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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT08 - Elektrotechnik-Informatik & Metalltechnik
Herausgeber: Ulrich Schwenger, Falk Howe, Thomas Vollmer, Martin Hartmann & Wilko Reichwein

Titel:
Kompetenzen und Karrierewege in elektrotechnischen und metalltechnischen Berufen


Chancen des Deutschen Qualifikationsrahmens aus gewerkschaftlicher Sicht

Beitrag von Hermann NEHLS (DGB Bundesvorstand)

Abstract

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und seine Mitgliedsgewerkschaften begleiten die Entwicklung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) und die damit verbundene Empfehlung an die Mitgliedsstaaten, nationale Qualifikationsrahmen zu entwickeln, kritisch. Es wird befürchtet, dass im Kontext der Lissabon-Strategie ein Perspektivenwechsel für das nationale Bildungssystem eintritt, der tradierte Strukturelemente wie Beruflichkeit in Frage stellt und einer Deregulierung Vorschub leistet. Gleichzeitig wird aber auch die Chance gesehen, den Prozess der Erarbeitung eines nationalen Qualifikationsrahmens im Sinne gewerkschaftlicher Ziele zu beeinflussen. Notwendig ist eine kritische Reflexion der Terminologie und Architektur des Europäischen Qualifikationsrahmens. Dazu gehört insbesondere die Entwicklung einer bildungsbereichsübergreifenden Kompetenzdefinition, die eine gleichwertige Beschreibung von Qualifikationsprofilen ermöglicht. Im Unterschied zum EQR beinhaltet die Kompetenzbeschreibung des DQR die Dimensionen „Mitgestaltung" und „Reflexivität". In dem folgenden Beitrag werden die Chancen des Deutschen Qualifikationsrahmens aus Arbeitnehmersicht beschrieben.

1 Europäisierung der Berufsbildung

Die Europäische Union hat 2000 das Ziel vorgegeben, die Union zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt" zu machen, die so genannte Lissabon-Strategie. Die Lissabon-Strategie beinhaltet auch eine explizite strategische Ausrichtung der Berufsbildungspolitik auf wirtschafts- und wettbewerbspolitische Ziele (GREINERT 2007). Setzte sich diese Ausrichtung durch, würde die Berufsbildung auf eine Teilstrategie der Sozial- und Wirtschaftspolitik reduziert. Das wäre ein Paradigmenwechsel für die Berufsbildung, der konträr zu deren Leitzielen Humanisierung, Demokratisierung und Partizipation stünde.

Von den Lissabon-Zielen wurde insgesamt wenig erreicht, doch die vorläufige Bilanz für den Bereich der Berufsbildung sieht anders aus: Es wurde viel erreicht. Es gab und gibt eine lebhafte Debatte zu den Instrumenten, mit denen die Europäisierung der beruflichen Bildung vorangetrieben werden sollte. Alle Mitgliedsstaaten diskutieren, wie nationale Qualifikationsrahmen entwickelt werden können. Sie diskutieren die Umsetzung der Empfehlung des Europäischen Rahmens für Qualitätssicherung in der Beruflichen Bildung (EQARF), das Europäische Leistungspunktesystem für berufliche Bildung (ECVET), und nicht zuletzt gibt es eine Debatte über die Anerkennung von non-formal und informell erworbenen Kompetenzen.

Ziel ist, dass die Mitgliedsstaaten ihre eigenen nationalen Qualifikationsrahmen oder anderweitige Einordnungssysteme mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen verknüpfen sollen. Ab 2012 sollen dann alle individuellen Qualifikationsbescheinigungen einen Verweis auf das zutreffende EQR-Niveau enthalten. Das haben die EU-Mitglieder verbindlich zugesagt. Doch es ist schwierig, die unterschiedlichen Ausbildungssysteme der EU zu vergleichen. Die duale Berufsausbildung der Bundesrepublik Deutschland gibt es vergleichbar nur in Dänemark, Österreich und der Schweiz (nicht Mitglied der EU). Der EQR soll hier helfen.

Lange Zeit schien es so, als ob die Europäisierung der Berufsbildung im Sande verlaufen würde. Die Dynamik, die die Diskussion begleitet, ist mit dem Reformstau in der Berufsbildung zu erklären, der sich über Jahrzehnte aufgetürmt hat. Dies sind vor allem die Themen Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit zwischen allgemeiner, hochschulischer und beruflicher Bildung.

2 Entwicklung des Deutschen Qualifikationsrahmens

Der DGB unterstreicht die Zielrichtung europäischer Bildungspolitik, einen Bildungsraum mit ungehinderter grenzüberschreitender Mobilität in der Aus- und Weiterbildung zu schaffen. Dabei sollen die Transparenz zwischen den europäischen Bildungssystemen und -angeboten hergestellt und die Qualität verbessert werden. Im April 2008 wurden die im Zusammenhang mit dem Lissabon-Prozess stehende Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen vorgelegt. Die Mitgliedsstaaten der EU sind seitdem aufgefordert, nationale Qualifikationen und Abschlüsse dem Europäischen Qualifikationsrahmen zuzuordnen.

Zur Gestaltung dieses Prozesses liegt jetzt der Entwurf eines Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) vor. Dieser DQR ist darauf ausgerichtet, strukturelle Transparenz, Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit von Bildungsprozessen sowie individuelle Qualitäts- und Kompetenzentwicklung zu ermöglichen. Für den DGB ist der DQR nicht nur ein administratives oder technisches Instrument, sondern ein Beitrag zur weiteren Entwicklung und Reform des Bildungssystems.

Der DGB erwartet, dass der DQR die Durchlässigkeit in und zwischen den Bildungsbereichen, insbesondere die Zugänge zum tertiären Bereich verbessert. Insgesamt geht es um mehr Chancengleichheit und die Herstellung der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung im Bildungssystem. Die weitgehende Abschottung der beruflichen von hochschulischen Bildungsgängen, der nur in Ausnahmefällen mögliche Übergang von der Berufs- zur Hochschulbildung und die kaum bestehenden Möglichkeiten der Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen auf Studiengänge bedürfen einer Veränderung.

3 Handlungskompetenz als Leitziel

Im Kontext der Entwicklung des DQR haben sich Gewerkschaften für einen Kompetenzbegriff stark gemacht, der berufliche, personale und gesellschaftliche Dimensionen beinhaltet. Er zielt auf berufliche Handlungsfähigkeit und persönliche Entwicklung unter Einschluss von Planungs- und Entscheidungsfähigkeit. Bezugspunkte sind: ganzheitliche Arbeitsaufgaben, die Anforderungen des Arbeitsmarktes unter dem Aspekt langfristiger Verwertbarkeit der Qualifikationen, die individuelle Kompetenzentwicklung, Mitwirkung an betrieblichen und gesellschaftlich-sozialen Prozessen und reflexive Handlungsfähigkeit. Reflexivität meint die bewusste, kritische und verantwortliche Einschätzung und Bewertung von Handlungen auf der Basis von Erfahrungen und Wissen. Sie soll individuell und sozial verantwortliche Handlungen und Entwicklungen in

der Lebens- und Arbeitswelt ermöglichen. Dieses Kompetenzverständnis ist Bestandteil der aktuell vorliegenden Matrix des Deutschen Qualifikationsrahmens.

Die im europäischen Kontext entwickelten Instrumente sind nur bedingt geeignet, in unterschiedlichen Ausbildungssystemen erworbene Handlungskompetenzen zu vergleichen. Die einzelnen Niveaus werden im Europäischen Qualifikationsrahmen mit den Kategorien Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenz beschrieben. Diese Systematik wurde nicht für den Deutschen Qualifikationsrahmen übernommen. Es wurde als falsch erachtet, Kompetenz neben Kenntnisse und Fertigkeiten zu stellen. Für Deutschland wurde eine Kompetenzdefinition entwickelt, die sich an Handlungskompetenz orientiert. Die Zuordnung von beruflichen Qualifikationen auch auf den höheren Niveaus ist so viel besser möglich.

Es zeigt sich, dass alle Länder, die die Terminologie und Systematik des EQR übernommen haben, mit dem Problem konfrontiert sind, beruflich Qualifizierte den höheren Niveaus 6, 7 und 8 zuzuordnen. Im EQR sind diese vor allem den Universitäten zugedacht. Die EQR-lnstrumente sind deshalb nicht geeignet, in unterschiedlichen Ausbildungssystemen erworbene Handlungskompetenz zu vergleichen.

4 Zur Kompetenzdebatte

Auf den ersten Blick schien zwischen den beteiligten Akteuren die größte Übereinstimmung im Hinblick auf die Ziele eines DQR vorzuliegen. So hatte beispielsweise die Arbeitsgruppe des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zur Erarbeitung eines Deutschen Qualifikationsrahmens aus der Sicht der Berufsbildung einen Konsens darüber erzielt, welche Ziele verfolgt werden sollen. Die Ausrichtung entsprach im Wesentlichen der des EQR. Die Spitzenverbände ergänzten den Zielkanon allerdings um den Hinweis, dass ein EQR nur dann gelingen könne, „wenn er am Bedarf der Wirtschaft und am Nutzen für die Unternehmen ausgerichtet ist" (BRUNNER et al. 2006, 14). Ähnlich äußerten sich Branchenverbände der Metall- und Elektroindustrie: Entscheidend seien die Einordnung von Kompetenzen und beruflicher Handlungsfähigkeit sowie die Orientierung an den qualifikatorischen Anforderungen des Beschäftigungssystems. Dies ist eine einseitige utilitaristische Ausrichtung; die gesellschaftliche Dimension von Bildung, auch beruflicher Bildung, wird ausgeblendet.

Der Diskussionsbeitrag der Branchenverbände folgte konsequent dem Verständnis von Anforderungen des Beschäftigungssystems, um die Inhalte der Niveaus zu beschreiben, und fragte anschließend nach den Kompetenzen, die zur jeweiligen Erfüllung erforderlich sind. Dies ist ein sehr praktikabler Vorschlag, er vernachlässigt jedoch den Blick auf das Bildungssystem als solches: Bildung, auch berufliche Bildung, darf nicht auf Nützlichkeitsaspekte reduziert werden. Bildung hat immer auch einen Wert an sich und ist im Spannungsverhältnis zum Beschäftigungssystem eine sowohl abhängige als auch unabhängige Größe. Dies festzuhalten ist wichtig und notwendig, weil sich die Strukturelemente eines DQR aus seinen Zielen ergeben.

Die Arbeitsgruppe des Hauptausschusses des BIBB hat sich nach intensiver Diskussion auf eine Definition verständigt, was unter Handlungskompetenz zu verstehen ist. Diese lautet: „Handlungskompetenz wird als Einheit von Fach-, Sozial- und Human- bzw. personaler Kompetenz definiert. Sie dient der Bewältigung unterschiedlich komplexer Anforderungen in Arbeitsund Lernsituationen. Sie versetzt damit, basierend auf Wissen und Erfahrung, Menschen in die Lage, gefundene Lösungen zu bewerten und die eigene Handlungsfähigkeit weiter zu entwickeln. Eine umfassende Handlungskompetenz ist unabdingbare Voraussetzung für Beruflichkeit, nachhaltige Beschäftigungsfähigkeit und fördert die gesellschaftliche Teilhabe." (BIBB-HAUPTAUSSCHUSS AG DQR/ ECVET 2007) Diese Definition ist der KMK-Definition von Handlungskompetenz sehr ähnlich (vgl. KMK 2007, 10).

Es wurde als notwendig erachtet, sich bei der Gestaltung eines DQR von der Kompetenzdefinition des EQF zu lösen, um eine sinnvolle Beschreibung von Niveaus vornehmen zu können. Die Deskriptoren Selbstständigkeit und Verantwortung, wie sie im EQR zur Beschreibung von Kompetenz verstanden werden, sind in der bildungspolitischen Diskussion zentrale Kategorien. Sie sind aber nicht geeignet, um aussagekräftige Unterscheidungen der Niveaus vornehmen zu können. Die Deskriptoren Fach-, Sozial- und Human- bzw. personale Kompetenz sind akzeptierte Kategorien unter den Akteuren und eher dafür geeignet, subjektorientierte Unterscheidungsparameter zu entwickeln (s. Tabelle 1).

Tabelle 1: Kompetenz bzw. Handlungskompetenz in den Konzepten der am DQR beteiligten Akteure

KMK

Gewerkschaften

BIBB AG DQR

Arbeitgeber

DQR

Die Berufsschule soll (...) im allgemeinen Unterricht und soweit es im Rahmen des berufsbezogenen Unterrichts möglich ist auf Kernprobleme unserer Zeit wie zum Beispiel: Arbeit und Arbeitslosigkeit, Friedliches Zusammenleben von Menschen, Völkern und Kulturen in einer Welt unter Wahrung kultureller Identität, Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlage sowie Gewährleistung der Menschenrechte eingehen.

Die aufgeführten Ziele sind auf die Entwicklung von Handlungskompetenz gerichtet. Diese wird hier verstanden als die Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten. Handlungskompetenz entfaltet sich in den Dimensionen von Fachkompetenz, Humankompetenz und Sozialkompetenz.

Kompetenzentwicklung soll die berufliche Handlungskompetenz herausbilden sowie zu einer reflexiven Handlungsfähigkeit beitragen, die den Vollzug von Arbeitshandlungen unter weitgehender Mitbestimmung und Partizipation in der Arbeit und in der Gesellschaft ermöglicht. Reflexive Handlungsfähigkeit in der Arbeit heißt, sowohl über die Strukturen und Umgebungen als auch über sich selbst im Prozess der Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle von Arbeitsaufgaben zu reflektieren. Reflexivität meint dabei die bewusste, kritische und verantwortliche Einschätzung und Bewertung von Handlungen auf der Basis von Erfahrungen und Wissen. Sie ermöglicht individuell und sozial verantwortliche Handlungen und Entwicklungen in der Lebens- und Arbeitswelt.

Handlungskompetenz wird als Einheit von Fach-, Sozial- und Human- bzw. personaler Kompetenz definiert. Sie dient der Bewältigung unterschiedlich komplexer Anforderungen in Arbeits- und Lernsituationen. Sie versetzt damit, basierend auf Wissen und Erfahrung, Menschen in die Lage, gefundene Lösungen zu bewerten und die eigene Handlungsfähigkeit weiter zu entwickeln. Eine umfassende Handlungskompetenz ist unabdingbare Voraussetzung für Beruflichkeit, nachhaltige Beschäftigungsfähigkeit und fördert die gesellschaftliche Teilhabe.

Handlungskompetenz wird als Einheit von Fach- und Sozial- und Personalkompetenz definiert. Sie dient der Bewältigung komplexer Anforderungen in Arbeits- und Lernsituationen. Damit versetzt sie Menschen in die Lage, auf der Basis von Wissen und Erfahrung gefundene Lösungen zu bewerten und die eigene Handlungsfähigkeit weiterzuentwickeln.

Kompetenz bezeichnet im DQR die Fähigkeit und Bereitschaft, Kenntnisse, Fertigkeiten sowie persönliche, soziale und methodische Fähigkeiten in Arbeits- oder Lernsituationen und für die berufliche und persönliche Entwicklung zu nutzen. Kompetenz wird in diesem Sinne als Handlungskompetenz verstanden. Im DQR wird Kompetenz in den Dimensionen Fachkompetenz und personale Kompetenz dargestellt. Methodenkompetenz ist dabei integraler Bestandteil dieser Dimensionen. (Im EQR hingegen wird Kompetenz nur im Sinne der Übernahme von Verantwortung und Selbstständigkeit beschrieben.)

Für die Synopse genutzte Quellen:

KMK (2007)

DGB (2006)

BIBB-Hauptausschuss AG

Deutsche Wirtschaft (2008)

BMBF (2009)

 

 

DQR/ECVET (2007)

 

 

 

Erforderlich ist eine zweifache Reflexivität: eine strukturelle Reflexivität, die Arbeit, Arbeitsumgebungen und Arbeitsstrukturen hinterfragt und mitgestaltet, und die Selbstreflexivität, die das Reflektieren der Handelnden über sich selbst, beispielsweise die Gestaltung der eigenen Kompetenzentwicklung, beschreibt. Dieses Verständnis von Kompetenz liegt dem DQR jetzt zugrunde.

Im Zusammenhang mit der Diskussion über das Konzept nationaler Bildungsstandards weisen HERTLE und SLOANE (2007, 85) zu Recht darauf hin, dass sich das so genannte KLIEME-Gutachten bei der Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Bildungssystems eines kognitionstheoretischen Verständnisses von Kompetenzen bedient, das sich von einer an Fach-, Sozial- und Human-/personalen Kompetenz abgrenzt. Für KLIEME et al. (2003) sind Kompetenzen individuelle Dispositionen, die sich in der individuellen Leistung zeigen, konkrete Aufgaben zu lösen. Mit Blick auf die Berufsbildung macht sloane auf eine klare Feststellung des KLIEME-Gutachtens aufmerksam: „Der hier [im Gutachten] verwendete Begriff von Kompetenzen ist ausdrücklich abzugrenzen von den aus der Berufspädagogik stammenden und in der Öffentlichkeit viel gebrauchten Konzepten der Sach-, Methoden-, Sozial- und Personalkompetenz." (KLIEME et al. 2003, 15)

5 Zur Outcome-Orientierung

Eine vorrangige Outcome-Orientierung grenzt sich eindeutig ab von einer Bildungstradition, in der Lerninhalte, Lernprozesse und Lernergebnisse curricular aufeinander abgestimmt und entsprechend beschrieben werden, um gesellschaftliche und auf eine freiheitliche Persönlichkeitsentwicklung zielende Standards einzulösen. Die reine Outcome-Orientierung berücksichtigt nicht, dass die Qualität von Lernergebnissen vor allem davon abhängt, wie vorhergehende Lernprozesse gestaltet werden.

Für die Gewerkschaften steht außer Frage, dass die Outcome-Orientierung eng mit einer Qualitätssicherung von Input und Prozess verknüpft werden musste. Gesellschaftlich normierte und standardisierte Lernwege, wie und soweit sie in Aus- und Weiterbildungsordnungen verankert sind, dürfen nicht durch beliebige marktorientierte Lernvorgaben ersetzt werden. Die Fragmentierung abschlussbezogener, for-malisierter Bildungsgänge muss verhindert und die Beruflichkeit gewahrt werden.

Es gilt, Input-, Prozess- und Outcome-Orientierung prinzipiell zu berücksichtigen. In der Berufsbildung liegen diese drei Orientierungen der über Ausbildungs- und Fortbildungsordnungen fixierten Beruflichkeit seit jeher zugrunde. Die mit den Berufen vorgegebenen Standards sind bisher in Form von Qualifikationen festgelegt worden, die auf die Outcome-Orientierung als die einzulösende Berufsfähigkeit zielten. Die Berufsfähigkeit des professionellen Handwerkers, Facharbeiters, Fachangestellten, Meisters und anderer Berufe bilden den Orientierungsrahmen für die Aus- und Weiterbildung der Betriebe und berufsbildenden Schulen. Dabei wird über berufsinhaltliche Grundlagen und die Qualitätsgestaltung des Qualifizierungsprozesses die Input- und Prozess-Orientierung gleichberechtigt einbezogen.

Darüber hinaus dürfen abschlussbezogene formalisierte Bildungsgänge nicht fragmentiert werden. Die Beruflichkeit ist zu beachten, eine umfassende berufliche Qualifizierung und der institutionell und gesetzlich gewährleistete Erwerb beruflicher und beruflich-wissenschaftlicher Handlungsfähigkeit muss erhalten bleiben.

6 Anerkennung non-formal und informell erworbener Kompetenzen

Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Lissabon-Strategie wird auch die Anerkennung informellen Lernens gefordert. Die Empfehlung zur Entwicklung eines Europäischen Qualifikationsrahmens beinhaltet, bei der Beschreibung und Definition von Qualifikationen einen Ansatz zu verwenden, der auf Lernergebnissen beruhte, und die Validierung nicht-formalen und informellen Lernens zu fördern. In verschiedenen Ländern wird an Zertifizierungsmodi für „informal and prior learning" gearbeitet, um entsprechende Kompetenzen sichtbar zu machen. In einigen europäischen Ländern gibt es Anerkennungsprozeduren, die auch bisher eher versteckte, beruflich relevante Kompetenzen transparent machen können.

Die Validierung nicht-formalen und informellen Lernens hat in der Bundesrepublik Deutschland noch wenig Gewicht. Berufliche Qualifikationen werden fast ausschließlich über formelle Bildungsgänge erfasst. Qualifikationsnachweise beruhen weitgehend auf formalisierten Bildungsgängen und Prüfungen. Lernen, das sich außerhalb der formalisierten Bildung in offenen Kontexten vollzieht, wird nur in geringem Maße dokumentiert.

Die Frage, welche Verfahren und Institutionen erforderlich sind, um Lernergebnisse bzw. Kompetenzen im formalen, non-formalen und informellen Bereich im europäischen Rahmen zu erfassen, zu übertragen und anzurechnen, ist in Deutschland noch nicht ausreichend diskutiert worden. Den Mitgliedsstaaten wird aber empfohlen, hierfür „competent bodies" (zuständige Stellen; nicht zu verwechseln mit Industrie- und Handelskammern bzw. Handwerkskammern) einzurichten.

Folgende Kriterien sollten dabei berücksichtigt werden:

  • Die Anerkennung von non-formalem und informellem Lernen sollte als integraler Bestandteil der nationalen Qualifikationssysteme betrachtet werden.
  • Berufliche Handlungskompetenz und Beruflichkeit sollten Bezugsrahmen für die Anerkennung von non-formalem und informellem Lernen sein.
  • Die Entwicklung des Deutschen Qualifikationsrahmens bietet die Chance für eine systematische Einbindung der Anerkennung von nonformalem und informellem Lernen in das Qualifikationssystem.
  • Die Sozialpartner müssen Schlüsselakteure bei der Entwicklung von Systemen zur Anerkennung von non-formalem und informellem Lernen sein.
  • Bei den Methoden, die zur Anerkennung von non-formalem und informellem Lernen führen, sollte es sich im Wesentlichen um Instrumente handeln, die auch beim formalen Lernen Anwendung finden.  Sie sollten in einer Weise übernommen, kombiniert und angewendet werden, die den individuellen Besonderheiten und dem nicht standardisierten Charakter des non-formalen und informellen Lernens Rechnung tragen.
  • Die wirksame Durchführung der Anerkennung von non-formalem und informellem Lernen hängt wesentlich von der fachlichen Leistung der Beraterinnen, Bewerter/innen und Organisatoren/innen der Anerkennungsprozesse ab.
  • Notwendig ist ein formeller Rahmen, in dem die Anerkennung von non-formalem und informellem Lernen vollzogen wird. Als Modell hierfür bietet sich die deutsche Anerkennungsverordnung zur Zertifizierung von Maßnahmen und Trägern (AZWV) an. Eine bundesweite Rechtsverordnung legt Kriterien und Qualitätsstandards für die Anerkennung von non-formalem und informellem Lernen fest. Vorhandene und neu einzurichtende Institutionen müssen anerkannt werden, um Anerkennungsverfahren durchführen zu können.
  • Das Anerkennungsverfahren muss für die Einzelne bzw. den Einzelnen kostenlos sein, es soll aus Steuermitteln finanziert werden.

7 Zur Frage der Zuordnung

Bei der Zuordnung von Qualifikationsprofilen stehen zwei zentrale Fragen im Vordergrund. Es ist die Frage des Verhältnisses von hochschulischen und beruflichen Aufstiegsfortbildungsgängen und die Frage des Verhältnisses von allgemein schulischer und beruflicher Bildung.

Allem Anschein nach ist es gelungen, im Interesse eines bildungsbereichs-übergreifenden Ansatzes des DQR gemeinsame Deskriptoren für die Zuordnung zu allen Niveaus zu entwickeln. Dies schließt auch die in Europa heiß umkämpften Niveaus 6, 7 und 8 ein. Während diese Niveaus in den meisten Mitgliedsstaaten von der Hochschule dominiert werden und Bachelor, Master und PHD ein Alleinstellungsmerkmal haben, sind im DQR die Voraussetzungen geschaffen worden, beruflich Qualifizierte auch den höchsten Niveaus zuzuordnen, ohne dass sie die Hochschule auch nur einen Tag von innen gesehen haben. Das war aus gewerkschaftlicher Sicht eine unerlässliche Bedingung.

Noch nicht abgeschlossen ist die Diskussion um das Verhältnis zwischen allgemein schulischen und beruflichen Bildungsgängen. Die KMK beharrt offensichtlich auf einer Zuordnung des „deutschen Abiturs" auf Niveau 5, während die Berufe nach Berufsbildungsgesetz und Handwerksordnung differenziert den Niveaus 3 bis 5 zugeordnet werden sollen. Dies ist nicht akzeptabel.

Allgemeinbildende Schulabschlüsse stellen Basiskompetenzen für weiterführende Bildungswege dar und besitzen in der Regel für sich alleine keine Arbeitsmarktrelevanz. Dies gilt für die Fachkompetenz, aber insbesondere auch für die Sozial- und Selbstkompetenz, wie sie im DQR beschrieben wird. Eine Zuordnung der Fachgebundenen und Allgemeinen Hochschulreife auf Niveau 5 des DQR, wie es die KMK vorschlägt, ist daher nicht nachvollziehbar und keinesfalls zu rechtfertigen. Eine Zuordnung oberhalb der drei- und dreieinhalbjährigen Ausbildungsberufe würde auch der Empfehlung der Experten aus der zweiten Erarbeitungsphase des DQR widersprechen. Diese haben Ausbildungsberufe überwiegend dem Niveau 4 zugeordnet.

Bei konsequenter Beachtung der für die Zuordnung relevanten Kompetenzbeschreibungen des DQR dürfen Fachgebundene und Allgemeine Hochschulreife nicht über drei und dreieinhalbjähriger Berufsausbildung eingeordnet werden. Auch mit Blick auf den EQR und die Zuordnungsvorschläge anderer Mitgliedsstaaten der EU, die u. a. die im so genannten „Short Cycle Program" vermittelten Kompetenzen dem Niveau 5 zuordnen, ist eine Zuordnung der Fachhochschulreife ebenso wie der Fachgebundenen und Allgemeinen Hochschulreife auf das Niveau 4 inhaltlich begründet und sinnvoll.

8 Fazit

Länder wie Irland und Schottland haben sich viel Zeit für einen nationalen Qualifikationsrahmen gegeben. Voraus gingen vielfältige Reformprozesse, die in nationalen Qualifikationsrahmen zusammengeführt wurden. Die Akteure in Deutschland haben lange Zeit die Augen vor der europäischen Bildungsdebatte verschlossen. Auch wenn sie uns jetzt erreicht hat: Wir sollten uns nicht einer Sachzwanglogik nach dem Motto unterwerfen: „Schnell einen DQR entwickeln, um nicht abgehängt zu werden." Es ist konsequent, für den zu erarbeitenden DQR eine entsprechende Erprobungsphase vorzusehen.

Dabei darf es nicht nur um die Erprobung der technischen Handhabbarkeit gehen. Es ist ausdrücklich eine Weiterentwicklung, Revidierbarkeit und Evaluation vorzusehen. Die Erprobungsphase sollte durch ein anspruchsvolles Forschungsprogramm begleitet werden. Es sollte sich nicht auf eng definierte Zielvorgaben europäischer Förderprogramme beschränken. Insbesondere besteht die Notwendigkeit, Folgewirkungen des DQR für Arbeitnehmer/-innen, deren Kompetenzentwicklung sowie Berufs- und Arbeitsbiografien, für den Arbeitsmarkt und die Personal- und Organisationsentwicklung der Unternehmen zu untersuchen. Es sollten Anstrengungen unternommen werden, um eine breitere Beteiligung der Betroffenen über Fachkreise hinaus an der Entwicklung und Umsetzung der Instrumente zur Gestaltung eines europäischen Bildungsraums sicherzustellen. Chancen und Risiken möglicher Auswirkungen müssen sichtbar gemacht werden.

Es besteht erheblicher Forschungsbedarf bezüglich der Frage, wie durch non-formales und informelles Lernen erworbene Kompetenzen in einem DQR abgebildet werden können. Hierzu sollten ebenfalls national gültige Standards auf der Grundlage eines Einvernehmens der Sozialpartner und auf ihre Initiative hin entwickelt werden, um eine flächendeckende Akzeptanz zu ermöglichen. Eine Definition der Standards bzw. eine Zertifizierung der durch non-formales und informelles Lernen erworbenen Kompetenzen durch Betriebe, Kammern, Bildungsanbieter oder Agenturen kann dagegen nicht in Betracht kommen.

Literatur

BIBB-HAUPTAUSSCHUSS AG DQR/ECVET (2007): Leitlinien zur Gestaltung eines DQR, Vorschlag aus der Perspektive der Berufsbildung, Diskussionsergebnis der Sitzung vom 27.08.2007.

BMBF (2009): Entwurf Deutscher Qualifikationsrahmen. Februar 2009. Online: http://www.deutscherqualifikationsrahmen.de   (01.12.2010).

BRUNNER, S./ ESSER, F. H./ KLOAS, P.-W. (2006): Der Europäische Qualifikationsrahmen - Bewertung durch die Spitzen­verbände der deutschen Wirtschaft. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Pra­xis, 35. Jg., Heft 2, 14-17.

DEUTSCHER GEWERKSCHAFTSBUND (DGB) (2006): Anforderungen des DGB an einen Nationalen Qualifikationsrahmen. De­zember 2006. Online: www.dgb.de   (01.12.2010).

DEUTSCHE WIRTSCHAFT (2008): Deutscher Qualifikationsrahmen (DQR). Position der deutschen Wirtschaft. Vorschlag für den Deutschen Qualifikationsrahmen. Glossar, 28.03.2008.

GREINERT, W.-D. (2007): Kernschmelze - der drohende GAU unseres Berufsausbildungssystems. Berlin. Online: http://www.ibba.tu-berlin.de/download/greinert/Kernschmelze.pdf  (08.02.2008).

HERTLE, E. M./ SLOANE, P. F. E. (2007): Portfolio - Kompetenzen - Standards. Neue Wege in der Lehrerbildung für berufsbildende Schulen. Paderborn.

KLIEME, E. et al. (2003): Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise. Frankfurt a. M.

KMK (2007): Handreichung für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen des Bundes für anerkannte Ausbildungsberufe. Bonn. Online: http://www.kmk.org/doc/publ/handreich.pdf  (07.02.2008).


Zitieren dieses Beitrages

NEHLS, H. (2011): Chancen des Deutschen Qualifikationsrahmens aus gewerkschaftlicher Sicht. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 08.1/2, hrsg. v. SCHWENGER, U./ HOWE, F./ VOLLMER, T./ HARTMANN, M./ REICHWEIN, W., 1-11. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft08/nehls_ft08-ht2011.pdf (19-11-2011).



Hochschultage Berufliche Bildung 2011 - Web page

http://www.hochschultage-2011.de/