bwp@ 26 - Juni 2014

Berufliche Bildung aus der Perspektive des lernenden Subjekts

Hrsg.: Tade Tramm, Martin Fischer & Nicole Naeve-Stoß

Lernen als Wirkung schulischen Qualitätsmanagements – (k)eine Selbstverständlichkeit? Die Perspektive der Schülerinnen und Schüler als Ausgangspunkt einer qualitativen Studie

Beitrag von Helmut Ittner & Annikka Zurwehme
bwp@-Format: Forschungsbeiträge

Die Frage nach der Wirkung schulischen Qualitätsmanagements steht auf der Agenda empirischer Bildungsforschung, primär unter Anwendung eines quantitativen Forschungsparadigmas. Entgegen üblicher evidenzfokussierter Forschungspraxis fragt eine qualitative Studie zum QM-System QEE im Bundesland Bremen auch Schülerinnen und Schüler, wie sich QM auf ihr Lernen auswirkt.

Ausgehend von Holzkamps (1995) subjektwissenschaftlicher Lerntheorie und darauf basierenden erwachsenenpädagogischen Lernmodellen (vor allem Ludwig 2004, 2012) wurde ein Wirkungsmodell entwickelt. Dieses definiert lernunterstützende Verständigung zwischen Lernenden und Lehrenden als beeinflussbare Wirkungsgröße. Untersucht wird, welche Gründe die Akteure für bzw. gegen eine solche Verständigung haben und wie ein QM Verständigungsprozesse fördern kann.

Angeknüpft wird an den Lerninteressen der Schülerinnen und Schüler und– fallbezogen – werden Diskrepanzen zu den tatsächlichen Lernerfahrungen im Unterricht ermittelt. Parallel zu diesen Lernproblematiken werden typische Handlungsproblematiken von Lehrkräften bearbeitet, um aus beiden Perspektiven zu erfahren, wie, auf der Grundlage welcher Annahmen und welcher Begründungsmuster die Akteure bei Diskrepanzen in einen Verständigungsprozess miteinander treten.

Der Beitrag liefert einen Überblick über Zielsetzung, Forschungsansatz und Studiendesign. Er bietet erste – auf die Perspektive der Schülerinnen und Schüler bezogene – Ergebnisse dieses innovativen Vorgehens. Diskrepanzen zwischen Interessen und Realitäten für die Lernenden werden dabei nicht als „Schuldzuweisung“ an die Lehrkräfte, sondern als erklärende Öffnung für damit verbundene Gründe verstanden.

Learning as an effect of school-based quality management – is this a matter of course or not? Pupils’ perspectives as the starting point of a qualitative study

English Abstract

The question of the effect of school-based quality management (QM) is on the agenda of empirical educational research, primarily with the application of a quantitative research paradigm. In contrast to customary evidence-based research practice a qualitative study on the QEE QM system in the federal state of Bremen asks pupils how QM affects their learning.

Starting with Holzkamp’s (1995) academic subject learning theory and the adult learning pedagogical models based on that (above all Ludwig 2004, 2012) an effect model was developed. This model defines supportive learning understanding between learners and teachers as an effect size that can be influenced. The paper examines the reasons the actors have for being for or against such an understanding and how QM can facilitate the processes of understanding.

This links to the learning interests of the pupils and – on a case study basis – discrepancies with the actual learning experiences in class are established. In parallel with these problematic issues related to learning typical problematic issues related to action on the part of the teachers are considered, in order to find out from these two perspectives how, on the basis of which assumptions and which rationales the actors take with them into a process of understanding in the event of discrepancies.

The paper provides an overview of the goals, research approach and study design. It offers initial results of this innovative approach – related to the perspective of the pupils. Discrepancies between interests and realities for the learners are not understood as ‘blaming’ the teachers, but rather as an explanatory opening for associated reasons.

1 Ein vernachlässigter Blick auf das Lernen in der Schule

Das Gelingen von Lehr-Lern-Prozessen hängt zu einem nicht unerheblichen Teil von den Lernenden selbst ab; so betonen es zahlreiche pädagogische Schriften. Dennoch findet sich vergleichsweise wenig Forschung zu der Frage, welche Aspekte aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern das individuelle Lernen unterstützen oder behindern bzw. zu ihrer Sicht auf Schule (vgl. z. B. Köhler 2011, Bohnsack 2013 oder auch Akbas 2013). Es dominieren vielmehr Veröffentlichungen zur methodisch-didaktischen Gestaltung von Unterricht, die zu immer differenzierteren Lehr-Lern-Arrangements führen, umfangreiche Kriterienkataloge für die Gestaltung guten Unterrichts werden aufgestellt und generell gilt die Annahme, dass gutes Lernen „erzeugt“ werden kann, wenn der Unterricht dem aktuellen Stand pädagogischer und psychologischer Forschung entspricht. Dass dieser Logik ein „Lehr-Lern-Kurzschluss“ (vgl. Holzkamp 1996) zu Grunde liegt, erfahren Lehrkräfte hingegen in ihrer täglichen Unterrichtspraxis. Egal wie aufwändig die Unterrichtsvorbereitung betrieben wird, es ist keineswegs sichergestellt, dass die Schülerinnen und Schüler auch tatsächlich etwas lernen.

Vermehrt findet sich daher die Forderung, die Perspektive der Lernenden stärker in den Fokus pädagogischer Forschung zu rücken und Schülerinnen und Schüler als eigentliche Experten für das Lernen in den Mittelpunkt zu stellen. Lernen solle „subjektorientiert“ (Seufert/Schuchmann 2013, 2) ausgerichtet sein, Lernprozesse müssten vor allem selbstgesteuert bzw. selbstbestimmt erfolgen (vgl. z. B. Dietrich/Fuchs-Brüninghoff 1999, Faulstich 2002, Konrad 2008).

Vor diesem Hintergrund sowie begründet aus der eigenen Praxiserfahrung wird in einer kürzlich fertig gestellten Studie[1] unter Rückgriff auf die Arbeiten von Klaus Holzkamp (1985 und 1995) bewusst eine subjektwissenschaftlich fundierte Herangehensweise zu Grunde gelegt, um die Wirkung schulischen Qualitätsmanagements auf das Lernen zu ermitteln und dabei gezielt bei den Schülerinnen und Schülern selbst anzusetzen. Vergleichbare Studien aus dem anglo-amerikanischen Raum nehmen ebenfalls die Lernwirksamkeit von Qualitätsmanagement in den Blick, basieren oft jedoch auf einem quantitativen Forschungsdesign und operationalisieren Lernen vorrangig als Leistungsergebnisse in Tests bzw. Prüfungen (vgl. z. B. Hanushek/Raymond 2005, Jacob 2005, Rosenthal 2004, Shaw et al. 2003 u. v. m.). Sie weisen teilweise widersprüchliche Ergebnisse auf, da eine unmittelbare Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen der Qualitätsmanagement-Nutzung und dem Lernerfolg aufgrund zahlreicher beeinflussender Variablen nicht hergestellt werden kann. In der diesem Beitrag zu Grunde liegenden Studie geht es hingegen nicht um die Lernergebnisse sondern um den Lernprozess und mögliche Wirkungen des Qualitätsmanagements auf diesen.

Ausgangspunkt ist dabei die These, dass Schülerinnen und Schüler bei Lernproblematiken die Möglichkeit haben, diese unmittelbar im Unterricht anzusprechen bzw. sich mit ihren Lehrkräften über die Situation und mögliche Handlungsalternativen zu verständigen. Qualitätsmanagementinstrumente könnten und sollten für diesen Verständigungsprozess genutzt werden und erhielten somit eine lernunterstützende Funktion, so dass ein mittelbarer Wirkungszusammenhang nachweisbar wäre.

Die Studie setzt an Diskrepanzerfahrungen von Schülerinnen und Schülern an, die sie im Unterricht erleben. Diese können sich zum einen auf thematische Aspekte beziehen (wie z. B. die gewählten Unterrichtsinhalte) sowie operative bzw. soziale Problematiken betreffen (wie z. B. die jeweilige Lernmethode, die Verständlichkeit der Stoff-Vermittlung, die gegenseitige Wertschätzung zwischen Lehrkraft und Lernenden). Diskrepanzerfahrungen können dabei durchaus auch ein Ausgangspunkt für Lernen sein (vgl. Holzkamp 1995, 214). Darüber hinaus prägen sie den schulischen Alltag und werden von den Schülerinnen und Schülern als weitgehend normal für das System Schule empfunden (vgl. Bohnsack 2013, 32ff.).

In der aktuellen pädagogischen Literatur wie auch in der zum Qualitätsmanagement in Schulen wird der Dialog zwischen Lehrenden und Lehrkräften z. B. mit Hilfe des Feedbacks als zentral angesehen (vgl. z. B. Hattie 2013, 206ff., Berger et al. 2013, Landwehr 2003). Verständigung als Bearbeitung von Diskrepanzerfahrungen zu sehen, ist demgegenüber im schulischen Kontext bisher wenig verbreitet. Die vorliegende Studie greift deshalb vorrangig auf Konzepte der Erwachsenenbildung zurück (insbesondere Ludwig 2008 und 2012), in denen auf Verständigung als wesentliche Möglichkeit der Lernunterstützung gesetzt wird.

Der Fokus des vorliegenden Beitrags liegt auf der Beschreibung der Datenerhebung sowie auf der Darstellung zentraler Ergebnisse der Wirkungsstudie, um den wissenschaftlichen Diskurs zu dieser noch nicht weit verbreiteten Forschungsfrage und Forschungsmethodik anzuregen. Auf theoretische Grundlagen sowie das entwickelte Wirkungsmodell wird somit nur ansatzweise Bezug genommen. Eine ausführliche Beschreibung der theoretischen Basis findet sich bei Ittner/Zurwehme (2014b).

Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass die Frage nach der Wirkung von Qualitätsmanagement auf das Lernen zunehmend an Bedeutung gewinnen wird, wenn es darum geht, berufliche Schule in die Lage zu versetzen, zukünftigen Ansprüchen – gerade auch seitens der Schülerinnen und Schüler – gerecht zu werden. Die Ergebnisse der Studie können somit als Grundlage für eine Neupositionierung von Qualitätsmanagement im schulischen Kontext genutzt werden.

2 Ein unkonventioneller Blick auf das schulische Qualitätsmanagement – Konzeption einer Wirkungsstudie zum Qualitätsmanagement an beruflichen Schulen im Bundesland Bremen

Ist das Lernen der Schülerinnen und Schüler Ausgangspunkt für die Frage nach der Qualität von Schule und wird davon ausgegangen, dass dieses Lernen zwar unterstützt, aber nicht als Ergebnis eines Lehrarrangements verstanden werden kann (vgl. Faulstich 2013 mit Bezug auf Holzkamp 1996, 203), so hat dies auch Konsequenzen für die Frage nach der Wirkung von Qualitätsmanagement. Die Wirkung eines Systems, das die Qualität von Lernunterstützung im Fokus hat, kann nur dort gefunden werden, wo es konkret zu diesbezüglichem Handeln kommt, also in den Kommunikationsprozessen zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern einerseits und zwischen den Lehrkräften untereinander bzw. diesen und den Leitungsverantwortlichen andererseits.

Für eine so gestellte Frage nach Wirkung muss daher nicht nur ein theoretischer Zugang zum Lernen der Schülerinnen und Schüler und zu schulischen Lehr-Lern-Verhältnissen expliziert werden, es muss darüber hinaus gelingen, ein dazu passendes Verstehenskonzept zum professionellen Handeln der Lehrkräfte zu finden, das es ermöglicht, konkrete, empirisch erfasste Handlungsweisen so aufzuschlüsseln, dass in diesen die lernunterstützenden Intentionen und die dafür maßgeblichen Gründe deutlich werden.

Damit weicht die vorliegende Studie sowohl in Hinblick auf das zu Grunde liegende Verständnis von Lernen als auch hinsichtlich des Bezugs auf die Interaktion zwischen den am pädagogischen Prozess Beteiligten von anderen Wirkungsstudien ab. In den oben zitierten Studien, die Lernergebnisse als Wirkung verstehen, werden diese als das Ende einer unmittelbar zu beeinflussenden Kausalkette verstanden. Lernen wird hingegen nicht als intentionales – begründetes – Handeln, das unterstützt werden kann, gesehen. Aktuelle Studien zur Wirkung von Qualitätsmanagement aus dem deutschsprachigen Raum fokussieren eher auf Prozesse, erreichen dabei aber die Ebene des individuellen Lernens nicht. Verbunden war mit dem gewählten Ansatz auch die Erwartung, besser verstehen zu können, warum etwa in der Studie zum baden-württembergischen System OES (vgl. Ebner 2012) keine Wirkungen auf den Unterricht nachgewiesen werden konnten bzw. warum die Ergebnisse von Schulinspektionen nicht zu verändernden Aktivitäten führen (vgl. Wurster/Gärtner 2013) oder von den Akteuren vor Ort nicht oder nur stark modifiziert und selektiert handlungsrelevant werden (vgl. Sächsisches Bildungsinstitut 2013). Eine ausführliche Begründung für die Wahl des Forschungsansatzes findet sich unter Ittner/Zurwehme (2014b).

2.1 Zielsetzung und Forschungsfrage der Wirkungsstudie

Um Aussagen darüber zu erhalten, welche Zusammenhänge es zwischen schulischem Qualitätsmanagement, pädagogischer Interaktion zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern und deren Lernen gibt, wurde die Studie entlang der folgenden Fragen konzipiert:

  • Welche Sicht haben Schülerinnen und Schüler auf unterrichtliche Lehr-Lern-Situationen, in diesem Kontext auftretende Lernproblematiken, Aktivitäten zur Bearbeitung von Diskrepanzen zwischen Lerninteressen und Lehrarrangement sowie ggf. auf die Nutzung von Qualitätsmanagement-Elementen in diesem Zusammenhang.
  • Welche Sicht haben Lehrkräfte auf unterrichtliche Lehr-Lern-Situationen, in diesem Kontext auftretende Handlungsproblematiken, Gründe für oder gegen Initiativen zur Auseinandersetzung mit Schülerinnen und Schülern und für oder gegen die Nutzung von Qualitätsmanagement-Elementen in diesem Zusammenhang.

Ausgegangen wurde dabei davon, dass Schule sowohl für die Lehrkräfte als auch für die Schülerinnen und Schüler geprägt ist von sich widersprechenden Anforderungen und dass die Akteure Strategien und Routinen ausbilden, um handlungsfähig zu bleiben. Damit verbunden ist, dass den Handelnden ihre Gründe nur teilweise bewusst sind, diese aber in Problemsituationen (teilweise) aufzuschlüsseln sind und nur gemeinsam mit den Akteuren erfasst werden können. Schulisches Qualitätsmanagement – so eine weitere Annahme – wird dann aus gutem Grunde von den Akteuren genutzt, wenn es diesen als geeignet zur Bearbeitung oder Lösung von auftretenden Problematiken erscheint.

2.2 Überblick über theoretische Grundlagen der Studie

Da es in der Studie um die Sichtweisen, Begründungen und Verständniskonzepte der Akteure geht, wurde ein subjektwissenschaftliches Modell zu Grunde gelegt. Wie Faulstich (2013) aufzeigt, überwindet die Lerntheorie Holzkamps (vor allem: 1995) Einschränkungen der „Traditionslinie“ (a. a. O., 63) vom Behaviorismus über den Kognitivismus einschließlich der Handlungsregulationstheorie bis hin zum Konstruktivismus sowie des Biologismus neurophysiologischer Lernkonzepte (vgl. a. a. O., 57) und bedeutet einen Perspektivwechsel: „Lernen erfolgt nicht von außen bedingt, sondern als vom Subjekt begründet“ (a. a. O., 79).

Hintergrund der Holzkamp’schen Lerntheorie ist ein in der „Kritischen Psychologie“ (vor allem: Holzkamp 1985) entwickeltes Verständnis der menschlichen Psyche als genetisch determinierte Grundlage für die Gesellschaftlichkeit des Menschen (vgl. a. a. O., 175ff.). Die „Bedeutungs-Bedürfnis-Dimensionen“, die der psychische Aspekt der Beziehung des handelnden Individuums zur gesellschaftlichen Realität sind (vgl. a. a. O., 207), sind bestimmt durch gesamtgesellschaftliche Bedeutungsstrukturen, die einen in sich objektiven Verweisungszusammenhang (vgl. a. a. O., 230) bilden und die Vermitteltheit individueller Kommunikation durch gesellschaftliche Sprachverhältnisse einschließen (vgl. a. a. O., 232). Die Bedeutungen verweisen auf Handlungsmöglichkeiten die vom Individuum realisiert werden können. Bewusstsein wird verstanden als gnostische Welt- und Selbstbeziehung, in welcher sich die Menschen zu Handlungsmöglichkeiten verhalten können (vgl. a. a. O., 237). Das bewusste Verhalten von Individuen ist immer eine „‘subjektive‘ Realisierung der (…) gesellschaftlichen Bedeutungsstrukturen, insbesondere der (…) objektiven Handlungszusammenhänge in ihrer ‚symbolischen‘ Repräsentanz durch die ‚gnostischen‘ Strukturen gesellschaftlicher Denk- und Sprachformen (…). Dies ist das einzige ‚Medium‘, durch welches die Individuen sich ihre reale Stellung innerhalb des gesellschaftlichen Lebenszusammenhangs bewußt (sic!) machen können“ (a. a. O., 348).

Subjekte haben daher immer Gründe für ihr Handeln und da sich diese auf gesellschaftliche Bedeutungsstrukturen beziehen, sind solche Gründe auch prinzipiell intersubjektiv verstehbar und vermittelbar. Konkrete gesellschaftliche Verhältnisse sind gekennzeichnet durch unterschiedliche durch Machtverhältnisse abgesicherte Teilhabemöglichkeiten. Daraus ergeben sich je nach Situation des Subjekts unterschiedliche Denk- und Handlungsmöglichkeiten und damit verbunden auch unterschiedliche Handlungsgründe (a. a. O., 358), so dass die intersubjektive Verstehbarkeit ebenfalls eingeschränkt sein kann. Insbesondere zu Bedeutungen, die auf gesellschaftliche Widersprüche verweisen kann sich ein Subjekt bewusst verhalten (und sich diese damit bewusst machen) oder diese auch ignorieren.

Zu intentionalem Lernen kommt es dann, wenn das Subjekt eine Handlungsproblematik nicht anders bewältigen kann als durch einen vertieften Aufschluss von Bedeutungsstrukturen (vgl. Holzkamp 1995, 182f.) und wenn es eine erfolgreiche Bewältigung der Problematik durch Lernen antizipiert. Lernen setzt an einem Lerngrund an und basiert auf einer erfassten Differenz von bereits zur Verfügung stehenden Bedeutungsstrukturen und solchen, die geeignet sind, die Handlungsfähigkeit in adäquater Weise zu erweitern (vgl. a. a. O., 221). Im Gegensatz zur Handlungsregulationstheorie, die auf den „sekundär-operativen Aspekt“ (a. a. O., 275) des Lernens fokussiert, betont die subjektwissenschaftliche Lerntheorie den thematischen Aspekt und damit das Primat der Begründetheit (Sinnhaftigkeit) menschlichen Handelns.

Ludwig (2008a) verortet den Bildungsprozess im Spannungsfeld zwischen der „Aneignung gesellschaftlicher Wissensbestände und Regeln“ (a. a. O., 42) und „deren Kritik und Transformation“ (a. a. O.). Er habe also immer zwei Facetten, die dem „Zusammenspiel gesellschaftlicher Gouvernementalität einerseits (…) sowie der Versuche der Verfügungserweiterung der Lernenden andererseits“ (a. a. O.) entsprächen. „Die in sich widersprüchlichen individuellen (Lern-)Handlungen sind der gemeinsame Ausgangspunkt des Bildungsprozesses, sie konstituieren und ermöglichen den Bildungs- und Suchprozess als wechselseitige Verständigung“ (a. a. O.). Verständigung wird so zur Schlüsselkategorie für intersubjektive Lehr-Lern-Verhältnisse, die (auch) ein „expansives“ (Holzkamp 1995, 190), also auf die Erweiterung individueller Verfügung gerichtetes Lernen ermöglichen. (Als „Gegenpool“ verwendet Holzkamp den Begriff defensives Lernen und meint damit ein Lernen, das auf die Vermeidung einer Einschränkung individueller Handlungsmöglichkeiten durch Übernahme fremder Lernanforderungen gekennzeichnet ist (vgl. a. a. O.). Konkrete Lernprozesse in der Schule haben überwiegend defensiven Charakter, dies schließt aber Übergänge und expansive Anteile nicht aus.) Lernunterstützung basiert damit auf wechselseitigem Verstehen und Vermittlung, „die in Interpretations- und Beratungsangeboten (in Form von Gegenhorizonten) an die anderen Lernenden mündet“ (Ludwig 2008b, 121).

Der Bezug auf diese subjektwissenschaftlichen Grundlagen bietet den Vorteil, dass das Handeln der Lehrkräfte und das Lernen der Schülerinnen und Schüler mittels eines einheitlichen Modells verstanden werden kann. Gleichwohl bedarf es einer weiteren Konkretisierung, die bezogen auf das Handeln der Lehrkräfte vor allem mit Hilfe der strukturtheoretischen Professionalitätstheorie (vor allem: Helsper 2004) erfolgte und darin bestand, Spannungskomponenten und Spannungsfelder als erschließende Kategorien zu verwenden. Hierbei wurde auf die Antinomien Helspers zurückgegriffen; dieser Ansatz aber insofern modifiziert, als dass die Spannungsfelder ‚Pflicht-Selektion‘, ‚Institution‘, unmittelbares ‚Lehr-Lern-Verhältnis‘ und ‚Leben und Arbeiten‘ teils theoriebegründet, teils aus dem empirischen Material abgeleitet definiert wurden.

Bezogen auf die Schülerinnen und Schüler wurde ergänzend auf die Modelle ‚alltägliche Lebensführung‘ (vor allem: Voß 1991) und ‚Lebensweltorientierung‘ (vor allem: Grunwald/Thiersch 2011) zurückgegriffen. Subjekte konstruieren sich demnach im Wechselverhältnis zwischen sozialer Welt und eigener Bedürftigkeit ein Konzept alltäglicher Lebensführung, das einerseits stabil und geeignet ist, die Anforderungen und Bedingungen unterschiedlicher Lebensbereiche aufzufangen, andererseits aufgrund enthaltener Widersprüche fragil und modifizierbar ist. ‚Innere Strukturen‘, teils als bewusste – sinnhafte – Praxis, häufig als implizite Routinen und Gewohnheiten, sind modifizierte und selektierte Teilstrukturen gesellschaftlicher Strukturen (vgl. Voß 1991, 271), die in ihren impliziten Aspekten nur mit großem reflexivem Aufwand und rekonstruktiv zu verstehen sind (a. a. O., 279). Ein für intentionales Lernen wesentlicher Teil der ‚inneren Strukturen‘ sind, dem der Studie zu Grunde liegendem Verständnis nach, die Bedeutungsmuster als – teilweise ebenfalls implizite – Grundlage für subjektive Begründungen.

2.3 Wirkungsmodell und Wirkungsvermutungen

Intentionales, expansives Lernen kann mittels Verständigung unterstützt werden. Verständigung kann aber auch in Hinblick auf operative Aspekte eines Lehr-Lern-Prozesses hilfreich sein, wenn es darüber gelingt, die Modalitäten dieses Prozesses so zu gestalten, dass sie den darauf bezogenen Interessen der Lernenden (besser) entsprechen. Diesbezüglich ist das der Studie zu Grunde gelegte Wirkungsverständnis anschlussfähig an (traditionelle) pädagogische Konzepte, die auf eine geeignete methodische Gestaltung von Lehrprozessen zielen. Einen Perspektivwechsel stellt dagegen der Versuch dar, mittels Verständigung eine Situation herzustellen, in der Lernprozesse von den (thematischen) Lerngründen der Schülerinnen und Schüler ausgehen. Für das Wirkungsmodell der Studie wurden daher die bereits angeführten Aspekte von Verständigung, wechselseitiges Verstehen und Vermittlung, ergänzt um die Aspekte Aushandeln und Reflexion. Letztere ist zwar Teil eines wechselseitigen Verstehens, das auch ein Selbstverstehen einschließt; wird allerdings ein solches wechselseitiges Verstehen nicht vollumfänglich angestrebt, kann es dennoch durch das Übermitteln der ‚anderen‘ Sichtweise zur Reflexion des eigenen Handelns kommen.

Mittels Verständigung in diesem Sinne kann es auch zu einer Veränderung von subjektiven Bedeutungsmustern und damit verbunden zu veränderten Lerngründen kommen. Auf der Ebene Lehrkraft-Schülerinnen/Schüler kann so Lernen unterstützt werden. Auf der Ebene Lehrkräfte untereinander bzw. Lehrkräfte/Leitungsverantwortliche kann Verständigung analog zu einer Veränderung subjektiver Bedeutungsmuster und damit verbundener Handlungsgründe führen, so dass etwa Lehrkräfte (verstärkt) Gründe dafür haben, Qualitätsmanagement-Elemente für lernunterstützende Verständigung mit den Schülerinnen und Schülern zu nutzen.

Es gibt also Wirkungsvermutungen auf zwei Ebenen: Führt das schulische Qualitätsmanagement dazu, dass es auf der Ebene Lehrkraft/Schülerinnen und Schüler in verstärktem Maße zu lernunterstützender Verständigung kommt, dann wirkt dieses Qualitätsmanagement mittelbar auf das Lernen. Kommt es zu einer Begünstigung von Verständigungsprozessen auf Ebene der Lehrkräfte untereinander bzw. zwischen diesen und den Leitungsverantwortlichen, dann wäre dies ebenfalls eine Wirkung im hier verstandenen Sinne.

In den folgenden Darstellungen wird der Fokus auf die Frage gerichtet, wie sich dieser Zusammenhang aus Sicht der Schülerinnen und Schüler darstellt bzw. rekonstruieren lässt.

3 Rekonstruktion von Lerndiskrepanzen durch qualitative Verfahren

Im Zeitraum von Oktober 2012 bis Dezember 2013 wurden qualitative Fallstudien mit insgesamt acht Schülergruppen von jeweils sechs bis acht Personen einer Klasse aus fünf beruflichen Schulen Bremens durchgeführt. Parallel dazu wurden in ähnlichen Erhebungen Teams von je zwei bis sechs Lehrkräften der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler befragt. Die Personen nahmen freiwillig an den Erhebungsrunden teil.

Als theoretische Basis für die Gestaltung des methodischen Vorgehens wurden zunächst die Anforderungen, die die Subjektwissenschaft als Bezugswissenschaft an ein adäquates Forschungsverfahren stellt, berücksichtigt (vgl. Holzkamp 1985, 540ff.). Hier wird postuliert, dass der Subjektstandpunkt angemessen einbezogen werden muss, dass jedoch gleichermaßen die Verallgemeinerung zu typisierenden Aussagen mit Bezug auf konkrete lage- und positionsspezifische Verhältnisse vorzunehmen sei. Bewusst wurde für die gemeinsame Rekonstruktion der subjektiven Bedeutungs-Begründungs-Zusammenhänge ein qualitatives Verfahren entwickelt, das für Lehrkräfte wie auch für Schülerinnen und Schüler Einsatz finden konnte. Da davon auszugehen ist, dass den Befragten die Gründe für ihr Handeln nicht vollständig bewusst sind (vgl. Hackl 2008, 223), setzte die Erhebung explizit nicht beim Qualitätsmanagement selbst bzw. Situationen der Verständigung an, sondern fragte in der ersten Erhebungsrunde nach typischen Lernproblematiken sowie den Umgang mit diesen.

Aus den Aussagen der befragten Personen ließen sich unter Bezugnahme auf geeignete Einzeltheorien Hypothesen über Begründungs-Verständigungs-Muster der Schülerinnen und Schüler aufstellen, die den Befragten in einer zweiten Erhebungsrunde zur weiteren Begründung und Rekonstruktion vorgelegt wurden. Auf diese Weise wurden die Sichtweisen der Befragten mit einer Drittsicht kontrastiert, um eine erweiterte Aufschlüsselung von Bedeutungshorizonten zu ermöglichen (vgl. Ludwig 2008a, 53). So gelang es zusätzliche Aussagen zur Thematik zu gewinnen, die dann erneut zur Ergänzung und Erweiterung der Hypothesen beitrugen. Dieses sukzessiv abwechselnde Vorgehen aus Einbeziehung empirischer Daten und theoretischer Grundlagen basiert auf wesentlichen Elementen der Grounded Theory nach Glaser/Strauß (1967).

Die Validität der gewonnenen Aussagen wird sowohl über die Triangulation der Auswertungen durch die erhebenden Personen (vgl. z. B. Flick 2007, 14) sichergestellt, als auch über die Rekonstruktion und Diskussion der Forschungsergebnisse mit den befragten Personen selbst im Sinne einer „dialogischen Hermeneutik“ (Marsal 2003, 436ff.). Die Vorgehensweise wird vor allem als sinnvoll zur Analyse von Handlungen betrachtet, da diese „erst durch die Selbstinterpretation des Handelnden ihre Bedeutung erhalten“ (a. a. O., 437). Generell sind die „Partizipation der Betroffenen am Forschungsprozess“ (Holzkamp 1985, 543) und die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse wiederum zentrale Prinzipien subjektwissenschaftlicher Forschung.

3.1 Datenerhebung

Als Ausgangspunkt diente in der ersten Runde der Datenerhebung die Beschreibung eines konkret erlebten zeitlich zurückliegenden Falls, in dem die Schülerinnen und Schüler ihr Lernen als problematisch empfunden haben. Nach ausführlicher Darstellung des Falls durch einen Schüler bzw. eine Schülerin wurden die übrigen Teilnehmenden aufgefordert, Ergänzungen und Konkretisierungen zu den Interaktionen des Falls vorzunehmen. Durch die Beteiligung der anderen Gruppenmitglieder bestand bereits hier die Möglichkeit zur Kontrastierung und zum Austausch über vorhandene Sichtweisen. Weiterhin wurde die Gruppe aufgefordert, ihre Empfindungen in Bezug auf den geschilderten Fall zu beschreiben. Ergänzt wurde dies um eine sogenannte Empathieübung, in der die Schülerinnen und Schüler sich in die Rolle der vom Fall betroffenen Lehrkraft versetzen und ihre Sichtweise aus dieser veränderten Perspektive schildern sollten. Abschließend wurde der Fallerzähler/die Fallerzählerin aufgefordert, seine bzw. ihre Empfindungen nach der Diskussion der Situation in der Gruppe zu schildern.

Nach der Aufnahme des Falls wurde dieser anhand verschiedener Merkmale mit der Gruppe rekonstruiert und systematisiert. Die Schilderung wurde dabei anhand der Deutungsdimensionen

  • Lernthematik (was waren die Inhalte, die gelernt werden sollten?),
  • Handlungszusammenhang/betroffene Lebensbereiche (gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen Inhalten und einer möglichen Nutzung in einer Lebenssituation?),
  • Begründungen (worin könnte der Nutzen für den Handlungszusammenhang bei Übernahme der Lernthematik bestehen/warum ergibt sich kein Nutzen?/eigene Ziele oder externe Anforderungen?/in welchem Sinne bedeutet mir der Gegenstand etwas?),
  • Handlungsoptionen (thematisch oder operativ),
  • Lehr-Lernsituation (durch welche Bedingungen war das Lehren bzw. das Lernen beeinflusst?),
  • Sichtweise der Lehrkräfte und
  • Unterstützung/Behinderung (durch Lehrkräfte, andere Schülerinnen und Schüler, andere Personen, materielle Lernbedingungen)

erneut reflektiert. Die gesammelten Stichpunkte wurden von den Befragenden auf Karten festgehalten und für alle sichtbar aufgehängt. Insbesondere bei dem Aspekt „Handlungsoptionen“ wurde sowohl nach gewählten wie auch generell verfügbaren Möglichkeiten zur Bewältigung des Problems gefragt, um zu erfahren, ob Verständigung grundsätzlich als Handlungsoption gesehen wird und ob in Schulen, in denen ein QEE-System umfassend eingeführt ist, Instrumente wie z. B. Individualfeedback zur Begünstigung der Verständigung benannt werden. Die Phase war abgeschlossen, sobald keine neuen Aspekte mehr ergänzt wurden und alle Schülerinnen und Schüler mit der Zusammenstellung einverstanden waren.

Die erste Phase diente vor allem der Informationsgenerierung und war somit durch einen hohen Redeanteil der Teilnehmenden und eher zurückhaltendes Handeln der Befragenden gekennzeichnet. Nach der Datenerhebung wurden die Aussagen der Schülerinnen und Schüler zusammengefasst sowie unter Berücksichtigung theoretischer Konzepte aufbereitet (siehe Abschnitt 3.2).

Mit Erläuterung des Lehr-Lern-Dreiecks nach Ludwig (2012, 170) – einer zentralen theoretischen Grundlage für die Aufbereitung – wurden die zusammengefassten Materialien in der zweiten Erhebungsrunde an die Schülerinnen und Schüler zurückgegeben. Die Beteiligten prüften die verschiedenen Dokumente und reflektierten die Thematik erneut vor dem theoretischen Hintergrund wie auch der seit der ersten Erhebung vergangenen Zeit. Dieser Schritt stellte sicher, dass die Materialien aus Sicht der Befragten zutreffend aufbereitet wurden und lieferte zum Teil tiefergehende Sichtweisen durch die Kontrastierung mit einem anders verorteten Bedeutungshorizont.

Ein weiterer Verfahrensschritt in dieser Runde war die Reflektion über Situationen, in der die Schülerinnen und Schüler eine gelungene Verständigung mit ihren Lehrkräften erlebt haben. Nicht zuletzt wurde in der zweiten Erhebungsrunde tiefergehend die Nutzung des schulischen Qualitätsmanagements für die Verständigung zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern thematisiert; insbesondere dann, wenn dieses in den vergangenen Phasen kaum Erwähnung gefunden hatte. Die Ergebnisse der zweiten Auswertungsrunde wurden in die bestehenden Auswertungsdokumente korrigierend bzw. ergänzend eingearbeitet (siehe Abschnitt 3.2).

3.2 Datenauswertung

Die Auswertung der erhobenen Daten erfolgte in einem mehrstufigen Verfahren. Zunächst wurden die Diskussionen beider Erhebungsrunden transkribiert, so dass die verschriftlichten Dokumente als Grundlage der weiteren Datenauswertung dienten. Anschließend wurden die verschiedenen Handlungsschritte und Interaktionen der Fallbeschreibung tabellarisch festgehalten, so dass die wesentlichen Phasen und Ereignisse des Falls erkennbar waren. Die Tabelle wurde dabei sukzessive in mehreren Schritten erweitert, da die Fälle in ihrer gesamten Komplexität in der Regel nicht chronologisch erzählt wurden, sondern sich erst durch das mehrstufige Vorgehen aus Fallschilderung, Ergänzungen und Nachfragen ergaben.

Die ebenfalls in der ersten Erhebungsrunde erstellten Kartensammlungen wurden in so genannten ConceptMaps aufgearbeitet, um Zusammenhänge und Argumentationslinien zu verdeutlichen.

In einem dritten Schritt wurde aus dem vorhandenen Datenmaterial eine erste Zuordnung zu lern- und lebensweltbezogenen Spannungskomponenten vorgenommen, zu denen sich die Schülerinnen und Schüler in irgendeiner Form durch ihre Darstellungen positioniert hatten. Diese Spannungskomponenten wurden zum überwiegenden Teil aus dem empirischen Datenmaterial abgeleitet, griffen aber auch auf Modelle zur Lebensweltorientierung (vgl. Grundwald/Thiersch 2011) bzw. zur alltäglichen Lebensführung (vgl. Voß 1991) sowie auf die subjektwissenschaftliche Lerntheorie (vgl. Holzkamp 1995) zurück. Die folgende Tabelle 1 illustriert die identifizierten Spannungskomponenten:

Tabelle 1: Spannungskomponenten bezogen auf die Schülerinnen und Schüler

Spannungsfelder des Lehr-Lern-Verhältnisses

Thematische Spannung

Eigenes inhaltliches Interesse vs. vorgegebener Lerninhalt

Operative Spannung

Eigenes Vorgehen vs. vorgegebenes Verfahren

Soziale Spannung

Eigenbestimmtes Sozialverhalten vs. vorgegebenes Sozialverhalten

Leistungsbewertung

Eigener Maßstab vs. Fremdbewertung

Entwicklungsmaßstab vs. Kontroll- und Selektionsmaßstab

Spannungen, die aus dem Status als Auszubildende/r resultieren (Abhängigkeit)

Anforderung – Ressourcen

Inhaltliches Engagement vs. Notwendigkeit, die eigene Arbeitskraft nicht über Gebühr zu verausgaben.

Pflichterfüllung – Eigeninteresse

Eigenes Interesse an Arbeiten und Lernen vs. Schulpflicht als Teil der Ausbildungspflichten

Engagement – Kompensation

Inhaltliches Engagement vs. Wertschätzung, Bewertung und Entlohnung des Engagements für die Berufsausbildung

Weitere Spannungsfelder

Lebensbereiche

Spannungen, die aus konkurrierenden Anforderungen der unterschiedlichen Lebensbereiche resultieren

Rollenrealisierung

Widerspruch, eine Rolle realisieren zu müssen/zu wollen und Aspekte der eigenen – aus der Biografie resultierenden – Persönlichkeit, die dieser Realisierung entgegenstehen.

Darüber hinaus wurde in diesem Auswertungsschritt herausgearbeitet, ob die Lernenden in der Fallsituation eine Verständigung mit der betreffenden Lehrkraft angestrebt hatten bzw. wie tief die Verständigung auf den Ebenen Vermittlung, Verstehen, Aushandeln und Reflexion gegebenenfalls angelegt war.

Die zusammengestellten Unterlagen bildeten das Datenmaterial, das in der zweiten Erhebungsrunde diskutiert und reflektiert wurde. Die von den Schülerinnen und Schülern angemerkten Korrekturen wurden in die vorhandenen Dokumente eingearbeitet und die bereits erstellte Tabelle mit der Positionierung der Gruppe zu den Spannungskomponenten wurde sukzessive anhand der vertiefenden Diskussionen ausgeweitet.

Auf Basis der erstellten Dokumente wurden abschließend typische Begründungsmuster für oder gegen Verständigung bzw. typische Diskrepanzen aus den Aussagen der verschiedenen Schülergruppen generiert. Ziel dieser Muster war es, Erkenntnisse über Möglichkeiten und Beispiele für gelungene, lernunterstützende Qualitätsmanagement-Implementierung zu finden. Dabei ist zu beachten, dass die Auswertungen für die Schülerinnen und Schüler stets gruppenbezogen erfolgten, da die Erhebungsrunden mit ihnen zeitlich auf 90 Minuten beschränkt waren und sich somit nicht jede(r) in gleichem Maße an den Diskussionen beteiligen konnte.

4 Gute Gründe gegen Verständigung – Ergebnisse der Studie bezogen auf die Perspektive der Schülerinnen und Schüler

In allen Befragungsrunden fielen den Schülerinnen und Schülern sofort Lernproblematiken ein und es konnte eine große Vielfalt von Diskrepanzen rekonstruiert werden. Bei den Ergebnissen der Rekonstruktionen fällt zunächst auf, dass in Hinblick auf thematische Aspekte nur relativ wenige Diskrepanzen benannt wurden. Häufig werden dagegen solche zwischen den Lerninteressen der Schülerinnen und Schüler und dem Lehrangebot in Hinblick auf operative und soziale Aspekte sichtbar. Diskrepanzen in Hinblick auf Leistungsbewertungen sind aus Sicht der Schülerinnen und Schüler besonders bedeutsam. Neben der Frage zu welchen Diskrepanzen es kommt, interessiert im Kontext der Studie vor allem die Frage, ob diese Diskrepanzen Anlass zu Auseinandersetzung oder Verständigung sind und welche Gründe es seitens der Schülerinnen und Schüler gibt, gegebenenfalls nicht diesbezüglich aktiv zu werden.

Insgesamt ergibt sich aus den ermittelten Diskrepanzen und der Art und Weise des Umgangs damit ein Bild, das in weiten Teilen einem „instrumentell-strategischen Umgang“ (Breidenstein 2006 zit. n. Bohnsack 2013, 18) der Schülerinnen und Schüler entspricht. „Die ‚Jobmentalität‘ lässt sich schon bei Grundschülern nachweisen“ (Fölling-Albers/Meidenbauer 2010 zit. n. a. a. O.). „Bildung wird zur ‚Angleichung‘ (...), die Lernbedingungen (wirken als) Bevormundung und Entmündigung“ (a. a. O., 18f). „Diese Kritik schließt nicht aus, dass statistisch gesehen viele Schüler mit den von ihnen erlebten schulischen Abläufen zufrieden sind“ (a. a. O., 19). Auch die von uns befragten Schülerinnen und Schüler betonten, dass gravierende Lernproblematiken eher die Ausnahme seien. Welches Lern-Potenzial allerdings ungenutzt bleibt, wenn Diskrepanzen nicht thematisiert werden, wird in dem Beispiel des folgenden Kapitels deutlich.

4.1 Lernproblematiken als Verständigungsanlass

Es stellt sich die Frage, wie im Rahmen schulischer Lehr-Lern-Verhältnisse ein Lernen erreicht werden kann, das in höherem Maße den Lerninteressen der Schülerinnen und Schüler entspricht und eher expansiv ist. Hierzu lohnt sich ein Blick auf die von den Schülerinnen und Schülern geschilderten Lernproblematiken und die daraus rekonstruierten Diskrepanzen zwischen Lerninteressen und dem thematisch-operativen Lehrangebot.

In einem Fall wird von einem Schüler eine Situation geschildert, in der die Schülerinnen und Schülern aufgefordert werden, in einer Gruppenarbeit die Einrichtung eines Sekretariats zu planen. Der Schüler ist unzufrieden mit der Thematik, da er auf der Grundlage seiner betrieblichen Erfahrungen als Auszubildender sich weit entfernt von einer Situation sieht, in der er sich Gedanken um diese Thematik machen sollte. Er ist aber auch unzufrieden mit der Arbeitsform Gruppenarbeit, da er auch hier den Eindruck hat, dass die betriebliche Realität eher darin bestünde, aufgetragene Aufgaben alleine zu bewältigen und die dabei individuell erbrachte Leistung deutlich zu machen. Er realisiert dabei durchaus, dass bei Stellenausschreibungen Teamfähigkeit gefordert wird und sieht daher auch eine gewisse Berechtigung für die Verankerung dieser Kompetenz in einem schulischen Lehrplan, geht aber davon aus, dass die Forderung zwar in Ausschreibungstexten stünde, aber dort nicht wirklich ‚ernst‘ gemeint sei.

Hier werden Diskrepanzen auf der thematischen und der operativen Ebene offensichtlich, die mit Erfahrungen des Schülers und sich daran – möglicherweise – anknüpfenden Handlungsproblematiken (eingeschränkte Möglichkeiten der Mitsprache bei Entscheidungen im Arbeitszusammenhang; Konfrontation mit geforderten Kompetenzen und Erfahrungen, die deren Wert in Frage stellen; Zwang, mit anderen zusammen zu arbeiten als Kontrast zu dem Wunsch, die eigene Leistung deutlich zu machen; diesbezügliche Sicht auf bzw. Erfahrungen mit Leistungsbewertung in der Schule und im Betrieb) einhergehen. Ausgehend von diesen Diskrepanzen könnte daher versucht werden, Lernthematiken abzuleiten und zu klären, ob sich daraus für den Schüler ein subjektiver Lerngrund ergeben kann. Dabei ginge es gerade darum, in der erlebten Diskrepanz eine Differenz zu identifizieren, die dem Schüler als aufklärenswert erscheint. So wäre es etwa denkbar, dass die Frage, warum in Stellenausschreibungen Teamarbeit gefordert wird, in einer erlebten betrieblichen Praxis diese Forderung aber als nicht berechtigt erscheint, einem Lerninteresse des Schülers entspricht: Dem eigenen Bedeutungsmuster würde ein alternativer Bedeutungshorizont gegenüber gestellt.

Im Gegensatz zu der vorgegebenen ‚künstlichen‘ Lernsituation ‚Einrichten eines Sekretariats‘ ginge es beim Aufgreifen der Diskrepanz um eine tatsächliche Lernsituation, die mit einem Empfinden (und damit auch mit einer anderen emotional-motivationalen Qualität) von Unzulänglichkeit, Unstimmigkeit aber auch Bedeutsamkeit auf Seiten des Schülers einhergeht. Voraussetzung wäre, dass die Diskrepanz aufgegriffen wird und darüber eine klärende Auseinandersetzung stattfindet. Dies geschieht in dem geschilderten Fall nicht. Dafür gibt es seitens des Schülers aber auch seitens der Lehrkraft gute Gründe (zu den Gründen der Lehrkräfte siehe Ittner/Zurwehme 2014a). Eine Lernchance wird damit vergeben.

Lernunterstützung kann also darin bestehen, auftretende Diskrepanzen als Anlass zu nutzen, sich zwischen Lehrkraft und Lernenden darüber zu verständigen, welche möglichen Lerngründe hinter den erfahrenen Diskrepanzen liegen und wie aus diesen ein – den Interessen der Lernenden entsprechender – Lernprozess abgeleitet werden kann. In einem Bemühen um wechselseitiges Verstehen müssten die jeweiligen Bedeutungsmuster identifiziert bzw. vermittelt und ggf. weitere Bedeutungshorizonte (in Form von Wissen auf das im Verlauf des Lernprozesses zugegriffen wird) hinzugezogen werden. Ein Rahmen für den Lernprozess (Dauer, Arbeitsform, Bewertungsmaßstäbe) müsste – als Abweichung vom ‚normalen‘ Unterrichtsablauf – ausgehandelt werden.

Rihm (2006) geht davon aus, dass die ‚eigenen‘ Fragen der Schülerinnen und Schüler dem Lernprozess Perspektive und Richtung geben und das „Lernvorhaben ‚in die Tiefe‘“ (a. a. O., 265) treiben. Für ihn geht es bei der sozialen Dimension von Verständigung darum, die thematischen, sachstrukturellen, operativen und politischen Dimensionen einer (potentiellen) Lernthematik zu thematisieren (vgl. a. a. O., 273).

Sieht man sich die Ergebnisse der Studie an, so werden thematisch eher punktuell explizite Lerninteressen formuliert, die sich aus bestimmten beruflichen oder anderen Lebenszusammenhängen ergeben. Die Erwartung, dass solche Interessen aufgegriffen werden, ist eher gering: Die Schülerinnen und Schüler sind schon zufrieden, wenn dies von Zeit zu Zeit geschieht.

Anders sieht es dagegen mit Diskrepanzen aus, die sich auf operative und soziale Aspekte des Lehr-Lern-Prozesses beziehen: Hier wird geschildert, dass Darbietungen und Erläuterungen seitens der Lehrkraft in großem Umfang nicht verstanden und zu erheblichen Beeinträchtigungen des Bemühens führen würden, sich die Lehrinhalte zu erschließen. Weiterhin wird auf das immer wieder auftretende Problem fehlender Zeit hingewiesen und auch Arbeitsformen (Gruppenarbeit) werden als nicht im Einklang mit den eigenen Interessen stehend erlebt. Mangelnde individuelle Unterstützung wird genauso beschrieben wie das fehlende Eingehen auf die Belange der Schülerinnen und Schüler. Hinsichtlich der Leistungsbeurteilung kommt es vor allem dann zu ‚Empörung‘, wenn kein Sinn für Fairness und Gerechtigkeit gesehen wird und wenn die Schülerinnen und Schüler den Eindruck haben, schlecht auf Leistungstests vorbereitet zu werden. Das – in Bezug auf die Schülerinnen und Schüler – bedenklichste Ergebnis der Studie ist allerdings, dass fast alle rekonstruierten Diskrepanzen weder seitens der Lehrkräfte noch seitens der Schülerinnen und Schüler thematisiert und somit auch in keiner Form bearbeitet wurden.

Die Gründe der Schülerinnen und Schüler, die erfahrenen Diskrepanzen nicht zu thematisieren, sind vor allem die folgenden:

  • Die Angst vor negativer Reaktion seitens der Lehrkraft.
  • Die Angst vor Beeinträchtigung des sozialen Miteinanders zwischen Lehrkraft und Schülerinnen und Schülern.
  • Die Erwartung – gestützt auf bisherige Erfahrungen in der Schule –, dass auf das Anliegen nicht eingegangen bzw. keine Veränderung eingeleitet wird.
  • Die Abwägung zwischen möglichen negativen Konsequenzen und der Bedeutsamkeit des eigenen Anliegens (bis hin zu der Überlegung, dass das Fach, in dem es zu Diskrepanzen kommt, nur mit einem geringen Anteil in die Prüfungsleistung eingeht).
  • Die Unsicherheit darüber, ob das eigene Anliegen ‚berechtigt‘ ist (auch hier mit Bezug zu Vorerfahrungen aus der Schule).

Trotz ausdrücklicher Aufforderung auch Beispiele gelungener Verständigung zu schildern, konnte in den Befragungen dieser eher enttäuschende Eindruck nicht relativiert werden. Dies bedeutet nicht, dass es nicht an vielen Stellen gelänge, ein für beide Seiten zufriedenstellendes Arrangement auch über Gespräche und Auseinandersetzungen herzustellen; treten allerdings im Zusammenhang mit Lernproblematiken Diskrepanzen auf, dann ist – nach den Ergebnissen der Studie – die Chance eher gering, dass diese in eine tiefergehende Verständigung im beschriebenen Sinne und damit in ein eher expansives Lernen münden.

4.2 Nutzung von Qualitätsmanagement zur Verständigung über das Lernen

Aus Sicht der befragten Schülerinnen und Schüler, so ein weiteres ernüchterndes Ergebnis der Studie, trägt schulisches Qualitätsmanagement nicht zur Begünstigung lernunterstützender Verständigung bei. Werden Elemente wie Individualfeedback oder Evaluationen per Fragebogen eingesetzt, dann sei dies entweder überflüssig (weil das Lehrarrangement den Erwartungen der Schülerinnen und Schüler weitgehend entspräche bzw. durch ‚korrigierende‘ Kommunikation mit der Lehrkraft bei Bedarf angepasst würde), vergeblich (weil die Ergebnisse nicht zu den erforderlichen Veränderungen führten) oder zu oberflächlich (weil in einem Fragebogen nicht das erfragt würde, was sich für die Schülerinnen und Schüler als Diskrepanz zwischen ihren Lerninteressen und dem Lehrangebot darstellte).

Bei den Elementen des in Bremen eingeführten Qualitätsmanagementsystems Q2E (Qualitätsleitbild, Steuerung, Selbstevaluation, Individualfeedback) wird indes explizit davon ausgegangen, dass diese zur Verbesserung der sozialen Lehr-Lern-Interaktion genutzt werden. So solle etwa Feedback „kooperative Lern- und Auseinandersetzungsprozesse“ (Fachhochschule Nordwestschweiz o. J.) initiieren und unterstützen. Die Implementierung dieser Elemente an den beruflichen Schulen Bremens wurde und wird über externe Evaluationen bestätigt und auch eine die hier vorgestellte Studie begleitende quantitative Befragung hat gezeigt, dass die Lehrkräfte mehrheitlich von einer gelungenen Implementierung und Nutzung ausgehen. Wird allerdings – wie in der Studie – von Lern- oder Handlungsproblematiken ausgegangen und in den Antworten auf die Bearbeitung danach gesucht, ob diese Elemente wenigstens erwähnt werden, so ist das Ergebnis auch bei den Lehrkräften höchst ernüchternd und erst bei expliziter Nachfragen nach den Elementen wird dann erläutert, warum diese bei der Bewältigung konkreter Lern- oder Handlungsproblematiken nicht genutzt werden.

Es bleibt also festzuhalten, dass einerseits Lerndiskrepanzen als Anlässe für (eher) expansives Lernen nicht genutzt werden, dass aber andererseits die derzeit implementierten schulischen Qualitätsmanagementsysteme nicht dazu beitragen, dass sich daran etwas ändert. Die Auswertungen der Aussagen der Lehrkräfte bestätigen im wesentlichen dieses Bild; so finden sich zwar Handlungsmuster, die auf Verständigung zielen, es wird aber an keiner Stelle deutlich, dass es von diesen einen aktuellen Rückbezug auf das schulische Qualitätsmanagement gäbe bzw. dass die Anwendung dieser Muster durch schulisches Qualitätsmanagement aktiv begünstigt würde (vgl. Ittner/Zurwehme 2014a).

Gleichwohl könnte – und müsste – Qualitätsmanagement lernunterstützende Verständigung begünstigen. So verdeutlichen etwa Prengel (2013) und Wiezorek (2005), dass es bei schulischem Lernen immer auch um die Frage der Anerkennung geht und welche gravierenden Folgen die Entsagung von Anerkennung für die Entwicklung von jungen Menschen bzw. für deren Haltung zum schulischen Lernen haben kann. Es geht also bei Bemühungen um Verständigung (die Anerkennung zur Voraussetzung hat, aber auch anerkennend im Sinne von wertschätzend sein kann) nicht „nur“ um das Nutzen von Lernanlässen, sondern um weit darüber hinaus reichende Konsequenzen für die Schülerinnen und Schüler und deren Sicht auf die Welt, in der sie leben. Immer wieder taucht daher in den Auswertungen zu den Gesprächsrunden als besonders gravierend der Hinweis auf die ‚schmerzliche‘ Erfahrung auf, von den Lehrkräften nicht ernst genommen zu werden. Zumindest für Schülerinnen und Schüler geht es also durchaus um ernsthafte Qualitätsdefizite.

Folgt man Rihm, der die Möglichkeit der Unterstützung eher expansiven Lernens darin sieht, den Vorrang von Lerninitiativen anzuerkennen (vgl. Rihm 2011, 135) aber auch deutlich macht, das geeignete „Unterstützungskontexte(.) sowohl für Lernende als auch für Lehrende“ (a. a. O.) in Hinblick auf Raum und Zeit zur Verfügung stehen müssten, dann wird auch deutlich, dass Qualitätsmanagement, traditionell als Output- oder Prozessoptimierung verstanden, lernunterstützende Verständigung gerade auch behindern kann, etwa dadurch dass dem ‚Bestehen der Prüfung‘ und der vollständigen ‚Behandlung des dafür vorgesehenen Lehrstoffs‘ absoluter Vorrang eingeräumt wird bzw. bestimmte Lehrarrangements (etwa Unterrichtsmethoden) als unentbehrlich für eine Prozessqualität deklariert werden.

5 Zeit für ein verändertes pädagogisches Denken – eine Schlussbemerkung

Gestaltung und Ergebnisse der Studie verdeutlichen, dass es sich bei dem dargestellten Forschungsvorhaben um einen innovativen Ansatz handelt, die Lernwirksamkeit von Qualitätsmanagement in Schulen zu analysieren. Die wichtigsten Besonderheiten der Studie liegen dabei darin, dass

  • Lernen als Wirkung von Qualitätsmanagement bewusst und ausschließlich in den Blick genommen wird,
  • Lernen nicht als Lernerfolg oder -ergebnis, sondern als intentionales Lernen von Schülerinnen und Schülern im Lernprozess selbst verortet ist,
  • dieses intentionale Lernen mittels Verständigung zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern unterstützt werden kann und dass
  • Qualitätsmanagement-Instrumente gezielt für diese Lernunterstützung Anwendung finden können.

Die Studie setzt somit bei den Lernenden selbst an, um die Implementierung eines Qualitätsinstrumentariums zu rechtfertigen und beschreitet damit einen Weg, der bisher so noch nicht gedacht wurde, aber zunehmend als notwendig und bedeutsam erachtet wird, um die ressourcenintensiven Bemühungen zu rechtfertigen und Qualitätsmanagement auch für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler in einen Sinnzusammenhang zu stellen bzw. zu einer nachhaltigen Anwendung zu bringen.

Dieser Fokus bedingt jedoch gleichermaßen Grenzen der Studie. Zunächst wurden weitere institutionelle und unterrichtsbezogene Wirkungsdeterminanten, die zur Rechtfertigung der Einführung von QM-Systemen herangezogen werden können, bewusst außer Acht gelassen, um das Lernen im Lehr-Lern-Prozess selbst in den Vordergrund zu stellen. Auf eine Ausarbeitung individuell ausdifferenzierter Bedeutungs-Begründungs-Muster von Schülerinnen und Schülern musste ebenso verzichtet werden, wie auf einen besseren Bezug solcher Muster zu geeigneten theoretischen Konzepten. Die Betonung der lernunterstützenden Verständigung zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schüler als Wirkungsdimension sowie die Bezugnahme auf erlebte Diskrepanzen und Spannungskomponenten ist im pädagogischen Denken dabei eher ungebräuchlich und wirft teilweise Bedenken von Praxisvertretern auf. Zudem wird nicht von einer „Wirkungskette“ zwischen dem Qualitätsmanagementeinsatz und der Lernwirksamkeit ausgegangen, sondern es soll ausgehend von individuellen Begründungen verstanden werden, welche Gründe für Schülerinnen und Schüler wie auch Lehrkräfte für bzw. gegen die Nutzung von Qualitätsmanagementinstrumenten sprechen. Das damit verbundene methodische Vorgehen ist weder in wissenschaftlichen Studien noch im Praxisumfeld etabliert, so dass das dargestellte qualitative Verfahren als eine subjektwissenschaftlich begründete Vorgehensweise zu betrachten ist, die in weiteren Studien optimiert werden sollte. Aufgrund der Komplexität des Forschungsvorhabens generell wie auch der gewählten Erhebungsmethodik sind nicht zuletzt Schwerpunktsetzungen notwendig (z. B. die Konzentration auf Gruppen, die sich freiwillig zur Teilnahme bereit erklären, auf Schülerinnen und Schüler, die duale Ausbildungsgänge absolvieren, die Fokussierung auf das in Bremen an beruflichen Schulen etablierte QM-System QEE Bremen u. ä.), die letztendlich eine Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse erschweren.

Zur pädagogischen Bedeutung der dargestellten Studie ist abschließend festzuhalten, dass in vielen Teilzeitberufsschulklassen derzeit (noch) eine gewisse Zufriedenheit mit dem Status-Quo überwiegt. Zunehmende Heterogenität in Hinblick auf kulturelle und soziale Eingebundenheit und stärker akzentuierte individuelle Ansprüche (vgl. etwa Albert/Hurrelmann/Quenzel 2010), zunehmend fragile berufliche Lebenskonzepte (vgl. etwa Wahle/Walter 2013) und die Erosion der Bedeutung von Schule als Wissensinstanz (vgl. etwa Serres 2013) lassen es allerdings fraglich erscheinen, ob es zukünftig reichen wird, das damit verbundene Lehr-Lern-Arrangement unter anderem mit Hilfe von Qualitätsmanagement nachzubessern. Eine – wie auch im Zusammenhang mit der Individualisierung von Unterricht oder dem Selbstorganisierten Lernen (SOL) geforderte – höhere Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler wird sich über eine Lehr-Lern-Situation, in der (verstärkt) auch expansives Lernen möglich ist, sicherlich besser erreichen lassen als bei Lehr-Lern-Bedingungen, die vor allem defensives Lernen fördern.

Treten zu große Diskrepanzen zwischen Lerninteressen und Lehrarrangements auf, führt dies zu Lernverweigerung, Widerstand und Konflikten (vgl. etwa Faulstich 2013, 133ff.). Lernproblematiken werden damit auch zu Handlungsproblematiken für die Lehrkräfte bzw. für Leitungsverantwortliche (etwa bei einer Zunahme von Fehlzeiten oder hohen Nichtbestehensquoten bei Prüfungen). Daher gibt es gute Gründe auch für diese Akteure in der Schule, sich mit den Chancen lernunterstützender Verständigung auseinanderzusetzen.

Für eine Qualität von Schule, die sich auf lernunterstützende Verständigung bezieht, kann also in Hinblick auf (bereits implementierte oder zu implementierende) Qualitätsmanagementsysteme zweierlei getan werden: Einerseits können Qualitätsmaßstäbe (Orientierungsrahmen, Leitbilder) daraufhin überprüft werden, ob lernunterstützende Verständigung und darauf bezogene Handlungsweisen positiv als Qualitätsansprüche definiert sind bzw. ob bereits festgelegte Qualitätsziele dem Anliegen, Lernen zu unterstützen – im hier verstandenen Sinne – entgegenstehen. Andererseits – und dies wird der entscheidende Schritt sein – sollten Verfahren initiiert werden, in denen Lehrkräfte untereinander klären, welche ihrer Handlungsproblematiken mittels verständigungsbezogener Aktivitäten bearbeitet werden könnten und welche Verfahren, Methoden oder Instrumente dabei hilfreich wären.

Lernunterstützende Verständigung kann systematische Probleme schulischen Lernens und eine damit einhergehende Tendenz zu defensivem Lernen nicht (sofort und umfassend) aus der Welt schaffen. Lehrkräfte und Schulen sind – gerade im berufsbildenden Bereich – gezwungen auf unterschiedliche externe Anforderungen zu reagieren und diese auch in gewisser Weise und in gewissem Maße zu realisieren. Lernunterstützende Verständigung kann aber ein Ansatzpunkt sein, um schulisches Lernen in besserer Qualität zu ermöglichen. Zu verstehen ist das Ergebnis der Studie daher als Vorschlag für eine Modifizierung des Qualitätsverständnisses für Schulen, nicht als Appel, auf die Diskussion um Qualität an Schulen oder Qualitätsmanagement zu verzichten.

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[1]  Lernunterstützende Verständigung und schulisches Qualitätsmanagement (Ittner/Zurwehme 2014a): Die Studie bezieht sich auf das an bremischen beruflichen Schulen implementierte Qualitätsmanagementsystem QEE auf der Basis von Q2E mit den Elementen Qualitätsleitbild, Individualfeedback, Selbstevaluation, Steuerung und Externe Evaluation.

Zitieren des Beitrags

Ittner, H./Zurwehme, A. (2014): Lernen als Wirkung schulischen Qualitätsmanagements – (k)eine Selbstverständlichkeit? Die Perspektive der Schülerinnen und Schüler als Ausgangspunkt einer qualitativen Studie? In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 26, 1-21. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe26/ittner_zurwehme_bwpat26.pdf (20-06-2014).