bwp@ 31 - Dezember 2016

Entwicklungsperspektiven des beruflichen Schulwesens. Institutionen, Steuerung und Innovationen in der beruflichen Bildung

Hrsg.: Martin Fischer, Tade Tramm & Eveline Wittmann

Die strukturelle Verankerung einer Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBnE) aus Sicht von Berufsschullehrkräften

Damit eine Innovation im Berufsbildungssystem erfolgreich implementiert werden kann, müssen alle Akteur/-innen von der Makro- über die Meso- bis einschließlich Mikroebene in vertikaler und horizontaler Perspektive zusammenwirken (Diettrich et al. 2007, 10). Zwar werden „die Lehrenden“ als die wichtigsten Akteure identifiziert, wenn es um „die Verwirklichung einer veränderten Bildung … zum Zwecke einer nachhaltigen Entwicklung geht“ (UNESCO 2013). Andererseits werden kompetente und überzeugte BBnE-Akteur/-innen dabei scheitern, eine Innovation in die Breite zu tragen, wenn sie nicht genug Unterstützung durch das Bildungssystem erhalten (Asbrand 2009, 17). Unter diesen Voraussetzungen ergeben sich zwei Fragestellungen: 1.Wie beurteilen die Lehrkräfte die gegenwärtigen institutionellen und überinstitutionellen Rahmenbedingungen zur Implementierung von BBnE? und 2.Welches sind die wesentlichen Koordinierungsmaßnahmen, um als Akteur/-innen in einem Mehrebenensystem die strukturelle Verankerung von BBnE voranbringen zu können? Um diese Fragen zu beantworten, wird ein theoretisch-analytischer Referenzrahmen unter Bezugnahme der Implementationsforschung (u. a. Gräsel/Parchmann 2004; Euler/Sloane 1998; Kremer 2003; Goldenbaum 2013; Reinmann/Vohle 2004), der Innovationsforschung (u. a. Altrichter/Wiesinger 2004; Rürup 2013), der Schulentwicklungsforschung (z. B. Rolff 2007, Fend 2009, Holtappels 2010b, 2013) sowie des Educational Governance-Ansatzes (z. B. Kussau/Brüsemeister 2007) aufgespannt. In zwölf leitfadengestützten teilstandardisierten Einzelinterviews beurteilen Berufsschullehrkräfte bestimmte institutionelle und überinstitutionelle Rahmenbedingungen. Auf der Grundlage des theoretisch-analytischen Referenzenrahmens wurden die Interviews inhaltsanalytisch ausgewertet. Hinweise zu institutionellen und überinstitutionellen Gelingensbedingungen im Sinne einer Good-Governance sind das Ziel der Untersuchung.

The Structural Entrenchment of Vocational Education and Training for Sustainable Development from the Point of View of Vocational Teachers

English Abstract

For an innovation in the vocational education and training system to be implemented successfully, all actors from the macro, meso and micro levels, both vertically and horizontally, need to interact (Diettrich et al. 2007, 10). On the one hand, "teachers" are identified as the most important actors as far as the "realisation of a change in education ... for sustainable development" is concerned (UNESCO 2013). On the other, competent and convinced BBnE actors will fail to spread an innovation more widely, if they do not receive sufficient support from the educational system (Asbrand 2009, 17). Against this background, two questions arise: First, what are the views of teachers on the current institutional and supra-institutional environment for BBnE implementation, and, secondly, what are the most important coordination measures for actors to take in order to push forward BBnE structural entrenchment? To answer these questions, a theoretical and analytical framework is used with reference to implementation research (inter alia, Gräsel/Parchmann 2004; Euler/Sloane 1998; Kremer 2003; Goldenbaum 2013; Reinmann/Vohle 2004), innovation research (inter alia, Altrichter/Wiesinger 2004; Rürup 2013), school development research (e. g., Rolff 2007; Fend 2009; Holtappels 2010b, 2013), and to the educational governance approach (e. g. Kussau and Brüsemeister 2007). In twelve guideline-based, partially standardised individual interviews, vocational teachers assess certain institutional and supra-institutional framework conditions. On the basis of the theoretical and analytical reference framework, these interviews were evaluated content-analytically. The aim of the survey is to gain hints on institutional and supra-institutional key factors of success in the interests of good governance.

1 Strukturelle Verankerung einer Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung (BBnE) – Ausgangslage und Problemstellung

Als eine wesentliche Entwicklungsperspektive des Bildungswesens gilt seit Jahren die Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. In den Jahren 2005 bis 2014 wurde hierzu eine UN-Weltdekade mit dem Ziel, „das Konzept der nachhaltigen Entwicklung in allen Bereichen der Bildung in Deutschland dauerhaft zu verankern“ durchgeführt (Nationalkomitee der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ 2011, 12). Mit der Durchführung der Dekade verbindet sich ein neuer Bildungsanspruch, der ein durchgreifendes Umdenken und nachhaltiges Handeln der Bevölkerung vor allem in den wohlhabenden Industriestaaten bewirken soll. Die Berufsbildung spielt dabei eine Schlüsselrolle, indem sie ein Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung bei der nachwachsenden Generation befördern soll. Konkret sollen die Berufstätigen damit zum nachhaltigkeitsorientierten beruflichen und privaten Handeln, welche die Mitgestaltung in Arbeitswelt und Gesellschaft zur sozialen, ökonomischen und ökologischen Verantwortung“ (KMK 2011) einschließt, ausgebildet werden. Die über 2000 innerhalb dieser Zeit ausgezeichneten Dekade-Projekte – darunter mehr als 200 Projekte in der beruflichen Bildung – zeigen, dass es prinzipiell einen wesentlichen Fortschritt in der Bildung für nachhaltige Entwicklung in Deutschland gegeben hat.[1] Eine wirkliche strukturelle Verankerung „in der Bildung im allgemeinen und in der Berufsbildung im speziellen steht allerdings noch aus“ (Vollmer 2016, 254).

Um dieses Ziel zu erreichen, muss eine konstitutive Einbettung des Leitbildes einer nachhaltigen Entwicklung sowohl in der Berufsbildungspolitik, der Berufsbildungsforschung als auch der Berufsbildungspraxis stattfinden. Wie komplex, unberechenbar und teilweise zäh diese Aufgabe ist, lässt sich durch die berufsbildungspolitischen Bemühungen vergegenwärtigen. Unterschiedliche ökologische, soziale und vor allem ökonomische Interessen bestimmen die Berufsbildungspolitik (vgl. Rebmann et al. 2011, 55), wodurch zwischen vielen eigenständigen Akteur/-innen und Institutionen bei einer strukturellen Verankerung innovativer Ansätze zahlreiche Konfliktlinien entstehen. Entsprechend hoch ist der Aufwand, sich koordinativ abzustimmen und einen Konsens zu finden. Potenzierend kommen die Bereiche der Berufsbildungsforschung und der Berufsbildungspraxis hinzu, welche wiederum durch verschiedene weitere Interessengruppen gekennzeichnet sind. In Summe wird das Berufsbildungssystem durch eine sehr hohe Anzahl an Akteur/-innen in unterschiedlichen Institutionen mit teilweise divergenten Ansprüchen repräsentiert. Damit lässt sich schon erahnen, wie groß die Herausforderung ist, eine Innovation wie BBnE in die gesamte Berufsbildungsstruktur zu implementieren.

Eine Erfassung der gegenwärtigen Implementierungstiefe der Nachhaltigkeitsidee im Berufsbildungssystem ist dezidiert nicht möglich. D. h. wirklich umfassend festzustellen, wie stark BBnE insgesamt in den Schulen, Betrieben, Weiterbildungseinrichtungen und Universitäten, etc. verstetigt wurde, ist unmöglich. Gewisse Anhaltspunkte lassen sich dennoch ausfindig machen. So liefert z. B. die Analyse der curricularen Vorgaben einzelner Ausbildungsberufe ein Indiz für eine bisher nicht ausreichende strukturelle Verankerung von BBnE. Vollmer und Kuhlmeier (2014) kommen zu dem Schluss, dass aufgrund der Analyse der Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrpläne von einer durchgängigen strukturellen Implementierung der Nachhaltigkeitsidee in die berufliche Bildung nicht die Rede sein kann (Vollmer/Kuhlmeier 2014, 198ff.). So lässt sich der Begriff der Nachhaltigkeit nur in sehr wenigen Ausbildungsverordnungen und Rahmenlehrplänen finden. Ebenso belegt eine Analyse der Ausbildungs- und Prüfungsordnung sowie die damit in Verbindung stehende Untersuchung einer Abschlussprüfung beim Ausbildungsberuf des Elektronikers/-in für Betriebstechnik eine bisher wenig umgesetzte strukturelle Verankerung (vgl. Reichwein 2015, 124ff.).

Als wichtiger Schrittmacher in der Verbreitung der nachhaltigen Entwicklung in die Berufsbildung in Deutschland erweist sich das Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) (Rebmann et al. 2011, 78). Im Auftrag des BMBF initiierte das BiBB seit Anbeginn der UN-Weltdekade zahlreiche Modellversuche, die auf die Förderung einer Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung abzielen. Als nachgeordnete Behörde des Bundesministeriums für Bildung und Forschung beschäftigte sich diese Institution bereits innerhalb der UN-Weltdekade im Zeitraum von 2010 bis 2013 mit der Beforschung und Entwicklung von nachhaltigkeitsbezogenen Projekten. Sechs Modellversuche entwickelten in den Branchen der Elektrotechnik mit dem Schwerpunkt „Erneuerbare Energien“, Bauen und Wohnen, Chemie und Ernährung nachhaltigkeitsorientierte Curricula, Module und didaktische Ansätze. Wie das deutsche Nationalkomitee der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (2013) kommt das abgeschlossene Förderprogramm des BiBB zu dem Schluss, dass zum Teil ausgezeichnete Aktivitäten stattgefunden haben „ein Transfer von BBnE in die Strukturen aber eine noch zu erledigende Aufgabe ist“ (Hemkes 2014, 227)

Zeitgleich beschloss die UNESCO, die Anstrengungen der UN-Dekade im sogenannten Weltaktionsprogramm (WAP) weiterzuführen. Dem WAP liegt das übergreifende Ziel zugrunde, „ die Aktivitäten auf allen Ebenen und in allen Bereichen der Bildung anzustoßen und zu intensivieren, um den Prozess hin zu einer nachhaltigen Entwicklung zu beschleunigen“ ( UNESCO 2014, 14). Um damit „vom Projekt zur Struktur“ zu kommen, wurden fünf prioritäre Handlungsfelder identifiziert:

  • Politische Unterstützung,
  • Ganzheitliche Transformation von Lehr- und Lernumgebungen,
  • Kompetenzentwicklung bei Lehrenden und Multiplikatoren,
  • Stärkung und Mobilisierung der Jugend und
  • Förderung nachhaltiger Entwicklung auf lokaler Ebene.

Die Schaffung dieser Voraussetzungen befördert zwar die erfolgreiche Implementierung, dennoch ist bisher nicht untersucht, in welchen systemischen Zusammenhängen die Handlungsfelder zueinander stehen. Es werden bereits Steuerungsimpulse, wie z. B. eine stärkere Integration von BBnE in die curricularen Vorgaben diskutiert (Vollmer und Kuhlmeier 2014). Allerdings angesichts begrenzter Ressourcen muss von der Vorstellung abgewichen werden, dass ohne weiteres Zutun mit der Anpassung der Ausbildungsordnungen und Lehrpläne eine strukturelle Implementierung gelingen wird (Asbrand 2009). Um zu ermitteln, wie und welche Maßnahmen schlussendlich wirken, sollen die Wahrnehmungen und Beurteilungen der Lehrkräfte zu den institutionellen und überinstitutionellen Rahmenbedingungen in systemischer Lesart analysiert werden. Damit nimmt dieser Beitrag die Perspektive des dritten Handlungsfeldes im WAP, der Lehrenden und Multiplikatoren ein, um Rückschlüsse auch zu den weiteren Handlungsfeldern ziehen zu können.

Grundsätzlich ist das Engagement und das Zusammenwirken vieler Akteur/-innen in einem Mehrebenensystem ein wichtiger Faktor für die Implementierung von BBnE. Zur Umsetzung bzw. Verankerung einer BBnE in das Berufsbildungssystem bedarf es demnach abgestimmter Handlung sämtlicher Akteur/-innen und Institutionen. Aus diesem Grund beinhaltet ein theoretisch-analytischer Referenzrahmen die Erkenntnisse der Implementationsforschung (u. a. Gräsel/Parchmann 2004; Euler/Sloane 1998; Kremer 2003; Goldenbaum 2013; Reinmann/Vohle 2004), der Innovationsforschung (u. a. Altrichter/Wiesinger 2004; Rürup 2013), der Schulentwicklungsforschung (z. B. Rolff 2007, Fend 2009, Holtappels 2010b, 2013) sowie des Educational Governance-Ansatzes (z. B. Kussau/Brüsemeister 2007; Kapitel 2). Eine empirisch-qualitative Untersuchung soll Aufschluss über zwei miteinander verbundene Fragestellung liefern:  

  1. Wie beurteilen die Lehrkräfte bestimmte gegenwärtige institutionelle und überinstitutionelle Rahmenbedingungen zur Unterstützung der Implementierung von BBnE?
  2. Welches sind die wesentlichen Koordinierungsmaßnahmen für die befragten Lehrkräfte, um als Akteur/-innen in einem Mehrebenensystem die strukturelle Verankerung von BBnE voranbringen zu können?

Im Sinne einer Good-Governance – welche das innovativ angelegte Handeln der Akteur/-innen durch die Schaffung geeigneter Rahmendingungen koordiniert – sollen Konsequenzen gezogen werden, die eine Verankerung von Innovationen in die schulische Berufsbildungspraxis befördern.

2 Theoretisch-analytischer Referenzrahmen: Implementierung, Schulentwicklung und Educational Governance

2.1 Einflussfaktoren bei der Implementierung von BBnE

Dieser Beitrag spricht von Implementierung, wenn eine Innovation an einem angezielten sozialen Ort aufgenommen und dort nach und nach als Standardpraktik übernommen wird (Altrichter/Wiesinger 2004, 32), d.h. wenn BBnE von den beruflichen Institutionen angenommen und auf allen Ebenen als Leitprinzip standardisiert zur Anwendung kommt. BBnE lässt sich im Berufsbildungssystem nur verankern, wenn die gesamte Struktur von der Makro- über die Meso- bis auf die Mikroebene in vertikaler und horizontaler Perspektive analysiert wird (vgl. Diettrich et al. 2007, 10). Dabei wird der Prozess der Implementierung als wechselseitige Anpassung (mutual adoption) aufgefasst (Fullan/Pomfret 1977). „Um die innere Konfiguration des schulischen Angebotes und Anforderungsprofils zu verstehen, muss deshalb dessen Handlungszusammenhang mehrebenentheoretisch dargestellt werden“ (Fend 2008, 24). Da das Berufsbildungspersonal auf Meso- und Mikroebene als Akteur mitwirkt, wird es als ein entscheidender Faktor für die Verankerung von BBnE angesehen. Anderseits werden kompetente und überzeugte BBnE-Akteur/-innen dabei scheitern, eine Innovation in die Breite zu tragen, sobald sie nicht genug Unterstützung durch das Bildungssystem erhalten (vgl. Asbrand 2009, 17).

Altrichter und Wiesinger (2004) unterscheiden insgesamt vier Faktoren für erfolgreiche Implementierungen im Bildungswesen: (A) Merkmale der Innovation selbst, (B) Merkmale des lokalen Kontextes, (C) Merkmale der Organisation und (D) Merkmale der Politik, Zentralverwaltungen und externen Agenturen.

Abbildung 1: Einflussfaktoren auf Implementationen (Altrichter/Wiesinger 2005, 32)Abbildung 1: Einflussfaktoren auf Implementationen (Altrichter/Wiesinger 2005, 32)

Die durchgeführte Studie orientiert sich an dieser Systematik, indem sie einzelne Einflussfaktoren in den theoretisch-analytischen Referenzrahmen aufnimmt. Dabei berücksichtigt sie vordergründig die Sicht der Lehrenden, weil diese den Ausgangspunkt für die angestrebte Untersuchung markieren. Das unterrichtliche Handeln der Lehrkräfte findet grundsätzlich in einem komplexen Gefüge verschiedener Rahmenbedingungen statt: Die institutionellen Rahmenbedingungen und damit die Merkmale der Organisation stehen im Vordergrund der Analyse. Aber auch Merkmale des lokalen Kontextes (B) und Merkmale der Politik, Zentralverwaltungen und externen Agenturen (D) werden als überinstitutionelle Rahmenbedingungen berücksichtigt.

2.2 Schulentwicklung im Systemzusammenhang

Der Ursprung der Schulentwicklungsforschung liegt in der Implementationsforschung und der Einzelschulorientierung (vgl. Rolff 2007, 11). Die Schulentwicklung fokussiert grundsätzlich auf die Voraussetzungen, Bedingungen, Formen und Prozesse bei der Umsetzung von Reformen im Schulbereich. Zum anderen nimmt sie Bezug zum Denken, Fühlen und Handeln der beteiligten Akteur/-innen (Arnold 2010, 82). Aus diesem Grund macht es Sinn, sie als Forschungsstrang für die Untersuchung aufzunehmen. Die Schulentwicklung in systemischer Perspektive (Rolff 2007, 27ff.) ist geeignet, einen Innovationsprozesses in einem Mehrebenensystem in innerschulischen und außerschulischen Zusammenhängen zu betrachten.

Das innere System wird in der Schulentwicklungsforschung durch die Trias Organisationsentwicklung, Personalentwicklung und Unterrichtsentwicklung beschrieben  (Rolff 2007). Die Initiierung eines Innovationsprozesses berührt immer alle drei Entwicklungsperspektiven. Wenn eine Lehrkraft z. B. entscheidet, BBnE als Innovation im Unterricht aufzunehmen, dann wird dies häufig eine Entwicklung des Personals nach sich ziehen. Dies könnte zum Beispiel durch die Teilnahme an einer Fortbildung passieren. Spätestens dann ist auch das Schulmanagement der Organisation betroffen, welches geeignete Strukturen für die Teilnahme an Fortbildungen bereitstellen muss. Außerdem könnte ein Impuls für die Implementierung von BBnE von der Schule als Ganzes initiiert werden. Dann würde BBnE einleitend im Schulprogramm aufgenommen. Dies hätte zur Folge, dass der Großteil des Lehrerpersonals weitergebildet werden müsste. Unsinnig wäre es, BBnE im Schulprogramm aufzunehmen, wenn damit nicht auch eine Verbesserung des Unterrichts bewirkt werden soll. Diese beiden Beispiele zeigen, dass die Aufnahme dieser Sichtweise deshalb unerlässlich ist, da sich Innovationsprozesse stets in sämtlichen institutionellen Rahmenbedingungen vollziehen. Dabei ist es zunächst unerheblich, wo der Entwicklungsprozess ansetzt.

Das äußere System wird durch das Umfeld der Schule beschrieben. Dazu gehören Betriebe, Universitäten, die Medien, der Schulträger, die Schulinspektion und vieles mehr (Rolff 2007, 31). Dieser Aspekt darf gerade im Zuge der Verankerung einer BBnE nicht übersehen werden. Denn BBnE wird sehr stark durch gesellschaftspolitische Anforderungen von außen an die Schulen herangetragen. Dies macht sich z. B. durch die Rahmenlehrplanvorgaben bemerkbar. Als Bildungsauftrag wird dort benannt: „Die Schüler und Schülerinnen sollen zur Erfüllung der spezifischen Aufgaben im Beruf sowie zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und der Gesellschaft in sozialer, ökonomischer und ökologischer Verantwortung, insbesondere vor dem Hintergrund sich wandelnder Anforderungen befähigt werden“ (KMK, 2011, 14). Dadurch gibt die administrative Ebene Vorgaben an die berufsschulischen Institutionen weiter. Nur wenn die überinstitutionellen Erwartungen mit den institutionellen Rahmenbedingungen verzahnt werden, kann auch der geforderte Rahmenlehrplan entsprechend seinen Anforderungen umgesetzt werden.

Damit BBnE eine Chance hat, als Innovation an einem sozialen Ort aufgenommen und dort als Standardpraktik etabliert zu werden, ist eine Grundvoraussetzung, dass die Schule sich als lernende Organisation begreift (u. a. Argyris/Schön 1978; Senge 2011; Holtappels 2010a). Dazu sollte den Akteur/-innen bewusst gemacht werden, dass die Entwicklung einer Institution einem Lernprozess entspricht (Herold/Turkawka 2014, 61). Eine lernende Schule entwickelt bewusst Ziele, klärt Normen, arbeitet schuleigene Schwerpunkte im Curriculum heraus, führt gemeinsame Analysen und Diagnosen der Schulsituation durch, entwickelt Projekte, baut Teamarbeit auf und überprüft die Wirkungen der eigenen Arbeit (vgl. Holtappels 2010a, 104). Dabei ist ein entscheidendes Merkmal, dass sich Organisationslernen innerhalb der eigenen Ziele und durch die internen und externen Bedingungen vollzieht (ebd.).

2.3 Educational Governance als analytische Perspektive

Der Educational-Governance-Ansatz ist ein analytisches Konzept im Referenzrahmen der Untersuchung. Dieser Theorieansatz verstärkt die Perspektive der Akteur/-innen und ihre Handlungsabstimmungen in systemischer Lesart und beruht auf den Erfahrungen, dass politische Gesetze, Verordnungen und Erlasse mittels hierarchischer Steuerung den differenzierten Herausforderungen – dies gilt für das Berufsbildungssystem – nicht mehr gewachsen sind (Asbrand 2009, 19). Dadurch können Abstimmungsschwierigkeiten bei der Implementierung durch bestimmte Handlungen und Entscheidungen von Personen(-kreisen) im wechselseitigen Verhältnis zu Handlungen und Entscheidungen anderer, relevanter Akteur/-innen analysiert werden. Dieser Ansatz beruht auf einer systemischen Sichtweise, welche auf wechselseitige Zusammenhänge in einem Mehrebenensystem abzielt und somit vertikale und horizontale Handlungsabstimmungen gleichermaßen betrachtet.  

Die dem Governance-Ansatz zugrundeliegenden Begriffe bieten geeignete Analysekriterien (Kussau/Brüsemeister 2007, 37ff.):

  1. Beobachtung: Die Akteur/-innen stimmen sich allein durch einseitige oder wechselseitige Anpassung an das wahrgenommene Handeln der anderen ab. Zum Beispiel verändern Lehrkräfte ihr unterrichtliches Verhalten, weil eine Schulinspektion sie beobachtet.
  2. Beeinflussung: Akteur/-innen können (auf Basis wechselseitiger Beobachtung) durch gezielten Einsatz, wie z. B. „Macht, Geld, Wissen, Emotionen, moralische Autorität etc.“ andere Akteur/-innen beeinflussen. So stellt die verpflichtende Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen einen Beeinflussungsversuch zur Weiterbildung der Lehrkräfte dar, der sich des Mediums „Wissen und Macht“ bedient.
  3. Verhandlung: Die Akteur/-innen arbeiten – gestützt auf wechselseitige Beobachtung und Beeinflussung –gegenseitig Vereinbarungen aus, die ihre bindende Wirkung auch ohne die Aktualisierung von Macht entfalten können. „Im Schulbereich etwa finden wir ein Beispiel zu dieser Koordinationsform in Verträgen oder Leistungsvereinbarungen, die zwischen verschiedenen „SchulpartnerInnen“ geschlossen werden“ (Kussau/Brüsemeister 2007, 38).

Jede dieser Begriffe drückt eine Handlungskoordination aus, welche sich in modellhafte institutionalisierte Formen der Koordination niederschlagen kann. Die Modelle Hierarchie, Markt, Gemeinschaft und Netzwerke vereinfachen die Handlungsabstimmungen idealtypisch.

  1. In der Koordinationsform der Hierarchie findet das gegenseitige Beeinflussen der Akteur/-innen durch den gezielten Einsatz von Ressourcen statt. Die Entscheidungsbefugnisse, die das Handeln sämtlicher Mitglieder maßgeblich beeinflussen, liegen damit bei einer übergeordneten Instanz.
  2. Die Koordinationsform des Marktes wird durch „die gegenseitige Beobachtung bei gleichzeitigem Abschätzen der eigenen Ressourcen bestimmt. Es besteht die Möglichkeit, eigene Ziele „angesichts knapper Ressourcen einzuschätzen, ohne dass dazu Kontakt aufgenommen werden muss“ (Kussau/Brüsemeister 2007, 40).
  3. In einer Gemeinschaft findet die Koordination der Handlung als „Verhandlung zwischen den Akteur/-innen auf der Grundlage von Beziehung und geteilten Überzeugungen statt“ (Asbrand 2009, 19), wie z. B. bei einer Lehrerkonferenz.
  4. Die Koordinationsform Netzwerke entspricht weitestgehend der der Gemeinschaft mit dem Unterschied, dass sie im Vergleich dazu unverbindlicher ist. „Kollektive Handlungsfähigkeit kommt nur als jederzeitige ‚freiwillige’ Einigung zustande“ (Lange/Schimank 2004, 22)“.

Diese Systematik ermöglicht es, die Interdependenzen in Form von Handlungskoordination in einem komplexen, multikausalen System in Abhängigkeit der Akteurskonstellationen zu beschreiben. Anders ausgedrückt kann die Koordination von institutionalisierten hierarchischen, marktförmigen, gemeinschaftlichen, und netzwerkartigen Steuerungsformen anhand von gegenseitiger Beobachtung, Beeinflussung und Verhandlungen zwischen den Akteur/-innen untersucht bzw. aufgezeigt werden. Dadurch sollen in diesem Beitrag im Sinne einer Good-Governance Impulse für ein koordiniertes Handeln der Akteur/-innen im Innovationsprozess entwickelt werden können. In einem komplexen System ist es nicht in Gänze möglich, sämtliche Akteurskonstellationen und ihre Handlungskoordination abschließend zu analysieren. In Verbindung mit der Implementationsforschung und der Schulentwicklungsforschung wurde so ein analytisch-theoretischer Rahmen entwickelt, welcher zusammenfassend in Abbildung 2 dargestellt wird:

Abbildung 2: Theoretisch-analytisches ReferenzmodellAbbildung 2: Theoretisch-analytisches Referenzmodell

3 Durchführung der empirischen Studie

Die aktuelle Studie ist in einem Forschungsvorhaben der Universität Hamburg eingebunden, bei dem es um die Befähigung von Berufsschullehrkräften zur Umsetzung einer BBnE geht. Das Vorhaben ist vor allem durch die Intentionen und Kennzeichen der Handlungsforschung sowie des Design-Based-Research-Ansatzes geprägt. Die empirische Untersuchung ist dabei an das Vertiefungsmodell von Mayring (2001) angelehnt. Im ersten Schritt wurde hierzu eine bundesweite quantitative Befragung zum Thema „Nachhaltigkeit in der beruflichen Bildung – eine neue Herausforderung für die Lehrkräfte“ durchgeführt (n=234). Ihr Ziel war es, Erkenntnisse über das (Professions-)Wissen, die Überzeugungen, die Wertehaltungen und Ziele von Lehrkräften zur BBnE zu ermitteln. Diese Vorstudie wurde so angelegt, dass sie den Status Quo in der beruflichen Bildung zum Thema BBnE abbildet und Basisinformationen liefert, um den Forschungsgegenstand vertiefend zu bearbeiten. Daran anschließend wurde eine Fortbildungsreihe für Lehrkräfte in Hamburg durchgeführt und evaluiert. Vertiefend zu den Ergebnissen der Vorstudie und einer qualitativen Evaluation der Fortbildungsreihe wurden teilstrukturierte Einzelinterviews mit den Teilnehmer/-innen durchgeführt, um hauptsächlich Erkenntnisse über die professionelle Handlungskompetenz (Baumert/Kunter 2006) der Lehrkräfte in Bezug auf BBnE zu generieren. Die Untersuchung zu den Wahrnehmungen und Beurteilungen der Lehrkräfte zu den institutionellen und überinstitutionellen Rahmenbedingungen ist in diesem Rahmen eingebettet.

Sample: Die Gruppe der Befragten setzt sich aus zwölf Lehrkräften zusammen, die in neun unterschiedlichen Schulen in Hamburg und Schleswig-Holstein unterrichten. Leitendes Kriterium für die Auswahl der Befragten war, dass sie an mindestens zwei der fünf Termine der Fortbildungsreihe teilgenommen haben. Unter dieser Voraussetzung wurde darauf geachtet, dass sie möglichst in unterschiedlichen Schulen in verschiedenen beruflichen Fachrichtungen unterrichten. Die Befragten decken die beruflichen Fachrichtungen der Bautechnik (2), Elektrotechnik (2), Metalltechnik (2), Holztechnik (2), Gesundheit (2), Sozialwissenschaften (1) und Wirtschaftswissenschaften (1) ab. Die Unterrichtserfahrungen der Lehrer/-innen bewegen sich zwischen 2 und 23 Jahren. Das Alter der Befragten variiert zwischen 30 und 53 Jahren.

Methodisches Vorgehen: In der qualitativen Sozialforschung haben sich viele Varianten der teilstrukturierten Interviews etabliert. Für diese Studie waren besonders die theoretischen Grundlagen der Experteninterviews (Bogner et al. 2014) und die der Konstruktinterviews (König und Volmer 2005) federführend. Im Sinne Bogner et al. (2014) werden die Lehrkräfte als Experten verstanden, weil sie – ausgehend von einem spezifischen Praxis- oder Erfahrungswissen, das sich auf einen klar begrenzbaren Problemkreis bezieht – die Möglichkeit geschaffen haben, mit ihren Deutungen das konkrete Handlungsfeld sinnhaft und handlungsleitend für Andere zu strukturieren (Bogner/Menz 2010, 13). Damit soll das Ziel der explorativen Experteninterviews befolgt werden, welches daraus besteht, eine erste Orientierung im Feld zu geben, ein wissenschaftliches Problembewusstsein zu schärfen und Hypothesen zu generieren (Bogner et al. 2014, 23).

Nach König und Volmer (2005) sind die Handlungen der Personen von den eigenen subjektiven Theorien bzw. subjektiven Deutungen abhängig. Um die subjektiven Deutungen zu den einzelnen Rahmenbedingungen bei den Befragten zu erfassen, wurden einleitend jeweils Skalierungsfragen „subjektives Rating“ gestellt (ebd., 92). Damit sollte es nicht auf das Rating an sich ankommen, sondern auf die Konstrukte bzw. Einschätzungen, die dahinter stehen.

Auswertung: Um sich den inhaltlichen Aussagen der Befragten zu nähern, wurden im ersten Schritt die schriftlich festgehaltenen Skalierungseinschätzungen in Form einer deskriptiven Häufigkeitsverteilung ausgewertet. Eine explorative Datenanalyse (Tukey 1977) lieferte erste Auswertungsschwerpunkte. Die weiterführende inhaltliche Auswertung der transkribierten Interviews erfolgte in Anlehnung an die strukturierende, qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2014). Dazu wurden die Interviews mit der Software MAXQDA 12 ausgewertet. Die Tabelle 1 gibt einen Überblick über das Kategorienschema zur Auswertung der Interviewtranskripte.

Tabelle 1:       Kategoriensystem zur Auswertung

Oberkategorien Unterkategorien I Unterkategorien II
Akteur/-innen Eigene Einstellung  
Institutionelle Rahmenbedingungen – Akteur/-innen

Schulleitung

Teamkolleg/-innen

Schüler/-innen

Einstellungen

Kenntnisse

Überzeugungen

Handlungskoordination

Institutionelle Rahmenbedingungen – Strukturen

Schulprogramm

Offenheit

Innovationsgruppen

Zeit

 
Überinstitutionelle Rahmenbedingungen

Curriculare Vorgaben

Betriebe

Politik

Schulbücher/ Handreichungen

Medien

Vorgelagerte Schulen

Lehrerbildung

Unterstützung

Handlungskoordination

Im Verlauf des Auswertungsprozesses wurde das Kategoriensystem aufgrund des explorativen Charakters der Studie mehrfach angepasst. In einem deduktiv-induktiven Wechselspiel (Witzel 2000, 1) wurden neue Kategorien in Form von institutionellen und überinstitutionellen Rahmenbedingungen ergänzt, zusammengefasst und ausdifferenziert.

4 Wahrnehmung und Beurteilung der Befragten zu den Rahmenbedingungen für die Verankerung einer BBnE

4.1 Ergebnisse zu den Einschätzungen der gegenwärtigen institutionellen und überinstitutionellen Rahmenbedingungen

In diesem Abschnitt wird der Fragestellung – Wie beurteilen die Lehrkräfte bestimmte gegenwärtige institutionelle und überinstitutionelle Rahmenbedingungen zur Unterstützung der Implementierung von BBnE? – nachgegangen. Dazu werden zunächst die quantitativen Ergebnisse der subjektiven Einschätzungen der Lehrkräfte zu den institutionellen und überinstitutionellen Rahmenbedingungen in einer Tabelle vorangestellt, um eine erste Gewichtung der Daten zu erhalten. Dann folgen die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse und werden in Bezug zu den quantitativen gesetzt und vergleichend ausgewertet.

Wie in Tabelle 2 zu sehen ist, beurteilen die befragten Lehrkräfte die gegenwärtigen institutionellen Rahmenbedingungen (IR) zur Implementierung von BBnE auf einer 10-stufigen Skala vorwiegend positiv. Dagegen werden die überinstitutionellen Rahmenbedingungen (ÜIR) von den befragten Lehrkräften eher negativ bewertet.

Tabelle 2:       Ergebnisse zur Einschätzung der Rahmenbedingungen

Rahmenbedingungen Zuordnung EIMF und SE M SD
Unterstützung der Schulleitung C1, IR 7,67 1,75
Einstellung der Teamkolleg/-innen C1, IR 7,50 2,02
Motivation der Schüler/-innen C1, IR 7,50 1,44
Motivation der Teamkolleg/-innen C1, IR 7,00 2,37
Positive Einstellung der Schüler/-innen C1, IR 6,83 1,21
Kenntnisse der Teamkolleg/-innen C1, IR 5,33 1,93
Kenntnisse der Schüler/-innen C1, IR 4,42 2,06
Unterstützung der Betriebe B, ÜIR 4,29 3,01
Vorgaben in Curricula ausreichend D, ÜIR 3,25 2,95
Unterstützung von BBnE durch Politik D, ÜIR 2,09 1,50
Handreichungen/ Informationsmaterialien D, ÜIR 2,00 1,58
Behandlung in Schulbüchern D, ÜIR 1,73 0,86

Frage: Wie beurteilst Du die folgenden Rahmenbedingungen für die Umsetzung einer BBnE auf einer Skala von 1 bis 10? EIMF=Einflussfaktoren aus Implementationsforschung; SE= Schulentwicklung; IR=Institutionelle Rahmenbedingungen; ÜIR=Überinstitutionelle Rahmenbedingungen.

Am positivsten wurden die Unterstützung der Schulleitungen, die Einstellung der Teamkolleg/-innen zur BBnE und die Motivation der Schüler/-innen von den befragten Lehrkräften bewertet. Dieses Ergebnis wird auch durch die Aussagen der Lehrkräfte bestätigt. Acht Lehrkräfte beurteilten die Unterstützung der Schulleitung als sehr positiv: „Also da würde ich die 10 ankreuzen, weil wir uns jetzt auf den Weg gemacht haben eine Projektgruppe für zweieinhalb Jahre einzusetzen, wo der Begriff der BnE noch erweitert wurde um das globale Lernen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, das in den beruflichen Schulen in Hamburg zu multiplizieren. Also ein Konzept zu entwickeln. Und da haben wir ganz viel Unterstützung seitens der Schulleitung“ (B10,83). In diesem Fall ist die Unterstützung auch inhaltlich geprägt, weil die Lehrkraft an einer Schule tätigt ist, welche an einem Nachhaltigkeitsprojekt beteiligt ist. Bei anderen Einschätzungen zur Unterstützung der Schulleitung beruht die Unterstützung der Schulleitung eher auf der allgemeinen Bereitschaft Innovationen zu fördern: „[…] Aber wie ich ihn kennen gelernt habe, ist er an neuen Ideen interessiert. Generell interessieren ihn innovative Prozesse. Er hat jetzt viel in die Wege geleitet. Angefangen bei der Kantine über die Ausstattung, das ist alles modernisiert worden. Da ist er schon sehr dahinter, dass da alles reformiert wird. […]Er versucht schon es uns angenehmer zu machen, z. B. durch die Ausstattung, aber er ist jetzt nicht so der ökologische Reformer“ (B5, 127). Hier wird der Schulleitung kein inhaltlicher Bezug zur nachhaltigen Entwicklung zugeschrieben, sondern die Schulleitung wird als genereller Unterstützer von Innovationen gesehen.

Auch die Einschätzungen zu den Einstellungen der Lehrkräfte zur BBnE decken sich mit den Ergebnissen in Tabelle 2. Insgesamt konnten sieben Aussagen der Lehrkräfte ausfindig gemacht werden, die die Ergebnisse zur positiven Einstellung der Lehrkräfte unterstreichen: „[…] Eine Person hier aus dem Team neben mir arbeitet mit in der Projektgruppe. Sie sieht das auch als wichtige Baustelle in der Schulentwicklung an. Aber die anderen Personen auch, ohne jetzt dort in der Projektgruppe mitzuarbeiten. Aber sie versuchen mitzuhelfen, wo sie können“(B12, 95).Allerdings beruhen auch drei Aussagen auf vagen Einschätzungen: „Ich habe gerade überlegt, also eine 10 bedeutet ja, dass ich das wüsste. Ich würde es jetzt eher schätzen, mit denen ich auch drüber gesprochen habe, z. B. über die Fortbildung, die waren schon ganz interessiert und haben nachgefragt. Aber das ist ja nur so ein kleiner Teil und deshalb kann ich das so schlecht einschätzen. Aber ich würde einfach denken, dass da schon eine positive Einstellung demgegenüber herrscht“ (B2, 95). Vier der Aussagen zu den Einstellungen der Teamkolleg/-innen wurden allerdings auch als differenziert eingestuft. Die Einschätzungen der Befragten beziehen sich dabei auf Gespräche mit ihren Kolleg/-innen: „Eher positiv, es gibt aber auch welche, die sagen das hat sowieso keinen Zweck, so nach dem Motto: Es ist wieder so ein Trend. Ich habe das einer Kollegin erzählt, die sagte:“ Ach ja und das ist ja jetzt hier ganz angesagt und das ist ja der neuste Trend in der Wirtschaftspädagogik und die brauchen ja immer wieder neue Themen.“ Wo man dann drauf aufspringen kann sozusagen, aber ich denke, das ist schon wichtiger“(B5, 137).

Auch die Aussagen zur Motivation der Schüler/-innen stimmen mit den quantitativen Ergebnissen überein. Laut der Aussagen der meisten Befragten sind die Schüler/-innen motiviert, sich mit BBnE im Unterricht auseinander zu setzen:„[…] Das ist immer einer der Unterrichte, der am besten läuft. Weil eigentlich jeder eine Meinung dazu hat, jeder hat was zu sagen. Und viele sind auch überrascht, was da noch kommt und was da sein kann. Arbeitsrecht finden sie auch spannend, aber das [Thema BBnE] ist doch noch mal deutlich höher“ (B3, 100). Auch wenn die befragten Lehrkräfte davon ausgehen, dass die Mehrzahl der Schüler/-innen grundsätzlich erstmal motiviert ist, gibt es auch Anmerkungen, die die Motivation differenzierter darstellen: „Also die vor der Ausbildung stehenden, also die AV-Schüler mit den schlechteren beruflichen Aussichten und mitunter prekärem familiären Umfeld, die sind da sehr wenig dran interessiert und motiviert.“ (B1, 123).

Bei den Kenntnissen der Teamkolleg/-innen und Schüler/-innen bewegen sich die quantitativen Ergebnisse um den Mittelpunkt der Skala (siehe Tabelle 2). Für die Kenntnisse der Teamkolleg/-innen kommt dieses Ergebnis auch in den inhaltlichen Aussagen der Befragten zum Tragen. Auf der einen Seite attestieren die Befragten den Kolleg/-innen gute Kenntnissen über BBnE, wobei sie diese Einschätzung teilweise auch gleich einschränken, in dem sie ihren Kolleg/-innen kein richtiges Verständnis von BnE unterstellen: „Es gibt viele Kollegen um mich herum, die sich sehr gut auskennen. Aber es gibt eben auch Kollegen, die ein anderes Verständnis haben. Ich hatte noch vor kurzem die Diskussion, da war das Verständnis für BnE, das was ich im Unterricht vermittle, dass das nachhaltig bei den Schülern hält. Also ganz anders verstanden“ (B10, 91). 

Die inhaltlichen Aussagen zu den Kenntnissen der Schüler/-innen weichen demgegenüber von der quantitativen Auswertung ab. Acht Lehrkräfte attestieren den Schüler/-innen in ihren Aussagen eher schlechte Kenntnisse über eine nachhaltige Entwicklung. Ihren Einschätzungen nach haben die Schüler/-innen teilweise gute Kenntnisse, wenn es um Umweltschutzmaßnahmen geht, aber umfassende Kenntnisse, welche sich in den sozialen, ökologischen und ökonomischen Zusammenhängen widerspiegeln, werden von den Befragten bei den Schüler/-innen nicht wahrgenommen: „Also, wie gesagt, was Umwelt angeht. Das ist was anderes. Also Umwelt: Ich darf nicht, ich soll nicht wegschmeißen. Ich soll den Abfall sortieren. Nachhaltige Entwicklung ist nicht in den Zusammenhang gebracht. Sondern nur was ich nicht darf und was ich nicht soll. Ich verbrauche Massen und entsorge es richtig, das ist vielleicht so. Aber das hat mit nachhaltiger Entwicklung in dem Sinne noch nichts zu tun“ (B11, 196).

Im Gegensatz zu den institutionellen Rahmenbedingungen werden die überinstitutionellen Rahmenbedingungen von den befragten Lehrkräften überwiegend negativ eingeschätzt (vgl. 2). Die hohe Standardabweichung bei den Items Unterstützung der Betriebe und den Vorgaben in den Curricula lassen bereits eine gewisse Streuung in den Antworten vermuten. Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass die interviewten Lehrkräfte aus verschiedenen beruflichen Branchen kommen. So gibt es in den Branchen der Bau- und Holztechnik bereits eine Vielzahl an Betrieben, die das Thema der nachhaltigen Entwicklung im Fokus haben. Dem entspricht, dass sich vermehrt curriculare Vorgaben in den Rahmenlehrplänen der jeweiligen Berufsgruppen finden lassen. Hingegen ist das Thema der nachhaltigen Entwicklung in den Branchen der Metall- und Elektrotechnik noch nicht so stark vertreten. Diese Diskrepanz kommt in den Antworten der Befragten vor allem in Bezug zu den curricularen Vorgaben zum Ausdruck. Es gibt nur wenige Lehrerkräfte, die die curricularen Vorgaben für die Umsetzung einer BBnE für ausreichend halten. Viele empfinden die Vorgaben aber auch als völlig unzureichend: „Nein. Da kann ich ganz klar nein sagen. Also, ich habe es schon durchgelesen, da steht gar nichts dazu“ (B2, 159). Die hohe Streuung bei den Einschätzungen zu der betrieblichen Unterstützung lässt sich demgegenüber dadurch erklären, dass eine Reihe der Lehrkräfte Schwierigkeiten hatte eine Bewertung abzugeben. Dies gilt auch für die Einschätzung der Unterstützung von BBnE durch die Politik: Ich weiß es nicht, ich bin da schlecht informiert. Weiß ich gar nicht. Ich würde jetzt sagen, sie muss stärker unterstützen. (B2, 179). Die Lehrkräfte schätzen grundsätzlich die inhaltlichen Bezüge in den Schulbüchern, die Anzahl der Handreichung und Informationsbroschüren als sehr gering ein: „Also, wenn ich die jetzt vor Augen habe, da werden dann technische Systeme, wie dann so ein Fachbuch ist, relativ nüchtern beschrieben. Selbst bei den Vor- und Nachteilen wird selten auf BBnE oder auf Nachhaltigkeitseinsatz hingewiesen. Überhaupt Denkanstöße oder Reflexionsfragen in die Richtung sind gar nicht vorhanden“ (B8, 189).

4.2 Ergebnisse zu den Einschätzungen der Handlungskoordinationen

Um der zweiten Fragestellung – Welches sind die wesentlichen Koordinierungsmaßnahmen für die befragten Lehrkräfte, um als Akteur/-innen in einem Mehrebenensystem die strukturelle Verankerung von BBnE voranbringen zu können? – nachzugehen, wurde den Lehrkräften eine einleitende Frage gestellt. Sie sollten die vorgelegten Rahmenbedingungen nach ihrer persönlichen Wichtigkeit in eine Rangreihenfolge bringen. Dabei wurden die Lehrer/-innen bei der Beantwortung dazu aufgefordert die Ränge pro Akteur anzugeben (vgl. Tabelle 3), so wurde jeweils z. B. nur ein Rang für die Teamkolleg/-innen angegeben und keine Unterscheidung zwischen den Einstellungen, der Motivation und den Kenntnissen der Teamkolleg/-innen gemacht.

Tabelle 3:       Häufigkeiten der Rangverteilung für die ersten drei Ränge

Rahmenbedingungen Zuordnung EIMF und SE Rang 1 Rang 2 Rang 3
Teamkolleg/-innen C1, IR 6 2 1
Vorgaben in Curricula D, ÜIR 5 2 1
Unterstützung der Betriebe B, ÜIR   1 6
Unterstützung von BBnE durch Politik D, ÜIR 1 2 1
Unterstützung der Schulleitung C1, IR   2 1
Schüler/-innen C1, IR   1 2
Behandlung in Schulbüchern D, ÜIR   1  
Handreichungen und Infomaterial D,ÜIR   1  

Frage: Bringe die Rahmenbedingungen in eine Rangreihenfolge; IR=Institutionelle Rahmenbedingungen; ÜIR=Überinstitutionelle Rahmenbedingungen.

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der Häufigkeitsanalyse, dass die drei Rahmenbedingungen Teamkolleg/-innen, Vorgaben in den Curricula und die Unterstützung der Betriebe von den Lehrkräften relativ häufig unter den ersten drei Rängen eingestuft wurden. Damit spielen diese Rahmenbedingungen für die befragten Lehrkräfte eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung der strukturellen Verankerung der Nachhaltigkeitsidee in ihren Unterricht. Inwieweit dies zutrifft, klärt die folgende inhaltliche Analyse der Interviews.

Um nun die subjektiven Deutungen der Lehrkräfte in Bezug auf die Handlungskoordination der Akteursgruppen untereinander analysieren zu können, wurden die Lehrkräfte aufgefordert ihre Rangreihenfolge zu beschreiben. Anschließend wurden sie angewiesen, Ideen zur Verbesserung der Gestaltung der Rahmenbedingungen zu geben. Aus den Beschreibungen konnten die Zusammenhänge der Rahmenbedingungen unter Berücksichtigung der Analysekategorien Beeinflussung, Beobachtung und Verhandlung und den modellhaft institutionalisierten Formen der Koordination, Hierarchie, Markt, Gemeinschaft und Netzwerk gedeutet werden. Die Anzahl der vergebenen Codes in der Inhaltsanalyse bestätigt die Annahme, dass die Rahmenbedingungen Teamkolleg/-innen (27), Vorgaben in den Curricula (15), Unterstützung der Betriebe (13) sowie Schulleitung (13) im Unterschied zu den anderen Rahmenbedingungen eine wesentliche Rolle bei der Koordinationswirkung aus Sicht der Lehrkräfte spielen. Für alle weiteren Rahmenbedingungen konnten nicht mehr als 4 Codes pro Bedingung ausfindig gemacht werden.

Die Inhaltsanalyse zeigt, dass die Befragten starke Koordinationszusammenhänge ausgehend von den Teamkolleg-/innen zu den Schüler/-innen, der Schulleitung, den weiteren Kolleg/-innen an der Schule sowie den curricularen Vorgaben äußern. Die Handlungskoordination der Teamkolleg/-innen zu den Schüler/-innen wird ausschließlich im Modell der Hierarchie dargestellt. Demnach sollen die Lehrkräfte die Motivation der Schüler/-innen von „oben nach unten“ beeinflussen: „Und die Schüler dazu motivieren wäre ja eher die Aufgabe von den Lehrer, das im Unterricht irgendwie nett zu machen (B2, 191). Auch bei der Handlungskoordination zwischen Teamkolleg/-innen und Schulleitungen wird vorwiegend das Modell der Hierarchie beschrieben. Dabei wird der Schulleitung die Beeinflussung der Teamkolleg/-innen in der Form zugeschrieben, dass sie „[…] darauf hinweist, dass es mehr und mehr eine Rolle im Lehrplan" spielt“ (B8, 219) bzw. „Und dann finde ich muss das natürlich irgendwie ein bisschen mehr von der Schulleitung unterstützt werden. Oder auch gesagt werden, hier das ist vielleicht mal eine Baustelle und hier wer will das da so mitmachen“ (B2, 192). Die Handlungskoordinationsform zwischen den Teamkolleg/-innen untereinander wird von den Befragten in zweifacher Hinsicht beschrieben. Zum einen als Beobachtung: „Irgendwo läuft ein gutes Produkt und das bekommen andere mit. Die sagen, „Ah ok, was machen die denn da? Das ist interessant. Gib mal her die Unterlagen““ (B7, 148) und zum anderen als Verhandlung: Es sollte natürlich irgendwie auch mal besprochen werden in Kollegium“ (B5,163). Die Verhandlung der Teamkolleg/-innen untereinander wird häufig auch in Verbindung mit den curricularen Vorgaben gebracht: „Damit das passiert, braucht man mit Sicherheit motivierte, engagierte Lehrer, Teamkollegen. Ich glaube nur, dass viele Kollegen sich nicht in erster Linie, ich will meinen Kollegen nichts Böses. Ich habe großartige Kollegen. Nur wenn curriculare Vorgaben, also deutlich machen, es ist nun notwendig, das so zu unterrichten, dann tun die das“ (B12, 121).

Die inhaltliche Auswertung zur Koordination zwischen den curriculare Vorgaben und den Teamkolleg/-innen aber auch zu den befragten Lehrer/-innen zeigen zahlreiche Handlungszusammenhänge. Die Handlungskoordinationen zwischen den Teamkolleg/-innen und den curricularen Vorgaben wird wiederum im Modell der Hierarchie beschrieben. Interessant ist, dass ausgehend von dieser Handlungskoordination eine Verhandlung im Modell der Gemeinschaft gesehen wird: „[…], wenn sie sich, also meine Kollegen, dagegen sperren, sich dafür zu interessieren, müsste es darin verankert sein, dass wir sagen können das Team "wir müssen es machen". Das wäre für eine Gelingensbedingung, je mehr ich darüber nachdenke, tatsächlich wichtig, wenn sie sich absolut dagegen sperren“ (B8, 215). Damit äußern die befragten Lehrkräfte in Bezug auf die curricularen Vorgaben, dass sie primär eine „Legimitationsgrundlage schaffen“ (B5, 157), um sich mit anderen Teamkolleg/-innen über BBnE auszutauschen. Dies könnte nach Ansicht der Lehrkräfte die Bereitschaft zur Umsetzung von BBnE erhöhen und eine Grundlage für eine interne Kommunikation schaffen: „Und das auch dann mehr kommuniziert wird, auch innerhalb der Schule“ (B2, 163).

Die Verbindungslinie, die die Befragten der Unterstützung der Betriebe zuschreiben, besteht in erster Linie zu den Schüler/-innen und dem eigenen Unterricht. Die Handlungskoordination der Unterstützung der Betriebe zu den Schüler/-innen ist durch das Modell der Hierarchie bestimmt. Die interviewten Lehrkräfte sehen die Bedeutung darin, dass die betrieblichen Ausbilder einen starken Einfluss auf die Schüler/-innen haben: „Weil doch letztendlich, dass was der Ausbilder oder Meister sagt, ist Gesetz und das hat bei Schülern eine ganz andere Wirkung“ (B10,125). Der Bezug zum eigenen Unterricht ist dadurch eher durch einen marktförmigen Modus bestimmt. Die meisten Befragten äußern, dass sie nicht an der betrieblichen Praxis vorbei unterrichten können, sondern dass diese ihren Unterricht indirekt beeinflusst: „Oh ja, Betriebe. Habe ich gerade übersehen. Genau, weil das ist ja die Seite die die uns letztlich, wie ein heimlicher Lehrplan auch, irgendwie beeinflusst“ (B6, 178).

Aus der Perspektive der Schulleitung heraus beschreiben die Interviewten zahlreiche hierarchische Handlungsabstimmungen. Die Schulleitungen agieren beeinflussend auf das Kollegium der Schule, in dem sie den Anstoß geben: „In den Teamsitzungen sollte das immer mal mit reingebracht werden, aber angestoßen sollte es dann doch, denke ich mal, von der Schulleitung“ (B5, 165). Der größte Einfluss der Schulleitung auf das Kollegium der Schule besteht laut Aussagen der Befragten darin, dass die Schulleitung der BBnE eine Priorität einräumt: „Manchmal ist es aber vielleicht notwendig, sich auf bestimmte Themen zu konzentrieren. Nicht etliche Baustellen gleichzeitig zu haben. Wenn aus der Schulleitung gesagt wird: „Nachhaltige Entwicklung ist für uns profilgebend. Sie ist für uns besonders wichtig“, dann ist das bestimmt sehr förderlich, dass das in der Schule umgesetzt wird“ (B12, 123).

5 Diskussion und Verdichtung der gewonnenen Ergebnisse  

Die qualitative Untersuchung von detaillierten Einzelfällen hatte bewusst die Zielsetzung, aus Sicht von Berufsschullehrer/-innen relevante Rahmenbedingungen für die Verankerung von BBnE zu identifizieren. Als wesentlich ermittelte die Studie die drei Rahmenbedingungen Teamkolleg/-innen, Vorgaben in den Curricula und die Unterstützung der Betriebe. Aus den  Ergebnissen zur Einschätzung der Handlungskoordination konnten drei bedeutsame Problemfelder für die praktische Umsetzung sowie forschungsbezogene Konsequenzen aufgedeckt werden. In Anlehnung an die Handlungsforschung bzw. des Design-Based-Research-Ansatzes sind die dargelegten Ergebnisse in einen spezifischen Kontext eingebunden. Deshalb sind sie, bezogen auf eine statistische Repräsentativität nicht direkt verallgemeinerbar. Die Zielsetzung, die Implementierungsmaßnahmen zu optimieren, ist nur bedingt möglich. Als explorative Studie soll die Ergebnisinterpretation dennoch einen unmittelbaren Nutzen für die Gestaltung einer strukturellen Verankerung von BBnE empfehlen. Dazu dienen die folgenden drei Hauptthesen, welche Anregungen zu den drei wesentlichsten Rahmenbedingungen aus den Wahrnehmungen und Beurteilungen der befragten Lehrer/-innen folgern.

These 1: Die Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung sollte unbedingt flächendeckend in die Ausbildungsordnungen und Lehrpläne der einzelnen Berufe aufgenommen werden.

Die Auswertung hat gezeigt, dass die Lehrkräfte die curricularen Vorgaben als nicht ausreichend bewerten. Zusätzlich spielen die curricularen Vorgaben bei den Lehrkräften eine entscheidende Rolle, wenn es um die unterrichtliche Umsetzung von BBnE geht. Der BBnE würde dadurch eine Legitimation eingeräumt, die die Verhandlungen der Nachhaltigkeitsengagierten in der Institution mit Vorgesetzten und Kolleg/-innen unterstützen würden. Zum anderen trüge dies zu einer erhöhten Bedeutsamkeit von BBnE als Bestandteil der beruflichen Ausbildung bei.

These 2: Es sollten verstärkt kooperative Lerngemeinschaften (u. a. Gräsel et al. 2006; Fussangel/Gräsel 2009) für BBnE angeboten werden.

Aus den Ergebnissen geht hervor, dass die Befragten die Kenntnisse der Lehrkräfte zur BBnE mittelmäßig bis gering einschätzen. Dennoch haben sie den Kolleg/-innen eine grundsätzlich offene und befürwortende Einstellung gegenüber BBnE zugesprochen. Für die Implementierung von BBnE in den Unterricht spielen die Teamkolleg/-innen aus Sicht der befragten Lehrer/-innen die wesentlichste Rolle. Sie sind sehr stark im schulischen Kontext mit weiteren Akteursgruppen vernetzt. Daher sollten kooperative Lerngemeinschaften für BBnE initiiert werden. Diese kooperativen Lerngemeinschaften müssen wiederum in institutionelle Netzwerke aus Leitungspersonal, Kollegen/-innen, Administratoren etc. eingebunden werden. In ihnen werden die wesentlichen Vereinbarungen zur Umsetzung einer BBnE verhandelt, erprobt und evaluiert. Nur durch solche kooperativen Lerngemeinschaften, die sich mit BBnE beschäftigen, sind Qualifizierungs- bzw. Vernetzungsmaßnahmen in der Lage, Innovationen in die Breite einer Institution zu tragen.

These 3: Eine Verständigung der Lernorte Berufsschule und Betrieb über die BBnE muss gefördert werden.

Die Auswertungen haben gezeigt, dass die befragten Lehrkräfte Schwierigkeiten hatten einzuschätzen, inwieweit die Betriebe eine nachhaltige Entwicklung unterstützen. Daher ist es notwendig, dass die Lehrkräfte einen kontinuierlichen Einblick in die diesbezügliche berufliche Praxis bekommen. Eine verbesserte Lernortkooperation sollte sich also vertiefend damit auseinandersetzen, wie der Austausch zwischen Schule und Betrieb organisiert werden muss, damit Innovationen abgestimmt Einzug in die gesamte Ausbildungspraxis erhalten.

Diese drei Thesen geben zusammenfassend Anregungen in Form von Handlungsempfehlungen für eine strukturelle Verankerung von BBnE im Berufsbildungssystem. Für eine strategische Steuerung im Sinne des Educational-Governance-Ansatzes sollen sie als wichtige Impulse zur Diskussion stehen. Außerdem können sie eine argumentative Grundlage für die Vergabe von Ressourcen geben.

6 Fazit und Ausblick

Der Beitrag legt, anhand der Wahrnehmungen und Beurteilungen der Lehrkräfte zu den institutionellen und überinstitutionellen Rahmenbedingungen, Handlungsempfehlungen für eine Verankerung von BBnE in die schulische Berufsbildungspraxis vor. Dazu wurde ein theoretisch-analytischer Referenzrahmen aufgespannt, wodurch aus der Perspektive der Lehrkräfte wichtige Handlungskoordinationen ausfindig gemacht und analysiert werden konnten. Die Erkenntnisse aus der Implementations-, Innovations- und Schulentwicklungsforschung bestimmten, unter der Erweiterung von governancetheoretischen Aspekten die theoretischen Grundlagen. Die qualitative Untersuchung konnte drei handlungsleitende Thesen zu den wesentlichsten Rahmenbedingungen für die Berufsschullehrer/-innen explorieren.

Die Ergebnisse der Studie sind im Sinne einer Good-Governance Perspektive zu betrachten. Für eine strategisch-strukturelle Verankerung liefern die Resultate wichtige Anhaltspunkte. Hierbei ist anzumerken, dass die Studie nur eine Perspektive, nämlich die der Berufsschullehrer/-innen widerspiegelt. Eine Aufnahme weiterer Akteursgruppen, wie z. B. Schulleiter/-innen, Ausbildungsleiter/-innen etc. in die Untersuchung, würde die Erkenntnisse ebenenübergreifend erweitern. Vor allem die Verbindung der unterschiedlichen Perspektiven könnte eine weitere Aufgabe sein, um eine „grenzüberscheitende Handlungskoordination“ (Heinrich 2009) anzubahnen.

Die vorliegende Studie stellt wichtige Impulse für den Förderschwerpunkt „Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung 2015-2019“ [2] des BiBB bereit. Im Zuge des Weltaktionsprogramms fördert das BiBB aktuell erneut im Auftrag des BMBF zwölf Modellversuche. In einer Förderlinie 1 widmen sich sechs Projekte der Aufgabe nachhaltigkeitsbezogene Handlungskompetenzen in kaufmännischen Berufen zu entwickeln. In der zweiten Förderlinie steht die Gestaltung von nachhaltigkeitsorientierten Lernorten im Mittelpunkt der Betrachtung. Damit ist, wie in der vorliegenden Studie auch, der Anspruch verbunden die Verankerung der Nachhaltigkeitsidee in das Berufsbildungssystem weiter voranzubringen.  

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[1] Siehe http://www.dekade.org/datenbank/index.php

[2] https://www.bibb.de/de/pressemitteilung_45311.php

Zitieren des Beitrags

Schütt-Sayed, S. (2016): Die strukturelle Verankerung einer Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBnE) aus Sicht von Berufsschullehrkräften. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 31, 1-21. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe31/schuett-sayed_bwpat31.pdf (12-12-2016).