bwp@ Spezial 19 - August 2023

Retrieving and recontextualising VET theory

Hrsg.: Bill Esmond, Thilo J. Ketschau, Johannes K. Schmees, Christian Steib & Volker Wedekind

Emanzipation und Funktionalität als Prinzipien der Berufsbildung: ein Essay zum pädagogischen Widerspruch von Individuum und System

Beitrag von Thilo J. Ketschau
Schlüsselwörter: VET-Philosophy, Emancipation, Functionalism, Meaning, Dialectics

Mit der theoretischen Neuordnung der Berufsbildung und ihrer Wissenschaft, welche sich über die 1960iger Jahre bis in die frühen 1980iger Jahre erstreckte, wurden zwei normative Pole freigelegt. Einerseits die Ausrichtung an Idealen der Emanzipation als Befreiung der Edukanden aus der als unterdrückend wahrgenommenen, klassenbasierten Gesellschaftsform des Kapitalismus, die, wenn auch demokratisch verwaltet, der Masse wenig Entfaltung versprach und radikalisiert als Wegbereiter des Faschismus verstanden wurde. Andererseits die Erhebung der Funktionalität zum Sinn der Berufsbildung, die dadurch auf das effiziente Vermitteln beruflicher Fähigkeiten und Kompetenzen konzentriert werden konnte und sich so weitestgehend entpolitisierte. Dieser Beitrag stellt essayistisch diese beiden Pole in ihrer paradigmatischen Ausformung dar und arbeitet in dialektischer Analyse heraus, warum ihre Gleichstellung als Sinngebung berufspädagogischen Handelns, zumindest aus philosophischer Sicht, illusorisch erscheint.

1 Einleitung

Mit der Feststellung, dass Emanzipation die „Befreiung des Menschen zu sich selbst“ sei, hinterließ Herwig Blankertz (1982, 307) der Berufs- und Wirtschaftspädagogik ein schweres Erbe. Als Sinn einer emanzipatorischen Pädagogik offeriert es nämlich zweierlei: erstens eine begriffliche Sanftheit und Unverfänglichkeit, die viel interpretativen Freiraum lässt und nach ihrer weiteren bildungstheoretischen und bildungsphilosophischen Aufbereitung verlangt. Zweitens, fast im Kontrast dazu, eine normative Schwere, welche Bildung und Erziehung geradewegs den Imperativ vorwegnimmt, dem entgegenzuwirken, was jeder individuellen Freiheit im Wege steht. Blankertz Aphorismus wird zu einer Forderung, welche für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik zur Schizophrenie zu werden droht, die sich mehr noch als andere Bereiche der Bildung und Erziehung mit dem Anspruch konfrontiert sieht, den durch sie gebildeten Menschen an der in ihm ermöglichten Arbeitskraft zu messen: ihre bildungspolitische Prämisse ist die „Befähigung zur Bewältigung beruflicher Handlungssituationen“ (KMK 2009, 1) und die Vermittlung von für den Übergang in das Erwerbsleben nötigen Kompetenzen (NIHK 2016, 2). Flankierenden Forderungen nach der Anpassung der jugendlichen Persönlichkeit an die gesellschaftlichen Gegebenheiten ist kaum ein emanzipatorisches Potenzial zu attestieren (vgl. Kaiser/Ketschau 2019). Dort aber, wo die Nutzbarmachung des Menschen, insbesondere in der kapitalistisch organisierten Klassengesellschaft, seiner Befreiung entgegenzustehen vermag, eröffnet sich die Frage danach, wie mit Selbstbefreiung und Verwertungsanspruch als Sinngebung der Berufs- und Wirtschaftspädagogik umzugehen ist.

Beide Normative haben sich, entweder in offener Diskussion oder stillschweigend dadurch, was an Forschung und Lehre ermöglicht wird, als Paradigmen in das Selbstverständnis der Berufs- und Wirtschaftspädagogik kodiert. Der Anspruch dieses Essays ist es, ebenjene Normative zu exzerpieren und einer berufsbildungsphilosophischen Diskussion zu stellen, die notwendig erscheint, um keines der beiden als gegeben hinzunehmen.[1] Sie sind vielmehr einer Aktualität auszusetzen, um immer wieder bestimmen zu können, was weniger die Berufs- und Wirtschaftspädagogik als abstrakte akademische Disziplin und wissenschaftliche Manifestation ihres zugehörigen Gesellschaftssystems, sondern ihre Vertreter:innen eigentlich wollen. Die Argumentation wird sich dabei eindeutig zugunsten der Emanzipation positionieren und an gegebener Stelle auch deutlich machen, warum das konsequent erscheint. Damit soll ein Reibungspunkt für Diskussion offeriert werden, keinesfalls jedoch eine Letztbegründung für Emanzipation als alleinigem berufspädagogischen Ideal.

Im weiteren Sinne befassen sich viele Abhandlungen, auch über die Zeiten von Blankertz und Zabeck und dem Paradigmenstreit der 1980iger hinaus, mit Fragen, die an der Reibungsstelle angesiedelt sind zwischen dem, was ohne Verwertungsbezug die Persönlichkeitsentwicklung fördert und dem, was der Nutzbarmachung des Menschen als Arbeitswesen dient. Das betrifft beispielsweise das Verhältnis von Allgemein- und Berufsbildung (u.a. Ragutt 2016; Kutscha 2011; Blankertz 1963), die Ausgestaltung kritisch-emanzipatorischer Berufsbildungstheorie (u.a. Kaiser 2016; Kaiser/Ketschau 2019), die Rolle des Berufs als Begriff und Prinzip in der aktuellen berufspädagogischen Entwicklung (v.a. Kutscha 2011; 2008a; 2008b) und auch das Selbstverständnis der Berufs- und Wirtschaftspädagogik als Wissenschaftsdisziplin (u.a. Büchter 2017). Auch der breite Korpus der Schriften von Aloys Fischer und Theodor Litt wäre für eine umfänglichere Darstellung der Thematik Beruf und Persönlichkeitsentwicklung zu berücksichtigen. Was dieses Essay, welches sich in den latenten Kanon des Paradigmen- und Normenkonflikts der Berufs- und Wirtschaftspädagogik einreihen will, nun offeriert, ist eine dialektische Gegenüberstellung der Prinzipien Emanzipation und Funktionalität als normative Leitideen und damit eine Grundlagendiskussion.

Um der Rolle beider Prinzipien für die Berufsbildung und ihrem normativen Verhältnis zueinander nachzugehen, ist der erste Schritt der Argumentation die Schärfung beider Begriffe, die aus ihren philosophischen und theoretischen Wurzeln rekonstruiert und erweitert werden können. Auf die Begriffsexplikation folgt der nun diskutierbare Kern dieser Abhandlung, der, als These formuliert, die zumindest normative Unvereinbarkeit beider Prinzipien als Prämissen der Berufsbildung postuliert. Zur Begründung werden ebenjene Prinzipien in der Form dargestellt, die sie für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik anwendbar machen sollen, nämlich als deren bis in die Prämissen dargelegten Paradigmen. Dem folgt, konkludierend, die Ableitung ihres aporetischen Verhältnisses anhand einer kategorialen gegenüberstellenden Analyse. Da aber die argumentative Begründung der These nicht als Perspektive für den normativen Rahmen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik genügt, schließt der Text mit Ausführungen, welche der weiteren theoretischen Erschließung des Emanzipationsgedankens in der Berufsbildung vorangehen sollen.

2 Emanzipation als pädagogisches Prinzip

Die Begründung der kritisch-emanzipatorischen Perspektive in der Pädagogik geht wesentlich auf die Kritische Theorie der Frankfurter Schule zurück (Vogel/Dammer 2015). Zum Verständnis der Prämissen des kritisch-emanzipatorischen Paradigmas ist daher die Kenntnis der Grundzüge dieser Gesellschaftstheorie ratsam, mit der es sich zumindest seinen negativen Aspekt teilt: die fast zur Resignation kippende Ablehnung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und der analytische Argwohn gegenüber all dem ihr innewohnenden Unterdrückungspotenzial.

Den philosophischen Komplex der Kritischen Theorie in all seiner Gänze, zumal in den vergangenen Dekaden mannigfaltiger Evolution unterworfen, auf wenige Sinnstriche zu reduzieren, kann der Sache kaum gerecht werden. Nach Max Horkheimer, der als Initiator der Kritischen Theorie Frankfurter Prägung gelten kann, geht es darum „die Welt kritisch darzustellen, wie sie ist, so daß durchscheint, wie sie nicht sein soll, und damit eine Ahnung zu geben, wie sie sein sollte“ (Schweppenhäuser 2010, 2). Kritische Theorie ist also nicht nur deskriptiv und keinesfalls wertneutral. Sie ist normativ und formuliert Werte und Vorstellungen über Gutes und Schlechtes einer Gesellschaft (ebd., 7), welche die kritische Pädagogik in der Folge aufgegriffen hat (Vogel/Dammer 2015).

Emanzipation ist kein einfacher, konkreter und unmissverständlicher Begriff, sondern wird in öffentlichen Debatten weitläufig und bis zur Beliebigkeit verwendet (Lempert 1974, 26). Am geläufigsten ist er vermutlich im Kontext der Gleichstellung der Frau zum Mann und damit als Bezeichnung einer sozialen Bewegung, die noch immer nicht abgeschlossen ist. Entwicklungspsychologisch ist die Emanzipation das Unabhängigwerden des Kindes vom Elternhaus, was im Wesentlichen mit dem Aufbau eines selbstverantworteten Lebens gleichgesetzt wird (Montada/Lindenberger/Schneider 2018, 45ff.).

Als Bildungsbegriff, oder vielmehr Bildungsideal, ist Emanzipation ob der Belastung mit diesen unterschiedlichen Deutungen ein sehr schwieriges Konstrukt. Wenig überraschend ist es daher, dass Emanzipation im Kontext von Bildung und Erziehung selten als solche expliziert und rezipiert wird.[2] Dort wo Blankertz nicht nur als Begründer, sondern als nach wie vor tüchtigster Vertreter kritisch-emanzipatorischer Pädagogik die Emanzipation des Menschen von der Heteronomie der Gesellschaft zum Sinn pädagogischen Denkens und Handelns bestimmt, fällt umso mehr auf, dass ihre rekonstruierende Beschreibung, also eine die akademische Genauigkeit befriedigende Definition dessen, was Emanzipation an sich ist, fehlt.

Lempert (1974, 26ff.) formuliert im Rahmen seiner Abhandlungen zu Berufsbildung und Demokratie eine umfangreiche Begriffsskizze, die durch ebendiesen Rahmen ausgerichtet wird. Sein Konzept der Emanzipation zeichnet sich durch die Nähe zu einer Idee sozialer Gerechtigkeit aus und sein Anliegen scheint es zu sein, diese Idee über die Emanzipation als Bildungsziel zu begründen. Wo er sich aber fast der Identität beider Begriffe nähert, bleibt die Frage, ob mit der Notwendigkeit nach Bedürfnisformulierung vor der durch Ressourcenbeschränkung gezeichneten Gesellschaft das Prinzip der Emanzipation erschöpft ist und wo unter dieser Folie der von Blankertz fokussierte Selbstbefreiungsaspekt unterkommt. Als berufspädagogische Leitidee wird der Begriff im Folgenden daher anders gezeichnet, mit dem Anspruch, ihn als etwas genetisch Pädagogisches zu bestimmen.

Die allgemeinste Bedeutung des Begriffs ist die Aufhebung menschlicher Fremdbestimmung oder Fremdbestimmtheit. Das bezieht sich politisch auf die Beseitigung von einseitigen Abhängigkeitsverhältnissen, Benachteiligung und Ungerechtigkeit und damit auf die Veränderung gesellschaftlicher Beziehungen (Lempert 1974, 27f.). „Insofern sind alle Emanzipationstendenzen egalitär. Sie zielen auf die Gleichheit der Rechte und Pflichten aller Gesellschaftsmitglieder“ ab (ebd., 29). Pädagogisch steht beim Emanzipationsbegriff nun das Individuum vor der Gesellschaftsperspektive. Hier hat sich eine Wandlung vollzogen, von einem Akt der Entlassung, z.B. der Entlassung von Sklav:innen oder des Kindes aus der elterlichen Bevormundung, hin zu einer Selbstbefreiung der Unterprivilegierten (ebd., 28). Der Vollzug der Emanzipation obliegt also nicht einem Befreier oder einer Befreierin, sondern den zu Emanzipierenden.

Wenngleich Emanzipation aus Erziehung und Bildung hervorgeht, ist sie kein Prozess der Anpassung[3]. Sie ist Auflehnung gegen das Bestehende, welches sich der Unterdrückung oder Ausbeutung verdächtig macht, in der Absicht, dieses zu überwinden und nach eigenen Vorstellungen und mit eigenen Kräften zu verbessern. Dabei ist nicht die gesellschaftliche Veränderung selbst das unmittelbare Ziel der emanzipatorischen Pädagogik – sie würde als gesellschaftliches Gestaltungselement in eine Verantwortung gezogen, die politisch kaum wünschenswert erscheint (vgl. Ketschau 2018, 90). Vielmehr muss diese mittelbar als Sinngebung pädagogisches Denken und Handeln motivieren: emanzipatorische Pädagogik will beim Edukanden den Willen bilden, sich für die gesellschaftliche Veränderung hin zur Befreiung einzusetzen und als mündiges Individuum das erkennen zu können, was das Schlechte der Gesellschaft ausmacht, es ablehnen und ihm zuwider handeln zu können.

Wo die emanzipative Pädagogik nun das Individuum, die Persönlichkeit, fokussiert, kann Emanzipation dennoch, wenn sie für soziale Veränderung steht, nur als gesellschaftlich eingebetteter Prozess verstanden werden. Das Selbst in Selbstbefreiung heißt daher nicht, dass Emanzipation ein egoistischer Prozess sein darf. Emanzipieren kann sich nur, wer sich verantwortlich für seine Umwelt und nicht zuletzt die Würde des Menschen zeigt. Die Würde des Einzelnen ist von der Würde der Gattung nicht zu trennen, denn jede egoistische Erweiterung der Freiheit provoziert die Ausbeutung anderer und lässt damit solche gesellschaftlichen Verhältnisse entstehen, die Emanzipation überhaupt erst als Unmöglichkeit erscheinen lassen.

Aus bildungstheoretischer Sicht entscheidend erscheint für das Verständnis einer Leitidee der Emanzipation deren Bezugnahme zum Begriff der Mündigkeit. Versteht man Mündigkeit selbst als ein Bildungsideal, dessen humanistische Form sich in der Persönlichkeit findet, die im kantschen Sinne den Mut und die Kräfte aufbringt, sich ihrer eigenen Vernunft zu bedienen (Kant 1784, 1), kann man sie als Bedingung am Beginn individueller Emanzipation sehen. Damit wird das Erreichen von Mündigkeit zum eigentlichen unmittelbaren Ziel emanzipativer Pädagogik und enthält zugleich ihren innersten Widerspruch: Mündigkeit als Ergebnis emanzipativer Erziehung kann nur durch Heteronomie, durch die Bevormundung des Edukanden und Steuerung seines Sich-Bildens durch den Erzieher, erreicht werden. Das hebelt das Prinzip der Emanzipation jedoch keinesfalls aus, es zeigt nur, dass Emanzipation in einem sozialen Raum stattfindet und den Menschen nicht als isoliertes Wesen vorfindet, sondern ihn im Kontext seiner Sozialität ergreifen muss. Es erfordert jeder emanzipatorischen Erziehung die Legitimation ab, nur soweit Zwang zu sein, wie sie auf dessen Überwindung abzielt.[4]

Als Kondensat der begrifflichen Skizze, die keineswegs den Anspruch hat, das, was Emanzipation ist und ausmacht breit zu fassen, jedoch ihre Merkmale für den berufspädagogischen Kontext zu konturieren, wird die folgende Definition angeboten. Emanzipation ist die selbstgesteuerte und selbstverantwortete Befreiung des mündigen Individuums von allen vermeidbaren Zwängen und ungerechten Fremdbestimmungen. Ungerecht sind Fremdbestimmungen dann, wenn sie nicht vornehmlich dem Wohle des Bestimmten, sondern dessen Übervorteilung dienen. Die Einlösung der Emanzipation als Bildungsanspruch für die Einen soll die Einlösung für Andere nicht gefährden. Emanzipation wird dadurch zum sozialen Akt, für den die emanzipatorische Pädagogik als Erziehung zur Mündigkeit die Grundlage schafft. Sie legalisiert sich nicht durch ihre Realisierbarkeit, sondern durch den Willen ihrer Erfüllung. Der Wille ihrer Erfüllung ist nichts anderes als der Wille zum Besseren, die reine Möglichkeit, das Individuum vor der Gesellschaft zu stärken und dieser dadurch eine humanere Form zu geben. Versteht man Mündigkeit als die Bedingung emanzipativer Bemühung, so ist sie die Erlangung der individuellen Befähigung zum Erkennen des Unterdrückenden einerseits und dem Willen seiner Überwindung andererseits.

Dieser ersten Leitidee, der zum Sinn von Bildung und Erziehung erhobenen Befreiung des Menschen von seinen inneren und äußeren Zwängen, die auf die Erfüllung seiner Menschlichkeit zielt, steht die Idee der Nutzbarmachung des Subjekts für das Andere gegenüber. Pädagogisch wurde dieses Andere im System begründet und über die systemtheoretische Folie soll sich dem im Folgenden auch angenähert werden. Denn zunächst benötigt Funktionalität immer die Referenz dazu, was funktionieren soll und wann es als funktionierend gelten kann, und das wird in der Gesamtheit der Systemtheorie verständlich, soll es erziehungswissenschaftliche Perspektive sein.

3 Funktionalität als pädagogisches Prinzip

Das dem Begriff der Funktionalität zugrundeliegende Verständnis von Erziehung und Berufsbildung lässt sich wesentlich auf die Theorie sozialer Systeme, im Folgenden der Einfachheit halber als Systemtheorie bezeichnet, zurückführen. Sie geht maßgeblich auf Talcott Parsons (z.B. Parsons 2013) und Niklas Luhmann (z.B. Luhmann 1997) zurück und unterscheidet sich von der Kritischen Theorie dadurch wesentlich, dass ihre Logik keine explizit normativen Aussagen hervorbringen oder begründen kann. Systemtheorie an sich ist vielmehr ein überaus komplexes, deskriptives Instrument. Versuche, die Systemtheorie normativ zu konnotieren, wie bspw. bei Amstutz und Fischer-Lescano (2013), stehen noch am Anfang.

Luhmann beschreibt die Gesellschaft als ein „umfassendes soziales System, das alle anderen sozialen Systeme in sich einschließt“ (Luhmann 1997, 78). Soziale Systeme werden dabei durch die Abgrenzung zwischen System und Umwelt definiert und sind damit „nicht nur gelegentlich und nicht nur adaptiv, sie sind strukturell an ihrer Umwelt orientiert und könnten ohne Umwelt nicht bestehen“ (Luhmann 1985, 35). Gleichzeitig entstehen und erhalten sie sich durch das Erzeugen und Erhalten einer Differenz zu dieser Umwelt, welche wiederum durch ihre Grenze reguliert wird.

Es bilden sich innerhalb eines sozialen Systems einzelne Subsysteme heraus, die jeweils eine bestimmte Funktion für das Gesamtsystem erfüllen. Beispiele dafür sind Wirtschaft, Religion, Wissenschaft oder auch Erziehung. Mit der Ausdifferenzierung des sozialen Systems in Subsysteme entstehen drei Arten von Systemreferenzen, denen eine zentrale Bedeutung in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik zukommt. Erstens nehmen die Subsysteme im Rahmen der Gesellschaft jeweils eine spezielle Funktion wahr, d.h. sie erfüllen eine systemnotwendige Aufgabe, welche sich von derjenigen anderer Systeme grundlegend unterscheidet. Zweitens bilden die Subsysteme die Verbindung zwischen Input- und Outputprozessen, sie erbringen damit eine konkrete Leistung für andere Subsysteme. Drittens entfalten die Subsysteme in einer Reflexion ein Selbstverständnis, welches die ersten beiden Referenzen Funktion und Leistung durchdringt (z.B. Luhmann 1985; 1997). Diese Systemreferenzen erweisen sich an die Aufgabenstellung der Berufs- und Wirtschaftspädagogik als anpassungsfähig, sodass die Subsysteme eine bestimmte, im gesellschaftlichen Gesamtsystem verankerte institutionenübergreifende Problemstellung repräsentieren (Zabeck 1980, 22).

Der Begriff der Funktion ist, wie aufgezeigt, von zentraler Bedeutung für die systemtheoretische Perspektive. Er ist auch das, was die systemtheoretisch orientierte Pädagogik wesentlich als Begründungsfolie adaptiert, nämlich als Funktionalität, die allgemein als die Zuschreibung der Eigenschaft an ein Objekt zu verstehen ist, eine Funktion zu erfüllen.[5]

In der Systemtheorie können soziale Systeme über ihre Funktion unterschieden und das Gesellschaftssystem damit funktional ausdifferenziert werden. Die Funktion ist hier die Eigenschaft des sozialen Systems, welche die Art des Produkts und damit des Nutzens für die Systemumwelt bestimmt. Die Ausprägung des durch die Funktion erzeugten Produkts wird durch den binären Code des Systems bestimmt, dabei geht es aber nicht um die logische Unterscheidung, ob die Funktion erfüllt wird oder nicht. Denn bereits über die Erfüllung dieser Funktion zeigen sich die Elemente des Systems diesem zugehörig und unterscheiden sich von Elementen anderer Systeme (vgl. Luhmann 2002; 1997).

Aus berufspädagogischer Sicht lässt sich Funktionalität auf zwei Gegenstände beziehen: Zunächst auf den Auszubildenden bzw. Arbeitenden, der eine Funktion innerhalb seiner Gesellschaft nach der durch diese an ihn gestellten Anforderungen erfüllt. Weiter ist die Berufsbildung selbst aber auch hinsichtlich ihrer Funktionalität zu betrachten, die sich genauso aus Anforderungen ableitet, und zwar solchen, welche die Berufsbildung als Element der Gesellschaft für diese so unverzichtbar machen, dass sie immer wieder reproduziert wird. Mit diesen Annahmen verdeutlicht sich, dass, wenngleich Funktionalität in der Intention der Systemtheorie ursprünglich kein normativer Begriff ist, ihr im pädagogischen Kontext leicht Normativität zuteilwird, nämlich, wenn sie als Anspruch formuliert wird, wenn also Funktionalität Ziel und Sinn der Erziehung wird. Der so begründete Anspruch lautet: Erziehung ist dann erfolgreich vollzogen, wenn Edukanden die ihnen zugedachte Funktion ausüben können und das Bildungssystem funktioniert dann, wenn es genau das ermöglicht. Wenn Funktionalität so implizit oder explizit normativ interpretiert wird, entwickelt sich der Begriff weiter. Funktionalität als Leitidee hängt dann bspw. eng mit utilitaristischer Gesellschaftssicht zusammen: Wert ergibt sich aus der Erzeugung eines Nutzens, oder prägnanter: gut ist, was nützlich ist. Und es hängt damit an der Vorstellung, nur das hat Berechtigung, was Anforderungen erfüllt, und zwar solche Anforderungen, welche in die Logik anderer Elemente rekodierbar sind, wo bspw. Bildung zu Produktivität im ökonomischen Sinn transformierbar wird. Funktionalität als pädagogische Leitidee reift damit begrifflich aus, sie wird zu einem Primat von Verwertbarkeit und Nützlichkeit. Und wo Verwertbarkeit zum Sinn bestimmt wird, da wird Pädagogik bereits auf ihren zweckrationalen Schatten reduziert.

4 These: die Unvereinbarkeit beider Leitideen

Soweit nun die beiden Prinzipien von Emanzipation und Funktionalität als pädagogische Leitideen dargestellt sind, soll der eigentlichen Frage nachgegangen werden, in welchem Verhältnis sie vor der Sache der Berufsbildung zueinanderstehen, oder vielmehr, ob sie als miteinander harmonisierende gleichberechtigte Normen behandelt werden können. Aus berufsbildungsphilosophischer Sicht wird das verneint, und als Ausgangspunkt der anschließenden Argumentation dieser Position wird die folgende These aufgestellt.

Der Anspruch der Funktionalität, der sich aus einem Verständnis der Gesellschaft als System ergibt, unterscheidet sich als pädagogische Leitidee widersprüchlich von dem Streben nach Emanzipation, welches die größtmögliche individuelle Entfaltung prämissiert. Funktionalismus und Emanzipation sind als Primate beruflicher Bildung daher unvereinbar. Wenngleich Emanzipation und Funktionalität gleichermaßen als Leitideen der Berufsbildung formuliert werden können, sind sie mit dem Anspruch eines Primats, als zentrale Sinngebung, miteinander unvereinbar, da ihre Paradigmen nicht nur in unterschiedlicher Logik begründet werden, sondern vielmehr auf unterschiedlichen Weltdeutungen und Menschenbildern beruhen. In diesem Widerspruch, der beiden an sich bedeutsamen erscheinenden Leitideen, zeigt sich die Aporie der Berufsbildung.

Die berufsbildungstheoretische Ausformulierung, die vor der Manifestation in den Bemühungen der Berufsbildungswissenschaft steht und auf welche auch die Entwicklung in der Praxis reflektiert wird, sind die Paradigmen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Diese beiden Paradigmen, als die konkretisierte und thesenförmig zugänglich gemachte Diskutierbarkeit der Leitideen, sind nun der Ausgang der die Unvereinbarkeitsthese begründenden Argumentation.

5 Die Antagonisten

In der Berufs- und Wirtschaftspädagogik haben sich in den 1970iger Jahren zwei paradigmatische Positionen herauskristallisiert (vgl. Beck/Müller 1991): das seitdem in den Hintergrund geratene kritisch-emanzipatorische Paradigma und das, vor allem in der massiven Rezeption der realistischen Wende stark beförderte, systemtheoretische Paradigma. Beide wurden motiviert durch gesellschaftlich-politische Reformbewegung einerseits und die politisch motivierte Nachfrage nach einer höheren Effizienz des Bildungswesens andererseits (Krüger 2002, 58).

Bereits in Einklang mit der Unvereinbarkeitsthese lässt sich zunächst ganz allgemein feststellen, dass Blankertz auf der einen Seite den pädagogischen „Primat der Mündigkeit“ und so den damit verbundenen Subjektbezug (Kutscha 2008a, 5) repräsentiert, Zabeck dagegen, auf der anderen Seite, den „Primat der Funktionstüchtigkeit“, der vorrangig den Bezug zur Gesellschaft und zum Funktionssystem sucht (Zabeck 1980, 24).

5.1 Argumente und Prämissen des kritisch-emanzipatorischen Paradigmas

Die Formulierung des kritisch-emanzipatorischen Paradigmas wurde durch Zweierlei motiviert: erstens als Entgegnung an und Überwindung der repressiven und diskriminierenden Erziehungs- und Bildungsverhältnisse, wie sie bspw. durch die Proteste der Studentenbewegung angeprangert wurden, die antiautoritär, gesellschafts- und kulturkritisch eingestellt war (Krüger 2002, 58). Zweitens als Erneuerung der traditionellen Annahmen der geisteswissenschaftlichen Pädagogik, die noch bis Anfang der sechziger Jahre die erziehungswissenschaftliche Theoriediskussion dominiert hatte, durch eine gesellschaftstheoretische und kritische Perspektive in Anlehnung an die Frankfurter Schule (ebd., 162; Benner/Tenorth 2000, 250).

Nach der mit dem Prinzip der Emanzipation bereits dargelegten Idee des kritisch-emanzipatorischen Paradigmas sind nun dessen daraus abgeleitete Argumente und Prämissen zu betrachten (vgl. dazu Kutscha 2008b, 41ff.; Blankertz 1963; 1972; 1974a; Zedler 1989). Die Argumente werden nochmals kategorisiert, um die Übersichtlichkeit etwas zu verbessern, und zwar in solche, die das Verhältnis von Bildung und Beruf adressieren, solche zur Wissenschaftsorientierung und solche, die sich direkt auf Emanzipation und Mündigkeit beziehen.

Zum Komplex Emanzipation und Mündigkeit gehörend findet sich nur ein, dafür aber wesentlich sinnstiftendes Argument. Es lautet Erziehung ist ein Prozess der Emanzipation, denn Ziel jeder Bildung im Sinne der Aufklärung ist die Mündigkeit des Individuums, damit es sich selbst und seine Gattung zum Besten entfalten kann. Damit schließt das kritisch-emanzipatorische Paradigma sowohl an Kant als auch den Neuhumanismus an.

Zum zweiten Komplex Verhältnis von Bildung und Beruf lassen sich vier Argumente herausstellen. Erstens Berufliche Bildung ist wahre Bildung, da sie aus der aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt resultiert. In Abgrenzung zu ähnlichen geisteswissenschaftlichen Argumenten, bspw. bei Spranger, verzichtet Blankertz aber bewusst auf einen positiv konnotierten Allgemeinbildungsbegriff, was im Folgenden begründet wird. Denn Blankertz postuliert als zweites Argument, dass Bildung nie direkt als allgemeine Bildung erworben werden kann, denn sie benötigt die Auseinandersetzung mit spezifischen Gegenständen und Anforderungen. Diese Anforderungen resultieren aus den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen, jedoch nicht aus kulturellen Bedingungen. Mit der Unterscheidung von gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen wird eine Abgrenzung zur geisteswissenschaftlichen bzw. kulturphilosophisch begründeten Pädagogik vollzogen, die durch die grundlegende Ablehnung von Kultur als erhaltendem Prinzip nötig wird. Die beschriebene gegenständliche Auseinandersetzung ist damit nicht per se auf Affirmation und Anpassung gerichtet, sondern kann gesellschaftskritisches Potenzial entfalten.

Und Blankertz formuliert seine Position zur Allgemeinbildung weiter mit dem dritten Argument: Inhaltlich kanonisierte (materiale) Allgemeinbildung deformiert Bildung zum Statussymbol, denn sie ist keine wirkliche Bildung, durch die man Mittel zur Selbstverwirklichung erlangt. Diese Mittel erlangt man nicht durch den Erwerb kulturellen Wissens ohne Bezug zur eigenen Lebenswelt, sondern nur durch die Auseinandersetzung mit konkreten Aufgaben.

Das letzte Argument in diesem Komplex adressiert den Umstand, dass das Erlernen eines Berufs im humboldtschen Bildungsverständnis als etwas der Bildung Fremdes und zur Allgemeinbildung Wertloseres verstanden wurde. Blankertz hält dem entgegen, dass ein Gegensatz zwischen Bildung und Beruf nicht systematisch zu begründen ist, da die Bildung des Menschen universell zu verstehen ist. Ihr Ziel ist die Entfaltung und Vervollkommnung des Subjektes. Berufsbildung ist lediglich eine besondere Ausprägung des Bildungsprinzips und steht nicht neben ihm, denn gerade Berufsbildung dient der Entwicklung von Urteils- und Kritikfähigkeit.

Im dritten Komplex, der Wissenschaftsorientierung, wird zunächst argumentiert, dass Berufliche Bildung nicht auf Drill reduziert werden darf. Auszubildende benötigen vernünftiges, wissenschaftsorientiertes und kritisches Lernen, um den Kontext und die Bedingungen ihrer Arbeit begreifen zu können. Auch damit ist eine Trennung von allgemeiner und beruflicher Bildung nicht mehr zu begründen. Blankertz postulierte aber auch, und das ist das zweite Argument, dass Unterricht nicht ausschließlich wissenschaftsorientiert sein darf, sondern auch zur kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen befähigen muss. Neben Wissenschaft und Technik selbst müssen auch deren Ziele und Folgen vermittelt werden, und berufliche Bildung wird durch zwei Momente definiert, die im Unterricht herausgearbeitet werden müssen: erstens die Wissenschaftsorientiertheit allen Lernens, begründet in der Verwissenschaftlichung der Zivilisation, und zweitens durch das Prinzip der Kritik und damit die Bildung zur Mündigkeit i.S. der Aufklärung, was letztlich verhindern soll, dass die Aufklärung sich durch Reduktion auf zweckrationierte Gesellschaftsphilosophie selber verzehrt.

Ebenfalls in Absicht der Überwindung geisteswissenschaftlich geprägter Berufspädagogik entstand zeitgleich zum kritisch-emanzipatorischen Paradigma das systemtheoretische (vgl. Beck/Müller 1991). Losgelöst vom humanistischen Bildungsideal formulierte es Jürgen Zabeck als pragmatischer anmutendes Unterfangen, über die systemtheoretische Folie die gesellschaftliche Funktion der Berufs- und Wirtschaftspädagogik zu erklären und daran berufspädagogisches Handeln auszurichten.

5.2 Prämissen des systemtheoretischen Paradigmas

Der systemtheoretische Ansatz von Jürgen Zabeck nimmt die Herausforderung des permanent zu lösenden Problems der Erfüllung gesellschaftlicher Erwartungen an Bildung an, indem Erziehung als ein gesellschaftliches Subsystem nachgebildet wird. Von diesem Modell her kann die Erziehungsrealität erschlossen werden, gleichzeitig stellt es eine Maßstabsfunktion für die Bewertung der Funktionalität des vorgefundenen Zustands dar. Die damit bereits vom Funktionsgedanken her erschlossene Erziehungswissenschaft kann im übergeordneten sozialen System drei verschiedene Funktionen erfüllen: Erstens kann sie das Bedürfnis nach Informationen befriedigen, indem sie die erzieherisch relevanten Verhältnisse unter Berücksichtigung der in ihr waltenden Wirkungszusammenhänge darlegt und analysiert. Zweitens kann sie Orientierung durch die Interpretation der Erziehungswirklichkeit schaffen, indem sie sich auf die unterschiedlich gearteten Bezugssysteme beruft. Und drittens bietet sie Unterstützung zur Gestaltung von Lösungen der Erziehungspraxis an. Denn einerseits hilft sie bei der Ermittlung und Vermittlung erzieherischer Verfahrensweisen, die der Bewältigung konkreter Situationen, aber auch der Realisierung pädagogischer Normen dienen können und andererseits bei der Entwicklung institutioneller und curricularer Systematisierungen unter dem Aspekt der Sinnerfüllung erzieherischer Praxis (Zabeck 1980, 24). Durch die Wahl des systemtheoretischen Paradigmas wird eine Sinnsetzung vorgenommen, wodurch die Informations-, Orientierungs- und auch die Gestaltungsleistung konstitutive Bedeutung erhalten (ebd., 26). Zabeck definiert damit die Erziehung ausschließlich als eine technische Komponente, die gegenüber anderen technischen Komponenten Funktionen zu erfüllen hat, damit die Gesamtmaschinerie des Gesellschaftssystems am Laufen gehalten wird. Was diesem Systemerhalt nicht dient, das kann in dieser Logik auch nicht betrachtet werden. Demnach richtet sich die Erziehung, als Subsystem, an Individuen, die als personale Systeme beschrieben werden. Diese personalen Systeme sollen einerseits für die Gesellschaft, oder besser gesagt für das soziale System, funktional wertvoll gemacht werden und andererseits soll deren Persönlichkeitsentwicklung unterstützt werden. Somit werden nach Zabeck Menschen in die Umwelt des sozialen Systems versetzt, da diese nicht selbst als Subsystem gefasst werden können. „Der Mensch ist also nach dieser Auffassung nicht von den Bestandserhaltungsinteressen des Sozialsystems her definiert, sondern steht zu ihm in einer Relation, die die Merkmale der Unbestimmtheit und Kontingenz besitzt“ (ebd., 25). Es wird zwar zugestanden, dass der Mensch mehr ist, als die systemtheoretische Folie abzudecken vermag. Jedoch wird diese Einschränkung in der Formulierung des systemtheoretischen Paradigmas explizit hingenommen, aber sie als Unbestimmtheit zu fassen wäre das, was den Menschen über seine Rolle als systemischen Funktionsträger hinaus verstehbar- und erfahrbar macht, was ihn zu mehr werden lässt als einer technischen Komponente.

Wenn Zabeck spezifischer auf die Berufsbildung eingeht, so versteht er unter Berufserziehung zunächst ein Subsystem, das sich mit dem internen Folgeproblem des Erhalts von Systemeigenschaften beschäftigt, welches sich aufgrund gesellschaftlicher Arbeitsteilung entwickelte. Dabei geht es um die Frage, welche Bedeutung der Beruf für das gesamtgesellschaftliche soziale System und die individuelle Lebensführung hat. So definiert Zabeck Berufe als „institutionell verselbständigte, auf Menschen bezogene, mehr oder minder komplexe Kombinationen spezieller Leistungen, die den funktionalen Erfordernissen der Arbeitsteilung entsprechen“ (Zabeck 1991, 559). Weiterhin formuliert Zabeck die gut nachvollziehbare Annahme, dass Berufe vor der Geburt der Einzelnen existieren, sodass Individuen in der Regel auf sie treffen werden. Zur Bewältigung des wirtschaftlich selbständigen Lebens muss der Mensch damit bereit und fähig sein, einen für ihn sinnvollen Beruf auszuwählen und auszuüben sowie sich seiner Berufsrolle in die durch Arbeitsteilung entstandenen gesellschaftlichen Strukturen bewusstwerden (ebd.). Da das Arbeitsleben nicht für alle Arbeitnehmer die Voraussetzungen der individuellen Selbstverwirklichung bereithalte, sei das Bekenntnis zum Beruf als „Selbstbestimmung zum sittlichen Handeln in den Leistungsstrukturen der Gesellschaft" unverzichtbar. Dabei rückt die Frage, ob die Zuordnung des Menschen zu bestimmten Funktionen als „Berufung“ auf der Grundlage von Begabung und Interesse interpretierbar sei, in den Hintergrund (ebd., 560). So zeigt sich hier das nun schon bekannte Motiv: Erziehung, Bildung und Mensch (sofern begreifbar) dienen dem Systemerhalt.

Dem Subsystem Berufserziehung stellen sich damit zwei aufeinander bezogene Herausforderungen, nämlich die der beruflichen Allokation und der beruflichen Qualifizierung (Zabeck 1980, 25). Die aufeinander bezogenen und gemeinsam zu bewältigenden Probleme bestehen einerseits darin, „die nachwachsende Generation in die arbeitsteilig organisierte Gesellschaft so zu integrieren, dass sie – bezogen auf den Systemzweck – Bestmögliches für das Ganze leisten kann“, und andererseits „den Einzelnen so zu qualifizieren, dass es ihm möglich ist, sich über alle etwaigen ökonomisch-technischen Veränderungsprozesse hinweg im Berufsleben leistungsfähig zu halten“ (ebd., 26).

Das systemtheoretische Paradigma der Berufs- und Wirtschaftspädagogik trifft also folgende Kernaussagen:

Ersten geht es davon aus, dass die moderne Gesellschaft ein Sozialsystem mit primär funktionaler Differenzierung und wechselseitigen Leistungen der Sub-Systeme ist. Das ist eine Grundannahme der soziologischen Systemtheorie, die übernommen wurde (vgl. Luhmann 1997; 1985).

Zweitens schafft es als Sinn für die auf ihm beruhende Pädagogik: „der Eingliederung des Menschen in das Beschäftigungssystem kommt absolute Priorität zu“ (Zabeck 1975, 158). Damit werden Emanzipation und Persönlichkeitsentwicklung bestenfalls zweitrangig, fast ist zu vermuten, dass sie der Berufsbildung als metaphysischer Ballast gestutzt werden sollen. Und so postuliert Zabeck selbst auch, drittens, die „Funktionsfähigkeit statt Emanzipation als Leitkonzept beruflicher Bildung“ (Zabeck 2001, 135). Er bezeichnet es ferner als didaktischen Illusionismus, gesellschaftliche Bedingungen als Gegenstand der kritischen Reflexion heranzuziehen.

Viertens arbeitet er heraus, dass das Erziehungssystem dem Primat der arbeitsteilig organisierten Gesellschaft unterliegt, nicht dem Primat des Subjekts. Nachwachsende Generationen müssen in die arbeitsteilig organisierte Gesellschaft integriert werden um „Bestmögliches für das Ganze“ (ebd.) leisten zu können.

Daher ist es, fünftens, die ethische Leistung des Individuums, sich seiner beruflichen Existenz selbst anzunehmen, Normen zu akzeptieren, sich selbst zugunsten seiner beruflichen Pflichten zu beschränken und zu integrieren. Selbstverwirklichung, ein paradox anmutender Begriff im Kontext der zabeckschen Argumentation, erfolgt also durch Anpassung.

Zuletzt konstatiert Zabeck, sechstens, das Allgemein- und das Berufsbildungssystem zu trennen, da beiden im Gesellschaftssystem unterschiedliche Aufgaben zukommen (ebd.). Wie alle anderen Postulate ist auch dieses unter der Annahme funktional getrennter Gesellschaftssysteme plausibel, zumindest sofern deren Reproduktion nun für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik normative Zuschreibung erhält.

6 Die Aporie der Berufsbildung – Kern der Unvereinbarkeit

Möchte man die Leitideen der Emanzipation und der Funktionalität, und ihre jeweils auf einen argumentativen Kern kondensierten berufs- und wirtschaftspädagogischen Paradigmen, in einer Sentenz fassen, so bieten ihre Vordenker das jeweils passende Zitat an. Den pädagogischen Leitgedanken aus systemtheoretischer Sicht hat Zabeck wie folgt pointiert: “Der Eingliederung des Menschen in das Beschäftigungssystem kommt absolute Priorität zu“ (Zabeck 1975, 158). Der pädagogische Primat einer kritisch-emanzipatorisch ausgerichteten Berufsbildung ist nach Blankertz dagegen der folgende: „Die Erziehungswissenschaft [...] rekonstruiert die Erziehung als den Prozess der Emanzipation, d.h. der Befreiung des Menschen zu sich selbst“ (Blankertz 1982, 307).

Wie weit beides vor der Pädagogik auseinander liegt, haben ihre oben dargestellten Argumentationslinien bereits erahnen lassen. Was nun in Adressierung der, dieser Abhandlung zugrundeliegenden, Unvereinbarkeitsthese zu diskutieren ist, sind die normativen Implikationen für die Disziplin[6].

Die Kategorien, derer sich die Argumentation der Unvereinbarkeit bedient, müssen zweierlei erfüllen. Zunächst müssen sie notwendigerweise geeignet sein, ebenjene Implikationen, und natürlich auch die ihr gegenteilige Annahme, nachzuzeichnen. Ist dies erfüllt, erscheinen sie im Weiteren hinreichend, wenn sich über sie das Wesen einer Pädagogik, oder vielmehr einer pädagogischen Ausrichtung, erschließen lässt. Notwendige Erkennbarkeit und hinreichende Normativität sind, für den Zweck dieser Analyse, im Menschenbild zu finden, in der pädagogischen Referenzgröße, in der Bildungsidee, in der Rolle der Erziehung und in der Menschenwürde.

Das Menschenbild bezeichnet die Vorstellung zum Wesen des Menschen und wie es sich zur Welt verhält. Dem systemtheoretischen Paradigma liegt ein utilitaristisches zugrunde. Sinn des Menschen ist hier nicht nur seine produktive, sondern produzierende Teilhabe an der Gesellschaft als Berufsausüber. Utilitaristisch ist es deshalb, weil über allem die Nützlichkeit steht, denn das Gute am Menschen definiert sich über dessen Diensterbringung. Das kritisch-emanzipatorische Paradigma setzt dem ein neuhumanistisches Menschenbild entgegen, das im Sinn des menschlichen Seins vor allem seine größtmögliche Entfaltung sieht. Hier ist noch kein Widerspruch zu finden, denn auch der emanzipierte und mündige Mensch kann und soll sich produktiv an der Gesellschaft beteiligen. Die Frage aber danach, warum er es tut und wo seine Priorität liegen soll, ist eine anschließende, in anderen Worten: Aus dem Menschenbild folgt die Unterscheidung, woran und wie weit die produzierende Einbindung des Selbst reflektiert wird.

Als zweite Kategorie meint die pädagogische Referenzgröße das, was der Gegenstand der pädagogischen Überlegungen ist. Die Funktionalität ordnet sich dabei in der Folie der Systemtheorie ein und über das zugehörige Paradigma löst man sich auch nicht vom System als normativem Horizont. Es wird argumentiert in der Logik von Input-Outcome, Wechselwirkungen zwischen Teilsystemen und dem Kode der besseren und schlechteren Funktionserfüllung. Dort, wo das Individuum adressiert wird, wird es modelliert als personales System und bildet ein Funktionselement, dessen Funktionstüchtigkeit dem sozialen System dient und das darüber hinaus keine Bedeutung erfährt. Dagegen steht die Subjektfokussierung der Emanzipation, denn wenngleich das Wohlergehen der Gemeinschaft nicht ignoriert wird, ordnet es sich nicht pauschal dem einzelnen Menschen über. Vielmehr wird die Entfaltung der Gattung und der Gesellschaft als durch die Entfaltung des Individuums erst möglich befunden, was Kern der pädagogischen Überlegung bleibt. Die Gesellschaft im Sinne eines funktionierenden Systems dagegen wird tendenziell als etwas wahrgenommen, was in der gegenwärtigen Form durch ihre Totalität die Verwirklichung des Menschen verwehrt.

Die dritte Kategorie ist die Bildungsidee. Sie ist zu erschließen mit der Frage, was denn von Bildung in der Berufsbildung bleibt. In der Sicht des systemtheoretischen Paradigmas ist der gebildete Mensch der, welcher die Einsicht in Unterordnung und Pflichterfüllung erlangt hat. Berufsbildung transportiert dies als ethischen Gedanken und ist sonst Qualifizierungsvermittlung, die sich an den Leistungsanforderungen der beruflichen Tätigkeiten erschöpft. Im emanzipatorischen Sinn wird Bildung Medium der Gesellschaftskritik, die in sich aufnimmt, dass die mündige Persönlichkeit im Widerspruch zum Gegebenen entstehen muss. Hier nimmt die Berufsbildung eine zentrale Rolle ein, da das Verständnis des Gegebenen und damit die Fähigkeit zur es verändernden Partizipation nur über den konkreten Gegenstand eines Berufs erlangt werden kann. Berufsbildung ist also Baustein der Mündigwerdung.

Und wo nach der Bildungsidee gefragt wird, ist der Blick auf die Rolle der Erziehung nicht weit. Unter dem Primat der Funktionalität ist Erziehung die Schaffung von Arbeitskraft einerseits und ein Prozess der Adaption des Individuums an Systemerfordernisse und Systembedingungen andererseits. Erziehung ist Anpassung. Unter dem Primat der Emanzipation wird sie das Gegenteil, Erziehung ist Ermächtigung zum Widerstand, der sich gegen das Gegebene richtet. Denn nur im Widerstand kann sich Mündigkeit ausbilden. Abschließend die vielleicht bedeutungsschwerste Unterscheidungskategorie: die Frage nach der Menschenwürde. So wie sie in der modernen, demokratischen Gesellschaft als Selbstverständlichkeit hingenommen wird, scheint sie ebendiese Annahme wieder verwundbar zu machen. Als höchstes Gut der Aufklärung erscheint es für das Wesen einer Auffassung von Pädagogik entscheidend, wo sie die Würde des Menschen ausmacht, denn spätestens hier muss sie ihre Intentionen entblößen. In der bisherigen Analyse wurde herausgestellt: unter der Funktionalität ist die Würde des Menschen seine Arbeitskraft. Etwas Anderes kann die ihr folgende Verwertungslogik nicht begreifen. Unter dem Primat der Emanzipation hat sich das anders dargestellt, hier liegt die Würde des Menschen in seiner Selbstverwirklichung, und nichts Anderes kann dann oberster Anspruch der Pädagogik und damit auch emanzipatorischer Berufspädagogik sein.

Mit diesen Kategorien wurde das Wesen der funktionalistischen und emanzipatorischen Pädagogiken umrissen und voneinander abgegrenzt. Sie entblößen ihren Sinn und ihre Nicht-Identität. Wo sich in diesen Kategorien bestenfalls keine Gemeinsamkeiten und in den schwierigsten Fällen nur Gegensätze offenbaren bleibt festzustellen: Primat der Berufsbildung kann, zumindest aus berufsbildungsphilosophischer Sicht, nur eines der beiden Leitbilder sein.

Damit ist es nun auch bildungstheoretisch nicht getan. Das Postulat, auch in der Berufsbildung der Idee der Emanzipation Vorrangstellung einzuräumen, kann angesichts zweier Bedingungen selbst nicht diskussionslos gehalten werden: zunächst vor den materiellen Erfordernissen der auf die Arbeitskraft des Einzelnen angewiesenen Gesellschaft, die, wenngleich in ihrer Form und Ordnung, jedoch nicht als Notwendigkeit strittig sein soll. Und im Weiteren vor der ideologischen Dämonisierung der Emanzipation, die wie die Aufklärung selbst sich als Ideologie zu karikieren droht, wird sie ihrer Sache nach allzu leichtfertig anerkannt.

7 Emanzipation und berufliche Tüchtigkeit – Gegensatz oder Komplement?[7]

Die Konfrontation des Prinzips der Emanzipation mit den materiellen Erfordernissen der Gesellschaft, welche nicht durch ihre kapitalistische Ordnung, sondern durch den hohen Grad der Arbeitsteilung auf die qualifizierte Arbeitskraft ihrer Mitglieder angewiesen ist, führt zu der Frage: wenn sich die Berufsbildung auf Emanzipation konzentrieren soll, vernachlässigt man dann nicht das eigentliche, also die Ausbildung der Jugendlichen zum Erlernen eines Berufs? Es lässt sich dem Anspruch der Emanzipation entgegen, dass die Ausübung eines Berufs, gleich welcher Form, auf eine Leistungserbringung abzielen muss, die nicht immer und vielleicht nicht einmal in den meisten Fällen der Persönlichkeitsentwicklung dienlich ist.

Nun steht zwar der Primat der Emanzipation unvereinbar einem Primat der Funktionalität gegenüber. Der Sinn der Emanzipation steht aber nicht zwangsläufig im Widerspruch zu dem Anspruch einer auf Ausbildung von Arbeitskraft gerichteten Berufsbildung. Denn es sind nicht „die Inhalte der Berufsausbildung schon als solche Folterzangen zur Selbstentfremdung des Menschen“ (Blankertz 1983, 809). In keiner Gesellschaftsform scheint der mündige Mensch ohne die Befähigung zur produktiven und produzierenden Teilhabe denkbar, über die er an Erhalt und Fortschritt dieser Gesellschaft mitwirkt. So gilt für beide paradigmatischen Strömungen der Berufs- und Wirtschaftspädagogik, dass Arbeit Mehrwert produzieren muss und berufliche Bildung dazu befähigen soll. Kritisch-emanzipatorische Berufsbildung meint also nicht, den Auszubildenden ausschließlich darauf vorzubereiten, alles in Frage zu stellen und seine Arbeitsfähigkeit zu vernachlässigen. Die Frage ist vielmehr, welche Rolle Bildung und Persönlichkeitsentwicklung in der Berufsbildung spielen und wohin beide zu den Verwertbarkeitsansprüchen der Marktwirtschaft gesetzt werden.

Das Verhältnis von Emanzipation und Produktivität ist also ambivalent: es ist einerseits komplementär, denn die Fähigkeit zur Leistungserbringung, welcher auch immer, ist Bedingung der partizipativen Teilhabe an der Entwicklung der Gesellschaft. Es ist andererseits antagonistisch, wenn kritische Haltung in unproduktiven Widerstand umschlägt oder der Mensch im Schein neoliberaler Produktivitätsideologie als Faktor verkümmert und seine darüberhinausgehende Entfaltung in der Verwertungslogik keinen Platz findet.

Was wie eine Relativierung wirken kann, verdeutlicht vor allem, dass Emanzipation als Prinzip und Primat nicht zum Dogma oder zur Ideologie ausarten darf oder muss. Die normative Unsicherheit darüber, wie sie insbesondere in ihrer verdichteten Form als Paradigma zu handhaben ist, wirft die nächste Frage auf.

8 Paradigma: Idee oder Ideologie?

Ob ein Paradigma nur eine konkretisierte Leitidee ist, oder ob es schon ideologische Züge trägt, ist keine leichte und keine leichtfertig hinzunehmende Frage. Sowohl die Idee der Emanzipation als auch der theoretische Hintergrund des kritisch-emanzipatorischen Paradigmas richten sich grundsätzlich gegen jede Form von Ideologisierung. Die Kritische Theorie macht es sich zur Aufgabe, jede Ideologie als solche zu entlarven und jede Gefahr der Pervertierung der Aufklärung bloßzustellen (Schweppenhäuser 2010). Und so ist auch davon auszugehen, dass Ideologie ein Mechanismus ist, der dazu dient, Zwangsverhältnisse vor dem Individuum aufzubauen, es zu instrumentalisieren und es in seiner Entscheidungsfreiheit einzuschränken – anders kann sich Ideologie als solche nicht behaupten und reproduzieren (Mannheim 1995, 78).

Wenn Emanzipation nun als Leitidee proklamiert und in Form eines Paradigmas in Maxime, Argumente und Prämissen verdichtet wird, wird sie nicht selbst dogmatisiert und zur Ideologie? Denn es erscheint widersprüchlich: Emanzipation ist die Auflehnung gegen Gegebenes zur Selbsterlangung von Freiheit und Unabhängigkeit; gleichzeitig wird sie aber als Bildungsziel verordnet. Eine freie Entscheidung wäre es schließlich auch, sich in einem Akt der Auflehnung gegen die Emanzipation zu entscheiden. Das offenbart zwei Paradoxa. Erstens ist pädagogisch verordnete Emanzipation selbst kein emanzipativer Akt. Zweitens ist dagegen die bewusste Ablehnung von Emanzipation ein emanzipativer Akt. Beide Widersprüche deuten darauf hin, dass auch eine Idee der Emanzipation, die mit dem Anspruch ihrer Realisierbarkeit konfrontiert wird, diesen nur in der dogmatisierten Form einer Ideologie einlösen kann, um sich von ebenjenen Widersprüchen abzuschotten.

Diese Feststellung lässt sich nicht vermeiden oder auflösen. Vielmehr zwingt es die Pädagogik zu einem sehr vorsichtigen und durchdachten Umgang mit Idee und Begriff, um zwei Extreme zu verhindern: nämlich einerseits, dass der Begriff zur bildungspolitischen Leerformel aufweicht, wenn er zu unverbindlich formuliert wird, und andererseits, dass er sich konterkariert und selbst zu einer Zwangsvorstellung pervertiert.

Zur normativen Handhabbarkeit dieser Widersprüche und ihrer Implikationen hilft die Abgrenzung der Begriffe der Leitidee und der Ideologie. Der erste Unterschied ist, dass Leitideen, und die Paradigmen, zu denen sie verdichtet werden, die Möglichkeit ihrer Hinterfragung offenlassen, insbesondere bei der Suche nach Ausnahmen ihrer Geltung. Ideologien tun dies nicht, sie konstituieren sich über einen Alleingültigkeitsanspruch (Adorno 1954). Eine Leitidee sollte daher als pädagogische normative Referenz verstanden werden, deren Universalität nie angenommen werden darf und deren Gültigkeit für Gesellschaft und pädagogisches Handeln fortlaufend zu hinterfragen ist. Jedes Argument eines Paradigmas muss nachvollziehbar mit Prämissen belegt sein, entweder solchen, die sich aus validen empirischen Beobachtungen ergeben, oder theoretischen Prämissen, die bis in ihre Implikationen offengelegt, diskutiert und anzweifelbar sind.

Der zweite Unterschied ist, dass Paradigmen nicht unreflektiert auf die Bildungs- und Erziehungspraxis angewandt werden dürfen. Die hinter dem Paradigma stehende Philosophie, sei es kritische Theorie oder Neoutilitarismus, wirken in ihren normativen Implikationen oft sehr dichotom und polarisierend, und bieten dann keine differenzierte Interpretation der Welt an. So ist forschende wie praktizierende Pädagog:innen immer angewiesen, diese Dichotomie in den Kontext der Wirklichkeit, die sich ihnen offenbart, zu setzen. Sonst würden sie zu Dogmatiker:innen, die zwischen gut und schlecht oder zwischen richtig und falsch nichts erkennen können.

9 Resümee – Prämissen und Perspektiven einer humanistischen Berufs- und Wirtschaftspädagogik

Dieser Text sollte die Begriffe Emanzipation und Funktionalität als Prinzipien der beruflichen Bildung schärfen und anhand einer kategorialen Gegenüberstellung den normativen Vorrang der Emanzipation vor der Funktionalität als berufspädagogische Leitidee begründen. Die Darstellung und Diskussion der Unvereinbarkeitsthese soll der Auseinandersetzung mit Berufsbildungstheorie neue Impulse liefern und die Notwendigkeit eines kritischen Horizonts für die Berufsbildung betonen. Dagegen ist zu befürchten, dass Versuche der Integration oder Konvergenz funktionalistischer und emanzipatorischer Programmatik wegen der Ressourcenbegrenzung der Berufsbildung mehr noch eine Utopie sind, als das emanzipatorische Paradigma an sich. So ist weder abzustreiten, dass praktische Berufsbildung emanzipatorische und funktionalistische Elemente enthalten kann, genauso hat sich gezeigt, dass unterschiedliche paradigmatische Strömungen in der Berufsbildungswissenschaft, in welchem Verhältnis auch immer, koexistieren können. Bei berufsbildungspolitischen Grundlagen ist die Notwendigkeit der Klarheit der pädagogischen Leitidee schon deutlich dringlicher, und für die berufsbildungsphilosophische Ebene wurde gezeigt, dass die Integration von Funktionalität und Emanzipation abwegig erscheint.

Daher positioniert sich die vorliegende Argumentation eindeutig für die Emanzipation als Leitidee der Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Sie schließt sich auch der Auffassung an, dass der humanistische Bildungsbegriff für die Pädagogik unverzichtbar ist. So sollte Bildung dann zuerst die „Anregung aller Kräfte eines Menschen [sein, Anm. d. Autors], damit sich diese über die Aneignung der Welt [...] entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität oder Persönlichkeit führen, die in ihrer Einzigartigkeit die Menschheit bereichere“ (Hentig 1996, 40). Im generischen Charakter dieser Setzung werden drei grundsätzliche Aspekte deutlich: erstens ist Bildung ein ganzheitlicher Prozess und damit nur in ihrer Gesamtheit wirklich zu verstehen. Zweitens ist der Zweck der Bildung der Mensch als Individuum. Drittens ist der Sinn der Bildung die (Selbst) Entfaltung, die auch dem Wohl der Mitmenschen und der Gesellschaft dienen soll.

Mit dem Bildungsbegriff eng verbunden ist die normative Vorstellung darüber, was das Wesen des Menschen ist, wie er als Individuum und Teil der Gesellschaft wahrgenommen wird und damit auch, was seinen Wert bestimmt. Die philanthropisch orientierte und humanistisch geprägte Pädagogik kann den Menschen nur als individuell wertvolles Gattungswesen begreifen, der nicht nur selbstbezogen, sondern erst im Kontext seiner Sozialität entwickelbar ist. Die Würde des Menschen ist Kern dieses Humanismus und ihre Unantastbarkeit muss folglich Imperativ jeder pädagogischen Überlegung und Handlung sein. Arbeit und Bildung für Arbeit müssen dann genauso Ausdruck der Menschenwürde sein.

Unter dieser Prämisse gilt es, das Wesen der Berufsbildung zu erschließen und als Sinngebung zu postulieren. Hier kann in einem ersten Schritt die Bestimmung der Verhältnisse von wesentlichen Bedingungen beider Begriffe stehen, also die Konturierung der gesellschaftsverbundenen Selbstentfaltung wie sie im Kontext von Beruf und Arbeit zu verstehen ist. Betrachtet man das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, so folgt als Prämisse einer humanistischen Berufsbildung, um die es letztlich geht, dass zwischen einem gesellschaftlichen Verwertungs- und dem individuellen Selbstverwirklichungsinteresse abzuwägen ist, ohne dass die pauschalisierte Bevorzugung einer Position mit der Würde des Menschen vereinbar wäre (vgl. Ketschau 2019, 38). Aus dem Verhältnis von Mensch und Arbeit leitet eine humanistische Berufspädagogik ab, dass die Arbeit dem Menschen, aber nicht der Mensch der Arbeit zu dienen hat.

Sofern diese Prämissen in den Bedingungen des Bestehenden nicht oder nur schwer einlösbar erscheinen, konstituieren sich (Berufs)Bildung als Medium von Gesellschaftskritik und Erziehung als Weg zur Mündigkeit, die gleichsam auf die Veränderung dieses Bestehenden zu humaneren Verhältnissen abzielen. Emanzipation wird Bildungssinn, und mit ihr die Formung des jugendlichen Auszubildenden und des Erwachsenen hin zu einem partizipativen, reflektiert und verantwortungsvoll handelnden Demokraten.

Was mit dieser Abhandlung als Desiderat wiederrum bewusstwird, ist das Prinzip beruflicher Mündigkeit. In seiner Wandlung von einem emanzipativen Prinzip als Befähigung zu Erkenntnis und Befreiung von gesellschaftlich bestimmten Zwängen (Lipsmeier 1982, 233) hin zu einem ökonomisch konnotierten Prinzip, dessen Einlösung über die Produktivitätssteigerung hinaus aufgegeben wurde (Ketschau 2018, 95f.), bliebt die Sache seiner umfassenden theoretischen Durchdringung und Aktualisierung offen. Durch seinen oben geschilderten Charakter als Bedingung emanzipativer Persönlichkeitsentfaltung scheint ein solches Unterfangen erstrebenswert.

Was sich bei den Ausführungen zum Begriff der Emanzipation als weiteres Desiderat zeigte, ist das gegenwärtige Fehlen einer (berufspädagogischen) Theorie der Emanzipation, die deren verschiedene angedeutete und kontextabhängige Facetten sowie deren universelle Charakterattribute ganzheitlich und versöhnlich abbildet und insbesondere die kritische Pädagogik bereichern könnte. Derzeit scheint vor allem die Breite des Begriffs und sein unklares Verhältnis zu den bestehenden und für notwendig erachteten Gesellschaftsstrukturen einer weitergehenden bildungs- und erziehungswissenschaftlichen Aufarbeitung im Wege zu stehen.

Neben dem Handlungsbedarf im theoretischen Bereich finden sich Impulse für empirische Forschungszugänge. Deren Gegenstand kann die Untersuchung des emanzipativen Gehalts von berufsschulischer und betrieblicher Aus- und Weiterbildung in Anknüpfung an die Studien von Lempert (1974; 1971) und anderen (vgl. Belitz 1998; Hoppmann/Stötzl 1981; Schapfel-Kaiser 2003). Hier wären in aktuellerem Kontext auch Bezüge zu nachhaltiger Entwicklung und Digitalisierung adressierbar, deren Verhältnis zur emanzipatorischen Berufspädagogik noch weitestgehend ungeklärt ist. Ferner bleibt aus diagnostischer Perspektive zu untersuchen, welche Dispositionen zu kritischem oder konformistischem Verhalten beitragen, wie diese Dispositionen als Fähigkeiten in der beruflichen Bildung (bewusst oder unbewusst) adressiert werden und wie damit Berufsbildung emanzipativ oder sogar emanzipatorisch gestaltet werden kann.

Es bleibt für die paradigmatische Verortung zu resümieren, dass „Anpassung an Gegebenes [..] nicht Sache der (beruflichen) Bildung“ (Kaiser 2016, 193) sein darf. Und dort, wo Anpassung als Sozialisationsprozess unvermeidbar ist, muss das Moment des Widerstands als Möglichkeit von der Pädagogik bewahrt werden – denn sonst wird dem Edukanden letztlich der Antrieb zur Emanzipation genommen.

Als Sentenz, als Kondensat und Maxime kritisch-emanzipatorischer Berufspädagogik gilt: Die Würde des Menschen ist seine Selbstverwirklichung, nicht seine Arbeitskraft.

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[1]    Es geht hier aber ausdrücklich nicht darum, die beiden Pädagogen Blankertz und Zabeck, die mit diesen Paradigmen eng verbunden sind, in ihrer Schaffensgenese darzustellen oder gegeneinander abzuwägen. Genauso ist diese Schrift keine ideengeschichtliche Abhandlung oder empirisch fundierte Analyse. Auch um die Wiederbelebung des Positivismusstreits, so anregend er für die Definition des Horizonts der Berufsbildungswissenschaft auch sein möge, geht es nicht.

[2]    Insbesondere die Vertreter:innen der kritischen Pädagogik nutzen den Begriff häufiger (vgl. bspw. Dammer/Vogel/Wehr 2015), jedoch meistens in Anlehnung an den kritischen Emanzipationspessimismus der Frankfurter Schule, der vor allem sozial-, aber kaum bildungsphilosophisch begründet ist.

[3]    Der Kontrast ergibt sich aus der nach wie vor plausiblen Auffassung, dass Erziehung in erster Linie Anpassungsinstrument ist, wie Piaget (1984, 113) bspw. konstatiert: „Erziehen heißt, das Kind an das soziale Milieu des Erwachsenen anzupassen, mit anderen Worten, die psychobiologische Beschaffenheit des Individuums in Abhängigkeit von der Gesamtheit der kollektiven Realitäten (...) zu verändern.

[4]    Ein Gedanke, der sich ähnlich auch in Adornos Erziehung zur Mündigkeit wiederfindet, wenn Becker es als Hauptaufgabe des Erziehers formuliert, sich selbst überflüssig zu machen (Adorno 2013).

[5]    Abgeleitet aus der Wortbedeutung, die Funktionalität fasst als funktionale Beschaffenheit (Duden 2019) oder als die Fähigkeit eines Produktes oder einer Komponente, bestimmte Aufgaben zu lösen (Wiktionary 2019).

[6]    Zu klären scheint hier, dass wie oben beschrieben Systemtheorie zwar an sich nicht normativ ist, also keine Sinngebung oder Werte expliziert. Es zeigen aber die Ausführungen in Kapitel 3 und in diesem Kapitel, dass Systemtheorie normative Implikationen mit sich bringt, wird sie pädagogisch adaptiert.

[7] Lempert (1971) greift diese Problematik ebenfalls auf, durch den bei ihm auf soziale Gerechtigkeit gerichteten Emanzipationsbegriff ergibt sich aber eine andere Argumentation, die insbesondere auf berufliche Sozialisation abzielt.

Zitieren des Beitrags

Ketschau, T. J. (2023): Emanzipation und Funktionalität als Prinzipien der Berufsbildung: ein Essay zum pädagogischen Widerspruch von Individuum und System. In: bwp@ Spezial 19: Retrieving and recontextualising VET theory. Hrsg. v. Esmond, B./Ketschau, T. J./Schmees, J. K./Steib, C./Wedekind, V., 1-22. Online: https://www.bwpat.de/spezial19/ketschau_de_spezial19.pdf (30.08.2023).