bwp@ 25 - Dezember 2013

Ordnung und Steuerung der beruflichen Bildung

Hrsg.: Karin Büchter, Sandra Bohlinger & Tade Tramm

Alles „Krumme Hunde“? Zur Strukturierung von Ausbildungsberufen im dualen System

Beitrag von Henrik Schwarz & Markus Bretschneider

Für die Strukturierung von Ausbildungsberufen, d. h. der Differenzierung etwa in Form von Fachrichtungen, Schwerpunkten, Wahlqualifikationseinheiten oder eine Kombination aus verschiedenen Modellen, gibt es keine expliziten Kriterien. Das Berufsbildungsgesetz (BBiG) legt nur Mindeststandards für die Gestaltung von Ausbildungsordnungen fest, u. a. Bezeichnung und Dauer, Prüfungsanforderungen, sachliche und zeitliche Gliederung (§ 5 BBiG). Die weitere Interpretation und Konkretisierung unterliegt dem Ermessen der beteiligten Akteure, die im Gesetz ausdrücklich erwünscht ist. Diese Gestaltungsoffenheit und Beteiligungsstruktur korrespondieren mit der Komplexität des Gegenstands, da bei der Konstruktion von Ausbildungsberufen an der Nahtstelle zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem bildungs-, wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische sowie berufspädagogische Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Die komplexe Anforderungsstruktur sowie die Gestaltungsoffenheit bei der Entwicklung der Ausbildungsberufe korrespondieren allerdings auch mit einer Heterogenität der Strukturmodelle. Bei genauerem Hinsehen lässt sich feststellen, dass die einzelnen Struk-turmodelle hinsichtlich verschiedener Kriterien wie zeitlicher Umfang, Beginn und Ende innerhalb der Ausbildungszeit, Verankerung in der Ausbildungsordnung oder Abbildung in der Prüfung stark variieren. Das BIBB Forschungsprojekt zur „Strukturierung anerkannter Ausbildungsberufe im dualen System“ (Laufzeit: I/2012 – III/2014) verfolgt das Ziel, auf Basis der Analyse der Begründungen von Strukturmodellen und ihrer Tauglichkeit in der Praxis eine systematisierende (Neu-)Betrachtung der Strukturierungsformen von Ausbildungsberufen vorzunehmen.

The structuring of training occupations in the dual system

English Abstract

There are no explicit criteria for the structuring of training occupations, that is to say the differentiation in the form of, for example, subject directions, areas of emphasis, elective qualification units or a combination of various models. The vocational education and training law (BBiG) only specifies minimum standards for the design of training regulations, amongst others the title and duration, examination requirements, objective and time structure (§ 5 BBiG). Further interpretation and concretisation are subject to the discretion of the participating actors, and is explicitly welcomed by the law. This openness and the participation structure correspond with the complexity of the object, since, in the construction of training occupations at the intersection between the education and training system and the employment system, it is necessary to take into consideration educational, economic and labour market perspectives, as well as the perspective of vocational education and training. The complex structure of demands, as well as the organisational openness in the developing of training occupations also, however, corresponds with the heterogeneity of the structural models. On closer inspection, it can be established that the individual structural models regarding various criteria such as amount of time, beginning and end within the training duration, embedding in the training regulations or the depiction in the examination vary significantly. The Federal Institute for Vocational Education and Training (BIBB) research project on “The structuring of recognised training occupations in the dual system” (duration: I/2012 – III/2014) aims to undertake a systematic (new) consideration of the forms of structuring training occupations, using an analysis of the justifications of structural models and their suitability in practice.

1 Keine expliziten Kriterien für die Strukturierung von Ausbildungsberufen

Die „Ordnung“ von Ausbildungsberufen – die Modernisierung bestehender oder die Entwicklung neuer Ausbildungsberufe - unterliegt einem zwischen allen Akteuren abgestimmten und am Konsens orientierten Erarbeitungs- und Abstimmungsprozess, an dem unter Federführung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BiBB) der Bund, die Länder sowie Vertreter von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen beteiligt sind. Die seit den 80er Jahren am Leitbild von Handlungsorientierung und beruflicher Handlungskompetenz ausgerichteten Ausbildungsrahmenpläne des Bundes werden auf der Länderseite ergänzt durch die am Lernfeldansatz orientierten schulischen Rahmenlehrpläne (Zum Thema Ordnungsverfahren vgl. HA 2008 / HA 1985).

Für die Gestaltung von Ausbildungsordnungen formuliert das BBiG Mindeststandards; § 5 BBiG regelt u. a. Bezeichnung und Dauer einer Berufsausbildung, die Prüfungsanforderungen, sachliche und zeitliche Gliederung von Ausbildungsinhalten. Das Gesetz gibt hier nur den Rahmen vor und überlässt die weitere Interpretation und Konkretisierung dem Ermessen der beteiligten Akteure, deren Mitwirkung im Gesetz ausdrücklich gewünscht und festgeschrieben ist. Daneben gibt es noch aus dem Prozess der Neuordnung von Ausbildungsberufen abgeleitete Verfahrensregeln, wie beispielsweise das zwischen Bund und Ländern abgestimmte Gemeinsame Ergebnisprotokoll von 1972 (vgl. KMK 1972) oder die Empfehlungen des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung (vgl. z. B. HA 1979; HA 2008; HA 2013). Darüber hinaus gibt es aber weder für die Differenzierung zwischen Ausbildungsberufen noch für die Differenzierung innerhalb von Ausbildungsberufen explizite Kriterien. Auch die vom Bundesausschuss für Berufsbildung 1974 als Empfehlung vorgelegten und bis heute geltenden „Kriterien und Verfahren für die Anerkennung und Aufhebung von Ausbildungsberufen“ bleiben vage und lassen sich nur schwer operationalisieren (vgl. BUNDESAUSSCHUSS FÜR BERUFSBILDUNG 1974).

Diese „Nicht-Ordnung“ ist insofern folgerichtig, als Ausbildungsberufe komplexe Konstrukte darstellen, die an der Nahtstelle zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem bildungspolitische, wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische sowie berufspädagogische Gesichtspunkte vereinen. Aufgrund dieser mehrdimensionalen Konstruktion lassen sich Entscheidungen über Abgrenzung, Profil und Struktur von Ausbildungsberufen nicht auf monokausale Zusammenhänge reduzieren. Sie sind das Ergebnis von Aushandlungsprozessen zwischen den beteiligten Akteuren und ihren je unterschiedlichen Interessen. Diese Unbestimmtheit korrespondiert mit dem Wunsch der beteiligten Akteure, diesen (notwendig offenen) Aushandlungs- und Spielraum zur Durchsetzung gruppenspezifischer Interessen nicht einschränken zu lassen.

Dieser lediglich von Mindeststandards eingerahmte offene Verhandlungs- und Gestaltungsspielraum, in dem Berufsbildungsakteure unterschiedlicher staatlicher und gesellschaftlicher Interessensgruppen in einem korporatistischen Selbststeuerungsprozess Ausbildungsordnungen entwickeln, führt einerseits zu „praxisgerechten“ Lösungen, die im Einzelfall flexibel auf die zum Teil komplexen Anforderungen der Wirtschaft und anderer Funktionsbereiche der Gesellschaft reagieren und von großer Akzeptanz getragen werden. Andererseits, wie am Beispiel der sich quasi urwüchsig herausbildenden Strukturmodelle zur inneren Differenzierung von Ausbildungsberufen zu sehen ist, changieren diese Lösungen im Zeitverlauf aber auch zwischen Ordnung und Nicht-Ordnung, indem neu gesetzte Standards sich durch immer neue Ausnahmen wieder auflösen. Sind das also alles „Krumme Hunde!“? wie eine Interviewperson feststellt, danach befragt, welche Kriterien bei der Strukturierung von Ausbildungsberufen eine Rolle spielen.

2 Entwicklung der Ausbildungsberufe

Während es bis zum Inkrafttreten des ersten Berufsbildungsgesetzes 1969 nur sogenannte Monoberufe gab, deren Ausbildungsinhalte für alle Auszubildenden verbindlich waren, setzte das BBiG mit seiner Forderung nach breiter beruflicher Grundbildung und einer sich anschließenden Fachbildung Anfang der 70er Jahre einen ersten Neuordnungsschub in Gang. In dessen Verlauf wurde eine Vielzahl inhaltlich verwandter, jedoch sehr spezialisierter, auf wenige Tätigkeiten oder Verrichtungen fokussierender Altberufe zu neuen Berufen zusammengefasst. Die Spezialitäten dieser zuvor getrennten Berufe fanden sich nun als Spezialisierung in Form von wählbaren Fachrichtungen oder Schwerpunkten in den neuen Berufen wieder. Nach Inkrafttreten des BBiG sank die Zahl der Ausbildungsberufe durch Zusammenlegung und Streichung nicht mehr nachgefragter Alt- und „Anlernberufe“ bis Mitte der 70er Jahre um 150 Berufe auf etwa 450 (BMBW 1990, 90).

Erste Berufe mit Fachrichtungen waren die/der 1971 geordnete Ausbildungsberuf Sozialversicherungsfachangestellte/r mit vier nach unterschiedlichen Versicherungssparten unterteilten Fachrichtungen sowie Gärtner/-in von 1972. Die sieben Fachrichtungen des Ausbildungsberufes Gärtner/-in unterschieden sowohl nach Betrieben, die besondere Pflanzenarten anbauten (Zierpflanzen, Gemüse, Obst) sowie nach Betrieben mit einem speziellen Leistungsangebot im Garten- und Landschaftsbau oder der Friedhofsgärtnerei. Bei beiden genannten Berufen setzte die Ausbildung in den Fachrichtungen bereits im ersten Ausbildungsjahr ein. Beim 1972 geordneten Ausbildungsberuf Fleischer/-in, der in die beiden Fachrichtungen Produktion und Verkauf unterteilt war, begann die Ausbildung in den Fachrichtungen erst im dritten Ausbildungsjahr. Im 1974 nach Schwerpunkten differenzierten Ausbildungsberuf Drucker/-in, war die Ausbildung im zweiten Ausbildungsjahr in zwei der drei Schwerpunkte Hochdruck, Flachdruck oder Tiefdrucken und im dritten Ausbildungsjahr in einem dieser drei Druckverfahren durchzuführen. Die ersten Ausbildungsordnungen mit Differenzierungen wiesen Unterschiede in der verwendeten Begrifflichkeit, in der zeitlichen Gliederung oder in der Darstellung im „Ausbildungsberufsbild“ auf, das als Teil der Ausbildungsordnung den „wesentlichen Inhalt der Ausbildung in Form des für die Berufsausübung zu erreichenden Endverhaltens in zusammengefasster, präziser und allgemein verständlicher Form“ aufzählt (vgl. HA 1980). Eine stärkere Vereinheitlichung der Gestaltung der Differenzierungen bezogen auf ihre Dauer, den Beginn in der Ausbildung, ihre Verankerung in der Prüfung sowie ihrer Darstellung in der Ausbildungsordnung erfolgte erst in späteren Jahren. Sieht man einmal von Sonderformen wie Betriebszweigen in der Landwirtschaft oder Fachbereichen im Einzelhandel ab, blieben Differenzierungen nach Fachrichtungen und Schwerpunkten sowie die Entwicklung gestufter Ausbildungsberufe bis in die 90er Jahre die einzigen Modelle zur inneren Differenzierung von Ausbildungsberufen.

Die zweite in den 90er Jahren einsetzende Differenzierungswelle war Ergebnis der wieder verstärkt geführten Reformdebatte über das duale Berufsbildungssystem angesichts knapper Lehrstellen, dem Rückgang betrieblicher Ausbildungsbeteiligung, einem wachsenden Übergangssystem unversorgter Ausbildungsplatzbewerber/-innen, einem „geringen Grad der Integration der dualen Ausbildung mit vorgelagerten, nachgelagerten und parallelen Bildungsgängen“ (EULER/ SEVERING 2006, 26 f.) sowie mangelnder Flexibilität bzw. Überregulierung (zur Entwicklung der Reformdiskussion s. BUSEMEYER 2009).

Das von der Bundesregierung im Zuge dieser Debatte angeschobene „Reformprojekt Berufliche Bildung“, das die berufliche Bildung „noch flexibler, differenzierter sowie offener gegenüber dem Wandel in der Arbeitswelt und somit zukunftsfest“ (BMBF 1998, 2) machen sollte, sah neben der beschleunigten Entwicklung neuer Berufe in wachsenden Beschäftigungsfeldern insbesondere mehr Differenzierungsmöglichkeiten innerhalb von Ausbildungsberufen vor. „Dynamische und gestaltungsoffene Ausbildungsberufe“ sollten durch ein „breites, differenziertes Angebot von Auswahlmöglichkeiten“ mehr betriebliche Freiräume zulassen (BMBF 1998, 3).

Im Ergebnis der Reformdebatte wurden seit Ende der 90er Jahre fast drei Viertel aller derzeit 331Ausbildungsberufe modernisiert und mehr als 80 Ausbildungsberufe neu entwickelt (vgl. BIBB 2011, 43 / BIBB 2013a, 116). Hinzu kamen weitere Elemente zur Differenzierung von Ausbildungsberufen wie gemeinsame Kernqualifikationen zwischen inhaltlich verwandten Ausbildungsberufen und Einsatzgebiete (IT-Berufe 1997) sowie Wahlqualifikationseinheiten (Mediengestalter/-in Digital- und Printmedien 1998). Zu nennen sind auch die Ausweitung des Ausbildungsspektrums um zweijährige Ausbildungsberufe sowie die im reformierten Berufsbildungsgesetzt von 2005 geschaffene Möglichkeit, Zusatzqualifikationen, „die die berufliche Handlungsfähigkeit ergänzen oder erweitern“ sollen, in der Ausbildungsordnung festzuschreiben (BBiG, §5, Abs. 2, Nr. 5). Von den derzeit 331 anerkannten Ausbildungsberufen weisen 30 Schwerpunkte, 54 Fachrichtungen und 26 Wahlqualifikationseinheiten auf, für 24 Ausbildungsberufe existieren Einsatzgebiete (vgl. BIBB 2013b und eigene Berechnungen)

Ausbildungsordnungen nach BBiG enthalten u. a. Bestimmungen zur Struktur der Ausbildung, dem Ausbildungsberufsbild, der Prüfung sowie Angaben zur zeitlichen und sachlichen Gliederung der Ausbildungsinhalte (vgl. §5 Absatz 1 Nummer 3, BBiG). Das Ausbildungsberufsbild, das den „wesentlichen Inhalt der Ausbildung in Form des für die Berufsausübung [mindestens; Verf.] zu erreichenden Endverhaltens in zusammengefasster, präziser und allgemein verständlicher Form“ beschreibt (vgl. HA 1980), wird ergänzt durch die detaillierte Beschreibung der zu vermittelnden Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten im Ausbildungsrahmenplan. Je nach Grad der inhaltlichen Differenzierung oder ihrem zeitlichen Umfang innerhalb der Ausbildungszeit sind die einzelnen Strukturmodelle unterschiedlich stark in der Ausbildungsordnung verankert. Dies gilt entsprechend für ihre Verankerung innerhalb des schulischen Rahmenlehrplans (vgl. KMK 2011, 34). In einer vorläufigen und vereinfachten Übersicht lassen sich einzelne Strukturmodelle wie folgt charakterisieren (vgl. auch HA 2013).

Tabelle 1:  Strukturmodelle im Überblick

Strukturmodell-

Merkmale

Monoberufe

Keine inhaltlichen Differenzierungen; allen Auszubildenden sind alle im Ausbildungsrahmenplan hinterlegten Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln.

Fachrichtungen

Differenzierungen in Form alternativ wählbarer Inhalte, die – in der Regel – ein Drittel der Gesamtausbildungszeit umfassen. Fachrichtungen sind im Ausbildungsberufsbild und als eigenständiger Teil im Ausbildungsrahmenplan ausgewiesen. Die Prüfungsanforderungen werden in für jede Fachrichtung unterschiedlichen Prüfungsbereichen festgelegt. Die Fachrichtung ist zwar kein formaler Teil der Berufsbezeichnung, dient aber über ihren Ausweis im Zeugnis als wichtiger Bestandteil zur Identifikation des Ausbildungsprofils.

Schwerpunkte

Alternativ wählbare Ausbildungsinhalte, die sich auf unterschiedliche Tätigkeitsfelder innerhalb eines gemeinsamen Ausbildungsberufsbildes beziehen. Der zeitliche Umfang ist gegenüber Fachrichtungen geringer und beträgt – in der Regel – sechs Monate. Die jeweils unterschiedlichen Ausbildungsinhalte sind im Ausbildungsrahmenplan ausgewiesen. Eine gesonderte Beschreibung der Prüfungsanforderungen in jeweils unterschiedlichen Prüfungsbereichen erfolgt nur in begründeten Fällen.

Wahlqualifika-tionseinheiten

Wahlqualifikationseinheiten sind inhaltlich und zeitlich abgegrenzte Bündel spezifischer Qualifikationen, die miteinander kombiniert werden können. Sie beziehen sich z. B. auf unterschiedliche Produkte, Herstellungsverfahren oder Werkstoffe und ermöglichen durch ihre Kombination die Abbildung spezialisierter Betriebsprofile innerhalb eines Ausbildungsberufes. Sie sind im Ausbildungsberufsbild verankert und gesondert im Ausbildungsrahmenplan aufgeführt. Anzahl, Kombinationsmöglichkeiten und zeitlicher Umfang (etwa zwischen drei Wochen und vier Monaten) variieren stark. Insgesamt kann die Dauer von Wahlqualifikationseinheiten im Laufe einer Berufsausbildung einen Zeitraum zwischen drei und 18 Monaten abdecken.

Einsatzgebiete

Die in der Ausbildungsordnung aufgelisteten, vom Betrieb zu wählenden (betrieblichen) Einsatzgebiete entsprechen bestimmten Geschäftsfeldern oder Produktsparten. Sie sollen der „Vielfalt der beruflichen Einsatzfelder (…) in unterschiedlichen Branchen, Betriebsgrößen und Organisationsformen gerecht werden und gleichzeitig die notwendige fachliche Breite“ sichern (BORCH / SCHWARZ, 22). Einsatzgebiete können sich über die gesamte Ausbildung erstrecken, ebenso aber erst zum Ende der Ausbildung einsetzen. Für unterschiedliche Einsatzgebiete gelten identische Berufsbildpositionen und zu vermittelnde Inhalte.

Neben den genannten Modellen gibt es weitere Strukturierungsvarianten wie etwa die Ausbildung in Form sachlich und zeitlich besonders gegliederter Stufen (Stufenausbildung) oder gemeinsame Kernqualifikationen zwischen inhaltlich verwandten Ausbildungsberufen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe einsatzgebietsähnlicher Differenzierungen mit anders lautenden Bezeichnungen wie z.B. „Betriebszweige“, „Fachbereiche“, „Kulturen“ oder „Sacharbeitsgebiete“ sowie gleichlautenden Bezeichnungen, denen aber unterschiedliche Strukturen zugrunde liegen. Während die „Betriebszweige“ des geltenden Ausbildungsberufes Fischwirt/-in die Merkmale von Schwerpunkten aufweisen, sind die Betriebszweige des Ausbildungsberufes Landwirt/-in mit Einsatzgebieten gleichzusetzen. Hinzu kommen Modell-Abwandlungen durch die Kombination der Modelle untereinander, etwa Fachrichtungen mit Wahlqualifikationen (z.B. Kaufmann/-frau für Versicherungen und Finanzen), Schwerpunkte mit Einsatzgebieten (z.B. Mikrotechnologe/-in) oder Fachrichtungen mit Einsatzgebieten (z.B. Pferdewirt/-in).

Abb. 1: Strukturmodelle und KombinationenAbb. 1: Strukturmodelle und Kombinationen

Die Gründe für den Einsatz von Differenzierungen wie Fachrichtungen, Schwerpunkten, Einsatzgebieten oder Wahlqualifikationseinheiten sowie Abwandlungen und Kombination innerhalb eines Ausbildungsberufes sind von Fall zu Fall unterschiedlich und lassen sich manchmal nur schwer nachvollziehen. Sie resultieren aus einer je nach Neuordnungsprojekt unterschiedlichen Gemengelage von fachlichen, ausbildungs- und prüfungsökonomischen, schulorganisatorischen, berufsbildungspolitischen, verbandspolitischen oder didaktischen Erwägungen. Diese „ungeordnete“ Ordnungsarbeit hat zu unübersichtlichen und zum Teil widersprüchlichen Strukturmodellen geführt, deren komplexe Darstellung nicht die „Lesbarkeit“ der Ordnungsmittel erhöht hat. Unklare Begrifflichkeiten und Anwendungszusammenhänge bestimmter Strukturmodelle erleichtern überdies nicht die Arbeit in den durch das BiBB geleiteten Berufsordnungsverfahren. Die Praxis zeigt, dass unklare Vorstellungen – schon bei der Festlegung der Struktur eines Ausbildungsberufes durch Sozialparteien, Bund und Länder – zu Widersprüchen im Vorfeld der eigentlichen Erarbeitung eines Ausbildungsganges führen, die nur durch weitere Beratungsschleifen aufgelöst werden können.

3 Untersuchung zur Strukturierung von Ausbildungsberufen

Die Strukturierung von Berufen als regelhafte Ordnung und In-Beziehung-Setzung von Einzelelementen zu einem „System dualer Ausbildungsberuf“ ist - an der Nahtstelle zwischen Arbeit und Bildung - für sich schon ein komplexer Vorgang. Ihre (notwendige) Kombination mit einem nicht minder komplexen Aushandlungsprozess erhöht die Anforderungen sowohl an die Steuerung dieser Prozesse als auch an die Erarbeitung wissensbasierter Entscheidungsgrundlagen. Es verwundert daher nicht, dass unter den Bedingungen eines komplexen Aushandlungsprozesses und eher impliziter Faktoren zur Strukturierung von Ausbildungsberufen die Ordnung der Berufe weniger theoriegeleitet, denn auf die unmittelbare Anwendung und Umsetzung bezogen erfolgt. Eine sich explizit auf die Ordnung der Ausbildungsberufe beziehende Berufsforschung ist daher „eher schwach geblieben“ (FRANK/ WALDEN/ WEIß 2010, 41). Entsprechend gibt es zur Begründung und Definition von Strukturmodellen – soweit erkennbar – kaum Untersuchungen; allenfalls Arbeiten, die sich mit diesem Mangel und seinen Gründen auseinandersetzen (vgl. RAUNER 2005, 246; HEINE-WIEDEMANN 1988, 68 f.; HILBERT u.a. 1990, 97 f.).

Das derzeit am BiBB laufende Projekt „Strukturierung anerkannter Ausbildungsberufe im dualen System“ verfolgt das Ziel, eine kritische und systematisierende (Neu-)Betrachtung der Strukturierungsformen von Ausbildungsberufen und ihren Begründungen vorzunehmen. Im Einzelnen werden folgende Ziele verfolgt:

  • Rekonstruktion der quantitativen Verteilung von Strukturmodellen im Zeitablauf;
  • Klärung und Abgrenzung begrifflicher und konzeptioneller Grundlagen;
  • Identifizierung von Entscheidungskriterien und Begründungszusammenhängen für die Wahl von Strukturmodellen;
  • Einschätzung der Praxistauglichkeit von Strukturmodellen bezogen auf die mit ihnen verbundenen Intentionen sowie
  • Formulierung von Grundlagen einer Heuristik für eine nach Kriterien geleitete Strukturierung von Ausbildungsberufen.

Die Ergebnisse der Analyse sollen einfließen in die Entwicklung einer Entscheidungsheuristik, die anhand transparenter Entscheidungskriterien und -prozesse einen Beitrag zur Professionalisierung und Qualitätssicherung in Neuordnungsverfahren leistet. Dazu werden auf der Basis der Rekonstruktion der quantitativen Verteilung von Strukturmodellen und ihrer begrifflichen und konzeptionellen Definition die Entscheidungskriterien für die Wahl von Strukturmodellen identifiziert und analysiert. Das Projekt stützt sich u. a. auf ausgewählte Ausbildungsordnungsverfahren, problemzentrierte Interviews der beteiligten Akteure sowie auf eine genealogische Erfassung struktureller Merkmale in aktuellen Ausbildungsberufen und ihren Vorgängerberufen. Der Untersuchung liegen folgende Fragen zugrunde:

  • Wie haben sich die einzelnen Strukturmodelle im zeitlichen Verlauf quantitativ entwickelt?
  • Wie werden Strukturmodelle bei ihrer Einführung begründet?
  • Welche Faktoren beeinflussen Strukturmodellentscheidungen?
  • Wie lassen sich Strukturmodelle idealtypisch beschreiben?
  • Werden die mit den unterschiedlichen Strukturmodellen intendierten Ziele in der Praxis erreicht?
  • Welche Schlussfolgerungen lassen sich für die Ordnungsarbeit ableiten?

Da nicht auf eine ausgearbeitete, die Mehrdimensionalität des Untersuchungsgegenstandes bezogene theoretische Grundlage zurückgegriffen werden kann, sollen im Rahmen der Untersuchung relevante Theorieansätze im Hinblick auf ihre Brauchbarkeit für eine theoretische Fundierung der Beantwortung der Forschungsfragen analysiert werden. Bezogen auf die Umsetzung berufsförmig organisierter Arbeit in die Gestaltung beruflicher Bildungsprozesse sind hier insbesondere Aspekte der Qualifikationsforschung und Curriculumtheorie angesprochen.

Dem Projekt liegen folgende forschungsleitende Annahmen zugrunde:

  • Entscheidungen für die Strukturierung von Ausbildungsberufen werden durch bildungspolitische, wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische sowie berufspädagogische Faktoren beeinflusst;
  • Entscheidungen für Strukturmodelle werden heuristisch getroffen;
  • Entscheidungen für Strukturmodelle lassen sich auf kategoriale Merkmale der oben skizzierten Theorieansätze zurückbeziehen und systematisieren;
  • Entscheidungen für Strukturmodelle werden aufgrund von Erfahrungen über Strukturmodelle aus vorausgegangenen Ordnungsverfahren getroffen;
  • Strukturmodelle treten branchenspezifisch gehäuft auf;
  • Die zunehmende Differenzierung innerhalb der Ausbildungsberufe korrespondiert mit einer zunehmenden Entgrenzung der Strukturmodelle.
  • transparente Entscheidungskriterien und -prozesse leisten einen Beitrag zur Professionalisierung und Qualitätssicherung in Neuordnungsverfahren.

3.1 Quantitative Analyse: Aufbau einer Datenbasis zur genealogischen Erfassung struktureller Merkmale in aktuellen Ausbildungsberufen

Im Rahmen des Aufbaus einer Datenbasis zur Rekonstruktion der quantitativen Verteilung von Strukturmodellen im Zeitablauf wurde eine Datenbank entwickelt, deren Auswertungen Grundlagen für die Bearbeitung der weiteren Fragestellungen liefern. Abgeleitet aus den Projektfragestellungen wurde ein Anforderungskatalog entwickelt und zusammen mit Auszubildenden zum Fachinformatiker Fachrichtung Systemintegration ein Prototyp erarbeitet und getestet. Die Datenbank erfasst u. a. Formen und Kombinationen von Strukturmodellen, Einführungsdaten und Begründungen, Anzahl und Häufigkeiten, Verteilung nach Branchen oder genealogische Aspekte. Aktuell enthält die Datenbank 242 aktuelle Ausbildungsberufe sowie 628 Altberufe (Vorgängerberufe). Die Erkenntnisse aus der Eingabe, Bearbeitung und Auswertung der Daten fließen in die kontinuierliche Weiterentwicklung der Datenbank ein. Sie liefert einen schnellen Überblick über Häufigkeiten von Strukturmodellen in verschiedenen Branchen- und Berufsbereichen oder zeigt unterschiedliche Ausprägungen und Abwandlungen von Strukturmodellen. Der Branchenzuschnitt folgt der Klassifizierung der Berufe der Bundesagentur für Arbeit (KldB 2010), die in der Datenbank erfassten Berufe lassen sich aber auch nach anderen Merkmalen aggregieren, z. B. nach KFZ-Berufen, Handwerksberufen, kaufmännischen Berufen, etc. Über Verknüpfungen ist ein Zugriff auf die dahinterliegenden Ausbildungsordnungen möglich. Die Datenbank ist verknüpft mit der zentralen Berufe-Datenbank des BIBB, wie sie auch für die Erstellung des Verzeichnisses der anerkannten Ausbildungsberufe verwendet wird. So können Synergien genutzt werden, indem Grunddaten automatisch übernommen und eingepflegt werden. Derzeit erfolgt eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Datenbank, die sowohl die Erweiterung des Datenbestandes, die Überprüfung der vorhandenen Items als auch die Gestaltung der Auswertungsmöglichkeiten betrifft. Die Datenbank kann schon jetzt im Rahmen von Verfahren zur Neuordnung von Ausbildungsberufen eingesetzt werden, um vergleichende Informationen über Strukturmodelle zu generieren. Bei den Land, Tier- und Forstwirtschaftlichen Berufen lässt sich beispielsweise erkennen, dass sich die Merkmale bestimmter Strukturmodellbezeichnungen im Zeitverlauf wandeln. Aus Betriebszweigen der Ausbildungsberufe Landwirt/-in und Fischwirt/-in aus dem Jahre 1972, die den Charakter von Schwerpunkten aufwiesen (keine Erwähnung im Berufsbild, Fertigkeiten und Kenntnisse der Betriebszweige aber im Ausbildungsrahmenplan ausgewiesen), wurden bei der Neuordnung Landwirt/-in 1995 Betriebszweige, welche die Merkmale von Einsatzgebieten aufweisen (keine Erwähnung im Berufsbild, keine Erwähnung im Ausbildungsrahmenplan). Da die Berufsausbildung Fischwirt/-in fort gilt, gibt es hier ein und die gleiche Bezeichnung für unterschiedliche Strukturen.

Abb. 2: Auszug aus der Datenbank - Anzahl und zeitliche Entwicklung von Strukturmodellen der Land-, Tier- und Forstwirtschaftlichen BerufeAbb. 2: Auszug aus der Datenbank - Anzahl und zeitliche Entwicklung von Strukturmodellen der Land-, Tier- und Forstwirtschaftlichen Berufe

3.2 Qualitative Analyse: explorative und problemzentrierte Interviews

Im Rahmen einer ersten Interview-Phase wurden zunächst explorative Interviews mit neun BIBB- internen Experten/-innen aus der Ordnungsabteilung durchgeführt. Die offen geführten Interviews dienten der inhaltlichen Erschließung des Untersuchungsgegenstandes, der Identifikation möglicher Befragungspersonen und Fallstudienobjekte für die eigentliche Feldphase sowie der weiteren Instrumentenentwicklung. In der Gesamtschau der Interviews bezogen sich die Inhalte auf folgende Aspekte:

  • Prozessbeschreibung (Historie einer Neuordnung);
  • strukturmodellbezogene Auffälligkeiten in Vor-/Ordnungsverfahren;
  • Ungewöhnliche Strukturmodelle / Sonderfälle;
  • Begründungen für die Modernisierung von Ausbildungsberufen;
  • Begründungen von Strukturmodellentscheidungen;
  • (Kriterien zur) Tauglichkeit von Strukturmodellen.

Im Anschluss an diese erste Interview-Phase wurden ein Interview-Leitfaden und ein Stichprobenplan entwickelt und in Feedback-Runden innerhalb des Projektteams sowie im Rahmen einer externe Methodenberatung abgestimmt.

Die Entwicklung des Stichprobenplanes erfolgte im Rahmen eines gemischten Verfahrens: sowohl deduktiv aufgrund der entwickelten forschungsleitenden Annahmen als auch induktiv auf der Basis der Ergebnisse der ersten explorativen Interviewphase. Auf der Schablone der Forschungsfragen kombiniert der Stichprobenplan die Merkmale Strukturmodell und Branche mit den nach unterschiedlichen Kategorien zusammengefassten Gruppen der Interviewpersonen. Ziel war es, sowohl ein Set unterschiedlicher Strukturmodelle mit den Interviews zu erfassen als auch mindestens zwei Branchen mit in den Blick zu nehmen, weil die zuvor durchgeführten explorativen Interviews bestätigt hatten, dass bestimmte Branchen / Berufsfelder Affinitäten zu bestimmten Strukturmodellen aufweisen. Nach Auswahl der Branchen sollen hier bezogen auf die genealogische Entwicklung der Differenzierungen der Berufe vertiefte Fallanalysen vorgenommen werden. Bei der Bildung von Kategorien für die zu befragenden Personen spielten die Merkmale Wissen über Strukturmodelle sowie Perspektive und Funktion im Rahmen der Entwicklung und Umsetzung von Strukturmodellen eine wesentliche Rolle. Danach lassen sich unterscheiden:

  • Entscheider: Sachverständige aus Ordnungsverfahren und/oder Vertreter von Institutionen, die in die Entwicklung von Ausbildungsberufen einbezogen sind und über Profil- und Differenzierungsfragen (mit)entscheiden.
  • Anwender: Betriebliche Ausbilder und/oder Sachverständige aus Ordnungsverfahren, die auf betrieblicher Ebene Ausbildung in Berufen mit Differenzierungen planen, organisieren und durchführen.
  • Wissenschaftliche Experten/-innen: Personen, deren Expertise einen analytischen, systematisierenden Bezug zur Entwicklung beruflicher Curricula aufweist und die in diesem Feld beratend tätig sind.

Auf der Basis des Stichprobenplans wurden in der zweiten Interview-Phase 24 Personen in 60 – 90 Minuten dauernden Interviews befragt. Anhand der ersten Interview-Transkripte wurde überwiegend induktiv ein Entwurf eines Codier-Systems für die weitere Textanalyse entwickelt, dessen Haupt-Code-Ebene sich an den Hauptfragestellungen des Projektes orientiert. In mehreren Schleifen wurde das Codier-System von unterschiedlichen Codierern und bezogen auf gleiche und unterschiedliche Interviews getestet und mit einem externen Auftragnehmer soweit abgestimmt, dass dieser die Transkription und Weiterverarbeitung der Interviews mit MAXQDA in enger Rückkopplung mit dem Projektteam durchführen kann. Bisher sind 21 von 24 Interviews transkribiert und vercodet. Die Auswertung erfolgt im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse in Anlehnung an MAYRING 2010.

Die Interviewdaten zeigen schon jetzt, dass die bisher identifizierten Strukturmodelle sehr stark nach unterschiedlichen Merkmalen und Bezeichnungen variieren und die Palette der möglichen Kriterien, die bei Strukturmodellentscheidungen eine Rolle spielen, sehr groß ist. Dies entspricht der bisherigen quantitativen Analyse der in der Datenbank erfassten Ausbildungsberufe. Schon Interview Nr. 2 bringt es auf den Punkt: „Es sind alles krumme Hunde“.

Abb. 3: Liste der Codes auf der Hauptebene und einer UnterebeneAbb. 3: Liste der Codes auf der Hauptebene und einer Unterebene

4 Erste Ergebnisse und Zwischenfazit

Da die Erhebungsphase noch nicht vollständig abgeschlossen ist und die Datenquellen daher noch nicht vollständig zusammengeführt und ausgewertet werden konnten, können zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur vorläufige Einzelergebnisse herausgegriffen werden.

4.1 „Krumme Hunde“

Wie die erste Sichtung der Daten zeigt, variieren die Merkmalsausprägungen der einzelnen Strukturmodelle sehr stark. Dies bezieht sich beispielsweise auf den zeitlichen Umfang, die Anzahl wählbarer Elemente, die Verankerung in der Ausbildungsordnung und der Prüfung oder auch im Hinblick auf die Modelle zur zeitlichen Gliederung (Zeitrahmen, Zeitrichtwerte), die in sich auch noch einmal variieren. Nachfolgend greifen wir das Thema Einsatzgebiete heraus und stellen Unterschiede bei Anzahl und zeitlichem Umfang von Differenzierungen dar.

Einsatzgebiete:

Besonders viele Varianten scheint es beim Modell „Einsatzgebiet“ zu geben. Bei Einführung von Einsatzgebieten Ende der 90er Jahre stand die Vermittlung der für alle Einsatzgebiete gleichen Ausbildungsinhalte – z.B. Projektmanagement oder Qualitätssicherung – in einem für das jeweilige Unternehmen typischen Tätigkeitsfeld bzw. Einsatzgebiet im Vordergrund. Dieser meistens auf sechs bis zehn Monate beschränkte Ausbildungsabschnitt sollte den unterschiedlichen Einsatzfeldern der Betriebe Rechnung tragen und die Auszubildenden auf ihre zukünftigen Zielarbeitsplätze vorbereiten (z. B. IT-Berufe 1997, vgl. auch BORCH/ SCHWARZ 1999). Dementsprechend waren die Einsatzgebiete auch an verschiedenen Stellen in der Verordnung wie dem Ausbildungsberufsbild, dem Ausbildungsrahmenplan und den Prüfungsanforderungen verankert. Dieses Bild hat sich im Laufe der Zeit sehr verändert. Obwohl es derzeit nur 24 Ausbildungsberufe mit Einsatzgebieten gibt, variieren die Formen sehr stark, wie nachfolgende Abbildung zeigt. Während beim Ausbildungsberuf Systeminformatiker/-in die Einsatzgebiete die gesamte Ausbildungszeit umfassen, sind sie in anderen Berufen nur ein Teil der Ausbildung. In manchen Ausbildungsberufen sind sie mit eigenen Inhalten im Ausbildungsberufsbild und im Rahmenlehrplan verankert, in anderen wiederum sind keine spezifischen Inhalte definiert. Die größte „Variabilität“ weist der Ausbildungsberuf Produktionstechnologe/Produktionstechnologin auf, der nur festlegt, dass die Einsatzgebiete als „thematische Grundlage“ im schriftlichen Teil der Prüfung berücksichtigt werden sollen. Weitere steuernde Hinweise für die Ausbildung finden sich nicht.

Abb. 4: Varianten des Strukturmodells EinsatzgebieteAbb. 4: Varianten des Strukturmodells Einsatzgebiete

Die Begründungsmuster für die Konstruktion von Einsatzgebieten innerhalb eins Ausbildungsberufes müssen auf den jeweiligen Kontext (z. B. Branche oder Heterogenität der Betriebe, Produkte und Produktionsverfahren) sowie die jeweiligen (Vor=)Erfahrungen, Interessen und Perspektiven der beteiligten Akteure bezogen werden. Insofern verwundert es nicht, dass ein (unvollständiger) Blick in die bisher verarbeiteten Interviews eine ganze Reihe unterschiedlicher, zum Teil gegensätzlicher Aspekte zu Tage fördert, die hier eher schlaglichtartig denn kommentiert wiedergegeben werden sollen.

Während einige Einsatzgebiete nicht für ein Differenzierungsmodell halten, weil sie nichts Neues sondern nur eine Vertiefung der Ausbildungsinhalte darstellten, sehen andere in ihnen eine Möglichkeit Ausbildungsinhalte offener und abstrakter formulieren zu können. Durch diese Flexibilität könnte eine größere Zahl von (unterschiedlichen) Betrieben angesprochen werden. Insofern seien sie ein Identifikationspunkt, um neue Betriebe zu gewinnen, die sich durch die genannten Einsatzgebiete angesprochen fühlen. Die Offenheit und Abstraktheit wird allerdings sowohl als Problem für die Erstellung von Prüfungsaufgaben gesehen als auch für die Betriebe, die nicht wüssten, was sie denn ausbilden sollen.

„Und jetzt stößt man an Grenzen, weil es zu offen beschrieben wurde, dass eigentlich ein neuer Betrieb, der ausbilden will, nicht mehr weiß, was er machen soll „(Interview 7)

„Also reine Identifikation, ist kein wirkliches Strukturierungsmerkmal, wurde als dieses verkauft damals, um es den Betrieben leichter zu machen. Man sagte ihnen, aus euren Fachrichtungen sind jetzt Einsatzgebiete geworden.“ (Interview 5)

Abb. 5: Auswahl an Begründungsmustern für EinsatzgebieteAbb. 5: Auswahl an Begründungsmustern für Einsatzgebiete

Anzahl und zeitlicher Umfang der Differenzierungen

Auch der Anteil der einzelnen Strukturmodelle an der Gesamtausbildungszeit variiert stark, ebenso die Anzahl der wählbaren Differenzierungen innerhalb eines Modells.

Bezogen auf die Unterschiede im Qualifikationsprofil stellen Fachrichtungen die stärkste Differenzierung dar. Dies spiegelt sich in einer stärkeren Differenzierung in der Ausbildungsordnung, eigenen Prüfungsbereichen und der zeitlichen Abgrenzung wider. Nach Einführung der ersten Differenzierungen in Form von Fachrichtungen und Schwerpunkten Anfang der 70er Jahre im Zuge der Zusammenfassung vieler kleiner und spezialisierter Ausbildungsberufe gab es zunächst große Unterschiede des zeitlichen Umfangs der Differenzierungen. Eine mit den Neuordnungsakteuren abgestimmte Handlungsrichtlinie des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft vom 23. Mai 1984 stellte klar, dass in der Regel in einem Ausbildungsberuf mindestens zwei Drittel einheitliche Ausbildungsinhalte vorhanden sein müssen, damit „noch von einer einheitlichen und durch die Berufsbezeichnung hinreichend genau beschriebenen Qualifikation gesprochen werden kann“. Gemeinsame Inhalte sind demnach während mindestens zwei Dritteln, spezialisierte Inhalte während maximal einem Drittel der Ausbildungsdauer zu vermitteln („Drittel-Prinzip“). Bei Berufen mit Fachrichtungen ist das überwiegend der Fall, gleichwohl gibt es auch hier starke Schwankungen (vgl. Abb. 6).

Große Schwankungen gibt es auch bei der Anzahl der wählbaren Differenzierungen innerhalb eines Ausbildungsberufes. Während der/die Tourismuskaufmann/-frau nur über drei Wahlqualifikationseinheiten verfügt, sind es beim Medientechnologen insgesamt 34, die aus verschiedenen Listen kombiniert werden können bzw. müssen. Entsprechend hoch sind die Kombinationsmöglichkeiten.

Abb. 6: Zeitanteil verschiedener Strukturmodelle anAbb. 6: Zeitanteil verschiedener Strukturmodelle an

4.2 Zwischenfazit

Wie die bisher vorliegenden Daten bestätigen, gibt es neben vermeintlichen Standardausprägungen von Strukturmodellen eine Fülle unterschiedlicher Varianten und Kombinationen, die die Ausnahme zur Regel werden lassen. Die Begründungsmuster für ein bestimmtes Strukturmodell im Rahmen der Neuordnung eines Ausbildungsberufes sind einzelfallbezogen, vielschichtig und nicht immer nachvollziehbar. Mehr Information und Beratung über Stärken und Schwächen bestimmter Strukturmodelle und eine fallbezogene Eingrenzung der geeigneten Modelle scheint notwendig, insbesondere im Vorfeld von Neuordnungsverfahren. Eine Re-Standardisierung der „Standardmodelle“ sowie eine strukturierte, Kriterien geleitete und transparente Entscheidungsfindung könnte dazu beitragen, Umwege und Fehlentscheidungen in Neuordnungsverfahren zu reduzieren.

Wie geht es weiter?

Nach Auswertung der Daten sollen nach einer Feedbackschleife im Rahmen eines Workshops mit Experten/-innen aus der Ordnungsarbeit, die quantitativen Daten aus der Datenbank sowie qualitativen Interviewdaten zusammen mit ausgewählten Fällen aus der Neuordnungsarbeit weiter verdichtet werden. Die Ergebnisse werden unmittelbar in die Ordnungsarbeit einfließen. Neben der zu entwickelnden Heuristik zur transparenteren Entscheidungsfindung über die künftige Struktur eines neu zu ordnenden Ausbildungsberufes, entwickelt das Projekt Strukturmodell-Steckbriefe, die praxisbezogen die wesentlichen Merkmale der einzelnen Strukturmodelle idealtypisch beschreiben sollen.

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Zitieren des Beitrags

SCHWARZ, H./ BRETSCHNEIDER, M. (2014): Alles „Krumme Hunde“? Zur Strukturierung von Ausbildungsberufen im dualen System. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 25, 1-18. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe25/schwarz_bretschneider_bwpat25.pdf (24-03-2014).