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bwp@ Ausgabe Nr. 21 | Dezember 2011
Qualität und Qualitätsmanagement in der Berufsbildung
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 21 sind Karin Büchter, Franz Gramlinger & Karl Wilbers

Der Ausbilder als Akteur der Qualitätsentwicklung - BiBB-Modellversuch „ProfUnt“ zur Qualitätsentwicklung in der betrieblichen Berufsausbildung

Beitrag von Manfred ECKERT, Claudia MÜLLER & Tom SCHRÖTER (Universität Erfurt)

1 Qualität der Berufsausbildung – ein kritischer Rückblick

Seit einiger Zeit hat der Begriff „Qualität“ in die berufsbildungspolitische und berufspädagogische Diskussion Einzug gehalten. Im Modellversuchsprogramm des BiBB stehen Projekte zur Qualitätsentwicklung und -sicherung im Vordergrund. Im Bereich der industriellen Produktion ist das Thema Qualitätsentwicklung und Qualitätsmanagement schon längere Zeit vorherrschend. Mit der Übernahme in den berufspädagogischen Diskussionskontext entsteht hier scheinbar ein völlig neues Diskussions- und Gestaltungsfeld. Jedoch so gänzlich neu ist die Diskussion um die Qualität der Berufsausbildung nicht. Schon in den 60er Jahren sind erste Studien vorgelegt worden, die sich mit der Frage der Qualität der Berufsausbildung befassen. Zu erinnern ist zum Beispiel an die Untersuchung von LEMPERT und EBEL (1965), die unter dem Thema: „Lehrzeitdauer, Ausbildungssystem und Ausbildungserfolg“ zu dem Ergebnis kommt, dass „… die Lehrzeit noch weitgehend eine ‚Leerzeit‘ ist, die für eine intensive Ausbildung genutzt werden könnte!“. Ähnlich kritisch sind die Studien von LUTZ und WINTERHAGER (1970), die „Hamburger Lehrlingsstudie“ (CRUSIUS 1973, DAVITER 1973), und nicht zuletzt auch die von ABEL (1963). Aus heutiger Sicht könnten die Ergebnisse dieser Studien auch als „mangelhafte Qualität der Ausbildung“ zusammengefasst werden. Dabei stand die zu geringe pädagogische Systematisierung der betrieblichen Ausbildung im Mittelpunkt der Kritik. Das Modell der handwerklichen „Beilehre“ habe ausgedient, so hat ABEL das genannt. Das alles hatte zu heftigsten berufsbildungspolitischen Auseinandersetzungen geführt. Berufsbildungspolitische Meilensteine wie die Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes und die Einrichtung des Bundesinstituts für Berufsbildungsforschung – wie es damals hieß – sind Folgen dieser Auseinandersetzungen. Pädagogisierung und Systematisierung der beruflichen Ausbildung sollten die Qualität der Ausbildung steigern. Freilich sind diese Bestrebungen bis in die neueste Zeit durch die Forderung nach einem Abbau „ausbildungshemmender Vorschriften“ wie zum Beispiel das Aussetzen der Ausbildereignungsverordnung (AEVO) immer wieder konterkariert worden.

Heute steht „Qualitätssicherung“ als pädagogischer Begriff im Kontext der Diskussionen und der Modelle zur „neuen Steuerung“ des Bildungssystems. Darin liegt das Interesse an einer kontinuierlichen Verbesserung und Effizienzsteigerung des Systems. Wichtige Elemente wie Ziel- und Leistungsvereinbarungen sind zunächst darauf gerichtet, den „output“ des Systems zu steigern. Auf den ersten Blick ist das eine zahlenmäßige Steigerung, die aber gleichzeitig auch Ansprüche an die „Produktqualität“ erfüllen muss.

Ein wesentlicher, auch hinter dieser Überlegung stehender Grundgendanke ist keineswegs neu. Unter dem Stichwort „Evaluation“ ist er schon in den 70er Jahren im Rahmen der umfangreichen Diskussionen über die Curriculumtheorie aufgeworfen worden: Hier ging es um die Überprüfung der Wirksamkeit und die Erreichung der gesetzten curricularen Ziele. Seitdem hat sich ein umfangreiches Aktionsfeld der Evaluationsforschung entwickelt. Evaluation gehört heute zu den Standards der Projektentwicklung und -implementation.

2 Qualitätsverständnis

Auf den ersten Blick lassen sich gegen diese Konzepte der Wirksamkeitsüberprüfung pädagogischer Angebote kaum Einwände formulieren. Unter dem Stichwort „Qualität“ lässt sich jedoch sehr Unterschiedliches verstehen. Als Frage nach der Erreichung gesetzter Ziele tendiert dieses Denken zu einem technokratischen Modell, das sich auf die Erhebung des „outputs“ konzentriert. Dass natürlich gerade pädagogische Angebote darüber hinaus auch weitere Wirkungen erzielen können, die in ihrer Programmatik vielleicht gar nicht vorgesehen sind, steht außer Frage. Zweifelsohne können alle Aktivitäten nicht nur Folgen, sondern auch Nebenfolgen haben, die teils positiv, teils negativ eingeschätzt werden müssen. Denn gerade im pädagogischen Bereich kommt es darauf an, die Komplexität dieses Handelns zu bedenken. Pädagogisches Handeln richtet sich auf Individuen, die in ihre jeweils eigenen Entwicklungs- und Sozialisationsprozesse eingespannt sind, die in sozialen Milieus leben und je individuelle persönliche Entwicklungsziele anstreben. Die Förderung solcher individuellen Entwicklungswünsche ist im berufspädagogischen Handeln von besonderer Bedeutung. Fragen der Abstimmung der beruflich/betrieblichen Erfahrungswelt mit den individuellen Wünschen und Potenzialen sind berufsbildungstheoretisch immer von großer Bedeutung gewesen. Diese Balance in der Abstimmung zwischen individuellen Voraussetzungen und institutionellen Bildungsangeboten hat KERSCHENSTEINER schon vor über hundert Jahren als „Grundaxiom des Bildungsprozesses“ (1917) sehr exponiert hervorgehoben. Im pädagogischen Pragmatismus (DEWEY 1993) lässt sich diese Position wiederfinden.

Das hier skizzierte Qualitätsverständnis, die gelingende Abstimmung pädagogischer Angebote auf individuelle Potenziale, hat weitreichende Folgen. Im Kontext der Schule geht es hier immer um Differenzierung des Unterrichts und der Lernprozesse, im betrieblichen Lernen um die lernförderliche Gestaltung von Arbeitsplätzen. Arbeitsorganisation und Personalentwicklung werden – seit langem – in deutlichen Zusammenhängen gesehen. Berufs- und betriebspädagogisch liegen hier zentrale Aufgabenfelder, deren Gelingen aus unserer Sicht den Kernbestand der Qualität der Ausbildung markieren (vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG 2009).

Mit dieser Orientierung wird ein enges personalwirtschaftliches Output-Denken relativiert. Die Bereitstellung qualifizierten Personals ist nicht das Ziel, sondern eine Nebenfolge, die sich ergibt, wenn individuelle Lern-, Entwicklungs- und Bildungsprozesse erfolgreich organisiert werden! Interessant ist, dass jetzt nicht nur die berufspädagogischen Ziele, sondern gerade auch ihre Gegensätze unter Qualitätsgesichtspunkten bedeutsam werden. So kann fraglos als Qualitätsindikator gelten, Ausbildungsabbrüche zu vermeiden. Andererseits kann es vorteilhaft sein, einen individuell sinnvollen Ausbildungsabbruch - als Korrektur einer Fehlentscheidung - rechtzeitig herbei zu führen und konstruktiv zu begleiten (vgl. HEISLER 2008).

Unter Qualitätsentwicklungsgesichtspunkten treten jetzt zwei Dimensionen in den Vordergrund: Erstens der konstruktiv-systematische Aspekt. Am Beispiel der Ausbildungsabbrüche lässt sich zeigen, dass eine gute Werbung für die Ausbildungsmöglichkeiten eines Betriebes, das Engagement in der schulischen Berufswahlvorbereitung durch Informationen, Besichtigungen und Praktika, eine gute Einstellungsstrategie, eine gute Übergangsbetreuung etc. das Risiko einer falschen Berufs- und Betriebswahl minimieren. Hier ist konzeptionelle und kooperative Arbeit erforderlich. Zweitens erfordert jede konzeptionelle Neuorientierung ein reflexives Umgehen mit den erzielten Ergebnissen, den Folgen und den Nebenfolgen – und zwar in Bezug auf jeden einzelnen Fall! Ein gutes Konzept kann am einzelnen Fall scheitern, das erfordert Korrekturen. Folglich muss die Reflexion der Ergebnisse auf die konzeptionelle Ebene zurückwirken. Qualitätssicherung ist – in dem hier vorgetragenen Sinne – ein konstruktiver, aber auch ein reflexiver und vor allem dialogischer Prozess.

Ein weiterer, in diesem Zusammenhang wichtiger Aspekt ist die Herstellung von Transparenz in Bezug auf das betriebspädagogische Handeln der Ausbildenden. Für ein Qualitätsverständnis, das allein den Output als Maßstab des Erfolges heranzieht, ist die Qualität der pädagogischen Prozesse nur von geringer Bedeutung. Sie können in einer „black-box“ verbleiben, solange sie die gewünschten Ergebnisse hervorbringen. Das ändert sich, wenn Ausbildung mit weniger geeigneten Jugendlichen durchgeführt wird. Angesichts des viel höheren Misserfolgsrisikos (Abbrüche, Misserfolge in der Abschlussprüfung) muss die Prozessqualität der Ausbildung weitaus mehr als ein Beurteilungsmaßstab in den Vordergrund treten. Dass aber setzt voraus, dass das berufs- und betriebspädagogische Handeln der Ausbildenden weitaus weniger als früher auf intuitive Handlungsstrategien aufgebaut werden kann. Begründbares pädagogisches Handeln ist nur als konzeptionell orientiertes Handeln vorstellbar. Das setzt einerseits die Entwicklung expliziter pädagogischer Konzepte voraus und erfordert andererseits auch die bewusste Reflexion und die kritische Betrachtung intuitiver pädagogischer Handlungsweisen. Nur so lässt sich prüfen und begründen, ob diese Handlungsweisen den Anforderungen an eine qualitativ hochwertige Ausbildung entsprechen. Das aber ist besonders wichtig, wenn „schwierige“ Jugendliche ausgebildet werden sollen. Angesichts des erhöhten Risikos des Scheiterns einer Ausbildung kommt es darauf an, die Qualität der pädagogischen Prozesse und des pädagogischen Handelns unter Beweis zu stellen und damit legitimieren zu können – und zwar unabhängig davon, ob die Ergebnisse immer dem Gewünschten entsprechen.

Wenn Qualitätssicherung in diesem Sinne verstanden wird, dann ist sie deutlich mehr als nur ein Programm zur Verbesserung der Ausbildungsergebnisse. Sie bietet die Möglichkeit, riskante berufspädagogische Entscheidungen zu legitimieren. Riskant ist zum Beispiel das Einstellen von Jugendlichen, die nicht optimal für die Ausbildung geeignet sind und die einer besonderen Förderung bedürfen. Riskant sind auch Toleranzstrategien gegenüber Verhaltensweisen Jugendlicher, die nicht der betrieblichen Ordnung entsprechen. Ausweisbare Programme und Strategien zur Auswahl von Jugendlichen, zur systematischen Lern- und Entwicklungsförderung, zum Umgang mit Konflikten, zur Entwicklung von Kompetenzen etc. werden das Ausbilderhandeln auf lange Sicht erheblich erleichtern.

3 Qualität eines Sozialisationsprozesses – die Sozialisationsfunktion des Ausbilders

Sozialisationsprozesse können pädagogisch intendierte und nicht intendierte Wirkungen enthalten. Deswegen ist es schwer, von „Qualität von Sozialisationsprozessen“ zu sprechen. Außer Frage steht, dass die betriebliche Berufsausbildung mit solchen Sozialisationsprozessen angefüllt ist (LEMPERT 2006), und dass sie von den Ausbildenden unterschiedlich gestaltet werden können. Damit sind die Ausbildenden zugleich jene berufspädagogischen Akteure, die den Übergang von familialen und schulischen Sozialisationsmilieus und jugendkulturellen Alltagswelten in die soziale Welt des Betriebes gestalten. Besonders in den Ausbildungswerkstätten sind es die Ausbildenden, die die betrieblichen Normen, die Interaktionsformen und die Disziplinarordnung repräsentieren. Sie zeigen Umgangsformen, die für die Jugendlichen neu und fremd sein können. Damit organisieren sie einen Sozialisationsprozess, der für den problemlosen Übergang in den Betrieb sehr bedeutungsvoll ist. Im Rahmen der Sozialisation in Ausbildungswerkstätten besteht die Chance, die neuen Anforderungen im Hinblick auf die Auszubildenden und ihre Übergangsprobleme in gewissen Grenzen pädagogisch flexibel zu handhaben. Ausbildende können so auf verschiedene Auszubildende unterschiedlich reagieren und die betrieblichen Umgangsformen und Leistungsanforderungen - in einem begrenzten Maße - pädagogisch gestalten. Hier liegt der Spielraum und zugleich das Spannungsfeld des Ausbilderhandelns: einerseits auf die strenge Ordnung des Betriebes vorzubereiten und andererseits tolerant gegenüber den Wünschen und Vorstellungen der jungen Auszubildenden zu sein. Bei der Ausbildung „schwieriger“ Jugendlicher kommt es darauf an, genau dieses Spannungsfeld neu zu gestalten und die Gestaltungsspielräume berufspädagogisch zu nutzen.

In Zeiten großer Ausbildungsnachfrage und eines großen Angebots an Bewerbern konnte dieser Spielraum klein gehalten werden. Es wurden Jugendliche gewonnen, die sich aufgrund ihrer Sozialisationserfahrungen leicht in den Betrieb und die damit verbundenen Anforderungen integrieren lassen. Hier werden pädagogische Arbeitsweisen entfaltet, die eher intuitiv funktionieren. Sie bilden teilweise die eigenen Einmündungs- und Betriebserfahrungen der Ausbildenden ab und prägen die Umgangsweisen in der Ausbildung. In dem Moment, in dem diese Lage sich verändert, weil „schwierigere“ Jugendliche in die Ausbildung eintreten, sind solche intuitiven Modelle überfordert. Gefragt sind Konzepte der betrieblichen Integration dieser Jugendlichen. In der Benachteiligtenförderung und ihren spezifisch organisierten Bildungseinrichtungen ist hier über mehrere Jahrzehnte das Modell der sozialpädagogisch orientierten Berufsausbildung entstanden, verbunden mit einer großen Expertise im Umgang mit „schwierigen“ Jugendlichen. In der betrieblichen Ausbildung fehlen solche Konzepte weitgehend. Das verwundert nicht, weil es bisher durchaus möglich war, eine relativ große Selektivität zu entfalten, denn es standen genügend Nachfrager zur Verfügung. Das ändert sich zurzeit. Jetzt sind Konzepte gefragt, mit denen auch scheinbar weniger geeignete Jugendliche in die betriebliche Ausbildung integriert werden können. An die Stelle der Selektivität muss die Integration treten.

Unter Qualitätsgesichtspunkten ist diese Anforderung vielschichtig: Die pädagogische Konzeptentwicklung erfordert den Blick auf die Sozialisationserfahrungen und die Leistungspotenziale junger Menschen. Das Problem ist jedoch, dass sich die Lebenswelten Jugendlicher und das Jugendalter selbst in großer Schnelligkeit verändern (HURRELMANN 2009). Lebensformen und Interaktionsweisen wandeln sich radikal. Jugendliche sind die ersten, die sich neue Kommunikationsformen durch neue Medien aneignen. Ihre Bilder über die Arbeitswelt vermitteln sich über ihre Medien, über die Erfahrungen ihrer Eltern und ihre sozialen Milieus, deswegen sind sie sozial gebrochen und müssen keineswegs der Realität entsprechen. Schlimmer noch: sie können dazu führen, dass junge Menschen ihre durch den demografischen Wandel eröffneten beruflichen Entwicklungschancen verkennen. Hier muss konzeptionell auf diese unterschiedlichen Veränderungen reagiert werden, wenngleich sie nur schwer zu erfassen sind. Gleichwohl sind solche Konzepte entwickelbar. Sie betreffen den gesamten Übergang von der Schule in die Arbeitswelt, welches keineswegs ein wirklich neues Thema ist. Zudem sollte eine berufliche Orientierung einschließlich einer Vision, wie die eigene Berufsbiographie verlaufen soll, berücksichtigt werden. Es braucht neue Konzepte zur Lernförderung wie auch zur Bewältigung schwieriger Situationen im Ausbildungsalltag sowie eine erfolgreiche Organisation der Prüfungsvorbereitung.

Da aber angesichts der unübersichtlichen Lage solche Konzepte keinesfalls wie ein technischer Bauplan realisiert werden können, sondern in der Interaktion mit jungen Menschen umgesetzt werden müssen. Dabei erfordern sie die oben bereits angesprochene Reflexivität und Dialogbereitschaft. Pädagogische Konzepte definieren keineswegs nur Handlungsstrategien und -methoden, sie richten sich vielmehr auf ein Situationsverstehen, insbesondere auf die vielfältige Kette von Situationen, in die der junge Auszubildende im Betrieb hinein gerät. Situationen sind immer ein Zusammentreffen von objektiven Gegebenheiten und Erwartungen mit subjektiven Erklärungs- und Deutungsmustern und Handlungspotenzialen. Diese beiden Pole der jeweiligen Situation miteinander zu vermitteln, ist die pädagogische Herausforderung an die Kompetenz der Ausbildenden. In dieser angesprochenen Vermittlung liegt immer auch ein gewisses Maß an Individualsierung von Bildungs- und Ausbildungsprozessen. Zugleich steht hinter dieser Vorstellung ein Kompetenzverständnis, das sich keineswegs nur auf instrumentell-methodische Dimensionen des Handelns konzentriert, sondern auf ein Verstehen der situativen Kontextbedingungen und auf ein situations- und subjektangemessenes Handeln (vgl. VONKEN 2005).

Dieses Verständnis greift das Modellprojekt „ProfUnt“ auf und versucht dieses den Ausbildenden zu verdeutlichen.

4 Das Modellprojekt „ProfUnt“ – Professionalisierung der Ausbildungsakteure/-innen in Thüringer Unternehmen

Das Projekt „ProfUnt“ ist ein Modellversuch des Bundesinstituts für Berufsbildung und wird im Schwerpunkt „Entwicklung und Sicherung der Qualität der betrieblichen Aus- und Weiterbildung“ gefördert. Die Finanzierung erfolgt aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. „ProfUnt“ wird von 4 Partnern in einem Projektverbund durchgeführt und richtet sich an Ausbilderinnen und Ausbilder in Thüringer Unternehmen. Zu diesem Verbund gehören neben der Universität Erfurt die Eichenbaum GmbH in Gotha, der Verband der Metall- und Elektro-Industrie Thüringen e.V. in Erfurt, die Tibor EDV Consulting GmbH in Weimar und. Der Modellversuch wird seit dem 15.11.2010 für die Dauer von 2,5 Jahren durchgeführt.

4.1 Der erste Grundgedanke: Die nachhaltige Prozesskette

Im Modellprojekt „ProfUnt“ werden die beiden oben angesprochenen Ebenen der Qualitätssicherung berücksichtigt. Einerseits geht es um die konzeptionelle Entwicklung von Ausbildungsabschnitten, die insgesamt nach der Vorstellung einer „nachhaltigen Prozesskette der Berufsausbildung“ miteinander verknüpft werden können.

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Abb. 1:   Die nachhaltige Prozesskette der Berufsausbildung als sozialer Prozess

Besondere Schwerpunkte liegen im Einmündungsprozess, im Prozess während der Ausbildung und im Übergangsprozess, der die Ausbildung beendet und den Einstieg in Beschäftigung eröffnet. Alle drei Ebenen sind vielfach miteinander verbunden. Die gute Gestaltung der Vorphase der Ausbildung, in der die Gewinnung der Auszubildenden aufgrund einer fundierten Berufs- und Betriebswahl, ihre Bindung an den Betrieb und ihre Einmündung sind selbstverständlich mit der Ausbildungsphase selbst und dem Übergang in Beschäftigung verknüpft. Nach dem situationsorientierten Ansatz, der oben dargestellt worden ist, gibt es keine sozialen und personalen Situationen, die nicht mit der Vergangenheit und der Zukunft unhintergehbar verknüpft sind. Ausbildungsentscheidungen verbinden vorgängige Erfahrungen mit Zukünftigem, mit der subjektiven Vorstellung von der Art und Qualität der Ausbildung sowie von den dann folgenden Beschäftigungschancen etc.

Wichtig ist bei der Einschätzung des Programms, dass eine strikte Erfahrungsorientierung realisiert werden soll. So geht es in der Vorphase der Ausbildung darum, aufgrund von Exkursionen und Praktika, aber auch durch Expertengespräche mit Berufsangehörigen, mit Ausbildern und vielleicht auch mit Auszubildenden einen genauen, erfahrungsbasierten Einblick in die Anforderungen und Chancen der jeweils ins Auge gefassten Ausbildung zu erhalten. Auch die Moratoriumszeit zwischen der Unterzeichnung des Ausbildungsvertrages und des Beginns der Ausbildung sollte durch eine Intensivierung der Kontakte zwischen Ausbildungskandidat und Ausbildungsabteilung im Erlebnisraum des jungen Menschen gefüllt werden, um den unglücklichen Mehrfach-Vertragsabschlüssen entgegenzuwirken.

Der Ausbildungsprozess selbst sollte auf eine gut fundierte Berufs- und Betriebswahl aufbauen können. Als berufliches Erfahrungsfeld verstanden, kommt es in der Ausbildung besonders darauf an, Ausbildungsformen zu entwickeln, in die sich der Auszubildende mit seinen Kompetenzen und seinen Vorerfahrungen gut einbringen kann. Deshalb wird der unvoreingenommenen kompetenzorientierten Einschätzung besondere Bedeutung beigemessen. Hier geht es um jenes Konzept, das als „Kompetenzorientierung“ in der Benachteiligtenförderung entwickelt worden ist. An junge Auszubildende müssen Anforderungen gestellt werden, die sie in ihrem Selbstwirksamkeitserleben fördern und ihnen die Bedeutung ihrer Arbeit im Kontext der betrieblichen Arbeitszusammenhänge konkret vor Augen führen. Das spricht für eine Ausbildung in Arbeits- und Geschäftsprozessen und für eine Überwindung von Ausbildungsmodellen, bei denen die Lehrwerkstattausbildung und eine damit verbundene „Arbeit für die Schrottkiste“ im Vordergrund stehen. Der betriebspädagogische Trend geht ohnehin seit längerer Zeit in diese Richtung. Allerdings setzt er nun die pädagogisch-didaktische und methodische Kompetenz voraus, Arbeitsprozesse nach ihren Lernpotenzialen analysieren und ausbildungsbezogen gestalten zu können. Darin liegen neue Anforderungen an das Ausbildungspersonal. Diese Anforderungen werden noch dadurch verstärkt, dass den Ausbildenden selbst eine neue Funktion zukommt. Sie geben die konkrete Ausbildungsfunktion zunehmend an betriebliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab, die primär im Arbeitsprozess stehen und zugleich für den Arbeitseinsatz der Auszubildenden und damit mittelbar auch für die Ausbildung große Verantwortung übernehmen (BRATER 2011). Plakativ formuliert: Die Ausbildenden werden zu Anleitern der Anleiter.

Die Entwicklung innerbetrieblicher Ausbildungsaufgaben im Rahmen des Arbeits- und Geschäftsprozesses stellt selbst hohe Anforderungen und wird ein längerer Entwicklungsprozess werden. Immerhin lassen sich genau hier berufstheoretische Wissensbestände anlagern, die teilweise im Betrieb, teilweise auch in den Berufsschulen angeeignet werden können. Die Verzahnung von berufspraktischer Erfahrung mit berufstheoretischen Wissensbeständen ist ein altes berufspädagogisches Programm, das auch in den Diskussionen um die Lernortkooperation aufleuchtet. In der aktuellen Diskussion geht es nicht mehr um Formen der Veranschaulichung oder der Anwendung berufstheoretischen Wissens, auch nicht um die Erfahrungsbasierung eines Lernprozess in der Schule, sondern um Handlungszusammenhänge, in denen das berufstheoretische Wissen unmittelbarer Bestandteil beruflicher Handlungen wird. Nicht zuletzt geht es auch um die Entwicklung einer beruflichen Identität, bei der neben der in beruflichen Handlungen organisierten Kompetenzerfahrung auch die Perspektive entwickelt wird, wie sich berufliche Handlungsfelder weiterentwickeln und welche Optionen für die persönliche berufliche Entwicklung daraus entstehen können.

Zum Ausbildungsprozess gehören auch personale und soziale Kompetenzen. Sie werden durch eine kommunikative Organisation der Arbeits- und Ausbildungsprozesse zu entwickeln sein. Allerdings gehört in dieses Feld auch der Umgang mit Konflikten, die im Rahmen der Ausbildung entstehen. Einerseits zielt die Sozialisationsfunktion der Ausbildung darauf ab, junge Menschen in die Struktur des Betriebes zu integrieren. Das ist als besondere Funktion der Ausbildenden bereits angesprochen worden. Indes ist zu erwarten, dass junge Menschen aus schwierigeren sozialen Milieus heute nicht mehr konfliktfrei in Ausbildungsprozesse integriert werden können. Dabei steht völlig außer Frage, dass Betriebe nicht nach dem Muster sozialpädagogischer Ausbildungseinrichtungen konzipiert werden können. Der Toleranzspielraum gegenüber abweichenden Verhaltensweisen ist zwar gegenüber sehr traditionell orientierter betrieblichen Ausbildung sicher größer geworden, aber strukturell sind hier nach wie vor klare Grenzen gezogen, die die Ausbildenden vor neue Herausforderungen stellen. Fraglich ist aber, ob das klassische Sanktionsinstrumentarium, das auch im Arbeitsrecht seine Verankerung hat, hier sinnvoll anzuwenden ist. Immerhin behält der Auszubildende seinen Anspruch auf eine besondere Fürsorgepflicht des Ausbildenden, und im Interesse an einer Verhinderung vorzeitiger Ausbildungsabbrüche muss hier immer nach der pädagogischen Zweckmäßigkeit von Sanktionsmaßnahmen gefragt werden. Die Fähigkeit, mit Konflikten und Verhaltensabweichungen konstruktiv umgehen zu können, ist Teil der pädagogischen Qualität der betrieblichen Ausbildung. Dabei ist heute sicher viel mehr als früher auf einsichtfördernde und Konsequenzen aufzeigende Interaktionen abzuzielen und von mechanischen Sanktionsmechanismen Abstand zu nehmen. An die Stelle der traditionellen Unterordnung muss eine Einordnung in die betrieblichen Strukturen gefördert werden. Darin liegt auch die Chance, individuelle Wünsche und Problemlagen pädagogisch aufnehmen zu können und sie mit den betrieblichen Anforderungen vermitteln zu können. Betriebe sind keine sozialpädagogischen Einrichtungen, aber sie sollten von den Handlungsstrategien der sozialpädagogisch orientierten Berufsausbildung lernen und sie für die Zwecke der betrieblichen Ausbildung nutzbar machen.

Insgesamt schließt eine lernförderliche Gestaltung der Ausbildungssituationen auch die Fragen des erfolgreichen Abschlusses der Ausbildung und die weiteren beruflichen Beschäftigungs- und Karrieremöglichkeiten mit ein. Solche Fragen stellen sich keineswegs erst nach dem Abschluss der Ausbildung, sie wirken vielmehr in die Ausbildung selbst hinein, in dem sie eine Berufsidentität festigen, die auch dazu beitragen kann, mögliche Schwierigkeiten in der Ausbildung besser bewältigen zu können. Mit anderen Worten: hier liegt ein bedeutsamer motivationsstabilisierender Faktor. Angesichts der Vielfalt der wechselseitigen Bezüge wird für dieses Modell „ganzheitlicher“ Anspruch formuliert.

4.2 Der zweite Grundgedanke: Ausbilder-Weiterbildung

Der Kern des Modellversuchs „ProfUnt“ ist ein Weiterbildungskonzept, bei dem fünf Themenbereiche im Mittelpunkt stehen, die sich auch an der dargestellten Prozesskette orientieren. Ein Workshop nimmt die Fragen der Einmündungsproblematik auf, ein weiterer bezieht sich auf Fragen einer kompetenzorientierten Einschätzung junger Menschen. Hier geht es darum, Stärken junger Menschen zu erkennen und mit ihnen zu arbeiten, um diese weiter zu fördern. Kompetenzerfassung wird hier nicht als Selektionsinstrument verstanden. Verbunden damit ist eine Arbeitseinheit, die sich mit kompetenzfördernden Arbeitsprozessen, -aufgaben und -arrangements befasst und die durch Entwicklungskonzepte personaler und sozialer Kompetenz ergänzt werden. Eine auf Qualität und Qualitätssicherung bezogene Arbeitseinheit schließt die Weiterbildungsreihe ab.

An der Weiterbildungsreihe nehmen derzeit 29 Ausbilderinnen und Ausbilder aus 16 unterschiedlichen Betrieben und Branchen teil. Angesichts des teilweise sehr hohen Erfahrungspotenzials und des betrieblichen Erfolgsdrucks ist Teilnehmer- und Erfahrungsorientierung ein Grundprinzip der Weiterbildungsreihe. Dabei zeigt sich, dass einerseits ein großer Innovationsdruck besteht, dass andererseits bei vielen Betrieben aber auch klare Strategien entwickelt werden, um junge Menschen, die nicht das Maximum an beruflicher und betrieblicher Passfähigkeit mitbringen, in allen Phasen der Ausbildung gut zu betreuen und zu fördern.

Bemerkenswert ist, dass die Problemkontexte unterschiedlich sind. Eindeutig sind die Befunde, dass die Bewerberzahlen zurückgehen und des Öfteren keine geeigneten Bewerberinnen und Bewerber gefunden werden können. Jugendliche bringen schlechtere Voraussetzungen mit, manche Ausbildungsstellen können nicht besetzt werden und zudem kommt es vor, dass Ausbildungsstellen nicht angetreten werden. Für betriebliche Ausbilder ist dieser Zustand unbefriedigend. Sie sind an guter Ausbildung in hohem Maße interessiert, und es gibt eine deutliche Bereitschaft, sich auf die Situation einzustellen. Unsicher ist allerdings die Einschätzung, ob sich hier einzelne Problemlagen besonders zuspitzen oder ob es einer Reform der Grundstruktur bedarf, wie es die oben dargestellte Prozesskette vorschlägt. Ausbildende, die eher Einzelprobleme – besonders im Bereich der Disziplin – wahrnehmen, erwarten Rezeptwissen, um diese Einzelprobleme bewältigen zu können. Dabei wird verkannt, dass die angesprochenen Einzelprobleme häufig Ausdruck einer insgesamt reformbedürftigen Struktur sind. Das Projekt „ProfUnt“ hat mit seiner „Prozesskette“ und dem Konzept der Individualisierung von Lernprozessen gegenüber einem Modell der „Einzelprobleme“ einen ganzheitlichen Reformansatz.

4.3 Das Qualitätsverständnis im Projekt „ProfUnt“

An den Problemlagen und Problemverständnissen, wie sie von den Ausbildenden vorgetragen werden, wird sehr gut deutlich, von welchem Qualitätsverständnis das Projekt getragen wird. Es geht nicht darum, einzelne Problemlagen als singuläre Ereignisse zu verstehen und dementsprechend auch nicht darum, Handlungspotenziale in Bezug auf die Bewältigung solcher Problemlagen zu vermitteln. Derartige Strategien müssen in ein Gesamtkonzept eingebunden sein, in dem die Prozessqualität der Ausbildung selbst im Mittelpunkt steht. Diese Prozessqualität lässt sich nicht mit einfachen Output-Maßstäben vermessen. Sie bemisst sich vielmehr daran, wieweit es gelingt, auch die nicht optimal vorqualifizierten Jugendlichen in das System aufzunehmen, dabei die spezifischen berufs- und betriebspädagogischen Integrations- und Qualifizierungspotenziale auszunutzen, die Ausbildung selbst lernförderlich zu gestalten und aufgrund der damit gemachten Erfahrungen kontinuierlich zu revidieren.

Literatur

ABEL, H.(1963): Das Berufsproblem im gewerblichen Ausbildungs- und Schulwesen Deutschlands (BRD). Braunschweig.

BRATER, M. (2011): Markanter Rollenwandel beim betrieblichen Ausbildungspersonal. In: Denk-doch-mal. Online-Magazin Arbeit-Bildung-Gesellschaft. Online: http://www.denk-doch-mal.de/node/380  (02-09-2011).

BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG (Hrsg.) (2009): Entwicklung einer Konzeption für eine Modellinitiative zur Qualitätsentwicklung und -sicherung in der betrieblichen Berufsausbildung. Band 4 der Reihe Berufsbildungsforschung. Bielefeld.

CRUSIUS, R. (1973): Der Lehrling in der Berufsschule. Fachliche Unterweisung und politische Bildung im Urteil der Lehrlinge. Hamburger Lehrlingsstudie der Hochschule für Wirtschaft und Politik, Hamburg. Bd. 1. München.

DAVITER, J. (1973): Der Lehrling im Betrieb. Hamburger Lehrlingsstudie der Hochschule für Wirtschaft und Politik, Hamburg. Bd. 2. München.

DEWEY, J. (1993): Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik. Übersetzt von Erich Hylla. Weinheim, Basel.

ECKERT, M./ HEISLER, D./ NITSCHKE, K. (2007): Sozialpädagogik in der beruflichen Integrationsförderung. Band 2: Handlungsansätze und aktuelle Entwicklungen. Münster, New York, München, Berlin.

HEISLER, D. (2008): Maßnahmeabbrüche in der beruflichen Integrationsförderung. Paderborn.

HURRELMANN, K. (2009): Schülerinnen und Schüler stärken! Was sagt dazu die Jugendforschung? In: MINISTERIUM FÜR BILDUNG, JUGEND UND SPORT (Hrsg.): Qualitätsentwicklung von IOS- Schulprojekten, Online: www.esf.brandenburg.de/sixcms/media.php/bb3.c.214310.de  (22-11-2011).

JOAS, H. (1996): Die Kreativität des Handelns. Frankfurt a. M.

KERSCHENSTEINER, G. (1917): Das Grundaxiom des Bildungsprozesses und seine Folgerunen für die Schulorganisation. Berlin.

LEMPERT, W. (2006): Berufliche Sozialisation. Persönlichkeitsentwicklung in der betrieblichen Ausbildung und Arbeit. Baltmannsweiler.

LEMPERT, W./ EBEL, H. (1965): Lehrzeitdauer, Ausbildungssystem und Ausbildungserfolg. Grundlagen für die Bemessung des Zeitraums der Ausbildung bis zum Facharbeiterniveau. Freiburg i. Br.

VONKEN, M. (2005): Handlung und Kompetenz. Theoretische Perspektiven für die Erwachsenen – und Berufspädagogik. Wiesbaden.


Zitieren dieses Beitrages

ECKERT, M. et al. (2011): Der Ausbilder als Akteur der Qualitätsentwicklung - BiBB-Modellversuch „ProfUnt“ zur Qualitätsentwicklung in der betrieblichen Berufsausbildung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 21, 1-12. Online:  http://www.bwpat.de/ausgabe21/eckert_etal_bwpat21.pdf  (20-12-2011).


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