bwp@ 25 - Dezember 2013

Ordnung und Steuerung der beruflichen Bildung

Hrsg.: Karin Büchter, Sandra Bohlinger & Tade Tramm

Bürokratisierung als Regelfall? – Eine Interviewstudie zur Umsetzung externer Anforderungen in beruflichen Schulzentren

Beitrag von Eveline Wittmann & Markus Dormann
bwp@-Format: Forschungsbeiträge

Als öffentliche Schulen sind berufliche Schulen im Regelfall zu erheblichen Teilen durch Merkmale bürokratischer Organisationen gekennzeichnet. Zur Relevanz bürokratischer Organisationsmerkmale für die Reaktion auf äußere Veränderungen und die Implementierung politisch gewollter Veränderungen liegen jedoch kaum empirische Hinweise vor. Gegenüber dem allgemeinen Schulwesen weisen die beruflichen Schulzentren hierbei u.a. aufgrund ihrer Polyfunktionalität Spezifika bezüglich der Komplexität ihrer bürokratischen Organisation auf. Vor dem erläuterten Hintergrund ist als Reaktion auf veränderte äußere Anforderungen eine besondere Ausdifferenzierung ihrer bürokratischen Komplexität vermutbar. Der vorliegende, theoriegenerierende Beitrag fußt auf dem schultheoretischen Ansatz CUSICKS (1992), demzufolge Schulreformen regelmäßig ein „Mehr an Bürokratie“ zur Folge haben, da diese auf bürokratischem Wege umgesetzt werden. Gefragt wird, inwieweit diese Sicht für berufliche Schulzentren untermauert werden kann. Der Frage wird auf Basis einer qualitativen Inhaltsanalyse zu einer Interviewstudie mit Leiterinnen und Leitern beruflicher Schulzentren in Bayern nachgegangen. Die Befunde deuten im Sinne der Ausgangsthese und der theoretischen Überlegungen darauf hin, dass aktuelle Reformen in bayerischen beruflichen Schulzentren, auch solche, die den bürokratischen Charakter dieser Schulen verändern sollen, faktisch auf unterschiedliche Weise zu einer verstärkten Bürokratisierung führen. Der Gewinn des Beitrags liegt darin, die Vielfalt bürokratischer Reaktionsmechanismen in den Schulen und insbesondere auch in den beruflichen Schulzentren für unterschiedliche Außenanforderungen empirisch nachzuzeichnen.

Bureaucratisation as the norm? An interview study on the implementation of external demands at vocational school centres

English Abstract

As state schools, vocational schools are generally characterised, to a considerable degree, by the features of bureaucratic organisations. However, there is hardly any empirical evidence for the relevance of bureaucratic organisation characteristics to the reaction to external changes and the implementation of politically motivated changes. Compared with the general school system, the vocational school centres demonstrate, partly because of their multiple functions, specific issues relating to the complexity of their bureaucratic organisation. Against this background, it is to be suspected that, as a reaction to the changed external demands, a particular differentiation of their bureaucratic complexity will take place. The current paper, which aims to generate theory, is based on the theoretical approach of CUSICKS (1992), according to whom school reforms regularly have “More bureaucracy” as a consequence, since they are implemented in bureaucratic ways. The paper questions the extent to which this perspective can be reinforced for the case of vocational school centres. The question is addressed using a qualitative content analysis of an interview study with school leaders at vocational school centres in Bavaria. The findings indicate, in tune with the initial hypothesis and the theoretical reflections, that current reforms in Bavarian vocational school centres, even those, which aim to change the bureaucratic character of these schools, actually, in different ways, lead to intensified bureaucratisation. The contribution of this paper is that it empirically traces the diversity of bureaucratic mechanisms to react in the schools and, in particular, in vocational school centres, to various external demands.

1 Einleitung

Als öffentliche Schulen sind berufliche Schulen im Regelfall zu erheblichen Teilen durch Merkmale bürokratischer Organisationen gekennzeichnet. Während diese Überlegung nicht neu ist (z.B. FELDHOFF 1974, 251ff.; SCHULZE 1980, 67; NIEDERBERGER 1991, 324; für die beruflichen Schulen z.B. HARNEY 2004, 321f.; WITTMANN 2007a), wird die Frage nach den Konsequenzen für Reformen dieser Schulen eher selten gestellt (z.B. ZLATKIN-TROITSCHANSKAIA 2006, 254). Insbesondere liegen zur Relevanz bürokratischer Organisationsmerkmale für die Reaktion auf äußere Veränderungen und die Implementierung politisch gewollter Veränderungen kaum empirische Hinweise vor.

Gegenüber dem allgemeinen Schulwesen weisen die beruflichen Schulen hierbei das Spezifikum auf, dass gesamtschulähnliche, polyfunktionale Organisationseinheiten den Regelfall darstellen (HARNEY 2004, 326). Sie vereinen Schulformen sowie Bildungsgänge mit sehr heterogenen fachlichen, zugangs-, abschluss- und curriculumbezogenen Merkmalen und damit unterschiedlichen Schülerklientelen unter dem Dach eines Schulzentrums (WITTMANN 2009a, 162f.). Aufgrund der Nähe zum allgemeinem Bildungs- und zum Beschäftigungssystem und der Überschneidung mit dem Beschäftigungssystem im Bereich der Berufsausbildung kann darüber hinaus davon ausgegangen werden, dass sie einem besonders hohen Veränderungs- und Anpassungsdruck ausgesetzt sind. Zu nennen sind hier exemplarisch wirtschaftsstrukturelle Veränderungen mit der Folge von Berufsbildmodernisierungen sowie demografische und konjunkturelle Entwicklungen und hieraus resultierende Erfordernisse der Sicherung von Qualifikations- oder aber der Erfüllung von Absorptionsbedarfen. Vor dem erläuterten Hintergrund lässt sich u.a. eine besondere verwaltungsbezogene Komplexität dieser Organisationen annehmen, wobei als Reaktion auf veränderte äußere Anforderungen vor allem eine Ausdifferenzierung dieser Komplexität vermutbar ist.

Bürokratische Organisationsmerkmale werden hierbei häufig als Barrieren oder Hindernisse erforderlicher qualitativer Anpassungen und Verbesserungen von Schulen unter pädagogischen Gesichtspunkten gesehen (z.B. WITTMANN 2007b, 204). In diesem Zusammenhang sollen u.a. Reformvorstellungen, die dem Verwaltungsreformkonzept des New Public Management entlehnt sind, zur Beseitigung oder der Verringerung der durch die bürokratische Verwaltungsorganisation entstehenden Probleme beitragen. Hierzu gehören Ansätze zur Erweiterten Autonomie von Schule bei erhöhter externer Kontrolle, z.B. durch die Einführung von Schulinspektion und begleitet von Qualitätsmanagement (WITTMANN 2009b, 70f.).

Der vorliegende, theoriegenerierende Beitrag fußt auf dem durch historische Analysen von Reformen im amerikanischen Kontext untermauerten schultheoretischen Ansatz von CUSICK (1992), demzufolge Reformen im schulischen System regelmäßig ein „Mehr an Bürokratie“ zur Folge gehabt haben, da diese auf bürokratischem Wege umgesetzt werden und damit zu neuen Verfahren, mehr Regeln etc. führen. Der Wert des Ansatzes von CUSICK für die hier vorgelegten Analysen liegt dabei darin, dass hier regelmäßige Wirkungen schulischer Reformen sowie Gründe für deren Versanden auf der Basis qualitativen Materials beschrieben und analysiert wurden. Auf dieser Grundlage werden hypothetische Aussagen über einen zeitlich übergreifenden Zusammenhang von Gesellschaft und Schule getätigt, die i.e.S. mit dem Anspruch einer nicht lediglich auf Wirkungs- (z.B. FEND 1981), sondern auch auf Bedingungszusammenhänge von Schule bezogenen, beschreibenden „Theorie der Schule“ verbunden sein müssten. Für die allgemeinen, vor allem aber für die beruflichen Schulen in Deutschland fehlen solche Aussagen bislang weitgehend (WITTMANN 2009a, 256f.).

Die Ergebnisse von CUSICK (1992) treffen nach der diesem Beitrag zugrundeliegenden Vermutung gerade auch für solche politisch induzierten Reformen zu, bei denen eine pädagogisch relevante Qualitätsverbesserung von Schulen durch Zurückdrängen ihrer bürokratischen Merkmale reklamiert wird. In diesem Sinne konstatiert z.B. auch ZLATKIN-TROITSCHANSKAIA (2006, 254) für das im deutschsprachigen Kontext unter dem Begriff „Neues Steuerungsmodell“ firmierende New Public Management, das eine erhöhte Effizienz von Verwaltungshandeln durch ergebnis- anstelle von verfahrensorientierter Steuerung verspricht: „Den Kern des neuen Steuerungsmodells bildet die Outputorientierung im Rahmen der ‚alten‘ hierarchisch-bürokratisch regulativen Steuerungsform.“ Auch hier besteht also die Möglichkeit, dass intendierte Effizienzversprechen letztlich zu einer verstärkten Ausprägung bürokratischer Merkmale führen (z.B. WITTMANN 2007b).

Vor diesem Hintergrund wird in diesem Beitrag die Frage aufgeworfen, inwieweit für berufliche Schulzentren die Vermutung untermauert werden kann, dass hier Veränderungen externer Anforderungen im Sinne CUSICKS (1992) „bürokratisch transformiert“ werden und, darüber hinausgehend, damit von einer wachsenden Bürokratisierung als Regelvorstellung auszugehen ist. Der aufgeworfenen Frage wird auf der Grundlage qualitativer Empirie aus einer Interviewstudie mit Leiterinnen und Leitern beruflicher Schulzentren in Bayern nachgegangen. Neben den Überlegungen CUSICKS (1992) wurde hierbei bei der Erstellung des Erhebungsinstruments und der Entwicklung der Auswertungskategorien partiell auf verwaltungswissenschaftliche und steuerungstheoretische Ansätze zur bürokratischen Organisationen und ihrer Reform zurückgegriffen, um die von CUSICK gemachten Aussagen auch aus dieser Perspektive zu untermauern.

Zunächst wird im theoretischen Teil gefragt, welche Wirkungen von externen Veränderungsanforderungen in der bürokratischen Organisation Schule auf der Basis der vorstehenden Ansätze erwartet werden können. Sodann wird unter Rückgriff auf Aussagen aus der Interviewstudie untersucht, welche bürokratiebezogenen Wirkungen von solche Anforderungen – insbesondere auch von Reformansätzen, die als Versuche einer Entbürokratisierung verstanden werden können – sich in den beruflichen Schulzentren auf der Basis der Interviewaussagen nachzeichnen lassen. Es wird die Frage aufgeworfen, inwieweit die Vermutung, dass diese zu einer verstärkten „Bürokratisierung“ führen, durch die qualitativen Befunde gestützt wird und inwieweit sich diesbezüglich Besonderheiten für die beruflichen Schulzentren als bürokratische Organisation ergeben. Vor diesem Hintergrund stellt sich abschließend die Frage nach den Möglichkeiten eines unter pädagogischen Gesichtspunkten effizienten Umgangs mit den bürokratischen Organisationsmerkmalen in den beruflichen Schulen.

2 Schulen als bürokratische Organisationen

Auch wenn unbestritten ist, dass Schulen und berufliche Schulen teilweise durch Merkmale gekennzeichnet sind, die im bürokratischen Organisationsmodell nicht enthalten sind (z.B. TENBERG 2010, 298) oder auch von diesem abweichen, z.B. dem Aspekt einer losen Kopplung (WEICK 1976; FEND 1987, 56; s. WITTMANN 2007b, 204), lassen sich diese Organisationen diesem Idealtypus in wesentlichen Zügen zuordnen. CUSICK (1992, 210f.) verwendet zur Charakterisierung der bürokratischen Merkmale von Schule die folgenden, auch von WEBER (1980, 551ff.) genannten Aspekte:

  1. spezialisiertes Personal,
  2. Hierarchie und formale Autorität,
  3. Regeln und Verfahren,
  4. Trennung von Rolle und Person, trotz des in höchstem Maße persönlichen Charakters des schulischen Unterfangens,
  5. Dokumentation von Menschen und Büchern,
  6. Verteilung und Verbuchung von Ressourcen,
  7. Effizienz durch „Skalenerträge“ [1] sowie die
  8. Monopolstellung.

Dabei ist eine allgemeine Kritik an diesem Organisationsmodell von Verwaltungen frühzeitig geübt worden; etwa stellt MERTON (1995, 189ff.) eine Reihe von Dysfunktionen bürokratischer Organisationen heraus, zu denen deren mangelhafte Anpassungsfähigkeit an geänderte Umgebungsbedingungen, Regelbefolgung als Maxime, Trägheit sowie die Abwehr geforderter Verhaltensänderungen gehören. Vor diesem Hintergrund hat sich eine substanzielle Bürokratiekritik entwickelt, die sich auch in den beruflichen Schulen niederschlägt. Ein zentraler Kritikpunkt ist hierbei eine wachsende „Bürokratisierung“. Hierunter kann „die zunehmende Ausprägung und Steigerung dieser [bürokratischen, d. Verf.] Merkmale in Organisationen des öffentlichen Sektors (Überregulierung, extrem kleinteilige sachliche Kompetenzverteilung und Spezialisierung etc.) oder das Wachstum des öffentlichen Sektors insgesamt verstanden werden.“ (JANTZ/VEIT 2011, 126).

Mit der an dieser Kritik anknüpfenden Vorstellung einer „Entbürokratisierung“ werden dabei verwaltungswissenschaftlichen Analysen von JANTZ/VEIT (2011, 126f.) zufolge eine Vielzahl von Phänomenen bezeichnet, die mit den zuvor genannten Merkmalen bürokratischer Organisationen im Zusammenhang stehen. Z.B. werden hier übertriebene Hierarchisierung, die langsame Bearbeitung von Fällen, Unpersönlichkeit und Inflexibilität, unverständliche Formulare sowie ein Zuviel an Regeln diskutiert. Nach JANN/WEGRICH (2008, 53f.) lassen sich drei Ebenen der Bürokratiekritik unterscheiden:

  • die Aufgabenebene, die sich auf den zu großen oder wachsenden Umfang der wahrgenommen Aufgaben bezieht und auch unter Stichworten wie Privatisierung und Deregulierung diskutiert wird,
  • die Regulierungsebene, welche Anzahl, Dichte und Qualität der vorgenommenen Regulierungen betrifft, die auch unter dem Stichwort „bessere Rechtssetzung“ diskutiert wird, sowie
  • die Organisationsebene, d.h. intra- und interorganisationale Aspekte wie die Anzahl staatlicher Behörden und deren Koordination, die Ablauforganisation, das Personal etc.).

NISKANEN (1971, 216f.) vertrat in seiner bürokratiekritischen Veröffentlichung „Bureaucracy and representative government“ die Auffassung, kompetitive Büros und Privatfirmen könnten öffentliche Leistungen wie Postdienst und Kriegsführung, aber auch Schulen, effizienter bereitstellen als bürokratische Regierungsstellen. Die Kritik findet ihren Niederschlag im Verwaltungsreformansatz des New Public Management, der auf der Ebene der Einzelorganisation (JANTZ/VEIT 2011, 133) auch in den beruflichen Schulen Eingang gefunden hat. Er ist mit der Vorstellung einer erweiterten Autonomie der Einzelorganisation bei – zur Simulation von Wettbewerb unter Monopolbedingungen (KÖNIG 1996, 225ff.) – erhöhter externer Kontrolle und verstärktem unternehmensähnlichem Management verbunden. Regelmäßig gehören hierzu in Deutschland inzwischen kriterienbezogene standardisierte Schulinspektion auf der einen und internes Qualitätsmanagement auf der anderen Seite (BOS et al. 2007, 244f. WITTMANN 2009b, 72).

Allerdings kann die These vertreten werden, dass dieser organisationsextern induzierte Veränderungsansatz keines der genannten Merkmale einer bürokratischen Schulorganisation und auch nicht deren Dysfunktionalitäten beseitigt. Denn, wie ZLATKIN-TROITSCHANSKAIA (2006, 254) es in ihren steuerungstheoretisch fundierten Analysen formuliert, „[bildet den] Kern des neuen Steuerungsmodells … die Outputorientierung im Rahmen der ‚alten‘ hierarchisch-bürokratisch regulativen Steuerungsform. In diesem Sinne konstatiert CUSICK (1992, 211) als Ergebnis seiner Analysen historischer amerikanischer Schulreformen: „When the rhetoric of reform is removed, what remains are more specialists and specialties, additional programs, changed procedures, and different evaluation schemes. The schools go on and the bureaucracy goes on, most likely expanded“. Externe Anforderungen werden demzufolge von Schule i.d.R. in bürokratische Verfahren transformiert und führen damit zu einer verstärkten Ausprägung bürokratischer Merkmale, nicht zu deren Abbau.

Eine nachfolgend beleuchtete Frage ist, ob bzw. inwieweit mit den in diesem Zuge gemachten Reformvorschlägen die „Bürokratisierung“ beruflicher Schulzentren verringert und damit deren pädagogische Leistungsfähigkeit gesteigert bzw. im Lichte gestiegener externer Anforderungen zumindest aufrecht erhalten werden kann. Für berufliche Schulzentren ist aufgrund der erläuterten Komplexität dieser Schulformen in besonderem Maße mit einem „Mehr an Bürokratisierung“ zu rechnen.

3 Methodisches Vorgehen

Die vorliegende Untersuchung zielt darauf ab, zu eruieren, inwiefern Veränderungen externer Anforderungen in den beruflichen Schulzentren bürokratisch transformiert werden. Dies beinhaltet insbesondere die Frage, inwieweit diese in eine „zunehmende Ausprägung und Steigerung“ (JANTZ/VEIT 2011, 126) bürokratischer Merkmale überführt werden, also zu einer wachsenden Bürokratisierung führen, schließt aber auch Veränderungen bürokratischer Merkmale und Verfahrensweisen ein, die zu weniger Aufwand führen können. In der vorliegenden Untersuchung wurde daher nach externen Veränderungsanforderungen gefragt, mit denen berufliche Schulzentren in Bayern sich in den vergangenen zehn Jahren konfrontiert sahen, sowie nach Reaktionen auf diese Veränderungen. Als Nachfragekategorien wurden die o.g. Merkmale bürokratischer Organisationen verwendet.

Die Untersuchung wurde als halbstrukturierte Interviewstudie durchgeführt. Der Interviewleitfaden wurde bezugnehmend auf die vorstehend erläuterten Überlegungen von CUSICK (1992) und die Kategorien zur Bürokratie von Max WEBER (1980, 124ff.) konzipiert. Vor der finalen Durchführung der Interviews wurden Probeinterviews geführt, woraufhin der Fragebogen nochmals angepasst wurde. Nach der Recherche sämtlicher beruflichen Schulzentren in Bayern – von denen aktuell 49 existieren – wurden Interviewtermine vereinbart, wobei die Fragebögen vorab nicht zugesendet wurden. Bei der Auswahl wurden die Schulleiterinnen und Schulleiter derjenigen Schulen interviewt, welche sich für eine Befragung zur Verfügung stellten bzw. im vorgesehen Zeitfenster Interviews durchführen konnten. Dem Beitrag liegen dadurch Telefoninterviews mit 25 Schulleiterinnen und Schulleitern bayerischer beruflicher Schulzentren zugrunde; die Beteiligungsquote liegt also bei 51 % der Grundgesamtheit.

Die Befragung bezog sich allgemein auf die Umsetzung externer Veränderungsanforderungen in der bürokratischen Schulorganisation der beruflichen Schulzentren. Acht Schulzentren hatten hierbei am bayerischen Reformversuch „Profil 21“ teilgenommen, der dazu diente, die o.g., dem New Public Management zuordenbaren Elemente versuchsweise in beruflichen Schulen zu implementieren, so dass hier in besonders hohem Maße Aussagen zu diesem Reformansatz und seinen Wirkungen zu erwarten waren. Die durchschnittliche Dauer eines Interviews lag bei 60 Minuten; ein Interview musste vorzeitig beendet werden.

Die Auswertung wurde im Sinne einer strukturierenden Inhaltsanalyse nach MAYRING durchgeführt (2008, 75). Vorgeschaltet wurde eine zusammenfassende Inhaltsanalyse mit deren Hilfe externe Veränderungsanforderungen identifiziert und induktive Kategorien für die Kodierung gewonnen wurden (vgl. MAYRING 2008, 74). Die bürokratischen Merkmalskategorien wurden deduktiv gewonnen und entsprechen den oben genannten Merkmalen nach CUSICK (1992) bzw. WEBER (1980). In Tabelle 1 ist eine Übersicht der verwendeten Kategorien und der Aspekte zu finden, die diesen Kategorien subsummiert wurden. Hierbei fand eine Zuordnung zu einer Kategorie grundsätzlich nicht erst statt, wenn eine vollständige bürokratische Ausdifferenzierung jeweils bereits aufzufinden war, sondern auch dann, wenn sich entsprechende Entwicklungen, wie etwa die Ausdifferenzierung neuer spezialisierter Funktionsstellen, erst andeuteten. Die Analyse ist im Wesentlichen auf eine Typisierung dahingehend bezogen, welche Zusammenhänge zwischen zentralen externen Veränderungsbereichen und Änderungen oder Steigerungen bezüglich der bürokratischen Merkmale gefunden werden können. Darüber erfolgt aber eine Darstellung besonders markanter Beispiele, um die von den Probanden beschriebenen Transformationen exemplarisch zu veranschaulichen (vgl. MAYRING 2008, 90). „Eine Quantifizierung der Veränderungen in den bürokratischen Merkmalsbereichen für die unterschiedlichen Anforderungsbereiche ist aufgrund der Idee, die der Studie zugrunde liegt im Rahmen dieses Beitrags nicht möglich. Diese bestand darin, weitgehend offene Interviews zur Reaktion der Schulen auf sehr breite und unterschiedliche Anforderungsstrukturen einzuholen und dazu die Schwerpunktsetzungen den Probanden selbst zu überlassen.“ Eine Theorieprüfung ist hier also demzufolge nicht intendiert; vielmehr dient die Untersuchung dazu, in exploratorischem Sinne die Eingangsthese zum Zusammenhang von externen Veränderungen und Bürokratisierungsprozessen zu untermauern.

Tabelle 1: Bürokratische Merkmalskategorien und subsummierte Aspekte[2]

Merkmalskategorie

Subsummierte Aspekte

Spezialisiertes Personal

  • Ausbildung/Identifikation von Spezialisten an den Schulen
  • Überführung in/Einrichtung neuer Funktionsstellen (z.B. Qualitätsbeauftragte)

Hierarchie und formale Autorität

 
  • verstärkte Einbindung in Aufgaben höherer Instanzen über den Dienstweg
  • Delegation von Aufgaben und Kompetenzen
  • hierarchische Sanktionsmechanismen
  • Einführung neuer Hierarchieebenen in den Schulen

Regeln und Verfahren

 
  • Implementierung von vorgegebenen Regelungen in den Schulen
  • Entwicklung von Verfahren innerhalb der Schule
  • Behandlung über vorhandene schulische Verfahren/Regeln

Dokumentation von Menschen und Büchern

 
  • schriftliches Festhalten von Sachverhalten und Vorgängen

Verteilung und Verbuchung von Ressourcen

 
  • systematisch und dauerhaft erhöhte Aufwände
  • Zuweisung neuer Stellen

Trennung von Rolle und Person

 
  • Separierung von Verpflichtungen der Stelle und persönlicher Involviertheit

Effizienz durch Skalenerträge

 
  • Schaffung von Effizienz durch einheitliche Behandlung von Personen und Sachverhalten
  • Schaffung von Größenvorteilen durch überschulische Koordination

Bezüglich möglicher Gütekriterien wurde insbesondere auf materialorientierte Validitätskriterien abgehoben, d.h. die Stichprobengültigkeit, die allerdings durch die Teilnahmebereitschaft der Probanden begrenzt sein kann, sowie die semantische Gültigkeit, die sich auf eine konstruktgeleitete Kategoriendefinition bezieht. Um eine zuverlässige Auswertung zu erhalten, wurde insbesondere auf ein verfahrensgeleitetes Vorgehen sowie eine klare Kategoriendefinition geachtet (MAYRING 2008, 111f.).

Die folgende Tabelle 2 gibt einen Überblick zu statistischen Daten der befragten Schulen und zu den Merkmalen Erfahrungen in der Schulleitung in Jahren sowie zur Erfahrung in der Schulleitung an unterschiedlichen Schulen. Zu den Aspekten Entwicklung der Schülerzahlen, Erfahrung in der Schulleitung in Jahren und Erfahrung in der Schulleitung an unterschiedlichen Schulen lagen nicht von allen Befragten verwertbare Angaben vor.

Tabelle 2: Statistische Daten zum Sample der Schulleiter/-innen und ihrer beruflichen Schulzentren

 

Kriterium

Gruppen und Anzahl

Erfahrungen in der Schulleitung (in Jahren)

7-10

11-20

21-33

2

11

8

Erfahrungen in der Schulleitung an unterschiedlichen Schulen

ja

nein

9

10

Anzahl der Schulformen

<3

4-5

6-8

5

17

3

Aktuelle Anzahl der Lehrkräfte

12-50

51-80

81-132

10

11

4

Aktuelle Schülerzahlen

124-999

1.000-1.999

2.000-3.538

5

15

5

Entwicklung der Schülerzahlen

aufsteigend

gleichbleibend

rückläufig

0

8

15

Schuljahr 2012/13 in Bayern; Differenz zu 26 bei den Anzahlen: keine Angabe

4 Empirische Befunde

Im Folgenden wird zunächst auf Veränderungen in den externen Anforderungen an die beruflichen Schulzentren, danach auf die Frage der bürokratischen Transformation und abschließend auf die Spezifik dieser Reaktion für die beruflichen Schulzentren gegenüber den allgemeinen Schulen, aber auch gegenüber reinen Berufsschulen eingegangen.

4.1 Veränderte externe Anforderungen an die beruflichen Schulzentren

Im Rahmen der Erhebung wurden die Schulleiter befragt, in welchen Bereichen sie innerhalb der letzten 10 Jahre Veränderungen der externen Anforderungen an die Schulen wahrgenommen haben. Die in Abbildung 1 dargestellten Ergebnisse ergaben sich hauptsächlich als direkte Antwort auf diese Fragestellung.[3]

1:Abbildung 1: Veränderung aktueller externer Anforderungsbereiche an die beruflichen Schulzentren aus Sicht von Schulleiterinnen und Schulleitern

Bei Antworten der Schulleiter zu externen Anforderungen sprachen 13 von 25 Interviewten (52%) über Veränderungen in der Schülerklientel oder Herausforderungen aus einer Verpflichtung zur Inklusion. Eine Veränderung im Bereich Statistik thematisierten 19 Interviewte (76%). 14 Befragte (56%) benannten hierbei explizit eine Beschleunigung beim Zeitraum, in welchem die Anfragen zu leisten wären. 6 Befragte (24%) gaben an, dass Sie zunehmend auch von politischen Statistikanfragen betroffen seien. 22 Befragte (88%) äußerten, dass sie Veränderungen im Bereich der Erweiterten Autonomie und des damit verbundenen Qualitätsmanagements (Qualitätsmanagement an beruflichen Schulen

QmbS)an Ihrer Schule erlebten, was weit über die Profilschulen hinausgeht.[4] Von Veränderungen in der Lehrerbeurteilung betroffen zu sein, gaben 21 Interviewte (84%) an. Für den im eigentlichen Sinne unterrichtsbezogenen Bereich der Didaktik lagen lediglich 10 (40%) und für EDV 21 (84%) Nennungen vor.

4.2 Bürokratische Transformation der Anforderungen in der Schulorganisation

Um nachvollziehen zu können, inwiefern im Sinne des Themas des Beitrags die genannten Veränderungen externer Anforderungen bürokratisch transformiert werden, wurden die Interviewaussagen der Probanden dahingehend untersucht, für welchen Merkmalsbereich von bürokratischen Organisationen sich Reaktionen auf veränderte externe Anforderungen aus den o.g. Bereichen finden lassen (Tabelle 3).

Tabelle 3: Bürokratische Transformation von Anforderungen in unterschiedlichen Anforderungsbereichen

Merkmal von Bürokratie

 

Veränderung von Anforderungen

Spezialisiertes Personal

Hierarchie und formale Autorität

Regeln und Verfahren

Dokumentation von Menschen und Büchern

Verteilung und Verbuchung von Ressourcen

Trennung von Rolle und Person

Effizienz durch Skalenerträge

Erweiterte Autonomie/QM

X

X

X

X

X

   

Lehrerbeurteilung

X

X

X

X

X

X

 

Statistische Anfragen

 

X

X

X

X

X

 

EDV

X

X

X

X

X

 

X

Schülerklientel/ Inklusion

X

 

X

X

X

   

Didaktik

X

X

X

X

X

 

X

Externe Anforderungsveränderungen im Bereich Erweiterte Autonomie und Qualitätsmanagement betreffen 5 von 7 aufgeführten bürokratischen Merkmalen. Aufgrund der engen Verwobenheit der beiden Bereiche wurden sie als gemeinsame Anforderungskategorie behandelt und werden im folgenden Abschnitt gemeinsam dargestellt. Den Interviews ist zu entnehmen, dass bezüglich der Erweiterten Autonomie von spezialisiertem Personal eigenständig Aufgaben übernommen werden. Insbesondere wird angegeben, dass an den Schulen diese Anforderungen mit Personal in Form von QmbS-Teams bearbeitet wird, die für Prozesse an der jeweiligen Schule mitverantwortlich sind (In7, 83).[5] Das QmbS wird zudem von Experten begleitet, welche selbst aus dem Schulsystem kommen (In5, 272). Ein Einbinden von Lehrkräften erfolgt hierbei neben der freiwilligen Beteiligung auch über hierarchische Strukturen und formale Autorität mittels Anweisung, wobei ein Mitwirken in einem QmbS-Team beurteilungsrelevant sein kann (In13, 25).[6] Bezüglich der Erweiterten Autonomie findet laut Angabe der Befragten eine Delegation von Verantwortung bei verschiedenen Aspekten – Personalauswahl bei Lehrereinstellung (In15, 205), Budgetverantwortung (In7, 69), freiere Klasseneinteilung (In22, 37) sowie Erweiterung des Kooperationsrahmens mit anderen Institutionen – zwischen höheren Dienstbehörden und der Schule statt (In5, 219). Allerdings wird als Kritik geäußert, dass keine echte Autonomieübertragung vorliege:

„… es heißt immer die "Eigenständige Schule". Wir bekommen das so oft vorgebetet, dass wir mehr Freiraum haben, dass wir eigenständiger sind, aber das Gegenteil ist doch der Fall (In7, 62); „…für mich ist das ein Schlagwort, die Eigenverantwortliche Schule… aber auf der anderen Seite hat man vor Ort kaum Eigenverantwortung“ (In15, 52).

Verstärkte hierarchische Sanktionsmechanismen kommen in der externen Evaluation zum Ausdruck:

„Schulentwicklung war früher freiwillig und sollte eben nur freiwillig sein, man hat aber gemerkt dass manche Schulen … sich auf diese innere Schulentwicklung nicht eingelassen haben. Also hat man sie ein bisschen 'gezwungen' in dem man die externe Evaluation einführte und dann feststellte, an der Schule ist dieses und jenes gut, das und das muss verbessert werden.“ (In18, 92).

Deutlich wird außerdem, dass eine partielle Delegation der Aufgaben erfolgt, relevante Kompetenzen aber bei höheren Dienstebenen verbleiben. Eine solche Differenz bei der bürokratischen Transformation liegt beispielsweise bei einer eigenständigen Personalauswahl im Rahmen des Erstbewerbungsverfahrens und der Regelung, dass Personen nach Sozialkriterien und Noten eingestellt werden, vor:

„…zum Beispiel in der Personalauswahl. Ich kann ein Bewerbungsgespräch führen mit jemand und wir beide, der künftige Lehrer oder auch Verwaltungsangestellte sind uns einig. Aber ob der dann tatsächlich zu uns kommt, das liegt nicht mehr in meiner Macht. Obwohl jetzt von meiner Seite … der Mann oder die Frau ins Team passen würde … aber letztendlich entscheiden dann Noten und da kann es um Zehntel und Hundertstel gehen.“ (In15, 205).

Die Erweiterte Autonomie bzw. das QmbS unterliegen Regeln und Verfahren. Beispielsweise existieren eine klare Verfahrensbeschreibung und verpflichtende Elemente, wie eine standardisierte externe Evaluation (In5, 272; In18, 92). Diese sind auch ein Bestandteil der Dokumentation von Menschen und Büchern sowie Teil der mit dem QmbS verbundenen Dokumentationspflicht. Hierbei werden z.B. in dem vorstehenden Zitat auch Widersprüche zwischen der Veränderung der hierarchischen Struktur im Sinne einer Delegation von Aufgaben und der Anwendung von vorgegebenen, schulübergreifenden Regelungen deutlich Bezüglich einer Verteilung und Verbuchung von Ressourcen kann, basierend auf den Interviewaussagen, festgestellt werden, dass für die Durchführung Unterstützung angeboten wird. Hierfür stehen den Schulen QmbS-Beauftragte[7] zur Verfügung (In5, 272). Gleichzeitig erfolgt in den Interviews allerdings wiederholt die Kritik, dass es eine Aufgabendelegation nach unten ohne einen entsprechenden Ressourcenausgleich gibt:

„…aber ansonsten kommen die Aufgaben … oder auch die Kompetenzen, die man uns zusätzlich gibt, zwar bei uns an, sind auch gut, aber sie führen in der Regel zu einem Mehraufwand und nicht zu einer Entlastung” (In24, 119).

Dies wiederum spricht für problematische Skaleneffekte. Hier wird eine größere Effizienz versprochen, d.h. eine Verbesserung bei Kostenneutralität, wobei die Optimierung insbesondere in schul- und situationsspezifischeren Entscheidungen bestehen. Betrachtet man die Veränderungen allerdings durch die „bürokratische Brille“ ist festzustellen, dass bisher vorhandene Größenvorteile durch überschulische Koordination – z.B. im Bereich der Personalauswahl durch ein reines Zuweisungsverfahren – zunächst verringert wurden. In Anbetracht der wegfallenden Vereinheitlichung ist hier über die Einzelschulen aggregiert ein erhöhter Aufwand zu erwarten. Hinzu kommen erhöhte Koordinationsnotwendigkeiten durch die zuvor beschriebene Inkongruenz von Aufgaben und Kompetenzen.

Betrachtet man den Aspekt der Lehrerbeurteilung, lassen sich basierend auf den Schulleiteraussagen 6 von 7 untersuchte bürokratische Merkmale zuordnen. Die Schulleiter, in deren Verantwortung die Lehrerbeurteilung liegt, stellen hierfür das spezialisierte Personal dar (In9, 91; In7, 179). Es ist den Antworten der Probanden zu entnehmen, dass es sich beim Beurteilungsprozess um einen sehr komplexen Vorgang handelt, der aufgrund der Spezifität von Wissensinhalten von Spezialisten durchgeführt werden muss (In25, 12). Durch die Beurteilungskompetenz bei den Schulleitern ist dieser zudem mit einer klaren Hierarchie und formalen Autorität verbunden. Aufgrund der hohen Belastung durch eine verpflichtende Zunahme der Beurteilungen – hinzugekommene Beurteilung älterer Kollegen (In14, 43) sowie Zusatzbeurteilungen und Verkürzung der Beurteilungszeit bei noch nicht verbeamteten Lehrern (In26, 112) – wird aktuell eine Diskussion zur Einführung einer mittleren Führungsebene geführt, wodurch weitere Personen – oftmals Fachbetreuer – zur Mitarbeiterbeurteilung (In13, 44) und Mitarbeitergesprächen (In7, 70) hinzugezogen werden könnten. Es wird angeführt, dass die Beurteilung klaren Regeln und Verfahren unterliegt, die an die jeweiligen Voraussetzungen angepasst werden (In17, 98). Da Leistungsbeurteilungen in Form von Dokumentationen der Performanz von Lehrern die Grundlagen von Beförderungen darstellen, werden ihnen einerseits selbst Ressourcen zugewiesen – zukünftig vermutlich eine mittlere Führungsebene – und andererseits teilen sie wiederum Ressourcen zu (In13, 52). Aufgrund der Notwendigkeit einer objektiven Beurteilung ist weiterhin eine Trennung von Rolle und Person im Rahmen der Leistungsbeurteilung erforderlich.

Bezüglich des Anforderungsbereichs Statistik werden 5 bürokratische Merkmale angesprochen, welche hiermit zusammenhängen. Hierarchie und formale Autoritätliegen laut Angaben der Interviewten vor, indem vermehrt solche Aufgaben delegiert werden, wobei eine Verpflichtung besteht, angeforderte Statistiken zu liefern (In7, 207). Es wird geschildert, dass auf diese Weise Anfragen höherer Dienstbehörden bzw. der Politik über den „Dienstweg“ an Kultusbehörden, Regierungen und die Schulen bzw. die Lehrkräfte delegiert werden (In6, 36; In7, 207). Die Inhaltsanalyse der Interviews ergibt weiterhin, dass die Erhebung und Abgabe der Daten basierend auf Regeln und Verfahren mittels EDV erfolgt (In2, 30). Ein Schulleiter gibt z.B. an, dass er sich zur Bearbeitung statistischer Anfragen eigene Verfahren entwickelt hat, um Anforderungen daraus leichter bewältigen zu können:

„…man braucht zum Beispiel immer wieder Schülerzahlen für verschiedene Bereiche. …Ich habe mir geeignete Formblätter geschaffen, wo ich mir das eine oder andere herausnehmen kann und zum Schuljahresbeginn trage ich mir das alles in diese Formblätter ein, … verbessere sie dann auch nach, … sodass ich nicht immer wieder neu diese Zahlen suchen muss. Das ist für mich schon eine Erleichterung.“ (In6, 151).[8]

Den Aussagen gemäß erfolgt in entsprechenden statistischen Abfragen eine Dokumentation von Menschen und Büchern, wobei eine Erfragung von Merkmalen von Schülern, Lehrern und Institutionen (In2, 253;) sowie eine Überprüfung von Zahlen auf Erfolgskriterien unternommen werden:

„... die Geschäftsstatistik, die jede Schule zu leisten hat. Dort hat man seit vielen Jahren ein Projekt am Ministerium in Arbeit, man nennt es ASV (amtliche Schuldaten). Man verspricht sich sehr viel davon…“ (In5, 136).

Aus den Angaben der Interviewpartner wird auch ersichtlich, dass für diese Erhebung einerseits Ressourcen in Form von Arbeitsleistung in Kauf genommen werden. So werden statistische Aufgaben durch das Sekretariat bearbeitet und dort Personen dafür explizit mit Aufgaben betraut (In2, 215). Andererseits wird nicht deutlich, inwieweit diesbezüglich in den Schulen auch neue Stellen zu bewirtschaften sind. Die Antworten zu Statistik beinhalten weiterhin die Aussage, dass die Bewältigung dieser externen Anforderung mit einer Trennung von Rolle und Person einhergeht; z.B. erfolgt eine Erhebung der Daten teilweise trotz Fehlen von persönlichem Interesse– „…das wird bearbeitet, aber eben nicht … nicht mit dem großen Herzblut“ (In2, 253). Skalenerträge werden – basierend auf den Aussagen der Probanden – in der Art erzielt, dass durch überschulische Koordination bestimmte Statistiken und die Weiterbearbeitung der Daten optimiert wurden, was zu einer größeren Effizienz führt:

„...die kultusministerielle Bürokratie ist ja auch in der Stelle ein Stück vorangekommen, bis vor wenigen Jahren haben wir die gleichen Daten an mehrere Stellen liefern müssen, weil die verschiedenen Stellen untereinander die Daten nicht austauschen konnten. Inzwischen ist hier offensichtlich ein technologischer Fortschritt auch passiert, sodass wir die wesentlichen Daten nur noch einmal im Jahr liefern müssen… und die dann innerhalb des Systems entsprechend aufbereitet und weitergeben werden.“ (In14, 89).

Betrachtet man als externes Veränderungsfeld die EDV, welche 6 von 7 Merkmalen betrifft, so erfolgt an den Schulen eine Transformation des EDV-Einsatzes mit dem bürokratischen Merkmal des spezialisierten Personals. Die Befragten geben an, dass hierzu an der einzelnen Schule Systembetreuer benannt werden, die sich neben ihrer Tätigkeit als Lehrer der Betreuung der EDV widmen, wofür sie eine Stundenermäßigung für zu haltenden Unterricht bekommen. Weiterhin wird geäußert, dass zur Bearbeitung verschiedener digitalisierter Prozesse (z.B. Stundenplanung, digitales Klassenbuch, Noteneingabe) Spezialkenntnisse notwendig sind, die bestimmte Softwarekenntnisse bei den Kollegen voraussetzen (In5, 68). Eine Besetzung der jeweiligen Stellen (EDV-Beauftragter, Stundenplanung) ist oftmals als Funktionsstelle an Hierarchiefragen gebunden, da diese mit Karriereoptionen verbunden sind. Veränderung im Bereich EDV bedingen auch die Notwendigkeit neue Regeln und Verfahren einzuführen. In den Interviews finden sich Aussagen zu Vorgaben zur digitalen Erreichbarkeit von Kollegen – die sich ausgeweitet hat (In24, 6) – sowie personellen Fragen bei Nichtbeherrschung von Computertechnik (In1, 32). Der angebrachte Aspekt des Datenschutzes in Zusammenhang mit EDV beinhaltet wiederum die Dokumentation von Menschen und Büchern:

„…wir lassen uns von allen Schülern seit einigen Jahren schon schriftlich geben, dass sie damit einverstanden sind, dass geschossene Bilder im Jahresbericht auf der Homepage veröffentlicht werden dürfen, auch von den Kollegen lassen wir uns diese Einverständniserklärung geben“ (In24, 152).

Durch den in den Interviews oftmals betonten vermehrten EDV-Einsatz an Schulen, und auch da EDV zunehmend als Unterrichtsmedium und -gegenstand an Relevanz gewinnt, werden dem Bereich Ressourcen beispielsweise in Form von Ausstattung (In24, 134) und Schulungsmaßnahmen (In24, 154) zugewiesen. Skaleneffekte bei der bürokratischen Transformation des EDV-Einsatzes werden erzielt, indem die Schulen versuchen, sich standardisierte EDV-Lösungen anzueignen. Dies geschieht beispielsweise durch den Aufbau von Systemen zum Datenmanagement an den Schulen, das einen effizienteren Zugriff auf mittels EDV gespeicherte Daten ermöglicht. In diesem Zusammenhang wird aber wiederholt kritisiert, dass kein gemeinsames System vorliege und jede Schule eigenen Tools nutze (In14, 36).

Im Zusammenhang mit dem Einsatz der EDV sind an den Schulen aber auch zirkuläre Prozesse zu beobachten: Neben den genannten Transformationen der EDV mittels bürokratischer Merkmale gibt es in den Interviews Hinweise auf erhebliche Veränderungen bei den einzelnen bürokratischen Merkmalen selbst, die durch die EDV entstehen. Beispielsweise erfolgt eine Digitalisierung der Dokumentation und der Durchführung von Verfahren: Die Dokumentation kann mittels digitalem Absentenheft (In2, 239) vorgenommen werden und Verfahren wie Erstbewerbungsverfahren (In5, 284) erfolgen auf digitalen Kommunikationswegen. Zudem sei eine genauere Dokumentation möglich (In11, 33), wobei sich gleichzeitig die Informationsflut vergrößert – z.B. durch ein CC-Setzen bei Mails (In16, 232) und die Zunahme an Datenerfassung (In6, 36). Die Interviewten führen an, dass EDV bezüglich der Skalenerträge neue Möglichkeiten und Herausforderungenfür die Speicherung und Dokumentation mit sich bringt und dass der Einsatz von EDV die Aufbewahrung und Verfügbarkeit von Dokumenten verbessert (In2, 215). Sie geben auch an, dass Skalenerträge in diesem Zusammenhang bei automatisierten Prozessen auftreten, z.B. dem Errechnen von Noten (In17, 108) oder dem Erstellen einer gemeinsamen Datei mit Unterrichtsmaterial (In17, 108).

Bezüglich der Reaktion der Schulen auf Veränderungen der Schülerklientel/Inklusion lassen sich die Aussagen der Probanden 4 der 7 bürokratischen Merkmale zuordnen. Zur Integration von spezifischen Schülergruppen oder zur Durchführung von Inklusionsprozessen führen die Probanden an, das teilweise spezialisiertes Personal – beispielsweise Sozialarbeiter – eingesetzt oder angefordert wird (In11, 113). Für einzelne Maßnahmen zur Integration von bestimmten Zielgruppen wird thematisiert, dass diese spezifischen vorgegebenen Regelungen in Form von Zuteilungen von Schülern an Schulen (In6, 5) oder Zugangsvoraussetzungen unterliegen. Ein in den Interviews angeführtes Beispiel beschreibt, dass für Schüler, die im Rahmen von Inklusion an einem Ausbildungsberuf teilnehmen wollen, verbindliche Zugangsvoraussetzungen in Form von vorhandenen Regeln gelten können:

„…eine andere Familie zum Beispiel, die möchte ihrer Tochter zur Kinderpflegerin anmelden und ignoriert völlig, dass es da bestimmt Eingangsvoraussetzungen gibt.“ (In15, 64).

Weiterhin geben Befragte an, dass auf eine Veränderung bei der Schülerklientel auch mit bestimmten vorliegenden Verfahren – beispielsweise mit der Durchführung von Lehrerkonferenzen – reagiert wird:

„Wir haben zunehmend Schülerprobleme. Ich war erst gestern bis viertel nach Sieben in einer Konferenz, wo es also wirklich um einzelne Schüler gegangen ist, die zum Teil verwahrlost in die Schule kommen – deren soziales Umfeld ist katastrophal. Die zum Teil durchaus die Leistungen erbringen, aber ansonsten spricht man da von der Notwendigkeit einer Therapie, einer Begleitung, ein Herausnehmen aus der Familie.“ (z.B. In11, 73).

Weiterhin äußern die Probanden, dass eine von höheren Dienstebenen geforderte schriftliche Dokumentation von Merkmalen der beteiligten Schüler vorgenommen wird:

„…wie ist die Wechselhaftigkeit von ehemaligen Ostblockschülern? Wohin ist er hingegangen, welche Erfahrungen haben Sie, hat sich der besser integriert als ein Türke?“ (In2, 253).

Ein weiteres hierzu angeführtes Beispiel ist das geforderte Erfassen und Dokumentieren der Sprachschwierigkeiten von Asylbewerbern, welche an der Schule unterrichtet wurden (In6, 153). Entsprechend den Antworten aus den Interviews erfolgt eine regelbasierte Zuweisung von Ressourcen (z.B. Jugendsozialarbeit), um die einzelnen Programme durchzuführen und auf Veränderungen bei der Schülerklientel zu reagieren:

„Wir bekommen wieder eine neue Kraft… das ist jetzt etwas, das uns da sehr hilft. Es ist allerdings eine 2/3 Stelle … also zu wenig.“ (In11, 113).[9]

Es wird zudem in den Interviews dargelegt, dass Schulpflichtige den Schulen zugeteilt werden – z.B. Schüler mit Asylstatus (z.B. In6, 34). Aussagen zu einer Transformation, welche die bürokratischen Merkmale Hierarchie und formale Autorität oder das Erzielen von Skalenerträgen betreffen, werden in den Interviews zu dieser Anforderungsveränderung nicht getroffen.

In Bezug auf Veränderungen im Bereich Didaktik, der 6 der 7 analysierten Merkmale bürokratischer Organisationen betrifft,wird in den Interviews angemerkt, dass bereits ein länger andauernder Entwicklungsprozess vorliegt, der Aspekte des Unterrichts (z.B. Schülerselbsttätigkeit) betrifft (In1, 44), und mit dem auf veränderte Rahmenbedingungen, wie beispielsweise die Lernfeldorientierung, reagiert wird (In5, 118). Die Befragten führen hierzu Beispiele an, dass sich dieser Absatz auch auf die Spezialisierung des Personals auswirkt:

„Wir haben den Lernfeldunterricht viel stärker in der Berufsschule umgesetzt… Der Fachlehrereinsatz hat sich verändert. Während er früher mehr praktisch orientiert gewesen ist, durchdringt er jetzt auch die theoretischen Lerninhalte, d.h. die Fachlehrer sind jetzt in einem ganz anderen Spannungsfeld an der Schule beschäftigt, als noch vor vielen Jahren. Sie … haben auch andere Unterrichtsformen in Ihrem Programm, als noch vor vielen Jahren“ (In22, 24).

Hierarchie und formale Autorität tritt in diesem Zusammenhang bei der verpflichtenden Setzung von Regeln und Verfahren auf, die beispielsweise bei der Erstellung von didaktischen Jahresplänen (In14, 102) und angeordneten Verfahren in der Lehrerausbildung beobachtbar sind. Hier spielen z.B. Regelungen aus dem QmbS eine Rolle, welche die Unterrichtsqualität beeinflussen, da sie Teamteaching und Hospitationen anstoßen (In8, 71). Weiterhin reglementieren curriculare Veränderungen (z.B. Lernfelder) die Anforderungen (In22, 24). Es wird angegeben, dass den genannten Veränderungen Widerstände bei Lehrkräften, eingefahrene Routinen aufzugeben, entgegenstehen können:

„Wer schon 30, 40 Jahre im Schuldienst gewesen ist, und dann kam dieses Thema, hatte nicht unbedingt die große Bereitschaft, sich hier größeren Veränderungsprozessen zu unterziehen, Ausnahmen bestätigen die Regel“ (In14, 102).

Die Dokumentation von Menschen und Büchern erfolgt beispielsweise durch die verpflichtende Erstellung von didaktischen Jahresplänen (In6, 133). Eine Verteilung und Buchung von Ressourcen erfolgt in der Weise, dass für die Verbesserung der Didaktik Ressourcen zur Verfügung gestellt werden – z.B. Freistellung und Vertretungen bei Fortbildungen (In12, 179). Hierbei wird nach Interviewaussagen eine Effizienz von Skalenerträgen in der Art erreicht, dass im Rahmen kollektiver Fortbildungen eine verbesserte Lehrerqualifikation bewirkt wird (In2, 174).

4.3 Spezifik der beruflichen Schulzentren

Bezüglich der Spezifika beruflicher Schulen, die sich aus dem QmbS ergeben, wird auf die vorstehenden Erläuterungen verwiesen, die u.a. eine Neujustierung hierarchischer Strukturen, eine Spezialisierung von Personal, regelgeleitete Evaluationsverfahren und eine verstärkte Dokumentationstätigkeit thematisieren. Für diese Schulen wird darüber hinaus angeführt, dass die Erweiterte Autonomie, die eine von vorgegebenen Verfahren unabhängigere Verteilung und Verbuchung von Ressourcen beinhaltet, zur Möglichkeit einer besseren Anpassung an betriebliche Erwartungen und Erfordernisse der komplexen Schulorganisation führe:

„innerhalb des dann erhaltenen Lehrerbudgets kann ich vor Ort auch eine Klasse unterhalb der Teilungsgrenze bilden. … normalerweise ist ein Berufsgang – mal als Beispiel – 35 Schüler… hat man zwei Klassen. Bricht der aus konjunkturellen Gründen mal ein und man ist vielleicht jetzt zum Beispiel bei 30, hat aber genügend lokale Signale, dass es im nächsten Jahr wieder hochgeht, dann ist es schulorganisatorisch auch den Betrieben gegenüber eigentlich besser, wenn man auch dieses Jahr mit der Durststrecke durchhält, trotzdem zwei Klassen bildet.“ (In14, 71).

Allerdings kann diesem Interviewpartner zufolge das Abweichen von regelgeleiteten Verfahren gerade für diese Schulform auch in dem Sinne problematisch sein, dass Skalenerträge abgebaut werden:

„Regeln braucht das System dann, wenn es zum Missbrauch käme, dass auf diese Weise eine Schule langjährige Minderklassen führen würde. Gerade bei Berufen die an einer Schule sehr schwach sind und wo aus egoistischen oder auch lokalpolitischen Gründen ein solcher Berufszweig an einer Schule zwingend gehalten werden soll, würde es aber zu Lasten des Gesamtsystems gehen, wenn man dann über viele Jahre – als Beispiel – Klassen mit nur zwölf Schülern bilden würde.“ (In14, 71).

Für die neue Anforderung der Lehrerbeurteilung werden insbesondere mit der Beruflichkeit zusammenhängende Probleme einer hinreichenden Spezialisierung des Beurteilungspersonals genannt:

„Wir sind eine IT-Schule, Sie beurteilen hier Diplom-Informatiker, die wir angestellt haben in einem hochspezialisierten Bereich, der ungefähr an die Universitätsausbildung, mindestens Grundstudium, also mindestens Bachelor, herangeht, und das hat mit möchte ich mal sagen mit einer einfachen Unterrichtsbeurteilung dann nichts mehr zu tun.“ (In25, 12).

Im Zusammenhang mit der Lehrerbeurteilung wird hier aufgrund der fachlichen Problematik die Einführung einer mittleren Führungsebene und damit eine verstärkte Hierarchisierung als relevant erachtet (In 25, 6), wobei dies die oben beschriebenen ressourcenbezogenen Implikationen nach sich zieht.

In den Bereichen Statistik – etwa aufgrund der Heterogenität der Schülerklientel, der Bildungsgänge und Schulformen – und EDV – z.B. aus fachlichen Gründen besonders elaborierte Softwareanforderungen – sind eine Vielzahl an Spezifika beruflicher Schulzentren denkbar; diese werden in den Interviews jedoch nicht zum Ausdruck gebracht.

Veränderungen in der Schülerklientel werden in den beruflichen Schulzentren laut Probandenaussagen durch wechselnde Verfahren abgefedert:

„Die Beschulung von Schülern, die keine Lehrstelle haben. Da gibt es jedes Jahr auf Vorschlag von wem weiß ich nicht, verschiedene Modelle. Einmal EU geförderte, dann gibt es wieder von Bayern geförderte, dann dürfen nur bestimmte Schüler hinein gehen, nur mit Schwierigkeiten beim Sprachhintergrund, oder das oder das. So, das macht man ein Jahr, dann meint man jetzt hat man es, dann wird es wieder gestrichen. Solche Dinge belasten, das ist für mich auch Bürokratie“ (In2, 257).

Es liegt nahe, hier ein erhöhtes Aufkommen an Dokumentation der betreffenden Schülerinnen und Schüler durch Antragstellung, Zuweisung der Betroffenen und Rechenschaftslegung zu vermuten. Hinsichtlich der Veränderung der Schülerklientel durch Inklusion ergibt sich eine aus der Integration von teilzeit- und vollzeitschulischen Bildungsgängen resultierende Konstellation in den beruflichen Schulzentren. Diese bedingt, dass die beruflichen Schulzentren – anders als reine Berufsschulen – von der Veränderung in vergleichbarer Weise tangiert sein können, wie allgemeine Schulen; aus diesen Grund können die zuvor beschriebenen inklusionsbezogenen bürokratischen Transformationsprozesse nach Aussage aus den Interviews überhaupt erst relevant werden:

„Ich hatte eigentlich bisher zum Thema Inklusion die Meinung, dass die Betriebe uns ein bisschen davor bewahren ... Aber da wir verschiedenen Schularten haben ohne Betriebe, also Schulische Berufsausbildung, dann ein BGJ, ohne Ausbildungsbetriebe, bin ich jetzt mit Schülern konfrontiert, die für eine berufliche Ausbildung eigentlich überhaupt nicht geeignet sind…“ (In15, 60).

Für den Bereich Didaktik deuten die Interviewaussagen darauf hin, dass in den beruflichen Schulzentren selbst Bürokratisierungsprozesse im Sinne von Spezialisierungen von Personen, Dokumentation der Vorbereitungsunterlagen und regelmäßigen Verfahren, um die Vielfalt der zu unterrichtenden Spezialgebiete zu bewältigen, stattfinden:

„In der Berufsschule gibt es also Fachbereiche, die können sich, die haben sich gut organisiert, indem die Lehrer sich Spezialgebiete gesucht haben und die halt unterrichten und dann halt möglichst ja, umfassend. Dass die den ganzen Bereich ordentlich haben und nicht immer von Jahr zu Jahr irgendwo anders hin springen und sich ständig neu vorbereiten müssen“ (In3, 58).

Damit ergeben sich auch Hinweise auf schulspezifische Skalenerträge. Besonders herauszustellen ist hier jedoch die Eigenheit des Lernfeldansatzes, der nach Aussage eines Probanden dazu beiträgt, dass sich veränderte Gewichtungen in den Spezialisierungen des Personals entwickeln; die damit verbunden Prozesse laufen der bisherigen Hierarchisierung des Personals entgegen und es deuten sich Implikationen für die Zuweisung von Ressourcen an:

„Wir haben den Lernfeldunterricht viel stärker in der Berufsschule umgesetzt, die Kooperation mit den Betrieben ist stärker geworden. Der Fachlehrereinsatz hat sich verändert; während er früher mehr praktisch orientiert gewesen ist, durchdringt er jetzt auch die theoretischen Lerninhalte, d.h. die Fachlehrer sind jetzt in einem ganz anderen Spannungsfeld an der Schule beschäftigt, als noch vor vielen Jahren. Sie nehmen teil an Unterrichtskürzungen und haben auch andere Unterrichtsformen in Ihrem Programm, als noch vor vielen Jahren, also hier ist eine Annäherung an den höheren Dienst festzustellen“ (In22, 24)

Tabelle 4 fasst Bereiche zusammen, in denen sich aus den Interviews besondere Spezifika der beruflichen Schulen gegenüber den allgemeinen Schulen, aber auch gegenüber reinen Berufsschulen ergaben. Deutlich wird insbesondere der Aspekt des spezifischen Personals. Wie aus den Darstellungen zu den einzelnen Veränderungsbereichen deutlich wird, weist insbesondere dieser Aspekt auch Implikationen für die anderen bürokratischen Merkmale auf, insbesondere die Ressourcenverteilung sowie Fragen der Hierarchie.

Tabelle 4: Spezifik beruflicher Schulzentren

Merkmal von Bürokratie

 

Veränderung von Anforderungen

Spezialisiertes Personal

Hierarchie und formale Autorität

Regeln und Verfahren

Dokumentation von Menschen und Büchern

Verteilung und Verbuchung von Ressourcen

Trennung von Rolle und Person

Effizienz durch Skalenerträge

Erweiterte

Autonomie/QM

X

X

X

X

X

   

Lehrerbeurteilung

X

X

   

X

   

Statistische Anfragen

             

EDV

             

Schülerklientel/ Inklusion

X

 

X

X

X

   

Didaktik

X

X

X

X

X

 

X

5 Fazit

Der vorliegende Beitrag zielt auf die Frage ab, inwieweit und in welcher Weise hier Veränderungen externer Anforderungen als Regelfall in bürokratische Merkmale transformiert werden. Darüber hinaus wird gefragt, inwiefern angesichts ihrer schulorganisatorischen Komplexität und polyfunktionalen Einbettung eine Spezifik beruflicher Schulzentren gegenüber allgemeinen Schulen, aber auch reinen Berufsschulen vorliegt.

Die qualitativen Befunde der von den Verfassern dieses Beitrags durchgeführten Interviewstudie deuten im Sinne der Ausgangsthese und der theoretischen Überlegungen darauf hin, dass aktuelle Reformen in bayerischen beruflichen Schulzentren, die den bürokratischen Charakter dieser Schulen verändern sollen, faktisch auf unterschiedliche Weise zu einer Verstärkung von Bürokratie im Sinne eines „erhöhten Verwaltungsaufwandes“ führen. Das heißt, sie scheinen – unabhängig von der Art der veränderten Außenanforderung – durchgängig ein Mehr an Regeln, Dokumentationserfordernisse und eine neue Verteilung von Ressourcen nach sich zu ziehen. Zusätzlich bringen sie aber zumeist auch spezialisiertes Personal und hierarchische Kontrollprozesse mit sich. Allerdings werden nicht für alle Veränderungsbereiche auch Veränderungen im Bereich der analysierten bürokratischen Merkmalsaspekte genannt. Insbesondere scheint die Trennung von Rolle und Person aus Sicht der befragten Schulleiterinnen und Schulleiter am ehesten in der Bearbeitung statistischen Anfragen und in der Lehrerbeurteilung zum Tragen zu kommen und weniger in eher „pädagogiknahen“ Anforderungen wie der Didaktik, aber auch im Umgang mit Veränderungen im Bereich EDV. Inwiefern dies durch die Zuständigkeit der Schulleiterinnen und Schulleiter, oder aber durch ein stark pädagogisches Rollenverständnis (WARWAS 2013) bedingt ist, kann auf Basis der Interviews nicht geklärt werden. Skalenerträge werden am ehesten in einheitlichen Strategien zum Umgang mit der EDV gesehen. Inklusionserfordernisse scheinen sich bislang nicht in zusätzlichen Hierarchisierungstendenzen niederzuschlagen. Ebenfalls nicht genannt werden Bestrebungen zur Einrichtung spezifischer Funktionsstellen oder aber die Identifikation und Ausbildung spezialisierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Bearbeitung der wachsenden Anzahl statistischer Anfragen, einschließlich solcher politischer Natur.

Besonders zu erwähnen ist als Resultat aus den vorstehenden Analysen die zirkuläre Wirkung der EDV. Es wird nicht nur der Umgang mit Hard- und Software in eine Steigerung bürokratischer Merkmale transformiert, sondern die EDV scheint auch diese Merkmale selbst zu verändern, indem sie z.B. digitale Dokumentationen und beschleunigte digitale Verfahrensabläufe ermöglicht und somit auch ein erleichtertes Wiederfinden vorhandener Daten. Hier führt sie gleichzeitig zu einer verbesserten Möglichkeit des Datenaustauschs und als Konsequenz auch zu einer vereinheitlichten, systematischen Erfassung von Daten durch höhere Verwaltungsebenen; eine Beschleunigung statistischer Abfragen scheint eine resultierende Tendenz zu sein.

Für die beruflichen Schulzentren ergeben sich spezifische Reaktionen auf Anforderungen in den Bereichen Erweiterte Autonomie/Qualitätsmanagement sowie Lehrerbeurteilung, Schülerklientel/Inklusion und Didaktik. Eine Reihe von Bürokratisierungstendenzen resultiert hier aus dem Berufsbezug der Schulen. So sind spezifisches Personal zur fachlichen Lehrerbeurteilung, eine fachliche Spezialisierung sowie eine dokumentierte langfristige Planung im Bereich Didaktik erforderlich. Bürokratisierungstendenzen zuwider laufen insbesondere betriebliche Anforderungen, etwa im Bereich des flexiblen Umgangs mit dem Klassenteiler i.R. der Erweiterten Autonomie. Diese Entwicklungen können aber auf systemischer Ebene der mit der Erweiterten Autonomie intendierten Effizienz entgegenstehen. Denkbare spezifische Wirkungen in den Bereichen statistische Anfragen und EDV werden von den Probanden nicht genannt; möglicherweise wird die Problematik hier eher analog zu anderen – auch allgemeinen Schulformen – gesehen.

Die vorgelegte Studie wurde in theoriegenerierender Absicht im Sinne einer Übertragung schultheoretischer Erkenntnisse auf deutsche berufliche Schulzentren durchgeführt und ermöglicht dementsprechend keine empirisch-quantitative Prüfung der erarbeiteten Zusammenhänge. Im Weiteren wären verstärkt Studien erforderlich, die quantifizierende Aussagen zu den Reaktionen auf Veränderungen in einzelnen Anforderungsbereichen ermöglichen. Der Gewinn dieser Studie liegt in der Illustration der vielfältigen bürokratischen Transformationsmechanismen in den beruflichen Schulzentren.

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[1]    Für Weber (1980, 562f.) ist die bürokratische Organisationsform die effizienteste Form zur Aufrechterhaltung legitimer Herrschaft, da sie in Anbetracht der Massengesellschaft rationales Verwaltungshandeln ermöglicht.  

[2] Der o.g. Aspekt „Monopol“ wird im Weiteren in der empirischen Untersuchung nicht behandelt, da er nicht Gegenstand einer bürokratischen Transformation innerhalb der einzelnen Schulorganisation ist, auf die in dieser Untersuchung abgezielt wird.

[3] Sehr vereinzelt werden relevante Veränderungen gezählt, die von den Befragten im Laufe des Gesprächs thematisiert wurden.

[4] Bei Profilschulen handelt es sich um Schulen, die an einem freiwilligen Schulversuch (Profil 21) teilnahmen, der eng mit Qualitätsmanagementaspekten verknüpft ist. Weitere Informationen zum abgeschlossenen Modelversuch finden sich unter: http://www.bildungspakt-bayern.de/projekte/profil-21-implementation/

[5] Zwar kann hier nicht von einer Formalisierung im Sinne einer eigenen Stellenstruktur gesprochen werden. In diesem Zusammenhang kann jedoch darauf hingewiesen werden, dass Entwicklungen in diese Richtung möglich sind und z.B. im Berliner beruflichen Schulsystem bereits vorliegen; hier werden Qualitätsbeauftragte, Abteilungsleiter und Fachbereichsleiter beruflicher Schulen in ihrer Tätigkeit über eine formale Zuordnungsrichtlinie (ZuordRL) von Stellen abgegrenzt.

[6] Für die Interpretation, dass hier hierarchische Sanktionsmechanismen vorliegen, spricht die Tatsache, dass angegeben wurde, dass nicht verbeamtete (In11, 89) bzw. vereinzelt auch ältere Lehrer (In13, 52) weniger leicht in den QmbS-Prozess eingebunden werden können (In).

[7] QmbS-Beauftragte erhalten Stundenermäßigungen für ihre Tätigkeiten.

[8] Aus den Interviews geht hervor, dass standardisierte Datenabfragen – durch Optimierung der Datenweitergabe bei höheren Dienstbehörden –, sowohl zu besseren Routinen, als auch zur Steigerung des Dokumentationsaufwandes – durch schnellere Zugriffsmöglichkeiten mittels standardisierter EDV-Abläufe – führen können (In10, 174; In14, 89).

[9] Es lässt sich hierzu feststellen, dass Schulen fehlende Ressourcen befürchten, um Inklusion zu leisten (z.B. in Klassen mit vielen Personen, die unter den Inklusionsaspekt fallen (In18, 32).

 

Zitieren des Beitrags

WITTMANN, E./ DORMANN, M. (2014): Bürokratisierung als Regelfall? – Eine Interviewstudie zur Umsetzung externer Anforderungen in beruflichen Schulzentren. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 25, 1-22. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe25/wittmann_dormann_bwpat25.pdf  (24-03-2014).