bwp@ Spezial 7 - November 2013

Weiterentwicklung dualer Berufsausbildung: Konsekutiv, kompetenzorientiert, konnektiv. Erfahrungen und Impulse aus dem Schulversuch EARA

Hrsg.: Karin Wirth, Frank Krille, Tade Tramm & Thomas Vollmer

Was bleibt? Bildungspolitische Implikationen und Effekte im Kontext des Schulversuchs EARA

Modellversuche in der beruflichen Bildung können, ebenso wie die unter diesen Oberbegriff einzuordnenden Schulversuche, als ein wesentliches Medium zur wissenschaftlich reflektierten und begleiteten Weiterentwicklung von schulischer und betrieblicher Praxis gelten. Die Frage, wie weit und unter welchen Bedingungen sie wirklich als Instrumente für Innovationstransfer in die Bildungspraxis (vgl. SEVERING 2001) gelten können und ob sie in einem wissenschaftlich abgesicherten Modus durchgeführt werden müssen, war in den 1990er Jahren Gegenstand einer intensiven Diskussion zur Modellversuchsforschung.

Auch der Schulversuch EARA kann in einen bildungspolitischen und bildungspraktischen Gesamtkontext eingeordnet werden, der es ermöglicht, die Innovationsleistung in der Bildungspraxis und den Erkenntnisgewinn für die berufs- und wirtschaftspädagogische Forschung zusammenzuführen sowie die Übertragbarkeit von Projektergebnissen auf Bereiche jenseits des eigentlichen Schulversuchs auszuloten. In seiner spezifischen Rahmung zeichnet sich der Schulversuch EARA durch eine besondere Verflechtung und Relevanz für bildungspolitische Herausforderungen und Entwicklungen in Hamburg während und nach der eigentlichen Projektphase aus. Sowohl der Begründungszusammenhang zur Initiative des Schulversuchs als auch seine Durchführung und seine Effekte lassen sich bildungspolitisch einordnen und in einen über den Schulversuch hinausgehenden Kontext stellen. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die wesentlichen Implikationen und Effekte auf dieser Ebene zu rekonstruieren, um exemplarisch daran die Wirksamkeit von Schulversuchen in der bildungspolitischen Landschaft in Hamburg zu reflektieren.

1 Einleitung

Die aktuelle Berufsbildungslandschaft in Hamburg gehört zu den innovativsten und reformfreudigsten Berufsbildungslandschaften Deutschlands und gilt derzeit als Vorbild für andere Bundesländer. Der wesentliche Impuls zu dieser herausgehobenen Position ist in der Drucksache 19/8472 „Maßnahmen zur Umsetzung der Reform der beruflichen Bildung in Hamburg“ zu sehen, die im Januar 2011 vom Hamburger Senat beschlossen wurde und zum Ziel hatte, die Leistungsfähigkeit der beruflichen Bildung in Hamburg hinsichtlich der beruflichen und gesellschaftlichen Integration junger Erwachsener deutlich zu verbessern (vgl. FREIE UND HANSESTADT HAMBURG 2011). In Folge dieser Drucksache wurden z.B. die Verbesserung des Übergangs Schule – Beruf, Entwicklung der Berufs- und Studienorientierung, Veränderung der Ausbildungsvorbereitung und andere zentrale Reformvorhaben initiiert.

Doch welche Verknüpfungen lassen sich zwischen diesem Reformvorhaben und dem zwei Jahre zuvor initiierten Schulversuch EARA herstellen? Welche Erkenntnisse können aus dem Schulversuch gewonnen werden, die auch für Prozesse und Zusammenhänge der Reform Bedeutung haben? Diese Fragen stehen im vorliegenden Beitrag im Fokus. Ziel ist es, angesichts der Beendigung des Schulversuchs EARA im Sommer 2013 herauszuarbeiten, welche Entwicklungen und Erkenntnisse über den Kontext des Schulversuchs hinausweisen und für die Reformentwicklung in Hamburg wirksam sind oder noch werden können.

Dazu werden im Folgenden zunächst die Ausgangslage des Schulversuchs rekonstruiert und anschließend die Ziele und Intentionen von EARA anhand zentraler, bildungspolitisch relevanter Diskussionsaspekte reflektiert. Ausgehend davon kann abschließend die Frage gestellt werden, welches Innovations- und Erkenntnispotenzial vom Schulversuch EARA für die Reform der beruflichen Bildung in Hamburg ausgeht bzw. was für zukünftige Reformvorhaben der beruflichen Bildung aus EARA zu lernen ist.

2 Rekonstruktion der Ausgangslage

Um die bildungspolitische Ausgangslage bei der Initiierung des Schulversuchs EARA in den Blick zu nehmen, erscheint es sinnvoll, die Entwicklungen des Ausbildungsplatzangebotes einerseits und die ordnungspolitischen Veränderungen andererseits zu unterscheiden, da beide Perspektiven wesentliche Impulse zur Ausgangslage liefern.

Betrachtet man die Situation in der beruflichen Bildung in Hamburg im Zeitraum zwischen 2005 und 2009, so zeigt sich dort die eindeutige Tendenz, dass in dieser Zeit das Ausbildungsplatzangebot im dualen System um 14 % auf 39.104 Auszubildende zunahm (FREIE UND HANSESTADT HAMBURG 2009). Diese Zunahme konzentriert sich allerdings auf Berufe mit hohen Anforderungen und entsprechenden Einstiegsvoraussetzungen, zu denen auch die IT-Berufe zu zählen sind. Die Anforderungen in diesen Ausbildungsberufen sind zum Teil so hoch, dass Ausbildungsbetriebe eher Schüler mit Hochschulzugangsberechtigung ausbilden. Entsprechend verfügen im Jahr 2008 24,6 % aller Auszubildenden in Hamburg die allgemeine Hochschulreife, 7,6 % über die Fachhochschulreife, 42,7 % der Schülerinnen und Schüler haben einen Realschulabschluss, 22,8 % einen Hauptschulabschluss und 2,3 % verfügen über keinen Schulabschluss.

Insbesondere für die Gruppe der Jugendlichen mit einem Realschulabschluss, die keinen Ausbildungsplatz finden, steht die Fortsetzung ihrer Schullaufbahn z.B. an einer vollqualifizierenden bzw. einer teilqualifizierenden Berufsfachschule oder einer Berufsvorbereitungsschule offen. Der Umfang dieser Schülergruppe, die gemessen an ihrem Schulabschluss „ausbildungsreif“ (vgl. zu diesem Begriff auch KUHLMEIER/ REETZ in diesem Band) sein sollte, ist beachtlich. So wurden im Schuljahr 2008/2009 insgesamt 3.192 Schüler mit Realschulabschluss an vollqualifizierenden Berufsfachschulen, 1.589 Schüler mit Realschulabschluss an teilqualifizierenden Berufsfachschulen und 164 Schüler mit Realschulabschluss in Berufsvorbereitungsschulen beschult (vgl. FREIE UND HANSESTADT HAMBURG 2009). Als technische Assistenten für Informatik[1] haben im Jahr 2009 insgesamt 365 Schüler in Hamburg die vollqualifizierende Ausbildung in der Berufsfachschule begonnen. Sie werden sich nach dieser Ausbildung erneut auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz begeben und damit eine weitere Warteschleife im berufsbildenden System absolvieren, da sie in aller Regel keine Chancen im Beschäftigungssystem haben.

Dieser spezifischen Schülergruppe, die durch den erfolgreichen Realschulabschluss zwar als ausbildungsreif gilt und dennoch durch verschiedene Umstände keinen betrieblichen Ausbildungsplatz in der dualen Ausbildung erhält, sollte durch das Modell des Bildungsgangs im Schulversuch eine Ausbildungsperspektive gegeben werden und damit eine zusätzliche Begabungsreserve erschlossen werden.

Wie bereits angedeutet stellen aber diese Entwicklung des Ausbildungsplatzangebotes und die steigenden Qualifikationsanforderungen der Ausbildungsbetriebe nur einen zentralen Ausgangspunkt für den Schulversuch EARA dar. Eine weitere, im wesentlichen ordnungspolitische Grundlage für die Initiative des Schulversuchs ist in der Veränderung des Berufsbildungsgesetzes zum 1. April 2005 zu sehen. Dort wurde u.a. neu geregelt (§43), dass auch die Absolventen von Vollzeitschulen künftig von den Handelskammern zur IHK-Prüfung zulassen werden müssen. Jugendliche, die keine betriebliche Ausbildung absolviert haben, können somit ein IHK-Zeugnis erhalten. Bereits ein Jahr vor der rechtskräftigen Änderung des BBiG wurde diese Neuregelung auch in den ersten Hamburger Ausbildungskonsens 2004 zwischen dem Hamburger Senat und die Hamburger Wirtschaft integriert. Dort verpflichten sich die Handelskammer, Handwerkskammer und Unternehmensverband Nord „zu prüfen, inwieweit die Absolventen vollzeitschulischer Bildungsgänge ein Kammerzertifikat erhalten können, das eine Anrechnung der Schulzeit auf den berufsschulischen Teil einer anschließenden dualen Ausbildung ermöglicht, und inwieweit ein Berufsausbildungspass eingeführt werden kann“ (FREIE UND HANSESTADT HAMBUGRG 2004, 1). Ausgehend von diesem ersten Ausbildungskonsens 2004 und den zuvor genannten Änderung des BBiG beauftragte die damalige Hamburger Bildungssenatorin im April 2007 das Hamburger Institut für berufliche Bildung (HIBB) damit, einen Bildungsgang zu modellieren, in dem die Absolventen vollzeitschulischer Bildungsgänge einen Kammerabschluss erhalten, und entsprechende Verhandlungen mit den Kammern aufzunehmen. Neben der Idee den Kammerabschluss für vollzeitschulische Bildungsgänge zuzulassen, sollte in dem neuen Bildungsgang zudem die Erlangung der Fachhochschulreife optional ermöglicht werden.

Vor diesem Hintergrund bestand das Ziel des Schulversuchs darin, das Konzept der bisherigen vollqualifizierenden Berufsfachschule mit der Erlangung der Fachhochschulreife und einem regulären dualen Ausbildungsabschluss zu verknüpfen und damit die bisher übliche Verweildauer vieler Jugendlicher im Schulsystem wesentlich zu verkürzen. Dazu absolvierten die Schüler zunächst einen 2-jährigen schulischen Ausbildungsabschnitt mit den Abschlüssen Technische Assistenz Informatik (an der G18) bzw. Kaufmännische Assistenz (an der H17) und der Fachhochschulreife. Integrierte Praktika ermöglichten den Erwerb der erforderlichen Praxisanteile zur FHR. Bei erfolgreichem Bestehen folgte ein 1,5-jähriger, rein betrieblicher Ausbildungsabschnitt mit dem Kammerabschluss zum Kaufmann für Bürokommunikation bzw. Fachinformatiker Systemintegration.

3 Ziele und Intentionen der Projektbeteiligten

Das Modell des Schulversuchs wurde in den Jahren 2008 und 2009 durch das HIBB entwickelt und stellt eine Kompromisslösung aus den Verhandlungen zwischen dem HIBB, den Kammern und den beteiligten Akteuren im Landesausschuss für Berufsbildung in Hamburg dar. Alle Beteiligten haben der Logik bildungspolitischer Prozesse folgend spezifische Interessen und Ziele in der Entwicklung des Schulversuchs verfolgt. Diese bildungspolitischen Intentionen und damit verbundene Bedenken wurden durch die wissenschaftliche Begleitung des Schulversuchs projektbegleitend herausgearbeitet und werden im Folgenden in zentralen Diskussionsaspekten zusammengeführt. Dabei wird die Diskussion um die Zielgruppe der Marktbenachteiligten (3.1), die Verhinderung von Warteschleifen (3.2), die Option der Dreifachqualifizierung (3.3) sowie um das Verhältnis des Bildungsgangs zu bestehenden Bildungsgängen (3.4) und das Verhältnis betrieblicher und schulischer Lernzeiten (3.5) fokussiert.

3.1 Diskussion im Kontext der Zielgruppe des Schulversuchs Marktbenachteiligung

Aufgrund der oben skizzierten Ausgangslage des Schulversuchs, stellt die angestrebte Zielgruppe und in diesem Kontext die Frage der Marktbenachteiligung einen Diskussionsaspekt dar, der auch über die Phase der Beantragung relevant ist. Das Merkmal der Marktbenachteiligung bezieht sich dabei nicht auf personenbezogene Eigenschaften oder Fähigkeiten, sondern steht dafür, dass die Schüler durch den Ausbildungsmarkt „benachteiligt“ wurden bzw. keinen Ausbildungsplatz erhalten haben, obwohl sie keine (nennenswerten) Defizite vorweisen, die sie für eine Ausbildung ungeeignet machen.

Die durchgeführte Befragung zu bildungspolitischen Intentionen dazu zeigt, dass eben dieser Fokus bzw. die Auswahl dieser spezifischen Zielgruppe unter den bildungspolitischen Akteuren kontrovers eingeschätzt wird. Dabei wird bereits der Begriff der Marktbenachteiligung hinterfragt, da die Schüler zwar aufgrund ihres erfolgreichen Realschulabschlusses als ausbildungsreif einzuschätzen sind, dennoch aber durch ihr geringes Alter gegenüber anderen Bewerbern Nachteile haben. So wird davon ausgegangen, dass insbesondere in der IT-Branche aufgrund der herrschenden Unternehmensstrukturen und Geschäftsprozesse von Ausbildungsbewerbern häufig ein eigener Führerschein erwartet wird (vgl. GEW, Interview 3, 34). Für den Begriff der Marktbenachteiligung deutet diese Vermutung darauf hin, dass der Begriff uneinheitlich definiert ist und sich Marktbenachteiligung dann nicht nur auf den Schulabschluss, sondern auch auf andere, zum Teil auch personenbezogene Merkmale wie das Alter der Jugendlichen bezieht.

Ein weiterer Diskussionspunkt stellt die Auswahl der Marktbenachteiligten an sich dar, da insbesondere die gewerkschaftlichen Vertreter bereits in der Phase der Beantragung des Schulversuchs in Frage stellten, ob diese Schülergruppe überhaupt der besonderen Unterstützung bedarf. Als bildungspolitisch notwendig wird vielmehr die Förderung von benachteiligten Jugendlichen und Jugendlichen mit Migrationshintergrund gesehen und dringend eingefordert. Auch der Landesausschuss für Berufsbildung empfiehlt dem HIBB als Initiator des Schulversuchs „auf die Berücksichtigung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in diesem Bildungsgang besonderen Wert zu legen“ (EARA 2012, 25).

Dieser Diskussionszusammenhang während der Initiierung des Schulversuchs - zwischen benachteiligten Jugendlichen und Jugendlichen mit Migrationshintergrund einerseits und zwar marktbenachteiligten, aber dennoch leistungsstraken Jugendlichen andererseits - wirft bereits sehr deutlich den Blick darauf, wie divergent die intendierte Zielgruppe der Schulversuchsklassen von den Projektbeteiligten wahrgenommen wurde.

Hinsichtlich der Frage, welche Erkenntnis daraus für einen über den Schulversuch hinausgehenden Kontext gezogen werden kann, muss zunächst konstatiert werden, dass Maßnahmen für spezifische Zielgruppen auch (,) aber sicherlich nicht nur im Bereich der Übergangs- und Ausbildungssystems ihre Wirkung in dieser spezifischen Rahmung entfalten können. Bereits die Übertragung der für EARA besonders relevanten Ausgangssituation in der IT-Branche (und ihrer Umsetzung in der G18) auf das Feld der kaufmännischen Ausbildung (und ihrer Umsetzung in der H 17) hat dazu geführt, dass die Zielgruppe in beiden Schulen sehr unterschiedlich definiert sind. Zugleich legt dieses Ergebnis jedoch die grundsätzliche Frage nahe, wie bildungspolitisch sinnvoll und nachhaltig es ist, spezifische Lösungen für kleine Schülergruppen zu entwickeln - eine Frage, die im Kontext der Reform der beruflichen Bildung in Hamburg im Januar 2011 zugunsten eines einheitlichen und strukturierten Systems und entgegen spezifischer Kleinlösungen geregelt wurde.

3.2 Verhinderung von Warteschleifen am Übergang von der Schule in den Beruf

Ein weiterer Ausgangspunkt für die Beantragung und Durchführung des Schulversuchs ist in der Verhinderung von Warteschleifen am Übergang von der Schule in den Beruf zu sehen. So scheint es, auf Perspektive des HIBB, „bildungsökonomisch und ausbildungsbiographisch geboten, ineffiziente Warteschleifen in individuellen Bildungsbiographien abzubauen. Hierdurch kann es zu einer sinnvollen Optimierung und Verkürzung der Schulzeit ohne qualitativen Verlust bei gleichzeitiger Schonung von volkswirtschaftlichen Ressourcen kommen“ (EARA 2012, 18). Als Warteschleifen werden somit Lernzeiten angesehen, die keinen oder nur einen geringen qualifizierenden Effekt in der Biographie von Schülerinnen und Schülern haben und letztlich dazu angelegt sind, die Zeit nach der allgemeinbildenden Schule bis zur Aufnahme einer dualen Ausbildung zu überbrücken. Das bildungspolitische Ziel, das Übergangssystems zwischen Schule und Beruf neu zu gestalten und die bisherigen „Warteschleifen“ oder „Bildungsschleifen“ der Schüler im Berufsbildungssystem zu verringern bzw. zu vermeiden, wird noch immer breit diskutiert. Dabei wird von folgender Situation ausgegangen: „Nur noch 15 Prozent der Schulabsolventen ohne Schulabschluss und nur noch 40 Prozent der Hauptschulabsolventen münden direkt in eine duale Ausbildung ein. Stattdessen müssen immer mehr Schulabgänger ausbildungsvorbereitende Maßnahmen in Schulen oder in Lehrgängen der Arbeitsverwaltung absolvieren, um ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu verbessern. In den Maßnahmen dieses so genannten Übergangssystems befinden sich mittlerweile fast eben so viele Jugendliche wie im ersten Ausbildungsjahr“ (BERTELSMANNSTIFTUNG 2009, 21ff.). Es wird dabei als besonders problematisch angesehen, dass sich die geregelte Ausbildung nach unten abgrenzt und derzeit im Übergangssystem der überwiegende Teil der Jugendlichen mit mittleren und niedrigeren Schulabschlüssen aufgenommen wird.

Als eine solche Warteschleife, die keine realistische Chance auf einen Eintritt in den Ausbildungsmarkt bietet, wurde, zur Zeit der Beantragung des Schulversuchs, die Ausbildung der Schüler im Bildungsgang der Technischen Assistenten für Informatik (TAI) angesehen, da dort im Jahr 2007/2008 etwa 669 TAI-Schüler in Hamburg beschult wurden (vgl. FREIE UND HANSESTADT HAMBURG 2011, 253), die keine konkrete Perspektive hatten. Im Verlauf des Schulversuchs hat sich jedoch – möglicherweise durch konjunkturelle Veränderungen auf dem Ausbildungsmarkt und einer positiven Verschiebung der Schülerzahlen in die duale Ausbildung – die Anzahl der Jugendlichen, die sich in Hamburg in der TAI-Ausbildung befinden, auf 450 Schüler im Jahr 2010/2011 verringert. Diese Entwicklung führt dazu, dass die Intention der Verhinderung von Warteschleifen am Übergang von der Schule in den Beruf zumindest im konkreten Kontext des Schulversuchs an Gewicht verliert, da weniger Schüler betroffen sind.

Auch wenn mit dem Begriff der Warteschleifen eine grundsätzliche Problematik des deutschen Übergangs- und Ausbildungssystems angesprochen ist, stellt sich hier die Frage, welche Überlegung aus den konkreten Erfahrungen in EARA für übergeordnete Kontexte gewonnen werden können. Die Ungleichzeitigkeit von Prozessen des Bildungssystem einerseits und des Arbeitsmarkts andererseits scheint hier der wesentliche Aspekt zu sein. Es ist als notwendige und logische Konsequenz anzusehen, dass das Berufsbildungssystem in Reaktion auf den Arbeits- und Ausbildungsmarkt entsprechende Strukturen und Maßnahmen entwickelt. Dies kann jedoch nur zeitlich versetzt geschehen, so dass sich die konkrete Bedarfslage des Markts schon während der strukturellen Veränderung des Bildungssystems verändert. Erkennt man diese Ungleichzeitigkeit der Prozesse als strukturelles Merkmal der Verknüpfung von Bildungssystem und Arbeitsmarkt an, so müssen kurzfristige Maßnahmen im Übergangssystem grundsätzlich in Frage gestellt werden.

3.3 Dreifachqualifikation statt vollqualifizierende Berufsfachschule

Eine zentrale Intention bei der Konzeption des Schulversuchs bestand darin, den Abschluss der Berufsfachschule mit dem auf dem Arbeitsmarkt anerkannten Kammerabschluss einerseits und der im Bildungssektor anerkannten Erlangung der Fachhochschulreife andererseits zu verknüpfen. In dieser Dreifachqualifikation ist somit ein besonderes Alleinstellungsmerkmal des Schulversuchs zu sehen, durch das drei Ziele erreicht werden sollen und

  1. die Anschlussfähigkeit des Abschlusses der vollqualifizierenden Berufsfachschule auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt deutlich verbessert,
  2. die Erhöhung der Ausbildungsreife der Jugendlichen ermöglicht und
  3. die bisherigen Ausbildungszeiten deutlich verkürzt werden sollen.

Die Möglichkeit der Verknüpfung der vollzeitschulischen Berufsfachschule mit einem Kammerabschluss ist in der oben beschrieben Veränderung des Berufsbildungsgesetzes zum 1. April 2005 zu sehen. Den Ausgangspunkt für diese gesetzliche Neuregelung stellt die Erkenntnis dar, dass ein Kammerabschluss auf dem Arbeitsmarkt als höherwertig angesehen wird als vollzeitschulische Abschlüsse in denselben Ausbildungsberufen. Ausgehend von dieser Einsicht, dass der Kammerabschluss ein anerkanntes Qualitätsmerkmal für den Übergang in Beschäftigung darstellt, wurde durch diese gesetzliche bzw. ordnungspolitische Veränderung eine entscheidende Rahmenbedingung des Schulversuchs geschaffen.

Auch die zusätzliche Verknüpfung des Bildungsgangs mit der Option zur Erlangung der Fachhochschulreife geht auf die Beobachtung zurück, dass die Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch einen höheren Bildungsabschluss steigen und die Doppelqualifikation bildungsbiografisch ein effektiver Weg zur Aufnahme einer Hochschulausbildung darstellt (EARA 2012, 19). Die Option wurde von den gewerkschaftlichen Akteuren und den Kammervertretern als sehr positives Merkmal des Bildungsgangs angesehen, da hiermit eine Aufwertung beruflicher Bildung verbunden wird. Seitens der Handelskammer wird mit dieser Option jedoch auch die mögliche negative Auswirkung verknüpft, dass ausgebildete Jugendliche dem Arbeitsmarkt wieder verloren gehen.

Mit der Verknüpfung unterschiedlicher Bildungsabschlüsse in einem Bildungsgang wurde in der Konzeption des Schulversuchs ein bildungspolitischer Weg beschritten, der auch im Kontext der Reform der beruflichen Bildung in Hamburg umgesetzt wurde (vgl. FREIE UND HANSESTADT HAMBURG 2011, 5). Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Effekte und Konsequenzen im Schulversuch, die sich auf die Konstruktion der Dreifachqualifikation beziehen lassen, so bleibt folgendes zu betonen (vgl. darüber hinaus WIRTH 2011 und WIRTH/ GILLEN 2011):

Zum einen erweist sich die als Option intendierte Erlangung der Fachhochschulreife sowohl bei der Auswahl der Schüler als auch in der curricularen Anlage des Bildungsganges als so dominant, dass der optionale Charakter an sich hinterfragt werden muss. Vielmehr scheint eine – wie im vorliegenden Fall – integrierte Option der Fachhochschulreife weder curricular umsetzbar noch pädagogisch sinnvoll, so dass eine eindeutige Entscheidung zwischen Fachhochschulreife als optionales Zusatzangebot oder aber als intendiertes nichtoptionales Ziel für alle Schülerinnen und Schüler eines Bildungsgangs gesetzt werden müsste.

Zum anderen zeigt sich, dass die direkte Verknüpfung mehrerer Abschlüsse in einem Bildungsgang bei EARA curricular dazu führt und möglicherweise auch führen muss, dass sich die Leistungsanforderungen nach dem Abschluss richten, der das höchste Qualifikationsziel innehat. Da im vorliegenden Fall der in der beruflichen Bildung höherwertige Kammerabschluss mit der in der allgemeinen Bildung höherwertigen Erlangung der Fachhochschulreife kombiniert wurde, hat sich auf der Ebene der Lehr-Lernprozesse ein insgesamt sehr anspruchsvolles Anforderungsniveau ergeben, das die Einschätzung eines „Hochleistungs-Bildungsgangs“ nahelegt.

Hinsichtlich der Übertragbarkeit dieser Entwicklung im Schulversuch EARA auf übergeordnete Kontexte bleibt damit die Frage zu bearbeiten, wie in mehrfachqualifizierenden Bildungsgängen Leistbarkeit einerseits und Zielklarheit einzelner Bildungsabschlüsse andererseits zu realisieren sind.

3.4 Verhältnis des Bildungsgangs zu bestehenden Bildungsgängen und zum dualen System

Die Frage, wie das Verhältnis der Bildungsgänge in EARA zum dualen System sowie zu anderen bestehenden Bildungsgängen wie der Höheren Handelsschule oder der Berufsfachschule zu sehen ist, stellt einen weiteren bildungspolitischen Diskussionspunkt dar. So zeigte die Befragung der bildungspolitischen Akteure zu Beginn des Schulversuchs, dass sowohl Gewerkschaften als auch die Kammern mögliche Konkurrenzen zu anderen Bildungsgängen, insbesondere zum dualen System, sehen und das deutsche System der dualen Ausbildung dadurch weder untergraben noch ordnungspolitisch beschädigt werden dürfe.

Auch wenn ein mögliches Konkurrenzverhältnis dieser Ausbildungsform gegenüber dem dualen System seitens des HIBBs als Initiator ausdrücklich nicht als Ziel des Schulversuchs gesehen wurde, wurde auch dort die Gefahr gesehen, dass dadurch zum einen die Dauer oder aber die integrierte und an zwei Lernorten verankerte dualen Ausbildung grundsätzlich in Frage gestellt werden könnte.

Betrachtet man diese - zu Beginn des Schulversuchs sehr grundsätzlich geführte Diskussion - aus heutiger Perspektive, so lässt sich hier zunächst „nur“ der stabile Charakter des deutschen Systems der dualen Ausbildung daran nachzeichnen, da(ss)? sich diesbezüglich keine Effekte des Schulversuchs auf den regulären dualen Ausbildungsmarkt nachweisen lassen.

3.5 Verhältnis der betrieblichen und schulischen Lernzeiten im Schulversuch

Als eine wesentliche Ausgangsüberlegung seitens des HIBB bei der Konzeptionierung des im Schulversuch realisierten Ausbildungsmodells wird die Beobachtung genannt, dass ein hoher Praxisanteil und die Existenz betrieblicher Lernorte die Möglichkeit auf erfolgreiche Übergänge in eine Beschäftigung nach der Ausbildung deutlich erhöht und damit zur Verhinderung von Warteschleifen im beruflichen Bildungssystem beiträgt. Aufgrund dieser Beobachtung wurde im Rahmen der Konzeption des Ausbildungsgangs auf die Verknüpfung der vollzeitschulischen Assistenzausbildung mit einer 1,5-jährigen betrieblichen Phase Wert gelegt.

Das durch diese Konzeption entstandene spezifische Verhältnis zwischen schulischen und betrieblichen Lernzeiten stellt einen weiteren zentralen Diskussionsaspekt unter den bildungspolitischen Akteuren dar. So sieht der Landesausschuss für Berufsbildung in seiner Stellungnahme die Frage als zentral an, „zu welchen Auswirkungen die Entkopplung des Berufsschulunterrichts von der praktischen Ausbildung führt.“ (EARA 2012, 20).

Dazu wird von den bildungspolitischen Akteuren zunächst betont, dass den Schulen in diesem Modell die neue Aufgabe der Akquise von Auszubildenden und indirekt auch von betrieblichen Ausbildungspartnern zukommt. Als positiver Aspekt des Modells wird gesehen, dass es durch intensive Praxisphasen und eine durchgängige betriebliche Phase tatsächlich – entsprechend der Intention des HIBB – zu „Klebeeffekten“ kommen kann und die Jugendlichen dadurch einen leichteren Einstieg in den betrieblichen Arbeitsmarkt erhalten. Zudem kann es sich positiv auswirken, dass durch dieses Modell eine schnellere und effektivere spätere Berufsgewöhnung und eine damit verbundenen höhere Attraktivität für Betriebe erfolgt, da bereits in der ersten und zweiten Ausbildungsphase ein verkürzter, aber intensiver Schonraum für erste Berufserfahrung geschaffen wurde. Die durch das Modell realisierte Vorbildung der besonderen Zielgruppe wird dabei sowohl für die Betriebe als auch für die Schüler selbst als Vorteil herausgestellt und insbesondere hinsichtlich der beiden ausgewählten Berufe und der Struktur der entsprechenden Ausbildungsbetriebe als Vorteil angesehen.

In der Befragung der bildungspolitischen Akteure werden neben den genannten positiven Aspekten des spezifischen Verhältnisses von schulischen und betrieblichen Lernphasen auch kritische Aspekte deutlich. So wird zum einen hinterfragt, ob die sequenzierte bzw. additive Form des Ausbildungsmodells, wie es oben kurz skizziert wurde, für die Lernprozesse der Schüler und den Aufbau der beruflichen Handlungskompetenz geeignet sind. Dabei wird von Gewerkschaften und Kammern besonders hervorgehoben, dass in diesem Modell der Wechsel betrieblicher und schulischer Erfahrungen fehlt und damit auch die Reflexion und Vertiefung von Lernerfahrungen an den einzelnen Lernorten weniger realisiert werden kann.

Die Diskussion um ein duales oder aber – wie im vorliegenden Fall realisiert – konsekutives Verhältnis schulischer und betrieblicher Lernphasen lässt sich lehr-lerntheoretisch weiterführen, wobei z.B. die Frage im Fokus stehen könnte, welche positiven oder aber ungewünschten Effekte die Entkopplung von Erfahrung und Reflexion in konsekutiven Modellen hat. Sie lässt sich aber auch hinsichtlich der Frage weiterführen, inwieweit hier tatsächlich ein attraktives Ausbildungsmodell für die Betriebe geschaffen wurde, das zum Aufbau neuer Ausbildungsplätze nachhaltig beiträgt. Eine in diesem Kontext durchgeführte Akzeptanzstudie (vgl. WIRTH in diesem Band) in EARA zeigte, dass sich positive Effekte in der Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze bestätigen lassen, selbst wenn diese Effekte aufgrund der kleinen Zielgruppe keine verallgemeinerbaren Aussagen zulassen.

Hinsichtlich der Übertragbarkeit dieser Entwicklung im Schulversuch EARA auf übergeordnete Kontexte liegt die Schlussfolgerung nahe, dass Ausbildungsmodelle jenseits des dualen Ausbildungssystems für Betriebe und Kammern, aber auch für die Gewerkschaften als nicht attraktiv angesehen werden müssen und keine deutlich nennenswerten positiven Effekte auf dem Ausbildungsmarkt hervorrufen. Unabhängig davon wurde mit dem Hamburger Ausbildungsmodell, das im Kontext der Reform der beruflichen Bildung in Hamburg im Januar 2011 eingeführt wurde, ein konsekutiver Einstieg in die duale Ausbildung realisiert. Das Hamburger Ausbildungsmodell, das neben dem konsekutiven Einstieg noch über weitere Erfolgsmerkmale verfügt (staatliche Ausbildungsgarantie, begleitete Praxisphasen in den Betrieben etc.), gilt inzwischen als bundesweites Vorbild zum Umbau des Übergangssystems (vgl. PAULSEN 2012; SCHULZ/ HORSMANN 2010, 17).

Vergleicht man vor diesem Hintergrund die Erfahrungen und Effekte in EARA mit den bisherigen Effekten des Hamburger Ausbildungsmodells, so liegt hier tatsächlich die eingangs aufgeworfene Frage zur Wirksamkeit von Schul- und Modellversuchen nahe. In seiner spezifischen Rahmung und Auslegung auf eine Klasse pro Jahrgang in zwei Versuchsschulen, lassen sich – so eine mögliche Hypothese – weder die Bedingungen herstellen, die zu nachhaltigen Effekten führen, noch Effekte erzielen, die auf dem Ausbildungsmarkt messbar sind.

4 Was bleibt? Reflexion zur Übertragbarkeit von Erkenntnissen und Erfahrungen aus EARA

Ausgehend von der Darstellung und Analyse der bildungspolitisch relevanten Diskussionsaspekte des Schulversuchs EARA sowie der Übertragung von spezifischen Projektergebnissen auf Bereiche jenseits des eigentlichen Schulversuchs, stellt sich abschließend die Frage, welchen Aspekten des Schulversuchs oder darin realisierten Überlegungen und Ideen eine nennenswerte Innovationsleistung für die Berufsbildung in Hamburg und ein Erkenntnisgewinn für die berufs- und wirtschaftspädagogische Forschung zugeschrieben werden kann. Zur Klärung dieser Frage erscheint ein Perspektivwechsel an dieser Stelle sinnvoll, bei dem nicht mehr vom Projekt und seinen Ergebnissen auf den Kontext geblickt wird, sondern vielmehr umgekehrt und die relevanten Reformentscheidungen in Hamburg als Reflexionsfläche für die Einschätzung des Innovationspotenzials des Schulversuchs herangezogen werden. In diesem Sinne ist nicht mehr die Frage zu stellen, was leistet der Schulversuch für übergeordnete Kontexte? Sondern eher die Frage, was kann bzw. was könnte die Reform der beruflichen Bildung aus EARA lernen?

Hier lassen sich im Wesentlichen drei Punkte anführen:

  1. Die Reform der beruflichen Bildung in Hamburg ist als das bundesweit weitreichendste und umfassendste Vorhaben der jüngeren Berufsbildungspolitik anzusehen. Eine mögliche Begründung dafür könnte darin liegen, dass in diesem Vorhaben systematisch stringent und umfassend reformiert wurde und möglicherweise sogar das Systemhafte des Übergangssystems konstruiert wurde. Mit diesem Vorgehen wurde also eine politische Umsteuerung von einem reaktiven bildungspolitischen Vorgehen, das sich auf die Lösung akuter Bedarfslagen konzentriert, auf ein konstruktives bildungspolitisches Vorgehen vorgenommen, welches das Berufsbildungssystem in Gesamtzusammenhang betrachtet und gestaltet. Wie weit diese konstruktive Vorgehensweise nachhaltig trägt, wird sich erweisen müssen und ist als Forschungsgegenstand an der Schnittstelle zwischen Politikwissenschaft und Berufs- und Wirtschaftspädagogik anzusiedeln. Die oben benannte Ungleichzeitigkeit von Prozessen des Bildungssystem einerseits und des Arbeitsmarkts andererseits deutet in jedem Fall darauf hin, dass ein konstruktives bildungspolitisches Vorgehen erfolgversprechend sein kann.
  2. Ein wesentlicher Aspekt der Reform der beruflichen Bildung in Hamburg ist die Einführung des Hamburger Ausbildungsmodells sowie einer systematischen Ausbildungsvorbereitung (vgl. FREIE UND HANSESTADT HAMBURG 2011, 4f.) zu sehen. Vergleicht man diese Maßnahmen mit bisherigen Maßnahmen und Initiativen im Übergangssystem, so zeichnen sie sich zunächst dadurch aus, dass sie als systematisch-fundiert, stabil und auf alle Berufe und Berufsfelder ausgerichtet sind. Die oben aufgeworfene Problematik der Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit spezifischer Lösungen für kleine Zielgruppen im Übergangssystem wird damit umgangen und zugunsten eines einheitlichen und strukturierten Systems und entgegen spezifischer Kleinlösungen geregelt. In der Berufs- und Wirtschaftspädagogik schließt sich hier z.B. die Frage an, wie weit das Berufskonzept durch ein systematisch-fundiertes, stabiles und auf alle Berufe und Berufsfelder ausgerichtet Übergangssystem positiv oder negativ beeinträchtigt wird.
  3. Auch die Erfahrungen zur Leistbarkeit und Zielklarheit mehrfachqualifizierender Bildungsgänge in EARA lassen sich auf die aktuellen Reformbemühungen in Hamburg beziehen. So ist der Erwerb der Fachhochschulreife in der dualen Berufsausbildung und in der vollqualifizierenden Berufsfachschule als Wahlmöglichkeit mit den bisherigen Ausbildungsgängen verknüpft. Organisatorisch wird dies derzeit mit zusätzlichen Unterrichtsangeboten jenseits des eigentlichen Berufsschulunterrichts gelöst. Für welche Schülergruppen, Leistungs- und Organisationsvoraussetzungen diese Angebote nachhaltig realisierbar sind, wird sich erweisen müssen. Dabei gilt es auch die Integrationsleistung beruflicher Bildung trotz oder gerade mit mehrfachqualifizierenden Bildungsabschlüssen zu reflektieren. Dies stellt eine in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik weiter zu bearbeitende Frage dar, in der zum einen die Diskussion um Gleichwertigkeit beruflicher und allgemeiner Bildung noch einmal eine neue Facette erhält, in der aber auch die Kernaufgabe beruflicher Bildung diskutiert werden muss.

Anhand der hier exemplarisch ausgeführten drei Aspekte der Verknüpfung von EARA mit den aktuellen Reformbemühungen in Hamburg lassen sich sehr spezifische Innovationsleistungen aus dem Schulversuch herausarbeiten, die direkt oder aber erst in der Reflexion in eine logische Konsequenz gebracht werden können. Wie weit Erkenntnisse aus EARA tatsächlich bewusst in die Reform der beruflichen Bildung in Hamburg eingeflossen sind, ist nicht dokumentiert und damit nicht nachzuweisen. Bildungspolitisch pointiert und konstruktiv gewendet ist jedoch der Reformprozess der beruflichen Bildung in Hamburg als reflektierte Systementwicklung zu betrachten, in der - aus der heutigen Perspektive stringent anmutend - EARA ebenso wie die Erfahrungen aus anderen Maßnahmen gewissermaßen als Pretest angesehen werden könnten. Für die Diskussion in der Schul- und Modellversuchsforschung wäre diese konstruktive Lesart eher förderlich.

Literatur

BERTELSMANNSTIFTUNG (2009): Berufsausbildung 2015 – Ein Leitbild. Gütersloh.

EARA (2012): Abschlussdokumentation der wissenschaftlichen Begleitung des Schulversuches „Erprobung neu strukturierter Ausbildungsformen im Rahmen des Ausbildungskonsenses 2007 – 2010“ (EARA). Hamburg.

FREIE UND HANSESTADT HAMBURG (2004): Ausbildungskonsens zwischen dem Senat der Freien und Hansestadt Hamburg und der Hamburger Wirtschaft. Hamburg.

FREIE UND HANSESTADT HAMBURG (2009): Bildungsbericht Hamburg 2009. Institut für Bildungsmonitoring. Hamburg.

FREIE UND HANSESTADT HAMBURG (2011): Bildungsbericht Hamburg 2011. Institut für Bildungsmonitoring. Hamburg.

FREIE UND HANSESTADT HAMBURG (2011): Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft. Maßnahmen zur Umsetzung der Reform der beruflichen Bildung. Drucksache 19/8472. Hamburg.

PAULSEN, N. (2012): Hamburger Ausbildungsmodell ist Vorbild. In: HAMBURGER ABENDBLATT vom 20.09.2012, Online: http://www.abendblatt.de/politik/deutschland/article2403611/Hamburger-Ausbildungsmodell-ist-Vorbild.html (20-08-2013)

SCHULZ, R./ HORSMANN, K. (2010): Übergänge mit System – der neue Hamburger Weg in die berufliche Ausbildung. In: BWP, Heft 5/2010, 17-20.

SEVERING, E. (2001): Modellversuchsforschung und Erkenntnisgewinn – methodische Anmerkungen. In: ALBRECHT et al. (Hrsg.): Verankerung von Innovationen in der Modellversuchsroutine – Zur Nachhaltigkeit von Modellversuchen. Bonn.

WIRTH, K. (2011): Durchlässigkeit des Bildungssystems durch Dreifachqualifizierung – Chancen für marktbenachteiligte Jugendliche? In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, 1-18.

WIRTH, K./ GILLEN, J. (2011): Dreifachqualifizierung am Übergang von der Schule in den Beruf – Strukturen, Prozesse und Effekte des Hamburger Schulversuchs EARA. In: FAßHAUER, U./ AFF, J./ FÜRSTENAU, B./ WUTTKE, E. (Hrsg.): Lehr-Lernforschung und Professionalisierung. Opladen, 211-228.

WIRTH, K./ TIBURTIUS, K.-O. (2012): Reform der Beruflichen Bildung Hamburg und der Schulversuch EARA – Wechselwirkungen und Implikationen. In: BERUFLICHE BILDUNG HAMBURG. Heft 1/2012, 29-30.


[1] Der Bildungsgang der Kaufmännischen Assistenz für Bürokommunikation wurde bis zum Schulversuch EARA nicht ausgebildet

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GILLEN, J. (2013): Was bleibt? Bildungspolitische Implikationen und Effekte im Kontext des Schulversuchs EARA. In: bwp@ Spezial 7 – Weiterentwicklung dualer Berufsausbildung: Konsekutiv, kompetenzorientiert, konnektiv. Erfahrungen und Impulse aus dem Schulversuch EARA, hrsg. v. WIRTH, K./ KRILLE, F./ TRAMM, T./ VOLLMER, T., 1-13. Online: http://www.bwpat.de/spezial7/gillen_eara2013.pdf (19-11-2013).