bwp@ 30 - Juni 2016

Inklusion in der beruflichen Bildung

Hrsg.: H.-Hugo Kremer, Karin Büchter & Ulrike Buchmann

Editorial bwp@30: Inklusion in der beruflichen Bildung

Beitrag von H.-Hugo Kremer, Karin Büchter & Ulrike Buchmann

EDITORIAL zur Ausgabe 30:
Inklusion in der beruflichen Bildung

Das Thema Inklusion wird zurzeit durchaus hitzig und kontrovers diskutiert. Dabei geht es um die Frage, was genau mit Inklusion gemeint ist, wer angesprochen werden soll, welche politischen und pädagogischen Herausforderungen mit Inklusion verbunden sind, und was Inklusion für die unmittelbare Praxis bedeutet. Während Inklusion an allgemeinbildenden Schulen inzwischen relativ umfassend diskutiert wird, sind die Auseinandersetzungen in der beruflichen Bildung im Vergleich dazu noch eher zurückhaltend.

Mit Blick auf die berufsschulische Praxis wird derzeit ein paradoxes Bild deutlich. Einerseits äußern Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen, dass Inklusion an ihren Schulen bereits Alltag ist und gleichermaßen findet sich im selben Gespräch die Aussage, dass die Inklusion kaum zu bewältigen sei und damit eine zu hohe Herausforderung für alle beteiligten Akteure verbunden ist. Dieser Widerspruch belegt, dass Inklusion als regulative Idee zwar an die Bildungsarbeit in der beruflichen Bildung herangetragen und aufgrund gesellschaftlicher Gegebenheiten durchaus auch in berufs- und wirtschaftspädagogischen Handlungsfeldern aufgenommen und als Herausforderungen aufgedeckt wird, allerdings momentan eher ein diffuses Verständnis dahingehend existiert, was unter der Kategorie Inklusion gefasst werden soll und wie mit dem Anspruch einer inklusiven beruflichen Bildung umgegangen werden kann. Dementsprechend wäre ein genauerer Blick darauf zu richten, was unter Konzepten wie inklusive Berufsbildung, inklusive berufliche Schulen oder inklusiver Unterricht verstanden wird.

Bereits hinsichtlich des Gegenstandsbereichs der Inklusion sind deutliche Unterschiede zu erkennen. In einem eher engen Verständnis in Folge der UN-Behindertenrechtskonvention rückt die Teilhabe benachteiligter resp. behinderter Personen in den Fokus. Mit einem derartigen Verständnis werden Unterscheidungen in Behinderte und Nicht-Behinderte, Benachteiligte und Nicht-Benachteiligte etc. mitgeführt. Dies wiederum geht mit der Gefahr einer Stigmatisierung bestimmter Personenkreise einher und einer damit verbundenen Ausgrenzung trotz des Aufbaus spezifischer Entwicklungs- und Begleitangebote. Nimmt man das Inklusionsverständnis der UNESCO als Ausgangspunkt, steht die gesellschaftliche Teilhabe aller Personengruppen im Zentrum und damit die Möglichkeit zur Einbringung und Beteiligung aller Personengruppen. Dies erfordert den Abbau bestehender Bildungsbarrieren und die Vermeidung sich neu formierender Hemmnisse. Allerdings ist dies auch mit der Herausforderung verbunden, dass bestehende gesellschaftliche Strukturen wiederum als Barrieren fungieren und damit Inklusionsanstrengungen durchaus gebremst werden können. Das zeigt sich in der beruflichen Bildung besonders dort, wo die Zugangsformen zur dualen Ausbildung eine Teilhabe bestimmter Personenkreise eher behindern können und kaum in naher Zukunft veränderbar erscheinen.

Insgesamt besteht ein großer Diskussions-, Forschungs- und Entwicklungsbedarf im Hinblick auf eine berufs- und wirtschaftspädagogische Klärung der Kategorie Inklusion und die Gestaltung der unterschiedlichen Handlungspraxen bzw. -felder in der beruflichen Bildung. Es geht darum, den Anspruch der Entwicklung inklusiver gesellschaftlicher Strukturen aufzunehmen, zur Generierung gesicherter berufs- und wirtschaftspädagogischer Erkenntnisse und fundiertem Verfügungswissen beizutragen, darauf bezogene praxisgerechte Lösungsansätze zu arbeiten, und darüber den Gestaltungskontext Inklusion auf den verschiedenen Ebenen der beruflichen Bildung weiter zu entwickeln.

Wir haben die eingegangenen Beiträge unter Bezugnahme auf den Call for Papers drei Rubriken zugeordnet:

Teil A: Inklusion, Struktur und Reformbedarf in der beruflichen Bildung

Unter der ersten Rubrik haben wir Beiträge zusammengeführt, die sich mit dem Zusammenhang von Inklusion, Struktur und Reformbedarf beruflicher Bildung befassen.

Dietmar Heisler fokussiert seine Überlegungen auf den Bereich des Übergangssystems und die berufliche Integrationsförderung. Dabei beschäftigt er sich mit der Kritik an der Bildungsarbeit im Übergang von Schule zu Beruf und wirft die Frage auf, welche Förderangebote in Zukunft eine Berechtigung haben und inwiefern die Exklusionsproblematik in der beruflichen Bildung aufgenommen wurde. Durchaus nachdenklich stimmen die Analysen und kritischen Anmerkungen zur Benachteiligtenförderung.

Im Beitrag ‚Inklusion an berufsbildenden Schulen in Niedersachsen: Zur regionalen Differenzierung von Zielgruppen, pädagogischen Kulturen und Handlungskonzepten‘ arbeitet MARTIN KOCH regionale Unterschiede und Gemeinsamkeiten zum Umgang mit Inklusion heraus. Ausgangspunkt für die Ausführungen ist eine inklusionsspezifische Gebietstypologie, die dann Ausgangspunkt für weitere differenzierende Untersuchungen ist. Dabei kann der Zusammenhang zu den lokalen pädagogischen Kulturen aufgezeigt werden.

Die Frage, „ob der Freiheitsentzug ein gelungenes Beispiel für Inklusion ist und welche Schlussfolgerungen dies für die Regelschule zulässt“ lenkt den Beitrag von MARCEL SCHWEDER. Dabei wird vor dem Hintergrund eines systemischen Zugangs Freiheitsentzug als exkludierende Inklusion gekennzeichnet und die Chance auf eine Beteiligung gesehen, was erfordere, die Didaktik ins Zentrum zu rücken.

CHRISTOPH METZLER und SUSANNE SEYDA greifen auf eine Befragung von Personalverantwortlichen zurück und arbeiten personalwirtschaftliche Motive zur Ausbildung von Menschen mit Behinderung auf und arbeiten darauf bezogen Ansatzpunkte für die Verbesserung der Inklusionsbedingungen auf. Die Ergebnisse legen aus Sicht der Autoren nahe, dass persönliche Erfahrungen zum Umgang mit Menschen mit Behinderung sich positiv auf die Ausbildung von Menschen mit Behinderungen auswirken.

Teil B:   Gestaltung und Professionalisierung der Berufsbildung mit Inklusionsperspektive

Die Beiträge in dieser Rubrik zeichnen sich dadurch aus, dass sie die konkrete Gestaltung unterschiedlicher Handlungspraxen in der Berufsbildung unter Inklusionsaspekten in den Blick nehmen.

CLAUDIA HOFMANN und SIMONE SCHAUB richten den Blick auf den Einstieg von jungen Menschen mit Beeinträchtigungen in den Arbeitsmarkt. Sie beschäftigen sich mit dem Modell der Supported Education und stellen eine Studie zur Einschätzung der Ausbildung durch ehemalige Auszubildende. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass eine gestützte Ausbildung im ersten Arbeitsmarkt für bestimmte Zielgruppen vorteilhaft ist.

ANTJE Barabasch, Ursula Scharnhorst und Seaina Leumann-Sow nehmen ein momentan überaus aktuelles Thema auf und beschäftigen sich mit der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Dabei werden spezifische Maßnahmen vorgestellt und Anregungen zur Gestaltung in Deutschland angeboten. Mit diesem Beitrag wird u. a. auch deutlich, dass sehr unterschiedliche Deutungen zur Inklusionskategorie vorliegen.

Der Beitrag von MONIKA KASTNER stellt eine Bildungsintervention zur Sichtbarmachung von non-formal und informell erworbenen Kompetenzen in der Erwachsenenbildung vor. Dabei werden einerseits die Möglichkeiten der Bildungsintervention und Qualifizierung gesehen und andererseits das Dilemma einer exkludierenden Intervention thematisiert.

H.-HUGO KREMER und MARIE-ANN KÜCKMANN nehmen das Konstrukt der multiprofessionellen Teamarbeit auf und arbeiten unterschiedliche Formate einer multiprofessionellen Teamarbeit an Berufskollegs in Nordrhein-Westfalen auf. Der Beitrag beschäftigt sich mit einem Konstrukt, welches als notwendige Voraussetzung einer inklusiven Bildungsarbeit genannt wird. Es wird erkennbar, dass die Formen multiprofessioneller Teamarbeit kaum einheitlich sind und sich wie im Beitrag von MARTIN KOCH nicht von den Kulturen in den Institutionen trennen lassen.

Teil C: Individuelle Entwicklung, Lehren und Lernen in der beruflichen Bildung mit Inklusionsperspektive

Diese Kategorie führt Beiträge zusammen, die sich mit spezifischen Fragen der individuellen Entwicklung, des Lehrens und Lernens beschäftigen. Dabei werden Beiträge zusammengeführt, die sich sowohl mit Zieldimensionen und methodischen Fragen als auch prinzipiellen Aspekten zur Gestaltung von Lern- und Entwicklungsprozessen beschäftigen.

Der Beitrag von URSULA BYLINSKI richtet den Fokus auf die Gestaltung individueller Entwicklungsprozesse und inklusiver Lernsettings. Der Beitrag führt verschiedene Diskussions- und Gestaltungsstränge zusammen und bietet so interessante Ausgangspunkte für eine didaktische Gestaltung. Dabei werden Anknüpfungspunkte an die Benachteiligtenförderung erkennbar und Notwendigkeiten zur Weiterentwicklung in Richtung inklusive Berufsbildung deutlich.

Lena BERGS und Mathilde Niehaus beschäftigen sich mit Bedingungsfaktoren der Berufswahl bei Jugendlichen mit einer Behinderung und stellen erste Ergebnisse einer qualitativen Studie vor. Dabei können die Verfasserinnen besondere Herausforderungen von Jugendlichen mit Behinderungen aufzeigen, aber auch einen durchaus individuellen Umgang mit diesen Herausforderungen. Damit werden Ansatzpunkte für eine Bildungsarbeit mit Jugendlichen mit Behinderung aufgezeigt.

JANE PORATH und ANDREAS SLOPINSKI nehmen die Frage auf, inwiefern Schulbücher den Anforderungen einer inklusiven Schule gerecht werden. Konkret untersuchen sie anhand von kaufmännischen Schulbüchern, welche Diversity-Merkmale angesprochen werden. Auch dieser Beitrag zeigt, welche Herausforderungen sich mit dem Inklusionsanspruch im Detail zeigen und dass die Anforderungen nicht nur einzelne didaktische Gestaltungsbereiche durchdringen, sondern Grundsatzfragen aufwerfen.

Im Beitrag ‚Mobiles Lernen als Ressource inklusiver Bildung: Anforderungskriterien für die individuelle Förderung in der beruflichen Erstausbildung im Elektrohandwerk (Projekt KOLA, BMBF)‘ von DINO CUBELA; Thomas Prescher und Jan Hellriegel werden auf Basis einer Lernumgebung Potenziale und Ressourcen mobilen Lernens für eine inklusive Bildung aufgezeigt. Grundlage dafür ist die sekundäranalytische Auswertung einer Anforderungsanalyse unter Bezugnahme auf den Inklusionsindex.

Der Beitrag ‚Berufsintegrative Ausbildungskompetenzen in Lehrbetrieben des ersten Arbeitsmarkts‘ von Silvia Pool Maag und Reto Jäger richtet den Fokus auf den Kompetenzerwerb der Ausbildenden. Der Beitrag arbeitet erfolgreiches Ausbildungshandeln von Berufsbildenden im ersten Arbeitsmarkt mit Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf auf und stellt Gelingensbedingungen und Herausforderungen heraus.

Dank

Wir möchten uns sehr herzlich bei allen Autorinnen und Autoren für die interessanten Beiträge für die Ausgabe 30 von bwp@  bedanken.

Ein besonderer Dank gilt auch diesmal dem Team der Redaktion und unserem Websupport.

H.-Hugo Kremer, Karin Büchter und Ulrike Buchmann
im Juni 2016

 

Zitieren des Beitrags

Kremer, H.-H./Büchter, K./Buchmann, U. (2016): EDITORIAL zur Ausgabe 30: Inklusion in der beruflichen Bildung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 30, 1-4. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe30/editorial_bwpat30.pdf (24-06-2016).