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bwp@ Ausgabe Nr. 23 | Dezember 2012
Akademisierung der Berufsbildung
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 23 sind Karin Büchter, Dietmar Frommberger & H.-Hugo Kremer

‚Reflexionskatalysator Weiterbildung‘: Professionalisierung chinesischer Berufsschullehrkräfte im Medium berufsbezogener wissenschaftlicher Fortbildungen an deutschen Hochschulen

Beitrag von Alexander SCHNARR (Universität Erfurt)


Abstract

Überlegungen zur Akademisierung der Berufsbildung berühren auch die Fragestellung, inwiefern im Rahmen der hochschulischen Bildung Herausforderungen der beruflichen Bildung aufgenommen werden. In diesem Zusammenhang spielt nicht nur die Fort- und Weiterbildung von bereits in der Berufsbildung tätigen Professionellen auf akademischem Niveau im deutschen Kontext, sondern auch die Fortbildung internationaler BerufsbildungsexpertInnen an deutschen Hochschulen eine bedeutende Rolle.
Im Mittelpunkt des Beitrags stehen Befunde aus einem in diesem Kontext entstandenen Forschungsprojekt zu professionellen Orientierungen chinesischer BerufsschullehrerInnen, die nahelegen, dass Bildungserfahrungen in akademischen Weiterbildungsmaßnahmen als ‚Reflexionskatalysator’ für das eigene professionelle Lehrerhandeln dienen. Von grundlegender Bedeutung ist dabei, dass insbesondere über die akademische Weiterbildung die Bezüge zur beruflichen Praxis der Lehrkräfte und damit auch zum Bezugsfeld der beruflichen Bildung aufgegriffen werden. Anlage und Durchführung der Studie werden vorgestellt und die bisherigen Forschungsergebnisse - insbesondere bezogen auf die eigene Reflexion des professionellen Handelns der InformantInnen - vor dem Hintergrund professions- und bildungstheoretischer Überlegungen diskutiert. Es sollen Antworten auf die Frage skizziert werden, inwiefern Bildungsprozesse, die auf den beruflichen Erfahrungen der TeilnehmerInnen aufsetzen, durch die akademische Lehrerweiterbildung im internationalen Kontext angestoßen wurden und empirisch begründet nachzeichenbar sind und was dies für die weitere Professionalisierung der teilnehmenden Lehrkräfte sowie der beruflichen Bildung in der V.R. China bedeutet.


Further education as a catalyst for reflection: Professionalisation of Chinese vocational school teachers through the medium of vocationally-related further training at German institutions of higher education

Reflections on the academicisation of vocational education also touch upon the question of the extent to which, in the context of higher education, challenges of vocational education are taken up. In this context not only the further and advanced education of professionals who were already active in their vocational training at an academic level in the German context play a significant role, but also the further education of international experts on vocational education at German higher education institutions
The focus of this paper is on findings from a research project which emerged from this context on professional orientations of Chinese vocational school teachers, which suggested that educational experiences in academic further education measures serve as a ‚reflection catalyst‘ for their own professional actions as a teacher. In this context, it is of fundamental significance that, particularly through academic further education, connections can be taken up to the vocational practice of the teachers and thereby to the related field of vocational education. The structure and execution of the study are presented and the research findings thus far, in particular relating to the self-reflection of the professional actions of the respondents – against the background of professional and educational theoretical reflections – are discussed. The aim is to outline answers to the question of the extent to which educational processes which build on the vocational experiences of the participants were initiated by academic further teacher education in an international context, and which can be grounded in empirical findings, and what this means for the further professionalisation of the participating teachers as well as for vocational education in the People’s Republic of China.

1 Einleitung

Überlegungen zur Akademisierung der Berufsbildung berühren auch die Fragestellung, inwiefern im Rahmen der hochschulischen Bildung Herausforderungen der beruflichen Bildung aufgenommen werden. Dies wird insbesondere bei Formaten relevant, in denen bereits in der Berufsbildung tätige Akteure Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen im akademischen Kontext und/oder mit akademischer Fundierung durchlaufen. Diese Aktivitäten gehören zum Bereich der berufsbezogenen wissenschaftlichen Weiterbildung, die dadurch charakterisiert ist, „dass sie auf beruflichen Erfahrungen aufbaut und eine Phase beruflicher Tätigkeit voraussetzt. Sie wendet sich vor allem an Hochschulabsolventen, aber auch an beruflich Qualifizierte, die über eine entsprechende Eignung für eine Wahrnehmung des Weiterbildungsangebots verfügen“ (WISSENSCHAFTSRAT 1997, 9 in: BLOCH 2006, 7).

Im Rahmen berufsbezogener wissenschaftlicher Weiterbildungen werden also die bereits vorhandenen beruflichen Erfahrungen der Teilnehmenden zum Ausgangs- bzw. Mittelpunkt von Lehr- und Lernprozessen gemacht und theoretisch fundiert. Auf dieser Basis können dann neue – wissenschaftliche – Kenntnisse vermittelt werden. Das bereits im Arbeitsprozess erworbene Wissen und die dort gemachten Erfahrungen werden im Rahmen von wissenschaftlichen Fortbildungsangeboten somit für und durch die Teilnehmenden noch einmal neu beleuchtet; die aus dem akademischen Kontext stammende theoretische Rahmung und Fundierung bietet möglicherweise neue Systematisierungsmöglichkeiten und Ordnungsmuster für die bisherige (berufs)pädagogische Tätigkeit (vgl. SCHRODE/ WAGNER/ HEMMER-SCHANZE 2012, 8). Insofern sind diesen Weiterbildungsmaßnahmen erhebliche Professionalisierungspotenziale für die sie durchlaufenden Berufsgruppen inhärent. Für den berufspädagogischen Kontext ist dabei natürlich die Fort- und Weiterbildung von in der pädagogischen Praxis tätigem Personal von besonderem Interesse, sind doch auch hier seit einigen Jahren erhebliche Professionalisierungsbestrebungen erkennbar (vgl. z. B. ALBERS/ BONZ/ NICKOLAUS 2001; BECK 2006; ZLATKIN-TROITSCHANSKAIA/ BECK/ SEMBILL/ NICKOLAUS/ MULDER 2009) – und zwar nicht nur im deutschen, sondern auch im internationalen Raum (vgl. exemplarisch CORT/ HÄRKÖNEN/ VOLMARI 2004; GROLLMANN 2005; TATTO 2007; ZHAO 2005).

Im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen daher Befunde aus einem Forschungsprojekt zu professionellen Orientierungen chinesischer BerufsschullehrerInnen, die nahelegen, dass Bildungserfahrungen in berufsbezogenen wissenschaftlichen Weiterbildungsmaßnahmen in Deutschland als ‚Reflexionskatalysator’ für das eigene professionelle Lehrerhandeln dienen und Möglichkeiten eröffnen, wissenschaftlich fundiertes, in der Fortbildung vermitteltes Methodenwissen und neue berufspädagogische Kenntnisse zukünftig reflektiert in die eigene berufsbildende Tätigkeit einbringen zu können. Durch das Aufgreifen praktischer Problemstellungen aus dem beruflichen Alltag der Akteure für die Fortbildung und das Einbinden und Zurückführen der neu erworbenen, wissenschaftlich fundierten Kenntnisse in die Vorstellungen über die eigene Praxis können derartige Fortbildungen somit – dies soll im weiteren Verlauf gezeigt werden – zu einer (weiteren) Akademisierung der Berufsbildung beitragen.

Zunächst erfolgt ein Überblick über die berufliche Bildung in der V.R. China sowie die deutsch-chinesische Berufsbildungszusammenarbeit, welche die Professionalisierung chinesischer Lehrkräfte zum Ziel hat und im Hinblick auf die Akademisierung der beruflichen Bildung des Landes durch Weiterbildungsmaßnahmen insgesamt unterstützend wirkt. (Kapitel 2). Im Anschluss daran werden die wesentlichen Eckpunkte des zugrunde liegenden Forschungsprojektes skizziert und die bisherigen Befunde entsprechend der Zielstellung des Beitrags unter professions- und bildungstheoretischen Gesichtspunkten diskutiert (Kapitel 3). Eine Zusammenfassung unter der Fragestellung, was die dargestellten Forschungsbefunde für die weitere Professionalisierung der teilnehmenden Lehrkräfte sowie der beruflichen Bildung in der V.R. China insgesamt bedeuten sowie ein Ausblick runden den Beitrag ab.

2 Fortbildung chinesischer BerufsbildungsexpertInnen im akademischen Kontext

2.1 Berufliche Bildung in der V.R. China - Überblick

Wie der Abbildung 1 zu entnehmen ist, gliedert sich das chinesische Bildungssystem in einen Primar-, einen Sekundar- und einen Tertiärbereich. Die Berufsausbildung ist dabei vor allem in die Mittelschulausbildung integriert (vgl. AULIG 2006, 86) und stellt damit eine Form der (vollzeit)schulischen Berufsausbildung dar. Darin können weiterhin eine Ebene der ‚unteren‘ Berufsbildung im Sekundarbereich I und eine Ebene der ‚mittleren‘ Berufsbildung im Sekundarbereich II unterschieden werden. ‚Höhere‘ Berufsbildung findet dann auf der Ebene der Berufshochschulen statt, mithin im Tertiärbereich. „Obwohl das chinesische Bildungsgesetz vorsieht, dass die neunjährige Schulpflicht im Rahmen des allgemeinen (akademischen) Schulsystems absolviert wird, besteht schon auf der unteren Mittelschulstufe [Sekundarstufe I, A.S.] die Möglichkeit, eine Berufsmittelschule zu besuchen. Das größte Angebot an Berufsbildungsschulen besteht jedoch auf der Stufe der oberen Mittelschule“ (NOWAK-SPEICH 2006, 81). Auf dieser Stufe (im Sekundarbereich II) ist auch das diesem Beitrag zugrunde liegende Forschungsprojekt verortet.

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Abb. 1: Bildungssystem der V.R. China (entnommen aus NOWAK-SPEICH 2006, 61)

Im Sekundarbereich II, auch das ist der Abbildung zu entnehmen, existieren für den berufsbildenden Bereich drei verschiedene Schulformen: die Facharbeiterschule, die Fachmittelschule und die Berufsmittelschule Oberstufe, die im weiteren Verlauf der Lesbarkeit halber vereinfacht als ‚Berufsmittelschule‘ bezeichnet wird. Bei politischen Bestrebungen zur weiteren Entwicklung und zum Ausbau der beruflichen Bildung steht vor allem diese Schulform, die den lokalen und regionalen Bildungsbehörden direkt unterstellt ist, im Fokus. Die wachsende Bedeutung der Berufsmittelschulen wird auch anhand der Entwicklung der Schülerzahlen deutlich: „In 2004, China's regular senior middle schools recruited 8.2 million students, while mid-level vocational schools recruited 5.5 million students. The new aim is to recruit a further 1 million students into mid-level vocational schools by 2006. By 2010, over 8 million students will be studying in mid-level vocational schools, matching the number of students in regular senior middle schools. To achieve this aim, government departments at all levels will increase spending on vocational education." (YANG 2007, 270)

Zugang zur Berufsmittelschule erhalten Schüler, welche die Sekundarstufe I erfolgreich abgeschlossen haben und eine Aufnahmeprüfung an der entsprechenden Schule bestehen. Die Ausbildungsdauer beträgt zwei bis vier Jahre, das Eintrittsalter ist mit dem in der Erstausbildung im deutschen Berufsbildungssystem vergleichbar. Eine Besonderheit des chinesischen Bildungssystems besteht darin, dass man jederzeit vom allgemeinbildenden in den berufsbildenden ‚Pfad‘ wechseln kann; umgekehrt ist dies jedoch nicht möglich. Das bedeutet, dass Schüler, die bereits in der Unterstufe der Mittelschule den berufsbildenden Zweig gewählt haben, ihre Ausbildung nur an Schulen der mittleren Berufsbildung fortsetzen können; eine Rückkehr in den allgemeinbildenden Bereich ist in der Regel nicht möglich. Ähnlich verhält es sich mit Schülern, die zwar die Unterstufe der Mittelschule absolviert haben, aber die Prüfung zur Aufnahme an die Oberstufe der Mittelschule nicht bestehen und dann in den berufsbildenden Bereich wechseln. „Unter anderem wird die Berufsbildung in China auch aus diesem Grund oftmals als eine Art Auffangbecken für diejenigen, die im allgemeinen System nicht weiter kommen, gesehen." (NOWAK-SPEICH 2006, 81). Verstärkt wird diese Sichtweise auf berufliche Bildung in China durch die konfuzianische Tradition, die bereits seit Jahrtausenden das chinesische Weltbild prägt und der ‚Kopfarbeit’ gegenüber handwerklichen Tätigkeiten einen deutlich höheren Stellenwert und mithin eine deutlich gesteigerte gesellschaftliche Akzeptanz einräumt. Angesichts dieser Sichtweise, die bereits um 300 vor Christus im chinesischen Bewusstsein verankert wurde, „ist es nicht verwunderlich, dass die handwerkliche Bildung als inferiore Lernaufgabe in den Hintergrund gedrängt wird." (ebd., 80). Trotz dieser vor allem aus der gesellschaftlichen Haltung zur beruflichen Bildung entstehenden Problemlagen legt die politische Führung der V.R. China großen Wert auf den weiteren Ausbau der Berufsbildung und die Professionalisierung des in ihr tätigen Personals. Im 1995 erlassenen Bildungsgesetz wurde die Entwicklung der beruflichen Bildung in den Artikeln 19 und 40 bereits festgeschrieben (vgl. ebd., 60), im Jahr 1996 durch die Verabschiedung des ersten Berufsbildungsgesetzes des Landes weiter legislativ verankert. Darüber hinaus wurde im Rahmen verschiedener Reformen die Anzahl möglicher Ausbildungsberufe von über 1.000 auf nur noch 270 reduziert (vgl. AULIG 2006, 79). Wie oben bereits dargestellt, bildet die Erhöhung der Schülerzahlen in Berufsmittelschulen bzw. die Anpassung der Schülerzahlen an das Niveau der allgemeinbildenden Mittelschulen ein weiteres wichtiges politisches Ziel.

Die dargestellten aktuellen Entwicklungen und Reformen in der beruflichen Bildung in der V.R. China beeinflussen auch die Ausbildung der an Berufsschulen tätigen Lehrkräfte. PAINE/ FANG dazu: „Such a shift in the orientation of secondary and post-secondary education has created a need to recruit and train qualified teachers who not only can support academic learning but also know and are able to teach vocational and technical education in a practical field." (PAINE/ FANG 2007, 179) Neben der zunehmenden Professionalisierung der grundständigen Berufsschullehrerausbildung (siehe z.B. ZHAO 2003; CHEN 2005) dienen Weiterbildungsmaßnahmen (sowohl im Land als auch in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern) für bereits in der beruflichen Bildung tätige Lehrkräfte als Mittel, um dem von PAINE/ FANG angesprochenen und von der chinesischen Regierung identifizierten Bedarf an fachlich und berufspädagogisch gut ausgebildetem Bildungspersonal Rechnung zu tragen. Auch Deutschland ist an solchen Fortbildungsmaßnahmen beteiligt.

2.2 Zusammenarbeit zwischen der V.R. China und Deutschland in der Weiterbildung chinesischer Berufsbildungsfachkräfte

Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit können die V.R. China und Deutschland bereits auf langjährige Kooperationsbeziehungen zurückblicken (vgl. DEUTSCHE BOTSCHAFT PEKING 2011). Auch im Bereich der beruflichen Bildung fand in den vergangenen Jahren zwischen den beiden Ländern ein fruchtbarer Austausch statt (vgl. z.B. ZIEM 2000, 225 ff.).

Für den hier zu betrachtenden Bereich der Lehrerfort- und Weiterbildung erscheinen vor allem diejenigen Maßnahmen bedeutsam, die in der in Kapitel 1 beschriebenen Form der berufsbezogenen wissenschaftlichen Weiterbildung im Zeitraum 2007-2009 mit etwa 300 LehrerInnen bzw. Multiplikatoren der beruflichen Mittelschulen sowie ca. 120 LehrerInnen/Multiplikatoren der höheren Berufsbildung an verschiedenen Standorten in Deutschland durchgeführt wurden. Ziel dieser in der Regel sechswöchigen Fortbildungen war es, die TeilnehmerInnen in die Lage zu versetzen, den sich ändernden Anforderungen der beruflichen Bildung in China qualifiziert begegnen zu können (vgl. FORSCHUNGSPORTAL SACHSEN-ANHALT 2009). Dabei wurde vor allem die Vermittlung handlungsorientierter Unterrichtsmethoden, die Entwicklung arbeitsprozessorientierter Curricula sowie die Erstellung exemplarischer Lehr-/Lernsituationen für die entsprechenden Fachbereiche in den Mittelpunkt gestellt. Die an der Weiterbildungsmaßnahme teilnehmenden Lehrkräfte sollten befähigt werden, für ihre spezifischen Fachrichtungen Unterrichtskonzepte erstellen zu können, welche den Leitlinien handlungsorientierten Unterrichts (vgl. BADER 1990, 18 ff.) folgten und den an den Einrichtungen der Lehrkräfte herrschenden spezifischen Rahmenbedingungen Rechnungen trugen. Dementsprechend sollten die in der Weiterbildung vermittelten Inhalte auf dem (deutschen) akademischen Diskurs zu handlungsorientiertem Unterricht und zur Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz aufsetzen und an die berufliche Realität der teilnehmenden Lehrkräfte anschlussfähig sein, mithin also auch – wie die Idee der berufsbezogenen wissenschaftlichen Weiterbildung nahelegt – die Berufsbildungspraxis der WeiterbildungsteilnehmerInnen zum Gegenstand wissenschaftlicher Fortbildungsaktivitäten machen. Gleichzeitig sollten diese Maßnahmen vor dem Hintergrund der bereits angedeuteten mangelnden berufspädagogischen Qualifikation vieler Lehrkräfte zur Akademisierung der beruflichen Bildung des Landes beitragen, indem die WeiterbildungsteilnehmerInnen als Multiplikatoren wirkten und somit das im Rahmen der akademischen Fortbildung erworbene Wissen in die berufspädagogische Praxis in China hineintragen.

Wenngleich in der Wahrnehmung der Dozentinnen und Dozenten sowie aus TeilnehmerInnensicht die erzielten Ergebnisse im Rahmen der Weiterbildungsmaßnahmen insgesamt als positiv bewertet wurden (vgl. exemplarisch für den Standort Magdeburg SCHNARR 2009, 61 ff.), fiel im Rahmen der Weiterbildungsaktivitäten auf, dass es an verschiedenen Stellen auf Seiten der chinesischen TeilnehmerInnen auch zu Aneignungsschwierigkeiten der Lehrinhalte kam (vgl. ECKERT 2010). Diese Erkenntnis und die damit verbundene Frage, über welches Berufs- bzw. Professionsverständnis chinesische Berufsbildungsfachkräfte, die in berufsbezogene wissenschaftliche Weiterbildungen einmünden, eigentlich verfügen und welche spezifischen Problemlagen sich aus der Binnenperspektive der Lehrkräfte in der täglichen Arbeit ergeben, waren Grundlage und Anlass für das im weiteren Verlauf in seinen Grundzügen zu skizzierende Forschungsvorhaben.

3 ‚Reflexionskatalysator Weiterbildung’ - Forschungsbefunde

3.1 Informationen zum Forschungsprojekt

3.1.1 Methodischer Ansatz, Forschungsfragen, aktueller Stand

Das diesem Beitrag zugrunde liegende Forschungsprojekt ist im Bereich der (Lehrer)Professions- und der internationalen Berufsbildungsforschung verortet und basiert auf theoretischen Überlegungen zur Lehrerprofessionalität, welche vor allem auf die Lehrer-Schüler-Beziehung im Sinne eines Professionellen-Klienten-Verhältnisses sowie die professionelle pädagogische Tätigkeit als grundlegend spannungsvoll und von unaufhebbaren Widersprüchen, Antinomien und Paradoxien gekennzeichnet rekurrieren (vgl. HELSPER 1996, 2004; OEVERMANN 1996, 2008; SCHÜTZE 1996; ausführlicher zur theoretischen Rahmung des Forschungsprojektes SCHNARR 2011, 6 ff.). Bezug nehmend auf den Umstand, dass Fragen der (subjektiven) Wahrnehmung der eigenen professionellen Praxis chinesischer Berufsbildungsfachkräfte trotz der aufgezeigten vielfältigen Bemühungen zur Professionalisierung des chinesischen Berufsbildungspersonals bisher unbeantwortet bleiben, lauten die forschungsleitenden Fragestellungen im Rahmen der Studie insgesamt:

Welche Antinomien/Paradoxien des Lehrerhandelns treten aus der Perspektive der Lehrkräfte in der Berufsbildung der V.R. China zutage? Welchen Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich für das eigene (professionelle) Handeln? Inwieweit wirken Modernisierungsprozesse auf das professionelle Handeln chinesischer BerufsschullehrerInnen? Von besonderem Erkenntnisinteresse ist, welche gemeinsamen Orientierungen hinsichtlich ihrer Profession chinesische BerufsschullehrerInnen auf der Ebene der ‚mittleren Berufsbildung‘ besitzen und teilen.

Für die Studie wurden 2009 sowohl Experteninterviews als auch Gruppendiskussionen mit chinesischen Berufsschullehrerinnen und -lehrern geführt. Zusätzlich stellten die befragten Lehrkräfte für das Forschungsvorhaben eigene Fotografien zur Verfügung, die Szenen aus ihrem beruflichen Alltag zeigen und ebenfalls als Datengrundlage genutzt werden können. Alle InformantInnen hielten sich zum Zeitpunkt der Erhebung für einen Zeitraum von insgesamt sechs Wochen in Deutschland auf und nahmen an den oben bereits beschriebenen Weiterbildungsmaßnahmen teil. Nachdem unterschiedlichen Gruppen von Lehrerinnen und Lehrern das Forschungsvorhaben vorgestellt wurde, erklärten insgesamt 16 Lehrkräfte ihre Bereitschaft zur Teilnahme. Aus diesem Grundsample wurden vier Diskussionsgruppen gebildet, drei Lehrkräfte wurden einzeln mit der Methode des Experteninterviews (vgl. MEUSER/ NAGEL 2005) befragt. Da in der Auswertung bisher aus forschungspraktischen Gründen lediglich mit den Gruppendiskussionen gearbeitet wurde, beziehen sich die weiteren Aussagen auf diese Erhebungsform.

Gemeinsam war allen Diskussionsgruppen, dass sie sich aus Lehrkräften zusammensetzten, die in gewerblich-technischen Bildungsgängen unterrichteten, eine homogene Altersstruktur aufwiesen und, dem Fokus der Studie entsprechend, im Bereich der ‚mittleren Berufsbildung‘ eingesetzt waren. Als Erzählimpuls bzw. Ausgangsfragestellung für die Gruppendiskussionen dienten die von den DiskussionsteilnehmerInnen zur Verfügung gestellten Fotografien. Zu Beginn der Gruppendiskussion wurden die TeilnehmerInnen aufgefordert, den Inhalt eines vorher ausgewählten Bildes zu beschreiben und auszuführen, was sie mit dem Dargestellten verbinden. Diese Art der Intervieweröffnung lehnt sich an ein Verfahren an, welches insbesondere von Douglas HARPER (vgl. HARPER 2008) entwickelt wurde und von ihm selbst als ‚fotogeleitete Hervorlockung‘ bezeichnet wird. Die Gruppendiskussionen im Rahmen der Studie wurden auf Chinesisch mit Dolmetscherin geführt. Die Dolmetscherin agierte somit als zweite Forscherin und war auch entsprechend in der Methode sowie im theoretischen Hintergrund und der Zielsetzung der Arbeit geschult. In Dolmetschertätigkeiten im Rahmen der Weiterbildungsmaßnahme war sie nicht eingebunden. Um eine Selbstläufigkeit der Diskussion gewährleisten zu können und den TeilnehmerInnen die Möglichkeit zu geben, den Diskurs untereinander zu entwickeln, erfolgte keine wörtliche bzw. simultane Übersetzung der Diskussionsbeiträge. Vielmehr wurde im Verlauf des Interviews an geeigneten Stellen immer wieder eine zusammenfassende Übersetzung des Gesagten gegeben, sodass der Diskussionsleiter die ‚Lenkung‘ der Gruppendiskussion durch Nachfragen bzw. die Einführung neuer Fragestellungen entsprechend der Anforderungen an die Durchführung von Gruppendiskussionen (vgl. hierzu v. a. BOHNSACK 2008) gewährleisten konnte. Die Diskussionen wurden digital aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Die Transkription erfolgte zunächst direkt auf Chinesisch. Im Anschluss wurde das chinesische Transkript in die deutsche Sprache übersetzt, gemeinsam mit der Übersetzerin überarbeitet und anschließend zur Auswertung verwendet.

Die Auswertung der so entstandenen Gruppendiskussionstranskripte erfolgt mittels der Dokumentarischen Methode. Ihre theoretische und methodologische Fundierung erfährt sie in der praxeologischen Wissenssoziologie (vgl. für eine ausführliche Einordnung z. B. BOHNSACK 1983, 2001, 2003; LOOS/ SCHÄFFER 2001; SCHÄFFER 1996). Im Sinne Karl MANNHEIMS (vgl. MANNHEIM et al. 2003) sind hier zwei Sinnebenen zu unterscheiden, die auch die Vorgehensweise bei der Datenauswertung strukturieren. „Als immanent sind Sinngehalte zu verstehen, die sich auf ihre Richtigkeit – unabhängig von ihrem Entstehungszusammenhang – überprüfen lassen.“ (PRZYBORSKI 2004, 22) Wenn Menschen beispielsweise von ihren Erfahrungen berichten, können diese Schilderungen auf ihren wörtlichen, expliziten Sinngehalt hin untersucht werden. Innerhalb des immanenten Sinns kann darüber hinaus noch zwischen dem intentionalen Ausdruckssinn (gemeint sind Absichten und Motive des Erzählenden) und dem Objektsinn (die allgemeine Bedeutung eines Textinhalts bzw. einer Handlung) differenziert werden (vgl. NOHL 2006, 8). Der Freilegung des immanenten Sinns entspricht der Arbeitsschritt der ‚formulierenden Interpretation‘ im Rahmen der Dokumentarischen Methode unter der Leitfrage: Was wird gesagt? Forschungspraktisch werden in diesem Arbeitsschritt zu betrachtende Diskursabschnitte anhand eines vorher erstellten thematischen Verlaufs der Diskussion und der die Untersuchung leitenden Fragestellungen ausgewählt und in den Worten der Forscherin bzw. des Forschers wiedergegeben bzw. niedergeschrieben. Dies dient der pragmatischen Brechung der Aussagen der InformantInnen und, im Sinne Alfred SCHÜTZ’, dem Fremdverstehen des vorliegenden Materials (vgl. SCHÜTZ 1974).

Beim Dokumentsinn als zweiter Sinnebene hingegen „wird die geschilderte Erfahrung als Dokument einer Orientierung rekonstruiert, die die geschilderte Erfahrung strukturiert. Der Dokumentsinn verweist auf die Herstellungsweise, auf den „modus operandi“ (BOHNSACK 2003, 255) der Schilderung.“ (NOHL 2006, 8) Es geht also beim Dokumentsinn darum, wie ein Text bzw. die darin berichtete Handlung aufgebaut/strukturiert und in welchen Rahmen sie eingebettet ist. Die Fragestellungen lauten an dieser Stelle: Was dokumentiert sich im Diskurs über die soziale Handlungspraxis der Akteure (bezogen auf die Studie: der Berufsschullehrkräfte aus der V.R. China) beziehungsweise forschungspraktischer: Wie wird etwas gesagt? Wie schließt die betrachtete Aussage an den bisherigen Diskurs an? Was bedeutet das für die über den Diskurs artikulierte und offenzulegende Orientierung? Die Rekonstruktion dieser Sinnebene erfolgt im Arbeitsschritt der ‚reflektierenden Interpretation‘. Sinnvoll erscheint in diesem Auswertungsschritt außerdem das Anlegen so genannter ‚Gegenhorizonte’ an die im Rahmen der Interpretation entwickelten Deutungen und Lesarten. BOHNSACK dazu: „Die Vorstellungen oder Entwürfe des Interpreten, die den Gegenhorizont bilden, können [...] entweder gedankenexperimentell sein, können auf hypothetischen Vorstellungen beruhen, die dann abhängig sind von der jeweiligen Erfahrungsbasis, dem jeweiligen Erfahrungshintergrund des Interpreten, in den Alltagserfahrungen und theoretische (soziologische) Erfahrungen gleichermaßen eingehen können. Die Gegenhorizonte können aber auch empirisch gewonnen sein“ (BOHNSACK 1989, 346 in: WIEZOREK 2005, 55, Hervorhebungen im Original). Die leitende Fragestellung lautet dann: Wie wurde der hier betrachtete Sachverhalte an einer anderen Stelle in der Diskussion oder in einem anderen Fall diskutiert und in welchem Zusammenhang stand er dort? Welche Alternativen zum vorliegenden Diskursverlauf wären denkbar?

Beide Arbeitsschritte, die formulierende sowie die reflektierende Interpretation, sollten im Rahmen von Interpretationsgruppen geleistet oder dort zumindest diskutiert, in jedem Fall aber kommunikativ validiert werden. Für das hier dargestellte Forschungsprojekt wurde und wird dies durch die regelmäßige aktive Mitarbeit in zwei Forschungswerkstätten an unterschiedlichen Hochschulstandorten realisiert.

Die Dokumentarische Methode wurde als Auswertungsmethode im Rahmen der Studie zunächst aus forschungspragmatischen Gründen gewählt, weil sie sich sowohl für die Auswertung von Gruppendiskussionen (vgl. BOHNSACK/ PRZYBORSKI/ SCHÄFFER 2006), als auch für die Auswertung weiterer Diskurse wie z.B. Einzelinterviews (vgl. NOHL 2006) und zur Bildinterpretation eignet. Alle im Rahmen des Forschungsprojektes erhobenen Daten können somit mit dieser Methode ausgewertet werden. Darüber hinaus zielt die hier zugrunde liegende Studie darauf ab, aus der Binnenperspektive chinesischer BerufsschullehrerInnen technischer Fachrichtungen deren Orientierungen auf ihr Lehrerhandeln zu rekonstruieren, unter professionstheoretischen Gesichtspunkten zu erklären und somit theoretische Vorstellungen zum professionellen Lehrerhandeln gesichert weiter zu differenzieren. Für diese Zielsetzung ist die Dokumentarische Methode mit ihrem Fokus auf der Rekonstruktion gemeinsamer, „konjunktiver Erfahrungsräume“ (MANNHEIM et al. 2003, 216) und der handlungsleitenden Orientierungsrahmen der Akteure sehr gut geeignet. Da diese sich, wie oben angedeutet, im Gruppendiskurs und der Bezugnahme der Akteure aufeinander rekonstruieren lassen, erscheint gerade diese Auswertungsmethode auch bei der Arbeit im fremdsprachlichen Kontext ergiebig (zur qualitativen Interviewforschung im Kontext fremder Sprachen siehe auch KRUSE/ SCHMIEDER o.J.).

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen mit dem Fallportrait der ersten Diskussionsgruppe ‚Marketing’ (benannt nach der Fachrichtung einer der DiskussionsteilnehmerInnen) die ersten Auswertungsergebnisse vor. Diese bilden die Grundlagen der folgenden Ausführungen. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass auf der Ebene des Einzelfalls (der einzelnen Gruppe) zunächst gemäß des dargestellten Erkenntnisinteresses die gemeinsam geteilten Orientierungen der DiskutantInnen auf ihre Profession im Vordergrund standen. Im weiteren Verlauf der Auswertungsarbeiten steht die Verdichtung der Ergebnisse und die In-Bezug-Setzung der Einzelfallanalysen zueinander im Mittelpunkt, um (fallübergreifend) auch Aussagen zu den weiteren eingangs erwähnten Fragestellungen generieren zu können.

3.1.2 Gruppe ‚Marketing’: Überblick über die Ergebnisse des ersten Falls

Es konnten für die Gruppe insgesamt die folgenden zentralen Orientierungen rekonstruiert werden:

· Differenzierung Forscher-Beforschte / WeiterbildungsteilnehmerInnen-Dozent - „Möchten wir ihm das erklären?“;

· Reflexionskatalysator Weiterbildung - „Eigentlich benutzen wir in unserem normalen Unterricht auch viele solcher Methoden“;

· Der Tradition (noch) verpflichtet – „eigentlich sind wir noch der Meinung“;

· Stellvertretende Deutung und die Funktion als Signifikante Andere - „Es ist unser Anliegen, dass unsere eigenen Schüler ein gutes Leben führen“;

· Erfolgreiche Unterrichtsarbeit: methodenadäquate gruppenbezogene Fallarbeit und Praxiswissen – „unsere Unterrichtsobjekte“;

· Fehlstellen- und Defizitorientierungen - „Es mangelt uns daran“.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Diskussion der Gruppe ‚Marketing’ durch die von den Diskutanten in Deutschland gemachte Weiterbildungserfahrung gerahmt ist. Vor dem Hintergrund dieser Rahmung erfolgt seitens der Diskussionsgruppe eine Differenzierung zwischen einem ‚Innen-Kontext’, der sich sowohl auf die Gruppe selbst, als auch auf den gemeinsamen sozialisatorischen und professionellen – chinesischen – Hintergrund bezieht und einen ‚Außen-Kontext’, zu dem neben dem Forscher auch die in Deutschland vorgefundenen Gegebenheiten gehören. Verstärkt wird diese Differenzierung durch die deutliche Wahrnehmung und Artikulation bzw. Reflexion der Erhebungssituation, in welcher der ‚deutsche Forscher’ von ‚den chinesischen LehrerInnen’ Informationen erbittet.

Diese Konstellation dient als Hintergrundfolie, auf der von der Gruppe unterschiedliche Themen elaboriert und diskutiert werden. Dabei werden auf Seiten der Diskutanten Reflexionsprozesse initiiert, deren Auslöser sich wiederum auf den Rahmen der wissenschaftlichen Weiterbildung in Deutschland zurückbeziehen lassen. Diese Reflexionsprozesse sind einerseits – aus professionstheoretischer Perspektive (vgl. z. B. BAUER 2002, 2009) – Ausdruck einer beginnenden bzw. fortschreitenden Professionalisierung der chinesischen Lehrkräfte und andererseits Beleg für beginnende strukturale Bildungsprozesse (vgl. MAROTZKI 1990) in der Gruppe. Letztere werden notwendig, weil traditionelle Formen der Aneignung von Wissen und Handlungsweisen, insbesondere das von der Gruppe artikulierte Lernen nach einem Meister-Novizen-Modell, in der Wahrnehmung der Diskutanten erodieren und es erforderlich ist, für das ‚Hereinholen’ neuen (Methoden)Wissens für die Unterrichtsarbeit, wie es den DiskussionsteilnehmerInnen in Deutschland vermittelt wurde, neue, eigene Strategien und Lösungsmuster, mithin also Modi des Umgangs mit Kontingenz und Unsicherheit, zu entwickeln. Reflexions-, Professionalisierungs- und Bildungsprozesse können notwendigerweise nur als ‚beginnend’ bezeichnet werden, weil der Gruppe zum Zeitpunkt der Diskussion das Begriffsinventar und die Systematik fehlte, die im Rahmen der Diskussion selbstläufig aufgedeckten ‚Fehlstellen’ konkret zu benennen.

Die insbesondere anhand der Reflexion über die eigene professionelle Praxis rekonstruierbaren professionellen Orientierungen der Gruppe ‚Marketing’ werden dominiert durch die Ausrichtung des professionellen Handelns an Lehrsätzen aus dem chinesischen Altertum, aus denen sich für die Diskutanten sowohl Ausbildungs- als auch Bildungsaufgaben ableiten; eine strukturale Bildungsidee (im Sinne der Vermittlung der Fähigkeit zum Umgang mit Kontingenz und Orientierungslosigkeit) ist in diesen historischen Lehrsätzen bereits angelegt. Die Ausrichtung und das Festhalten an tradierten Vorstellungen über Aufgaben eines Lehrers erfüllen darüber hinaus noch die Funktion, mit den konstitutiven Antinomien des Lehrerhandelns umzugehen, die durch gesellschaftliche Entwicklungen und Einflüsse noch verstärkt werden (vgl. auch HELSPER 2004, 81 ff).

Die historisch begründeten und kulturell sowie gesellschaftlich verankerten und legitimierten Aufgabenzuschreibungen für Lehrkräfte bestimmen dann auch das Lehrer-Schüler-Verhältnis. Lehrer werden seitens der Schüler als signifikante Andere (vgl. MEAD 1978) angesprochen und übernehmen auch aus dieser Positionierung heraus Aufgaben der stellvertretenden Deutung (vgl. OEVERMANN 1996) und der (berufs)biographischen Beratung, indem sie die Schüler beispielsweise in Fragen des Übergangs von Schule in Beschäftigung oder bei Problemen in der Erwerbsarbeit unterstützen. Dabei ist ein gesellschaftlich legitimiertes, historisch begründetes und kulturell verankertes Professionellen-Klienten-Verhältnis mit den typischen Merkmalen wie Machtasymmetrie, Herstellen eines Arbeitsbündnisses etc. – ebenso wie eine strukturale Bildungsidee – der Schüler-Lehrer-Beziehung inhärent.

(Alltags)Probleme bei der Arbeit auf handlungspraktischer Ebene werden von diesem professionellen Selbstverständnis aus diskutiert. Hierunter fallen insbesondere das im vorhergehenden Kapitel kurz angesprochene schlechte Ansehen der beruflichen Bildung in der chinesischen Gesellschaft, die mangelnden Unterschiede zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung sowie das gesellschaftliche Bild eines ‚guten Schülers’, was vor allem durch die allgemeinbildenden Schulen geprägt wird. Es bleibt allerdings festzuhalten, dass die herausgearbeiteten Orientierungen auf den Beruf und das im Schüler-Lehrer-Verhältnis angelegte Klienten-Professionellen-Verhältnis dadurch (noch) nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern im Gegenteil derzeit allenfalls verstärkt werden. Die folgende Abbildung fasst die Auswertungsergebnisse auf einer analytisch-abstrakten Ebene zusammen:

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Abb. 2: Analyseergebnisse Gruppe ‚Marketing’ (eigene Darstellung)

Entsprechend der Fragestellung des vorliegenden Beitrags soll im weiteren Verlauf der Befund der Reflexion über die eigene professionelle Praxis durch die Erfahrungen in der berufsbezogenen wissenschaftlichen Weiterbildung in Deutschland unter bildungs- und professionstheoretischer Perspektive eingehender betrachtet werden.

3.2 „Eigentlich benutzen wir in unserem normalen Unterricht auch viele solcher Methoden“ – bildungs- und professionstheoretische Anschlüsse

Wie bereits im vorangegangenen Abschnitt angedeutet wurde, dient die Weiterbildungserfahrung in Deutschland als ‚Katalysator’ für das Nachdenken bzw. die Reflexion der Gruppe über die eigene professionelle Praxis - die Diskutanten entwickeln Orientierungen auf den eigenen Berufsstand in Abgleich zur – von der Gruppe angenommenen und zum Teil während des Aufenthaltes erlebten/beobachteten – deutschen Situation: Die in Deutschland erlernten Inhalte werden mit den bisherigen Tätigkeiten im Heimatland in Beziehung gesetzt und letztere vor diesem Hintergrund in der Gruppe selbstläufig thematisiert und problematisiert. Somit erhält die Fortbildungsmaßnahme die Funktion einer ‚Reflexionsfolie’ für die chinesischen Lehrkräfte, was die gesamte Gruppendiskussion durchzieht und sich in verschiedenen Diskussionsthemen und inhaltlichen Diskursen immer wieder zeigt.

Die vermittelten Inhalte sind den an der Weiterbildung teilnehmenden Lehrkräften – einzeln betrachtet – bereits bekannt und werden dem Bekunden der Gruppe nach auch im Unterricht eingesetzt. Allerdings gelingt es den GruppendiskussionsteilnehmerInnen erst durch die Weiterbildung, die verschiedenen Konzepte miteinander in Beziehung zu setzen und eine Systematik zu erkennen, die (potentiell) auch eine neue Sicht auf die eigene Unterrichtspraxis und den eigenen Methodeneinsatz ermöglicht. „Solche Lernprozesse, die sich auf die Veränderung von Ordnungsschemata und Erfahrungsmustern beziehen, nennen wir Bildungsprozesse“ (JÖRISSEN/ MAROTZKI 2009, 23). Darüber hinaus erfolgt über die Fortbildung in Deutschland (und dem ‚In-Kontakt-treten’ mit bestimmten berufspädagogischen Unterrichtskonzepten und Ordnungsmustern) neben der besagten Reflexion des eigenen beruflichen Handelns auch eine Einordnung von Problemen bei der Arbeit in institutionelle und gesellschaftliche Zusammenhänge, was einen Blick auf die Fortbildungsmaßnahme als Auslöser für Erkenntnis- und Reflexionsprozesse im Zusammenhang mit der persönlichen und der gesellschaftlichen Situation bestärkt. In einem Diskursabschnitt stehen beispielsweise die chinesischen BerufsschülerInnen im Mittelpunkt. Die Gruppe macht deutlich, dass die Schüler in China in eine eher passive Lernkultur einsozialisiert werden, die aber aktivierenden und handlungsorientierten Methoden, wie sie in den beruflichen Schulen eingesetzt werden (sollten) und wie sie den Lehrkräften in der Fortbildung in Deutschland vermittelt werden, entgegenstehen. Dies zu ändern, sei möglicherweise „ein systematisches Projekt“ (Transkript Marketing, Zeile 523).

Weiterhin festzuhalten ist in diesem Zusammenhang das Phänomen, dass die Gruppe zwar einen reflexiven Diskurs über die eigene professionelle Praxis vor dem Hintergrund der in Deutschland gemachten Erfahrungen selbstläufig entwickelt, ihr aber das Begriffsinventar fehlt, identifizierte Fehlstellen und – aus theoretisch-abstrahierender Sicht – professionalisierungsbedürftige Felder konkret zu benennen. So haben die DiskussionsteilnehmerInnen beispielsweise „in Deutschland vieles gefühlt“ (Transkript ‚Marketing’, Zeile 349) – also Dinge auf einer vorsprachlichen Ebene wahrgenommen, die sie nicht in Worte zu fassen vermögen. Die Begründung dafür liefern sie sogleich selbst: in China ist die „Unterrichtstheorie“ (Transkript ‚Marketing’, Zeile 350), also das systematisierende, theoriegeleitete Nachdenken über Unterricht, noch nicht etabliert.

Wie in Arbeiten zu Fragen der pädagogischen Professionalität von (beruflichen) Lehrkräften an verschiedenen Stellen ausgeführt wird, sind das Nachdenken über das eigene Tun und daraus abgeleitete Überlegungen zu Veränderungen der eigenen Praxis ein konstitutives Professionalitätsmerkmal (vgl. exemplarisch BACKES-HAASE 2001; COMBE/ KOLBE 2004). In Diskussionen zur LehrerInnenbildung stellt die Entwicklung von Reflexionsfähigkeit eine wichtige Forderung hinsichtlich der Professionalisierung von Lehrkräften bereits in der ersten und zweiten Phase der LehrerInnenbildung dar (vgl. exemplarisch BECK 2006, auch UNGER 2007). Die hier an mehreren Beispielen illustrierte Reflexion der eigenen Praxis durch die Diskussionsgruppe deutet demnach auf einen beginnenden Professionalisierungsprozess der an der Diskussion teilnehmenden chinesischen Lehrkräfte hin, der aber notwendigerweise erst am Anfang stehen kann, weil an verschiedenen Stellen noch keine Systematiken und Begrifflichkeiten zur Verfügung stehen, die erkannten Veränderungsbedarfe, Problemlagen und Ursache-Wirkung-Zusammenhänge zu verbalisieren.

Aus diesem Umstand wird auch deutlich, dass die der Gruppe in Deutschland präsentierten Inhalte nicht ohne weiteres in die eigenen beruflichen/professionellen Orientierungen eingepasst werden können (siehe Kapitel 2.2). Das Verständnis der vermittelten Inhalte ist aus Sicht der Gruppe zwar auf einer kognitiven, nicht aber auf einer handlungspraktisch verfügbaren Ebene vorhanden. Damit korrespondiert auch eine deutliche Irritation des eigenen Lern- und (Aus)Bildungsverständnisses, welches durch eine grundlegende (asymetrische) ‚Meister-Novizen-Vorstellung’ der Gruppe gekennzeichnet und auch mit einer entsprechenden Auffassung von ‚Lernen’ verbunden ist, nämlich dem Beobachten und anschließenden Nachahmen eines Meisters. In diesem Zusammenhang identifiziert die Gruppe in dieser Art der Vermittlung von Wissen für die Unterrichtsarbeit sowie der Ausbildung für die Profession eine weitere nicht benennbare bzw. genauer ausdifferenzierbare Fehlstelle: die ‚traditionelle’ (i. S. v. althergebrachte) Form der Weitergabe von Wissen ist nicht hinreichend, um Lehrkräfte auf die selbständige Unterrichtsarbeit ausreichend vorzubereiten, was aber gleichzeitig als notwendig erachtet wird. Umschrieben wird dieser Sachverhalt bzw. Prozess, der notwendig ist, um erfolgreich als Lehrer zu arbeiten, mit dem Terminus der ‚übergreifenden Kompetenz’. Dieser wird im Verlauf der Diskussion häufiger verwendet, jedoch von der Gruppe nicht inhaltlich gefüllt und bleibt somit diffus. Zur Erlangung übergreifender Kompetenz sind der Gruppe zufolge vor allem viele Trainings notwendig. Dies ist Beleg für ein Lernverständnis, wonach man durch häufiges Üben zu Erkenntnis gelangt und welches sich in der Ausrichtung an einem Meister oder Vorbild ausdrückt. Seinen Ursprung hat diese Auffassung von ‚Lernen’ wiederum in konfuzianischen, mithin also als ‚klassisch’ zu bezeichnenden Lehren (vgl. exemplarisch LAUSBERG 2009). Gleichzeitig wird von der Gruppe in diesem Kontext auch thematisiert, dass eine ganzheitliche Ausbildung, also die Einbeziehung der Lehrkraft als ganze Person, für den Ausbildungserfolg von entscheidender Bedeutung ist. Dieser Bezug auf die ganze Lehrerperson wird auch im Zusammenhang mit der Frage nach Erfolgsfaktoren für den Unterricht deutlich, die eher subjektiv und biographisch der Lehrkraft zuzuschreiben sind und weniger mit organisatorisch-administrativen Aspekten, wie beispielsweise curricularen Vorgaben, Lernzielen usw. in Verbindung gebracht werden. In theoretischer Perspektive finden sich Hinweise auf den Zusammenhang zwischen (Berufs-)Biographie und pädagogischem ‚Habitus’ beispielsweise in den professionstheoretischen Arbeiten von TERHART (vgl. TERHART 1995; 2000).

Das irritierte eigene (Aus)Bildungsverständnis drückt sich vor allem darin aus, dass die Diskussionsgruppe in der mangelnden Bereitschaft älterer Lehrkräfte, Lehrerarbeit zu verändern und neue Entwicklungen in die eigenen Praxis mit aufzunehmen, einen Inhibitor für die Verbreitung ‚moderner’/‚westlicher’ Ansätze der Unterrichtsgestaltung sieht. Die ‚Vorbildfunktion’ der älteren bzw. erfahreneren Lehrkräfte geht damit aber auch für die ‚jüngere Generation’ verloren, da sie weder neue Methoden einsetzen (wollen) und als Konsequenz daraus nicht vermitteln können, noch, weniger Fortbildungen (also formal weniger Chancen, sich weiterzubilden) erhalten. Damit ist auch die ‚Meister-Novizen’-Vorstellung irritiert, was zwangsläufig auch für die jüngeren Lehrkräfte, deren Vertreter die Diskussionsgruppe darstellt, zu Schwierigkeiten führen muss. Dies wird allerdings von der Gruppe nicht explizit bzw. selbstläufig thematisiert.

Die im Rahmen der Auswertung identifizierten Veränderungs- und Reflexionsprozesse bei der Diskussionsgruppe lassen, wie bereits angedeutet, neben Professionalisierungs- auch auf Bildungsprozesse im Sinne der Veränderung von Selbst- und Weltreferenzen, mithin also auf Elemente strukturaler Bildung schließen: So wohnt bezogen auf das eigene Lern- und (Aus)Bildungsverständnis der Gruppe der Vermittlung, Rezeption und entsprechenden (praktischen) Anwendung ‚neuen’ bzw. ‚westlichen’ Methodenwissens für die Diskutanten ein kontingentes Moment inne, da sie nicht auf bewährte Formen der Aneignung dieses Wissens für die LehrerInnenprofession nach dem Meister-Novizen-Modell zurückgreifen können. Dieser Umstand führt zu Schwierigkeiten, sich in einem hoch komplexen und dynamischen professionellen Umfeld zu orientieren, wie JÖRISSEN und MAROTZKI in Anlehung an GIDDENS (vgl. GIDDENS 2006) aus bildungstheoretischer Perspektive konstatieren: „Verlieren soziale Tradierungen [...] ihre Verbindlichkeit, dann tritt das auf, was wir Kontingenz und Leben mit höheren Unbestimmtheiten nennen. Kontingenz heißt in diesem Zusammenhang, dass die Zufälle, die einem Individuum im Leben [oder bei der Arbeit, A.S.] begegnen, nicht mehr durch umgreifende Orientierungsmuster mit Sinn versehen werden können.“ (JÖRISSEN/ MAROTZKI 2009, 16).

Die Aneignung von Wissen nach der Meister-Novizen-Vorstellung kann als ein solches Orientierungsmuster für die Diskutanten gesehen werden. ‚Bildung’ in modernen Gesellschaften bedeutet dann eben nicht mehr (nur) die Verinnerlichung kanonisierter Wissensbestände, deren ‚Zuschnitt’ möglicherweise von einem Meister (oder einer anderen, möglicherweise auch administrativen, Instanz) vorgegeben werden. Vielmehr geht es darum, „dass der Verlust eindeutiger Werte- und Normsysteme [wie z.B. der Modus des Lernens von einem Meister, A.S.] eine Pluralisierung von Selbst- und Weltsichten hervorbringt, welche Unbestimmtheitsräume erzeugt, die der einzelne nur durch reflexive und tentative Erfahrungsmodi produktiv verarbeiten kann.“ (ebd., 21) Der Argumentation von JÖRISSEN/ MAROTZKI (2009) folgend, kommt es nun darauf an, neue Regeln und Vorgehensweisen für neue bzw. vorher nicht bekannte Phänomene zu suchen, wie sie sich den DiskussionsteilnehmerInnen durch die Weiterbildungserfahrung in Deutschland offenbaren.

Der Umstand, dass die Gruppe Fehlstellen und Problematiken bei der Arbeit – auch und besonders im Zusammenhang mit der Frage, wie ‚modernes’ Methodenwissen in den professionellen Alltag zu integrieren ist - identifiziert, ist damit in bildungstheoretischer Perspektive ein Beleg für beginnende Bildungsprozesse. Die Tatsache, dass die Diskutanten zwar in der Lage sind, Fehlstellen zu beschreiben, sie aber nicht explizit benennen können, verweist allerdings darauf, dass durch die Weiterbildung in Deutschland ‚Bildung’ im bildungstheoretischen Sinn angestoßen wurde, die entsprechenden Bildungsprozesse aber möglicherweise noch nicht voll zur Entfaltung gekommen sind.

In Bezug auf die in Abschnitt 3.1.1 formulierten, das Forschungsprojekt insgesamt betreffenden Fragestellungen ist festzuhalten, dass in der hier dargestellten Gruppe ‚Marketing’ Aspekte der Gestaltungsmöglichkeiten des eigenen Handelns sowie der Antinomien und Paradoxien des Lehrerhandelns bereits angedeutet sind; die aufgezeigten professions- und bildungstheoretischen Bezüge erweisen sich aber für diesen Einzelfall als besonders charakteristisch. In der weiteren Auswertungsarbeit und anhand der Ergebnisse der nächsten Fallanalysen gilt es nun, die bisherigen Befunde in Hinblick auf die projektübergreifende Fragestellung weiter zu schärfen, zu verdichten und fallübergreifend auszuformulieren.

4 Weiterbildung, Reflexion und Professionalität – Zusammenfassung und Ausblick

Ziel des Beitrages war es, aufzuzeigen, inwiefern berufsbezogene wissenschaftliche Weiterbildungsmaßnahmen für Berufsschullehrkräfte aus der V.R. China als ein Modus der Akademisierung beruflicher Bildung zu deren Professionalisierung beitragen, indem unter anderem praktische Problemlagen der berufspädagogischen Arbeit sowohl aufgegriffen, als auch theoretisch untersetzt werden. Im Mittelpunkt der Darstellung standen dafür erste Ergebnisse eines Forschungsprojektes zu professionellen Orientierungen chinesischer Lehrkräfte, welches vor dem Hintergrund der deutsch-chinesischen Berufsbildungszusammenarbeit entstanden ist und im Bereich der Professions- und internationalen Berufsbildungsforschung verortet werden kann. Neben einer Darstellung der in der beruflichen Bildung der V.R. China vorherrschenden Rahmenbedingungen und besonderen Problemlagen (u. a. hohe Veränderungsdynamik, Expansion, aber auch gesellschaftliche Stigmatisierung) wurden die Weiterbildungsaktivitäten im akademischen Kontext in die deutsch-chinesische Berufsbildungszusammenarbeit eingeordnet.

Insgesamt kann konstatiert werden, dass, wie im Beitrag dargestellt, die Fortbildung chinesischer Berufsbildungsfachkräfte es ermöglicht, die ‚Hereinnahme’ von Herausforderungen der beruflichen Bildung in die hochschulische Bildung – hier die berufsbezogene wissenschaftliche Weiterbildung – in zweierlei Hinsicht zu realisieren: zunächst werden die Teilnehmenden im Rahmen der Weiterbildung in die Lage versetzt, das vermittelte methodisch-didaktische Wissen anhand von Beispielen aus dem eigenen fachlichen und pädagogischen Umfeld auf ihren beruflichen Kontext zu übertragen und somit auch dort vorherrschende, besondere Aufgaben- und Problemstellungen aufzugreifen. Darüber hinaus stellt das in der Fortbildungsmaßnahme vermittelte Wissen eine theoretische Fundierung und ein neues Ordnungsmuster für bereits praktizierte (berufs)pädagogische Arbeit dar. Somit erfahren die Teilnehmenden gleichermaßen Bildung und Professionalisierung - das gemeinsame/einende Moment ist das der Reflexion, welche aus einer theoretischen Perspektive sowohl für Professionalisierungs-, als auch für (strukturale) Bildungsprozesse von entscheidender Bedeutung ist.

Die Befunde der ersten Fallanalyse zeigen darüber hinaus deutlich, dass das Durchlaufen der Weiterbildungsmaßnahme durch die Lehrkräfte gewissermaßen ‚naturwüchsig’ zu Reflexionsprozessen hinsichtlich der eigenen Berufspraxis führt, die möglicherweise durch die Gruppendiskussion noch begünstigt wurden. Sofern sich diese Reflexionsprozesse auch handlungspraktisch niederschlagen, erhält auf diesem Weg auch aktualisiertes und reflektiertes wissenschaftliches Wissen Eingang in die Berufsbildungspraxis der Lehrkräfte, was die Akademisierung der beruflichen Bildung in der V.R. China insgesamt befördern dürfte. In diesem Sinne sind die bisherigen Forschungsergebnisse in der hier zugrunde gelegten Studie ein erstes Indiz dafür, dass berufsbezogene wissenschaftliche Fortbildungsmaßnahmen im internationalen Kontext sowohl eine wichtige Bildungs-, als auch Professionalisierungsinstanz darstellen können, die in der Orientierung der Teilnehmenden über die reine Vermittlung wissenschaftlich fundierter fachlicher Kenntnisse, Fähigkeiten und Wissensbestände deutlich hinausgeht und diese in ihrem Stellenwert möglicherweise sogar übertrifft. Die ersten Erkenntnisse aus der weiterführenden Auswertungsarbeit, die sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf die zweite Gruppendiskussion konzentriert, stützen diese Annahmen.

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Zitieren dieses Beitrages

SCHNARR, A. (2012): ‚Reflexionskatalysator Weiterbildung‘: Professionalisierung chinesischer Berufsschullehrkräfte im Medium berufsbezogener wissenschaftlicher Fortbildungen an deutschen Hochschulen. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 23, 1-20. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe23/schnarr_bwpat23.pdf  (12-12-2012).


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