaufnahme und Verschuldung, Sparen und Investieren, Versicherungen sowie Verbraucherrechte und –pflichten. In der aktuellsten Version wurde zudem ein Themenblock zu Online-Banking inkludiert. Neben zahlreichen Fragen zu sozio-ökonomischen Faktoren werden außerdem Daten zum Finanzverhalten sowie zu mathematischen und sprachlichen Basisfähigkeiten erhoben (ANZ 2008). 

Zielgruppe der CBF Studie sind australische Sekundarschülerinnen und -schüler in der neunten und zehnten Klasse (14- bis 16-Jährige). Diese Studie, die mit repräsentativen Samples von N = ca. 43.000 Personen in 2005 und ca. 50.000 in 2006 durchgeführt wurde, ist im Gegensatz zur ANZ Studie als objektiver Test mit 48 Multiple-Choice Fragen konzipiert. Die Testfragen orientieren sich dabei an den ebenso von der CBF in Zusammenarbeit mit einer universitären Einrichtung sowie Vertreterinnen und Vertretern der australischen Regierung entwickelten “Financial Literacy Curriculum Ressources” und decken insbesondere die Themengebiete Einkommenszusammensetzung und -verwendung, alltäglicher Umgang mit Geld, Kaufentscheidungen, Verbraucherrechte, Business und Technologie sowie geld- und finanzpolitische Grundlagen ab (CBF 2006). 

2.3 Messung von Financial Literacy in den USA und Großbritannien 

Zu den bekanntesten Studien in Bezug auf die Messung von Financial Literacy gehören die in den USA seit 1997 im Zwei-Jahres-Rhythmus mit High School und College Lernenden durchgeführten Erhebungen der so genannten Jump$tart Coalition. Hierbei handelt es sich um einen als Non-Profit Organisation geführten Zusammenschluss von rund 150 US-amerikanischen Institutionen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, deren Ziel darin besteht „to evaluate the financial literacy of young adults: develop, disseminate and encourage the use of standards for grades K-12; and promote the teaching of personal finance.” (MANDELL 2008, 11). Beim bislang letzten Durchlauf der Erhebung, zu der sich im Jahre 2008 rund 390 von 1888 per Zufall ausgewählten Schulen meldeten, beinhaltete das hier eingesetzte Instrument 31 Multiple-Choice Fragen zu den vier Bereichen (1) Einkommen, (2) Geldmanagement, (3) Sparen und Investieren, sowie (4) Ausgaben und Kredite. Es ist damit etwas enger gefasst als der Test der CBF.

In Großbritannien ist die Studie „Financial Capability in the UK“ der Financial Services Authority (FSA 2006), einer Dachorganisation britischer Finanzdienstleister, hervorzuheben. Zielgruppe der als computergestützte persönliche-mündliche Befragung (CAPI) angelegten Studie sind Erwachsenen (> 18 Jahre) in England, Schottland, Wales und Nordirland. Die Anzahl der per Zufall ausgewählten Befragungsteilnehmer aus diesen Gebieten beträgt 5300 Probanden. Der Fragebogen enthält Selbsteinschätzungsfragen zu den Bereichen Planung und Zielfindung in Finanzfragen, Auswahl und Akquise von Finanzprodukten sowie Kontrolle von Finanzentscheidungen.

2.4 Messung von Financial Literacy im deutschen Sprachraum

Eine im deutschsprachigen Raum häufig herangezogene Studie wurde von der Commerzbank (2003) bei der NFO Infratest Finanzforschung in Auftrag gegeben. Die Zielgruppe betrifft deutsche Bürgerinnen und Bürger zwischen 18 und 65 Jahren, wobei eine bevölkerungsrepräsentative Zufallsstichprobe von N= 1000 einbezogen wurde. Wie die FSA Studie erfolgte die Erhebungsdurchführung als computergestützte persönliche-mündliche Befragung (CAPI) und umfasste 35 objektive Wissensfragen aus den Bereichen volkswirtschaftliche Grundlagen, Einkommen und Zahlungsverkehr, Private Vorsorge, Geldanlage und Kredite. Ergänzend wurden sozio-demographische Daten und subjektive Fragen zur Einschätzung der eigenen finanzbezogenen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie zum eigenen Informationsbedarf in Finanzdingen erhoben. Die Studie wurde im Jahr 2004 mit 200 Studierenden an den Universitäten Münster, Mannheim, Duisburg-Essen und Köln wiederholt. 

In Österreich wurde eine an die FSA Studie angelehnte Befragung von der Nationalbank im Rahmen einer Erhebung zum Geldvermögen integriert (FESSLER et al. 2007), während in der Schweiz keine eigens auf Financial Literacy ausgerichteten, breiter angelegten und methodisch haltbaren Surveys existieren.

2.5 Kritische Würdigung vorhandener Instrumente

Die bislang durchgeführten Studien und die hierbei eingesetzten diagnostischen Verfahren haben über die dargelegten Unterschiede in der Untersuchungsanlage und der Instrumentgestaltung hinweg eine Reihe von stabilen Befunden erbracht, die nachdrücklich den Lernbedarf in Bezug auf den Umgang mit Geld und Finanzthemen unterstreichen. Diese Befunde lassen sich zusammenfassend folgendermaßen darstellen (vgl. hierzu z.B. OECD 2005 sowie aktuell ATKINSON/ MESSY 2012):

Insgesamt scheinen die Bürgerinnen und Bürger der untersuchten Länder nicht hinreichend gewappnet zu sein, den in der Einleitung zu diesem Beitrag skizzierten Anforderungen im Umgang mit Geld und Finanzthemen angemessen zu begegnen. Vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern fehlt es beispielsweise an kaufentscheidungsrelevanten Basiskenntnissen wie etwa dem Zusammenhang zwischen Risiko und Ertrag einer Finanzanlage. Finanzielle Angelegenheiten werden zudem häufig im Versuchs-Irrtum-Verfahren abgewickelt. 

In besonderem Maß gelten diese Aussagen für bestimmte Teilgruppen, so insbesondere für Menschen mit niedrigem Bildungshintergrund, Geringverdienende, Migrantinnen und Migranten sowie Frauen. Ebenso treffen sie auf die im Blickpunkt dieses Beitrags stehende Gruppe von Jugendlichen zu.

Wie Vergleiche zwischen subjektiven und objektiven Erhebungsdaten im Rahmen von Mischstudien zeigen, neigen die Befragten dazu, ihre eigene Befähigung im Umgang mit Geld und Finanzthemen zu hoch zu veranschlagen. Eine alleinige Orientierung an subjektiven Verfahren dürfte daher zu Fehleinschätzungen führen.

Der letztgenannte Aspekt weist bereits auf eine wesentliche Beschränkung der Aussagefähigkeit vorhandener Studien und Instrumente in Bezug auf das hier interessierende Anliegen der Schaffung adäquater Lern- und Aneignungsgelegenheiten hin, denn gerade im deutschen Sprachraum liegen bislang sehr wenig objektive Tests oder Mischansätze zur Messung der Befähigung im Umgang mit Geld und Finanzthemen vor. Bei den vorhandenen Instrumenten handelt es sich überdies um fragmentarische Wissensabfragen (z.B. nach der Höhe der Inflationsrate oder dem Sitz der Europäischen Zentralbank), deren Informationsgehalt für die Gestaltung eines zeitgemäßen Unterrichts als eher begrenzt einzuschätzen ist. 

Als gewichtiges Manko wird in der Forschungsliteratur (z.B. HUDSON 2010) zudem beanstandet, dass verfügbare Studien und die darin eingesetzten Instrumente häufig keine ausreichende begriffliche und theoretische Fundierung aufweisen. Ebenso sind Aussagen zur empirischen Überprüfung der psychometrischen Qualität nicht immer verfügbar.

Ein dritter Kritikpunkt betrifft schließlich die „Geschlossenheit“ bisheriger Messinstrumente, mit der die für didaktische Fragestellungen ebenso relevanten ‚unbeeinflussten‘ Sichtweisen von Lernenden zu Geld und Finanzthemen nicht eingefangen werden können (z.B. DAVIES 2009).

Wie LEWIS MANDELL, Entwickler und langjähriger Begleiter der Jump$tart Coalition Studien, in einem Interview mit dem TIME MAGAZINE (2010) konstatiert, machen die hier skizzierten Begrenzungen alternative Zugänge zur Gewinnung diagnostischer Informationen im Kontext mit der Befähigung zum Umgang mit Geld und Finanzthemen erforderlich. Zwei Möglichkeiten für solche Zugänge werden im nächsten Abschnitt thematisiert.

3 Studien zur Entwicklung und Erprobung alternativer Zugänge 

3.1 Grundüberlegungen zu alternativen diagnostischen Zugängen

Die oben genannten Kritikpunkte sind nicht nur kennzeichnend für den im Rahmen dieses Beitrags betrachteten Gegenstandsbereich, sondern betreffen Aspekte, die derzeit im Gesamtkontext der Diagnostik zur Diskussion stehen. Dabei werden unter dem Sammelbegriff „Alternative Assessments“ eine Reihe von Ansätzen wie z.B. „Performance Assessment“, „Authentic Assessment“ oder „Holistic Assessment“ in Betracht gezogen, die trotz Unterschieden in Detailfragen und variablen Schwerpunktsetzungen insbesondere in den folgenden Merkmalen übereinstimmen (vgl. z.B. BAARTMANN et al. 2007; PELLEGRINO/ CHHUDOWSKY/ GLASER 2001):

Assessments sollten nicht nur vereinzelte Leistungsmerkmale erfassen, sondern ein breiter angelegtes Spektrum von Dispositionen einbeziehen. Diagnostische Verfahren sollten sich dabei an realen oder realitätsnahen Problem- und Aufgabenstellungen orientieren.

Es sollte nicht nur eine Messung des Lernens, sondern auch eine Messung für das Lernen erfolgen, d.h. der formative Aspekte von Assessments ist zu stärken. In dieser Hinsicht kommt den subjektiven Lernperspektiven, -prozessen und -strategien eine besondere Bedeutung zu.

Assessments und Unterricht sollten aufeinander abgestimmt sein. Folglich sollten diagnostische Verfahren Informationen mit hinreichender Aussagekraft für die Unterrichtsgestaltung liefern.

Die Orientierung an diesen Gesichtspunkten zieht eine Veränderung sowohl der Inhalte als auch der Methoden von Assessments nach sich und erfordert zudem einen Wandel der Bewertungskultur („Assessment Culture“). 

Im Folgenden werden zwei explorative Studien vorgestellt, in denen die zuvor skizzierten Überlegungen zu „Alternative Assessments“ mit je unterschiedlichen Graduierungen und Fokussierungen aufgegriffen werden: Zum einen geht es dabei um den Entwurf und die erste psychometrische Überprüfung von kompetenzorientierten Testaufgaben (quantitativer Zugang). Zum anderen wird über eine Interviewstudie berichtet, in der subjektive Vorstellungen von Jugendlichen zu einer finanzbezogenen Problemstellung mittels eines phänomenographisch orientierten Vorgehens rekonstruiert und analysiert wurden (qualitativer Zugang). Der Akzent beider Zugänge liegt vor allem darauf, möglichst ganzheitliche und auf die zu bewältigenden Aufgaben zugeschnittene Informationen für die Optimierung und Individualisierung bzw. Differenzierung von Lernprozessen im Zusammenhang mit der Befähigung zum Umgang mit Geld und Finanzthemen bereitzustellen.

3.2 Studie 1: Entwurf und Überprüfung von kompetenzorientierten Testaufgaben

3.2.1 Ausgangspunkt der Studie

Ausgangspunkt dieser Studie bildet die Annahme, dass ein fruchtbarer Zugang zur Überwindung der kritischen Punkte von vorliegenden Verfahren zur Messung von Financial Literacy durch die Adaption kompetenzorientierter Ansätze der Wirtschaftsdidaktik erreicht werden kann, denn diese Ansätze bieten ein bereits in anderen Inhaltsbereichen erprobtes theoretisches Gerüst. Von dieser Überlegung ausgehend bestand das Ziel der ersten Studie darin, im Rahmen einer empirischen Untersuchung entsprechende Testaufgaben zur Messung von Financial Literacy zu entwickeln und einer ersten psychometrischen Evaluation zu unterziehen. In Anlehnung an Autoren wie beispielsweise CHOMSKY (1974) oder WEINERT (2001) lässt sich Kompetenz dabei als das Handlungspotential einer Person charakterisieren, für bereichstypische Anforderungssituationen bzw. Aufgabenstellungen sachgerechte Lösungen hervorbringen zu können. Dieses Potential basiert auf dem Zusammenspiel von erlernbaren psychischen Dispositionen (z.B. kognitiv verankerten Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Interessen, Motivationen, Werthaltungen), welche in Bezug auf die jeweils aktuelle Aufgabe bzw. Situation aktiviert und verknüpft werden müssen. Die weitere theoretische Ausarbeitung und Spezifizierung dieser Grundlegung sowie das methodische Vorgehen und ausgewählte Ergebnisse der darauf basierenden empirischen Untersuchung werden nachfolgend dargestellt und reflektiert.

3.2.2 Theoretischer Hintergrund

Die weitere theoretische Fundierung der Studie fußt auf zwei Argumentationslinien, nämlich (a) der Handlungsregulationstheorie und (b) der Wissenspsychologie: 

(a) Die Handlungsregulationstheorie wurde maßgeblich von HACKER (1998) und VOLPERT (2003) auf Basis von Arbeiten der kulturhistorischen Schule (z.B. LEONTJEW 1977) sowie kybernetischer Modelle (MILLER/ GALANTER/ PRIBRAM 1960) konzipiert und rückt insbesondere das Handeln als konkrete Verknüpfung von Aktion und Kognition in den Mittelpunkt der Theoriebildung. Die wichtigsten Kennzeichen der Handlungsregulation sind die Zielgerichtetheit und die gleichzeitig hierarchische bzw. heterarchische und zyklische Organisation der Handlungskomponenten. Handlungen lassen sich demzufolge in Teilhandlungen und Operationen untergliedern, welche neben einer Phase der Handlungsrealisierung insbesondere auch die Phasen der Planung und Kontrolle umfassen. Auf mentaler Ebene werden Ziele und Handlungen durch die Bildung wissensbasierter mentaler Modelle (sogenannter operativer Abbildsysteme) zusammengeführt. Die Performanz als Ergebnis von Handlungen wird beeinflusst von (i) den verfügbaren subjektseitigen Handlungsvoraussetzungen (insb. Wissen und Können, Motive und Interessen, Einstellungen und Werthaltungen) sowie (ii) den objektseitigen Voraussetzungen, die zum einen durch die kognitiven Aufgabenanforderungen und zum anderen durch weitere Aufgabenmerkmale (z.B. verfügbare Hilfsmittel und soziale Ressourcen der Aufgabenbearbeitung) gekennzeichnet sind. 

(b) Aufgrund ihrer exponierten Bedeutung für die Entwicklung kompetenzorientierter Testaufgaben wird der Schwerpunkt bezüglich der objektseitigen Voraussetzungen im Folgenden auf den kognitiven Aufgabenanforderungen liegen. Zu deren Kategorisierung wird auf aktuelle Ansätze der Wissenspsychologie rekurriert, wonach unterschiedliche Typen von Wissen in den Handlungsvollzug bzw. die Aufgabenbearbeitung einfließen. In Anlehnung an die Arbeiten von ANDERSON et al. (2001) wird dabei zwischen Faktenwissen, konzeptuellem Wissen, prozeduralem Wissen und metakognitivem Wissen unterschieden.

Das aus diesen Annahmen resultierende Arbeitsmodell und die entsprechenden Konkretisierungen in Bezug auf die Befähigung zur effektiven Bewältigung finanzieller Entscheidungssituationen sind in Abbildung 1 dargestellt.

Initiates file download

Abb. 1: Arbeitsmodell zur Entwicklung kompetenzorientierter Testaufgaben (in Anlehnung an EBNER 2005)

Das Arbeitsmodell bildet den Hintergrund für die Entwicklung eines kompetenzorientierten Instruments zur Messung von Financial Literacy, welches – wie bereits angedeutet – im Rahmen einer empirischen Untersuchung erprobt wurde. Neben der Prüfung der Durchführungsmodalitäten sollte die Untersuchung vor allem auch erste Hinweise auf die psychometrische Qualität der kompetenzorientierten Testaufgaben liefern. Auf methodische Aspekte und ausgewählte Ergebnisse dieser Untersuchung wird im Folgenden einzugehen sein.

3.2.3 Methodisches Vorgehen

Stichprobe: An der Untersuchung, die im Frühjahr 2009 durchgeführt wurde, nahmen insgesamt 198 Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 8 und 9 aus jeweils zwei Haupt- und Realschulen (n=91 resp. 101) in Baden-Württemberg teil. Etwa die Hälfte der Teilnehmenden waren weiblichen Geschlechts und ihre Altersspanne lag zwischen 14 und 17 Jahren. Bei den Jugendlichen dieser Schulformen und Klassenstufen ist anzunehmen, dass bald der Eintritt in das Berufsleben bzw. die Berufsausbildung ansteht (sofern nicht der Besuch einer weiterführenden Schule angestrebt wird). Gemäß entwicklungspsychologischer Befunde (z.B. BERTI/ BOMBI 1988) kann zudem davon ausgegangen werden, dass die erforderlichen kognitiven Grundvoraussetzungen in Bezug auf das Verständnis ökonomischer Sachverhalte in diesem Alter vorhanden sind. Wenngleich für Folgestudien zur Instrumentprüfung die Einbeziehung weiterer Probandengruppen (z.B. Schülerinnen und Schüler an beruflichen Gymnasien oder an Berufsfachschulen) erwogen wird, so kann angesichts dieser Bedingungen und vor dem Hintergrund des explorativen Charakters der Untersuchung dennoch davon ausgegangen werden, dass die Stichprobe die im Rahmen dieses Beitrags interessierende Zielgruppe von Jugendlichen am Übergang zur Berufsbildung zu einem wesentlichen Teil widerspiegelt.

Datenerhebung: Die Datenerhebung erfolgte mittels eines schriftlichen Befragungsinstruments, welches als Operationalisierung des obigen Arbeitsmodells entworfen wurde. Das Instrument besteht aus drei Teilen: (a) einem objektiven Teil mit den kompetenzorientierten Testaufgaben, (b) einem subjektiven Teil mit Selbsteinschätzungen der Lernenden und (c) einem informatorischen Teil.

(a) Zur Konzipierung der kompetenzorientierten Testaufgaben im objektiven Teil, wurde unter Rekurs auf ein bereits in anderen wirtschaftskundlichen Lernkontexten erprobtes heuristisches Verfahren (vgl. APREA/ EBNER/ MÜLLER 2010) zunächst eine Analyse der Handlungsphasen „Planung, Realisierung und Kontrolle von finanziellen Entscheidungen” durchgeführt. Das Verfahren sieht eine graphische Aufbereitung der Handlungskomponenten und Aufgabenanforderungen vor, bei der sich die im vorangehenden Abschnitt genannten theoretischen Perspektiven in Form von zwei Schritten konkretisieren: Zur Abbildung der Handlungsstruktur ist in einem ersten Schritt der Ablauf der einzelnen Handlungsphasen weiter aufzufalten. Auf dieser Basis wird als nächstes dann ermittelt, welche kognitiven Ressourcen – also welches Wissen – zur sachgemäßen Umsetzung der identifizierten Teilhandlungen benötigt werden. Ausgehend von dieser Analyse wurden für jede Handlungsphase Testitems entwickelt, die in Form eines durchgängigen Fallbeispiels in ein narratives Format eingebettet sind. In Anspielung auf den Juror einer den Schülerinnen und Schülern mit hoher Wahrscheinlichkeit bekannten deutschen Casting-Show thematisiert das Fallbeispiel die finanzielle Situation von B. Dohlen, einem Angestellten mittleren Alters in einem Musikgeschäft. Durch das durchgängige Fallbeispiel sollte die Vollständigkeit der Gesamthandlung gewahrt werden, ohne dabei jedoch die aus testtheoretischen Gründen erforderliche analytische Unabhängigkeit der einzelnen Items aufzugeben. Im Einzelnen beziehen sich im Fallbeispiel acht Items auf die Phase der Planung finanzieller Entscheidungen, wobei insbesondere die Aspekte „Wünsche und Bedürfnisse ermitteln”, “Einnahmen und Ausgaben erfassen” “Potentielle wirtschaftliche Risiken identifizieren” und „Budget aufstellen“ berücksichtigt wurden. Zwölf Items betreffen die Phase der Realisierung von finanziellen Entscheidungen mit den Schwerpunkten „Informationen über Finanzprodukte einholen“, „Produktauswahl treffen“ und „Verträge abschließen“. Drei Items sind schließlich der Kontrolle von finanziellen Entscheidungen, und hier vor allem der „Prüfung von Belegen und Auszügen“ sowie der „Einforderung von Korrekturen“ gewidmet. Die Testitems sind mehrheitlich als Mehrfach-Wahl- oder (einfache) Ergänzungsaufgaben formuliert, wobei richtige Antworten mit dem Punktwert 1 und falsche mit 0 bewertet werden. Drei Beispielitems für die Handlungsphase „Realisierung von finanziellen Entscheidungen“ sind im Anhang dieses Beitrags wiedergegeben.

(b) Die Selbsteinschätzungsfragen des subjektiven Teils repräsentieren finanzbezogene Motive und Interessen sowie Einstellungen und Werthaltungen. Mittels vierstufiger Likert-Skalen sollten die Lernenden hier unter anderem angeben, welche Bedeutung sie Geld und finanziellen Fragen beimessen, inwiefern sie sich für finanzbezogene Themen interessieren und wie gut sie sich im Hinblick auf finanzielle Entscheidungen vorbereitet fühlen. 

(c) Der informatorische Teil bezieht sich schließlich auf Fragen zu sozio-demographischen Daten sowie zu weiteren, im Kontext von Financial Literacy interessierenden Informationen wie z.B. die disponiblen monetären Mittel der Schülerinnen und Schüler, die Zusammensetzung ihrer Einnahmen und Ausgaben oder die Verfügbarkeit eines Bankkontos.

Die Bearbeitung der Testaufgaben des objektiven Teils sowie der Fragen des subjektiven und informatorischen Teils erfolgte innerhalb der regulären Unterrichtszeit in anonymisierter Form und nahm etwa 60 Minuten in Anspruch (rund 40 Minuten für die Testitems und circa 20 Minuten für die Selbsteinschätzungs- und Informationsfragen). 

Datenauswertung: Für die kompetenzorientierten Testaufgaben des objektiven Teils, die im Zentrum der nachstehenden Ergebnisdarstellung stehen, wurden phasenbezogene Gesamtscores als ungewichtetes arithmetisches Mittel gebildet und deskriptivstatistisch ausgewertet. Auf der Ebene der Einzelaufgaben wurde zudem eine Itemanalyse durchgeführt, wobei als Kennwerte der Schwierigkeitsindex (mit Inangriffnahme- und ggf. Zufallskorrektur) und der Trennschärfekoeffizient (korrigierte Item-Skala-Korrelation) berechnet wurden. Um eine Vorschätzung in Bezug auf die Güte der kompetenzorientierten Testaufgaben zu erhalten, wurden zudem die Urteileübereinstimmung als Indikator für die (Auswertungs-)Objektivität und die innere Konsistenz (Cronbachs α) als Reliabilitätsmaß ermittelt. Den Annahmen des oben dargelegten Arbeitsmodells entsprechend sollte darüber hinaus eine erste Annäherung an die (Konstrukt-)Validität mittels inferenzstatistischer Prüfung der Mittelwertunterschiede (t-tests) zwischen den Schularten als Indikator für die kognitiven Lernvoraussetzungen und den Ausprägungen des finanzbezogenen Interesses als Indikator für die motivationalen Bedingungen erfolgen. Ein Indiz für eine hohe Validität des Instruments liegt demzufolge dann vor, wenn Lernende an Realschulen sowie Lernende mit größerem Interesse an Finanzfragen auch signifikant höhere Werte bei den kompetenzorientierten Testaufgaben aufweisen.

3.2.4 Ausgewählte Ergebnisse 

Deskriptivstatistische Auswertung: Die acht Items zur Planung finanzieller Entscheidungen weisen einen Mittelwert von M = 4.71 und eine Standardabweichung von SD = 1.47 auf, während diese Kennwerte für die zwölf Items zur Realisierung bzw. die drei Items zur Kontrolle finanzieller Entscheidungen bei M = 5.30 und SD = 2.55 respektive M = 1.78 und SD = .95 liegen. 

Itemanalyse: Abgesehen von zwei Ausnahmen bewegt sich der Schwierigkeitsindex (p) für die kompetenzorientierten Testaufgaben zwischen den Werten 0.28 und 0.79 und liegt damit weitgehend im für Testkonstruktionen empfohlenen mittleren Schwankungsbereich (zwischen 0.2 und 0.8; vgl. BÜHNER 2006, 140). Die Items außerhalb dieses Bereichs sind beide bei den Aufgaben zur Planung finanzieller Entscheidungen zu lokalisieren. Als zu leicht hat sich mit p = 0.90 dabei eine Frage erwiesen, in der es darum ging, anhand von Beispielen zwischen Wünschen und Bedürfnissen zu unterscheiden. Als zu schwer (p = 0.13) ist hingegen eine Aufgabe einzuschätzen, bei denen die Schülerinnen und Schüler aus einer Liste von Antwortmöglichkeiten wählen sollten, welche Sozialversicherungsabgabe (in diesem Fall die Unfallversicherung) im Fallbeispiel nicht von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu zahlen ist. Die Trennschärfekoeffizienten (ritc) der Items liegen in einem Wertebereich zwischen -0.08 und 0.53, wobei niedrige und damit tendenziell problematische Kennwerte auch hier verstärkt bei den Aufgaben zur Planung finanzieller Entscheidungen zu lokalisieren sind. Der negative Wert von -0.08 betrifft eine Planungsaufgabe, bei der im Kontext mit der Bestimmung des verfügbaren Einkommens nach der Definition des Bruttolohns gefragt wird. Ebenso gering fällt mit ritc = 0.11 die Trennschärfe der bereits bei der Schwierigkeitsbestimmung thematisierten Aufgabe zur Differenzierung zwischen Wünschen und Bedürfnissen aus. Relativ hohe Trennschärfen mit ritc > 0.50 liegen für die im Anhang wiedergegebenen Aufgaben zur Einschätzung von Anlagealternativen aus dem Bereich der Realisierung finanzieller Entscheidungen vor. 

Objektivitäts-, Reliabilitäts- und Validitätsbestimmung: Die Urteilerübereinstimmung (rk) als Indikator für die (Auswertungs-)Objektivität liegt für alle Testaufgaben des objektiven Teils über einem Wert von 0.95 und ist damit als hoch einzuschätzen. Demgegenüber fallen die inneren Konsistenzen als Reliabilitätsmaße geringer aus. Während die Cronbachs α – Werte der Aufgaben zur Kontrollphase und zur Realisierungsphase mit 0.71 bzw. 0.59 als zwar niedrige, aber noch akzeptable Ausprägung der Reliabilität gewertet werden können (vgl. BÜHNER 2006, 140), ist dies für die Items zur Planungsphase mit Cronbachs α = 0.28 nicht der Fall. Die inferenzsstatistischen Analysen zur Einschätzung der Validität ergaben hypothesenkonforme Mittelwertunterschiede für die kognitiven Lernvoraussetzungen, wobei die Schülerinnen und Schüler der Realschulen bei den Aufgaben zu allen drei Handlungsphasen signifikant besser (p < .01) abschnitten. Für die motivationalen Voraussetzungen trifft dies auf einem Signifikanzniveau von α = .01 für die Aufgaben zur Realisierung finanzieller Entscheidungen und tendenziell (p < .10) für die Aufgaben der Kontrollphase, jedoch nicht für die Aufgaben der Planungsphase zu. 

3.2.5 Reflexion und Schlussfolgerungen

Ausgehend von einem an handlungsregulationstheoretischen und wissenspsychologischen Argumentationslinien orientierten Arbeitsmodell wurde mit der hier vorgestellten Untersuchung das Ziel verfolgt, kompetenzorientierte Testaufgaben zur Messung von Financial Literacy zu entwickeln und einer ersten psychometrischen Evaluation zu unterziehen. Zu diesem Zweck wurden einschlägige statistische Kennwerte ermittelt, die im Hinblick auf die Schwierigkeit und die (Auswertungs-)Objektivität der kompetenzorientierten Testaufgaben zufriedenstellende Ergebnisse ausweisen. In die angestrebte Richtung weisen ebenso die Befunde der Validitätsprüfung. Nur in abgeschwächtem Maße trifft diese Aussage indes auf die Trennschärfe und die Reliabilität zu, wobei die vorliegenden Daten insbesondere auf einen Optimierungsbedarf bei den Testaufgaben zur Planung finanzieller Entscheidungen hindeuten. Auf die Schwierigkeit, Trennschärfekoeffizienten eindeutig zu interpretieren und entsprechende Schlüsse für die Testrevision zu ziehen, verweist indes BÜHNER (2006). So können beispielsweise niedrige (jedoch in etwa gleiche) „Trennschärfen vorteilhafter [sein] als hohe, wenn z.B. die Erfassung eines heterogenen Merkmals angestrebt wird und die Validität des Tests im Vordergrund steht“. (107). Ähnliche Erwägungen gelten im Hinblick auf die innere Konsistenz als Maß für die Testreliabilität. Vor allem für die Erfassung eines eher breit angelegten Konstrukts, wie dies bei der vorliegenden Untersuchung gegeben ist, sollten „im Zweifelsfall inhaltliche Kriterien über den Verbleib eines Items in der Skala entscheiden.“ (BÜHNER 2006, 138). Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen werden für eine Testrevision die folgenden Konsequenzen in den Blick genommen: Insofern keine zwingenden inhaltlichen Gründe dagegen sprechen, werden Items, die für mehrere Indikatoren ungünstige Werte aufweisen (z.B. Aufgabe zur Differenzierung von Wünschen und Bedürfnissen), aus dem Test genommen. Trifft dies indes nur für einzelne Indikatoren zu und/oder ist ein Item inhaltlich von hoher Bedeutung (z.B. Aufgabe zur Sozialversicherung), so sollte in Bezug auf diese Items eine entsprechende Ursachenerforschung (z.B. mittels kognitiver Survey-Techniken, vgl. PRÜFER/ REXROTH 2005) und Testrevision erfolgen. Um eine Verbesserung der Testreliabilität (und damit auch eine höhere Belastbarkeit der Befunde zur Validitätsprüfung) zu erreichen, ist zudem eine Testverlängerung in Erwägung zu ziehen. 

3.3 Studie 2: Rekonstruktion und Analyse von Alltagsvorstellungen zu finanzbezogenen Phänomenen

3.3.1 Ausgangspunkt der Studie

Testverfahren arbeiten notwendigerweise mit standardisierten und mehr oder weniger geschlossenen Aufgabenstellungen. Sie ermöglichen damit ein ökonomisches Monitoring des Lernstandes in Bezug auf ein bestimmtes Inhaltsgebiet. Für Assessments, die vorrangig auf das (fach-)didaktische Design adaptiver, der Heterogenität der Schülerinnen und Schüler Rechnung tragender Lehr-Lernarrangements ausgerichtet sind, stellt sich indes aber auch die Frage, mit welchen subjektiven Vorstellungen Lernende an die Unterrichtsinhalte herantreten. Diese Vorstellungen bilden einerseits die Grundlage dafür, dass neue Lernerfahrungen überhaupt verarbeitet und im Handeln nutzbar gemacht werden können. Andererseits können sie aber auch zum Lernhindernis werden oder sogar zu Lernwiderständen führen. Subjektive Vorstellungen sind damit eine wesentliche Voraussetzung eines gelingenden Kompetenzaufbaus und sollten daher vor allem bei komplexen Lerngegenständen eine explizite Berücksichtigung finden. Die Erhebung subjektiver Vorstellungen der Lernenden erfordert indes einen offeneren, stärker qualitativ orientierten Zugang. Ein dieser Anforderung entsprechendes Instrumentarium stellt die explizit für didaktische Anwendungskontexte entwickelte Phänomenographie bereit, die nachfolgend dargestellt werden soll. Vor diesem Hintergrund wird sodann über die methodische Vorgehensweise und die Befunde einer empirischen Untersuchung berichtet, bei der dieses Instrumentarium angewendet wurde, um die subjektiven Vorstellungen von Jugendlichen zur Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 zu rekonstruieren und zu analysieren. 

3.3.2 Theoretischer Hintergrund

Die Phänomenographie wurde in den 1970er Jahren an der Universität Göteborg von der Forschergruppe um FERENCE MARTON begründet und hat mittlerweile neben den Skandinavischen Ländern vor allem in Großbritannien, Australien und Hongkong Verbreitung gefunden. Laut MARTON (1986, 31) ist Phänomenographie „a research method adapted for mapping the qualitatively different ways in which people experience, conceptualise, perceive and understand various aspects of, and phenomena in, the world around them.“ In Übereinstimmung mit phänomenologischen Erkenntnistheorien und gestaltpsychologischen Ansätzen gehen phänomenographisch orientierte Forscherinnen und Forscher davon aus, dass Vorstellungen als menschliche Bewusstseinsinhalte im Erleben als Einheit aus Wahrnehmung und Erkenntnis verankert sind. Sie sind intentional, also stets auf etwas gerichtet. Dieses „Etwas“ lässt sich als thematisches Feld oder thematische Figur verstehen, welche horizonthaft immer auch einen thematisch übergeordneten Hintergrund einschließt. Phänomenographische Konzepte verweisen damit „auf die Grundstruktur allen Verständnisses und jeglicher Wahrnehmung als eines Figur-Hintergrund-Verhältnisses, das sich hinsichtlich der Konstitution von Figur und Hintergrund nachvollziehen und strukturell analysieren sowie mit weiteren empirisch nachvollziehbaren Varianten der Wahrnehmung bzw. des Verständnisses eines jeweiligen Gegenstandes vergleichen lässt.“ (MURMANN 2008,190, Hervorhebung im Original). Diesen Überlegungen entsprechend geht es in phänomenographischen Forschungsarbeiten insbesondere darum, potentiell mögliche „Vorstellungsräume“ (outcome spaces) und deren Variation zu identifizieren, welche üblicherweise als „Beschreibungskategorien“ (categories of description) oder „Konzeptionen“ (conceptions) bezeichnet werden. Diese Konzeptionen unterscheiden sich in Bezug auf bestimmte Gesichtspunkte, die so genannten Strukturmerkmale (structural relationships), und konstituieren untereinander in der Regel eine hierarchische Relation. Konzeptionen und Strukturmerkmale bilden die zentralen Analyseeinheiten phänomenographischer Forschungen und werden – wie im folgenden Abschnitt noch näher auszuführen sein wird – durch eine synthetische Verdichtung auf der Basis der empirischen Daten rekonstruiert (z.B. ÅKERLIND 2005). In diesen Verdichtungsprozess fließen neben kognitiven Aspekten auch emotionale, motivationale und biographische Komponenten ein. 

3.3.3 Methodisches Vorgehen

Stichprobe: Als Basis für die Nutzung des phänomenographischen Instrumentariums für die Rekonstruktion und Analyse der subjektiven Vorstellungen von Jugendlichen zur Wirtschafts- und Finanzkrise wurden halbstrukturierte Einzelinterviews mit insgesamt 56 Schülerinnen und Schülern durchgeführt. Zum Befragungszeitpunkt im Juni/Juli 2009 besuchten 27 der interviewten Personen eine Berufsfachschule Wirtschaft (1. Jahr) und 29 eine Realschule (9. Klasse) in Baden-Württemberg. Das Durchschnittsalter der Befragten lag bei circa 16 Jahren und rund 58 Prozent waren weiblich. Die unterschiedliche Affinität der beiden Schulformen zu wirtschaftsbezogenen Inhalten sollte dabei als Indikator für die domänenspezifische Vorbildung dienen, die für weitere, im Kontext dieses Beitrags jedoch ausgesparte Analyseschritte benötigt wurde (vgl. hierzu APREA, im Druck). Ebenso wie in der ersten Studie ist dieser Gruppe von Schülerinnen und Schülern die absehbare Nähe zur Suche nach einem Ausbildungsplatz gemeinsam. Die Stichprobe kann damit auch in diesem Fall als akzeptable Annäherung an die Zielgruppe von Jugendlichen am Übergang zur Berufsbildung angesehen werden.

Datenerhebung: Die Interviews wurden im Rahmen der regulären Schulzeit in einem separaten Raum des jeweiligen Schulgebäudes durchgeführt und dauerten durchschnittlich etwa eine Viertelstunde. Dabei wurden die Jugendlichen aufgefordert, möglichst frei zu schildern, was sie über die Wirtschafts- und Finanzkrise wissen und wie diese Krise aus ihrer Sicht nach Deutschland gekommen ist. Zudem wurde eruiert, ob und welche Emotionen bzw. individuelle Betroffenheit und Konsequenzen sie mit der Krise verbinden und wie sie diese im persönlichen Einflussbereich gegebenenfalls bewältigen wollen. Ferner wurden sie nach ihrem Interesse an Wirtschaftsthemen befragt. Impulse oder Hilfestellungen seitens der interviewenden Person erfolgten nur, wenn die Befragten ins Stocken kamen oder etwas nicht verstanden hatten.

Datenauswertung: Die Audioaufzeichnungen der Interviewdaten wurden zunächst transkribiert und dann gemäß den von ÅKERLIND (2005) für phänomenographische Forschungen entwickelten Empfehlungen weiterverarbeitet. Diese Empfehlungen sehen die in Abbildung 2 dargestellten Schritte vor. 

Ausgehend von einem mehrmaligen Lesen der Transkripte werden zunächst zentrale Unterschieden und Ähnlichkeiten in den Aussagen herausgefiltert (a). Auf dieser Basis erfolgt die Identifikation von Strukturmerkmalen, mit deren Hilfe sich diese Unterschiede beschreiben lassen (b) sowie die Formulierung und Ausarbeitung eines Sets distinkter Konzeptionen, die unterschiedliche, hierarchisch aufgebaute Ausprägungen der Strukturmerkmale repräsentieren (c). Das Durchlaufen dieser Schritte ist größtenteils rekursiv und erfordert eine permanente Rückbindung an die empirischen Daten (Interviewtranskripte). Die vorgenommenen Interpretationen der Interviewdaten sollten ferner einer begleitenden diskursiven Validierung unterzogen werden (d), die im vorliegenden Beispiel durch kontinuierlich Rückkopplung mit zwei nicht am Projekt beteiligten Forschenden erfolgte. Die Ergebnisse dieser Diskussionen wurden in die Ausdifferenzierung der Strukturmerkmale und die Entwicklung der Konzeptionen eingearbeitet.

 

Initiates file download

Abb. 2: Phänomenographisches Vorgehen zur Rekonstruktion von subjektiven Vorstellungen (in Anlehnung an ÅKERLIND 2005)

Tabelle 1 im nächsten Abschnitt gibt die mit Hilfe dieses Vorgehens gewonnenen Strukturmerkmale (Tabellenzeilen) und Konzeptionen (Tabellenspalten) wieder.

3.3.4 Ausgewählte Ergebnisse 

Als Strukturmerkmale zur Differenzierung von Vorstellungsräumen zur Wirtschafts- und Finanzkrise ließen sich in den Interviewdaten die Bewusstheit der Jugendlichen in Bezug auf unterschiedliche Inhalte identifizieren, nämlich: Bewusstheit über (a) die Existenz und (b) die Hintergründe/Auswirkungen der Krise sowie über (c) die eigene Betroffenheit. Je nach Ausprägung dieser drei Strukturmerkmale (d.h. jeweilige Bewusstheit vorhanden oder nicht vorhanden) wurden die in Tabelle 1 zusammenfassend dargestellten Vorstellungsräume bzw. Konzeptionen rekonstruiert.

Die erste Konzeption, die hier als „Leugnung“ bezeichnet wird und der schwerpunktmäßig fünf Prozent der Stichprobe zuzuordnen sind, ist dadurch gekennzeichnet, dass die Krise von den befragten Jugendlichen eigentlich gar nicht als solche angesehen wird, mithin eine Bewusstheit über deren Existenz nicht vorhanden ist. In einer Art Verschwörungstheorie stehen Politiker und/oder Arbeitgeber hier im Verdacht, die Krise erfunden zu haben, um eigene Interessen gegenüber Wählern oder Arbeitnehmern durchzusetzen. Informationen zur Krise (im Unterricht oder in den Medien) interessieren nicht oder werden nicht wahrgenommen. Ein dem Bewusstsein zugängliches Wissen über die Hintergründe und Ursachen der Krise ist noch nicht einmal in fragmentarischer Form vorhanden. Ebenso weckt die Krise keinerlei emotionale Betroffenheit („ist mir egal“, „das lässt mich völlig kalt“) und es werden weder kurz- noch langfristig Konsequenzen auf das eigene Leben angenommen.

Tabelle 1: Konzeptionen von Jugendlichen zur Wirtschafts- und Finanzkrise nach zunehmender Bewusstheit

Initiates file download

Bei der zweiten Konzeption, die sich als „Magisierung“ oder „magisches Denken“ zusammenfassen lässt und auf die etwa die Hälfte der Interviews entfallen, wird die Krise bzw. deren Auswirkungen zwar realisiert („es gibt viele Arbeitslose“, „der Wirtschaft geht es schlecht“), aber auch hier liegen keine substanziellen Kenntnisse oder gar ein tiefergehendes Verständnis über Zusammenhänge vor. Ängste in Bezug auf die eigenen Chancen am Arbeitsmarkt werden zwar thematisiert, gleichwohl wird gemutmaßt, dass negative Auswirkungen auf das eigene Leben nicht eintreten werden, weil die Krise in Kürze sicherlich wieder vorbei sein wird. Genauere Angaben, warum und wie dies geschehen soll, können indes nicht gemacht werden; argumentiert wird vielmehr auf eine „kindlich-tröstende“ Art und Weise („so schlimm kann es auch wieder nicht sein“, „das wird schon wieder werden“). 

Bei der dritten Konzeption („Optimismus“), unter die sich schwerpunktmäßig etwas mehr als ein Drittel der Personen subsumieren lassen, wird die Krise wahrgenommen und es liegen auch fragmentarische Kenntnisse über deren Hintergründe und Ursachen vor. Darüber hinaus sind mit der Krise durchaus Emotionen wie Wut oder Mitleid verbunden, die Befragten sehen sich persönlich aber nicht als von der Krise betroffen an, weil sie glauben, dass sie über genügend individuelle Bewältigungsstrategien (z.B. gute Zeugnisnoten, persönliche Kontakte zu Firmen) verfügen, die sie vor negativen Auswirkungen schützen. 

Bei der letzten Konzeption („Realismus“), die mit sieben Prozent der Befragten besetzt ist, liegt schließlich ein elaboriertes Verständnis über die Hintergründe und Ursachen der Krise vor. Potentielle kurz- und langfristige Effekte werden auch im Hinblick auf die eigene Zukunft wahrgenommen, und auf dieser Basis werden alternative Bewältigungsstrategien reflektiert. 

3.3.5 Reflexion und Schlussfolgerungen

Vor dem Hintergrund eines phänomenographisch orientierten Forschungszugangs war die empirische Untersuchung im Rahmen der zweiten Studie darauf ausgerichtet, die subjektiven Vorstellungen von Jugendlichen zur Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 auf der Basis von Interviewdaten zu rekonstruieren und zu analysieren. Dabei bestätigen die im vorangehenden Abschnitt dargestellten Ergebnisse Befunde aus ähnlichen Studien (z.B. BERTI 1999), wonach Lernende (a) häufig nicht erkennen, welchen massiven Einfluss ökonomische Phänomene wie die Wirtschafts- und Finanzkrisen für sie selbst haben können, und (b) Schwierigkeiten damit haben, die hinter diesen Phänomenen stehenden Ursache-Wirkungsmechanismen angemessen zu verstehen. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse, welche Spannbreite die subjektiven Vorstellungen bei der hier interessierenden Zielgruppe aufweisen können und liefern damit fruchtbare Hinweise für eine differenzierte Gestaltung des wirtschaftskundlichen Unterrichts. Angesichts der skizzierten Befundlage sollte ein entsprechender Schwerpunkt dieses Unterrichts vor allem auf den konzeptionsspezifischen Prozessen der Bewusstseinsbildung liegen. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang Lernangebote, die die Konsequenzen ökonomischer Sachverhalte für die Lernenden erfahrbar machen (z.B. Unterrichtsexperimente und Simulationen) und damit einen Beitrag dazu leisten können, vorhandene emotionale Schranken gegenüber wirtschaftsbezogenen Unterrichtsinhalten zu durchbrechen, was als optimale Bedingung für den Aufbau von Wissen und Können angesehen werden kann. Angesichts dieser Überlegungen liegt es nahe, dem phänomenographischen Zugang eine hohe ‚consequential validity‘ zu attestieren. Indes sind zur weiteren Absicherung dieser Schlussfolgerung ergänzende Forschungen angeraten, auf die im abschließenden Abschnitt eingegangen wird.

4 Zusammenfassung und Ausblick

Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungstendenzen wurde in diesem Beitrag die Frage nach geeigneten Instrumenten zur Erfassung des Lernbedarfs in Bezug auf die Befähigung zum adäquaten Umgang mit Geld und Finanzthemen aufgegriffen. Dazu wurden zunächst vorhandene Instrumente referiert und deren kritische Punkte aufgezeigt. Zudem wurden zwei alternative diagnostische Zugänge vorgestellt, mit deren Hilfe ein Beitrag zur Überwindung dieser Kritikpunkte geleistet werden soll. Die beiden Zugänge fokussieren auf unterschiedliche, jedoch komplementäre diagnostische Informationen: Während mit den kompetenzorientierten Testaufgaben primär Lerndefizite in Bezug auf objektive Aufgabenanforderungen hinsichtlich des Umgangs mit Geld und Finanzthemen identifiziert werden sollten, war die phänomenographisch orientierten Erhebung der Alltagsvorstellungen zu finanzbezogenen Phänomenen in erster Linie darauf ausgerichtet, etwas über den subjektiven Interpretationshintergrund der Lernenden zu erfahren. Die Befunde aus den beiden empirischen Untersuchungen lassen den Schluss zu, dass für die hier fokussierte Zielgruppe von Jugendlichen am Übergang zur beruflichen Bildung mit den beiden Zugängen erste Schritte auf dem Weg zu einer theoretisch und empirisch fundierten Messung der Befähigung zum Umgang mit Geld und Finanzthemen getätigt werden konnten, die indes eines weiteren Ausbaus bzw. einer weiteren Validierung bedürfen. Künftige Forschungsarbeiten sollten dabei vor allem die folgenden Aspekte in den Blick nehmen: 

Neben der Erprobung und Evaluation der im Abschnitt 3.2.5 skizzierten Revisionen wird es in Bezug auf die kompetenzorientierten Testaufgaben vorrangig darum gehen, das Arbeitsmodell weiter zu präzisieren (z.B. weitere theoretische und empirische Fundierung der Erfassung von objektiven Aufgabenanforderungen) und komplexere psychometrische und statistische Methoden (z.B. Faktorenanalysen, Strukturgleichungsmodelle, Rasch-Modellierungen) zum Einsatz zu bringen. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang zudem die Entwicklung und Erforschung von Kompetenzstufen.

Weiterführende Forschungsarbeiten in Bezug auf den phänomenographischen Zugang sollten sich zum einen mit der Frage beschäftigen, inwieweit sich die Befunde über die hier betrachtete Stichprobe hinaus sowie für weitere finanzbezogene Themenstellungen generalisieren lassen. Zum anderen sollte mittels systematischer Interventionsstudien eruiert werden, mit welchen adaptiven Lehr-Lernarrangements finanzbezogene Vorstellungen von Jugendlichen verändert werden können.

 

LITERATUR 

ÅKERLIND, G.S. (2005): Variation and commonality in phenomenographic research methods. In: Higher Education Research & Development, 24(4), 321-334.

ANDERSON, L.W./ KRATHWOHL, D.R./ AIRASIAN, P.W./ CRUIKSHANK, K.A./ MAYER, R.E./ PINTRICH, P. R./ RATHS, J./ WITTROCK, M.C. (2001): A taxonomy for learning, teaching, and assessing. New York.

ANZ (2008): Survey of adult financial literacy in Australia. Online: www.anz.com/Documents/AU/Aboutanz/AN_5654_Adult_Fin_Lit_Report_08_Web_Report_full.pdf  (10-02-2012).

APREA, C. (2011): Financial Literacy als Gegenstand empirischer Forschung im deutschsprachigen Raum. Unveröffentlichtes Manuskript des Vortrags am 27.09.2011 im Rahmen der Herbsttagung der Sektion BWP an der Universität Konstanz.

APREA, C. (im Druck): Alltagsvorstellungen von Jugendlichen zu komplexen ökonomischen Phänomenen: Eine explorative Untersuchung am Beispiel der Wirtschafts- und Finanzkrise. (erscheint in: Tagungsband der Deutschen Gesellschaft für ökonomische Bildung 2012).

APREA, C./ EBNER, H. G./ MÜLLER, W. (2010): „Ja mach nur einen Plan …“ - Entwicklung und Erprobung eines heuristischen Ansatzes zur Planung kompetenzorientierter wirtschaftsberuflicher Lehr-Lern-Arrangements. In: Wirtschaft und Erziehung 4/2010, 91-99.

ATKINSON, A./ MESSY, F. (2012): “Measuring Financial Literacy: Results of the OECD / International Network on Financial Education (INFE) Pilot Study”. Online: dx.doi.org/10.1787/5k9csfs90fr4-en (30-04-2012).

BAARTMANN, L.K.J./ BASTIENS, T.J./ KIRSCHNER, P.A./ VAN DER VLEUTEN, C.P.M. (2007): Evaluating assessment quality in competence-based education: A qualitative comparison of two frameworks. In: Educational Research Review, 2(2), 114-129.

BERTI, A.E. (1999): Knowledge restructuring in an economic subdomain: Banking. In: W. SCHNOTZ/ S. VOSNIADOU/ M. CARRETERO (Eds.): New Perspectives on Conceptual Change. Amsterdam, 113-136.

BERTI, A.E./ BOMBI, A.S. (1988) The child’s construction of economics. Cambridge.

BÜHNER, M. (2006): Einführung in die Test- und Fragebogenkonstruktion. München.

CBF (2006): Australian financial literacy assessment. Online: www.commbank.com.au/about-us/download-printed-forms/AFLA-2006-report.pdf (20-03-2012).

CHOMSKY, N. (1974): Thesen zur Theorie der generativen Grammatik. Frankfurt am Main.

COMMERZBANK (2003): Finanzwirtschaftliches Grundwissen der deutschen Bevölkerung: Präsentation der Studienergebnisse. Unveröff. Manuskript, Frankfurt, 4. Juni 2003.

DAVIES, P. (2009): Improving the quality of students’ arguments through ‘assessment for learning’. In: Journal of Social Science Education, 8(2), 94-104.

EBNER, H.G. (2005): Instruktionstheoretische Grundlagen der Gestaltung wirtschaftsberuflicher Lernumgebungen. Manuskript zur Vorlesung an der Universität Mannheim. 

FESSLER, P/ SCHÜRZ, M/ WAGNER, K./ WEBER, B. (2007): Die Finanzkompetenz der österreichischen Bevölkerung. In: Geldpolitik und Wirtschaft, Q3/07, 53-71.

FSA (2006): Financial capability in the UK. Establishing a baseline Online: www.fsa.gov.uk/library/other_publications/fcp (10-02-2012).

HACKER, W. (1998): Allgemeine Arbeitspsychologie. Göttingen.

HUSTON, J.S. (2010): Measuring financial literacy. In: Journal of Consumer Affairs, 44(2), 296-316.

LEONTJEW, A.N. (1977): Tätigkeit, Bewusstsein und Persönlichkeit. Stuttgart.

MANDELL, L. (2008): The Financial literacy of young American adults. Online: www.jumpstart.org/assets/files/2008SurveyBook.pdf (14-04-2012).

MARCOLIN, S./ ABRAHAM, A. (2006): Financial literacy research: Current literature and future opportunities. Online: ro.uow.edu.au/commpapers/223/ (14-04-2012).

MARTON, F. (1986): Phenomenography – a research approach to investigating different understandings of reality. In: Journal of Thought, Vol. 21(3), pp. 28-49.

MILLER, G.A./ GALANTER, E./ PRIBRAM, K. A. (1960): Plans and the structure of behavior. New York.

MURMANN, L. (2008): Phänomenographie und Didaktik. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Jg. 10, Sonderheft 9, 187-199.

OECD (2005): Improving financial literacy. Analysis of issues and policies. Paris.

PELLEGRINO, J.W./ CHUDOWSKY, N./ GLASER, R. (2001): Knowing what students know. Washington, D.C.

PRÜFER, P./ REXROTH, M. (2005): Kognitive Interviews. ZUMA Mannheim.

REIFNER, U. (2006): Financial literacy in Europe. Baden-Baden.

TIME MAGAZINE (2010): How to teach kids about money. Online: www.time.com/time/magazine/article/0,9171,1953695,00.html (01-03-2012).

VOLPERT, W. (2003): Wie wir handeln - was wir können. 3., vollst. überarb. Aufl. Sottrum.

WEINERT, F.E. (2001): Concept of competence. In: L. H. SALGANIK (Ed.): Defining and selecting key competencies. Seattle, 45-65.

 

Initiates file download


Zitieren dieses Beitrages

APREA, C. (2012): Messung der Befähigung zum Umgang mit Geld und Finanzthemen: Ausgewählte Instrumente und alternative diagnostische Zugänge. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 22, 1-21. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe22/aprea_bwpat22.pdf  (26-06-2012).


bwp@-Format: