Partner von bwp@: 
  SAP University Alliances Community (UAC)   giz - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit    Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.    Österr. Konferenz für Berufsbildungsforschung       

bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT08 - Elektrotechnik-Informatik & Metalltechnik
Herausgeber: Ulrich Schwenger, Falk Howe, Thomas Vollmer, Martin Hartmann & Wilko Reichwein

Titel:
Kompetenzen und Karrierewege in elektrotechnischen und metalltechnischen Berufen


Konzeptionelle Überlegungen für ein Weiterbildungssystem in der Domäne der Energieberatung für Europa

Beitrag von Simon HEINEN, Martin FRENZ, Raymond DJALOEIS & Christopher M. SCHLICK (RWTH Aachen University)

Abstract

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich in Deutschland gravierende Veränderungen in der Beschäftigungsstruktur ergeben. Die heutigen beruflichen Tätigkeiten erfordern eine hohe Dynamik und Flexibilität in den Berufen. Auch im Zuge der Globalisierung wechseln Arbeitnehmer sehr viel häufiger als früher die Arbeitgeber, oft auch überregional und zunehmend auch europaweit. Damit einher geht die Forderung nach einem einfachen Zugang zu neuen Bildungswegen sowie nach einer europaweiten Vergleichbarkeit der Qualifizierungen. Die Gebäudeenergieberatung auf mittlerer Qualifikationsebene ist prototypisch für einen Wandel der beruflichen Arbeitsaufgaben in gewerblich-technischen Berufen zu einer zunehmenden Dienstleistungs- und Kundenorientierung. Die Energieberatung als neue Branche ist geprägt durch Unstrukturiertheit und Heterogenität der beruflichen Vorqualifikationen. Es existiert derzeit ein vielschichtiges, zum Teil intransparentes Angebot an Fort- und Weiterbildungen. Der Zusammenhang zwischen bestimmten Ausgangsberufen auf mittlerer Qualifikationsebene und angebotenen Fort- und Weiterbildungen im Bereich der Energieberatung ist häufig unklar. Der Beitrag fokussiert den Übergang von einer mittleren Qualifikationsebene/ Facharbeiterausbildung in ein nach Niveaustufen differenziertes Weiterbildungssystem der Energieberatung und zeigt Gestaltungsmöglichkeiten der Qualifizierungswege auf, die eine Anknüpfung an den europäischen Qualifikationsrahmen besitzen.

1 Einleitung

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich in Deutschland gravierende Veränderungen in der Beschäftigungsstruktur ergeben. Diese Veränderungen sind geprägt durch einen Wandel von der Dominanz einer Industrie- hin zu einer Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft. Auch gewerblich-technische Berufe sind immer stärker geprägt durch eine Dienstleistungsorientierung. Die heutigen beruflichen Tätigkeiten erfordern eine hohe Dynamik und Flexibilität in den Berufen, u. a.  aufgrund sich immer schneller wandelnder und komplexer werdender technologischer, organisatorischer, rechtlicher Rahmenbedingungen. Auch im Zuge der Globalisierung wechseln Arbeitnehmer sehr viel häufiger als früher die Arbeitgeber, oft auch überregional und zunehmend auch europaweit. Die Bedeutung lebenslangen, regelmäßigen Lernens in allen Bildungsbereichen steigt enorm. Damit einher geht die Forderung nach einem einfachen Zugang zu neuen Bildungswegen sowie nach einer europaweiten Vergleichbarkeit der Qualifizierungen. Dazu muss die Durchlässigkeit zwischen den Bildungssystemen und Bildungswegen erhöht werden. Für die berufliche Bildung ist die Verzahnung mit dem allgemeinbildenden Bereich aber auch den Hochschulen von besonderer Bedeutung. Derzeit existieren jedoch noch viele Barrieren, insbesondere in Deutschland sind die Bildungsgänge traditionell stark voneinander abgegrenzt. Zugänge zu Bildungsangeboten sind oft eng an formale Qualifikationen gebunden.

Es gibt eine Vielzahl berufsspezifischer Weiterbildungsmöglichkeiten für gewerblich-technische Metall- und Elektroberufe, eine davon sind Weiterbildungen zum Gebäudeenergieberater, z. B. für Elektrotechniker, Installateure und Heizungs- , Kälteanlagen- , Metall- , Ofen- und Luftheizungsbauer. Steigende Energiepreise und neue Energiegesetze haben den Bedarf an Energieberatungsdienstleistungen in Deutschland rapide ansteigen lassen. Daher qualifizieren sich viele Facharbeiterinnen und Facharbeiter des gewerblich-technischen Bereichs zu Gebäudeenergieberatern weiter.

Der Beitrag fokussiert, basierend auf Überlegungen zur Gestaltung von Übergängen im deutschen Bildungswesen, den Übergang von einer mittleren Qualifikationsebene/ Facharbeiterausbildung in ein nach Niveaustufen differenziertes Weiterbildungssystem der Energieberatung. In die Überlegungen sind auch Erfahrungen aus der Neugestaltung des IT-Weiterbildungssystems Mitte der 90er Jahre eingeflossen (HEINEN/ FRENZ/ DJALOEIS/ SCHLICK 2010a). Auch dort war damals die Aus- und Weiterbildungssituation strukturell undurchsichtig und wurde in ein modulares Aus- und Weiterbildungssystem überführt.

Weiterhin werden zentrale Gedankengänge des Deutschen und Europäischen Qualifikationsrahmens aufgegriffen. Im Rahmen der Diskussion um lebenslanges Lernen und der zunehmenden Internationalisierung von Bildungs- und Arbeitsmärkten stellen ein flexibler Zugang zu formalen Qualifikationen, eine Transparenz der nationalen Qualifikationssysteme und eine damit verbundene Vergleichbarkeit von Qualifikationen wesentliche Aspekte dar. Bildungswege werden zunehmend individueller. Ebenso gewinnt die Anerkennung nicht formal oder informell erworbener Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten an Bedeutung. Als Umsetzungshilfe, um diese Aspekte in Bezüge zu setzen, werden Qualifikationsrahmen gesehen (HANF/ REULING 2001). Der europäische Qualifikationsrahmen (EQR) bietet in diesem Kontext ein gemeinsames europäisches Referenzsystem, über welches die verschiedenen nationalen Qualifikationssysteme und -rahmen miteinander verknüpft werden sollen. Ziel ist es, Qualifikationen grenzüberschreitend verständlicher zu machen. Auf 8 Niveaustufen werden Qualifikationen vom Pflichtschulabschluss bis zu Qualifikationen aus akademischer und beruflicher Aus- und Weiterbildung abgebildet. Alle Qualifikationsniveaus sollen grundsätzlich auf verschiedenen Bildungs- und Karrierewegen erreichbar sein. Der EQR verlagert den Fokus von einer Input- hin zu einer Outputorientierung und beschreibt somit Lernergebnisse, also die Fachkenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen, welche zur Ausübung der Tätigkeit tatsächlich notwendig sind (EUROPÄISCHE KOMMISSION 2008). An die 8 Niveaustufen des EQR soll entsprechend der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) für eine umfassende, bildungsbereichübergreifende Einordnung von Qualifikationen im deutschen Bildungssystem anknüpfen. Der DQR beschreibt auf abstrakter Ebene fachliche und personale Kompetenzen zur Erlangung einer Niveaustufe (AK DQR 2011, 4).

Diese skizzierten Ansätze des EQR und DQR sollen in unsere Gestaltungsempfehlungen für einen nach Niveaustufen differenzierten Qualifizierungrahmen der Gebäudeenergieberatung eingebunden werden. Es werden somit Gestaltungsmöglichkeiten der Qualifizierungswege aufgezeigt, die eine Anknüpfung an den europäischen Qualifikationsrahmen besitzen und somit eine europaweite Vergleichbarkeit der Qualifizierungen ermöglichen. Dies wird vor dem Hintergrund thematisiert, die Durchlässigkeit des Weiterbildungssystems gestalten und verbessern zu können. Es erfolgt bezogen auf eine Situationsorientierung als durchgängiges Strukturierungsprinzip, um die Inhalte eines Weiterbildungssystems zu strukturieren und auch gegebenenfalls modularisieren zu können.

In diesem Beitrag wird basierend auf einer Analyse der derzeitigen Weiterbildungssituation in Kapitel 2 die Notwendigkeit aufgezeigt, die beruflichen Handlungsfelder der Energieberatung zu erheben. Den Handlungsfeldern wird dabei eine Bildung für nachhaltige Entwicklung als curricularer Leitgedanke zugrunde gelegt (Kapitel 3). In Kapitel 4 werden die entwickelten Handlungsfelder vorgestellt. In Kapitel 5 wird die Erhebung überfachlicher Fähigkeiten als Ergänzung zu den fachlichen Anforderungen an die Energieberatung vorgestellt. In Kapitel 6 wird an diese Erkenntnisse anschließend ein Beispiel für die Deckungsanalyse mit den in unseren Studien entwickelten Handlungsfeldern vorgestellt. Abschließend werden in dem Beitrag die Ergebnisse zu einem Gestaltungsvorschlag für einen Qualifizierungsrahmen und Möglichkeiten der Vernetzung der Bereiche Ausgangsqualifikation auf mittlerer Qualifikationsebene, Weiterbildungssystem und tertiäre Bildung für die Energieberatung aufgezeigt (Kap. 7).

2 Ausgangslage: Unstrukturiertes Weiterbildungssystems in der Gebäudeenergieberatung

2.1 Derzeitige Marktsituation in der Gebäudeenergieberatung

Der Markt der Gebäudeenergieberatung auf mittlerer Qualifikationsebene für Wohngebäude ist sehr jung und unstrukturiert. Er weist ein hohes Entwicklungspotential auf. Steigende Energiepreise und die novellierte Energieeinsparverordnung (EnEV), zu der auch der inzwischen zur Pflicht gewordene Energieausweis gehört, haben den Bedarf an Energieberatung in Deutschland enorm wachsen lassen. Unter der Bezeichnung „Energieberatung“ werden derzeit zahlreiche unterschiedliche Dienstleistungen angeboten. Sie reichen von Beratungen zum Nutzerverhalten, Energie-Checks, Ausstellen von Gebäudeenergieausweisen, Vor-Ort-Beratung in Wohngebäuden bis hin zu detaillierten Analysen auf Basis von thermischen Simulationen, etc. (s. o.). Die heute geltenden Gesetze und Verordnungen geben, von der Erstellung von Energieausweisen abgesehen, keinen Aufschluss über die Qualifikation von Energieberatern oder die Inhalte der Dienstleistungen. Bis heute fehlen verbindliche Definitionen für Energieberatungsleistungen. Durch Fördermittelgeber wie die KfW oder die BAFA werden lediglich einzelne Energieberatungsleistungen definiert. In den Förderrichtlinien der Programme werden die Voraussetzungen für die Förderung von Energieberatungen festgelegt. Die Energieberatungsbranche ist sehr schnelllebig. Beispielsweise ändern sich Energiegesetze (Energieeinsparverordnung EnEV) und Förderprogramme schnell und häufig. Auch bei technologischen Entwicklungen gibt es viele Neuerungen, die einen systematischen und strukturierten Zugang zu lebenslangem Lernen und kontinuierlicher Weiterbildung erfordern.

Das bedeutet aber nicht, dass Energieberatung auch tatsächlich zu Energieeinsparungen führt. Der Grund liegt unter anderem in einem unzureichenden Verständnis, welche Leistungen erfolgreiche Energieberatung eigentlich umfassen muss. Dazu wurden die Aufgaben und Prozesse erhoben, die für wirksame Energieeffizienzprojekte im Gebäudebereich notwendig sind. Eine der wesentlichen Erkenntnisse dieser Studien ist, dass Energieberatung heute in der Regel zu früh aufhört, d. h. mit der Abgabe und Erläuterung des Beratungsberichts ist die Energieberatung meistens beendet. Eine Überwachung der Ausführung und eine Kontrolle der Ergebnisse erfolgt meistens nicht. Sowohl bei Energieberatern als auch bei Kunden herrscht Unklarheit über die angebotenen Leistungen. Auch bei erbrachten Leistungen bleibt offen, ob der gewünschte Erfolg erzielt worden ist.

2.2 Derzeitige Aus- und Weiterbildung zum Gebäudeenergieberater

Die Energieberatung als neue Branche ist geprägt durch Unstrukturiertheit und Heterogenität. Die Weiterbildung zum Gebäudeenergieberater auf mittlerer Qualifikationsebene (Techniker, Handwerksmeister) zeichnet sich durch eine sehr heterogene Teilnehmerstruktur aus unterschiedlichen Altersklassen und durch eine Grundausbildung in verschiedenen Gewerken des Handwerks aus. Typischerweise arbeiten Energieberater selbstständig und in Teilzeit, sie sind häufig zusätzlich in ihrem ursprünglichen Gewerk tätig. Die Vielzahl unterschiedlicher Ausgangsberufe und das große Spektrum an Tätigkeiten eines Energieberaters (vgl. auch Umfrageergebnisse „typischer Energieberater“, GROSSMANN 2009) führen auch zu einer teilweise geringen Identifikation der Energieberater mit ihrer Profession.

Bislang ist der Beruf als Gebäudeenergieberater ein Weiterbildungsberuf, er schließt auf mittlerer Qualifikationsebene an eine vorherige Ausbildung zum Handwerksmeister oder Techniker an. Einen Ausbildungsberuf zum Energieberater gibt es nicht. Es gibt jedoch keine Anknüpfung an ein bestimmtes Gewerk im Handwerk zu bestimmten Leistungen in der Energieberatung. Auch im tertiären System erfolgt eine Qualifizierung zum Energieberater üblicherweise im Anschluss an ein vorheriges Studium. Ebenfalls fehlt die klare Zuordnung von bestimmten Studienleistungen zu Angeboten in der Energieberatung.

Auf dem Markt gibt es sehr unterschiedliche Energieberatungsdienstleistungen. Gleiche Leistungen werden häufig sowohl von Energieberatern mit Qualifikationen auf mittlerer Qualifizierungsebene als auch von Energieberatern mit (Fach-)Hochschulabschluss angeboten. Die Qualifizierungsanforderungen in Energieberatungsleistungen sind nicht klar voneinander abgegrenzt, z. B. ob für deren Erbringung ein Hochschulzugang notwendig ist, oder ob eine Weiterbildung auf der mittleren Qualifikationsebene die Anforderungen erfüllt. Studien zeigten, dass das Spektrum der beruflichen Ausgangsqualifikationen von Stuckateuren und Tischlern über Schornsteinfeger und Anlagenmechanikern SHK und Bauberufe bis hin zu Architekten und Bauingenieuren reicht. Eine Systematisierung von Fort- und Weiterbildungen im Bereich der Energieberatung ist noch nicht entwickelt worden. Der Zusammenhang zwischen bestimmten Ausgangsberufen auf mittlerer Qualifikationsebene und angebotenen Fort- und Weiterbildungsangeboten im Bereich der Energieberatung ist häufig unklar. Die Fortbildung zum Gebäudeenergieberater der Handwerkskammern bietet beispielsweise eine Liste von 22 zugelassenen Meisterberufen, einige Angebote sind auf mehrere Gewerke spezialisiert, häufig setzen Weiterbildungsangebote jedoch lediglich einen Techniker- oder Meisterabschluss bzw. ein abgeschlossenes Studium ohne eine Spezifikation voraus. Ebenso existiert keine klare Abgrenzung, wie ggf. ein  fachbezogener Hochschulzugang für Energieberater aus der mittleren Qualifikationsebene aussehen könnte.

2.3 Ordnungsmittelanalyse

Für eine umfassende Analyse der heutigen beruflichen Strukturen bietet eine ordnungsmittelbezogene Qualifikationsforschung einen guten Zugang (HUISINGA 2005 und RAUNER 2005). Um systematisch die Curriculumstrukturen der Ausgangsberufe und des Weiterbildungswesens eines Energieberaters zu analysieren, wurde ein Instrument der curricularen Berufsbildungsforschung entwickelt (HEINEN/ FRENZ 2009) und derzeit existierende Ordnungsmittel der Energieberatung in verschiedenen Weiterbildungsangeboten und von Ausgangsberufen auf mittlerer Qualifikationsebene mit diesem Instrument untersucht. Ein zentraler Untersuchungsgegenstand war dabei das den Ordnungsmitteln zugrunde gelegte Strukturierungsprinzip (REETZ/ SEYD 2006).

Die Ordnungsmittel der Fortbildungen zum Gebäudeenergieberater sind überwiegend fachsystematisch strukturiert und folgen damit überwiegend dem Wissenschaftsprinzip. Die Ordnungsmittel der untersuchten Fortbildungen umfassten im Wesentlichen eine Auflistung von fachlichen Inhaltsgebieten und Inhalten. Dabei steht die Vermittlung von reinem Fachwissen im Vordergrund, einen Bezug zu konkreten Arbeitsaufgaben gibt es nur selten. Der Fokus liegt also eindeutig auf Sachkundigkeit in bestimmten Domänen (Wissenschaftsorientierung). Bei diesen Inhalten ist zudem zweifelhaft, ob diese tatsächlich die Kerntätigkeiten eines Gebäudeenergieberaters widerspiegeln und sie sich mit dessen tatsächlichen beruflichen Handlungsfeldern decken. Die Fortbildungen und die Fortbildungsprüfungen zielen zumeist primär auf fundierte Fachkenntnisse und die Sachkundigkeit eines Energieberaters ab. Eine Orientierung an einer Systematik von beruflichen Handlungsfeldern ist nur ansatzweise zu erkennen.

Es standen sich bei den Ordnungsmitteln (Rahmenlehrpläne, Prüfungsordnungen, etc.) der Fortbildung mit einer fast reinen fachsystematischen Darstellung sowie der Ausgangsberufe mit einer durch das Situationsprinzip geprägten Darstellung zwei grundsätzlich unterschiedliche Gestaltungsprinzipien gegenüber. Aussagen zu inhaltlichen Überschneidungen bzw. Schnittmengen in den Handlungsfeldern lassen sich damit nur mit Schwierigkeiten treffen. In der Regel beziehen sich die Handlungsfelder der Ausgangsberufe nicht direkt auf sachliche Inhalte der Energieberatung und lassen daher nur bedingt vergleichende Aussagen zu Überschneidungen und vorhandenen Potentialen aus den Ausgangsqualifikationen zu.

Moderne Curricula folgen üblicherweise einer Situationsorientierung. Mithilfe einer Situationsorientierung kann die Transferleistung, also das oft schwierige Umsetzen der abstrakten Theorie in die Praxis, für den Lernenden erleichtert werden. Es wird direkt an konkreten beruflichen Handlungen und Tätigkeiten gelernt. In den Ausgangsberufen des Handwerks wurde bereits mit der Neuordnung der Berufe (siehe KMK 1999) der curriculare Perspektivenwechsel von der Fächersystematik zur Situationsorientierung vollzogen. In der Energieberatung ist dies noch nicht der Fall. Es besteht die Notwendigkeit, die beruflichen Handlungsfelder zu erheben (Kapitel 4). Diese können dann mit den Handlungsfeldern der Ausgangsberufe verglichen werden (Kapitel 6).

3 Leitgedanke einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung

Auf didaktischer Makroebene erfolgt eine Orientierung an den Leitgedanken einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Energieberater handeln im Spannungsfeld der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (ökonomische Leistungsfähigkeit, ökologische Verträglichkeit und soziale Verantwortung, siehe Abb.1) (DE HAAN/ BORMANN/ LEICHT 2010). Danach muss der Energieberatern dazu in der Lage sein, zwischen komplexen Widersprüchlichkeiten und offenen Zielkonflikten abzuwägen und diese für sich zu bewerten, Entscheidungen zu fällen und entsprechend handeln zu können. Der Zielkonflikt wird durch die drei Dimensionen „Ökonomischer Leistungsfähigkeit“, „Ökologischer Verträglichkeit“ und „Gesellschaftlicher Verantwortung“ beschrieben. Dieses Handeln erfordert neben fachlichen auch im überfachlichen Bereich Kompetenzen (DE HAAN 2010).

 

Abb. 1:   Nachhaltigkeitsdreieck (Eigene Darstellung nach DE HAAN/ BORMANN/ LEICHT 2010)

Zentrales Charakteristikum der Dienstleistungsfacharbeit in der Branche der Energieberatung ist, dass Handlungsfelder mit widersprüchlichen Zielanforderungen im Gegenstandsbereich existieren. Die Dienstleistungsfacharbeit in der Energieberatung ist geprägt durch Zielkonflikte im Gegenstandsbereich, insbesondere begründet durch die Nachhaltigkeitsidee. Der Umgang mit Unbestimmtheiten im Sinne moderner beruflicher Strukturen äußert sich weiterhin insbesondere in einer geringeren Formalisierung, einer Prozessorientierung, hoher Flexibilität und Autonomie (MEYER 2000).

Eine nachhaltige Lösung der Arbeitsaufgaben eines Energieberaters erfordert dabei das Ausbalancieren von Zielkonflikten hinsichtlich der Dimensionen ökologische Verträglichkeit, ökonomische Leistungsfähigkeit sowie gesellschaftliche/soziale Verantwortung. Energieberater müssen mit diesen Zielkonflikten umgehen können und in ihrem Handeln zufriedenstellende, ausbalancierte Lösungen entwickeln können. Für eine erfolgreiche Energieberatung gilt es nicht nur, eine fundierte Lösung für ein Problem zu erarbeiten, sondern diese Lösung dem Kunden auch als hochwertiges Resultat zu vermitteln.

Beispiel: Ein Heizungskonzept, welches z. B. in Hinblick auf niedrigen CO2-Ausstoß optimiert wird, würde eine Holzpelletheizung vorschlagen, die aber sehr viel Feinstaub erzeugt. Falls das Konzept über weitere Abgase (Feinstaub, Stickoxide, Schwefeloxide) optimiert werden soll, empfiehlt sich eine Gasbrennwertheizung mit solarer Warmwasserunterstützung.

4 Studien zur Entwicklung der beruflichen Handlungsfelder in der Energieberatung

Auf der Ebene der Ordnungsmittel (Curricula) legen die Ausgangsgedanken auf didaktischer Makroebene eine größere Verbindlichkeit des Konstruktionsprinzip der Situationsorientierung/ Handlungsorientierung nahe. Eine Analyse des Istzustandes auf mittlere Qualifikationsebene (z. B. Analyse der Fortbildung zum Gebäudeenergieberater im Handwerk) hat deutlich gemacht, dass zurzeit das Wissenschaftsprinzip/ Fächersystematik (Bauphysik, Anlagen- und Gerätetechnik etc.) vorherrscht. Moderne Fort- und Weiterbildungen besitzen hingegen eine handlungsorientierte Struktur und sind durch einen konkreten Bezug zu typischen, beruflichen Arbeitssituationen geprägt.

Für professionelle Strukturen im gesamten Erwerbssystem Energieberatung stellt ein einheitlicher Qualifizierungsrahmen eine notwendige Grundlage dar. Als Kernstück für moderne, handlungsorientierte Fort- und Weiterbildungsstrukturen dienen die beruflichen Handlungsfelder. Deren Entwicklung wird in den folgenden Abschnitten beschrieben.

Entlang der Leistungskette für Energieberatungsdienstleistungen und über den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden muss ein Gebäudeenergieberater verschieden berufliche Arbeitsaufgaben erfüllen. Diese sind als Aufgabenkomplexe in den beruflichen Handlungsfeldern der Energieberatung vollständig dargestellt (siehe Abb.2).

 Initiates file download

Abb. 2:    Berufliche Handlungsfelder in der Energieberatung entlang der Leistungskette (vgl. HEINEN/ FRENZ/ DJALOEIS/ SCHLICK 2010b)

Zentrale Tätigkeiten von Energieberatern in den Handlungsfeldern sind dabei Initialberatung, ENEV-Nachweise und Energieausweis, vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) geförderte Vor-Ort-Beratung für Wohngebäude, Durchführung von Messungen sowie allgemeine Energieberatung.

Klassische Energieberatungsleistungen sind zumeist in der Leistungskette zwischen den Elementen „Marketing, Vertrieb, Akquisition“ und „Konzept erstellen“ angesiedelt. Energieberatung hört heutzutage mit der Konzepterstellung häufig zu früh auf. Viele potentielle Leistungsangebote werden dabei nicht berücksichtigt. In den Bereichen „Konzept erstellen“, „Maßnahmen initiieren und Umsetzung begleiten“ sowie „Erfolgskontrolle / Inbetriebnahmemanagement“ werden kaum an die erbrachten Leistungen anknüpfenden Beratungsdienstleistungen angeboten, obwohl dort ein großes Marktpotenzial vorliegt.

Die Handlungsfelder der meisten heutigen Leistungsangebote sind „Darstellung und Bewertung des Ist-Zustandes“, „Erfassung und Dokumentation des Ist-Zustandes“, „Angebotserstellung“, „Erstkontakt mit dem Kunden“ und „Vorbereitung von Energieberatungsangeboten“. Handlungsfelder, die aus der erweiterten Leistungskette resultieren, sind „Monitoring“, „Begleitung bei der Nutzung“, Begleitung bei der Umsetzung“ sowie eine Erweiterung der Handlungsfelder „Begleitung bei der Planung“, „Erstellung von Modernisierungs- und Energiekonzepten“ und „Führen von Beratungsgesprächen“. Zur Erhebung und Validierung der Handlungsfelder wurden Arbeitsaufgabenanalysen sowie Expertenbefragungen und -workshops durchgeführt (HEINEN/ FRENZ/ DJALOEIS/ SCHLICK 2010b). Diese Systematik von beruflichen Handlungsfeldern in der Gebäudeenergieberatung, welche sich auf die gesamte Leistungskette beziehen, wurde durch Expertenworkshops validiert. Die beruflichen Handlungsfelder strukturieren die Arbeitsaufgaben der Energieberater einer Bedarfs- und Situationsorientierung folgend.

Die Erkenntnis, dass viele potentielle Leistungsangebote nur wenig berücksichtigt werden impliziert auch eine Ergänzung des heutigen Fort- und Weiterbildungsangebotes, um den Anforderungen des Marktes gerecht werden zu können.

5 Erhebung der überfachliche Anforderungen von Energieberatern mit dem Fleishman-Job Analyse System

Das Fleishman Job-Analyse-System (F-JAS) ist ein standardisiertes, eigenschaftsorientiertes Anforderungsanalyseverfahren. Es gilt als erprobtes Standardinstrument zur Untersuchung von Tätigkeiten und dient zur ganzheitlichen Bestimmung relevanter überfachlicher Anforderungen an eine Berufstätigkeitsausführung und kann als Grundlage für Maßnahmen im Bereich der Eignungsdiagnostik, Personalentwicklung und Arbeitsplatzgestaltung herangezogen werden. Referenzstudien zeigen hinreichend reliable Untersuchungsergebnisse auch für kleine Stichproben (KLEINMANN/ MANZEY/ SCHUMACHER/ FLEISHMAN 2010). Als Beurteiler für das Tätigkeitsfeld geeignet gelten dabei Personen mit mehrjähriger Berufserfahrung in der zu untersuchenden Tätigkeit als.

Mit dem F-JAS können die folgenden 5 Bereiche mit insgesamt 73 Skalen untersucht werden: Kognition (21 Skalen), Psychomotorik (10 Skalen), physische Merkmale (9 Skalen), Sensorik/Wahrnehmung (12 Skalen) und soziale/interpersonelle Fähigkeiten und Fertigkeiten (21 Skalen). Die Anforderungen werden auf einer Skala von 1 (keine Ausprägung) bis 7 (sehr hohe Ausprägung) bewertet.

Als Gegenstand der Untersuchung wurden im Rahmen einer Expertenvorauswahl (n=3) die kognitiven sowie sozialen und interpersonellen Anforderungen sowie die Skala Klarheit der Sprache aus dem Bereich Sensorik/Wahrnehmung ausgewählt. Durch die Expertenvorauswahl wurden die weiteren psychomotorischen, physischen und sensorischen Skalen von der Befragung ausgenommen, da bei diesen keine über das normale menschliche Leistungsvermögen hinausgehenden Anforderungen erwartet werden.

Befragt wurden insgesamt 157 Energieberater, die mit der Tätigkeit als Energieberater in den erhobenen Leistungsangeboten vertraut sind und über mehrjährige Berufserfahrung verfügen. Das Alter der Teilnehmer lag zwischen 24 und 71 Jahren. Der Mittelwert liegt bei 49 Jahre. Über ¾ der befragten Energieberater war zwischen 40 und 60 Jahren alt. Rund 80% der befragten Teilnehmer waren männlich. Die Zusammensetzung der Gruppe der Befragten deckt sich gut mit einer umfassenderen Studie „So sieht der typische Energieberater aus“ mit 773 Teilnehmern (GROSSMANN 2009).

Die Auswertung der erhobenen Daten ergab, dass alle Anforderungen auf einer Skala von 1 bis 7 durchschnittlich mit Werten größer 4 bewertet wurden und demnach für die Energieberatertätigkeit bei Vor-Ort-Beratungen wichtig sind (Abb. 3). Als wichtigste Anforderungen wurden insgesamt genannt: Mündlicher Ausdruck (5,8), Zuverlässigkeit (5,7), schriftliches sowie mündliches Verständnis, Freundlichkeit (alle 5,6), schriftlicher Ausdruck, Vermeiden vorschneller Entscheidungen (jeweils 5,5).

 Initiates file download

Abb. 3:   Skaleneinstufungen der Anforderungen aus dem F-JAS für die Gebäudeenergieberatung

Auffällig sind die geringen Schwankungen in der durchschnittlichen Bewertung zwischen den einzelnen Items, mit 26 von 43 Items wurde der Großteil im arithmetischen Mittel größer 4,8 und kleiner 5,3 bewertet (z. B. soziales Feingefühl, Selbstständigkeit, Ordnen von Informationen oder mathematisches Schlussfolgern).

Die recht hohen Standardabweichungen (von 0,9 bis 1,52, durchschnittlich 1,18) legen nahe, dass das exakte Niveau der benötigten Fähigkeiten bei jeder Arbeitsaufgabe fallabhängig schwanken kann, was die Komplexität des Berufes Energieberater noch einmal verdeutlicht.

Die erhobenen Daten verdeutlichen das breite Spektrum an gut ausgeprägten Fähigkeiten und Fertigkeiten, die ein Energieberater bei der Ausübung einer Vor-Ort-Beratung haben sollte. Für die Entwicklung nachhaltiger Lösungen im Rahmen der Arbeitsaufgaben der Vor-Ort-Beratung reichen die reinen fachlichen Kenntnisse nicht aus, ein wesentlicher Bestandteil sind auch die kognitiven sowie sozialen und interpersonellen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Soziale und personale Kompetenzen besitzen also für Energieberater eine große Bedeutung.

6 Deckungsanalyse der Ausgangsberufe mit den beruflichen Handlungsfeldern

Zur differenzierten Betrachtung der mitgebrachten, berufsspezifischen Ausgangsqualifikationen aus den erlernten Berufen für die Tätigkeit als Energieberater wurde im Anschluss an die Ordnungsmittelanalyse aus Kapitel 2 eine Deckungsanalyse mit den entwickelten, beruflichen Handlungsfeldern der Energieberatung durchgeführt.

Für die Deckungsanalyse der beruflichen Handlungsfelder wurden die Inhaltsbereiche der Aufgabenkomplexe nach zwei zentralen Untersuchungskriterien untersucht. Diese Kriterien sind Gebäudeart (Wohngebäude sowie Nicht-Wohngebäude als Neubau oder Bestand) und der Betrachtungszugang für die Energieberatung mit den Merkmalen Gebäudehülle, Technische Gebäudeausstattung (TGA, v. a. Raumheizung, Lüftung, Kälte, Beleuchtung, elektr. Verbraucher, Trinkwarmwasser, Druckluft und Prozesswärme) und kaufmännische Aspekte. Diese Merkmale werden in unterschiedlichen Betrachtungstiefen (Detaillierungsgraden) von einer Übersicht über diese Aspekte, fundierte Fachkenntnisse und Spezialisten-/Expertenkenntnisse abgestuft. Im Fokus der Untersuchung steht dabei nicht die Häufigkeit der Überschneidungen, sondern vielmehr die Genauigkeit, sprich was kann „1zu1“ übernommen werden im Sinne einer direkten Anerkennung.

Abbildung 4 zeigt beispielhaft die Deckungsanalyse der beruflichen Handlungsfelder der Energieberatung mit dem Beruf des Anlagenmechanikers SHK. Es gibt nur wenige Aufgabenkomplexe eines Anlagenmechanikers, die in der Energieberatung ihre Verwendung finden. In vielen Handlungsfeldern gibt es jedoch einige Teilaufgaben und Inhalte, die sich mit den Anforderungen der Tätigkeit als Energieberater decken. Besonders auffällig ist hier, dass kaufmännische und kommunikative Aspekte der Handlungsfelder der Energieberatung im Ausgangsberuf wenig vorhanden sind. Dies betrifft v. a. die ersten beiden Phasen der Leistungskette, z. b. die Handlungsfelder „Führen von Beratungsgesprächen“ und „Angebotserstellung“. Die rot-grün-Unterteilung der Handlungsfelder „Begleitung bei der Planung“, „Darstellung und Bewertung des Ist-Zustandes“ sowie „Begleitung bei der Umsetzung“ ist begründet durch sehr fundierte Kenntnisse des Anlagenmechanikers in den Bereichen der TGA denen kaum Überschneidungen im Bereich der Gebäudehülle gegenüberstehen.

 Initiates file download

Abb. 4:   Deckungsanalyse Anlagenmechaniker SHK mit den beruflichen Handlungsfeldern der Energieberatung

Als zentrales Unterscheidungskriterium für die Ausgangsberufe haben sich in unseren Studien generell die Aspekte Gebäudehülle und TGA herausgestellt. Eine zentrale Erkenntnis der Studien ist, dass sich die erlernten Berufe für die Vorqualifizierung auf mittlerer Qualifikationsebene im Wesentlichen in Berufe der Gebäudehülle und Berufe der TGA gruppieren lassen. Nach diesem Kriterium lassen sich die Berufe für eine Weiterbildung in der Energieberatung klar in zwei Gruppen klassifizieren, welche ähnliche Ausgangsqualifikationen mit sich bringen. Unterschiede im Umgang mit der Gebäudehülle hinsichtlich der Gebäudeart sind dabei eher nachgelagert. Bei der TGA stellt sich das Gesamtbild hinsichtlich des Detaillierungsgrades für die einzelnen Ausgangsberufe jedoch deutlich differenzierter dar, hier ist verstärkt zwischen den einzelnen Berufen zu differenzieren.

7 Konzeptionelle Überlegungen für ein Weiterbildungssystem in der Energieberatung für Europa

Ziel unserer Studien ist es, einen Qualifizierungsrahmen für den Energieberater zu entwickeln. Auf diese Weise werden Grundlagen für die notwendigen Standards in der Energieberatung geschaffen und der Beruf als solches kann geschützt werden. Die Gestaltung des Qualifizierungsrahmens folgt dabei den Kriterien einer modernen Beruflichkeit (MEYER 2000): Situiertheit und Handlungsorientierung, Prozesslogik (Lösen von konkreten Problemen), Bildung für nachhaltige Entwicklung, Modularisierung, Durchlässigkeit zwischen den Bildungssystemen und europaweite Vergleichbarkeit.

Die Entwicklung des Weiterbildungssystems in der Energieberatung weist Parallelen zu den Entwicklungen der Weiterbildungssystematik in der IT-Branche auf, deren Weiterbildungssystem Mitte der 90er Jahre in mehreren Stufen neu strukturiert wurde. Diese übertragbaren Entwicklungen aus der IT-Branche wurden zur Formulierung von Gestaltungsempfehlungen für das Weiterbildungssystem in der Energieberatung genutzt (HEINEN/ FRENZ/ DJALOEIS/ SCHLICK 2010a). In der IT-Branche erfolgte dabei eine Ausarbeitung verschiedener Spezialistenprofile und eine spätere Neuordnung dieser. Um Klarheit in die angebotenen Leistungen der Energieberatung zu bringen, bietet es sich auch  in diesem Falle an, die einzelnen Aufgabenkomplexe/Handlungsfelder als berufliche Leistungsprofile zu beschreiben und zu bündeln. Ein ähnliches Vorgehen bieten auch BRETSCHNEIDER/ GRUNWALD/ ZINKE (2010a) zur Strukturierung von Berufsgruppen. Mit Hilfe dieses Verfahrens können dann auch für bestimmte Leistungsprofile ähnliche Voraussetzungen mitbringende Berufe zusammengefasst werden und zielgerichtet Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen werden.

Die bisherigen Untersuchungen legen weiterhin eine Modularisierung und Umgestaltung zu einer Situationsorientierung der bisher eher fachtheoretischen Ausbildung mit einzelnen Qualifizierungsbausteinen nahe. Bisher existiert keine Systematik der beruflichen Handlungsfelder von Energieberatern, um entsprechende Module in Leistungsprofilen an diesen auszurichten. Die Vielzahl unterschiedlicher Qualifizierungswege mit verschiedenen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen könnten in einem einheitlichen, situations- und handlungsorientierten Qualifizierungsrahmen strukturiert werden. Ziel unseres Gestaltungsvorschlages ist es, die drei Bereiche Ausgangsqualifikationen auf mittlerer Qualifikationsebene, Weiterbildungssystem und tertiäre Bildung miteinander zu vernetzen. Die Handlungsfelder besitzen unterschiedlich komplexe Tätigkeitsanforderungen. Neben den formalen Qualifikationen sollen aber auch die tatsächlichen Kompetenzen der (angehenden) Energieberater berücksichtigt werden. Eine Orientierung bei einer möglichen Einstufung geben die Niveaustufen und Deskriptoren des Deutschen und Europäischen Qualifikationsrahmens. Werden die Aufgabenkomplexe in den Handlungsfeldern nach diesen ausgestaltet, ist eine qualifikationsabhängige Beschreibung und Einstufung möglich, die nicht ausschließlich auf Abschlüssen basiert.

Wir haben ein Weiterbildungssytem für die Gebäudeenergieberatung entwickelt, welches sich auf die Handlungsfelder von Energieberatern bezieht, die in einer Prozesslogik entwickelt worden sind (Abb.5).

 Initiates file download

Abb. 5:   Gestaltungsvorschlag für einen Qualifizierungsrahmen der Gebäudeenergieberatung

Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Qualifizierungsrahmens sind die heterogenen Ausgangsqualifikationen in der Energieberatung. Aufgrund der Deckungsanalyse lassen sich bestimmte Berufsgruppen mit ähnlichen Vorkenntnissen bilden. Eine grobe Unterteilung bietet sich dabei in den Niveaustufen auf mittlerer Qualifikationsebene sowie auf Niveaustufen des akademischen Bereichs.

Grundlage für eine berufliche Tätigkeit  in der Energieberatung ist ein Überblick über die beruflichen Handlungsfelder bezogen auf unterschiedliche Leistungsangebote in der Energieberatung. Dies ist auch notwendig, um über die eigenen Leistungsangebote eine ganzheitliche Energieberatung und Anschlussperspektiven aufzeigen zu  können. In diesem Zusammenhang ist auch eine Vernetzung der unterschiedlichen Gewerke und von Energieberatern mit verschiedenen Tätigkeitsschwerpunkten wichtig. Dieser Überblick erleichtert die Bildung von sinnvollen Kooperationen von Energieberatern untereinander wie auch mit weiteren Geschäftspartnern insbesondere bei komplexen Arbeitsaufgaben.

Ebenfalls notwendig ist ein Repertoire an standardisierten Qualifikationen, die man bei allen Leistungsangeboten eines Energieberaters benötigt, z. B. die Erfassung und Dokumentation des IST-Zustandes ist sowohl für einen bedarfsabhängigen Energieausweis wie auch für eine umfassende, mit Contracting-Verträgen kombinierte Energieberatung notwendig. Diese Handlungsfelder des beruflichen Tätigkeitsfeldes bestehen zumeist aus Tätigkeiten ohne Zielkonflikte im Gegenstandsbereich. Aufgrund der starken Standardisierbarkeit sind diese Tätigkeitsbereiche eher auf unteren Niveaustufen anzusiedeln.

Die meisten Tätigkeiten von Energieberatern sind jedoch durch Zielkonflikte geprägt. Hier wollen wir differenzieren zwischen einem Bereich der unmittelbar durch informelle oder formale Fort- und Weiterbildungen von Personen der mittleren Qualifikationsebene wahrgenommen werden können (Bereich der Wohngebäude). Unmittelbaren Zugang zum Bereich der Nicht-Wohngebäude haben hingegen ausschließlich Energieberater mit einem akademischen Abschluss. Die klare Trennung in Energieberatungen für Wohngebäude und Nicht-Wohngebäude erfolgt aufgrund der sehr unterschiedlichen Komplexität der Arbeitsaufgaben insbesondere im Bereich der TGA (Raumheizung, Lüftung, Kälte, Beleuchtung, elektrische Verbraucher, Trinkwarmwasser, Druckluft, Prozesswärme). Die energetische Bewertung der Gebäudehülle ist immer ähnlich und stellt sich auch bei Nicht-Wohngebäuden als vergleichsweise einfach dar.

Wohngebäude sind allgemein recht ähnlich, man kann halbwegs standardisierbare Konzepte entwickeln und die genauen Herangehensweisen immer wieder an die genauen Gegebenheiten anpassen. Die verschiedenen Gebäudetypen (Hochhäuser, Einfamilienhäuser, Geschosswohnungsbauten) sind dabei vergleichbar.

Im Bereich der Nicht-Wohngebäude wird die TGA deutlich komplexer und macht den Großteil des Beratungsumfanges aus. Enorm viel Wissen in Breite und Tiefe ist erforderlich, ebenso viel Erfahrung. Es existieren viele Unsicherheiten im Handeln und es gibt keine standardisierbaren Lösungen. Es gibt eine extrem hohe Bandbreite an möglichen Beratungsobjekten. Neben Schlachthöfe, Kernkraftwerke, Krankenhäuser, Werkshallen und  Industrieanlagen werden häufig Betreiber von Bürogebäuden beraten. Auch bei Gebäuden gleicher Nutzung sind dabei jedoch immer wieder komplett individuelle Konzepte für diese komplexen Konstruktionen notwendig. Es gibt immer neue Teile, die energetisch bewertet werden müssen und nicht „einfach“ über eine Software /ein Modell abgebildet werden können.

Eine nachhaltige Lösung der Arbeitsaufgaben erfordert das Ausbalancieren von Zielkonflikten hinsichtlich der Dimensionen ökologische Verträglichkeit, ökonomische Leistungsfähigkeit und gesellschaftliche / soziale Verantwortung. Dazu benötigen Energieberater neben fachlichen Kenntnissen auch ein breites Spektrum überfachlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten.

Aufgrund der beruflichen Erfahrungen im Wohngebäudebereich sowie der Fort- und Weiterbildungen in dem sehr viel komplexeren Teilbereich der Nicht-Wohngebäude sollte im Weiterbildungssystem auch für die mittlere Qualifikationsebene eine Durchlässigkeit zu den zunächst von Akademikern wahrgenommenen Tätigkeiten möglich sein.

Literatur

AK DQR – Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen (2011): Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen. Verabschiedet 22.03.2011. Online: www.deutscherqualifikationsrahmen.de/SITEFORUM= 1292591686488  (29-06-2011).

BRETSCHNEIDER, M./ GRUNDWALD, J./ ZINKE, G. (2010): Wie entwickelt man eine Berufsgruppe – ein mögliches Strukturkonzept. In: BWP 04/2010, 12-15.

DE HAAN, G. (2010): The development of ESD-related competencies in supportive institutional frameworks. In: International Review of Education, Vol. 56, Numbers 2-3, 199-206.

DE HAAN, G./ BORMANN I./ LEICHT A.(2010): The midway point of the UN Decade for Education for Sustainable Development: current research and practice in ESD. In: International Review of Education. Vol. 56, Numbers 2-3, 199-206.

EUROPÄISCHE KOMMISSION (2008): Der Europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (EQR). Luxemburg.

GROSSMANN, B. (2009): So sieht der typische Energieberater aus. In: Der Gebäude Energieberater, H. 9, 12-15.

HANF, G./ REULING, J. (2001): „Qualifikationsrahmen“ – ein Instrument zur Förderung der Bezüge zwischen verschiedenen Bildungsbereichen? In: BWP 6/2001, 49-54.

HEINEN, S./ FRENZ, M. (2009): Beruflichkeit in der Energieberatung - Analyse curricularer Strukturen. In FENZL, C./ SPÖTTL, G./ HOWE, F./ BECKER, M. (Hrsg.): Berufsarbeit von morgen. Bielefeld, 370-375.

HEINEN, S./ FRENZ, M./ DJALOEIS, R./ SCHLICK, C.(2010a): Gestaltung von Übergängen zwischen mittlerer Qualifikationsebene und Hochschule – Überlegungen zur Entwicklung eines Weiterbildungssystems in der Gebäudeenergieberatung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 19, 1-17. Online:  http://www.bwpat.de/ausgabe19/heinen_etal_bwpat19.pdf   (20-12-2010).

HEINEN, S./ FRENZ, M./ DJALOEIS, R./ SCHLICK, C.(2010b): Vocational Training Concepts and Fields of Activities of Energy Consulting in Germany. In: Proceedings of the 1st UPI International Conference on Technical and Vocational Education and Training, Vol. I No. 1 2010 "Competence Development for the World of Work and for Sustainable Development”, November 10-11,2010, Universitas Pendidikan Indonesia, Bandung, Indonesia, 262-270.

HUISINGA, R. (2005): Curriculumforschung. In: RAUNER, F. (Hrsg.): Handbuch Berufsbildungsforschung. Bielefeld, 350-357.

KLEINMANN, M./ MANZEY, D./ SCHUMACHER, S./ FLEISHMAN, E.A. (2010): Fleishman-Job Analyse System für eigenschaftsbezogene Anforderungsanalysen. Göttingen.

KMK (Hrsg.) (1999): Handreichungen für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz (KMK) für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen des Bundes für anerkannte Ausbildungsberufe. Bonn.

MEYER, R. (2000): Qualifizierung für moderne Beruflichkeit. Münster.

RAUNER, F. (2005): Qualifikations- und Ausbildungsordnungsforschung. In: RAUNER, F. (Hrsg.): Handbuch Berufsbildungsforschung. Bielefeld, 240-246.

REETZ, L./ SEYD, W. (2006): Curriculare Strukturen beruflicher Bildung. In: ARNOLD, R./ LIPSMEIER, A.: Handbuch der Berufsbildung, 2. Überarbeitete und aktualisierte Auflage. Wiesbaden, 227-259.


Zitieren dieses Beitrages

HEINEN, S. et al. (2011): Konzeptionelle Überlegungen für ein Weiterbildungssystem in der Domäne der Energieberatung für Europa. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 08.1/2, hrsg. v. SCHWENGER, U./ HOWE, F./ VOLLMER, T./ HARTMANN, M./ REICHWEIN, W., 1-17. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft08/heinen_etal_ft08-ht2011.pdf (19-11-2011).



Hochschultage Berufliche Bildung 2011 - Web page

http://www.hochschultage-2011.de/