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bwp@ Ausgabe Nr. 16 | Juni 2009
Selbstverständnis der Disziplin
Berufs- und Wirtschaftspädagogik
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 16 sind Karin Büchter, Jens Klusmeyer & Martin Kipp

Der Bildungsbegriff in einführenden Schriften zur Didaktik der Berufs- und Wirtschaftspädagogik

Beitrag von Ulrike GREB (Universität Hamburg)

Abstract

"Die Berufs- und Wirtschaftspädagogik ist eine erziehungswissenschaftliche Disziplin, zu deren Aufgaben die disziplinäre Selbstreflexion gehört", heißt es im Call for Papers zu dieser Ausgabe. Ins Zentrum dieser Selbstvergewisserung rückt auch die Frage, ob mit den „neu aufkommenden Begriffen wie Employeabillity und Kompetenz die ehemals disziplin- und identitätsbildenden Kategorien Arbeit, Beruf und Bildung an Bedeutung verlieren"? Der folgende Beitrag nimmt den begrifflichen Schwerpunkt dieser wissenschaftstheoretischen Selbstvergewisserung mit Blick auf den Bildungsbegriff auf. In sieben ausgewählten Publikationen wird die Rezeption und Verwendung des Bildungsbegriffs recherchiert, um zu prüfen ob und falls ja mit welchen Gründen die Idee der "Bildung" als disziplin- und identitätsbildende Kategorie der Berufs- und Wirtschaftspädagogik tatsächlich außer Kraft gesetzt wurde. Untersucht wird die konstruktive Relevanz und Stellung des Bildungsbegriffs in den didaktischen Ansätzen, die argumentativen Anschlüsse im bildungstheoretischen Diskurs bzw. die Substitution einer bildungstheoretischen Rechtfertigung. In diesem Sinne liegt der Schwerpunkt meiner Untersuchung auf der Frage nach der Einbindung der Berufs- und Wirtschaftspädagogik in die Erziehungswissenschaft.

 

1    Der Bildungsbegriff als identitätsstiftende Kategorie der BWP

Ob und inwiefern der Bildungsbegriff in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik jemals disziplinbildend war, bedürfte einer eigenen Untersuchung. An dieser Stelle werden vornehmlich bildungstheoretisch motivierte Fragestellungen, Kernprobleme, uneingeholte Versprechen und angestoßene Diskurse zum Verhältnis von Arbeit und Bildung aufgegriffen (z.B. SPRANGER, LITT, BLANKERTZ, HEYDORN), die sich potentiell für eine bildungstheoretische Begründung der beruflichen Didaktik eignen. Inwiefern diese Grundlagen zur Legitimation didaktischer Theoriebildung genutzt werden, soll beispielhaft eine hermeneutisch-kritische Sichtung der angegebenen Einführungsschriften zeigen. Anzuschließen ist in jedem Falle an die gemeinsam genutzte Quelle des neuhumanistischen Bildungsideals, aus der sich die unterschiedlichsten Bildungskonzepte speisen; auch heute noch mündet jede Debatte über die Bildungstheoretische Didaktik in einer erneuten Humboldtinterpretation. Gleichwohl kann in einer technologischen Zivilisation nicht die klassische, sondern nur eine revidierte, grundsätzlich ‚neugefasste’ Bildungstheorie zur Klärung der Befindlichkeit des Menschen beitragen. Nach einer Umfrage unter Studierenden und Lehrende im Institut für Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Universität Hamburg wurden sechs einführende Schriften zur Didaktik der beruflichen Bildung ausgewählt:

I. BONZ, Bernhard/ OTT, Bernd (Hrsg.) (2003): Allgemeine Technikdidaktik - Theorieansätze und Praxisbezüge, Reihe: Berufsbildung konkret, Bd. 6, Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren GmbH
II. RIEDL, Alfred (2004): Didaktik der beruflichen Bildung, Reihe: Pädagogik, Wiesbaden: Franz Steiner Verlag
III. KUHLMEIER, Werner (2005): Berufliche Fachdidaktiken zwischen Anspruch und Realität. Reihe: Diskussion Berufsbildung, Bd. 3, hrsg. von Bernhard Bonz und Heinrich Schanz, Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren GmbH.
IV. EULER, Dieter/ HAHN, Angela (2007): Wirtschaftsdidaktik, 2. aktualisierte Aufl., Bern-Stuttgart-Wien: Beltz
V. NICKOLAUS, Reinhold (2008): Didaktik ¾ Modelle und Konzepte beruflicher Bildung. Orientierungsleistungen für die Praxis, Reihe: Studientexte. Basiscurriculum Berufs- und Wirtschaftspädagogik, SBBW, 3. korr./erw. Aufl., Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
VI. OLBRICH, Christa (Hrsg.) (2009): Modelle der Pflegedidaktik, München: Elsevier.
Weil der Bildungsbegriff von „normativer Abgehobenheit“ verschlissen ist, wie Peter EULER feststellt, hat er heute kein Recht mehr auf selbstverständliche Anerkennung. Um meinem Beitrag einen diskursiven Anhaltspunkt zu geben, stelle ich EULERs Explikation zu einer Theorie der Bildung voran, der meiner Arbeitshypothese entspricht: Eine Theorie der Bildung muss „die Konstellation von Konfliktlinien bestimmen, ohne dabei das Konfligierende als Konfligierendes wegzudefinieren“, daher ist sie „als notwendiges theoretisches Organ vernünftiger Selbstreflexion der Gattungsentwicklung […] der reflexive Niederschlag einer praktischen Reaktion auf die in der Industrialisierung aufbrechenden Potenzen gesellschaftlicher Praxis“ (EULER 1997, 144, 160f.). Für die begrenzte Fragestellung beziehe ich mich weitgehend auf die bildungstheoretischen Reflexionen von Peter EULER und Winfried MAROTZKI, in der Humboldtinterpretation auf Diedrich BENNER und zum Verhältnis von Arbeit und Bildung auf Christoph LÜTH — vier Texte, die sich zur Diskussion im Seminar besonders eignen.

1.1    Humanistische Bildung: Der wirkliche Gegenstand der Bildung ist der Mensch

„Für Bildungs- und Ausbildungsprozesse bedeutsam ist es, dass die Leistungsfähigkeit jedes Arbeitenden u.a. vom Ausbildungsgrad ('allgemeine und berufliche Ausbildung') und von den 'moralischen Eigenschaften der Arbeitenden' abhängt. Im Hinblick auf diese Formung der Arbeitskraft wird die Arbeit definiert als 'ein Fluß von Leistungen, die von einem jeweils vorhandenen Vorrat an Humankapital erzeugt werden'. Dieses Humankapital“, so schließt LÜTH den bildungsökonomischen Blickpunkt ab, „wird nämlich vor allem durch Erziehung, Bildung und Ausbildung (education) und durch Übung (training) bestimmt“ (1988, 96). Insofern stellte sich die anthropologische Frage nach der Bildungsrelevanz von Arbeit in ihrer modernen Form an der Schwelle zur Industrialisierung, als sich erste Folgen der Mechanisierung einer arbeitsteiligen Produktion abzuzeichnen begannen. Sie wird am Übergang in das 19. Jahrhundert grundlegend von HEGEL beantwortet: Damit ein Selbstbewusstsein im Wissen um sich selbst nicht inhaltsleere Tautologie bleibt: Ich = Ich oder „Ich bin Ich“ (HEGEL PhG, 138), sondern als Subjekt (Einheit von Selbst und Person) wirksam und anerkannt werden kann, muss es durch tätige Bezugnahme auf Anderes aus dieser inhaltsarmen Reflexion herausfinden. Das Ich muss praktisch werden, indem es sich die Bedingungen seiner Existenz zu Eigen macht. KOJÉV fasst den Hegelschen Gedanken der praktischen Selbstverwirklichung zusammen: Der Mensch „muß die (natürliche und menschliche) Welt, in der er nicht anerkannt wird, in eine Welt verwandeln, in der diese Anerkennung stattfindet. Diese Verwandlung der dem menschlichen Entwurf feindlichen Welt in eine Welt, die mit diesem Entwurf übereinstimmt, nennt man ‚Tat’, ‚Tun’.“ (KOJEV 1975, 29) D.h., im gestalterischen (Arbeits)Prozess wird ‚das Anderssein der Gegenstände’ aufgehoben, so dass dem Ich die Selbständigkeit des Gegenstandes wie seiner Selbst erfahrbar wird und die Differenzerfahrung von Möglichkeit und Wirklichkeit zu einer Bildungserfahrung. Selbstverwirklichung findet demnach in der Welt der Gegenständlichkeiten statt und Bildung zeichnet sich hier bereits als „reflektierte Sachkompetenz“ aus, wie sie aktuell von EULER (1997, 164) für die gesellschaftliche Praxis der Technologisierung bestimmt wird. Mit dieser Denkfigur bietet uns HEGEL eine bildungstheoretische Fundierung Handlungsorientierter Didaktik und des (Lern)Portfolios an; denn nur eine begriffene Arbeitstätigkeit kann diese bildende Wirkung entfalten. Zugleich fasst er damit, so LÜTH, die anthropologischen Vor- und Nachteile der Arbeit dialektisch zusammen: „Zwar sei Arbeit ein Mittel zur Befreiung des Menschen von den Naturzwängen, zwar verwirkliche sich der Mensch nur auf dem Umwege seiner Vergegenständlichung in den Produkten seiner Arbeit und in der Wiederaneignung seiner so vergegenständlichten Ideen durch Reflexion (Sich-selbst-Erkennen im Anderen, d.h. in seinem Produkt). Der dafür notwendige Prozeß der Arbeit verwickle den Menschen aber in den arbeitsteiligen Prozeß gesellschaftlicher Arbeit“ (1988, 94). Daraus folgt die entscheidende Einschränkung der Bildungserfahrung: Die Arbeit, als Mittel zur Selbstgestaltung, wird im Zuge arbeitsteiliger Produktionsverfahren zunehmend anspruchsloser und die Formen der Selbstverwirklichung verarmen. So dass „Subjektivität in der Moderne immer mehr in ihren naturhaften Ressourcen angegriffen wird“. Ihre Erosion nimmt korrelativ zum Komplexitätszuwachs von Gesellschaften zu (MAROTZKI 1989, 149). Damit ist der Kern des beruflichen Bildungsproblems markiert.
Die Reduktion des Menschen auf ein 'Bruchstück', der Verlust von 'Ganzheitlichkeit' und Mitverantwortung in der Massenproduktion, wird seither unter den Begriffen Entmenschlichung der Arbeit, Entfremdung und Sinnverlust Anlass zur Kritik an der Arbeitsteilung wie Anlass zur pädagogischen Theoriebildung und Schulentwicklung. Allen voran der HUMBOLDTschen Idee einer Einheit von Leben und Lernen: „Der wahre Zweck des Menschen – nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt ¾ ist die höchste und proportionirlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen. Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerlässliche Bedingung. Allein außer der Freiheit erfordert die Entwikkelung der menschlichen Kräfte noch etwas andres, obgleich mit der Freiheit eng verbundenes, Mannigfaltigkeit der Situationen. Auch der freieste und unabhängigste Mensch, in einförmige Lagen versetzt, bildet sich minder aus“ (HUMBOLDT 1792, Bd. 1: 64). Unter dem Diktum der „ewig unveränderlichen Vernunft“ macht HUMBOLDT die Vermittlung von Mensch und Bürger zur Aufgabe einer allgemeinen Menschenbildung. Dieser Aufgabe zur Entwicklung einer entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit in einer Weise gerecht zu werden, dass der Mensch dem Bürger nicht geopfert werde, ist nach seiner Vorstellung das Ziel des allgemeinbildenden wie des ‚speciellen’ Schulwesens. Gemeinsam sollten sie „die überkommene und mit den bürgerlichen Idealen und Freiheitsvorstellungen nicht mehr vereinbare Einheit von Herkunft und künftiger Bestimmung der Menschen überwinden“ (BENNER 1990, 212). Insofern steht das Spannungsverhältnis von allgemeiner Menschenbildung und Schulstruktur schon hier im bildungspolitischen Brennpunkt, das in ‚Ungleichheit für alle’ (1980) von Heinz Joachim HEYDORN für eine Neufassung des Bildungsbegriffs aufgearbeitet wird.
Unter den Bedingungen moderner Arbeitsteilung vereinte HUMBOLDT zwei gänzlich unverträgliche Bildungskonzepte: Je höher (quantitativ) der Grad der individuellen Bildung in einem bestimmten Gebiet, umso einseitiger (unproportionirlicher) sind die Kräfte ausgeprägt und umgekehrt. Je vielfältiger (qualitativ) die Tätigkeiten auf verschiedenen Gebieten entwickelt werden, umso geringer sind die Höhe und der Grad ihrer individuellen Ausbildung. Berufsbildungstheoretisch interessant sind in dieser berühmten Formel die Begriffe „Kraft“ und „Situation“, die Wechselwirkung von Mensch und Welt. Dietrich BENNER (1990) analysiert die Begriffe in seiner problemgeschichtlichen Humboldtstudie: Jener „bezieht sich auf die Entwicklung individueller Urteilskraft und Handlungskompetenz in allen Bereichen menschlicher Praxis. Mit jeder Weiterentwicklung der Urteilskraft und Handlungskompetenz in einem Bereich verändern sich immer auch die Proportionen der Kompetenz des einzelnen, in verschiedenen Bereichen menschlichen Handelns tätig zu sein“. Die „Situation“, in der sich der Einzelne nur einseitig ausbilden kann, war sowohl die Ständegesellschaft wie die fortschreitende arbeitsteilige Warenproduktion. Diesen beiden Vergesellschaftungsformen stellt HUMBOLDT eine dritte gegenüber, die dadurch gekennzeichnet ist, „daß Menschen ‚Verbindungen’ eingehen, die weder geburtsständisch vorbestimmt sind, noch einfach Rentabilitätsgesichtspunkten bürgerlicher Produktion folgen, sondern ‚aus dem Innren der (sich verbindenden D.B.) Wesen entspringen’ und darauf ausgerichtet sind, daß ‚einer den Reichtum des andren sich zu eigen mache’[...]“ (BENNER 1990, 50-52). Nach dieser Darstellung bezieht sich die Ausbildung der menschlichen „Kräfte“ (Sach-, Selbst- und Sozialkompetenz) auf den vergesellschafteten Einzelnen wie auf die Vergesellschaftungsformen.
An der Humboldtinterpretation scheiden sich die Geister (der Pädagogen). Doch immer stellt sich Bildung als Vermittlungsarbeit dar zwischen den je individuellen Entfaltungsmöglichkeiten und den Anforderungen der Gesellschaft. In ihrem Zentrum drehen sich alle Fragen um die Art und Weise der Welterschließung, -aneignung und Naturbeherrschung, das heißt, um die Dialektik von Vita activa und Vita contemplativa, von Selbsterhaltung und Selbstverwirklichung, von Qualifizierung und bildendem Tun. Dies soll an den vier Humboldtinterpreten: Eduard SPRANGER (1883-1963), Theodor LITT (1880-1962), Herwig BLANKERTZ (1927-1983) und Heinz Joachim HEYDORN (1916-1974), die sich mit Fragen der Arbeitswelt in paradigmatischem Sinne bildungskritisch auseinandergesetzt haben, beispielhaft skizziert werden.

1.2    Geisteswissenschaftliche Bildungstheorie: Identität und Heterogenität

„Humboldt ist eine Sphinx, welche jeden Betrachter anders ansieht, und welche jeder Betrachter anders ansieht“ (HEYDORN 1973, 57).
Entscheidend für die geisteswissenschaftliche Humboldtinterpretation wurde SPRANGERs Frühschrift Wilhelm von Humboldt und die Humanitätsidee (1909). Seine primär biografisch deutende Arbeit kombinierte, nach BENNERS Analyse, ganz verschiedene Textsorten: „Zitate, in denen sich Zeitgenossen über Humboldt äußern, Urteile und Befunde aus der Sekundärliteratur, Zitate aus den systematischen Untersuchungen Humboldts und nicht zuletzt solche aus Humboldts privater Korrespondenz“, und ordnete sie bestimmten geisteswissenschaftlichen Disziplinen, Problemstellungen und Forschungsfeldern des späten 19. Jahrhunderts zu. In dieser Lesart idealisierte er HUMBOLDT, gemäß dem zeitgenössischen Bildungsverständnis des vorrepublikanischen Deutschland, als „aristokratisch herausgehobene Persönlichkeit [...], die ihren eigenen Bildungsprozeß teleologisch am neuhumanistischen Ideal allgemeiner Menschenbildung ausgerichtet und auf diese Weise dem Ideal eines allseitig gebildeten Menschen eine vollendete individuelle und harmonisch-universelle Gestalt verliehen“ habe (vgl. BENNER 1990, 22-24). Die so gewonnenen Kategorien (Individualität, Universalität, Totalität) nutzte er zum Aufbau einer humanistischen Berufsbildungstheorie für ein dreiphasiges Prozessmodell: Grundlegende Bildung – Berufsbildung  – Allgemeinbildung. In der Phase der Berufsbildung, die sich durch eine „von innen her anbahnende Auslese“ („innerer Beruf“) aus der grundlegenden Bildung entwickelt, kommentiert BLANKERTZ, „muß der Bildungsprozeß, sofern er der humanistischen Totalitätskategorie folgt, zu persönlicher Struktur differenzieren“ (1982, 209).
Im völligen Gegensatz zu SPRANGERs vom gesellschaftlichen Kontext abstrahierten „geistesmetaphysisch verklärten“ Humboldtbild, steht die kritische Reflexion seines Nachfolgers auf dem Leipziger Lehrstuhl, Theodor LITT. Hatte SPRANGER die Einheit von Leben und Lernen zur Seite der Persönlichkeitsbildung hin ver­einseitigt, vereinseitigte LITT dieses Humboldtsche Ideal nach der anderen Seite. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus und zwei Weltkriegen befand er, das Humboldtsche Bildungsideal habe „die Antinomik der Neuzeit verkannt und eine geisteswissenschaftliche Innerlichkeitsbildung gefördert“ (BENNER 1990, 26). Wie schon SPRANGER schenkte auch LITT der oben zitierten Frühschrift HUMBOLDTs kaum Beachtung und bezog seine Kritik weitgehend auf SPRANGERs verengte Lesart der Persönlichkeitsbildung. „Gegen Sprangers Auslegung der geisteswissenschaftlichen Humanitätsidee wendet er ein, daß diese die neuzeitliche Wissenschaft und Technik weder als Voraussetzung des modernen Seins des Menschen noch als Gegenstand bildungstheoretischer Reflexion und Verantwortung begriffen habe, sondern in völliger Verkennung der tatsächlichen Bildungsproblematik allein der Aneignung historisch-ästhetischer und literarischer Inhalte eine bildende Bedeutung und Wirkung zuerkannte“ (BENNER 1990, 24f.). Seine Kritik an HUMBOLDTs Bildungstheorie spitzt sich in der Feststellung zu, „daß sie mit ihrer Ausrichtung an einem harmonischen Mensch-Welt-Verhältnis die Welt zum bloßen ‚Nährstoff’ menschlicher Selbstbildung reduziere“ und einem „ebenso naiven wie blinden Anthropozentrismus“ huldige (ebd., vgl. LÜTH 1988, 99).
Dem setzt LITT sein antinomisches Menschenbild und sein dialektisches Begriffspaar von „Sachbeherrschung und Menschenbildung“ entgegen. Mit Bezug auf HEGELs Theorie von Bildung durch Arbeit (vgl. S.2 ) stellt er drei bildende Aspekte des Berufs heraus, von denen insbesondere die „Entscheidung über die vom Menschen bereitgestellten Mittel“ als kognitive und ethische Rückwirkung originär und neu ist. Erst sie führt zur bildenden Sachbeherrschung, sofern sie verhindert, „daß der arbeitende Mensch unter einem vermeintlichen Sachzwang zum reinen Funktionär gemacht wird“ (LITT 1957, 101f.). So entsteht aus seiner Kritik am ‚Spranger-Humboldtschen’ Bildungsbegriff ein alternatives Bildungskonzept, das die 'menschenbildenden Motive der Berufsarbeit' herausstellt. Da bildende Prozesse nur in den Berufstätigkeiten stattfinden, gilt ihm die Berufsschule durchaus als Vorbild für die allgemeinbildenden Schulen. In der Didaktik der beruflichen Bildung fand LITTs Konzept keine Konkretisierung. Zwar entfaltete es, wie schon KERSCHENSTEINERs reformpädagogische Entwürfe, eine breite bildungstheoretische und didaktische Diskussion, hatte aber mit seiner anspruchsvollen Konzeption in der Restaurationsphase der 1950er Jahre keine Chance, realisiert zu werden.

1.3    Kritische Bildungstheorie: Ware Bildung

„Ein Bildungskonzept ist nur soweit progressiv, als die Kräfte, die es vertreten, zugleich einen direkten politischen Kampf um die Veränderung der Gesellschaft führen“ (HEYDORN 1980, 109).
In der modernen Wirtschaft fungiert der Individuierte als bloßer Agent des Wertgesetzes, stellt Theodor W. ADORNO ideologiekritisch fest, und schließt daraus auf die innere Komposition des Individuums an sich: „Nur indem der Prozeß, der mit der Verwandlung von Arbeitskraft in Ware einsetzt, die Menschen samt und sonders durchdringt und jede ihrer Regungen als eine Spielart des Tauschverhältnisses a priori zugleich kommensurabel macht und vergegenständlicht, wird es möglich, daß das Leben unter den herrschenden Produktionsverhältnissen sich reproduziert" (ADORNO 1982, 307f.). In diesem Prozess übernimmt Bildung eine instrumentelle Funktion und verändert sich selbst mit fortschreitender Rationalisierung der technologischen Zivilisation. Sie verflacht zur Voraussetzung für beruflichen und gesellschaftlichen Aufstieg oder luxuriert zur reinen Geisteskultur. ADORNO untersucht ihren Verfall in den prekär gewordenen Bildungsverhältnissen der Nachkriegszeit und fasst den Funktionswandel von Bildung im Begriff der „Halbbildung“: An die Stelle der Anstrengung, einer der Sache angemessenen kontinuierlich reflek­tieren­den Aneignung, tritt stupide Informiertheit als „Bescheidwissen“, das dem Individuum eine Verfügungsgewalt über den Gegenstand suggeriert, ohne dessen Eigengesetzlichkeit geistig durchdrungen zu haben. Heinz Joachim HEYDORN fasst ADORNOS Befund ins Bild: „Der kapitalistische Supermarkt, auf den sich die Bildung hin entwickelt, braucht keine Diener des Geistes, sondern Leute, die die Kasse reparieren können.“ (HEYDORN 1980, 121f.). Spätestens hier nehmen wir eine Grenze des Pädagogischen wahr, die uns resignativ nach den Bedingungen der Möglichkeit kritischer Bildung fragen lässt. Für ADORNO bleibt das Festhalten an der Vernunft im Sinne einer aktiven Vernunftkritik die pädagogische Option. Denn das Schlimmste wäre ein getrübtes Bewusstsein, das sich überhaupt nicht mehr über die Unvernunft bloßer Machtkonstellationen zu erheben getraute. „Krampfhaft, willentlich wird verkannt, daß das Zuviel an Rationalität, über das zumal die Bildungsschicht klagt und das sie in Begriffen wie Mechanisierung, Atomisierung, gern auch Vermassung registriert, ein Zuwenig an Rationalität ist, die Steigerung nämlich aller kalkulierbaren Herrschaftsapparaturen und –mittel auf Kosten des Zwecks, der vernünftigen Einrichtung der Menschheit, die der Unvernunft bloßer Machtkonstellationen überlassen bleibt“ (ADORNO 1977, GS 10.2, 610f.).
Anders als die Humboldtinterpreten der deutschen Klassik, rezipieren folglich BLANKERTZ und HEYDORN das neuhumanistische Bildungsideal in vernunft- und bildungskritischer Absicht. Entgegen einem verkürzten Verständnis von Bildung als pädagogische Kategorie, beziehen sie die institutionalisierte Bildung in den immanenten Zusammenhang von Bildung und Herrschaft ein. Herwig BLANKERTZ schließt sich Ende der 1960er Jahre der Kritischen Theorie an und interpretiert HUMBOLDTs Bildungsbegriff unter dem Einfluss der ‚Dialektik der Aufklärung’ und der ‚Theorie der Halbbildung’ ¾  also eher auf der Folie von ADORNOs Prinzip der 'allgemeinen Menschenbildung'. Durch diese Brille betrachtet sieht er in HUMBOLDTs Formulierung der höchsten und proportionierlichsten Bildung der Kräfte zu einem Ganzen in erster Linie den unauflöslichen Widerspruch zwischen dem qualitativen Anspruch auf universelle Bildsamkeit und der beruflichen (Spezial)Bil­dung: HUMBOLDT habe die Crux des modernen Individuums im Spannungsverhältnis von Identität und heterogenen Anforderungen schon früh thematisiert. Doch seine kritische Wendung gegen Vergesellschaftung und Entfremdung sei der Arbeits- und Lebenssituation der Preußischen Ständegesellschaft verhaftet geblieben, so dass der Bildungsbegriff in statu nascendi auch deren Herrschaftsstruktur assimilierte. Wie der Begriff der Aufklärung bleibe daher auch der Bildungsbegriff in seinem Kern an Herrschaft gebunden und sei ohne Reflexion dieses immanenten Widerspruchs nicht zu haben.
In Anlehnung an HEGEL intendiert BLANKERTZ ein integratives Modell allgemeiner und beruflicher Bildung: „Die Wahrheit der allgemeinen Bildung ist die berufliche“ (1977, 91) lautet seine dialektische These, in der sich zugleich die Verengung seiner Humboldtinterpretation ankündigt. In historisch-systema­ti­schen Analysen hatte BLANKERTZ das Missverhältnis zwischen der Bildungsidee und ihrer Verwirklichung (Institutionalisierung) erforscht und das Korrektiv einer rein an ihrer Nützlichkeit ausgerichteten Berufsbildung (Human­kapi­tal) im Bildungsbegriff des Neuhumanismus gefunden. Hieran knüpft BLANKERTZ Empfehlung für das Integrationskonzept des Modellversuchs Kollegstufe in Nordrhein-Westfalen an. Seine obersten Zielsetzungen: Wissenschaftsorientiertheit allen Lernens und Kritik, erklären sich aus der Verwissenschaftlichung der modernen Lebenssituation (vgl. S. 3f.). BLANKERTZ’ konzeptionelle Umsetzung der doppeltqualifizierenden Bildungsgänge des Kollegschulkonzepts wurde damit ein groß angelegter Versuch, das 'Prinzip der allgemeinen Menschenbildung' im Sinne einer Wissenschaftspropädeutik strukturell zu verankern. Dietrich BENNER würdigt diesen Versuch durchaus, doch hält er BLANKERTZ Hoffnung, die praxisbezogene Enthaltsamkeit des allgemeinbildenden Schulwesens berufspädagogisch ausgleichen zu können, aus zwei Gründen für trügerisch: Zum einen hypostasiere sie „den Beruf zum Gesamthorizont lebenspraktischer Bedeutsamkeit schulischen Lernens“, zum anderen verkürze sie „die Vermittlungsaufgabe zwischen allgemeiner und konkreter Menschenbildung auf diejenige zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung und wies diese dann auch noch der Schule als eine vorrangig einzulösende Aufgabe zu (BENNER 1990, 230).
Die Bildungstheorie von Heinz-Joachim HEYDORN versteht sich ex­plizit als Gesellschaftskritik. Anders als HUMBOLDT denkt er Bildung geschichtsrationalistisch-eschatologisch als Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit. In dieser Konstruktion würdigt er die neuhumanistische Bildungskonzeption (zwischen Comenius und Marx verortet) als einen Versuch, „die Dialektik der Aufklärung und den Widerspruch von Bildung und Herrschaft einer Lösung näher zu bringen“, wohingegen SPRANGERs Humboldtbild den institutionalisierten Widerspruch verschleiert habe, „damit der zynische Pragmatismus der technologischen Gesellschaft nicht unmittelbar hervorzutreten braucht, sondern hinter einen metaphysischen Dunstkreis versteckt bleibt“ (HEYDORN 1973, 60). Erst der junge Marx habe die Idee der Bildung als Aufhebung jeglicher Herrschaft des Menschen über den Menschen, als Aufhebung der Selbstentfremdung und die Überwindung des Widerspruchs von Bildung und Herrschaft als eine reale gesellschaftliche Praxis konzipiert (vgl. BENNER 27f.).
Dieser fundamentale Widerspruch von Bildung und Herrschaft ist vom Begriff der Mündigkeit und der Ge­schichte der abendländischen Identität nicht zu trennen. HEYDORN rekonstruiert ihn von der griechischen Antike bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Der entscheidende Herrschaftskonflikt auf Seiten des Staates entsteht durch die institutionalisierte Bildung: Während das Schulsystem durch zunehmende Rationalität (Aufklärung) die partikularen Interessen der Produktion und Verwaltung befriedigt, bringt es zugleich eine aufgeklärte Rationalität hervor, die auf Überwindung der Partikularität angelegt ist, auf die universelle Gewinnung der Menschheit durch sich selbst. Seine Analyse der Bildungs- und Gesellschaftsgeschichte zeigt, dass die (technologische) Entwicklung der Produktivkräfte wesentlich weiter fortgeschritten ist als die praktische Verfügung über sie. In letzter Konsequenz bleiben „die im gattungsgeschichtlich verankerten Bildungsprozeß erworbenen Erkenntnis- und Handlungsfähigkeiten der Menschen und die demgegenüber mangelhaft entwickelte realhistorisch-emanzipatorische Bewegung der Gesellschaft füreinander unerreichbar“ (HEYDORN 1980: 58, 122).
HEYDORNs kritische Bildungstheorie legt bedrohliche Grenzüberschreitungen frei. „Die Verwertung des Humankapitals verschleißt unaufhörlich ... Die Menschheit kann physisch und psychisch so weit beschädigt werden, daß sie unter den Rand der Widerstandsfähigkeit gedrängt wird, ihre Zukunft nicht mehr bewältigen kann“. ADORNO erklärte diesen Prozess als „Deformation“ der Tauschgesellschaft, die sich als (soziale) Deformation in den Individuen transformiert (1982, 308). Zugleich finden wir ein Bildungssystem vor, das den sachrationalen Zwängen der Gesellschaft erliegt und in der lückenlosen Rentabilitätserfassung sich selbst handlungsunfähig macht: „Hinter dem rißlosen Begriffsalphabet der Bilanzbuchhalter des Spätpositivismus verbirgt sich keine Erwartung, sondern ein deformierter Mensch. Reflexion, Empfindsamkeit, produktive Entfaltung werden im System der totalen Quantifizierung zu Merkmalen wertlosen Lebens. (…) Damit hat der Entfremdungsprozess die Bildung endgültig erreicht, sie unterliegt den gleichen Normen wie alle Produktion, die in der Bildungsfabrik tätigen können sich nur auf gleiche Weise befreien wie alle Arbeiter.“ (HEYDORN 1980, 301, 160-162).
Diese Schlaglichter auf den Bildungsbegriff als regulative Idee lassen sich in einem pädagogischen Plädoyer von Ludwig PONGRATZ für die didaktische Bezugname bündeln:
„Bildung birgt die verschollene Erinnerung an eine befreite Menschheit in sich, an erfüllte Individualität, an die Versöhnung von Individuum und Gattung. Begriffe wie Spontaneität, Reflexivität, Differenz, Kritik und Autonomie stecken das Feld ab, innerhalb dessen sich Bildungstheorie einstmals konstituierte. Die Aufnahme dieser kritischen Momente des Bildungsdenkens bleibt unter den Bedingungen der gegenwärtigen Gesellschaft ein ebenso schwieriges wie notwendiges Unterfangen. Das bedeutet: Bildungstheorie ist nur noch in kritischer Rückwendung auf die gesellschaftlichen Ursachen ihres eigenen Verfalls zu haben. Und Bildung selbst wird dabei notwendig zu einem Gegenbegriff. Er markiert eine Leerstelle pädagogischer Theorie und Praxis, ein Negativum, das seiner Verwirklichung harrt“ (PONGRATZ 1988, 294).

2    Der Bildungsbegriff in didaktischen Einführungsschriften der BWP

Didaktische Modelle sind erziehungswissenschaftliche Theoriegebäude, die jeweils drei Strukturebenen ausweisen: eine paradigmatische, legitimatorische und pragmatische (vgl. PETERßEN 2001, 254-270). Der Bildungsbegriff ist als pädagogischer Maßstab und Handlungslegitimation in Analyse-, Planungs- und Reflexionsprozessen auf der legitimatorischen Strukturebene angesiedelt. Seine bildungsphilosophischen und erkenntnistheoretischen Wurzeln auf der paradigmatischen und die konkreten Analyse- und Planungshilfen für den pädagogischen Alltag auf der pragmatischen Strukturebene, wie z.B. das Perspektivenschema Wolfgang KLAFKIs für eine bildungstheoretisch orientierte Curriculumentwicklung. In den einführenden Schriften zur Didaktik der Berufs- und Wirtschaftspädagogik ist der Bildungsbegriff insbesondere durch die Curriculumtheorie von Herwig BLANKERTZ, die Kritisch-konstruktive Didaktik von Wolfgang KLAFKI, die Arbeitsorientierte Exemplarik (AOEX) von Ingrid LISOP und Richard HUISINGA vertreten. Häufig durch Rezeption und in Verweisen auf CZYCHOLL, ZABECK und BONZ.

2.1    I. Bernhard BONZ/ Bernd OTT (Hrsg.) (2003): Allgemeine Technikdidaktik

Die Allgemeine Technikdidaktik bietet den Studierenden eine Übersicht zu den Ansätzen und Positionen beruflicher und allgemeiner Technikdidaktik, des Technikunterrichts, sowie eine grundlegende Hinführung und argumentative Auseinandersetzung mit Fragen der Bildung in einer technologischen Zivilisation, etwa zum Verhältnis von technisch-zweckrationalem und kommunikativ-kritischem Handeln, zur Entwicklung der Rationalität des Handelns durch Technik (I. 175) oder zum Einfluss der technologischen Entwicklung auf die Humanität einer Gesellschaft und die wachsende Entfremdung des Menschen (I. 166).
Im 1. Teil spielt die Persönlichkeitsbildung in der historischen Entwicklung dreier unterschiedlicher Auffassungen von Technikdidaktik eine Rolle. Sie gewinnt in den 1970er Jahren (Empfehlungen des Deutschen Bildungsrates I. 39, 45) als Gegenentwurf zur reinen Qualifikationsorientierung (I. 8f., 19-35) zentrale Bedeutung, indem sie zum Richtziel der ‚Integrativen Technikdidaktik’ wird (I. 9f., 36-54): Mit Bezug auf STRATMANN wird als Ziel des Technikunterrichts die Befähigung zu „kommunikativ-kritischem Handeln“ genannt, weil „die Entwicklung kritischer Vernunft die der instrumentellen einschließt ... aber letztere nicht von selbst dorthin führt“ (I. 41). In dieser Entwicklungsphase stehen die Bildungsansprüche der Lernenden und ihr weitgehend selbständiger Erwerb von technischen Kompetenzen im Zentrum didaktischer Überlegungen, bis sie im Richtziel der Gestaltungsorientierung aufgehoben werden (I. 10f., 35-71): „Diese Auffassung von Technik verbindet Technik und Bildung mit Arbeit, indem sie sich auf die Gestaltbarkeit von Arbeit und Technik konzentriert“. Unter pädagogischem Aspekt werden diese Entwicklungsstufen „als Höherentwicklung bewertet“ (I. 11), wobei sich dem Leser nicht erschließt, worin sich die Niveaus qualitativ übersteigen, inwiefern sich, mit Blick auf den STRATMANN-Bezug, Bildung im Gestaltungsprinzip aufhebt oder umgekehrt (?), und wie die Verbindungsglieder zwischen Technik, Bildung und Arbeit zu denken sind.
Für bildungstheoretische Fragen besonders fruchtbar erweisen sich die Beiträge von SCHMAYL und ROPOHL im III. Teil des Bandes. Insbesondere führt der Beitrag von SCHMAYL (I. 131-147) zu drei Ansätzen des allgemeinbildenden Technikunterrichts eine systematische Diskussion um Bildungsfragen. Die Darstellung des allgemeintechnologischen (AtA), mehrperspektivischen (MpA) und arbeitsorientierten (AoA) Ansatzes ist zugleich eine Einführung in das Für und Wider wissenschaftlicher Positionierung aufgrund unterschiedlicher Erkenntnisinteressen: Unter technischem (AtA), praktischem (MpA) und emanzipatorischem (AoA) Erkenntnisinteresse werden die besonderen Bildungsaspekte und Grenzen der Konzepte argumentativ gegeneinander gestellt. Hier liegen die bildungstheoretischen Anschlüsse zu Heinrich ROTH, Martin WAGENSCHEIN (AtA), Wolfgang KLAFKI (MpA), Herwig BLANKERTZ und Heinz Joachim HEYDORN (AoA) sozusagen ‚auf der Hand’. Die erziehungswissenschaftlichen Grundlagen der vielfältig in Anspruch genommenen bildungstheoretischen Positionen werden in diesem fachdidaktischen Band weitgehend vorausgesetzt.
Einige dieser Voraussetzungen nimmt Manfred ECKERT (I. 164-177), mit expliziten Verweisen auf bildungstheoretische Schriften von SPANGER, KERSCHENSTEINER, LITT u.a., in die Debatte der geisteswissenschaftlichen Bildungstheorie summarisch mit auf. Hier wird, an HUMBOLDT und PAULSEN anschließend, das Komplementärverhältnis von „Innerlichkeit und Zweckfreiheit“ der Bildung zur technischen „Gestaltung von Welt unter sachlichen und zweckrationalen Gesichtspunkten“ problematisiert und pädagogisch hervorgehoben, „dass die gesellschaftlichen und historischen Entwicklungen nur dann wirklich gefördert werden können, wenn der Prozess der umfassenden und allseitigen individuellen Entfaltung wirklich erfolgreich und in persönlicher und politischer Freiheit vorangetrieben wird“ (I. 168). Seine Analyse bietet eine kritische Lesart zu Gesichtspunkten der Bildungstheorie von Herwig BLANKERTZ und der Potentiale kommunikativer Handlungsrationalität nach HABERMAS an, indem er das Bildungspotential der Technik im „Spannungsfeld von Aneignung der Technik durch Verstehen, Nacherfinden und Rekonstruieren und von Gestaltung der Technik – in sozialer und politischer Verantwortung“ verortet (I. 176).
Diese Diskussion um berufliche Mündigkeit könnte in Konfrontation mit HEYDORNs Kritik am Ideal der Persönlichkeitsbildung eine interessante bildungstheoretische Wendung nehmen: „Die aufsteigende bürgerliche Klasse hat den Begriff der Mündigkeit der Bil­dungsinstitution in einem Augenblick verbunden, in dem sie diese zu einer frühen, bedeutsamen Reife brachte. Sie tat es mit dem Anspruch, Sachwalter aller Menschen zu sein. Jedoch ist dies nur vorübergehend; der Anspruch bleibt auf die Klasse beschränkt, die ihn, mit wachsender Akkumulation und historischem Erfolg, immer stärker einschränkt. Mündigkeit wird schließlich vom Untergang dieser Klasse ergriffen, wird leeres, verfälschendes Wort, das Atavismen zudeckt, die Ausplünderung der Kontinente. Ist Mündigkeit mit ihrem Auftakt noch ein gemeinsames Werk, das von allen geleistet werden soll, so wird der Versuch, sie im Individuum zu gründen, immer erkennbarer; in der Persönlichkeitsbildung schlägt sich das bürgerliche Klassenprinzip nie­der“ (HEYDORN 1980, 96).
Insgesamt wird die Schwierigkeit technikdidaktischer Entwürfe aufgrund zersplitterter Bezugswissenschaften deutlich. Ein bildungstheoretisches Problem, das möglicherweise durch ROPOHLs Programm einer allgemeinen Technologie (I. 148-161) schon behoben werden konnte. Wenn er am Ende erläutert, dass Bildung die Integration des relevanten Wissens zu einem ganzheitlichen Weltverständnis bedeutet und die Frage aufwirft, „ob dafür nicht überhaupt – und auch in didaktischer Absicht – eine neue synthetische Philosophie vonnöten wäre, eine Philosophie, die für interdisziplinäre Wissensintegration den längst fälligen theoretischen Ort böte (I. 159), dann wird den Studierenden die Differenz von Technik und Technologie, die die anderen Texte weitgehend vermissen lassen, sowie die Bedeutung soziotechnischer Systeme in seinem Text am deutlichsten – wenngleich nicht deren volle Brisanz. Hier wäre, mit Blick auf HEYDORN der Modernitätsrückstand von Bildungstheorie ganz besonders anzumahnen, und die universelle Grenzverschiebung gesellschaftlicher Praxis deutlich herauszustellen, wenn beispielsweise erstmals neue Gattungen zum Patent angemeldet werden. „Bildung hat sich ... mit sich selbst in ihrer gesellschaftlich wirklich gewordenen Gestalt zu konfrontieren, insofern den Begriff der zweiten Natur als Resultat technologischer Transformation zu reformulieren“. Gerade die Synthese von Wissenschaft und Technik als Bedingung der zweifellos unter dem Diktat der Ökonomie stehenden technologischen Zivilisation verlangt die Analyse dieser neuen Gestalt des Widerspruchs von Bildung und Herrschaft (vgl. EULER 1997, 158).

2.2    II. Alfred RIEDL (2004): Didaktik der beruflichen Bildung

RIEDLs Lehr- und Studienbuch nimmt die Didaktik von ihren Rahmenbedingungen her auf. Ausgehend vom Berufsbildungssystem mit dem handlungsorientierten Bildungsauftrag an Schule und Betrieb (im Spannungsfeld von „Koppelung und Entkoppelung“ auszubalancieren, II 9f., 15, 62ff) und der Kompetenzentwicklung von Lehrkräften, gibt der Autor eine fachlich komprimierte Einführung in ausgewählte didaktische Handlungsfelder unter der Perspektive einer technischen beruflichen Bildung. Auf der Basis einer „moderaten konstruktivistischen Auffassung von Lernen als persönliche Konstruktion von Bedeutungen“ (II 13) legt er den Schwerpunkt ganz auf die pragmatische Seite von Curriculumkonstruktion und Methodenlehre. Für theoretische Vertiefungen und weitere Erläuterungen verweist er auf RIEDL Grundlagen der Didaktik und Andreas SCHELTEN Einführung in die Berufspädagogik, die im unmittelbaren Zusammenhang mit diesem Werk zu sehen sind. In eine Theorie der Bildung wird in diesem Bändchen nicht eingeführt, das geschieht möglicherweise in einem der beiden Komplementärtexte. Gleichwohl finden sich implizite und explizite Verweise auf den Bildungsbegriff, insbesondere auf die Theorie der kategorialen Bildung Wolfgang KLAFKIs und die schülerorientierten Bildungsbemühungen der Reformpädagogik, die hier mit Blick auf „aktuelle Entwicklungen eines modernen beruflichen Unterrichts“ (II 7) besondere Beachtung finden.
KLAFKIs Allgemeinbildungskonzept der epochaltypischen Schlüsselprobleme findet sich im Verweis auf die „Kernprobleme unserer Zeit“ (II 10, KMK), seine Theorie der Kategorialen Bildung als Parallele zum Konzept der Schlüsselqualifikationen von MERTENS (II 19) sowie im Kontext des Problemorientierten Unterrichts (II 34). An dieser Stelle klingt dann auch im Zusammenhang mit den Ausführungen der kognitiv dissonanten Elemente der typische Rätselcharakter von Bildungsprozessen an: Zweifel, Ungewissheit, Überraschung, Mehrdeutigkeit, Widerspruch und Irrelevanz. Wie die expliziten bildungstheoretischen Verweise, die im Kontext hermeneutisch-ideologiekritischer Erziehungswissenschaft auszulegen wären mit der erkenntnistheoretischen Ausrichtung eines „Wissensbasierten Konstruktivismus“ (II 13) vermittelt sind, bleibt offen.
Dafür bringt RIEDL deutlicher als alle anderen Einführungsschriften die didaktische Übersetzung des reformpädagogischen Erbes zur Sprache. Er stellt die internationalen Akteure und deren rationalitätskritische Entwürfe bis in unsere Gegenwart hinein in methodischen Konkretisierungen vor (II 40-61). Allerdings wird die hier gebotene ideologiekritische Betrachtung einer objektiv widersprüchlichen Grundstruktur des Bildungswesens (vgl. II 22-25, MEYER) auf die subjektorientierten Konzepte der Reformpädagogik nicht übertragen. Und so werden FREINET, MAKARENKO und KERSCHENSTEINER unkommentiert mit nationalsozialistischen Bildungsideologen wie PETERSEN und GAUDIG als Vertreter einer ‚Befreiungspädagogik’ aufgelistet und die extrem liberalen, ganz auf Spontaneität und Selbstbestimmung gerichteten Verfahren erscheinen romantisch verklärt, als ob mit dem „großen Vertrauen in die Natur des Kindes“ (II 41) nicht der gesamte Bildungsvorgang ins Vegetative umgedeutet worden wäre; als ob „Natur“ nicht auch Irrationalität, Rassenhygiene und Auslese meinte, „Lebensgemeinschaft“ (II 42) nicht auch Volksgenossenschaft und Deutschtum, und als sei nicht unversehens, wie HEYDORN zu den Berichten der Schulkonferenz (1900) schreibt, „aus dem Konzept des aufklärerischen antifeudalistischen Bürgertums, dem die Einheit der Volksbildung als Konsequenz aus dem revolutionären Vernunftbegriff hervorging, ein reaktionärer Schulbegriff“ geworden, „der die Vernunft durch den irrationalen Qualm völkischen ‚Geistes’ ersetzte“ (1973, 225).

2.3    III. W. KUHLMEIER (2005): Anspruch und Realität beruflicher Fachdidaktiken

Werner KUHLMEIER unternimmt in seiner Dissertation „erste Schritte zu einer systematischen Aufarbeitung der Rahmenbedingungen und des Entwicklungsprozesses der beruflichen Fachdidaktiken“ (III 2), die er als „Teilbereich“ der Allgemeinen Didaktik verortet. Gemäß dieser Einordnung sollten die Fachdidaktiken „die Kategorien der Erziehung und Bildung in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen stellen und die Inhaltsfrage danach beantworten, welchen Beitrag die Fachinhalte zur individuellen Kompetenzentwicklung leisten“ (III 17). Berufsbildung wird hier „vor allem als ‚Bildung’, d.h. als ein Prozess der Kompetenzentwicklung von Individuen“ angesehen und gefragt „welchen Stellenwert erziehungswissenschaftliche Kategorien, wie z.B. der ‚Bildungsbegriff’, in den beruflichen Fachdidaktiken einnehmen“ (III 5f.). Insofern findet hier bereits eine disziplinäre Selbstreflexion „vor dem Hintergrund der aktuellen erziehungswissenschaftlichen bzw. berufspädagogischen Diskussion“ statt (ebd.). In fünf Ansätzen untersucht der Autor im 4. Kapitel „unter welchen Gesichtspunkten berufliche Lehr- und Lernprozesse inhaltlich gestaltetet werden“ (III 7), um auf dieser Basis im 5. Kapitel die Bereichsdidaktik Bau-, Holz- und Gestaltungstechnik konzeptionell weiterzuentwickeln.
Hauptsächlich im 4. Kapitel zu den ausgewählten didaktischen Ansätzen (III 44-90) wird der Bildungsbegriff in unterschiedlicher Relevanz und Plausibilität thematisiert, während er in der Begriffsdiskussion zu den fachdidaktischen Problemfeldern (III 8-17) und im historischen Rekurs auf die Kontroverse zwischen bildungstheoretischer und lehr-lerntheoretischer Didaktik (III 45) als Ausgangspunkt der fachdidaktischen Analysen, noch nicht zur Sprache kommt. Gleichwohl wird ein erhebliches Akzeptanzproblem der „frühen Fachdidaktiken“ angedeutet, das aus der ideologiekritischen Fragestellung ihres emanzipatorischen Erkenntnisinteresses (HABERMAS) resultierte (II 31), das auch KLAFKIs Bildungsverständnis in der Kritisch konstruktiven Didaktik maßgeblich prägt.
Ertragreicher sind die Abschnitte 4.3 Technikdidaktik und 4.5. Gestaltungsansatz: Im interdisziplinären Konzept der Technikdidaktik (III 53-58) mit Ausführungen von PAHL, SCHELLING und NÖLKER, kommt die bildungstheoretische Argumentation von BLANKERTZ zum Ausdruck, nicht zuletzt im Versuch einer fachdidaktischen Matrix (III 56f.). Paradigmatisch orientiert sich das Konzept an den ‚Erkenntnisleitenden Interessen’ von Jürgen HABERMAS und weist auf der legitimatorischen Ebene bildungstheoretische Anschlüsse in der Technikfolgenforschung aus: „Das Kernanliegen ist die bildungstheoretisch-kritische Erschließung von Technik, wobei nicht nur Struktur und Funktion, sondern auch die Bedingungen des Zustandekommens, der Gestalt- und Machbarkeit technischer Objekte und Prozesse in den Blick genommen und didaktisch aufgearbeitet werden“ (III 53). Die unter Bildungsgesichtspunkten entscheidende Schnittstelle zwischen ROPOHLs allgemeiner Techniklehre und NÖLKERs didaktischem Strukturschema ist wohl im gemeinsamen Anliegen einer „Humanisierung der Technologie“ (III 53) zu suchen. Insbesondere ROPOHLs „Dimensionen der Technik: die naturale, die humane und die soziale“ (III 56) scheinen daher zur Konstruktion eines Strukturgitters besonders geeignet, um aus Subjektperspektive den Systembezug: Materie, Energie und Information jeweils hinsichtlich Wandlung, Transport und Speicherung in den Blick zu nehmen. Explizit bildungstheoretisch eingeordnet oder für Studierende nachvollziehbar entfaltet, wird der Bildungsbegriff in dieser Beschreibung nicht.
Deutlicher wird dieser jedoch im Gestaltungsansatz (III 66-70), verbunden mit den Namen BRÖDNER, RAUNER und HEIDEGGER. In ihrer Kritik am „technozentrischen Entwicklungspfad“ schließen sie mit Blick auf ein ‚mündiges und eigenverantwortliches Individuum’ am Bildungsideal der Aufklärung wieder an (III 67) und arbeiten am Verhältnis von Mensch und Maschine „die soziale Gestaltung von Arbeit und Technik“ als emanzipatorische „Leitidee beruflicher Bildung“ heraus. Im Begriff der 'Gestaltung' sehen sie deshalb „das 'berufsbildungsspezifische Äquivalent zum Begriff Bildung'“ (III 67), denn der emanzipatorische Bildungsanspruch könne durch die Befähigung der Auszubildenden zur aktiven (Mit-)Gestaltung der Technikentwicklung und Technikanwendung eingelöst werden. Dieser Kausalzusammenhang bedürfte noch eingehender Erläuterung, möglicherweise im Kontext der Bildungstheorien von BLANKERTZ und HEYDORN oder im didaktischen Rahmen der AOEX. Dies nicht zuletzt, um vor der Substitution des Bildungsbegriffes noch einmal zu bedenken, ob sich trotz der Einsichten in die Dialektik der Aufklärung am Bildungsideal der Aufklärung als regulative Idee einer modernen Technikdidaktik noch bruchlos festhalten lässt.
Schließlich eröffnen KUHLMEIERs Hinweise auf die Unikalität des Produkts (III 152f.) eine fast schon vergessene Perspektive auf Bildung im Handwerk. Mit Blick auf HEGELs Ausführungen (vgl. S. 2) würde hier die Selbst-bildende Reflexion im eigenen Produkt und das problematische Verhältnis zwischen Mensch und Arbeit am Exempel der „Werkstatt“, als eines (vorläufig) wenig entfremdeten Ortes, didaktisch hoch interessant. Hier könnten in der vollständigen Herstellung eines Gegenstandes die im Produktionsprozess auseinander gerissenen Einzelmomente (der Sache wie der geistigen Leistung der Subjekte), das Wahrnehmungsgefühl, die auftragsspezifische Auswahl und Beurteilung des Materials und die individuelle Handfertigkeit auf ideale Weise „zu einem Ganzen“ verknüpft werden.
So zeigen sich vielfältige Potentiale und bildungstheoretische Anschlussmöglichkeiten. De facto belegt die aus dem Versuch einer Kategorisierung fachdidaktischer Ansätze neu entstandene Systematik, dass Bildung keine „regulative Idee“ ist, „denen didaktische Ansätze der beruflichen Bildung folgen können“ (III 78). „Aus den unterschiedlichen didaktischen Ansätzen lassen sich durch Abstrahierung die folgenden regulativen Kategorien ermitteln: die Wissenschaftsorientierung, die Qualifikationsorientierung, Persönlichkeitsorientierung, die Handlungsorientierung“ (ebd.).

2.4    V. Dieter EULER und Angela HAHN (2007): Wirtschaftsdidaktik

EULER und HAHN konzipieren ihr knapp 600 Seiten umfassendes Lehrbuch mit zahlreichen Grafiken, kapitelweisen Resümees und Aufgaben zum Nach- und Weiterdenken konsequent praxisorientiert aus der Perspektive des fragenden Lehramtstudenten, der im „Zustand aufgeklärter Ratlosigkeit“ (V 35) in der Vielschichtigkeit wissenschaftlicher Theorieangebote Orientierung und positives Wissen sucht. In dieser Situation bieten sie exemplarisch eine Vorgehensweise professionellen Handelns an (V 19ff.), mit der sich, nach ihrem Muster, aus vorhandenen Theorien eine eigene didaktische Position zusammenstellen lässt. Die „normative Richtung, die das Lernen nehmen soll“ gibt dabei der Bildungsbegriff an, denn als „Theorie kommunikativer Lehr-Lernsituationen zur bildenden Vorbereitung des Menschen auf die Bewältigung von sozio-ökonomischen Lebenssituationen" ist die Wirtschaftsdidaktik dem Bildungsbegriff als „oberste Norm“ verpflichtet (V 76, 87, 132). Deshalb begegnen die Studierenden dem Bildungsbegriff in vielfältigen Funktionen: als Maßstab für die Qualität von Handlungskompetenz (V 84), als „Legitimationsquelle für die Auswahl von Lernzielen und -inhalten“ (V 125); als übergeordnetes „Orientierungs- und Beurteilungskriterium für alle pädagogischen Einzelmaßnahmen“ (V 132, Fn 84); als „normatives Regulativ zur Bestimmung von 'Bewältigung'“ (V 131).
Inhaltlich wird der Bildungsbegriff erstmals im III. Kapitel (V 75,78, 84) aufgenommen. Hier findet der Studierende eine Definition: „Bildung bezeichnet jene Handlungskompetenzen, die normativ als erstrebenswert beurteilt werden“ (V 88) und einen Querverweis auf Kapitel IV Lernen verstehen, wo „der mögliche Bedeutungsgehalt des verwendeten Bildungsbegriffs“ im Kontext der Endpunkte didaktischen Handelns als „(Bildungs-)Idealvorstellung über die Persönlichkeit des Lernenden“ am eindeutigsten vorgestellt wird. In diesem Abschnitt ist das „Bildungsprinzip“ neben dem Wissenschafts- und Situationsprinzip die dritte Legitimationsquelle für die Auswahl von Lernzielen und -inhalten (V 121, 127).
Dennoch gewinnt der  Bildungsbegriff  in dieser Konzeption nicht die Schärfe eines kritischen Regulativs im Bildungsgeschäft. Im Grunde kollidiert er schon in der Art seiner Setzung als „oberste Norm“ mit dem Theorieverständnis der Autoren wie mit dem eigenen bildungs- und gesellschaftskritischen Potential (vgl. S. 3ff.) und gleicht so einem Joker in der notabene behavioristisch-konstruktivistisch angelegten Position, der immer dann ins Spiel gebracht wird, wenn es um moralisch-normative Erfordernisse in der pädagogischen Dimension der Didaktik geht: „Von Bildung soll dann gesprochen werden, wenn die erworbenen oder zu erwerbenden Handlungskompetenzen eine normativ gewünschte Qualität besitzen“ (V 84, Hervorhebung im Original).
Dieser Eindruck wird durch die Form der Rezeption und Darstellung unterstrichen: So zitieren die Autoren (V 129, Fn 76) KLAFKI 1985, S. 44 zur „Theorie der kategorialen Bildung“ ohne (ebd.) den entscheidenden Hinweise zur Weiterentwicklung seiner Bildungstheorie aufzunehmen: Eine ausführliche Darstellung des Bildungsbegriffs, heißt es dort, „müsste auch die Verfallsgeschichte dieses Bildungsbegriffs im 19. und 20. Jahrhundert nachzeichnen und ihre Ursachen benennen, (...) insbesondere aber auch jene Neubesinnung auf die aufklärerische Substanz des klassischen Bildungsbegriffs, wie sie in den letzten zwei Jahrzehnten etwa bei Heinz Joachim Heydorn, Herwig Blankertz, Karl-Ernst Nipkow, Jürgen-Eckardt Pleines u.a. geleistet worden ist. ¾ Es sind jene ursprünglichen und diese zeitgenössischen Auslegungen des Bildungsbegriffs, an die die bildungstheoretische Grundlage der kritisch-konstruktiven Didaktik anknüpft“. Diese „Neubesinnung“ wird den Studierenden der Wirtschaftsdidaktik ebenso vorenthalten wie eine kritische Würdigung tradierter bildungstheoretischer Modelle der Wirtschaftsdidaktik (Strukturgitteransatz, AOEX), die den Anschluss an den bildungstheoretischen Diskurs leisten. Sie müssen sich bescheiden mit einer verkürzten Darstellung der Kritisch-konstruktiven Didaktik Wolfgang KLAFKIs (V 50-52) in einem Vergleich mit der Lerntheoretischen Didaktik (Berliner Modell) von HEIMANN, OTTO, SCHULZ aus den 60er Jahren (deren Kritik maßgeblich zu KLAFKIs Neukonzeption (1980) beigetragen hatte), vermischt mit überholten Elementen aus der Vorversion, Überlegungen Erich WENIGERs zur Lehrplantheorie und ohne Original des Perspektivenschemas.
Von der Wichtigkeit und zentralen Stellung des Bildungsbegriffs erfährt der Studierende erst auf Seite 128 – bis dahin verstreute Hinweise (V 50f., 74f., 78, 84) auf humanistisches Bildungsdenken, Bildung als Muße, kulturpädagogisches Bildungsdenken bei SPRANGER und KERSCHENSTEINER, die bildungskategorial-praktische Wertfrage wirtschaftlicher Lehrstoffe u.a.m.. Keinem der Hinweise wird weiter nachgegangen, kein bildungstheoretischer Gedanke vertieft oder historisch-systematisch eingeordnet. Dann der Versuch an prominenter Stelle (V 127-129) mit Hilfe von 14 Fußnoten zu drei Ausgaben von KLAFKIs Neuen Studien (1985-1994) und Kommentierungen von CZYCHOLL und ZABECK, den Bedeutungsgehalt des Bildungsbegriffs auf 2 Seiten (sic!) zu entwickeln. Diese Vorgehensweise ist der postulierten Relevanz des Begriffs unangemessen und steht zum Gesamtvolumen des Lehrbuchs in keinem Verhältnis. Die folgenden mikrodidaktischen Ausführungen des Konzepts, sind dann mit dem Bildungsbegriff auch nicht mehr vermittelt. Eine gute Möglichkeit hier bildungstheoretisch anzuschließen, böte der kommunikationsorientierten Position von EULER und HAHN die Kritisch-kommunikative Didaktik, insbesondere die ‚Antinomische Pädagogik’ von Rainer Winkel.
Die Einführung von EULER und HAHN verlangt bereits dem geübten Leser ein hohes Maß an hermeneutischer Textarbeit, geduldiger Recherche in entlegenen Fußnoten und gedanklicher Synthese und Urteilskraft ab, das von einem Studienanfänger kaum zu erwarten ist. Die reflexive Aneignung wissenschaftlicher Theorien und ihre didaktische Neukonstruktion (V 66, 73) durch theoriemündige Subjekte bedürfte deshalb doch des systematischen Einbezugs der beiden ausgesparten Professionsmerkmale (V 20): eine „theoretisch fundierte, akademische Spezialausbildung“ als wissenschaftliche forschungsbasierte Basis der Berufsausübung (V 19); in KLAFKIs Worten, die „Bedingung der Möglichkeit geistiger Aneignung und Bewältigung im Bereich der Erkenntnisbildung, der ästhetischen oder der sittlichen Bildung“ (1964, 326).

2.5    VI. NICKOLAUS, Reinhold (2008): Modelle und Konzepte beruflicher Bildung

Unter dem Aspekt der praktischen Orientierungsleistung führt das Lehrbuch von Reinhold NICKOLAUS Studierende der Berufs- und Wirtschaftspädagogik übersichtlich und komprimiert in aktuelle didaktische Modelle und Konzepte ihrer Disziplin ein. Leitende Fragestellungen und ein Exempel zur Prüfung ihrer Leistungskraft sind voran, Studienaufgaben und ein Glossar ans Ende gestellt (VI 4f.,121-133): Bildung bezeichnet in diesem Band a) einen auf Mündigkeit bzw. möglichst umfassende Entfaltung persönlicher Potentiale gerichteten Entwicklungsprozess der Person, b) die „Ausstattung“ der Person mit Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten und c) einen positiv zu bewertenden Entwicklungsstand (VI 127).
NICKOLAUS führt in die Entwicklung der bildungstheoretischen Entwürfe KLAFKIs (1963, 1985) ein, nimmt die „Unterscheidung von materialer (Wissenserwerb) und formaler Bildung (Erwerb von Fähigkeiten)“, sowie den Begriff der kategorialen Bildung auf (VI 36, 127) und verknüpft KLAFKIs Fragestellung mit Aufgaben und Konzepten beruflicher Unterrichtplanung (VI 36-46). Mit Verweis auf REINISCH stellt er die integrative Funktion des Strukturgitteransatzes (BLANKERTZ) deutlich heraus, der das Persönlichkeitsprinzip mit dem Wissenschafts- und Situationsprinzip in einer bildungstheoretischen Konzeption vereint (VI 17). Überhaupt beeindruckt an dieser Konzeption eines Lehrbuchs die konsequente Bezugnahme und Verknüpfung zwischen Allgemeindidaktischen Modellen, Konzepten beruflicher Bildung und Ergebnissen aus der aktuellen Lehr-Lernforschung. Ohne vertiefendes Studium der Originale birgt sie gleichwohl die Gefahr von Kurzschlüssen und Fehlurteilen, weil von den großen Didaktiken (KLAFKI, SCHULZ) nur die pragmatische Strukturebene rezipiert wird, wodurch Analyse und Planungshilfen (im Falle KLAFKI fehlt das Perspektivenschema) ohne ihre theoretische Basis nicht aussagekräftig sind. Insofern kann sich den Studierenden der Bildungsbegriff mit seinen Potentialen für die berufliche Bildung nicht erschließen und die theoriegeleiteten Handlungsanleitungen sind ohne diese Legitimation weder verständlich noch im Sinne des Modells verwendbar. Die entscheidende Frage, wie abstrakte regulative Ideen in der Praxis wirksam, bzw. umgekehrt von dieser Praxis her reflektiert werden können, wird nicht gestellt und die aufgegebenen Fragen (VI 4), insbesondere nach dem Geltungsanspruch der Theorien, können nicht bearbeitet werden.
Im Glossar heißt es zur Bildung: „Die Verwendung des Begriffs in der pädagogischen Fachsprache geht auf die Aufklärung zurück, von daher stammt auch das mit dem Begriff verbundene ‚kritische Moment’, d.h. die Zurückweisung des Anspruchs Individuen nur an gesellschaftlichen Bedürfnissen anzupassen und statt dessen die Betonung der zu Vernunft fähigen Person als Bezugspunkt pädagogischen Handelns“ (VI 127). Insofern wäre für die zu erwartende Neuauflage zu wünschen, dass die ideologiekritische Dimension der Didaktiken ausbuchstabiert würde und das Konzept der Handlungsorientierung auch in seinen bildungstheoretischen Traditionen und der Verankerung in der Kritischen Erziehungswissenschaft dargestellt würde, anstatt es einzig einer konstruktivistischen Denkrichtung zu verpflichten (VI 34).

2.6    VI. OLBRICH, Christa (Hrsg.) (2009): Modelle der Pflegedidaktik

Die Zusammenfassung pflegedidaktischer Modelle in einem Lehrbuch für Studierende und Lehrende bietet, nach mehr als 20 Jahren pflegepädagogischer Forschung und Theoriebildung in Deutschland, auch eine gute Übersicht zur bildungstheoretischen Rezeption in der beruflichen Fachrichtung Pflege. In drei von sechs Modellen (DARMANN-FINCK, GREB, WITTNEBEN, VI 1-44, 106-122) bildet explizit ein kritischer Bildungsbegriff in unterschiedlicher Reichweite den pädagogischen Maßstab, und das schulkritische Konzept des „Szenischen Spiels“ (OELKE/ SCHELLER, VI 45-62) verweist implizit auf eine theoretische Grundlegung in der Kritischen Erziehungswissenschaft. Dieser von Schülererlebnissen ausgehende eher pragmatische Ansatz Erfahrungsbezogenen Lernens legt theaterpädagogische sowie sozio- und psychodramatische Verfahren zugrunde, die sich weitgehend an ideologie- und herrschaftskritischen Lehrstücken und Dramentexten (BOAL, BRECHT, BÜCHNER) orientieren, so dass er im Rahmen der bildungstheoretischen Modelle zur Planung von Lernsituationen bzw. „Lerninseln“ (MUTHS, VI 12-18) herangezogen wird. In deren Kontext wird das gesellschaftlich Vermittelnde der Erfahrung an der eigenen Erfahrung reflexiv begreifbar, so dass, im Sinne HEYDORNS, der Widerspruch ihrer entfremdeten Gestalt und die Negation des Unverfügbaren im Bildungsprozess transparent werden (vgl. EULER 1997, 163).
In den „Leitlinien einer kritisch-konstruktiven Pflegelernfelddidaktik“ zeichnet Karin WITTNEBEN (VI 105-121) die Denktradition geisteswissenschaftlicher Pädagogik (DILTHEY, KLAFKI) nach: „Bildung nennen wir jedes Phänomen, an dem wir – im eigenen Erleben oder im Verstehen anderer Menschen – unmittelbar der Einheit eines subjektiven (formalen) und eines objektiven (materialen) Moments innewerden. Der Versuch, die erlebte Einheit der Bildung sprachlich auszudrücken, kann nur mit Hilfe verschränkter Formulierung gelingen: Bildung ist Erschlossensein einer dinglichen und geistigen Wirklichkeit für einen Menschen (objektiver Aspekt), aber das heißt zugleich: Erschlossensein dieses Menschen für diese seine Wirklichkeit (subjektiver Aspekt)“ (KLAFKI 1964, 297; VI 106). Im Sinne formaler Bildung arbeitet WITTNEBEN in ihrem „Heuristischen Modell multidimensionaler Patientenorientierung“ die ontogenetischen Dimensionen der Persönlichkeitsentwicklung als Prozess des Kompetenzerwerbs heraus (VI 107-114) und expliziert ihre konzeptionelle Wendung von der Wissenschaftsorientierung zur Intersubjektivität und Handlungsorientierung. Ihr Modell orientiert sich an der Kritisch-konstruktiven Didaktik KLAFKIS, verknüpft mit der Theorie des Kommunikativen Handelns von Jürgen HABERMAS, die sie für den Pflegebereich um Aspekte nonverbaler Expression erweitert (VI 111).
Vergleichbar gestaltet sich die bildungstheoretische und ideologiekritische Anbindung der Interaktionistischen Pflegedidaktik (VI 1-22). Im Sinne kategorialer Bildung, wenngleich an dieser Stelle nicht ausbuchstabiert und in alle Ebenen des Modells vermittelt, zielt ihr Referenzrahmen auf „kritisch-reflexive Identitätsbildung“ und Herrschaftskritik (VI 1). Im Bezug auf ROBINSOHNs Curriculumtheorie werden zunächst „(Lebens)Situationen empirisch ermittelt. Aus ihnen werden dann die geforderten Funktionen sowie Qualifikationen ermittelt und die Bildungsinhalte … abgeleitet (...) und mit dem Konzept der Schlüsselprobleme von KLAFKI (1993) verknüpft“ (ebd.). Mit Hilfe einer „pflegedidaktischen Heuristik“ (2006) ermittelt DARMANN-FINCK Kriterien zur Überprüfung des Bildungsgehaltes von beruflichen Situationen. Ihre Systematik spannt sich auf zwischen subjektiven Bildungskonzepten von Lehrern: Regelorientierung, Fallorientierung und Meinungsorientierung – in ideologiekritischer Absicht mit den Erkenntnisleitenden Interessen von HABERMAS verknüpft –, und den für eine Pflegesituation konstitutiven Perspektiven nach OLBRICH (vgl. VI 63-86): Pflegende, Patient/Angehörige, Institution/Gesellschaft, pflegerisches Handeln (VI 2). Ausgehend von empirisch ermittelten Schlüsselproblemen und unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Widersprüche in Anlehnung an das „Strukturgitter der Pflege“ (2003, VI 23-32), werden Bildungsziele und -inhalte ermittelt und in erster Linie auf emanzipatorische Zielsetzungen ausgerichtet.
Das „Identitätskritisch-konstellative Modell“ (VI 23-43) mit dem Strukturgitter für die Pflege (GREB 2003) entstand als hochschuldidaktisches Konzept für die Lehrerbildung. Es nimmt seinen Ausgang vom erkenntnistheoretischen Problem des Erfahrungsverlustes (VI 29) und der instrumentell gewordenen Vernunft: „Die Vernunft selbst, unser normativ-kritisches Instrument, wird in der Moderne stumpf. Sie kann sich ihrer gesellschaftlichen Verhaftung nicht entledigen und lässt sich als instrumentelle Vernunft nicht mehr von der bloßen Verstandestätigkeit unterscheiden. Als rationales Kalkül verstellt sie uns sogar den kritischen Weg zur Mündigkeit. Bildungsprozesse zielen deshalb auf Gesellschafts- und Wissenschaftskritik, auf die Ausbildung einer kritischen Vernunft, die sich selbst kritisiert und an ihrem eigenen Maßstab misst. Ein bildungstheoretischer Ausweg ist der Versuch in Konstellationen zu Denken“ (VI 28). Didaktisch wird der Strukturgitteransatz (BLANKERTZ) auf Basis der ‚Negativen Dialektik’ (ADORNO) modifiziert: In der Verknüpfung des Systembezugs pflegerischen Handelns (Krankheitserleben, Handlungstyp: Helfen, Gesundheitswesen, VI 24, 34) mit dem Bildungs- und Erkenntnisinteresse des Subjekts werden unter pflegeimmanenten Aspekten (Leiblichkeit, pflegerische Interaktion, Gesundheitssystem) gesellschaftliche Widersprüche des Pflegeberufs freigelegt, so dass die objektiven Widersprüche der Pflegepraxis begrifflich in neun didaktische Reflexionskategorien übersetzt werden können und typische Strukturen empirischer und theoretischer Pflegeprobleme in fachdidaktische Probleme transformiert. Der dialektische Kriteriensatz, der die Figur der Pflege mit ihren Tiefendimensionen als Konstellation repräsentiert, wird zur Analyse pflegewissenschaftlicher Forschung sowie zur Generierung und kritischen Reflexion curricularer Konstrukte herangezogen.

3    Schlussbetrachtung

Als identitätsbildende Kategorie der Berufs- und Wirtschaftspädagogik bleibt Bildung in diesen Schriften letztlich amorph. Eine Ausnahme bildet die Einführung in die Pflegedidaktik (VI). Doch diese Fachdidaktik hat sich nicht im Kontext der BWP, sondern in der Pflegepädagogik herausgebildet, im unmittelbaren Anschluss an die allgemeine Didaktik. Sie weist vorwiegend bildungstheoretische Anschlüsse in der Kritischen Erziehungswissenschaft aus. Eine weitere Ausnahme bildet die Technikdidaktik (I), in der historisch ein bildungstheoretisches Zwischenstadium identitätsbildend wirkte, das im Gestaltungsorientierten Ansatz aufgehoben ist und in der Allgemeinen Techniklehre und im Kontext der Technikfolgenforschung bildungstheoretisch weiterentwickelt wird (I, III). Grundsätzlich aber erfahren Studierende anhand dieser didaktischen Einführungen den Bildungsbegriff nicht als verbindlichen Reflexionsbezug im institutionalisierten Widerspruch von Bildung und Herrschaft. Sie begegnen ihm weder in hermeneutisch-kritischen Rezeptionen, noch in ideologiekritischer Diskussion oder in argumentativer Abgrenzung und Gegenrede.
Inhaltlich überrascht die weitgehende Ausblendung der kritischen Bildungstheorie, trotz häufigen Verweises auf KLAFKIs Theorie der „kategorialen Bildung“, und die Verkürzung bildungstheoretischer Bezüge auf das geisteswissenschaftliche Bildungsideal (speziell der Reformpädagogik) als Persönlichkeitsbildung, curriculares Persönlichkeitsprinzip oder ethisch-moralischer Handlungsaspekt. Sofern didaktische Positionen argumentativ vertreten werden, zeigt ein grundsätzlicher Trend weg von erziehungswissenschaftlichen und hin zu kognitionspsychologischen Begründungen, weg von Bildungsprozessen und hin zu Lernprozessen, weg vom Begriff der Bildung und hin zum Begriff der Kompetenz. Wobei das „weg von“ nicht mit Motiven vorgetragen wird, die für oder gegen eine Abkehr vom bildungstheoretischen oder erziehungswissenschaftlichen Diskurs sprechen oder für einen konkreten Ersatz des Bildungsbegriffs plädieren. Explizit wird der Begriff „Gestaltung“ als Substitut für „Bildung“ angeboten (I, III), implizit ersetzt ihn der Kompetenzbegriff, der zur Einführung der Studierenden ebenfalls einer gründlichen Herleitung und theoretischen Diskussion bedürfte.
Streng genommen ließ sich also (mit den genannten Ausnahmen) eine konstitutive Relevanz des Bildungsbegriffs in den didaktischen Konzeptionen weder in positiver noch in negativer Hinsicht feststellen. Skepsis und unterschwellige Ablehnung gegenüber dem Bildungsbegriff (Nichtbeachtung) sind möglicherweise die Folge seiner objektiven Verfallsgeschichte und/oder sie gehen rezeptionsbedingt an der Sache vorbei und bedienen einen generellen Trend irrationaler Rationalitätskritik. Das heißt, die Rezeption differenzierter Theorien bricht ab, bevor sie konkret (oder ‚praktisch’) werden könnte, während gänzlich praktische Ansätze in abstrakte Formeln gegossen geistig nicht zu fassen sind und für theoretische Kritik unerreichbar. Das ist bedauerlich, weil damit die dialektische Spannung des Bildungsgeschehens nicht erkannt und die gesellschaftskritischen Potentiale Didaktischer Modelle für die berufliche Curriculumentwicklung im Lernfeldansatz pädagogisch nicht genutzt werden ­– bei gleichzeitig höchstem Bildungsanspruch: ‚selbstgesteuertes Lernen’, Urteilskraft, Reflexionsfähigkeit und berufliche Mündigkeit.


Literatur

ADORNO, T. W. (1982): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt a. M.

ADORNO, T. W. (1977): Vernunft und Offenbarung, Kulturkritik und Gesellschaft. GS Bd. 10.2, Frankfurt a. M., 608-616.

BENNER, D. (1990): Wilhelm von Humboldts Bildungstheorie. Eine problemgeschichtliche Studie zum Begründungszusammenhang neuzeitlicher Bildungsreform. Weinheim-München.

BLANKERTZ, H. (1977): Berufliche Bildung. In: ROMBACH, H. (Hrsg.): Wörterbuch der Pädagogik. Band 1. Freiburg, Basel, Wien, 90-91.

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Zitieren dieses Beitrages

Greb, U. (2009): Der Bildungsbegriff in einführenden Schriften zur Didaktik der Berufs- und Wirtschaftspädagogik. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 16, 1-25. Online: www.bwpat.de/ausgabe16/greb_bwpat16.pdf (10-10-2009).

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