bwp@ Profil 3 - Mai 2014

Lehrerbildung und Unterrichts­entwicklung aus der Perspektive des lernenden Subjekts

Profil 3: Digitale Festschrift für TADE TRAMM zum 60. Geburtstag

Hrsg.: Nicole Naeve-Stoß, Susan Seeber & Willi Brand

Einige unmaßgebliche Gedanken zur aktuellen Diskussion um eine gelingende Curriculumentwicklung

Beitrag von Susanne Weber & Frank Achtenhagen

Curriculumforschung ist ein wesentlicher Bestandteil der wissenschaftlichen Arbeit von Tade Tramm. Im Hinblick auf aktuelle Anforderungen für die beruflichen Curricula, wie sie durch die KMK oder die EU gesetzt sind, werden zwei Problembereiche angesprochen, die in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskussion unserer Auffassung nach nur unzureichend Berücksichtigung finden: eine ungenügende Auseinandersetzung über die Ziele und Inhalte beruflicher Curricula sowie deren fehlende Ausarbeitung im Hinblick auf die Komplexitätsvorgabe der Curriculum-Instruktion-Assessment-Triade.

1 Einführung

Das Thema „Curriculum“ ist zentral für die wissenschaftliche Arbeit Tade TRAMMs. Diese Feststellung lässt sich in besonderem Maße durch den Hinweis auf seine Habilitationsschrift „Lernprozesse in der Übungsfirma – Rekonstruktion und Weiterentwicklung schulischer Übungsfirmenarbeit als Anwendungsfall einer evaluativ-konstruktiven und handlungsorientierten Curriculumstrategie“ (TRAMM 1996) belegen. Die Arbeit mit und in der Übungsfirma diente dabei im Wesentlichen der Veranschaulichung seiner fachdidaktisch akzentuierten curriculumtheoretischen wie -praktischen Überlegungen, die sich dabei zentral auch auf die Beteiligung von Lehrkräften und darüber hinaus auf die Ausbildung von Handelslehrern und Handelslehrerinnen generell bezogen haben. TRAMMs Engagement gilt immer noch einer praxisbezogenen Curriculumarbeit, deren Voraussetzungen und Gelingensbedingungen sich allerdings von den Rahmenbedingungen her gegenüber den letzten Jahrzehnten verschoben haben: So finden wir eine Verlagerung von Curriculumaktivitäten an Staatsinstitute, Festlegungen von Prüfungsaufgaben durch die Aufgabenstelle für kaufmännische Abschluss- und Zwischenprüfungen, vor allem aber KMK-Vorgaben zur Handlungsorientierung, Lernfeldorientierung oder auch Vorgaben des Europäischen Qualifikationsrahmens und der damit verbundenen output-bestimmten Kompetenzorientierung. Jeder dieser Bereiche erfordert eine Curriculumarbeit mit z. T. eigenen Zielen und Interessen. Das bezieht sich nicht nur auf Aktivitäten auf Länder- oder Kammerebene, sondern auch auf schulischer Ebene und in Universitäts-Schul-Projekten. Dieser Sachverhalt macht umfangreiche Reflexionen notwendig, die sich auf wissenschaftliche Forschungsergebnisse wie auch auf die explizite Einbeziehung von praktischen Erfahrungen der Lehrkräfte an kaufmännischen Schulen und der betrieblichen Ausbilder zu stützen haben. Jedoch wird die derzeitige Curriculumarbeit aus unserer Sicht zu wenig anhand von Kriterien und Überlegungen vorliegender Curriculumtheorien geführt, deren Einsatz aber dabei helfen könnte, verschiedene Ansätze konstruktiv aufeinander zu beziehen und nachhaltige Ergebnisse zu erzielen. Nun ist dieses kein auf Deutschland beschränktes Phänomen. Daher wollen wir im Folgenden in aller Kürze unter Rückgriff auf einige Veröffentlichungen im internationalen Raum anzudeuten versuchen, mittels welcher Schritte die Curriculumdiskussion und -arbeit zielgerichteter geführt werden könnte. Dabei stellen wir heraus, dass ACHTENHAGEN/ TRAMM bereits 1983 mit ihrem Ansatz zur empirischen Curriculumforschung Kriterien und Vorgehensweisen vorgeschlagen haben, die gegenwärtig unter einer output-orientierten Bildungsforschung und den oben genannten neuen Rahmenbedingungen als unabdingbar hervorgehoben werden. Dabei ging es vor allem darum, die curriculare Arbeit so auszugestalten, dass diese sich nicht auf ein „teaching-to-the-test“ reduziert, sondern primär lernförderlich wirkt. Daher ging es im Ansatz von ACHTENHGEN/ TRAMM (1983, 566) auch explizit um die Suche nach alternativen Assessmentverfahren – wie zum Beispiel die Nutzung psychometrischer Methoden.

Unsere These, die wir im Folgenden belegen werden, ist, dass die unbefriedigenden Bedingungen und Ergebnisse der gegenwärtigen Curriculumarbeit vor allem auf zwei Sachverhalte zurückzuführen sind: (1) die ungenügende Zieldiskussion und (2) die Vernachlässigung der Anforderungen, wie sie über die Modellvorstellung der Curriculum-Instruktion-Assessment-Triade erhoben werden.

2 Unbefriedigende Bedingungen und Ergebnisse der gegenwärtigen Curriculumarbeit

2.1 Ungenügende Zieldiskussion

Zur Zieldiskussion in der Curriculumarbeit hat SCHIRO (2008) eine Studie mit dem Untertitel „Conflicting Visions and Enduring Concerns“ vorgelegt. Diese Studie versucht, verschiedene Zielvorstellungen der Curriculumarbeit aufzuarbeiten. Dabei bezeichnet SCHIRO (2008) zentrale Ansätze der Curriculumtheorie als „Ideologien“, die nach seinem Urteil in den letzten hundert Jahren die pädagogische Auseinandersetzung (zumindest in den USA) bestimmt haben. Damit will er verdeutlichen, dass ohne ein Explizitmachen der zumeist unterschwellig vorhandenen Zielsetzungen, die gleichwohl instruktionale und evaluative sowie auch politische Wirksamkeit erreicht haben und immer noch erreichen, die Setzung von Zielen für Schule misslingt bzw. misslingen muss. Hauptanlass der Diskussion (die auf die USA fokussiert ist) ist dabei der Einfluss von extern vorgegebenen Tests/Standards, deren Ergebnisse auch über die Weiterbeschäftigung von Lehrkräften oder das Weiterbestehen von Schulen entscheiden. Eine allseits beklagte, wenngleich voll verständliche praktische Konsequenz des Einsatzes solcher Tests ist, dass Schulen wie Lehrkräfte ihren Einsatz auf das Abschneiden in diesen Tests („teaching-to-the-test“) konzentrieren – und damit andere, eher wünschenswerte Aufgaben von Schule vernachlässigen. Um eine Verständigung über mögliche Zielvorgaben von Schule und Unterricht zu fördern, arbeitet SCHIRO in einer idealtypischen Zuspitzung vier konkurrierende Ansätze heraus:

  1. Scholar Academic Ideology,
  2. Social Efficiency Ideology,
  3. Learner Centered Ideology,
  4. Social Reconstruction Ideology.

Ad (a): Die „Scholar Academic Ideology“ kennzeichnet die Auffassung, dass unser akkumuliertes Wissen, wie es über die Wissenschaften über Jahrhunderte hinweg erarbeitet wurde und wird, in der Schule – natürlich in geeigneter Form reduziert – zu vermitteln sei. Das betrifft Inhalte, grundlegende Konzepte und Denkweisen. Das Lernen vollzieht sich von den Erzeugern des Wissens und von Wahrheit (den Professoren) über die Lehrer von Wissen und Wahrheit hin zu den Lernern, die sich dieses Wissen anzueignen haben, um vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu werden. Über die curriculare Arbeit ist sicherzustellen, dass den Lernern der Aufstieg in der Wissensdomäne als sogenannte „mini-scholars“ bestmöglich gelingt.

Ad (b): Die „Social Efficiency Ideology“ stellt darauf ab, Kinder und Jugendliche so auszubilden, dass sie künftig als reife Mitglieder der Gesellschaft zu deren Fortschritt beitragen können. Übergeordnetes Ziel ist hier die Festlegung von gesellschaftlichen Bedürfnissen, auf die hin dann die Jugendlichen unter Nutzung effektiver Lerntheorien – eher in einem funktionalen Sinne - auszubilden seien. Unabdingbar sind hierbei zugleich Messverfahren, mit deren Hilfe der Grad der jeweiligen Zielerreichung festgestellt werden kann.

Ad (c): Die „Learner Centered Ideology“ betont die Notwendigkeit, Schule an den Bedürfnissen und Problemen der Kinder und Jugendlichen auszurichten. Schulen werden als Orte betrachtet, an denen sich die jungen Menschen gemäß ihren intellektuellen, aber auch sozialen, emotionalen und physischen Bedürfnissen und Möglichkeiten entfalten sollen und können. Es gilt, die im Menschen angelegten Möglichkeiten durch die Bereitstellung entsprechender sinnstiftender Lernangebote zielführend im Sinne der Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen .

Ad (d): Die „Social Reconstruction Ideology“ geht davon aus, dass in der Gesellschaft vorfindbare Probleme und Ungerechtigkeiten sich vor allem auf ethnische, geschlechtsspezifische, soziale und ökonomische Ungleichheiten zurückführen lassen. Immer wiederkehrender Ausgangspunkt der Argumentation ist die These, dass die gegenwärtige Gesellschaft den Keim ihrer Selbstzerstörung in sich trage, dass es daher darauf ankomme, Kräfte zu entwickeln, diesen Selbstzerstörungsprozess zu stoppen und Zielvorstellungen einer besseren, gerechteren Gesellschaft umzusetzen. Das Curriculum habe daher eine idealisierende Zielvorstellung in den Mittelpunkt zu stellen, wie sich die vor allem kulturell bedingten Hindernisse überwinden ließen und eine ideale Gesellschaft aufzubauen wäre. Vor diesem Hintergrund werden insbesondere Ansätze der „Citizenship“ diskutiert.

Die hier schlagwortartig nachgezeichneten Auffassungen von Schule und Curriculum, wie sie SCHIRO für die USA herausgearbeitet hat, lassen sich unschwer auch für Deutschland nachweisen. Auch wenn die Argumentation verglichen mit der deutschen bildungstheoretischen Diskussion mitunter etwas schlicht anmutet, sehen wir die grundlegende Anregung dieses Buches in der Verdeutlichung des Sachverhalts, dass subjektive Vorstellungen auf Seiten der Bildungspolitiker und Curriculumfachleute die faktische Ausgestaltung von Schulprogrammen bestimmen. Nun ist diese Einsicht nicht neu – TRAMM hat in seiner Habilitationsschrift Beispiele dafür vorgelegt -, neu ist aber, dass SCHIRO den Versuch unternommen hat, diese prägenden „Ideologien“ zu bestimmen, zu erfassen und einander gegenüberzustellen. So findet sich in seinem Buch ein Test, mit dessen Hilfe bestimmt werden kann, welcher der konkurrierenden Auffassungen von Schule und Curriculum jemand anhängt (SCHIRO 2008, 214ff.): Dafür sind Aussagen zu den Bereichen

  • Ziele des Curriculums,
  • Aufgaben des Lehrens,
  • Ziele des Lernens,
  • Art und Umfang des gewünschten Wissens,
  • Förderung der individuellen Anlagen und Wünsche,
  • Art der Evaluation

in eine Rangreihe zu bringen. Jeweils eine von vier Aussagen zu den sechs Bereichen ist einer der vier „Ideologien“ zugeordnet. Über die Auswertung lässt sich dann sehr überzeugend darstellen, welcher „Ideologie“ der Befragte in besonderem Maße anhängt – und damit auch eine Versachlichung von Auseinandersetzungen erreichen. Wir sind der Auffassung, dass sowohl bezüglich der Klärung der eigenen Vorstellungen von Lehren, Lernen und Entwickeln als auch im Hinblick auf eine Maßnahmendiskussion sich dabei beachtenswerte Argumentationsfortschritte einstellten. Das beträfe vor allem auch die Dimension eines strategischen Denkens, bei dem der gewünschte angestrebte Haupteffekt einer Maßnahme zusammen mit möglichen unerwünschten Nebeneffekten dieser Maßnahme betrachtet wird (vgl. ACHTENHAGEN 2004). Dieser Aspekt erscheint deswegen so wichtig, da wir gerade im Bildungssystem beobachten können, dass sich sehr oft – wenn nicht sogar überwiegend – die unerwünschten Nebeneffekte bildungspolitischer und -praktischer Entscheidungen anstelle der intendierten Haupteffekte durchsetzen. SPRANGER (1962) hat bereits vor vielen Jahren auf dieses Phänomen verwiesen. Wir sind der Überzeugung, dass die Herausarbeitung und Bezeichnung von „Ideologien“, wenn es um bildungspolitische Maßnahmen wie Curriculumarbeit geht, hülfe, Einseitigkeiten zu vermeiden und befürchtete negative Effekte konstruktiv zu bearbeiten. Zieht man beispielsweise für den kaufmännischen Bereich die bei der Einführung der Lernfeldorientierung geäußerte Befürchtung heran, dass die systematische Wissensvermittlung misslingen oder zumindest behindert werden könnte, so hätten von Beginn an sehr viel gezielter flankierende Maßnahmen getroffen werden können, solche Befürchtungen von ihrem Stellenwert her zu relativieren, indem beispielsweise der Zusammenhang von Kasuistik und Systematik (vgl. REETZ/ TRAMM 2000) stärker in das Zentrum der Argumentation – und der Curriculumarbeit – gerückt worden wäre.

2.2 Vernachlässigung der Anforderungen der Curriculum-Instruktion-Assessment-Triade

Im Hinblick auf die Vernachlässigung der Curriculum-Instruktion-Assessment-Triade ziehen wir zunächst einen Ansatz von SQUIRES (2009) heran, der diese Thematik behandelt, aber dafür die Begriffe „Curriculum Alignment“ bzw. „Balanced Curriculum“ verwendet und dabei die Akzente etwas anders setzt, als wir dieses noch tun werden.

SQUIRES wendet sich mit seinem Ansatz explizit an Schulleiter und Schulaufsichtsbeamte. Sein Hauptziel ist es, Maßnahmen zu entwickeln, mit deren Hilfe die Schulen das High-Stakes Testing bewältigen und gleichzeitig darüber hinaus pädagogisch sinnvollen Unterricht, d. h. ein nicht vorwiegend an diesen Tests ausgerichtetes Lehren und Lernen, gewährleisten können. Seine Strategie des „Alignment“ ist dadurch gekennzeichnet, dass das „written“ (Curriculum – in einem weiten Sinn), das „taught“ (Instruktion) und das „tested“ (Assessment) systematisch aufeinander bezogen werden.

Bezogen auf das „written“ stellt SQUIRES (2009) heraus, dass die vom jeweiligen Bundesstaat bzw. Distrikt vorgegebenen Standards, das jeweilige Schulcurriculum und die gegebenen Lehrbücher und Unterrichtsmaterialien aufeinander abgestimmt werden müssen. Ziel ist es, dass sich die Bildungsverantwortlichen dabei klar darüber werden, welches Wissen in welcher Art und Qualität auf welchem Anforderungsniveau vermittelt werden soll. Dabei käme es zu einer expliziten Formulierung des Zielkomplexes des gesellschaftlich gewollten Bildungsstandards, der die Ausgangsbasis für eine erfolgreiche Balancierung von Curriculum, Instruktion und Assessment darstellte. Damit ließen sich einerseits individuelle Lehrerinterpretationen oder auch Lehrerexkurse vom Umfang her minimieren als auch Test vermeiden, die Standards messen, ohne dass diese explizit Inhalt des Unterrichts waren. Zur Feststellung, inwieweit eine derartige Festlegung, Integration und Abstimmung von Lernzielen bereits vorangeschritten sind, schlägt SQUIRES Verfahren der empirischen Curriculumforschung vor (z. B. Lehrplan- und Lehrbuchanalysen), wie diese bereits seit den 1970iger Jahren vergleichbar in der deutschen wirtschaftspädagogischen Curriculumforschung (KRUMM 1973; REETZ/ WITT 1974; ACHTENHAGEN/ TRAMM 1983) durchgeführt und mit ihren Ergebnissen beispielsweise bei ACHTENHAGEN (1984) und REETZ (1984) zusammenfassend fachdidaktisch aufgearbeitet wurden. Die bei SQUIRES zusammengetragenen Studien zeigen, dass sich mit einer Abstimmung der curricularen Zielsetzungen Zuwächse in den High Stakes Tests erzielen lassen. ACHTENHAGEN/ TRAMM haben auf diese Notwendigkeit und Möglichkeit der Balancierung von Curricula und zugeordneten Lehrbüchern und Lernmaterialien sowie der damit korrespondierenden Steigerung von Lernerfolgen bereits 1983 verwiesen und damit die bis dahin gegebene Technik der Lehrplanformulierung kritisiert, die darin bestand, dass Lehrplanautoren ohne tiefere curriculare Arbeit Listen von inhaltsbezogenen Lernzielen produzierten (vgl. auch HACKER 1983). Dass mit einer intensiven empirisch orientierten Curriculumarbeit (wie SQUIRES es in seinem Ansatz des „curriculum alignment“ vorschlägt) eine Unterstützung des Unterrichts generell möglich ist, zeigte sich beispielsweise bei der expliziten Einführung komplexer Lehr-Lern-Arrangements in die Niedersächsischen Richtlinien für den Fachunterricht von Industriekaufleuten bzw. Fachgymnasiasten (vgl. hierzu die einzelnen Beiträge der Autoren ACHTENAGEN, JOHN, BOOMGARDEN, GETSCH, PREISS, RISCHMÜLLER/ HARTMANN in ACHTENHAGEN 2002).

Im Kontext des „taught“ kommt es bei SQUIRES (2009) auf die Balancierung der didaktischen Unterrichtsplanung, der tatsächlichen Lehrer-Schüler-Interaktion und den gestellten Lern- und Hausaufgaben im Hinblick auf die gesetzten curricularen Ziele an. Zur Abstimmung zwischen diesen instruktionalen Elementen schlägt SQUIRES umfangreiche empirische Analysemaßnahmen vor. Dazu gehören u.a. auch Ermittlungen, welche Inhalte wie häufig über welchen Zeitraum behandelt werden und auf welchem kognitiven Niveau dieses erfolgt. Zugleich werden Vorschläge zur Durchführung von Konzepten eines Mastery Learning erörtert. Zentral für uns ist der Sachverhalt der Zuordnung von Curriculum und Lernobjekten, d. h. der im Unterricht vermittelten Inhalte unter Würdigung ihres Anforderungsniveaus. ACHTENHAGEN/ TRAMM (1983) haben dieses Problem in ihrem Ansatz der empirischen Curriculumforschung ausführlich diskutiert; TRAMM (1996) hat diesem Phänomen umfangreiche Passagen seiner Habilitationsschrift gewidmet.

Das „tested“ im Ansatz von SQUIRES (2009) schließlich behandelt die verschiedenen Perspektiven und Inhalte des Testens: von der formativen Leistungsfeststellung im Rahmen des Schulcurriculums bis hin zu den summativen, extern vorgeschriebenen Standardtests. Aus der „Alignment“-Perspektive kommt es bei SQUIRES (2009) insbesondere darauf an, dass in den Tests die extern formulierten Bildungsstandards balanciert werden mit den Schulcurricula, den Aufgabenformaten und den Testprozeduren, um systematische Ergebnisverzerrungen zu vermeiden. Er verdeutlicht, wie mit Hilfe seiner Vorgehensbeschreibung für die Schulen Möglichkeiten existieren, die Schülerinnen und Schüler so zu unterrichten, dass sie nicht nur Lernzuwächse einer gewünschten Art erzielen, sondern auch die Möglichkeit erhalten, in den High Stakes Tests besser abzuschneiden – was wiederum Vorteile für die Schulen und die Lehrkräfte bewirkt. Auch für Tade TRAMM waren insbesondere im Bereich des Rechnungswesens lernzielorientierte Tests Ausgangspunkt für eine tiefergehende Curriculumarbeit. Dabei analysierte er u.a. Lernschwierigkeiten und Misconceptions von Auszubildenden im kaufmännischen Rechnungswesen, um hiervon ausgehend für die Berufsausbildung angemessene Lernziele und korrespondierende didaktische Maßnahmen zu entwickeln (TRAMM/ HINRICHS/ LANGENHEIM 1996).

3 Transfer auf die deutsche Berufsbildung und Diskussion

SQUIRES (2009) legt eine machbarkeitsorientierte Strategie vor, eine auf die Spitze getriebenen Output-Orientierung im Bildungswesen rational konstruktiv anzugehen. Auch in Deutschland sind vergleichbare Trends zu erkennen. So stehen „Bildungsstandards“, „Outputorientierung“, „Lernergebnisorientierung“ und „Kompetenzorientierung“ zunehmend im Fokus der curricularen Gestaltung beruflicher Bildung. Dabei geht es vor allem darum, Lernziele und Curricula nicht nur entlang langer Listen domänenspezifischer Inhaltsbereiche zu formulieren, sondern ausgehend von berufsspezifischen Handlungsfeldern und situativen Herausforderungen personen-orientierte Dispositionen (Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Einstellungen) zu vermitteln, die notwendig sind, um gemäß den beruflichen Anforderungen kompetent handeln zu können und dieses auch am Ende eines Lernprozesses zu überprüfen. Gleichzeitig geht es auch darum, ausgehend von diesen Lernoutputs Hinweise auf lern- und entwicklungsförderliche Rahmenbedingungen zu finden. „Kompetenzorientierung“ steht als ein Beispiel für diese neue Output-Orientierung - ein Konzept der KMK, auf das auch die berufliche Bildung reagiert hat (vgl. SEEBER et al. 2010). Erste größere Forschungsschwerpunkte, waren eine Machbarkeitsstudie für ein Berufsbildungs-PISA (vgl. BAETHGE et al. 2006), die hierauf bezogene internationale Vergleichsstudie zu Basiskompetenzen in den Berufsfeldern Technik, Wirtschaft und Gesundheit (BAETHGE/ ARENDS 2009) und insbesondere die BMBF-ASCOT-Initiative (http://www.ascot-vet.net/ ). Mit diesen Forschungsvorschlägen in der beruflichen Bildung soll das zentrale Manko der internationalen Vergleichsstudien für den allgemeinbildenden Bereich behoben werden, indem eine fachdidaktisch gestützte curriculare Perspektive – wie sie TRAMM in seinen Arbeiten durchgängig verfolgt – explizit eingebracht wird. Damit ist verbunden, dass der strategische Ansatz von SQUIRES in ein konstruktiv gefasstes, pädagogisch begründetes Konzept eingebunden wird, das zudem die idealtypisch getrennten „Ideologien“ SCHIROs sinnvoll zusammenführt:

So wurden für das Berufsbildungs-PISA in einer internationalen Diskussion mit Experten aus 18 Ländern (einschließlich den USA und Australien) drei gemeinsam anzustrebende Ziele für berufliche Aus- und Weiterbildung vorgegeben, denen sich SCHIROs Kategorien unschwer zuordnen lassen und die zugleich deutlich machen, wie es darum geht, curriculare Zielsetzungen sorgsam auszutarieren (BAETHGE et al. 2006, 13; die „Ideologien“ wurden von den Autoren: SW & FA eingesetzt):

  1. „Die Entwicklung der individuellen beruflichen Regulationsfähigkeit – unter einer individuellen Nutzerperspektive (scholarly academic ideology) und dem zentralen Aspekt der persönlichen Autonomie (learner centered ideology);
  2. die Sicherung der Humanressourcen einer Gesellschaft (social efficiency ideology) und
  3. die Gewährleistung gesellschaftlicher Teilhabe und Chancengleichheit (social reconstruction ideology).“

In der ASCOT-Initiative des BMBF wird versucht, ein „alignment“ von Curriculum, Instruktion und Assessment in der beruflichen Bildung zu gewährleisten. Dafür werden intensive Domänenanalysen (primär wissenschaftliche und fachpraktische Literaturanalysen) und bilanzierte Curriculumanalysen („written“: Lehrpläne, Ausbildungsordnungen, Lehrbücher; „taught“: Beobachtungen von Lernsituationen im Berufschulunterricht und an Arbeitsplätzen; „tested“: aktuelle Evaluationen, Tests, Klassenarbeiten, Abschlussprüfungen) mittels Interviews, Dokumentenanalysen, Beobachtungen, Expertenratings, Think Alouds etc. durchgeführt. Auf dieser Basis werden Lernziele im Hinblick auf die „Ideologien“ von SCHIRO (2008) in komplexen Kompetenzmodellen formuliert. Anschließend werden auf der Basis dieser Modelle – in denen auch Kriterien über ein beobachtetes Endverhalten formuliert sind – Testaufgaben entwickelt, die eine Demonstration des erwarteten beobachtbaren Verhaltens ermöglichen. Auch wenn diese Aufgaben zunächst als Testaufgaben konzipiert werden, lassen sie sich ebenfalls als Ausgangssituationen für die Instruktion in der Berufsschule bzw. im Betrieb einsetzen.

Mit dem Hinweis auf den „research-based alignment“-Ansatz von SQUIRES (2009) wollen wir auf die Notwendigkeit dieser Curriculum-Instruktion-Assessment-Triade hinweisen, die – wie die Analysen bei SQUIRES, aber auch die Analysen der frühen Curriculumforschung in der deutschen Berufsbildung sowie aktuelle Studien zeigen - häufig nicht stringent eingehalten wird, was zu Verzerrungen im Bildungsmonitoring, in der Bildungspraxis und/oder politischen Bildungsgestaltung führt.

Von daher ist die Kritik von SQUIRES (2009) zu unterstützen. Dasselbe gilt für die Ausführungen PELLEGRINOs zur Curriculum-Instruktion-Assessment-Triade (2010), die ebenfalls aus einer Kritik an den High Stakes Tests heraus entwickelt wurde, indem er fordert, dass Curriculum, Instruktion und Assessment eine vergleichbare Komplexität aufweisen müssen. Ohne die erforderliche curriculare Konzeption von Testaufgaben zusammen mit ihrer psychometrischen Modellierung und Messung werden sich erfolgreiche Umsetzungen im Bildungsmonitoring, in der Qualitätsentwicklung, in internationalen Vergleichsstudien oder bei der Ausarbeitung des Europäischen Referenzrahmens zur Verortung von Qualifikationen kaum erreichen lassen. Allerdings gilt auch, dass psychometrische Modellierungen und Messungen, die nicht fachdidaktisch-curricular gestützt sind, kaum angemessene Wirkungen positiver Art entfalten werden. Diese Überlegungen haben ACHTENHAGEN/ TRAMM bereits 1983 (566) zu der Feststellung veranlasst, dass „Lernzuwachsstudien … ohne Beschreibungsmodell für Ziele und Inhalte nicht mit Phantasie bei der Aufgabenstellung und Anwendung des RASCH-Modells allein zu lösen sein“ werden [Hervorhebung hier durch die Autoren: SW/ FA].

Für die kaufmännische Ausbildung haben wir für den Bereich des interkulturell kompetenten Handelns (WEBER 2005; WEBER/ ACHTENHAGEN 2013) bzw. für den der kompetenten Bearbeitung von Geschäftsprozessen (ACHTENHAGEN/ WINTHER 2009) gezeigt, wie die Komplexität für das Curriculum, für die Instruktion und für das Assessment in vergleichbarer Weise gewährleistet werden kann (vgl. WEBER/ FUNKE 2012; WINTHER 2010; ACHTENHAGEN 2012). Diesbezüglich haben ACHTENHAGEN/ WINTHER (2009) im Kontext der Arbeiten zu einem Berufsbildungs-PISA ein Kompetenzmodell zur Bewältigung von Geschäftsprozessen im Rahmen der Ausbildung von Industriekaufleuten modelliert und empirisch überprüft. Die Aufgaben waren so modelliert, dass sie Handlungen entsprechen, die kaufmännische Angestellte an ihrem Arbeitsplatz zu bewältigen haben. Als ein Beispiel: In der Testbearbeitung hatten die Auszubildenden in einer technologiebasierten Unternehmenssimulation eine Lieferantenauswahl über mehrere hintereinander zu schaltende Entscheidungsdurchgänge zu bewältigen – eine Aufgabe, die in dieser Komplexität vom Curriculum gefordert wird und gleichzeitig intensiv im Unterricht zu behandeln ist. Damit wurde sichergestellt, dass die Aufgabe – zusammen mit den weiteren Testitems – valide und reliabel in vergleichbarer Qualität den curricularen und instruktionalen Kontext abbildet und die Forderung der Curriculum-Instruktion-Assessment-Triade gewahrt bleibt. Auf dieser Basis konnte dann das Kompetenzmodell für die Bewältigung kaufmännischer Geschäftsprozesse erfolgreich getestet werden. Im Rahmen der ASCOT-Initiative wird entsprechend dieser Triade in einem Teilprojekt die Modellierung und Messung für eine „Intrapreneurship-Kompetenz“ bei Industriekaufleuten vorgenommen (WEBER et al. im Erscheinen).

4 Diskussion und Schlussbemerkung

Mit unserem Beitrag würdigen wir die Arbeit Tade TRAMMs auf dem Gebiet der fachdidaktisch begründeten Curriculumforschung. Gleichzeitig verdeutlichen wir, dass es erforderlich ist, in viel umfangreicherer Weise als bisher curriculare Arbeiten voranzutreiben. Es ist unsere Überzeugung, dass ohne eine fachdidaktisch gestützte Curriculumforschung, die – im Sinne der Triade – von den erarbeiteten Zielen und Inhalten her entsprechend instruktional umgesetzt sowie mit psychometrischen Modellierungen und Messungen verknüpft wird, sich Fortschritte bezüglich der politischen Vorgaben im Hinblick auf Lernfeldorientierung, Kompetenzorientierung, Handlungsorientierung oder EQR kaum werden erzielen lassen. Diese Überlegungen sollten – bzw. besser: müssen – systematisch in die Handelslehrerbildung einbezogen werden. Das gilt für die erste und zweite Ausbildungsphase, aber auch für Ansätze der Lehrerweiterbildung.

Literatur

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Zitieren des Beitrags

WEBER, S./ ACHTENHAGEN, F. (2014): Einige unmaßgebliche Gedanken zur aktuellen Diskussion um eine gelingende Curriculumentwicklung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Profil 3, 1-11. Online: http://www.bwpat.de/profil3/weber_achtenhagen_profil3.pdf  (23-05-2014).