bwp@ 30 - Juni 2016

Inklusion in der beruflichen Bildung

Hrsg.: H.-Hugo Kremer, Karin Büchter & Ulrike Buchmann

Mobiles Lernen als Ressource inklusiver Bildung: Anforderungskriterien für die individuelle Förderung in der beruflichen Erstausbildung im Elektrohandwerk (Projekt KOLA, BMBF)

Beitrag von Dino Cubela, Thomas Prescher & Jan Hellriegel

In der beruflichen Bildung wurde der Begriff Inklusion bis heute nicht genügend konkretisiert und erscheint daher als einer jener Begriffe, die als semantische Klammer für eine Vielzahl von Perspektiven, Interessen, Intentionen und Konzepten fungiert (vgl. Helmke/Hornsterin/Terhart 2000, 10).

Der Begriff erscheint als „Plastikwort“ (Pörksen 1992, 33), der eine Transformation in ein anschlussfähiges Verständnis von Kompetenzentwicklung benötigt. Inklusion in der beruflichen Bildung wird daher im Beitrag als das Bemühen beschrieben, durch schon vorhandene technische, institutionelle und individuelle Ressourcen den Bildungsweg aller Individuen chancengleich zu gestalten. Dazu wird im Beitrag die Theorie-Praxis-Lücke im Inklusionsdiskurs expliziert, welche ursächlich in der Dominanz eines „klinischen“ Modells der Inklusion gesehen wird. Demgegenüber wird für den Kontext der beruflichen Bildung mit seinen verschiedenen Lernorten ein „gemäßigtes“ Modell der Inklusion dargelegt, welches im Sinne einer „Bildung für Alle“ grundständig eine flexible Kompetenzorientierung zur Unterstützung behinderter Entwicklungsmöglichkeiten anstrebt.

Der Beitrag nutz dazu die vorliegenden Daten aus dem Forschungsprojekt KOLA (BMBF), das untersucht, wie mithilfe von mobilen Endgeräten ein ermöglichungsdidaktischer Ansatz in der beruflichen Erstausbildung im Berufsfeld der Elektrotechnik umsetzt werden kann. Dabei wurde eine Anforderungsanalyse als Kombination aus teilnehmender Beobachtung und offenen Leitfadeninterviews in einer Berufsschulklasse, Überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung und teilnehmenden Handwerksunternehmen durchgeführt.

Mit der Synthese der vorhandenen Daten aus KOLA und dem „gemäßigten“  inklusiven Gedanken wird folgende Forschungsfrage verfolgt: Welche Anforderungen ergeben sich an das Lernen mit mobilen Endgeräten in der beruflichen Bildung zur Förderung der Inklusion?

Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde eine Sekundäranalyse der in KOLA durchgeführten Anforderungsanalyse anhand des Inklusionsindexes nach Booth et al. (2003) vorgenommen. Die Ergebnisse der Sekundäranalyse werden dabei im Beitrag anhand der sechs Kategorien des Inklusionsindexes beschrieben.

Mobile Learning as a Resource of Inclusive Education: Requirements for Individual Advancement in Initial Vocational Training in the Electrical Trade (KOLA Project, Federal Ministry of Education and Research)

English Abstract

In the field of vocational training, the term "inclusion" has still not been adequately defined and therefore serves as an umbrella term for a multitude of perspectives, interests, intentions and concepts (see also Helmke/Hornsterin/Terhart 2000, 10).

The term appears to be a "plastic word" (Pörksen 1992, 33) that needs to be transformed into a clear understanding of competence development. The article thus describes inclusion in vocational training as the attempt to develop a system of education that offers equal opportunities using available technical, institutional and personal resources. The article analyses the gap between theory and practice in the discussion on inclusion, the origin of which is seen in the dominance of a "clinical" model of inclusion. In contrast, a "moderate" model of inclusion is presented for the context of vocational training with its various learning venues, which, in the spirit of "education for all", strives to achieve flexible skills orientation to support development options for the disabled.

For this purpose, the article uses the data available from the research project KOLA (Federal Ministry of Education and Research), which examines how mobile terminals can be used to implement an approach of empowerment didactics in initial vocational training in electrical engineering. A requirement analysis was carried out as a combination of participating observation and semi-structured interviews in vocational school classes, inter-company apprentice tuition and participating craft enterprises.

Based on a synthesis of available data from KOLA and the "moderate" idea of inclusion, the following research question will be addressed: What is required of learning with mobile terminals in vocational training in order to promote inclusion?

To answer this research question, a secondary analysis of the KOLA requirement analysis was carried out using the inclusion index of Booth and others (2003). The article describes the results of the secondary analysis on the basis of the six categories of the inclusion index.

1 Problemaufriss: Inklusion als sozialpolitische Anforderung

Inklusion ist ein Thema, das in den letzten zwei Jahrzenten stark in den Fokus gesellschaftlicher Diskussionen gerückt ist und auch stark im Bereich der beruflichen Bildung auf Resonanz in den Diskursen stößt. In der Inklusion wird ein Weg gesehen, bei dem jedes Individuum seine Potentiale entwickeln kann und diese auch in der Gesellschaft gewürdigt werden. Die Würdigung basiert darauf, dass in der Gesellschaft menschliche Vielfalt akzeptiert wird. Aktuelle Diskurse beschränken sich jedoch häufig auf ein Inklusionsverständnis, welches im Rahmen des Beitrages als klinisches Modell beschrieben wird. Die aktuell erschiene Auswahlbibliographie des Bundesinstituts für Berufliche Bildung zum Thema „Inklusion in der beruflichen Bildung“ (Linten/Prüstel 2016) beinhaltet dementsprechend 27 von 51 Nennungen, die sich explizit auf den Umgang mit Menschen mit Behinderung beziehen, was sicher seine Ursache in der Annahme der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung durch Deutschland im Jahr 2009 hat. Hier liegt hinsichtlich der Umsetzung in der beruflichen Bildung ein erheblicher Diskurs- und Klärungsbedarf begründet.

Einige der dargestellten Veröffentlichungen der Auswahlbibliographie beziehen sich darüber hinaus eher auf ein Verständnis des Umgangs mit Jugendlichen mit Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu einem breit angelegten Verständnis, welches in der inklusiven Bildung den Anspruch sieht, allen SchülerInnen gerecht zu werden (vgl. Koch 2014, 2). Hiermit kommt zum Ausdruck, dass offensichtlich bei den PraxisvertreterInnen erhebliche Unsicherheiten und Ängste bestehen, mit den auf sie zukommenden Anforderungen umzugehen und den Ansprüchen einer Bildungsinklusion gerecht zu werden. Im Thema Behinderung als zentraler Bezug der Bildungsinklusion scheint die Hürde zu bestehen, dass sich die handelnden Lehrkräfte unvorbereitet fühlen und das die organisationalen und materiellen Rahmenbedingungen in den Lernorten darauf nicht abgestimmt sind. Diesbezüglich wird von einer erheblichen Theorie-Praxis-Lücke im Konzept der Inklusion ausgegangen. Aus diesem Grund wird im Beitrag ein gemäßigtes Inklusionsverständnis entwickelt, welches bezugnehmend auf Shore et al (2011) dem Ansatz einer flexiblen Kompetenzorientierung zur Unterstützung behinderter Entwicklungsmöglichkeiten folgt. Inklusion wird hier als „Zugehörigkeit“ und „Wertschätzung der Einzigartigkeit“ gefasst.

Das grundlegende Ziel des Beitrages ist es dabei, wie unter den spezifischen Eigenheiten der beruflichen Bildung mit seinen bis zu drei Lernorten unter Ausnutzung der Lernortkooperation eine inklusive Bildung gestaltet werden kann. Dazu bezieht sich der Beitrag auf das gemäßigte Verständnis von Inklusion, da Anschlussmöglichkeiten in der Umsetzung an bereits bestehende Strukturen, Ressourcen und Konzepte gesehen werden. Im Beitrag geht es um die Frage, wie die gegenwärtige berufliche Bildung chancengleich gestaltet werden kann, in dem die individualisierte Kompetenzentwicklung mittels des Einsatzes digitaler Medien als vierter Lernort unterstützt wird.

Zu diesem Zweck wurde eine Sekundäranalyse zu bereits vorliegenden Daten aus einem BMBF-Projekt mit dem Titel KOLA (Kompetenzorientiertes Lernen im Arbeitsprozess mit digitalen Medien, Förderkennzeichen: 01PD14001) durchgeführt. Im Rahmen dieses Projektes wurde eine Anforderungsanalyse an das Lernen mit mobilen Endgeräten zur Förderung der Lernortkooperation durchgefühlt. Aus den vorhandenen Daten wurden im Rahmen dieses Beitrags entlang der Indikatoren des Inklusionsindexes (vgl. Booth et al., 2003) Anforderungen und Empfehlungen an das Lernen mit mobilen Endgeräten in der beruflichen Bildung zur Förderung der Inklusion gebildet. Das methodische Vorgehen wird in Kapitel 4, die Ergebnisse aus der Sekundäranalyse in Kapitel 5 und die daraus abgeleiteten Anforderungen in Kapitel 6 dargestellt.

2 Theorie-Praxis-Lücke des Inklusionsdiskurses: Klinisches Modell der Inklusion

Inklusion erscheint als eine Art semantische Klammer für eine Vielzahl von Perspektiven, Interessen, Intentionen und Konzepten (vgl. Helmke et al. 2000, 10). Diesem Begriff haftet der Charme von „Plastikwörtern“ an, wie es Pörksen (1992, 16ff.) formuliert. Unter Plastikworten versteht der Autor fachsprachliche Begrifflichkeiten, die sich kaum in die alltäglichen Lebenszusammenhänge einzufügen scheinen. Sie fungieren zwar auf der einen Seite als Türöffner zum Erschließen eines Raumes, eignen sich aber nicht dafür, das Hindurchgehen zu ermöglichen. Sie sind auf eine gewisse Art und Weise verständlich und ermöglichen Anschlüsse im professionellen Austausch, bleiben jedoch zu unspezifisch, als dass die Praxis mit diesen Worten tatsächlich etwas gestalten könnte. An dieser Stelle fehlt eine Transformation des begrifflichen Bedeutungsgehaltes in ein anschlussfähiges Verständnis von Kompetenzentwicklung, da mit der Verschiebung auf Inklusion die positive Seite einer Unterscheidung zwar bevorzugt wird, d.h. als wertvoller bezeichnet wird als ein Bildungssystem, das auf Exklusion basiert. Doch Inklusion kann nicht per se vorteilhafter als ein anderes sozialpolitisches Szenario bewertet werden. Denn nur, weil über Inklusion gesprochen wird, findet sie noch lange nicht in der beruflichen Bildung statt.

Eine Ursache für den normativ aufgeladenen öffentlichen Diskurs kann einerseits in der Individualisierungsproblematik moderner Gesellschaften gesehen werden (vgl. Schimank 2002, 65ff.) und andererseits in der Performanzproblematik des Finanzkapitalismus mit seinem inherenten Wettbewerbs- und Unsicherheitsdruck für die Individuen und die Unternehmen (vgl. Ludwig 2013, 234). Beide Tendenzen führen zum allgegenwärtigen Risiko der Exklusion. Hier kann das Hauptdilemma des Systems der dualen Berufsausbildung sichtbar gemacht werden, das darin besteht, dass ein individualisiertes Inklusionsbegehren identifiziert werden kann, was einer Leistungssteigerung gesellschaftlicher Teilbereiche durch wissenschaftlich-technische Innovationen gegenübersteht, was sogar dem Prinzip des Bildungssystems, welches auf Selektion durch die Leistungen der Auszubildenden basiert, widerspricht (vgl. Luhmann/Schorr 1999, 251).

Das Inklusionsbegehren erscheint an dieser Stelle als problematisch. Tenorth (2013, 9) weist darauf hin, dass im Rahmen der deutschen Bildungspolitik ein eher enges Verständnis von Bildungsinklusion dominiert, welches als „klinisches“ Modell bezeichnet werden kann. In diesem Verständnis stehen Kinder mit Behinderungen und medizinischen Diagnosen im Vordergrund, die im Sinne der Salamanca-Erklärung (1996, 4) mit begabten und „normalen“ SchülerInnen gemeinsam beschult werden sollen. Das klinische Modell lässt sich nach Low (1997, 77) als harte Inklusion fassen, was trotz der Ausrichtung auf SchülerInnen mit Behinderungen versucht allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Inklusion bedeutet dabei, in der Gesellschaft als Mitglied dabei zu sein und nicht ausgeschlossen zu sein. Dabei steht die Forderung im Mittelpunkt, dass jedes Mitglied der Gesellschaft ein Recht auf Teilhabe hat und jedem Mitglied eine reale Chance dazu gegeben werden muss (vgl. Goldschmidt/Homann 2011, 32). Dieses enge Verständnis verstellt damit gerade für den Bereich der beruflichen Ausbildung mehr Zugänge zu einem Inklusionsverständnis, als dass dieses Modell etwas klärt. Denn der Ort, an dem Inklusion stattfindet, so die Autoren, ist der Arbeitsmarkt als der bestimmende Mechanismus für ein auf Teilhabe und Selbstbestimmung ausgerichtetes Leben. Ein Inklusionsverständnis, das in dieser Hinsicht versucht jedem gerecht zu werden, läuft Gefahr, niemanden zu erreichen (vgl. Low 1997, 77). Dies zeigt sich besonders in der Lücke zwischen dem theoretischen und konzeptionellen Anspruch von Inklusion auf sozialpolitischer Ebene und der Wahrnehmung des Themas auf Seiten der PraxisvertreterInnen, die Inklusion in Berufsschule und in der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung umsetzen müssen. Hier dominiert die „Angst vor Inklusion“ (Fischer 2015).

So hat Seifried (2015, 117) in ihrer Studie über die Einstellungen von Lehrkräften zu Inklusion und deren Bedeutung für den schulischen Implementierungsprozess diese Wirkung belegen können. In der Studie befragte sie 652 Lehrkräfte in den Städten von Mannheim und Heidelberg zu diesem Thema, und legt dar, dass insgesamt 51% aller Aussagen der Lehrkräfte sich auf die Angst vor negativen Auswirkungen der Umsetzung der Inklusion im Bildungssystem beziehen. Die wichtigsten Punkte denen gegenüber das Lehrpersonal Besorgnis äußert sind:

Abbildung 1: Angst vor Inklusion. Quelle: Eigene Darstellung nach Seifried 2015, 118Abbildung 1: Angst vor Inklusion. Quelle: Eigene Darstellung nach Seifried 2015, 118

3 Flexible Kompetenzorientierung zur Unterstützung behinderter Entwicklungsmöglichkeiten: Gemäßigtes Modell der Inklusion

Aufgrund der Angst vor Inklusion scheint es notwendig zu sein, eine gemäßigte Position von Inklusion für den Bereich der beruflichen Bildung zu formulieren. Dem „klinischen“ Modell von Inklusion kann ein weitergefasstes Begriffsverständnis gegenübergestellt werden, da Inklusion mehr meint, als den Umgang mit Behinderungen (vgl. Biewer 2009, 61). Das Verständnis einer „Bildung für alle“ kann als Ansatz einer grundlegenden Idee verstanden werden, welche das Ziel formuliert, das „(…) alle Kinder, Jugendliche und Erwachsene (...) die Möglichkeit erhalten, zu lernen“ (Deutsche UNESCO-Kommission 2009, 7). Für den Kontext der beruflichen Bildung scheint ein weitergefasstes Verständnis von Inklusion erforderlich, da einerseits die berufliche Bildung ein spezifischer Teilbereich des Bildungssystems mit bis zu drei Lernorten ist und zum anderen im Rahmen des Beitrags ein Ansatz erforderlich erscheint, den Inklusionsbegriff zu entzaubern und mit Anschlussfähigkeit zu den Akteuren im Feld auszustatten. In der Lernortkooperation kann ein besonderes Potential für die Realisierung von Inklusion in der beruflichen Bildung gesehen werden, da für den Prozess der Implementierung von Inklusion die Beteiligung aller involvierten Stakeholder nicht nur hilfreich, sondern erforderlich ist (vgl. Nes 2009, 317). „Die didaktische Leitidee von Lernortkooperation besteht (…) in der Verzahnung von praktischem Handeln und theoretischer Reflexion.“ (Diesner et al. 2004, 6). Jedoch wird gerade für kleinere und mittelständige Unternehmen ohne einen hauptverantwortlichen Ausbildenden deutlich, dass dort kaum kooperiert wird bzw. diese Kooperation nicht nach berufspädagogischen Interessen erfolgt, sondern nach eigenen Systeminteressen (vgl. Pätzold 2003, 80).

Entsprechend der Systeminteressen der Ausbildungsbetriebe spricht Schmidt (2016, 403) von der Herausforderung, dass sich Betriebe gar nicht verpflichtet haben ein Verständnis von Inklusion gemeinsam mit der Schule zu entwickeln bzw. diese sich nicht verpflichtet haben, Auszubildende im dominierenden sozialpolitischen Verständnis der Inklusion auszubilden. Praktisch bedeutet dies, dass Betriebe, da sie auf freiwilliger Basis mit Schulen kooperieren, nicht gezwungen werden können Menschen auszubilden, die ihren Kriterien von Auszubildenden nicht entsprechen. Diese Problemlage wurde auch in der Studie von Enggruber et al. (2013, 26) bestätigt, nach der sich 36% aller befragten Ausbildungsbetriebe und 33% aller Gewerkschaftsvertreter dazu äußerten, dass eine inklusive duale Bildung die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe eher senken würde.

Insgesamt kann für die Berufsbildung in Bezug auf die Lernortkooperation und das Thema Inklusion eine mangelnde Abstimmung innerhalb des Systems festgestellt werden. Wissen bleibt hier insgesamt träges Wissen, da ein Kontexttransfer theoretischer und praktischer Inhalte und eine Integration beim Lernenden zwischen den Lernorten nicht unterstützt und begleitet wird. Hier wird eine „Lernortkooperation im Kopf“ (Elsholz/Knutzen, 2009, 96) erwartet, welche gerade für Auszubildende mit Förderbedarf problematisch erscheint. Als problematisch stellen sich aber nicht nur die Auszubildenden mit einem medizinisch diagnostizierten Förderbedarf dar, sondern die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen, welche weitreichende Konsequenzen für die Gestaltung beruflicher Bildung haben und einen Förderbedarf im weitesten Sinne verursachen. So besteht zwar auf der einen Seite der Trend zur „Akademisierung der Gesellschaft“ (Lüttinger 1994), der aber auf der anderen Seite auf der Ebene der „überlaufenen“ Gymnasien zu erheblichen Schulabbrecherquoten (vgl. Stamm 2008, 481ff.) und auf Ebene der Universitäten zu erheblichen Dropoutquoten (vgl. Zimmermann et al. 2008, 1) führt. Diese „landen“ dann mit erheblichen Defiziten in ihrem lernbezogenen Selbstwirksamkeitserleben und einer eingeschränkten Lernmotivation im Bereich der beruflichen Bildung. Verschärft wird der Förderbedarf zudem durch das Problem des zunehmenden Fachkräftebedarfes, der zur Ausschöpfung weiterer Begabungsreserven von jungen Erwachsenen mit spezifischen Beeinträchtigungen führt (vgl. Arnold et al. 2014, 4). Unter diesen Rahmenbedingungen wird für die berufliche Bildung ein Inklusionsverständnis benötigt, das auf „(…) einer flexiblen Kompetenzorientierung als die Akkumulierung erfolgreicher Lernprozesse (…)“ (Hartong 2016, 189) ausgerichtet ist. Sollen die Lernortkooperation und die Inklusion nicht nur einer utopischen und schwer erreichbaren Form der Berufsausbildung dienen (vgl. Euler/Berger 1999, 13) braucht es eine doppelte Transformation. Zum einen gilt es die ideologische Generalisierung des klinischen und harten Inklusionsverständnisses zu überwinden und ein an der Praxis ausgerichtetes gemäßigtes Verständnis zu formulieren (1). Zum anderen gilt es dieses Verständnis auf der programmatischen Ebene zu konkretisieren (2).

1. Lernen in der dualen beruflichen Bildung findet an mindestens drei Lernorten statt. Die Auszubildenden sind hier Teil eines komplexen Institutionengefüges und Teil einer jeden einzelnen Organisation der Lernorte und ihrer Lerngruppen. Shore et al. (2011, 1265ff.) bieten hier ein Inklusionsverständnis an, dass sich konkret auf Mitglieder von Organisationen bezieht. Inklusion bedeutet hier „Zugehörigkeit“ und „Wertschätzung der Einzigartigkeit“: „We define inclusion as the degree to which an employee perceives that he or she is an esteemed member of the work group through experiencing treatment that satisfies his or her needs for belongingness and uniqueness“ (ebd.).

Die Auszubildenden fühlen sich in einem organisationspädagogischen Verständnis demnach dann inkludiert, wenn sie sich an den jeweiligen Orten und im gesamten System zugehörig fühlen, ihre Erfahrungen und Hintergründe einbringen können und diese durch die Akteure in den Bereichen eine Wertschätzung erfahren (Feld A). Fühlen sie sich dagegen zugehörig, müssen sich aber gleichzeitig zu sehr an dominierende Normen anpassen, findet lediglich eine Assimilation statt (Feld B). Können die Auszubildenden ihre Eigenheit ausleben und fühlen sich nicht zugehörig, dann sprechen die Autoren von Differenzierung (Feld C). Trifft weder das Zugehörigkeitsgefühl, noch die Wertschätzung der Eigenheit zu, so lässt sich dies als Form der Segregation beschreiben (Feld D) (vgl. Bender-Szymanski 2006, 43ff.). Die Vision einer Bildungsinklusion meint dabei einen Beitrag, dass innerhalb der Lernorte und zwischen den Lernorten die Auszubildenden dabei unterstützt werden, ihre Fähigkeiten und Potentiale im Rahmen ihrer Kompetenzentwicklungsprozesse mit dem Ziel der beruflichen Handlungskompetenz zu entwickeln und zu entfalten, ohne nachhaltig durch strukturelle Rahmenbedingungen, Vorurteile und Rollenerwartungen beeinträchtigt und am Lernen gehindert zu werden (vgl. Sander/Hartmann 2015, 2). Inklusion meint hier einen Ansatz, der darauf ausgerichtet ist, Bildungsungleichheiten trotz sozialer, sprachlicher, religiöser und leistungsbezogener Heterogenität auszuschließen (vgl. Schnell/Sander 2004, 46ff).

Abbildung 2: Organisationspädagogisches Inklusionsverständnis. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Shore et al. 2011, 1265ff.Abbildung 2: Organisationspädagogisches Inklusionsverständnis. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Shore et al. 2011, 1265ff.

2. Zur Klärung, wie auf der programmatischen Ebene dieses Inklusionsverständnis umgesetzt werden kann, dient das BMBF-geförderte Forschungsprojekt KOLA. Im Mittelpunkt steht eine Verbesserung der Ausbildungsqualität im Elektrohandwerk durch eine stärkere Lernortkooperation. Im Projekt wird das Ziel verfolgt, mobiles Lernen mit digitalen Medien unter den Bedingungen der dualen Berufsausbildung im Berufsfeld Elektro- und Informationstechnik im Geschäftsbereich der Handwerkskammer des Saarlandes zu gestalten und einzuführen.

Im Projekt wird dabei eine Zusammenarbeit zwischen Ausbildungsbetrieben, Stätten zur überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung (ÜLU) und Berufsschulen angestrebt, wobei mit Blick auf die Lernortkooperation zum vermeiden trägen Wissens und zur Unterstützung der Lernenden in den verschiedenen Lernorten, der Berufsschule und der Überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung in den Berufsbildungszentren eine Schlüsselrolle in der Praxisbegleitung und im Theorie-Praxis-Transfer zukommt.

Im Projekt ergibt sich ein Ansatz der programmatischen Umsetzung des beschriebenen Inklusionsverständnis, in dem die zum Einsatz kommenden digitalen Medien in Anlehnung an Burchert/Schulte (2011, 4) als vierter Lernort konzipiert werden, welches es den Lernenden ermöglichen soll, nicht nur im physischen Raum zu handeln und zu lernen, sondern auch ortsungebunden im virtuellen Raum Feedback einzufordern und sich gedanklich mit den berufspraktischen Problemstellungen auseinanderzusetzen und dafür Unterstützung zu erfahren (dargestellt im zweiten Teil von Abb.3).

Abbildung 3: Förderung der Lernortkooperation mit digitalen Medien. Quelle: Eigene DarstellungAbbildung 3: Förderung der Lernortkooperation mit digitalen Medien. Quelle: Eigene Darstellung

Das bedeutet im Sinne des hinterlegten Inklusionsverständnis aber auch, die Lernenden wie die Lehrenden mit ihrer Lernkompetenz in den Blick zu nehmen und dabei sowohl Denkoperationen als auch praktisches Handeln zu verbinden, wobei die Reflexion und die Eigenverantwortung einen ebenso zentralen Stellenwert besitzen wie die Verbindung zum bestehenden Vorwissen (vgl. Pätzold/Lang 2004, 3). In diesem Sinne meint Inklusion, unter Bezug auf den Inklusionsindex, in der beruflichen Bildung das Bemühen, durch schon vorhandene technische, institutionelle und individuelle Ressourcen den Bildungsweg aller Individuen chancengleich zu gestalten. Der Inklusionsindex orientiert sich dabei selbst an einem sozialen Modell der Inklusion und nicht an einem medizinischen Modell (vgl. Booth et al. 2003, 13). Im vorliegenden Beitrag wird dementsprechend geprüft, welche Ressourcen bereits vorhanden sind und wie sie im Rahmen eines Lernszenarios mit mobilen Endgeräten genutzt werden können. Das Kernanliegen ist es dabei, nicht das System der beruflichen Bildung aus der Perspektive der Inklusionsdebatte zu kritisieren, sondern Gestaltungsoptionen im Rahmen der sich bietenden Möglichkeiten mit Hilfe des Inklusionsindexes aufzuzeigen.

4 Methodik

Um eine Antwort auf die Forschungsfrage zu geben, welche Anforderungen sich im Kontext beruflicher Bildung an das Lernen mit mobilen Medien ergeben, um Inklusion fördern zu können, wurde eine Sekundäranalyse der vorliegenden Daten aus dem KOLA-Projekt (BMBF) vorgenommen. Im Rahmen des KOLA-Projektes wurden im Zuge einer Anforderungsanalyse zur Gestaltung eines virtuellen Lernraumes im Bereich der beruflichen Ausbildung Leitfadeninterviews und teilnehmende Beobachtungen durchgeführt. Aus diesen Daten wurden fördernde und hindernde Faktoren für ein mobiles Lernen anhand des MTO-Schemas nach Rühl (1973) identifiziert. Diese Daten bieten sich als Ausgangslage für die Sekundäranalyse an, da sie vielfältige Faktoren bereitstellen, die im Hinblick auf Inklusion bewertet und dargestellt werden können.

Da die Daten allerdings aus einem inklusiven Blickwinkel keine Strukturierung vorweisen, ist es erforderlich, diese in einem ersten Schritt im Hinblick auf die zu untersuchende Thematik zu bewerten und zu gewichten und in einem zweiten Schritt neu zu strukturieren. Der Inklusionsindex nach Booth et al. (2003) bot sich dabei als Strukturierungsraster an: „The understanding of inclusion in the Index is a broad one, concerning the reduction of all kinds of exclusion from and within education“ (Nes 2009, 306) Als Ergebnis der Verwendung des Inklusionsindexes in dieser Sekundäranalyse lässt sich ein Raster mit fördernden und hindernden Faktoren für eine inklusive duale Berufsbildung mit digitalen Medien ablesen. Hieraus wurden Anforderungen für eine inklusive Berufsbildung mit Medien abgeleitet. Das Gesamtvorhaben ist in Abbildung 4 dargestellt. Nachfolgend soll die Methodik der Primäranalyse aus KOLA sowie der Sekundäranalyse bzgl. der inklusiven Berufsbildung genauer dargestellt werden. In Kapitel 6 werden die Ergebnisse der Sekundäranalyse dargestellt.

Abbildung 4: Auswertungsmethode. Quelle: Eigene DarstellungAbbildung 4: Auswertungsmethode. Quelle: Eigene Darstellung

4.1 Anforderungsanalyse in KOLA

Die Anforderungsanalyse im Forschungsprojekt KOLA, welche im Frühjahr 2015 durchgeführt wurde, folgte dem Ziel, für die jeweiligen Lernorte der beruflichen Bildung Faktoren zu identifizieren, welche ein arbeitsprozessintegriertes sowie ein arbeitsprozessorientiertes Lernen mit mobilen Endgeräten entweder fördern oder aber auch behindern. Diese Faktoren wurden als Ausgangslage für die Konzeption einer App sowie einer Lernplattform genutzt, die in saarländischen Ausbildungsbetrieben, Schulen und ÜLUs erprobt wurde.

Die Erhebung bestand aus teilnehmenden Beobachtungen sowie aus standardisierten Leitfadeninterviews (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010). Zu den Teilnehmenden der Erhebung zählten 13 Auszubildende einer Berufsschulkasse, deren Ausbildungspersonal, beteiligte Monteure der jeweiligen Betriebe, beteiligte UnternehmerInnen der jeweiligen Betriebe, sowie Lehrkräfte aus der Berufsschule und den ÜLU-Kursen, welche die beteiligte Berufsschulklasse unterrichten.

Die Anforderungsanalyse bewegte sich dabei stets im Spannungsfeld Mensch-Technik-Organisation (MTO). Bezugnehmend auf dieses MTO-Schema (Rühl 1973) wurden vier Perspektiven im Rahmen der Erhebung und Auswertung berücksichtigt:

1. Soziale Perspektive (Mensch)
Fokus auf den beteiligten Individuen der drei Lernorte als auch auf dem sozialen Kontext

2. Technische Perspektive
Fokus auf dem zu entwickelnden System und dem technischen Kontext

3. Organisatorische Perspektive
Fokus auf dem organisationalen Kontext sowie den Rahmenbedingungen des System-Einsatzes

4. Aufgaben-Perspektive
Fokus auf den Aufträgen und Aufgaben, welche die Auszubildenden vom Lehr- und Ausbildungspersonal erteilt bekommen

Diese vier aufgeführten Perspektiven beschreiben die thematische Ausrichtung und die Struktur der Erhebungsinstrumente. Die erhobenen Daten wurden im Hinblick auf fördernde und hindernde Faktoren in Bezug auf mobiles Lernen in der beruflichen Bildung strukturiert und entsprechend der vier Lernorte sortiert. Im Zuge dieser Auswertung konnten 778 Einzelaussagen als förderlich oder hinderlich identifiziert werden.

4.2 Sekundäranalyse

Im Rahmen der Sekundäranalyse wurden die im KOLA-Projekt identifizierten hemmenden und fördernden Faktoren mit Hilfe von Indikatoren des Inklusionsindexes neu strukturiert. Der Index ist ein gängiges Instrument für die Selbstevaluation von Schulen, die sich als „Schule für Alle bezeichnen“ (Booth et al. 2003, 3). Der Index lässt sich in sechs Kategorien gliedern, welche in drei übergeordneten Kategorien zusammengefasst werden.

Abbildung 5: Inklusionsindex. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Booth et al. 2003, 17Abbildung 5: Inklusionsindex. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Booth et al. 2003, 17

Die Zielsetzung dieser sechs Kategorien ist im Inklusionsindex klar beschrieben. Da der Index jedoch vorrangig auf den Lernort Schule abzielt, wurden die Beschreibungen der Kategorien im Hinblick auf das Feld der dualen Berufsausbildung angepasst. Die sechs genannten Kategorien werden im Projektkontext wie folgt aufgefasst:

Abbildung 6: Kategorien des Inklusionsindexes. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Booth et al. 2003, 15ff.Abbildung 6: Kategorien des Inklusionsindexes. Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Booth et al. 2003, 15ff.

Anhand dieser Kategorien wurden die Ergebnisse der Primäranalyse in einem ersten Schritt im Hinblick auf die Relevanz für eine inklusive Bildung bewertet. Viele der vorhandenen Aussagen konnten aufgrund einer mangelnden Relevanz weder als förderlich noch als hinderlich in Bezug auf Inklusion bewertet werden. Aufgrund der Vielzahl der Einzel-Elemente konnte allerdings ein differenziertes Ergebnis gewährleistet werden. Von den 778 Elementen der Primäranalyse konnten 246 Elemente klar bewertet werden. Diese wurden in einem zweiten Schritt den Dimensionen des Inklusionsindexes zugeordnet und dienten als Ausgangslage für die Interpretation. Im Rahmen der Interpretation wurden aus den hemmenden und fördernden Faktoren Anforderungen für eine inklusive Berufsbildung mit neuen Medien abgeleitet.

In der Ergebnisdarstellung werden die Bezüge zu den einzelnen Interviewpassagen anhand der Interviewnummer dargestellt sowie dem/der AutorIn der Einzelaussage und der entsprechenden Zeile, in der die Aussage festgehalten wurde. Dabei stehen die Abkürzen „I“ für die Interviewnummer, „A“ für AusbilderIn, „Az“ für Azubi, „L“ für LehrerIn und „M“ für AusbildungsmeisterIn.

5 Ergebnisse der Sekundäranalyse

5.1 Gemeinschaft bilden

Die Ergebnisse der Sekundäranalyse legen nahe, dass zwischen den einzelnen Lernorten zwar ein Austausch stattfindet, dieser jedoch generell eher ungeregelt und sporadisch stattfindet und die einzelnen Akteure nur bedingt Interesse an einer stärkeren Bezugnahme auf die jeweils anderen Lernorte haben.

So lässt sich anhand der Einzelaussagen erkennen, dass in einigen Betrieben Auszubildende kaum Kontakt zu den Ausbildenden haben und vor allem auf einer fachlichen Ebene mit den Monteuren interagieren (vgl. I04A03Z136; I09Az05Z72). Auch zwischen den einzelnen Lernorten findet kaum Austausch statt. Zwar setzen sich gelegentlich Ausbildende mit Lehrenden direkt in Verbindung, allerdings kommt solch ein Austausch nur selten zustande und meist nur dann, wenn ein konkretes Problem vorliegt (vgl. I12L01Z102). Als Gründe für den fehlenden Austausch kann ein mangelndes Vertrauen und ein schlechtes Verhältnis zwischen den Ausbildenden und Lehrenden gewertet werden, was sich unter anderem an den folgenden Aussagen von Ausbildenden ablesen lässt: „In der Schule bleibt ja doch nix hängen“ (I04A03Z162); „Vor ein paar Jahren gab’s da mal einen Vorfall in der Schule, seitdem verstehen wir uns mit denen nicht mehr so gut“ (I11A05Z92). Zudem lässt sich aus einem Interview, welches aus dem Lernort ÜLU stammt, folgende Aussage entnehmen, welche auf mangelnde thematische Überschneidungen hinweist: „Im Betrieb machen die in aller Regel ganz andere Sachen als wir hier machen, da gibt’s kaum ne Schnittmenge“ (I13M01Z48).

Der fehlende Austausch und die mangelnde Kooperation können als Hindernisse für das Lernen und die Teilhabe der Auszubildenden aufgegriffen werden, welche dem Gleichstellungsgebot wiedersprechen und insofern auf eine inklusive Bildung nachteilig wirken. Stein et al. (2015, 267ff.) stellen in ihrer Untersuchung zum bayrischen Modellversuch des IBB heraus, dass neben schülerInnenbezogenen Maßnahmen insbesondere organisations-, schulentwicklungs- und lernortkooperationsbezogene Maßnahmen relevante Faktoren als Gelingensbedingungen bei der Umsetzung von Inklusion darstellen. Eine inklusive Bildung in Unterricht und Ausbildung erscheint vor dem Hintergrund der erfolgten Sekundäranalyse nicht allein als die relevante Interventionsebene eines unterrichtsbezogenen didaktischen Handelns; hinzukommen Ansätze eines unterrichtsbezogenen Qualitätsmanagements (vgl. Rolff, 2011, 3ff.). Diese erscheinen mit Blick auf Brauchle (2008, 13) erforderlich, da zwar von einer breiten Akzeptanz einer notwendigen Rollenveränderung der Lehrenden ausgegangen werden kann, während die Unterrichts- und Ausbildungspraxis selbst jedoch kaum verändert wird.

5.2 Inklusive Werte verankern

Im Hinblick auf den häufig zitierten Fachkräftemangel scheint die Gewinnung von Nachwuchskräften und künftigen MitarbeiterInnen ein bedeutsamer Grund für die Ausbildung in Handwerksbetrieben zu sein. In den Auswertungsergebnissen der Sekundäranalyse zeigt sich dementsprechend, dass gerade Personen mit Leitungs- und Ausbildungsverantwortung Wert darauf legen, dass sich die Auszubildenden mit dem Betrieb identifizieren können und sie als wertvolle Unterstützung des Teams wahrgenommen werden. Zudem sehen sich Ausbildende selbst als Bezugspersonen und AnsprechpartnerInnen für die Auszubildenden (vgl. I01A01Z59).

Aussagen wie „Dem kann ich was fünfmal erklären, der hat’s am nächsten Tag wieder vergessen“; „der kann das eh nicht“ (I04A03Z118) deuten drauf hin, dass einige Ausbildende wenig Vertrauen in die Fähigkeiten und die Entwicklungspotenziale der Auszubildenden haben. . Andere Aussagen weisen darauf hin, dass einige Auszubildende in ungleichem Maß gefördert werden. So geben manche Ausbildende an, dass die motivierten Auszubildenden mit vom Betrieb bezahlten Weiterbildungen belohnt werden, während den weniger motivierten Auszubildenden solche Weiterbildungen vorenthalten werden (vgl. I02A02Z245). Einige Ausbildende weisen auch darauf hin, dass es einige Betriebe gibt, in denen Auszubildende häufig nur Hilfsarbeiten erledigen: „Die kloppen den ganzen Tag nur Schlitze“ (I07A04Z42).

Betrachtet man diese Ergebnisse, lässt sich sagen, dass der zunehmende Fachkräftemangel insgesamt zu einer gesteigerten Wertschätzung der Auszubildenden  beitragen kann, diese jedoch nicht immer in gleicher Weise wertgeschätzt werden. Einige scheinen eher unterfordert zu sein, während andere intensiv gefördert werden. Diese ungleiche Behandlung und Anerkennung ist für eine inklusive Bildung insgesamt nachteilig. Eine Ursache dafür kann im jeweiligen Anforderungs- und Handlungskontext der Lernorte gesehen werden, bei dem sowohl berufsgruppenspezifische Perspektiven als auch unterschiedliche Netzwerkverständnisse vorzufinden sind (vgl. Bylinski 2014, 37ff.). Die Gestaltung eines vierten Lernortes kann hier einen Beitrag leisten, Barrieren der lernortübergreifenden Zusammenarbeit abzubauen und die Professionalität der Lehrenden in den Lernorten Berufsschule und ÜLU in Bezug auf SchülerInnen mit besonderem Förderbedarf zu stärken, in dem Arbeitsprobleme in den Betrieben vor Ort durch die Dokumentationen im KOLA-System zu Kompetenzentwicklungsproblemen im Berufsschulunterricht gemacht werden können.

5.3 Einen Lernort für alle entwickeln

Wie bereits einführend beschrieben, steht die duale Berufsausbildung vor der Herausforderung eine Kompetenzentwicklung der Auszubildenden im Zusammenspiel von mehreren Lernorten zu fördern, welche räumlich getrennt sind und durch unterschiedliche Lehr- und Lernkulturen geprägt sind. Im Rahmen der Analyse lassen sich Aussagen identifizieren, die darauf hinweisen, dass es den Auszubildenden schwer fällt, die eher theoretischen Inhalte aus der Schule auf die praktischen Arbeiten auf der Baustelle zu übertragen. Umgekehrt scheinen die praktischen Erfahrungen, die in der betrieblichen Ausbildung gesammelt werden, im Rahmen der schulischen Ausbildung wenig Relevanz für die Auszubildenden zu besitzen (vgl. I12L01Z71). Ausbildende weisen zudem darauf hin, dass in der betrieblichen Ausbildung keine Zeit bleibt, um Inhalte  theoretisch zu besprechen. Dies sei die Hauptaufgabe der Schule (vgl. I01A01Z143). Eine gemeinsame Schnittstelle, die real erlebte Arbeitssituationen mit den eher theoretischen Inhalten aus der Schule verknüpft, wird daher als notwendig erachtet.

Die Ergebnisse der Sekundäranalyse zeigen zudem, dass es solch einen gemeinsamen Ort zum Austausch und zum Lernen bislang nur in Ansätzen gibt. Während die Auszubildenden alle Lernorte durchlaufen, haben die Lehrenden und Ausbildenden kaum Einblick in die anderen Lernorte. Als Alternative zu einem Austausch vor Ort kann die Schaffung eines virtuellen Lernraumes angesehen werden. Durch das Bereitstellen von Lernressourcen und einer Frage-Antwortfunktion, kann eine Plattform oder eine App gerade für jüngere und unerfahrene Auszubildende hilfreich sein. Von den jeweiligen Akteuren wird solch ein gemeinsamer Lernraum grundsätzlich als sinnvoll erachtet. Laut Aussagen eines Lehrers kann es „den Quereinsteigern helfen, an die Inhalte anzuschließen.“ (I12L01Z132). Allerdings existiert solch ein System bislang noch nicht. Es bleibt fraglich, in welchem Maße sich Lehrende und Ausbildende an einem gemeinsamen Lernraum beteiligen würden, da es an gegenseitigem Vertrauen und Interesse mangelt und der Zeitdruck als sehr hoch bewertet wird (vgl. I11A05Z28). In den Interviews wird zudem deutlich, dass die Auszubildenden mit ihren Kompetenzentwicklungs- und Förderbedarfen nicht Gegenstand der Aufmerksamkeit sind. Kupper-Heilmann (2014, 288ff.) stellt jedoch dar, dass SchülerInnen mit einem Förderbedarf eine besondere Begleitung als „Unterstützungs- und Lotsenfunktion“ (ebd.) benötigen. Eine mobile Lernplattform kann hier als Schnittstelle dienen, da individuelle Bedarfe durch die Lernenden angezeigt werden können und eine Unterstützungsmöglichkeit durch die verschiedenen Akteure im System möglich ist. Eine sozialpädagogische Fachkraft scheint hier ein wichtiges Bindeglied für die Beachtung des individuellen Förderbedarfes darzustellen, die jedoch bisher im System der dualen beruflichen Bildung kein fester Bestandteil ist.

5.4 Unterstützung für Vielfalt

Anhand der vorhandenen Daten lässt sich ablesen, dass die untersuchte Berufsschulklasse sehr heterogen ist. Rund ein Drittel der Auszubildenden weisen einen Migrationshintergrund auf. Einige der Auszubildenden sind noch minderjährig, die meisten sind unter 25 Jahre alt, einige sind jedoch bereits über 30 (vgl. I10Az06Z67).

Die Lese- und Rechtschreibkompetenzen sowie die fachlichen Kompetenzen der Auszubildenden werden von den Lehrenden und Ausbildenden sehr unterschiedlich bewertet. So scheinen einige kaum die deutsche Sprache zu beherrschen und nicht richtig lesen und schreiben zu können, andere sind dahingegen sprachlich sehr versiert (vgl. I14M02Z112; I04A03Z48). Einige haben, unter anderem aufgrund von vorheriger Berufserfahrung oder ausgedehnten Praktika, bereits zu Beginn der Ausbildung hohe fachliche Kompetenzen und können eigenverantwortlich komplexe und fachlich anspruchsvollere Aufgaben bearbeiten. Viele der Auszubildenden haben hier jedoch hohen Unterstützungsbedarf, der nicht zuletzt durch Motivationsprobleme verursacht wird (I11A05Z142).

Aktuell scheint sich diese Heterogenität negativ auf die Prüfungsleistungen und Ergebnisse auszuwirken. So weisen Lehrende darauf hin, dass sich durch die zunehmenden Anteile an Auszubildenden mit Migrationshintergrund die Ergebnisse verschlechtern und Auszubildende zunehmend in den Prüfungen durchfallen (vgl. I14M02Z73). Zudem scheinen starke Unterschiede bezüglich persönlicher Reife und Sozialkompetenz zu bestehen (vgl. I07A04Z67).

Gegenüber Studienabbrechern scheinen zudem Vorurteile zu bestehen. So weisen Ausbildende darauf hin, dass diese zwar häufig technisches und theoretisches Detailwissen besitzen, aber praktisch „nicht zu gebrauchen“ (I11A05Z80) seien. Einige könnten „noch nicht mal einen Kreuz- von einem Schlitz-Schraubenzieher unterscheiden“ (I11A05Z84).

Insgesamt kann mit den Ergebnissen herausgestellt werden, dass eine Vielfalt, insbesondere eine sprachliche Vielfalt mit Defiziten in der deutschen Sprache, kaum gefördert wird. Im Vordergrund stehen die damit zusammenhängenden Probleme und nicht mögliche Lösungen zur Unterstützung der Auszubildenden. In der repräsentativen Umfrage von Enggruber und Rützel (2014, 49), geben 45,1% der 1000 befragten Betriebe an, dass eine zusätzliche Sprachförderung ein hilfreiches Instrument sein könnte. Die Möglichkeiten mobilen Lernens könnten hier eine Schnittstelle zwischen Kompetenzentwicklungsprozesssen, Arbeitsprozessen und der Sprachförderung herstellen (vgl. Trüby 2016).

5.5 Lernarrangements organisieren

Im Rahmen der betrieblichen Ausbildung lässt sich annehmen, dass viele der Ausbildenden darauf achten, dass den Auszubildenden Aufgaben zugewiesen werden, die Ihrem aktuellen Leistungsstand entsprechen. Insgesamt wird darauf geachtet, dass sie vielfältige Aufgaben zu bearbeiten haben (vgl. I02A02Z126). Dabei deuten jedoch einige Ausbildende darauf hin, dass in anderen Ausbildungsbetrieben Auszubildende häufig nicht ausreichend gefordert werden und nur einfache, repetitive Aufgaben erledigen (vgl. I07A04Z42).

Ausbildungsmeister geben an, dass sie den Auszubildenden in aller Regel keine Hausaufgaben aufgeben. Sie vertreten die Ansicht, dass die Motivation zu gering sei, Hausaufgaben in Eigenverantwortung zu bearbeiten. „Sobald sie die Tür raus sind, schalten sie den Kopf ab“ (I14M02Z66). Während der Unterrichtszeit werden den Auszubildenden unabhängig von ihrer individuellen Ausgangslage stets die gleichen Aufgaben mit gleichen Zeitvorgaben gegeben. Eine Bearbeitung von verschiedenen Aufgaben innerhalb einer Klasse wird als nicht durchführbar angesehen: „Das gibt Chaos“ (vgl. I12L01Z184), so ein Lehrender.

Zudem weisen Lehrende auf den hohen Zeitdruck und die strikten Vorgaben des Lehrplans hin, woraufhin eigene Schwerpunkte im Unterricht nur bedingt gesetzt werden können (vgl. I13M01Z110). Bezüglich eines Lernens mithilfe digitaler Medien geben die Akteure an, dass die Bearbeitung von Lern- und Arbeitsaufgaben über eine App oder eine Online-Plattform außerhalb der Arbeitszeit aufgrund der mangelnden Motivation kaum umzusetzen sei, dass jedoch eine Dokumentation und Reflexion von betrieblichen Aufträgen während der Durchführung der Aufträge durchaus einen Mehrwert bieten kann. Zwar sei auch auf den Baustellen der Zeitdruck hoch, allerdings zeigen die Ausbildenden die Bereitschaft diesbezüglich Eingeständnisse zu machen (vgl. I02A02Z216). Im Kontext der Berufsschule werden zudem die strikten Vorgaben, wie beispielsweise dem Handyverbot bemängelt. Insgesamt besteht der Eindruck, dass sowohl hinsichtlich des Verständnisses einer erforderlichen Kompetenzentwicklung im Allgemeinen sowie hinsichtlich von Ansätzen zur individuellen Förderung im Sinne der Inklusion keine gemeinsame Sprache und kein gemeinsames Verständnis bei den Akteuren beobachtbar ist. Dies kann als Hauptbarriere für die Gestaltung von Lernarrangements gesehen werden, wobei Lüdtke et al. (2015, 2) genau darin den erforderlichen Schritt sehen. Die sich ergebenden Widersprüche können mit Helsper (2008, 115) als eine Dualität zwischen den „formalen Regeln der Schule mit dem offenen und selbstbezüglichen Formen des pädagogischen Handelns“ in den Lernorten beschrieben werden. Diese wirken auf die Etablierung und Erprobung inklusiver Ansätze im Kontext beruflicher Bildung stark hemmend.

5.6 Ressourcen mobilisieren

Im Rahmen der betrieblichen Ausbildung werden vor allem Anleitungen, Herstellerangaben, Produktinformationen als auch Richtlinien sowie Pläne unterschiedlicher Art genutzt, seien es Verlegepläne, Gebäudepläne oder ähnliches (vgl. I06Az03Z193). In der Schule nutzen die Auszubildenden vor allem Bücher, Ausdrucke und Skripte, welche die Lehrenden austeilen. Die Dokumentation der durchgeführten Arbeiten und gesammelten Erfahrungen erfolgt vor allem über das Berichtsheft. Virtuelle Lerninhalte werden nur bedingt von den Auszubildenden genutzt, obwohl bereits einige Apps existieren, die Informationen und Anleitungen für die Auszubildenden bereitstellen. Einige der befragten Auszubildenden geben an, solche Apps zu nutzen (vgl. I03Az01Z50; I05Az02Z121).

Die Akteure bemängeln jedoch, dass die Informationssuche über das Internet sehr unübersichtlich sei und die Informationsvielfalt nicht unbedingt positiv sei, da die Qualität der zur Verfügung stehenden Informationen unterschiedlich ist. Eine Lernplattform, die auf die Zielgruppe zugeschnittene Lerninhalte bereitstellt, welche sich mit geringem Aufwand auffinden lassen, fehle zurzeit noch, werde allerdings gewünscht. Das Nachlesen von Lernressourcen könne jedoch aufgrund des hohen Zeitdrucks in der Regel nur in der Freizeit stattfinden (vgl. I07A04Z165). Lehrende aus der Schule und der ÜLU weisen darauf hin, dass einige der Lerninhalte, die genutzt werden selbst erstellt werden (vgl. I12L01Z221; I14M02Z137). Auszubildende geben an, dass die Kosten für die Anschaffung der Schulbücher zu hoch sind. Die Pflichtanschaffungen würden rund 200 Euro zu Beginn der Ausbildung betragen, zudem kommen noch monatliche Kosten, um die Ausgaben für die Ausdrucke zu decken. Daher würden es viele der Auszubildenden begrüßen die Anschaffungskosten durch die Bereitstellung von digitalen Lernressourcen zu reduzieren  (vgl. I06Az03Z84; I10Az06Z144).

In Anlehnung an Booth et al. (2003) können gerade die entstehenden Kosten sowie die Fülle an ungefilterten Informationen eine Barriere für eine inklusive Teilhabe im Sinne des gemäßigten Modells der Inklusion darstellen. Digitale Medien können dabei zur „Mobilisierung von Ressourcen“ (ebd., 12) genutzt werden.

6 Anforderungen für eine inklusive Berufsbildung mit digitalen Medien

Die dargestellten Ergebnisse lassen erkennen, dass es im Bereich der dualen Berufsausbildung vielseitigen Handlungsbedarf gibt, um Inklusion verwirklichen zu können. Anhand der zentralen Problemlagen sollen daher nachfolgend Anforderungen beschrieben werden, um Inklusion in der dualen Ausbildung mithilfe digitaler Medien verwirklichen zu können.

6.1 Mangelnde Lernortkooperation

Wie vor allem in Kapitel 5.1 und Kapitel 5.3 dargestellt wurde, kooperieren die Lernorte nur wenig miteinander. Ausbildende und Lehrende stehen in einem ungeregelten und selten stattfindenden Austausch. Im Hinblick auf Inklusion ist dieser Aspekt nachteilig, da Auszubildende den Theorie-Praxis-Transfer ohne Unterstützung von außen selbstständig leisten müssen. Gerade Personen mit Förderbedarf werden dabei vor Herausforderungen gestellt, die ohne Unterstützung vermutlich nur selten gelingen können.

Daher wird eine verstärkte Vernetzung der jeweiligen Lernorte als Anforderung für eine inklusive Berufsbildung angesehen. Zur Ermöglichung der Zusammenarbeit bieten sich digitale Medien an, da mit deren Hilfe die bestehenden Lernräume erweitert werden können und Möglichkeiten der Kommunikation und Kooperation schaffen. Foren und Chats können dabei zum Austausch genutzt werden. Bestehende Ansätze, wie die des KOLA-Projektes können dabei dazu genutzt werden, Ausbildungsinhalte der jeweiligen Lernorte für andere Lernorte transparent zu machen, so dass Ausbildenden und Lehrenden Anlässe zur Anschlusskommunikation geboten werden (vgl. Hellriegel et al. 2015, 2). Neben den virtuellen Kommunikationsformen sollten zudem persönliche Austauschtreffen in einem zunehmenden Maße stattfinden.

6.2 Starre Strukturen

Wie im Laufe der Ergebnisdarstellung, und so vor allem in Kapitel 6.5 dargestellt wurde, wird der Zeitdruck der Lehrenden und Ausbildenden als sehr hoch bewertet. Zudem werden die starren Lehrpläne als Hinderungsgrund für eine flexible und bedarfsgerechte Begleitung und Unterstützung der Auszubildenden herangezogen.

Infolgedessen wird es als notwendig erachtet, die starren Strukturen auf regulatorischer Ebene aufzubrechen. Lehrpläne sollten den Lehrenden immer einen ausreichend großen zeitlichen Spielraum ermöglichen, um individuell auf die Auszubildenden einzugehen. Der zunehmende Konkurrenzdruck und damit verbundene Zeitdruck der Ausbildungsbetriebe kann zwar als Rechtfertigung dafür genommen werden, dass Aufträge in kürzeren Zeitabständen bearbeitet werden. Allerdings scheint es gerade im Hinblick auf den starken Personalmangel der Handwerksberufe wenig zielführend dies zulasten der Ausbildungsqualität auszulegen. Gerade im Hinblick auf die äußeren Rahmenbedingen, welche an die Lehrenden und Ausbildenden herangetragen werden, ist es erforderlich, dass Change Management als ein weitreichender Veränderungsprozess begriffen wird, welcher multiperspektivisch zu denken ist und dabei neben den strukturellen auch die kulturellen, politischen und personellen Perspektiven mit berücksichtigt (vgl. Sander/Hartmann 2015, 5). Wobei hier auch darauf verwiesen werden soll, dass es bei einer Umsetzung der Inklusion nicht darum geht, immer auf eine starre Ideallösung zu warten, sondern zu prüfen, welche konkreten Handlungsmöglichkeiten sich in der Unterrichts- und Ausbildungspraxis bieten. Dementsprechend fokussiert Beckermann (2014) in seinem Beitrag das mobile Lernen als konkreten Ansatz, um inklusive Prozesse zu unterstützen.

Da der Zeitdruck eine Größe ist, auf die nur sehr bedingt Einfluss genommen werden kann,  kann es als Anforderung angesehen werden, den Auszubildenden Aufträge, Lernmaterialien und Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die zeitlich entbunden bearbeitet werden können. Hier bieten sich digitale Medien an, da in Lernplattformen, Wikis und anderen virtuellen Angeboten, Inhalte bereitgestellt werden können, mit deren Hilfe „Lernen zeitlich flexibel und ortsungebunden“ (Rohs/Hellriegel 2015, 108) erfolgen kann.

6.3 Geringe Unterstützung individueller Anliegen

Wie die Ergebnisse in Kapitel 6.2 und 6.4 zeigen, sind Lehrende und Ausbildende häufig mit sehr heterogenen Ausbildungsklassen konfrontiert, die sich im Hinblick auf Alter, Lese- und Rechtschreibkenntnisse, fachlichen Fähigkeiten, Sozialkompetenz sowie Herkunft und Motivation unterscheiden. Es ist abzusehen, dass der Unterstützungsbedarf bei der heterogenen Ausgangslage sehr unterschiedlich ist und die Lehrenden und Ausbildenden diesem Bedarf kaum gerecht werden.

Dem gemäßigten Inklusionsverständnis folgend, werden dabei nicht nur sonderpädagogische Förderbedarfe in den Blick genommen, sondern alle heterogenen Ausgangslagen, welche eine Kompetenzentwicklung behindern (vgl. Booth et al. 2003, 13). Um diesbezüglich einen Kompetenzzuwachs unter Berücksichtigung der bestehenden Vielfalt ermöglichen zu können, werden sowohl individuelle als auch kollektive Unterstützungsangebote als notwendig erachtet.

Konkret können digitale Medien dabei für kollegiale und individuelle Beratung, Hilfestellung und Feedback genutzt werden. So können Forendazu dienen Fragen der SchülerInnen auch orts- und zeitungebunden zu beantworten. Daneben können Medien im Rahmen von Peer-Coachings eingesetzt werden. Gerade im Hinblick auf sprachliche Vielfalt können Übersetzungsfunktionen eine Hilfestellung bieten. Für SchülerInnen, welche eine Lese- und Rechtschreibschwäche aufweisen bieten sich zudem Medien an, um die Möglichkeiten der Erfassung und Wiedergabe von erlebten Situationen beruflichen Handelns zu erweitern. So können Videos und Audioaufnahmen zur verbalen und Fotos zur nonverbalen Erfassung von Handlungssituationen genutzt werden.

6.4 Mangelnde Sensibilisierung

Bei einer allgemeinen Betrachtung der Ergebnisse lässt sich erkennen, dass die Ausbildenden und Lehrenden vermutlich nur unzureichend sensibilisiert sind im Hinblick auf den Unterstützungsbedarf der Auszubildenden und der Notwendigkeit auf diese individuell und entsprechend ihrer jeweiligen Ausgangslage einzugehen. Daher werden Schulungsmaßnahmen und Workshops für das Lehr- und Ausbildungspersonal empfohlen, um diese im Hinblick auf eine inklusive Bildung zu sensibilisieren. Da digitale Medien einen Beitrag leisten können, um Auszubildenden ein individualisiertes Lernen ermöglichen zu können, empfiehlt es sich auch hier die Akteure in einem kritisch-reflexiven Umgang mit digitalen Medien stärker zu schulen. Anhand der Auswertungsergebnisse lässt sich erkennen, dass Lehrende und Ausbildende dem Einsatz digitaler Medien gegenüber noch skeptisch und zurückhaltend sind.

7 Fazit

Die vorliegende Studie stellt einen Ansatz dar, das Feld der beruflichen Ausbildung im Hinblick auf inklusionsförderliche und hemmende Kriterien zu analysieren und daraus Anforderungen für eine inklusive Bildung abzuleiten. Der Einsatz digitaler Medien wird dabei insbesondere berücksichtigt.

Wie die Ergebnisse darlegen, wird der Inklusion in der dualen Ausbildung bislang nur wenig Bedeutung beigemessen, wobei Auszubildende durchaus einen inklusiven Förderbedarf aufweisen. Eine fehlende innerliche Begriffsklärung, unklare Ansichten über die Umsetzung von Inklusion (vgl. Tenorth 2013, 9) und fehlende Anknüpfungspunkte in der Arbeitswelt sowie der Schule und ÜLU (vgl. Schmidt 2016, 403) lassen sich hierbei als Probleme identifizieren. Dabei wird es als notwendig erachtet, die starren Strukturen aufzulösen und mithilfe einer verstärkten Zusammenarbeit und einem Austausch zwischen den Lernorten zu einer inklusiven Bildung beizutragen. Eine Sensibilisierung der Akteure im Hinblick auf ein weitergefasstes Verständnis von Inklusion scheint dabei notwendig, wobei aus pädagogischer Perspektive der Fokus auf eine flexiblere Kompetenzorientierung gelegt werden sollte, um behindernde Entwicklungsmöglichkeiten im System und bei den Auszubildenden aufzubrechen. Der Einsatz digitaler Medien kann hierbei einen Beitrag leisten.

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Zitieren des Beitrags

Cubela, D. et al. (2016): Mobiles Lernen als Ressource inklusiver Bildung: Anforderungskriterien für die individuelle Förderung in der beruflichen Erstausbildung im Elektrohandwerk (Projekt KOLA, BMBF). In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 30, 1-23. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe30/cubela_etal_bwpat30.pdf (24-06-2016).