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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT08 - Elektrotechnik-Informatik & Metalltechnik
Herausgeber: Ulrich Schwenger, Falk Howe, Thomas Vollmer, Martin Hartmann & Wilko Reichwein

Titel:
Kompetenzen und Karrierewege in elektrotechnischen und metalltechnischen Berufen


Vom Kfz-Mechatroniker zum Elektrofahrzeug-Mechatroniker – Erste Erkenntnisse zum Qualifikationsbedarf aus Untersuchungen zur Facharbeit an elektrifizierten Fahrzeugen

Beitrag von Matthias BECKER (Berufsbildungsinstitut Arbeit und Technik (biat) der Universität Flensburg)

Abstract

Befinden wir uns im Übergang zu einer Mobilität ohne Verbrennungsmotor? Verändern sich dadurch unsere Fahrzeuge so maßgeblich, dass wir unsere Einstellung zur Fortbewegung überdenken und neue Qualifikationen entstehen oder gar neue Berufe erforderlich werden? Die Elektromobilität ist mittlerweile zu einem Megathema geworden, welches stark politisch besetzt ist und mit der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft in Verbindung gebracht wird. Die zahlreichen Initiativen und Forschungsprogramme (vgl. BECKER 2010) signalisieren, dass sich Deutschland an die Spitze der Entwicklung hin zur Elektromobilität setzen will. In den Bereichen Forschung und Entwicklung werden große Anstrengungen unternommen, um beispielsweise durch Forschung zu leichteren und kleineren Batterien mit größerer Reichweite zu kommen, die Entwicklung leistungsfähiger und preiswerter Elektroantriebe voranzutreiben, die Infrastruktur für das Betreiben von Elektrofahrzeugen bereitzustellen und so die Marktreife und Verbreitung von Elektrofahrzeugen zu erhöhen. Entstehende Qualifikationsbedarfe werden bislang recht unreflektiert aus diesen technologischen Entwicklungen abgeleitet und es wird von der Technik elektrifizierter Fahrzeuge auf einen Qualifizierungsbedarf für Fachkräfte in der Werkstatt geschlossen. Dieser Beitrag zeigt die Notwendigkeit gründlicher empirischer Forschung als Grundlage für Überlegungen zur Deckung entstehenden Qualifikationsbedarfs auf und warnt vor chaotischen, allein von Märkten getriebenen Qualifikationsangeboten und voreiligen Aussagen zur Notwendigkeit neuer Qualifikationen.

1 Marktentwicklungen als Treiber für den Ruf nach neuen Qualifikationen

Die derzeitigen Entwicklungen rund um die Elektromobilität werden von einer euphorischen Stimmung und Haltung begleitet, die genauer betrachtet werden muss. Dies liegt einerseits daran, dass politische Zielsetzungen wie diejenige, im Jahr 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf die Straße zu bringen (BUNDESREGIERUNG 2009, 2), als ambitionierte Ziele zu werten sind und andererseits die Akteure einschließlich der Konsumenten, die diese Ziele einlösen sollen, sich derzeit mit grundlegenden technischen und ökonomischen Problemen beschäftigen, die eine breite Einführung der Elektromobilität noch nicht zulassen. Ob Qualifizierungsfragen zu diesem Spannungsfeld gehören, kann selbst unter der Prämisse, die politischen Zielsetzungen einzulösen, so nicht beantwortet werden und die hektische Betriebsamkeit bei der Forcierung von Maßnahmen und dem Aussprechen von Handlungsempfehlungen erschwert eine besonnene Einbeziehung von Bildungsfragen.

Die anstehenden Aufgaben zur Erreichung der Entwicklungsziele zeigen die Notwendigkeit einer intensivierten Forschung und Entwicklung einschließlich der Qualifizierung auf akademischem Niveau an. Zugleich werden Initiativen ins Leben gerufen, die produzierenden Belegschaften in der Elektro- und Automobilindustrie entsprechend zu qualifizieren. Die etablierte Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) besteht aus Vertretern der Industrie, der Wissenschaft, Politik und der Gewerkschaften und widmet sich in mehreren Arbeitsgruppen den anstehenden Aufgabenstellungen, wobei anders als noch im Nationalen Entwicklungsplan der Bundesregierung festgehalten, auch Qualifizierungsfragen in einer von sieben Arbeitsgruppen (AG 6) diskutiert werden. So erhält im zweiten Bericht der NPE vom Mai 2011 die Frage der Bildung für „Schlüsseltechnologien“ einen bedeutenden Stellenwert. Ein vom BMBF gefördertes Projekt „Qualifizierungsplattform für die Aus- und Weiterbildung in der Elektromobilität“ (QEMO) „zielt darauf ab, alle Bereiche und Akteure der akademischen und beruflichen Aus- und Weiterbildung umfassend auf die Herausforderungen des Technologiewandels hin zur Elektromobilität vorzubereiten“ (NPE 2011, 27).

Das Dilemma besteht hier darin, dass die Qualifizierungsanstrengungen in den genannten Bereichen von den Schlüsseltechnologien her gedacht sind und unreflektiert auf die berufliche Aus- und Weiterbildung übertragen werden, ohne den tatsächlichen Qualifikationsbedarf zuvor zu ermitteln, der nicht so offensichtlich ist, wie etwa bei der Aufgabenstellung, leichte und energiereiche Batterien für Elektrofahrzeuge zu entwickeln. Betrachtet man also

  • die Marktentwicklungen
  • die anstehenden Forschungs-, Entwicklungs-, Produktions- und Instandhaltungsaufgaben und
  • die resultierenden Qualifikationsanforderungen

im Sinne einer berufswissenschaftlichen Qualifikationsforschung mit den Instrumenten der Sektoranalyse, der Fallstudien und der Arbeitsprozessanalysen (vgl. BECKER/SPÖTTL 2008), lässt sich der Zusammenhang technologischer und gesellschaftlicher Entwicklungen und daraus resultierenden Qualifikationsanforderungen differenzierter ermitteln. Solche Untersuchungen stehen noch weitestgehend aus. Erste Betrachtungen hierzu können aber eine rationalere Planung von Qualifizierungsinitiativen erleichtern.

Die Marktentwicklung in Deutschland lässt sich recht gut mit derjenigen in Kalifornien vergleichen (vgl. Abb. 1). In Kalifornien werden wegen der Tallage und der so entstehenden Smog-Gefahr vor allem in den Städten Los Angeles und San Francisco von der Umweltbehörde CARB strenge Vorgaben an die Fahrzeugzulassung erlassen. Daher kann am Beispiel Kaliforniens gut abgelesen werden, wie sich politische Rahmenbedingungen auf den Markt auswirken. In Deutschland waren im Jahr 2009 insgesamt 1452 Elektro-Pkw und 979 Elektro-Zweiräder zugelassen, sowie 22.330 Hybrid-Pkw und 176 Hybrid-Zweiräder. Der Anteil reiner Elektrofahrzeuge (ZEV: Zero Emission Vehicles) liegt in Kalifornien zehn Mal so hoch, prozentual gesehen 15 mal so hoch. Zu berücksichtigen ist, dass in Deutschland erst in Zukunft ein Boom der Einführung und Zulassung reiner Elektrofahrzeuge beginnt.

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Abb. 1:   Bestand an elektrifizierten Fahrzeugen in Deutschland und Kalifornien im Vergleich

Reine Elektrofahrzeuge sind derzeit nur als Zweiräder erhältlich; mit der Einführung reiner Elektro-Pkws wird erst im Jahr 2012 mit wenigen Modellen begonnen. Experten gehen ohnehin davon aus, dass noch auf lange Sicht Hybridfahrzeuge den Markt dominieren werden. Interessant ist bei diesem Schlaglicht auf die Marktentwicklung, welche Qualifizierungsanforderungen mit dieser in Verbindung gebracht werden können. Hier besticht von den Schlüsseltechnologien her gesehen der Aspekt des technisch Neuen und dies ist die Hochvolttechnologie bei den Energiespeichern (Batterien) und den Antriebstechnologien (E-Motor).

Die Erfahrungen mit bereits auf dem Markt befindlichen Fahrzeugen einschließlich deren Produktion zeigen bislang keinen Bedarf an prinzipiell neuen Qualifikationen an. So ist man sich auf der Seite der akademischen wie beruflichen Bildung zur Zeit einig, dass keine neuen Berufsbilder erforderlich sind, sondern gezielte Qualifizierungsmaßnahmen für Fachkräfte und Ingenieure – so das bisherige Fazit der Nationalen Bildungskonferenz Elektromobilität in Ulm. Während in Deutschland nun ausgehend von der veränderten Technik zahlreiche Seminarangebote entstanden sind, um vor allem für die Hochvolttechnologie präventiv zu schulen, wurden in Kalifornien bereits vor zehn Jahren zunächst Bedarfe bei den Unternehmen abgefragt – und dort ist bis heute kein nennenswerter Qualifikationsbedarf im Bereich des Kfz-Service identifiziert worden. Stattdessen wurden und werden Investitionen für eine gezielte Anpassungsqualifizierung der Belegschaften bereit gestellt (vgl. CEC2011, 124 ff.).

2 Hochvolttechnik als Herausforderung

Bei Fahrzeugen spricht man bei Wechselspannungen von über 25 Volt und Gleichspannungen von über 60 Volt von „Hochspannung“. Solche Spannungen sind seit Jahrzehnten in konventionellen Fahrzeugen vorhanden, z.B. im Bereich des Xenon-Lichtes oder in der Zündanlage. Gefährlich werden diese in Abhängigkeit der Einwirkungszeit bei gleichzeitig auftretenden Körperströmen, die bestimmte Energieinhalte übersteigen (vgl. DIN IEC/TS 60479-1:2007-05). Ab Stromstärken von ca. 200mA sind körperliche Schäden zu erwarten. Darum ist der Umgang mit solchen Spannungen seit den 1970er Jahren Bestandteil der Berufsausbildung einer Vielzahl gewerblich-technischer Berufe, ohne dass dieses einen Niederschlag in Zusatzqualifikationen im Kfz-Gewerbe nach sich gezogen hätte, wie das etwa bei Anlagenmechanikern für Sanitär- Heizungs- und Klimatechnik der Fall war. Dies ist aus dem Grund nicht notwendig gewesen, weil die Berufsausbildung im Kfz-Gewerbe zum Kfz-Elektriker und Kfz-Mechaniker schon in den 1970er Jahren elektrotechnische Grundlagen vermittelt hat, die für den Umgang solcher HV-Systeme ausreichend qualifizierte. Umgangssprachlich spricht man bei Personen mit einer entsprechenden Qualifizierung von „Elektrofachkräften“. Kfz-Mechaniker, Kfz-Elektriker, Automobilmechaniker und schließlich Kfz-Mechatroniker waren bis zum Erscheinen der berufsgenossenschaftlichen Sicherheitsschrift BGI 8686 in diesem Sinne Elektrofachkräfte für das Kfz-Gewerbe.

Mit der Einführung von Hybrid- und Elektrofahrzeugen ist nun ein Systemwechsel erkennbar: energietechnische HV-Technologie durchzieht das Elektrofahrzeug mit Energiespeichern, die Gleichspannungen von bis zu 1000 V aufweisen; der Elektroantrieb eines Toyota Prius arbeitet mit bis zu 500V. Die bislang auch von der Fachöffentlichkeit kaum wahrgenommene Produktschulung, wie sie etwa bei Toyota durchgeführt wird, reichte, um Kfz-Mechatronikern die notwendige Arbeitssicherheit zu verleihen. Mit dem Systemwechsel scheint diese herstellerbezogene Anpassungsqualifizierung in Frage gestellt zu sein.

In der Qualifizierungs- und Arbeitspraxis wird zwischen Elektrofachkräften, Elektrofachkräften für festgelegte Tätigkeiten und elektrisch unterwiesenen Personen unterschieden (vgl. BGV A3 und BGV A3-DA). „Als Elektrofachkraft gilt, wer aufgrund seiner fachlichen Ausbildung, Kenntnisse und Erfahrungen sowie Kenntnis der einschlägigen Bestimmungen die ihm übertragenen Arbeiten beurteilen und mögliche Gefahren erkennen kann“ (STIEPER 2010, 6).

Da die Bezeichnung Elektrofachkraft (EFK) keine Berufsbezeichnung ist, muss anhand der Definition jeweils geklärt werden, ob eine Person mit einem bestimmten Berufsabschluss als eine solche gelten kann. In der Regel wird die Kenntnis der Unfallverhütungsvorschrift „Elektrische Anlagen und Betriebsmittel“ (BGV A3) und einschlägiger VDE-Vorschriften vorgeschrieben. Für die Fahrzeugberufe haben die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Fachausschuss Metall und Oberflächenbehandlung und der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) ein Konzept für eine Elektrofachkraft für festgelegte Tätigkeiten entwickelt, nämlich die „Elektrofachkraft für Hochvoltanlagen in Kraftfahrzeugen“. Auf dieser Grundlage wurden im letzten Jahr unzählige Qualifizierungsmaßnahmen entwickelt, die in der Regel 2-5 Tage dauern und von den Automobilherstellern und -zulieferern, den Kammern und der Technischen Akademie des Kfz-Gewerbes (TAK) und den Überwachungsorganisationen angeboten werden. Diese Fortbildung berechtigt zum Freischalten der HV-Anlage und zum Arbeiten an Hybrid- und Elektrofahrzeugen. Zudem darf eine so fortgebildete Fachkraft Kfz Mechatroniker zu elektrisch unterwiesenen Personen ausbilden, so dass diese an solchen Fahrzeugen arbeiten dürfen, wenn sie spannungsfrei geschaltet sind. An den HV-Systemen selbst darf letztere Personengruppe allerdings nicht arbeiten. Unterwiesene Personen dürfen aber alle außerhalb des HV-Systems liegenden Wartungs- und Reparaturarbeiten durchführen.

Arbeiten unter Spannung an den HV-Systemen dürfen derzeit selbst ausgebildete EFK für HV-Anlagen in Kfz nicht. Sie benötigen dazu eine Zusatzausbildung. Die Bezeichnung der EFK soll daher zukünftig „Fachkundiger für Arbeiten an HV-eigensicheren Systemen“ heißen. Die entsprechenden Unterscheidungen zwischen den Elektrofachkräften und damit verbundenen Berechtigungen sind in der Informationsschrift „Qualifizierung für Arbeiten an Fahrzeugen mit Hochvoltsystemen“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. BGI/GUV-I 8686) beschrieben.

Der hohe Qualifizierungsumfang im Bereich der „elektrotechnischen Grundlagen“, die kaum einen Bezug zur Arbeit am Fahrzeug erkennen lassen, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Vorschriften zur Ausbildung von Elektrofachkräften für festgelegte Tätigkeiten der Berufsgenossenschaften (BGV A2) eingehalten werden müssen und dort diese Schulungsinhalte vorgeschrieben und dadurch zur Grundlage für alle HV-Schulungen werden.

Die Qualifizierungspraxis versteift sich also auf HV-Schulungen, wobei sich die Frage stellt, welche Relevanz damit in Verbindung stehende Kenntnisse für die Arbeitspraxis haben. Es muss dabei auch erwähnt werden, dass in der Zeit vor der BGI 8686 Hybridfahrzeuge durchaus von Kfz-Mechatronikern ohne entsprechende Schulung instandgehalten und instandgesetzt wurden, ohne dass Qualitätsmängel dabei zu Tage getreten sind.

3 Erfahrungen mit der Facharbeit an elektrifizierten Fahrzeugen

3.1 Klärungsbedürftige Fragestellungen zum Qualifikationsbedarf

Die – neben der im letzten Abschnitt behandelten Frage nach einer Arbeitssicherheit gewährleistenden Qualifizierung beim Umgang mit der HV-Technologie – wirklich interessante Frage ist, welche Qualifikationsanforderungen die Arbeitspraxis stellt. Die bisherigen Betrachtungen und Entwicklungen waren technologielastig und gingen von einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen Technologie und Qualifikationsbedarf aus. Was das Neue an der Facharbeit an elektrifizierten Fahrzeugen ist, sollte allerdings sorgfältig untersucht sein, bevor überhaupt, und wenn dann mit passenden Konzeptionen Qualifikationslücken geschlossen werden – wenn sie denn vorhanden sind. Zu fragen ist daher:

  • Wird es rein „elektrische/elektronische“ Arbeiten an Elektrofahrzeugen geben?
  • Sind Elektrofahrzeuge für Fachkräfte im Kfz-Gewerbe tatsächlich gefährlich?
  • Erfordert die Hochvolttechnologie besondere, eventuell sogar domänenunabhängige Kompetenzen?
  • Fallen Wartungs- und Reparaturarbeiten an Batterie, Elektromotor, Inverter und Steuerungs- und Regelsystemen an?
  • Unterscheidet sich die Diagnose an HV-Anlagen von der Diagnose anderer elektronischer Systeme im Fahrzeug?

Diese Fragen sind kaum ausgehend vom technischen Entwicklungsstand aus beantwortbar, sondern erfordern die Untersuchung der Arbeit in den Werkstätten selbst. Dabei sind technologische und gesellschaftliche Entwicklungen mit zu berücksichtigen – rückblickend und die historischen Entwicklungen aufgreifend wie auch explorativ und prospektiv.

3.2 Analogien zur Facharbeit an Elektro-Lokomotiven?

Ein Beispiel für die Facharbeit an Elektrofahrzeugen findet man bei den schienengebundenen Fahrzeugen. Der ICE ist zum Beispiel ein Elektrofahrzeug und es ist nicht uninteressant, sich die Wartung und Instandsetzung dieser Fahrzeuge einmal genauer anzusehen. Der ICE wird in einem sieben Stufen umfassenden Instandhaltungskonzept verkehrs- und betriebsbereit gehalten (vgl. Abb. 2). Auffallend ist, dass zur Umsetzung des skizzierten Instandhaltungskonzept verschiedene Berufsvertreter zusammenarbeiten und es werden Wartungsteams gebildet, wobei selbst bei Arbeiten an elektrischen Systemen die überwiegenden Aufgaben (in Abb. 2 Fett hervorgehoben) von Industriemechanikern und Mechatronikern wahrgenommen werden. Elektroniker für Betriebstechnik befassen sich eher mit elektrotechnischen Arbeiten im engeren Sinne.

Sicher ist die Facharbeit an E-Lokomotiven nicht unmittelbar mit der Facharbeit an Elektro-Pkw vergleichbar. Jedoch wird die Frage aufgeworfen, ob überhaupt an den elektrischen und Hochspannung führenden Komponenten an einem Elektrofahrzeug unmittelbar gearbeitet wird. Erfahrungen mit der Arbeit an Brennstoffzellenfahrzeugen (vgl. BECKER 2006) sprechen da eher für einen anderen Umgang mit Hilfe sich verändernder Werkzeuge (z.B. Zugang zu den Hochvoltsystemen mittels Prozessvisualisierungssystemen) und verteilten Zuständigkeiten. So wird nach bislang verfügbaren Erkenntnissen in keiner Werkstatt an einer Leistungselektronik selbst Hand angelegt oder die Komponenten eines Elektroantriebs zerlegt. Die Leistungselektronik ist vergossen und gar nicht mechanisch zugänglich und ein Elektroantrieb selbst ist aus elektrotechnischer Sicht „selbst nach 300.000 km Laufleistung praktisch neuwertig“, wie ein Referent bei einem Kongress zur Elektromobilität in seinem Vortrag betonte.

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Abb. 2:   Instandhaltung des ICE

3.3 Was könnte die Facharbeit an Elektrofahrzeugen zukünftig prägen?

Zukunftskonzepte für Elektrofahrzeuge sind überwiegend dadurch gekennzeichnet, dass Gewohntes aufgegeben, neu gedacht und langfristig auch realisiert wird. Statt eines zentralen Antriebs werden wohl Radnabenantriebe vorherrschen und statt konventioneller Aufbauten von Elektromotoren, wie sie auch in industriellen Anwendungen vorzufinden sind, wird es intelligente und integrierte mechatronische Lösungen geben, wie etwa die Integration des Inverters bis hin zu zugehöriger Elektronik einschließlich der Softwarekomponenten (embedded systems) in das Rad (vgl. Abb. 3). Ähnliches gilt auch für Strukturkonzepte zum Aufbau der Karosserie. Dennoch werden nach wie vor Einrichtungen benötigt, um das „Fahren“ sicherzustellen und die dann Gegenstand von Facharbeit sind. Dies klingt banal, lenkt jedoch den Blick auf die Aufgabenstellungen, die auch heute die Arbeit an der Fahrzeugtechnik unabhängig von der jeweiligen Technologie prägen: Das Fahrwerk muss etwa den Geradeauslauf, die Federung, das Lenken und Bremsen sowie die Dämpfung sicherstellen. Facharbeit wird die Funktion und Verkehrs- und Betriebssicherheit dieser Funktionen zum Gegenstand haben. Entsprechende Einrichtungen und Funktionen werden instand gehalten (gewartet), repariert, diagnostiziert und installiert (vgl. BECKER 2003). Die Arbeitsfelder bzw. Handlungsfelder bleiben erhalten, auch wenn es einmal keine „Stoßdämpfer“ oder Bremsanlagen mit Bremsbelägen mehr geben wird. Die Beanspruchung eines Fahrzeuges und die Anforderungen an das Fahrverhalten werden zu Funktionsstörungen führen, die durch Diagnose aufgespürt werden müssen und durch geeignete Reparaturverfahren zu beheben sein werden. Defekte an Lagern und modular aufgebauten Baugruppen sind zu erwarten, die in Fortsetzung der heute schon vorherrschenden Kfz-Facharbeit diese Aufgabenstellungen prägen werden.

Abb. 3:   Elektrischer Radnabenantrieb der nächsten Fahrzeuggeneration (Quelle: Volvo Recharge / http://www.proteanelectric.com)

3.4 Kontinuitäten in den Qualifikationsanforderungen

Unter Berücksichtigung der absehbaren technologischen Entwicklungen und der schon heute die Facharbeit im Kfz-Handwerk kennzeichnenden Aufgaben lassen sich einige kontinuierliche Fortschreibungen von Qualifikationsanforderungen erwarten. So werden Montage- und Demontagevorgänge von modularen Fahrzeugkomponenten weiterhin eine Rolle spielen und bei der Diagnose wird der Zugang zu den erforderlichen Systemzuständen zur Beurteilung des Funktionszustandes wie für die Diagnoseprozesse mit Hilfe von Diagnosesystemen im Vordergrund stehen. Dies ist auch heute schon bei weit im Markt verbreiteten Hybridfahrzeugen erkennbar. So wird beim Toyota Prius analog zur Diagnose von Verbrennungsmotoren der Elektromotor anhand von Kennwerten über Datenlisten und Fehlercodes (Diagnostic Failure Codes – DTCs) beurteilt und daraus im Anschluss das geeignete Reparaturverfahren bestimmt (vgl. Abb. 4). Die Diagnoseaufgaben verändern sich also nicht gravierend und so verwundert es nicht, dass es zwar Produktschulungen bei Toyota für Kfz-Mechatroniker gibt, um die Arbeitsaufgaben am neuen Hybridfahrzeug zu schulen, sich diese aber kaum von Produktschulungen anderer Neuerungen unterscheiden. Jedenfalls spielt die Hochvolttechnologie in der bisherigen Arbeitspraxis keine hervorzuhebende Rolle – von der Arbeitssicherheit einmal abgesehen. Arbeiten im Umfeld der elektrotechnischen Komponenten selbst fallen im Werkstattalltag nicht an. Messungen an diesen werden nicht im Sinne elektrotechnischer Messungen durchgeführt (etwa Kennlinien von Kondensatoren oder Leistungstransistoren (Insulated Gate Bipolar Transistoren – IGBT messen). Stattdessen werden aus diesen für die Beurteilung des fahrzeugspezifischen Systemzustands geeignete fahrzeugtechnische Kennwerte gebildet. Werden Messungen und andere Zugänge im Betriebszustand des Fahrzeuges notwendig (also unter Hochspannung), dann werden berührungslose Messverfahren eingesetzt. Auch der Umgang mit solchen Instrumenten ist für Kfz-Mechatroniker nichts prinzipiell neues, werden doch Messungen an HV-Zündanlagen mit entsprechenden Tastköpfen (Spannungsmesszangen) und Hochstrommessungen in der Startanlage oder am Generator mit geeigneten Stromzangen durchgeführt.

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Abb. 4:   Beurteilung des Systemzustands des Elektromotors und der Hochvoltkomponenten eines Toyota Prius über das Toyota-Diagnosesystem (Quelle: Toyota)

4 Schlussfolgerungen zu Qualifizierungsstrukturen

Die Erfahrungen mit der Arbeit an elektrifizierten Fahrzeugen erstrecken sich bislang weitestgehend auf Hybridantriebe, die bereits zu größeren Stückzahlen im Markt verbreitet sind. Die für diese Fahrzeuge angebotenen Schulungskonzepte der Hersteller und erste empirische Erkenntnisse verweisen bislang – von der Vorbereitung auf die Gefahren der Arbeit an Hochvoltanlagen abgesehen – nicht auf einen neuen Qualifikationsbedarf. Stattdessen erfolgen die Wartungs- und Reparaturarbeiten an Fahrzeugen mit solchen Antrieben relativ problemlos und werden von Kfz-Mechatronikerinnen durchgeführt. Qualitätsmängel bei der Arbeit an solchen Fahrzeugen sind bis jetzt noch nicht aufgetreten. Dennoch floriert derzeit ein ausgeprägtes Seminarwesen von Akademien, Überwachungsorganisationen und auch Fahrzeugherstellern, die Fachkräfte schon präventiv auf die neuen Technologien schulen wollen. Dass dadurch die Qualifizierung im Sinne von Berechtigungen für den „Kern“ der anfallenden Arbeiten von der Erstausbildung auf die Weiterbildung verlagert wird, ist zur Zeit ein bedenkliches Faktum, müssen doch die Unternehmen und zum Teil die Beschäftigten selbst dafür die Kosten tragen. Zudem wird der Stellenwert eines Berufsabschlusses in Frage gestellt, wenn mit einer erfolgreichen Prüfung keine Beschäftigungsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt mehr sichergestellt werden kann. Schon jetzt müssen Kfz-Mechatroniker zusätzlich zu ihrem Abschluss zusätzliche Zertifikate für die Abgasuntersuchung sowie für die Arbeit an Klimaanlagen und Sicherheitseinrichtungen wie dem Airbag erwerben, um sich gewöhnlichen Aufgabenstellungen im Betrieb widmen zu können. Die volle Verwertbarkeit der beruflichen Qualifikation wird so in Frage gestellt. Die in der BGI 8686 vorgesehenen Umfänge und Differenzierungen der nun ebenfalls notwendigen „Hochvolt-Qualifizierung“ nach beruflichen Einsatzfeldern (Arbeiten in der Entwicklung, Vorserienproduktion oder Serienproduktion in Hersteller- und Zuliefererwerken einerseits und im Kfz-Handwerk andererseits) und Qualifikationsniveaus (Facharbeiter, Ingenieure) reichen jedenfalls nicht aus, um unnötige Qualifizierungsaufwände zu vermeiden. Kontinuierliche Fortschreibungen der Instandhaltungs- Reparatur- und Diagnoseaufgaben können weit mehr durch ein Lernen im Arbeitsprozess während der Arbeit am Fahrzeug aufgefangen werden, als es zur Zeit den Kfz-Mechatronikern zugetraut wird.

Literatur

BECKER, M. (2003): Neue Orientierungen für eine berufsfeldbezogene Didaktik Kraftfahrzeugtechnik. In: berufsbildung: Schwerpunkt Berufsfelddidaktik. H. 81, 57. Jg., 17-19.

BECKER, M. (2006): Wartung und Instandsetzung von Brennstoffzellenfahrzeugen als Gegenstand beruflichen Lernens. In: lernen & lehren, H. 81, 14-19.

BECKER, M. (2010): Elektromobilität und Beruf. In: lernen & lehren. Wolfenbüttel: Heckner H. 100, 25. Jg.,  162-167.

BGI/GUV-I 8686 (2010): „Qualifizierung für Arbeiten an Fahrzeugen mit Hochvoltsystemen“. Informationsschrift der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Berlin.

BGV A2 (2000): Ausbildungskriterien für festgelegte Tätigkeiten im Sinne der Durchführungsanweisungen zur BG-Vorschrift „Elektrische Anlagen und Betriebsmittel“ (BGV A2, bisherige VBG 4). Köln: Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik.

BGV A3 (1997): Unfallverhütungsvorschrift Elektrische Anlagen und Betriebsmittel. Köln.

BGV A3-DA (2005): Durchführungsanweisungen vom April 1997 zur Unfallverhütungsvorschrift Elektrische Anlagen und Betriebsmittel. Köln 1997 (Nachdruck 2005).

BUNDESREGIERUNG (2009): Nationaler Entwicklungsplan Elektromobilität. Berlin: Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland.

CARB: California Exhaust Emission Standards and Test Procedures for 2009 and Subsequent Model Zero-Emission Vehicles and Hybrid Electric Vehicles in the Passenger Car, Light-Duty Truck and Medium-Duty vehicle classes. California Environmental Protection Agency. Air Ressources Board 2009. Online: http://www.arb.ca.gov/msprog/levprog/cleandoc/clean_2009_my_hev_tps_12-09.pdf  (30-09-2010).

CEC (2011): Investment plan for the alternative and renewable fuel and vehicle technology program. 2011-2012. California Energy Commission; Staff Draft Report. Fuels and Transportation Division. Publication Number: CEC-600-2011-006-SD.

DIN IEC/TS 60479-1:2007-05: Wirkungen des elektrischen Stromes auf Menschen und Nutztiere, Teil 1: Allgemeine Aspekte.

NPE (2011): Zweiter Bericht der Nationalen Plattform Elektromobilität. Berlin: Gemeinsame Geschäftsstelle Elektromobilität der Bundesregierung (GGEMO).

STIEPER, R. (2010): Elektrofachkräfte. Informationsschrift BGI548. Herausgegeben von der Vereinigung der Metall-Berufsgenossenschaften. Berufsgenossenschaft Metall Nord Süd, Ausgabe 2009. Köln.


Zitieren dieses Beitrages

BECKER, M. (2011): Vom Kfz-Mechatroniker zum Elektrofahrzeug-Mechatroniker – Erste Erkenntnisse zum Qualifikationsbedarf aus Untersuchungen zur Facharbeit an elektrifizierten Fahrzeugen. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 08.1/2, hrsg. v. SCHWENGER, U./ HOWE, F./ VOLLMER, T./ HARTMANN, M./ REICHWEIN, W., 1-11. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft08/becker_ft08-ht2011.pdf (19-11-2011).



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http://www.hochschultage-2011.de/