bwp@ Spezial 17 - Mai 2020

Zukunftsdiskurse - berufs- und wirtschaftspädagogische Reflexionen eines Modells für eine nachhaltige Wirtschafts- und Sozialordnung

Hrsg.: Andreas Slopinski, Meike Panschar, Florian Berding & Karin Rebmann

Zukunftsdiskurse curricular intendiert – Plädoyer für eine ehrliche Lehrplanrezeption

Beitrag von Harald Hantke
Schlüsselwörter: Nachhaltigkeit; Lernfeldansatz; curriculare Analyse; Lernfeldparadoxon; Lehrplanrezeption

Im Jahr 2015 wurde von der Weltgemeinschaft die so genannte Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet, die 17 Ziele und 169 Zielvorgaben umfasst. Da der Weg zur Erreichung dieser Ziele und Zielvorgaben bis zum Jahr 2030 jedoch nicht zentral festgelegt ist, sind wir dazu herausgefordert, inter- und intrapersonale Diskurse zur Frage zu führen, wie wir diese Ziele und Zielvorgaben in unserem mitunter ganz persönlichen Verantwortungsbereich verfolgen bzw. erreichen können, sollen oder gar müssen.

In diesem Kontext wurde an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg ein Projekt durchgeführt, das derartige Diskurse, die auch als Zukunftsdiskurse bezeichnet werden können, als Reaktionen auf Herausforderungen unserer gegenwärtigen nicht-nachhaltigen Lebensweise in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt hat.

In diesem Beitrag wird das Projekt mit Hilfe der erkenntnisleitenden These reflektiert, dass Zukunftsdiskurse im Rahmen des Lernfeldansatzes der wirtschaftsberuflichen Bildung curricular intendiert sind und somit auch – ehrlich rezipiert – von Lehrerinnen und Lehrern der wirtschaftsberuflichen Bildung im Unterricht inszeniert werden müssen. Um diese These zu untermauern, wird in diesem Beitrag auf Basis einer curricularen Analyse die Frage erörtert, inwiefern sich die Nachhaltigkeitsidee in den formalen Strukturen der wirtschaftsberuflichen Bildung wiederfindet und wie Lehrerinnen und Lehrer bzw. Schulen der wirtschaftsberuflichen Bildung diese rezipieren müssten.

1 Einleitung

„Wir sind entschlossen, die kühnen und transformativen Schritte zu unternehmen, die dringend notwendig sind, um die Welt auf den Pfad der Nachhaltigkeit und der Widerstandsfähigkeit zu bringen.“ (Vereinte Nationen 2015, 1)

Diese durchaus martialischen Worte entstammen der Präambel der im Jahr 2015 von der Weltgemeinschaft verabschiedeten so genannten Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (Offizieller Titel „Transforming our world: the 2030 Agenda for Sustainable Development“). Konkret umfasst die Agenda 17 integrierte, unteilbare, umfassende und weitreichende Ziele und 169 Zielvorgaben, die bis zum Jahr 2030 gemeinsam erreicht werden sollen. Damit wurde die Idee einer nachhaltigen Entwicklung zwar in konkrete ökologische, ökonomische und soziale Ziele und Zielvorgaben überführt, der Weg zu ihrer Erreichung „unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Realitäten, Kapazitäten und Entwicklungsstufen [sowie] der nationalen Politiken und Prioritäten“ (Vereinte Nationen 2015, 3) bleibt jedoch offen. Diese Offenheit, die seit jeher auch in der regulativen Idee[1] einer nachhaltigen Entwicklung angelegt ist und diese von einem geschlossenen Konzept abgrenzt, erfordert gesellschaftspolitische Diskurse zu ihrer Konkretisierung und Ausgestaltung. Bezogen auf die UN-Agenda 2030 sind wir also dazu herausgefordert, inter- und intrapersonale Diskurse zur Frage zu führen, wie wir diese Ziele und Zielvorgaben einer nachhaltigen Entwicklung in unserem mitunter ganz persönlichen Verantwortungsbereich verfolgen können, sollen oder gar müssen.

Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg ein vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur gefördertes Projekt (Titel: „Nachhaltiges Wirtschaften zwischen Gesellschaft, Ökonomie und Bildung – Transdisziplinäre Diskursarenen zur Modellierung einer nachhaltigen Wirtschaftsordnung“) durchgeführt wurde, das derartige, so wichtige Diskurse als Reaktionen auf Herausforderungen unserer gegenwärtigen nicht-nachhaltigen Lebensweise in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt hat. Ziel dieses Projekts war es, eine Wirtschaftsordnung zu modellieren, „die Dynamik, sozialen Wohlstand und den Schutz der Umwelt gleichermaßen gewährleistet“ (BWP Oldenburg 2019, 1). Zur Gestaltung einer derartigen Wirtschaftsordnung wurden im Rahmen des Projekts in sogenannten Diskursarenen unterschiedliche Expertisen, Perspektiven und Interessen verschiedener gesellschaftlicher Bereiche zusammengeführt. In diesem Prozess wurden folgende Akteure identifiziert, die eine Rolle spielen, „um eine nachhaltige Wirtschaftsordnung zu etablieren und aufrechtzuerhalten“ (ebd., 3): Staatliche Institutionen auf supranationaler, nationaler und kommunaler Ebene, Verbände (z. B. NGOs oder Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände), Individuen (z. B. als Privatpersonen oder Beruftätige), Unternehmen, Medien, wissenschaftliche Institutionen, Finanzdienstleister (z. B. Versicherungen oder Banken).

Im Fokus dieses Beitrags steht auf der einen Seite die Verantwortung von staatlichen Institutionen bzw. staatlich eingesetzten Kommissionen als Lehrplanproduzenten, die die Nachhaltigkeitsidee in den Rahmenlehrplänen der beruflichen Bildung implementieren könnten, sollten oder müssten (vgl. ebd., 4 ff.). Auf der anderen Seite steht die Verantwortung von Individuen als berufstätige Lehrerinnen und Lehrer als Lehrplanrezipienten im Fokus dieses Beitrags, die die Nachhaltigkeitsidee – auf Basis ihrer potenziellen Implementation – in ihrem Unterricht der beruflichen Bildung aufgreifen könnten, sollten oder müssten (vgl. ebd., 5 ff.).

Vor diesem Hintergrund basiert dieser Beitrag auf der erkenntnisleitenden These, dass Zukunftsdiskurse im Rahmen des Lernfeldansatzes der wirtschaftsberuflichen Bildung curricular intendiert sind und somit auch – ehrlich rezipiert – von Lehrerinnen und Lehrer der wirtschaftsberuflichen Bildung im Unterricht inszeniert werden müssen. Um diese These zu untermauern, wird in diesem Beitrag die Ausgangsfrage erörtert, inwiefern sich die Nachhaltigkeitsidee in den formalen Strukturen der wirtschaftsberuflichen Bildung wiederfindet und wie Lehrerinnen und Lehrer bzw. Schulen der wirtschaftsberuflichen Bildung diese rezipieren müssten. Zur Beantwortung dieser Frage setzt sich der Beitrag aus folgenden drei Teilen zusammen: Erstens wird ein kurzer Einblick in die Nachhaltigkeitsidee gegeben. Zweitens wird zunächst auf eine Studie zur Verankerung von Bildung für nachhaltige Entwicklung im Kontext beruflicher Bildung eingegangen. Auf dieser Basis wird dann zur Vertiefung eine curriculare Analyse der Ausbildungsberufe Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement sowie Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce zur Frage durchgeführt, inwiefern die Nachhaltigkeitsidee explizit sowie im weitesten Sinne implizit in den Rahmenlehrplänen dieser Ausbildungsberufe verankert ist. Und drittens wird ausblickend – vor dem Hintergrund eines Verständnisses der zuvor analysierten Rahmenlehrpläne als offene, widerspruchsbeladene Gestaltungsräume – ein Plädoyer für eine ehrliche und damit diskursiv im Kontext nachhaltiger Entwicklung ausgerichtete Lehrplanrezeption ausgesprochen.

2 Nachhaltigkeit – eine kurzer Einblick

Die öffentliche Auseinandersetzung mit der regulativen Nachhaltigkeitsidee und den sich dahinter verbergenden Konstrukten einer nachhaltigen Entwicklung hat im letzten Jahrzehnt stark zugenommen. Jedoch bestehen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Interessenkonstellationen Ungenauigkeiten, Mehrdeutigkeiten und Widersprüchlichkeiten bezüglich des Verständnisses einer nachhaltigen Entwicklung. Der dahinterliegende Nachhaltigkeitsdiskurs lässt sich an dieser Stelle nicht in seiner Vielfältigkeit nachzeichnen. Dennoch gibt es grundsätzliche Perspektiven auf ein letztlich individuell zu konkretisierendes Nachhaltigkeitsverständnis, die sich pointiert darstellen lassen.

So wird – zunächst erst einmal wörtlich genommen – durch die Begriffskombination „nachhaltige Entwicklung“ ein normativer Prozess gesellschaftlicher Veränderung beschrieben, der in Richtung des Zustands „Nachhaltigkeit“ verlaufen soll (vgl. Grunwald/Kopfmüller 2012, 11). Doch was verbirgt sich hinter Nachhaltigkeit? Fragt man beispielsweise die Nachhaltigkeitswissenschaftler Michelsen und Adomßent (2014) fußt Nachhaltigkeit auf verschiedenen, teils kontrovers diskutierten Visionen von „Gerechtigkeit, des genügsamen Lebens, der Freiheit und der Selbstbestimmung, des Wohlergehens aller Menschen und der Zukunftsverantwortung mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung“ (Michelsen/Adomßent 2014, 3). Konkretisieren lässt sich dieses Verständnis von Nachhaltigkeit mit der bereits im Jahr 1987 im Rahmen der so genannten Brundtland-Kommission formulierten Perspektive auf Nachhaltigkeit als Gerechtigkeitsethik der Verantwortung sowohl für zukünftige Generationen als auch für gegenwärtig lebende Generationen in globaler Perspektive (vgl. Hauff 1987).

Bei der Verantwortungsübernahme für zukünftige Generationen geht es um die „langfristige Sicherung und Weiterentwicklung der Grundlagen der menschlichen Zivilisation angesichts der begrenzten Belastbarkeit der natürlichen Umwelt und ökonomischer und sozialer Zukunftsrisiken“ (Grunwald/Kopfmüller 2012, 31). Da die intergenerationale Gerechtigkeit eine Verantwortungsübernahme des Individuums für eine unbestimmte zukünftige Zeit einfordert, können bezüglich der Umsetzung einer derartigen Zukunftsverantwortung weniger konkrete Antworten, als vielmehr individuell sowie themen- und kontextabhängig zu beantwortende Fragen gestellt werden. Zu diesen philosophischen Fragen gehören beispielsweise (vgl. ebd., 32; exemplarisch auch Birnbacher 1988; Ott/Döring 2004):

  • Welche Verantwortung können wir heute konkret gegenüber zukünftigen Generationen haben?
  • Müssen oder können wir für weit in der Zukunft lebende Generationen Verantwortung in gleicher Intensität wahrnehmen wie für die nähere Zukunft?

Ein möglicher Weg zur individuellen Beantwortung dieser Fragen ist die Verfolgung der so genannten „sukzessiven Verantwortung“, das heißt der Verantwortungsübernahme einer Generation für die jeweils nächste Generation, verbunden mit der selbstreflexiven Frage, was ich zukünftigen Generationen hinterlassen und in welchem Zustand ich die Erde weitergeben sollte (vgl. Grunwald/Kopfmüller 2012, 33). Da die konkreten Bedürfnisse der zukünftigen Generationen jedoch nicht bekannt sein können, kann es letztlich lediglich darum gehen, die „‚Bedingungen der Möglichkeit‘“ (ebd.) zur Befriedigung der Bedürfnisse der zukünftigen Generation zu erhalten. Anders formuliert geht es um die „Erhaltung von natürlichen und kulturellen Ressourcen im Interesse zukünftiger Generationen“ (ebd., 11) im Sinne des Vorsorgeprinzips.

Bei der Verantwortungsübernahme für gegenwärtig lebende Generationen in globaler Perspektive geht es um die „gerechte Verteilung der Chancen zur menschlichen Bedürfnisbefriedigung in der Gegenwart“ (Grunwald/Kopfmüller 2012, 35), die eine „wesentliche Voraussetzung zur Wahrnehmung der Zukunftsverantwortung“ (ebd.) darstellt. Der Grad an intragenerationaler Gerechtigkeit wird demnach konkret an der Frage festgemacht, wie ökologische (z. B. Wasser, Fläche, Ernährung bzw. Rohstoffe), soziale (z. B. Einfluss- und Wahlmöglichkeiten) und ökonomische (z. B. Technologien, Dienstleistungen) Ressourcen global unter den gegenwärtig lebenden Generationen verteilt werden. In diesem Kontext gelten die Verteilungsgerechtigkeit und die Chancengleichheit im Hinblick auf Einkommen, Bildung, Herkunft, Geschlecht und gesellschaftliche Teilhabe als wichtige Elemente zur Erreichung einer intragenerationalen Gerechtigkeit. Daneben ist auch die Umweltgerechtigkeit, also die Frage nach der globalen Verteilung der negativen ökologischen Auswirkungen der vorherrschenden Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsweise (vor allem) der Industrieländer, ein Element der Verteilungsgerechtigkeit (vgl. exemplarisch Bolte/Mielck 2004). Eine weitere Frage der Umweltgerechtigkeit ist die globale Verteilung der Nutzung von Ressourcen. So kann es zu „doppelten Umweltungerechtigkeiten“ (Grunwald/Kopfmüller 2012, 37) kommen, da sich die Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsweise der Industrieländer beispielsweise durch eine stärkere Nutzung von Umweltgütern auszeichnet, deren negative ökologische Auswirkungen jedoch auch Menschen in anderen Erdregionen trifft. Somit kann eine Zunahme intragenerationaler Gerechtigkeit nur erreicht werden, wenn die „Ungleichheit sowohl in den Zugangs- und Nutzungsmöglichkeiten natürlicher Ressourcen als auch in Bezug auf Umweltbelastungen“ (ebd.) abgebaut werden. Dies hat zur Folge, dass auch im Kontext regionaler Handlungen global gedacht werden muss. Ein weiteres Element der intragenerationalen Gerechtigkeit ist die Generationengerechtigkeit. Als Beispiele lassen sich abnehmende Chancen auf dem Arbeitsmarkt, Altersarmut oder unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeiten bezüglich der Nutzung digitaler Innovationen nennen (vgl. ebd., 39).

Zur weiteren Konkretisierung dieser Perspektive auf Nachhaltigkeit als Gerechtigkeitsethik der Verantwortung sowohl für zukünftige Generationen als auch für gegenwärtig lebende Generationen in globaler Perspektive hat sich darüber hinaus ein weitgehender Konsens dazu entwickelt, „dass Nachhaltigkeit nur durch eine Integration der verschiedenen Dimensionen gesellschaftlicher Entwicklung erreicht werden kann“ (Michelsen/Adomßent 2014, 28). Auf wissenschaftlicher, staatlicher sowie betrieblicher Ebene wird diesbezüglich gerne auf die Differenzierung der Nachhaltigkeitsidee in die Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales zurückgegriffen. Isoliert betrachtet lassen sich diese drei Dimensionen wie folgt beschreiben:

Die Dimension der ökologischen Nachhaltigkeit bezieht sich auf die Erhaltung der Eigenschaften des Ökosystems. Als ökologisch nachhaltig gilt eine Lebensweise, die die natürlichen Lebensgrundlagen nur in dem Maße beansprucht, wie sich diese auch wieder regenerieren (vgl. SRU 1994, 73). Bedeutende Begriffe der ökologischen Nachhaltigkeit sind „ökologische Stabilität“ zur Beschreibung der Belastbarkeit natürlicher Systeme, „Vulnerabilität“ zur Beschreibung der Anfälligkeit gegenüber äußeren Einflüssen sowie „Resilienz“ zur Beschreibung der Regenerationsfähigkeit (vgl. Grunwald/Kopfmüller 2012, 55; Deutscher Bundestag 1998, 19 ff.).

Die Dimension der ökonomischen Nachhaltigkeit bezieht sich auf die gegenwärtige Herausforderung, dass einerseits natürliche Energie- und Materialressourcen die Grundlage der vorherrschenden Wirtschaftsweise bilden, die andererseits gleichzeitig für Emissionen und Abfälle sorgen (vgl. Grunwald/Kopfmüller 2012, 57). Vor diesem Hintergrund sollte eine ökonomisch nachhaltige Wirtschaftsweise keine negativen Auswirkungen für gegenwärtige und zukünftige Generationen mit sich bringen. Eine nachhaltige Wirtschaftsweise zeichnet sich somit dadurch aus, dass sie dauerhaft zur Erhaltung bzw. zum Aufbau einer ausreichenden Lebensqualität – also der materiellen und immateriellen Lebensgrundlagen – beiträgt (vgl. Hauff/Kleine 2009, 18; Deutscher Bundestag 1998, 19 ff.).

Die Dimension der sozialen Nachhaltigkeit bezieht sich auf die global gerechte Verteilung „so genannter sozialer Grundgüter und ihre Weiterentwicklung für und die Weitergabe an zukünftige Generationen“ (Grunwald/Kopfmüller 2012, 58). Dazu gehören beispielsweise Lebensmittel, Gesundheit, Kleidung, Wohnraum, politische Rechte, Toleranz, Solidarität sowie Rechts- und Gerechtigkeitssinn. Ziel ist es, einerseits dem Individuum die Gestaltung eines würdigen und selbstbestimmten Lebens zu ermöglichen und andererseits den Zusammenhalt der Gesellschaft zu sichern bzw. das Austragen sozialer Spannungen auf zivilem Wege zu ermöglichen (vgl. ebd.; Hauff/Kleine 2009, 20 f.; Deutscher Bundestag 1998, 19 ff.).

Bezüglich der konkreten Gewichtung bzw. Priorisierung dieser drei Dimensionen gibt es zwar eine ausgedehnte kontroverse Auseinandersetzung. Die im Rahmen der UN-Agenda 2030 hervorgehobene integrierende und unteilbare Verfolgung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die „für die Erfüllung von Ziel und Zweck der neuen Agenda von ausschlaggebender Bedeutung“ (Vereinte Nationen 2015, 2 f.) sind, hat für das Verhältnis der Nachhaltigkeitsdimensionen jedoch zur Folge, dass diese nicht als gleichberechtigt nebeneinanderstehend betrachtet werden können. So wird im Rahmen der UN-Agenda 2030, die sich explizit auf die drei Nachhaltigkeitsdimensionen bezieht, darauf hingewiesen, dass „die soziale und wirtschaftliche Entwicklung vom nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Erde abhängt“ (ebd., 9). Aufgrund der planetarischen Leitplanken, die Grenzen des Erdsystems aufzeigen, deren „Überschreitung heute oder in Zukunft intolerable Folgen mit sich brächte“ (WBGU 2011, 34), kann es bei einer nachhaltigen Entwicklung also nur darum gehen, so zu wirtschaften, dass bei Einhaltung der ökologischen Belastungsgrenzen soziale Bedürfnisse befriedigt werden. Dieses Nachhaltigkeitsverständnis wurde bereits im Jahr 1994 vom Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) skizziert. So forderte der SRU schon seinerzeit eine „tiefgreifende Korrektur bisheriger Fortschritts- und  Wachstumsvorstellungen, die sich so nicht länger als tragfähig erwiesen haben“ (SRU 1994, 45) ein und betonte, dass eine „Einbindung der Zivilisationssysteme in das sie tragende Netzwerk der Natur“ (ebd., 9) anzustreben sei (vgl. auch BWP Oldenburg 2019, 4).

Auf dieser Basis können die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (vgl. ausführlich Vereinte Nationen 2015) – die nebenbei erwähnt gleichzeitig Themen einer nachhaltigen Entwicklung darstellen können – folgendermaßen den Nachhaltigkeitsdimensionen zugeordnet werden:

Abbildung 1: Zuordnung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung zu den drei Nachhaltigkeitsdimensionen (eigene Darstellung)Abbildung 1: Zuordnung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung zu den drei Nachhaltigkeitsdimensionen (eigene Darstellung)

Der äußere Ring repräsentiert die ökologische Nachhaltigkeitsdimension und umfasst die Ziele 6 („Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen“), 13 („Maßnahmen zum Klimaschutz“), 14 („Leben unter Wasser“) und 15 („Leben an Land“). Der zweite Ring von außen repräsentiert die soziale Nachhaltigkeitsdimension und umfasst die Ziele 1 („Keine Armut“), 2 („Kein Hunger“), 3 („Gesundheit und Wohlergehen“), 4 („Hochwertige Bildung“), 5 („Geschlechtergleichheit“), 7 („Bezahlbare und saubere Energie“), 11 („Nachhaltige Städte und Gemeinden“), 12 („Nachhaltige/r Konsum und Produktion“) und 16 („Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“). Der dritte Ring von außen repräsentiert die ökonomische Nachhaltigkeitsdimension und umfasst die Ziele 8 („Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“), 9 („Industrie, Innovation und Infrastruktur“) und 10 („Weniger Ungleichheiten“). Und der innere Kreis umfasst das Ziel 17 („Partnerschaften zur Erreichung der Ziele“), denn die „Ziele können nur durch eine starke globale Partnerschaft erreicht werden“ (BMZ 2017), die sich aus globaler Solidarität und globalem Engagement unter anderem der Regierungen, des Privatsektors, der Bildungsinstitutionen sowie der Zivilgesellschaft auf internationaler, nationaler, regionaler und lokaler Ebene zusammensetzt (vgl. Vereinte Nationen 2015, S. 15 ff.).

Wichtig zu betonen ist, dass sich bei einigen der Ziele durchaus auch Bezüge zu den jeweils anderen beiden Nachhaltigkeitsdimensionen herstellen ließen, sodass sich nicht alle Ziele eindeutig nur einer der Dimensionen zuordnen lassen. Beispielsweise tangiert Ziel 12 neben der sozialen Nachhaltigkeitsdimension auch die ökonomische Nachhaltigkeitsdimension und andersherum tangieren die Ziele 8 und 10 neben der ökonomischen Nachhaltigkeitsdimension auch die soziale Nachhaltigkeitsdimension.

3 Nachhaltigkeit im Kontext beruflicher Bildung

Im Prozess der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der im letzten Abschnitt kurz skizzierten Nachhaltigkeitsidee nimmt Bildung eine Schlüsselrolle ein. So dient Bildung – ganz im Sinne des vierten Ziels für nachhaltige Entwicklung – einerseits als Voraussetzung nachhaltiger Entwicklung und andererseits dient die Idee der nachhaltigen Entwicklung als Inhalt transformatorischer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung und dementsprechenden Lernprozessen (vgl. Vereinte Nationen 2015, 18). Mit den Worten des Zukunftsdiskurse-Projekts ausgedrückt befähigen „Bildungsprozesse […] zum Wandel und zur Kreativität“ (BWP Oldenburg 2019, 4) und verfolgen die Aufgabe „gesellschaftliche und ökologische Veränderungsprozesse wahrzunehmen und aktiv mitzugestalten“ (ebd.).

Konkretisiert wird dieser Anspruch durch die offizielle Leitlinie der UNESCO zur Bildung für nachhaltige Entwicklung. So verfolgt das UNESCO-Weltaktionsprogramm (WAP) Bildung für nachhaltige Entwicklung 2015-2019[2], das „sich an der Umsetzung der Post-2015-Agenda [17 Ziele für nachhaltige Entwicklung; HH] ausrichten“ (UNESCO 2014, 14) soll, einen so genannten zweifachen Ansatz. Erstens soll nachhaltige Entwicklung in die Bildung integriert werden und zweitens soll Bildung in die nachhaltige Entwicklung integriert werden. Aus diesem Grund gliedert sich die übergeordnete Zielsetzung des UNESCO-WAP in folgende zwei Ziele auf:

  • „Neuorientierung von Bildung und Lernen, sodass jeder die Möglichkeit hat, sich das Wissen, die Fähigkeiten, Werte und Einstellungen anzueignen, die erforderlich sind, um zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen.“ (UNESCO 2014, 14)
  • „Stärkung der Rolle von Bildung und Lernen in allen Projekten, Programmen und Aktivitäten, die sich für eine nachhaltige Entwicklung einsetzen.” (ebd.)

Im Rahmen dieser Ziele soll (berufliche) Bildung für nachhaltige Entwicklung Lernende dazu befähigen, „informierte Entscheidungen zu treffen und verantwortungsbewusst zum Schutz der Umwelt, für eine bestandsfähige Wirtschaft und eine gerechten Gesellschaft für aktuelle und zukünftige Generationen zu handeln und dabei die kulturelle Vielfalt zu respektieren“ (UNESCO 2014, 12). Dabei geht es „um einen lebenslangen Lernprozess, der wesentlicher Bestandteil einer hochwertigen Bildung ist“ (ebd.) sowie um eine „ganzheitliche und transformative Bildung, die die Lerninhalte und -ergebnisse, Pädagogik und die Lernumgebung berücksichtigt“ (ebd.). Ziel bzw. Zweck der (beruflichen) Bildung für nachhaltige Entwicklung ist eine „Transformation der Gesellschaft“ (ebd.). An dieser Leitlinie wird deutlich, dass es sich bei der (beruflichen) Bildung für nachhaltige Entwicklung um eine veränderte Perspektive (und nicht um ein gesondertes Unterrichtsfach, Lernfeld oder Ähnliches) handelt, die als Querschnittsaufgabe in allen Bildungsstrukturen – formaler, non-formaler oder informeller Art – berücksichtigt werden soll.

Inwiefern ist die Idee nachhaltiger Entwicklung jedoch in den Strukturen der beruflichen Bildung verankert?

Der Beantwortung dieser Frage kann sich zum einen mit Verweis auf eine quantitative Studie zur Umsetzung von Bildung für nachhaltige Entwicklung im Kontext beruflicher Bildung genähert werden, die im Rahmen des UNESCO-WAP durchgeführt wurde. Zum anderen wurde vor dem Hintergrund der Ergebnisse der quanitativen Studie auf Seiten des schulischen Teils der wirtschaftsberuflichen Bildung eine eigene curriculare Analyse der Rahmenlehrpläne für die Ausbildungsberufe Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement und Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce durchgeführt.

3.1 Quantitative Studie: Verankerung von Bildung für nachhaltige Entwicklung in der dualen beruflichen Ausbildung

Die quantitative Studie zum Stand der Implementierung von Bildung für nachhaltige Entwicklung in der beruflichen Bildung wurde vom Institut Futur der Freien Universität Berlin im Zeitraum vom 01.08.2016 bis zum 31.01.2017 durchgeführt und bezog sich auf die Dokumentenanalyse überwiegend von einschlägigen Gesetzen und Verordnungen – darunter auch aktuelle Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrpläne – der dualen Berufsausbildung[3]. Konkret wurden folgende Dokumente analysiert:

  • Bundesgesetze der beruflichen Bildung
  • Landesschulgesetze der Bundesländer Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen
  • Ausbilder-Eignungsverordnung, inkl. Empfehlung des Hauptausschusses des BIBB zum Rahmenplan für die Ausbildung der Ausbilder und Ausbilderinnen
  • Empfehlung des Hauptausschusses des BIBB
  • Beschlüsse und Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz zur beruflichen Bildung
  • Beschlüsse und Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur Lehrerbildung
  • Nationaler Bildungsbericht, Kapitel E, Berufliche Ausbildung
  • Berufsbildungsbericht und Datenreport des Bundesinstituts für Berufsbildung und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
  • Ausgezeichnete Netzwerke der beruflichen Bildung
  • Aktuelle Ausbildungsordnungen und ihre Vorgängerversionen sowie aktuelle Rahmenlehrpläne der KMK und ihre Vorgängerversionen folgender Ausbildungsberufe:
    • Kaufleute für Einzelhandel
    • Kraftfahrzeug-Mechatroniker/in
    • Kaufleute für Büromanagement
    • Anlagenmechaniker SHK (Sanitär, Heizung & Klimatechnik)
    • Chemikant/in
    • Dachdecker/in
    • Landwirt/in
    • Kaufleute für Tourismus
    • Fachkraft für Lagerlogistik
    • Kaufleute für Spedition und Logistikdienstleistung
    • Medizinische/r Fachangestellte/r
    • Koch/Köchin
    • Fachinformatiker/in
    • Verwaltungsfachangestellte/r
  • Verordnungen zu den Aufstiegsfortbildungen
  • Modulbeschreibungen aus der Berufslehrerbildung
  • Ausgezeichnete Einrichtungen
  • Ausgezeichnete Netzwerke
  • Nachhaltigkeitsberichte und Corporate Sustainability Reports, „um den Stand der Verankerung von BNE in Unternehmen und somit die betriebliche Weiter- und Fortbildung zu erfassen“ (Otte/Singer-Brodowski 2017, 3).

(vgl. Otte/Singer-Brodowski 2017, 2)

Analysiert wurden diese Dokumente im Rahmen der Studie lexikalisch mit Hilfe der Software MAXQDA im Hinblick auf die Schlagwortlisten „Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung, sowie Bildung für nachhaltige Entwicklung und verwandte Bildungskonzepte (Umweltbildung, Globales Lernen etc.) (konzeptuelle Schlagwortliste) und andererseits Themenstellungen der Nachhaltigkeit, wie Umweltschutz, Klimawandel etc. (inhaltliche Schlagwortliste)“ (Otte/Singer-Brodowski 2017, 3).

Das Fazit der Dokumentenanalyse liest sich im Hinblick auf den Stand der Implementierung von Bildung für nachhaltige Entwicklung in der beruflichen Bildung verheerend. So hat die Analyse ergeben, dass „BNE und verwandte Bildungskonzepte […] in den analysierten Dokumenten […] noch eine geringe Rolle“ (Otte/Singer-Brodowski 2017, 7) spielen und dass – fernab von reinem Umweltschutz – „die Thematisierung von Nachhaltigkeit als mehrdimensionales Konzept für die Berufsausbildung […] im Wesentlichen ein Desiderat“ (ebd.) ist.

Da die Studie jedoch lediglich die quantitative Nennung einschlägiger Schlagworte in den Fokus rückt und damit beispielsweise Nachhaltigkeitsverständnisse, die lexikalisch nicht unter dem Label „Nachhaltigkeit“ oder Ähnlichem gefasst werden (vgl. Abschnitt 2) unidentifiziert geblieben sein könnten, bedarf dieses verheerende Fazit einer kritischen Reflexion.

Um dem zu begegnen, wird im folgenden Abschnitt auf Seiten des schulischen Teils der wirtschaftsberuflichen Bildung eine detaillierte curriculare Analyse zur Verankerung der Nachhaltigkeitsidee in den Rahmenlehrplänen für die Ausbildungsberufe Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement und Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce durchgeführt.

3.2 Curriculare Analyse der Rahmenlehrplänen für die Ausbildungsberufe Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement und Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce

Das Ergebnis der quantitativen Studie, dass die Thematisierung von Nachhaltigkeit als mehrdimensionale Idee im Wesentlichen ein Desiderat der beruflichen Bildung darstellt, wird nun anhand einer Analyse der Rahmenlehrpläne für die Ausbildungsberufe Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement und Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce[4] im Hinblick auf die oben skizzierte Nachhaltigkeitsidee (vgl. Abschnitt 2) befragt. Konkret steht folgende Frage im Mittelpunkt der Analyse:

  • Inwiefern ist die Nachhaltigkeitsidee explizit sowie im weitesten Sinne implizit in den Rahmenlehrplänen für die Ausbildungsberufe Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement und Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce verankert?

Im Rahmen der Analyse wird diese Frage zum einen im Hinblick auf die Vorbemerkungen (Teil I), den Bildungsauftrag der Berufsschule (Teil II) und die didaktischen Grundsätze (Teil III) beantwortet, wie sie deckungsgleich sowohl in der „Handreichung für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz für den berufsbezogenen Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen des Bundes für anerkannte Ausbildungsberufe“ (KMK 2018, 13 ff.), als auch in der so genannten Präambel der jeweiligen Rahmenlehrpläne (KMK 2013, 2 ff.; KMK 2017, 2 ff.) erläutert sind. Zum anderen werden diese beiden Fragen im Hinblick auf die berufsbezogenen Vorbemerkungen (Teil IV) sowie die einzelnen Lernfelder (Teil V) der jeweiligen Ausbildungsberufe (KMK 2013, 6 ff.; KMK 2017, 6 ff.) beantwortet.

Tabelle 1: Analysedesign (eigene Darstellung)

 

Explizite Verankerung der Nachhaltigkeitsidee

Implizite Verankerung der Nachhaltigkeitsidee

Vorbemerkungen (Teil I)

   

Bildungsauftrag der Berufsschule (Teil II)

   

Didaktische Grundsätze

(Teil III)

   

Berufsbezogene Vorbemerkungen (Teil IV) Büromanagement

   

Berufsbezogene Vorbemerkungen (Teil IV)

E-Commerce

   

Lernfelder (Teil V) Büromanagement

   

Lernfelder (Teil V)

E-Commerce

   

Bezüglich der Präambeln der Rahmenlehrpläne lässt sich feststellen, dass sich die Nachhaltigkeitsidee im Bildungsauftrag der Berufsschule, in den didaktischen Grundsätzen sowie in den berufsbezogenen Vorbemerkungen sowohl des Ausbildungsberufs Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement als auch des Ausbildungsberufs Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce identifizieren lässt.

So ist im Bildungsauftrag konkret die Rede davon, dass die Berufsschule den Auftrag hat, den „Schülern und Schülerinnen berufsbezogene und berufsübergreifende Handlungskompetenz zu vermitteln“ (KMK 2013, 3; KMK 2017, 3). Konkretisiert wird dieser Anspruch, dass die Berufsschule nicht lediglich beruflich qualifizieren soll, sodann explizit nachhaltigkeitsorientiert mit den Worten, dass die Lernenden „zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und der Gesellschaft in sozialer, ökonomischer und ökologischer Verantwortung, insbesondere vor dem Hintergrund sich wandelnder Anforderungen, befähigt“ (ebd.) werden sollen. Dieser Anspruch lässt sich im weiteren Verlauf der Erläuterungen des Bildungsauftrags nochmals – wenn auch nicht explizit, so doch immerhin im Hinblick auf den Verantwortungsbegriff – in der Konkretisierung von Handlungskompetenz als zentrales Förderungsziel der Berufsschule wiederfinden. Konkret wird Handlungskompetenz im Kontext des Bildungsauftrags verstanden als „die Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten“ (ebd.). Da sich Handlungskompetenz in den Dimensionen Fach-, Selbst- sowie Sozialkompetenz entfaltet und Methodenkompetenz, kommunikative Kompetenz sowie Lernkompetenz immanente Bestandteile dieser Dimensionen sind, findet sich der Anspruch einer nachhaltigkeitsorientierten Berufsbildung teilweise und größtenteils implizit auch in diesen Ausdifferenzierungen wieder. So wird im Rahmen der Selbstkompetenz unter anderem die Förderung der Persönlichkeitseigenschaft Verantwortungsbewusstsein sowie die „Entwicklung durchdachter Wertvorstellungen und die selbstbestimmte Bindung an Werte“ (ebd., 4) eingefordert. Außerdem wird im Rahmen der Sozialkompetenz unter anderem die Förderung der verantwortungsbewussten Auseinandersetzung und Verständigung mit anderen eingefordert, was „insbesondere auch die Entwicklung sozialer Verantwortung und Solidarität“ (ebd.) umfasst. Letztlich wird zudem im Rahmen der kommunikativen Kompetenz die Förderung der Bereitschaft und Fähigkeit eingefordert, „eigene Absichten und Bedürfnisse sowie die der Partner wahrzunehmen, zu verstehen und darzustellen“ (ebd.).

In den didaktischen Grundsätzen lässt sich die Nachhaltigkeitsidee ebenfalls identifizieren. So sind im Rahmen von Handlungen des handlungsorientierten Unterrichts zum einen „das ganzheitliche Erfassen der beruflichen Wirklichkeit, zum Beispiel technische, sicherheitstechnische, ökonomische, rechtliche, ökologische, soziale Aspekte“ (KMK 2013, 5; KMK 2017, 5) zu fördern. Auffällig ist jedoch, dass die Dimensionen der Nachhaltigkeitsidee in diesem Fall lediglich beispielhaft und nebeneinanderstehend genannt werden. Zum anderen sollen im Rahmen von Handlungen des handlungsorientierten Unterrichts Erfahrungen der Lernenden aufgegriffen und „in Bezug auf ihre gesellschaftlichen Auswirkungen“ (ebd.) reflektiert werden. In Kombination mit dem zuvor genannten didaktischen Grundsatz lässt dies erneut auf implizite Weise die Nachhaltigkeitsidee erkennen.

In den berufsbezogenen Vorbemerkungen des Ausbildungsberufs Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement wird die Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsidee erstens implizit eingefordert, indem betont wird, dass die Lernenden im Rahmen ihrer Ausbildung dazu befähigt werden sollen, „innovativ und umweltbewusst zu handeln, gesundheitsbewusst und gewaltfrei zu agieren und Selbstverantwortung für ihr Leben und Lernen zu übernehmen“ (KMK 2013, 7). Zweitens wird die Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsidee zudem explizit – wenn auch mit gewisser Redundanz – mit folgenden Worten eingefordert: „In allen Lernfeldern werden die Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie und Soziales –, des wirtschaftlichen Denkens, der soziokulturellen Unterschiede und der Inklusion berücksichtigt.“ (ebd.)

In den berufsbezogenen Vorbemerkungen des Ausbildungsberufs Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce wird die Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsidee mit den gleichen Worten, wie denen des vorherigen Zitats, eingefordert (vgl. KMK 2017, 6).

Bezüglich der Lernfelder des Ausbildungsberufs Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement lässt sich feststellen, dass die Auseinandersetzung mit der Nachhaltigkeitsidee explizit lediglich an sieben Stellen, die sich auf drei der 13 Lernfelder aufteilen, eingefordert wird. So wird erstens im Lernfeld drei „Aufträge bearbeiten“ von den Lernenden verlangt, dass sie bei der Bearbeitung von Aufträgen „die Interessen des Betriebes, unterschiedliche Bedürfnisse der Kunden und Gesichtspunkte der Nachhaltigkeit“ (KMK 2013, 12) berücksichtigen. Außerdem wird in diesem Lernfeld von den Lernenden verlangt, dass sie Schriftstücke vervielfältigen und „geeignete Datenformate auch unter Beachtung nachhaltiger Gesichtspunkte“ (ebd.) nutzen. Zweitens wird in Lernfeld vier „Sachgüter und Dienstleistungen beschaffen und Verträge schließen“ von den Lernenden verlangt, bei der Ermittlung des Bedarfs an betriebsnotwendigen Gütern „das ökonomische Prinzip sowie Aspekte des nachhaltigen Wirtschaftens“ (ebd., 13) zu beachten. Weiterhin sollen sie „die Beschaffungsprozesse hinsichtlich nachhaltiger Wirkungen“ (ebd.) beurteilen und „begründete Möglichkeiten ihrer Optimierung“ (ebd.) aufzeigen sowie „ihre Mitverantwortung für Menschen und Umwelt im Zusammenhang mit Beschaffungs- und Lagerhaltungsprozessen“ (ebd.) reflektieren. Und drittens wird in Lernfeld zwölf „Veranstaltungen und Geschäftsreisen organisieren“ von den Lernenden verlangt, dass sie bei der Wahl geeigneter Verkehrswege und -mittel sowie Übernachtungsmöglichkeiten für Geschäftsreisen „die Dauer, Entfernungen und örtliche Gegebenheiten des Reiseziels und den Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit“ (ebd., 23) beachten.

Bezüglich der Lernfelder des Ausbildungsberufs Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce lassen sich im Hinblick auf die explizite Einforderung der Auseinandersetzung mit der Nachhaltigkeitsidee fünf Stellen finden, die sich auf vier der zwölf Lernfelder aufteilen. So sollen sich die Lernenden erstens in Lernfeld eins „Das Unternehmen präsentieren und die eigene Rolle mitgestalten“ „auch anhand des Unternehmensleitbildes, eigenständig über die ökonomischen, ökologischen und sozialen Zielsetzungen des Unternehmens“ (KMK 2017, 9) informieren. Außerdem sollen sie im gleichen Lernfeld „gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Anforderungen an ihre Berufsrolle“ (ebd.) respektieren. Zweitens sind die Lernenden in Lernfeld drei „Verträge im Online-Vertrieb anbahnen und bearbeiten“ dazu aufgefordert, Entscheidungen bei der Verkaufsprozessgestaltung unter anderem am Kriterium Nachhaltigkeit zu beurteilen (vgl. ebd., 12). Drittens sollen die Lernenden in Lernfeld acht „Wertschöpfungsprozesse erfolgsorientiert steuern“ im Kontext der Kosten- und Leistungsrechnung „Maßnahmen zur Kostensenkung unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit“ (ebd., 18) vorschlagen. Und viertens sollen die Lernenden in Lernfeld elf „Gesamtwirtschaftliche Einflüsse bei unternehmerischen Entscheidungen berücksichtigen“ „Auswirkungen des E-Commerce auf die Gesellschaft und die Umwelt“ (ebd., 21) beurteilen.

Neben diesen wenigen Stellen in den Lernfeldern der Ausbildungsberufe Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement sowie Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce, an denen explizit eine Auseinandersetzung mit der Nachhaltigkeitsidee eingefordert wird, lassen sich weitere Stellen identifizieren, die zumindest – neben der in der betriebswirtschaftlich-kaufmännischen Domäne vorherrschenden ökonomischen Dimension – die ökologische und die soziale Dimension der Nachhaltigkeitsidee einzeln adressieren.

So sollen die Lernenden im Rahmen des Ausbildungsberufs Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement in Lernfeld eins „Die eigene Rolle im Betrieb mitgestalten und den Betrieb präsentieren“ die eigene Einstellung hinterfragen, die Vorstellungen anderer respektieren und Schlussfolgerungen für ihr zukünftiges Handeln ziehen (vgl. KMK 2013, 9). Außerdem sind die Lernenden in Lernfeld zwei „Büroprozesse gestalten und Arbeitsvorgänge organisieren“ dazu aufgefordert – im Sinne des Gesundheitsschutzes – „gesetzliche Vorschriften zur Gestaltung des Arbeitsplatzes und -raumes sowie ergonomische und ökologische Erfordernisse“ (ebd., 10) zu erkunden, „unter ergonomischen, ökologischen und ablauforganisatorischen Aspekten die Gestaltung des Arbeitsplatzes“ (ebd.) zu planen sowie auf „die Arbeitssicherheit und die Erhaltung und Förderung ihrer Gesundheit“ (ebd.) zu achten. Ebenfalls in diesem Lernfeld sind die Lernenden dazu herausgefordert, „den Beitrag, den sie selbst erbringen können, um ein gelingendes Miteinander im Ausbildungsbetrieb zu gewährleisten“ (ebd., 11) zu hinterfragen und dabei die Wertvorstellungen der Kolleginnen und Kollegen zu respektieren (vgl. ebd.). In Lernfeld fünf „Kunden akquirieren und binden“ sind die Lernenden zudem dazu aufgefordert, dass sie „wirtschaftliche, rechtliche, und ethische Grenzen der Werbung“ (ebd., 14) berücksichtigen und dabei eigene Wertvorstellungen zu artikulieren und die anderer zu berücksichtigen (vgl. ebd.). Darüber hinaus sollen die Lernenden in diesem Lernfeld „die ökonomischen Wirkungen von Marketingmaßnahmen und deren Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse“ (ebd.) beurteilen. An diesen beiden Stellen lässt sich – wenn auch teils vage – die soziale Dimension der Nachhaltigkeitsidee identifizieren. Diese lässt sich zudem – ebenfalls vage und mit Wohlwollen – auch in Lernfeld sieben „Gesprächssituationen gestalten“ wiederfinden. Denn die Lernenden sollen hier „interkulturelle Besonderheiten ermitteln“ (ebd., 16), „ein Gespür für die emotionale Lage des Gesprächspartners“ (ebd.) entwickeln und Techniken verwenden, „mit den Emotionen sinnvoll umzugehen, ohne sich und anderen zu schaden“ (ebd.). Ein weiterer Aspekt der sozialen Dimension der Nachhaltigkeitsidee findet sich in Lernfeld acht „Personalwirtschaftliche Aufgaben wahrnehmen“. So wird von den Lernenden verlangt, „Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Fortbildungsmaßnahmen vor[zuschlagen], die lebenslanges Lernen ermöglichen und zur Sicherung des Arbeitsplatzes beitragen“ (ebd., 18 f.). In Lernfeld zehn „Wertschöpfungsprozesse erfolgsorientiert steuern“ sollen die Lernenden zudem „die eigene Einstellung zur Arbeit“ (ebd., 21) hinterfragen und die Vorstellungen anderer hinterfragen, was – ebenfalls vage – auf die Berücksichtigung der sozialen Nachhaltigkeitsdimension hindeuten könnte. Letztlich lassen sich die ökologische und die soziale Dimension der Nachhaltigkeitsidee auch in Lernfeld elf „Geschäftsprozesse darstellen und optimieren“ hineininterpretieren. Denn hier sollen die Lernenden Vorschläge zur Optimierung von Geschäfts- und Arbeitsprozessen entwickeln sowie dokumentieren und diese dabei unter anderem „im Hinblick auf die Kosteneinsparung, den Ressourceneinsatz, die Arbeitsplatzsicherheit sowie auf die Kundenzufriedenheit“ (ebd., 22) beurteilen.

Im Rahmen des Ausbildungsberufs Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce lassen sich neben der ohnehin berücksichtigten ökonomischen Nachhaltigkeitsdimension die ökologische und die soziale Dimension nachhaltiger Entwicklung einzeln an folgenden Stellen identifizieren: In Lernfeld eins „Das Unternehmen präsentieren und die eigene Rolle mitgestalten“ sollen die Lernenden „unternehmensspezifische Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit“ (KMK 2017, 9) erkunden sowie Wertschätzung und Kooperationsbereitschaft „im Umgang miteinander, auch sensibilisiert im Sinne des inklusiven Gedankens“ (ebd.) zeigen.  In Lernfeld fünf „Rückabwicklungsprozesse und Leistungsstörungen bearbeiten“ werden die Lernenden dazu aufgefordert, „Maßnahmen zur Verringerung von Retouren, Stornierungen sowie Nicht- und Nachlieferungen auch unter ökologischen Aspekten“ (ebd., 14) vorzuschlagen. In Lernfeld sechs „Servicekommunikation kundenorientiert gestalten“ sind die Lernenden sodann dazu herausgefordert, „Empathie für kulturbedingte Besonderheiten“ (ebd., 15) zu zeigen, was vage die soziale Nachhaltigkeitsdimension adressiert. Diese wird ebenfalls in Lernfeld sieben „Online-Marketing-Maßnahmen umsetzen und bewerten“ adressiert, indem sich die Lernenden kritisch mit dem Einfluss von Online-Marketing-Maßnahmen auf gesellschaftliche Prozesse auseinandersetzen und vor diesem Hintergrund die eigenen Wertvorstellungen hinterfrage sollen (vgl. ebd., 17). Schließlich sollen die Lernenden in Lernfeld elf „Gesamtwirtschaftliche Einflüsse bei unternehmerischen Entscheidungen berücksichtigen“ das ökologische Prinzip im Kontext der Analyse der „Bedeutung ihres Unternehmens im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang“ (ebd., 21) und der Informationsbeschaffung „über die Zielsetzungen und das Zusammenwirken der Wirtschaftsteilnehmer“ (ebd.) berücksichtigen.

Analysiert man die Lernfelder der Ausbildungsberufe Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement und Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce noch im Hinblick auf den Verantwortungsbegriff, auf dem auch die Nachhaltigkeitsidee fußt (vgl. Abschnitt 2), lassen sich weitere Stellen identifizieren, in die man die Nachhaltigkeitsidee zumindest hineininterpretieren könnte.

So haben die Lernenden im Ausbildungsberuf Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement in Lernfeld eins „Die eigene Rolle im Betrieb mitgestalten und den Betrieb präsentieren“ zunächst „ihren Verantwortungsbereich im Betrieb“ (KMK 2013, 9) zu klären. Außerdem haben die Lernenden im Lernfeld drei „Aufträge bearbeiten“ ihre Arbeitsweise zu reflektieren und sollen „sich stets ihrer Verantwortung bewusst“ (ebd., 12) sein. Weiterhin wird in Lernfeld vier „Sachgüter und Dienstleistungen beschaffen und Verträge schließen“ von den Lernenden eingefordert, „ihren Verantwortungsbereich bei der Durchführung von Beschaffungs- und Lagerhaltungsprozessen“ (ebd., 13) zu definieren. In Lernfeld fünf „Kunden akquirieren und binden“ sollen die Lernenden sodann einschätzen, inwiefern Marketingmaßnahmen „der Verantwortung des Betriebes für unterschiedliche Interessengruppen gerecht werden“ (ebd., 14). Im darauffolgenden Lernfeld sechs „Wertströme erfassen und beurteilen“ ergeht zudem die Anforderung an die Lernenden, „konzentriert, verantwortungsbewusst und sorgfältig“ (ebd., 15) zu arbeiten. Eine ähnliche Anforderung wird in Lernfeld sieben „Gesprächssituationen gestalten“ formuliert, indem die Lernenden dazu aufgefordert sind, „Bereitschaft und Flexibilität [zu zeigen], Gespräche engagiert und verantwortungsbewusst zu führen“ (ebd., 16). Außerdem sollen die Lernenden die Interessen des Betriebs vertreten und „sich verantwortungsvoll den Geschäftspartnern und sich selbst gegenüber“ (ebd.) verhalten. In Lernfeld acht „Personalwirtschaftliche Aufgaben wahrnehmen“ sind die Lernenden zudem dazu herausgefordert, im Rahmen von personalwirtschaftlichen Entscheidungen „die konjunkturelle Situation und gesellschaftliche Faktoren (Demografie, außenwirtschaftliche Entwicklungen) und gesellschaftliche Verantwortung (Inklusion, Migration)“ (ebd., 18) zu berücksichtigen. Weiterführend sollen die Lernenden in Lernfeld zehn „Wertschöpfungsprozesse erfolgsorientiert steuern“ „ihre Verantwortung für die Kosten und Leistungen des Betriebes“ (ebd., 21) erkennen und ihre Einflussmöglichkeiten überprüfen. In Lernfeld zwölf „Veranstaltungen und Geschäftsreisen organisieren“ wird von den Lernenden sodann eingefordert, „Bereitschaft und Flexibilität [zu zeigen], Veranstaltungen und Geschäftsreisen engagiert und verantwortungsbewusst zu organisieren“ (ebd., 23), bevor an die Lernenden im Rahmen des Lernfelds 13 „Ein Projekt planen und durchführen“ die Kompetenzförderung dahingehend ausgerichtet ist, „selbstständig und eigenverantwortlich ein branchenbezogenes Projekt von der Projektidee bis zur Projektauswertung zu realisieren“ (ebd., 24).

Im Ausbildungsberuf Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce lässt sich der Verantwortungsbegriff an folgenden Stellen finden: In Lernfeld eins „Das Unternehmen präsentieren und die eigene Rolle mitgestalten“ sollen die Lernenden grundsätzlich die eigene Rolle im Betrieb selbstverantwortlich wahrnehmen und mitgestalten (vgl. KMK 2017, 9). In Lernfeld drei „Verträge im Online-Vertrieb anbahnen und bearbeiten“ sind die Lernenden dazu aufgefordert „die Bedeutung des Datenschutzes und der Datensicherheit auch für ihr eigenes Leben und ihre Mitverantwortung in der Gesellschaft“ (ebd., 12) zu reflektieren. In Lernfeld vier „Wertströme erfassen, auswerten und beurteilen“ sollen die Lernenden ihre Aufgaben „konzentriert, sorgfältig und verantwortungsbewusst“ (ebd., 13) erfüllen. Weiterhin sollen die Lernenden in Lernfeld fünf „Rückabwicklungsprozesse und Leistungsstörungen bearbeiten“ Rückabwicklungen selbstständig „im Bewusstsein ihrer Verantwortung für den Geschäftserfolg“ (ebd., 14) bearbeiten. In Lernfeld neun „Online-Vertriebskanäle auswählen“ wird von den Lernenden verlangt einzuschätzen, inwiefern die Berücksichtigung ausgewählter neuer Online-Vertriebskanäle der „gesamtgesellschaftlichen Verantwortung des Unternehmens für unterschiedliche Interessengruppen“ (ebd., 19) gerecht wird. In Lernfeld zehn „Den Online-Vertrieb kennzahlengestützt optimieren“ sollen die Lernenden Optimierungspotenziale des Online-Vertriebs „im eigenen Verantwortungsbereich“ (ebd., 20) vornehmen sowie „[i]nternen Bereichen und externen Dienstleistern […] Optimierungspotenziale in deren Verantwortungsbereichen“ (ebd.) aufzeigen. Schließlich sind die Lernenden in Lernfeld zwölf „Berufsbezogene Projekte durchführen und bewerten“ dazu aufgefordert, den Ablauf eines Projekts eigenverantwortlich zu planen und zu strukturieren sowie im Kontext des Projektverlaufs „Verantwortung im Team“ (ebd., 22) zu übernehmen.

Zusammengenommen wird somit deutlich, dass sich der Verantwortungsbegriff in etlichen Lernfeldern der Ausbildungsberufe Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement und Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce wiederfindet und die Lernenden im Lernfeldunterricht grundsätzlich dazu herausgefordert sind, umfangreich Verantwortung zu übernehmen. Ebenso deutlich wird jedoch, dass der Verantwortungsbegriff in den meisten Fällen nicht konkretisiert wird und damit unscharf bleibt. Wer Verantwortung übernehmen soll, wird dabei zwar benannt. Offen bleibt jedoch in einigen Fällen die Frage, welche Art von Verantwortung übernommen werden soll, in anderen Fällen die Frage, wem gegenüber Verantwortung übernommen werden soll und in weiteren Fällen bleiben gar beide Fragen offen. Im Hinblick auf die Verankerung der Nachhaltigkeitsidee verdeutlicht diese Feststellung, dass ein nachhaltigkeitsorientiert konkretisierter Verantwortungsbegriff in den Lernfeldern – abgesehen von einer Erwähnung gesellschaftlicher Verantwortung in den Lernfeldern des Ausbildungsberufs Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement und zwei Erwähnungen in den Lernfeldern des Ausbildungsberufs Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce – nicht explizit adressiert wird.

Eine weitere Einschränkung der ohnehin bereits identifizierten geringen Verankerung der Nachhaltigkeitsidee in den Lernfeldern ist dadurch gegeben, dass in den Lernfeldern lediglich kursiv markierte Begriffe zu thematisierende Mindestinhalte darstellen (vgl. KMK 2013, 25; KMK 2017, 23).

In den Lernfeldern des Ausbildungsberufs Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement sind – im weitesten Sinne – im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsidee nur die Begriffe „Stress, Burnout“, „Mobbing“, „Bewegung, Ernährung, Stressregulation, Suchtprävention“, „Selbstwirksamkeit“, „gewaltfreie Kommunikation“, „Demografie“ und „Inklusion, Migration“ kursiv markiert (vgl. KMK 2013, 10 ff.). Und in den Lernfeldern des Ausbildungsberufs Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce ist diesbezüglich gar lediglich der eine Begriff „ökologisches Prinzip“ kursiv markiert (vgl. KMK 2017, 21).

Nachhaltigkeit könnte somit im Lernfeldunterricht gar marginalisiert werden, wenn lediglich nach Mindestmaß unterrichtet werden würde. Denn die aufgeführten Begriffe mit einem Hang zum Thema Gesundheit adressieren überwiegend die soziale Dimension der Nachhaltigkeitsidee, wobei sich die Begriffe „Ernährung“, „Demografie“ und „Migration“ mit entsprechender Interpretationsperspektive ohne Zweifel auch für eine ganzheitliche Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsidee eignen würden.

Als Antwort auf die Ausgangsfrage der curricularen Analyse, inwiefern die Nachhaltigkeitsidee in den Rahmenlehrplänen für die Ausbildungsberufe Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement und Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce explizit sowie im weitesten Sinne implizit verankert ist, lässt sich nun ein differenzierteres Bild als in der zuvor skizzierten quantitativen Dokumentenanalyse abzeichnen. Denn zwar kann auf der einen Seite – die Studie bestätigend – konstatiert werden, dass die Nachhaltigkeitsidee als mehrdimensionales Konzept in den Lernfeldern der analysierten Rahmenlehrpläne weitestgehend ein Desiderat darstellt. Denn konkret wird die Nachhaltigkeitsidee – wenn überhaupt – lediglich verbal an das traditionelle, überwiegend effizienzrationale Verständnis von Wirtschaften angehängt und bleibt somit oftmals dekontextualisiert und optional. Doch findet sich der Anspruch, im Rahmen des Berufsschulunterrichts die Nachhaltigkeitsidee als mehrdimensionales Konzept zu berücksichtigen, auf der anderen Seite sowohl im grundsätzlichen Bildungsauftrag der Berufsschule (Teil II) als auch in den berufsbezogenen Vorbemerkungen (Teil IV) der beiden analysierten Rahmenlehrpläne wieder. Konkret finden sich die Formulierungen, dass die Auszubildenden „zur Erfüllung der spezifischen Aufgaben im Beruf sowie zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und der Gesellschaft in sozialer, ökonomischer und ökologischer Verantwortung“ (KMK 2013, 3; KMK 2017, 3) befähigt werden sollen und, dass in „allen Lernfeldern […] die Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie und Soziales“ (KMK 2013, 7; KMK 2017, 6) berücksichtigt werden. Da dieser Anspruch in den einzelnen Lernfeldern de facto jedoch weitestgehend nicht konkretisiert bzw. materialisiert wird, geht damit der normative Anspruch an Rezipierende der Rahmenlehrpläne einher, die Lernfelder vor dem Hintergrund der im Bildungsauftrag der Berufsschule sowie den berufsbezogenen Vorbemerkungen formulierten mehrdimensionalen Nachhaltigkeitsidee zu re-interpretieren. Die oben skizzierte Nachhaltigkeitsformulierung in den berufsbezogenen Vorbemerkungen müsste somit – treffender – wie folgt formuliert sein bzw. kann diese wie folgt normativ verstanden werden:

„In allen Lernfeldern sollen die Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie und Soziales berücksichtigt werden.“

4 Plädoyer für eine ehrliche Lehrplanrezeption im Kontext von Nachhaltigkeit

Das in der zuvor durchgeführten curricularen Analyse herausgearbeitete normative „sollen“ im Hinblick auf die Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsdimensionen in allen Lernfeldern der Rahmenlehrpläne für die Ausbildungsberufe Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement und Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce rückt die Frage nach der tatsächlichen Quantität und Qualität der praktischen Gestaltung einer beruflichen Bildung für nachhaltige Entwicklung in den Mittelpunkt der Betrachtung. So hat der letzte Abschnitt zunächst erst einmal „lediglich“ Hinweise zur Verankerung der Nachhaltigkeitsidee in den formalen Strukturen und genauer überwiegend in einschlägigen Gesetzen und Verordnungen der beruflichen Bildung gegeben, die zwar – falls eine Verankerung überhaupt vorliegt – eine wesentliche, jedoch nicht zwangsläufig hinreichende Bedingung für die Gestaltung einer beruflichen Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Praxis darstellt (vgl. Otte/Singer-Brodowski 2017, 3). Somit bleibt letztlich offen, wie das „sollen“ in den einzelnen Lernfeldern konkret umgesetzt wird. Denn eine curriculare Analyse kann lediglich bildungspolitische Ansprüche an die Unterrichtsgestaltung identifizieren. Nicht abgeleitet werden können Eindrücke über die Gestaltung von konkreten Unterrichtseinheiten auf Basis der normativen Ansprüche der Rahmenlehrpläne. Anders formuliert: Schulen bzw. Lehrerinnen und Lehrer sind für die Gestaltung konkreter Unterrichtseinheiten auf Basis der als offen zu bezeichnenden Rahmenlehrpläne (vgl. exemplarisch Gerholz/Sloane 2008, 10 ff.) letztlich selbst verantwortlich. Verdeutlichen lässt sich dieser – positiv gewendet – Gestaltungsfreiraum der Eigenverantwortung (vgl. BWP Oldenburg 2019, 5 f.), mit Bezugnahme auf die These, dass der Lernfeldansatz auf einem so zu bezeichnenden Lernfeldparadoxon fußt (vgl. ausführlich Fischer/Hantke 2019b). So zeichnet sich – die vorangegangene curriculare Analyse zusammenfassend – der Lernfeldansatz durch folgende zwei Perspektiven aus, die sich im Hinblick auf (Nicht-) Nachhaltigkeit zu widersprechen scheinen:

  • Auf der einen Seite steht das Lernfeld-Konzept, in dem sich eine transformatorische Bildungsidee (vgl. exemplarisch Koller 2012, 15 ff.) im Kontext nachhaltiger Entwicklung identifizieren lässt (vgl. Abschnitt 3.2). Das hierbei adressierte mehrdimensionale Handeln erfordert „eher integrative, sozialwissenschaftliche Zugänge“ (Fischer/Hantke 2019b, 94). Diese Perspektive findet sich in der KMK-Handreichung für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen (vgl. KMK 2018, 10 ff.) sowie in den Teilen eins, drei und vier der analysierten Rahmenlehrpläne (vgl. Abbildung 2).
  • Auf der anderen Seite stehen die an betrieblichen Situationen orientierten Lernfeld-Vorgaben, in denen sich die Nachhaltigkeitsidee nur vereinzelt explizit und in diesen Fällen überwiegend an das traditionelle, überwiegend effizienzrationale Verständnis von Wirtschaften angehängt identifizieren lässt (vgl. Abschnitt 3.2). Dadurch wird „eher monoperspektivisch ausgerichtetes betriebswirtschaftlich-kaufmännisches und volkswirtschaftliches Denken und Handeln gefördert“ (Fischer/Hantke 2019b, 94; vgl. auch Kutscha 2019, 1 ff.), das der mehrdimensionalen Nachhaltigkeitsidee diametral entgegensteht. Diese Perspektive findet sich überwiegend in den einzelnen Lernfeldern der analysierten Rahmenlehrpläne (vgl. Abbildung 2).

Dieses Lernfeldparadoxon fordert Schulen bzw. Lehrerinnen und Lehrer dazu heraus, ihre schulinternen Lehrpläne, didaktischen Jahresplanungen, Lehr-Lern-Arrangements etc. so zu gestalten, dass sie sowohl der Perspektive des Lernfeld-Konzepts als auch der Perspektive der Lernfeld-Vorgaben entsprechen. Die gleichzeitige Rezeption dieser beiden Perspektiven kann als produktiver Prozess der Lehrplanrezeption (vgl. Sloane 2003, 3) im Sinne einer nachhaltigkeitsorientierten Re-Interpretation von (wirtschafts-) beruflichen Qualifikationsanforderungen – kurz: als Gestaltung einer kritisch-transformativen Berufsbildung im Kontext nachhaltiger Entwicklung – angesehen werden.

Abbildung 2: Produktive Lehrplanrezeption (eigene Darstellung in Anlehnung an Sloane 2003, 3 und Fischer/Hantke 2019a, 113)Abbildung 2: Produktive Lehrplanrezeption (eigene Darstellung in Anlehnung an Sloane 2003, 3 und Fischer/Hantke 2019a, 113)

Anders formuliert: Werden die analysierten Rahmenlehrpläne ehrlich rezipiert, provozieren diese aufgrund des Lernfeldparadoxons auf Seiten der Rezipierenden intra- und interpersonale Diskurse zur Frage, inwiefern sie die Lernfeld-Vorgaben vor dem Hintergrund des im Lernfeld-Konzept formulierten Anspruchs der Nachhaltigkeitsberücksichtigung re-interpretieren könnten, sollten oder müssten. Diese curricular intendierten Diskurse können auch als curriculare Diskurse über eine zukunftsfähige berufliche Bildung – kurz: Zukunftsdiskurse – bezeichnet werden und damit im Bereich der beruflichen Bildung einer von Welzer (2019) so bezeichneten „Zukunftsverhinderung“ (vgl. Welzer 2019) entgegenwirken.

Diese Diskurse dürften durchaus kritisch-kontrovers aber auch transformativ ausfallen.

Kritisch-kontrovers dürften die Zukunftsdiskurse ausfallen, weil schon mit dem Selbstanspruch der integrierenden, unteilbaren sowie universellen Verfolgung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der UN-Agenda 2030 grundsätzliche Widersprüche einhergehen. Einer dieser Grundwidersprüche lässt sich beispielsweise im Hinblick auf die Ressourcennutzung identifizieren. So wird auf der einen Seite die Erkenntnis formuliert, dass „die soziale und wirtschaftliche Entwicklung vom nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Erde abhängt“ (Vereinte Nationen 2015, 10), die mit der Selbstverpflichtung korreliert, „die Art und Weise, in der unsere Gesellschaften Güter und Dienstleistungen produzieren und konsumieren, grundlegend zu verändern“ (ebd., 9). Gleichzeitig wird zudem auf der anderen Seite das Bekenntnis ausgesprochen, „den nationalen Spielraum für Politiken zugunsten eines dauerhaften, inklusiven und nachhaltigen Wirtschaftswachstums [zu] respektieren“ (ebd., 7), das auf der Einschätzung beruht, dass ein „dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum […] eine wesentliche Voraussetzung für Wohlstand“ (ebd., 8) sei (vgl. ausführlich zur Kontroverse um nachhaltiges Wachstum Hauff 2015). Diese Kontroverse birgt in der dualen Berufsausbildung ein besonderes Spannungsverhältnis, da die beiden Lernorte Berufsschule und Betrieb trotz eines gemeinsamen Bildungsauftrags je eigene, im Kontext nachhaltiger Entwicklung nicht selten divergierende Interessen verfolgen (vgl. Kutscha 2019, 3 ff.).

Und transformativ dürften die Zukunftsdiskurse ausfallen, weil der curriculare Gestaltungsfreiraum, der das Lernfeldparadoxon den Lehrplanrezipienten gibt, die Möglichkeit bietet, folgende didaktisch bezogenen Desiderata der beruflichen Bildung für nachhaltige Entwicklung auf Basis bestehender Curricula unmittelbar berücksichtigen zu können[5], was – streng genommen – durch die im Bildungsauftrag beschriebene transformatorische Bildungsidee im Kontext nachhaltiger Entwicklung auch eingefordert wird:

  • Strategie der betriebs-, berufs- und branchenspezifischen Konkretisierung von (B)NE erweitern: Zwar wird die Diffusionsstrategie der betriebs-, berufs- und branchenspezifischen Konkretisierung von Nachhaltigkeit, wie sie beispielsweise engagiert seitens des BIBB im Rahmen der Modellversuchsforschung[6] betrieben wurde und wird, vpn den Interviewpartnern als grundsätzlich erfolgversprechend angesehen (vgl. Singer-Brodowski/Grapentin-Rimek 2018, 3). Doch wird gleichzeitig betont, dass allein diese Strategie „nicht für eine grundlegende Diskussion über die Transformation der Wirtschaft und der beruflichen Bildung ausreichen“ (ebd.) wird. Vor diesem Hintergrund wird mit Bezug auf eine UNESCO-Empfehlung (vgl. UNESCO 2012) für eine berufliche Bildung im Sinne einer „transformative vocational education and training“ plädiert, die sich stärker am Menschen orientiert und damit „über eine bloße Adaption an aktuelle berufliche und gesellschaftliche Veränderungsprozessen hinausgeht und stattdessen auf deren aktive Gestaltung zielt“ (Singer-Brodowski/Grapentin-Rimek 2018, 3).
  • Politische Mündigkeit als zentrales Ziel beruflicher Bildung stärken: Außerdem wird im Kontext der vorangegangenen Empfehlung dafür plädiert, neben der „Entwicklung von Arbeitsfähigkeit“ (Singer-Brodowski/Grapentin-Rimek 2018, 4) die „politische Mündigkeit als Ziel der beruflichen Bildung wieder stärker in den Mittelpunkt zu rücken“ (ebd.). Hintergrund dieser Forderung ist die Einschätzung einiger Interviewpartner, dass die berufliche Bildung „in wissenschaftlichen Veröffentlichungen häufig ein zu enges, rein funktionales und instrumentell auf die im Beruf verwertbaren Kompetenzen orientiertes Bildungsverständnis“ (ebd.) aufweist. Dadurch werde die Förderung von politischer Mündigkeit der Lernenden „den ökonomischen Verwertungsinteressen der Berufswelt untergeordnet“ (ebd.). Vor diesem Hintergrund kommt die Studie zum Ergebnis, dass die Förderung einer mündigen Mitgestaltung der Gesellschaft helfen könnte, Nachhaltigkeitsprobleme zu bewältigen und damit die in der beruflichen Bildung vorherrschende „starke Fokussierung auf die berufliche Handlungskompetenz entscheidend ergänzen“ (ebd.) könnte (vgl. auch Kutscha 2019).
  • Zielkonflikte und Dilemmata im Nachhaltigkeitskontext stärker thematisieren: Weiterhin wird im Rahmen der Studie festgestellt, dass die Nachhaltigkeitsdebatte in der beruflichen Bildung aufgrund von „Handlungszwängen der beruflichen Realität“ (Singer-Brodowski/Grapentin-Rimek 2018, 4) faktisch durch die Dimension Ökonomie dominiert wird. Vor diesem Hintergrund plädieren die Interviewpartner dafür, ein Nachhaltigkeitsverständnis anzustreben, dass „die sozialen und die ökologischen Werte flankierend zu den wirtschaftlichen Herausforderungen kommuniziert“ (ebd.). In der didaktischen Auseinandersetzung mit der Nachhaltigkeitsidee sollen die Dimensionen jedoch nicht harmonisiert werden. Vielmehr sollen vorhandene Dilemmata sowie Ziel- und Interessenkonflikte im Kontext der beruflichen Bildung für nachhaltige Entwicklung (wie zum Beispiel zwischen ökonomischem Wachstum und Nachhaltigkeit) stärker thematisiert und damit als Chance zum bildungsbezogenen Lernen des produktiven Umgangs mit Widersprüchen anerkannt und herausgearbeitet werden, da diese „einen Raum für die Reflexion beruflicher Praxis und des eigenen Handelns darin bieten“ (ebd., 5).
  • Auszubildende als Change Agents der BBNE beteiligen und stärken: Die Interviewpartner nennen als Treiber der Diffusion einer Bildung für nachhaltige Entwicklung in die berufliche Bildung vor allem „die allgemeine öffentliche Diskussion zu Nachhaltigkeit, neue Kundenanforderungen und damit in Zusammenhang stehende innovative Geschäftsmodelle, die potentielle wirtschaftliche Attraktivität und Marktrelevanz sowie zunehmende Wettbewerbsfähigkeit von nachhaltigen Produkten“ (Singer-Brodowski/Grapentin-Rimek 2018, 5). Unterbelichtet bleibt hingegen die Rolle der Auszubildenden, die „nicht als Treiber der BNE-Diffusion“ (ebd.), sondern lediglich als Adressatinnen und Adressaten einer beruflichen Bildung für nachhaltige Entwicklung angesehen werden. Vor diesem Hintergrund wird im Rahmen der Studie empfohlen, „Auszubildende stärker als Akteure des Wandels in den Blick zu nehmen, ihnen institutionalisierte Partizipationsformate zu ermöglichen und sie als Change Agents ihrer eigenen Lernorte zu stärken“ (ebd.).

Werden die Rahmenlehrpläne ehrlich rezipiert – wofür ich vor dem Hintergrund der Herausforderung gegenwärtiger Nicht-Nachhaltigkeit (vgl. aktuell Blühdorn u.a. 2020, 65 ff.) dezidiert plädiere und was durchaus möglich ist, da die Kommunikation im Rahmen der produktiven Lehrplanrezeption „weitgehend durch den Empfänger gesteuert“ (Sloane 2003, 4) wird – führt dies zu einer kritisch-transformativen Berufsbildung im Kontext nachhaltiger Entwicklung, die stark subjektorientiert ausgerichtet ist. Eine derartig gestaltete Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung würde das Ziel der Emanzipation der Lernenden als sogenannte Change Agents verfolgen, was die Lernenden jedoch vor die Herausforderung des Umgangs mit etwaigen Widersprüchen zwischen der Entwicklung ihrer Arbeitsfähigkeit im Kontext ökonomischer Verwertungsinteressen und der Begegnung von inter- und intragenerationalen Nachhaltigkeitsherausforderungen stellen würde (vgl. auch BWP Oldenburg 2019, 5 f.). Doch ist „Mündigkeit […] nicht ohne Widerspruch zu haben“ (Kutscha 2019, 8; kritisch dazu Beck 2019, 5 ff.). Der mündige und gestaltungsorientierte Umgang mit diesen Widersprüchen würde die Lernenden letztlich zwischen Betriebsroutinen und Nachhaltigkeit subpolitisch – also subjektiv und selbstorganisiert jenseits eines „entweder-oder“-Denkens und -Handels (vgl. Beck 1993, 154 ff.) – in Bewegung versetzen (vgl. Hantke 2018, 9 ff.; 2021).

Eine gute Grundlage für Bildung im Medium des Berufs, „um die Welt auf den Pfad der Nachhaltigkeit und der Widerstandsfähigkeit zu bringen“ (Vereinte Nationen 2015, 1)!?

Literatur

Beck, K. (2019): Irrungen und Wirrungen im „Abseits politisch-ökonomischer Reflexion“. Eine nicht ganz unpolemische und zugleich de(kon)struktive Entgegnung auf Günter Kutschas „Polemik in konstruktiver Absicht“. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 35. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe35/beck_entgegnung-kutscha_bwpat35.pdf (10.01.2020).

Beck, U. (1993): Die Erfindung des Politischen. Zu einer Theorie reflexiver Modernisierung. Frankfurt a. M.

BIBB (2015): Förderrichtlinie zur Durchführung des Modellversuchsförderschwerpunkts „Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung 2015–2019“. Online: https://www2.bibb.de/bibbtools/dokumente/pdf/F%c3%b6rderrichtlinie_BIBB%20-%20Berufsbildung%20f%c3%bcr%20nachhaltige%20Entwicklung%202015%20-%202019.pdf (04.12.2018).

BIBB (2019): Erfolgreicher Start für Kaufleute im E-Commerce. BIBB veröffentlicht Rangliste der Ausbildungsberufe 2018. Online: https://www.bibb.de/dokumente/pdf/pmnaa.pdf (23.10.2019).

Birnbacher, D. (1988): Verantwortung für zukünftige Generationen. Stuttgart.

Blühdorn, I. et al. (2020): Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit. Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet. Bielefeld.

BMZ (2017): Ziele für eine nachhaltige Entwicklung. Online: https://17ziele.de/ (10.12.2019).

Bolte, G./Mielck, A. (2004): Umweltgerechtigkeit. Die soziale Verteilung von Umweltbelastungen. Weinheim.

BWP Oldenburg (2019): Impulspapier: Zukunftsdiskurse – Nachhaltiges Wirtschaften zwischen Gesellschaft, Ökonomie und Bildung. Transdisziplinäre Diskursarenen zur Modellierung einer nachhaltigen Wirtschaftsordnung. Oldenburg.

Deutscher Bundestag (1998): Abschlußbericht der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt – Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung“. Online: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/13/112/1311200.pdf (04.12.2019).

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Fischer, A./Hantke, H. (2019b): Potenzielle „Familienähnlichkeit“ zwischen der sozioökonomischen Bildung und dem Lernfeldansatz der wirtschaftsberuflichen Bildung. In: Fridrich, C./Hedtke, R./Tafner, G. (Hrsg.): Historizität und Sozialität in der sozioökonomischen Bildung. Wiesbaden, 81-105.

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[1]    Regulative Ideen stellen nach Kant praktisch-regulierende Prinzipien dar, die sich durch Offenheit auszeichnen (vgl. Kant 1781, 642 ff.). Die Bezeichnung der nachhaltigen Entwicklung als regulative Idee soll somit der Zeit-, Situations-, Kultur- sowie Wissensabhängigkeit der gesellschaftlichen Vorstellungen von einer nachhaltigen Entwicklung Rechnung tragen (vgl. Michelsen/Adomßent 2014, 26).

[2]    In diesem Jahr beginnt eine neue Weltdekade Bildung für nachhaltige Entwicklung, in der die Arbeit der Jahre 2015 bis 2019 in stärkerer Verknüpfung mit der UN-Agenda 2030 weitergeführt wird. Der offizielle Titel der Dekade lautet: „Education for Sustainable Development: towards achieving the Sustainable Development Goals“ (ESD for 2030) (vgl. UNESCO 2019).

[3] Die exemplarische Fokussierung auf die duale Berufsausbildung wird seitens der Studie damit begründet, dass „mehr als 50% der Auszubildenden eine duale Ausbildung beginnen“ (Otte/Singer-Brodowski 2017, 2).

[4]    Die Auswahl dieser beiden Ausbildungsberufe begründet sich damit, dass der Ausbildungsberuf Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement nach neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen im Jahr 2018 der am häufigsten begonnene Ausbildungsberuf war (BIBB 2019, 1) und der Ausbildungsberuf Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce erst seit dem Jahr 2018 ausgebildet wird und damit den neuesten (und innovativsten?) kaufmännischen Ausbildungsberuf darstellt (ebd.).

[5]     Die Desiderata wurden im Rahmen einer qualitativen Interviewstudie mit Expertinnen und Experten der beruflichen Bildung ermittelt. Durchgeführt wurde diese Studie im Rahmen des Weltaktionsprogramms Bildung für nachhaltige Entwicklung 2015-2019 „zum Diffusionsprozess und -stand von BNE in Deutschland, zu Treibern und Hürden in der Diffusion sowie zu Hebelpunkten einer weiteren Verankerung von BNE in der beruflichen Bildung“ (Singer-Brodowski/Grapentin-Rimek 2018, 2) – kurz: zur konkreten Umsetzung von Bildung für nachhaltige Entwicklung im Kontext beruflicher Bildung.

[6]    Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) fördert im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Weltaktionsprogramms Bildung für nachhaltige Entwicklung 18 Verbundprojekte im Modellversuchsförderschwerpunkt „Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung 2015 – 2019 (BBNE)“ (vgl. BIBB 2015). Der Modellförderschwerpunkt verfolgt dabei das übergeordnete Ziel, „die Integration und Umsetzung des Nachhaltigkeitsgedankens in den unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten, Arbeitsprozessen und Verfahren im jeweiligen Beruf“ (ebd., 1) herbeizuführen. Dies erfordert einen „Paradigmenwechsel in Wirtschaft und Arbeitswelt“ (ebd.) hin zu einer nachhaltig ausgerichteten beruflichen Gestaltungskompetenz. Da laut Bundesinstitut für Berufsbildung „der Schlüssel zum nachhaltigen Arbeiten und Wirtschaften […] in der Facharbeit“ (ebd.) liegt, kommt der (wirtschafts-) beruflichen Bildung – sowohl im schulischen als auch im außerschulischen bzw. betrieblichen Kontext – eine besondere Bedeutung im Rahmen dieser Transformation zu.

Zitieren des Beitrags

Hantke, H. (2020): Zukunftsdiskurse curricular intendiert – Plädoyer für eine ehrliche Lehrplanrezeption. In: bwp@ Spezial 17: Zukunftsdiskurse – berufs- und wirtschaftspädagogische Reflexionen eines Modells für eine nachhaltige Wirtschafts- und Sozialordnung, hrsg. v. Slopinski, A./Panschar, M./Berding, F./Rebmann, K., 1-26. Online: https://www.bwpat.de/spezial17/hantke_spezial17.pdf (18.5.2020).