bwp@ 40 - Juli 2021

Didaktisierung des Digitalen: Zur Entwicklung berufs- und wirtschaftspädagogischer Studiengänge

Hrsg.: H.-Hugo Kremer, Nicole Naeve-Stoß, Lars Windelband & Juliane Fuge

Unterstützt die berufliche Selbstreflexionskompetenz die angemessene Nutzung digitaler Tools in der beruflichen Schule? Zur empirischen Untersuchung von Aspekten kritischer Gestaltungskompetenz bei Studierenden des beruflichen Lehramts

Beitrag von Anne Traum, Philipp Struck, Stephanie Dahn, Uta Ziegler & Franz Kaiser
bwp@-Format: Forschungsbeiträge
Schlüsselwörter: berufliche Selbstreflexionskompetenz, kritische Gestaltungskompetenz, Digitalisierung, berufliche Lehrkräftebildung

Der Beitrag ist ein erster Werkstattbericht aus dem Projekt „Campus BWP Individuum MV“ (FKZ: 01JA2023A) am ibp der Universität Rostock. Er leitet berufliche Selbstreflexionskompetenz und ihren Bezug zum Wissen über digitale Werkzeuge theoretisch und empirisch her und skizziert weitere Forschungsthemen, die für künftige Publikationen aufbereitet werden.

Die hier vorgestellte Skala zur Erfassung der Beruflichen Selbstreflexionskompetenz (gBSR) ist nur bedingt für den gedachten Einsatzzweck - die Sichtbarmachung von Entwicklungsfortschritten - geeignet. Dennoch ist es gelungen eine erste Version der gBSR herzuleiten und für weiterführende Forschung zur Verfügung zu stellen. Ferner wurden Skalen zu allgemeinem Wissen über digitale Werkzeuge (digi-general) und spezifischem Wissen über digitale Werkzeuge (digi-specific) entwickelt. Deutlich wird, dass allgemeines und spezifisches Wissen über digitale Werkzeuge mit beruflicher Selbstreflexion angehender Berufsschullehrkräfte zusammenhängen.

Do Professional Self-Reflexive Skills Support the Appropriate Use of Digital Tools in Vocational Education Schools? A Workshop Report about an Empirical Analysis to the Aspects of Critical Skills to Shape the Future of VET Teacher Students

English Abstract

This paper is a first report on work in progress from the project „Campus BWP Individuum MV“ from the Institute of Vocational Education at Rostock University. Professional self-reflexive skills of VET teacher students are theoretically founded and empirically related to general and specific technological knowledge. Outline on future research is given.

The here presented scale for the acquisition of professional self-reflexive skills (gBSR) is of limited sustainability for the intended use – the display of development progress. Nevertheless it represents a first approach on this issue and is available now for further research. In addition, we created two scales for testing general and specific technological knowledge. Obviously, there is an important relation between general and professional knowledge about digital tools and self-reflexive skills of vocational education teachers.

1 Berufliche Selbstreflexionskompetenz von Lehrkräften und die Nutzung digitaler Tools in der beruflichen Schule

‚Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung.‘ Das gilt im Beruf ebenso wie im Privatleben. Doch wie kommt man zu einer (persönlichen) Einsicht? Eine Möglichkeit ist die Selbstreflexion. Sie ermöglicht es, Fehler zu analysieren, Verbesserungspotentiale zu erkennen und spielt bei der Evaluation der Ergebnisse von Coaching eine zentrale Rolle (Greif/Berg/Röhrs, 2006; Greif/Berg, 2011). Üblicherweise steht dabei das Selbst im Fokus, das als komplexe Wissensstruktur aufgefasst wird, die Bedürfnisse, Gefühle, Werte und persönliche Eigenschaften umfasst und positive sowie negative Selbstrepräsentationen integriert (Kuhl, 2001). Einfach ausgedrückt, ist es die Gewissheit eines Menschen, wer er ist was er denkt, braucht oder fühlt. Diese Selbst-Gewissheit hängt positiv mit der Affektregulation, dem Wohlbefinden, dem Lebenssinn und dem Umgang mit Herausforderungen zusammen. Der Zugang zum Selbst bzw. zu selbst-bezogenen Informationen fällt Menschen unterschiedlich leicht (Kuhl & Quirin, 2018).

In Abgrenzung dazu nimmt die berufliche Selbstreflexionskompetenz von Lehrkräften die selbstständige, kritische Analyse konkreter Unterrichtssituationen und ihre Gestaltung in den Blick und nicht (primär) das oben definierte Selbst. Vor dem Hintergrund wachsender Anforderungen durch die Einführung bzw. verstärkte Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ist die berufliche Selbstreflexionskompetenz für Lehrkräfte besonders wichtig. Aus der Perspektive Erwerbstätiger führt Digitalisierung zur „Beschleunigung, zunehmenden Abstraktheit, Flexibilisierung und Individualisierung von Prozessen und Ergebnissen“ (Traum/Müller/Hummert/Nerdinger, 2017). Mit dieser Herausforderung sind Berufsschullehrkräfte in ihrer (alltäglichen) Tätigkeit konfrontiert. Dies betrifft den Umgang mit digitalen Lehrinhalten und Lernmedien (Guggemos/Seufert, 2021), dem eigenen Smartphone (Ward/Duke/Gneezy/Bos, 2017), wie auch die Gestaltung von Lernsituationen beruflicher Bildung mit Auszubildenden in digitalen Räumen. Entscheidungen über Sinn (Unsinn) der Digitalisierung von Lehrinhalten und die Verwendung geeigneter Online-Tools, Software etc. sind täglich zu treffen (Lippold/Greding, 2020). Sie basieren teilweise auf unvollständigem Wissen, z.B. bezogen auf die Anzahl und Entstehung neuer Apps. Deshalb ist es gegenwärtig bedeutsam, eine offene Haltung zum Handeln in Unsicherheit(en) zu entwickeln und diese durch eine kritische Gestaltungskompetenz (aktiv) zu unterstützen (Brater/Freygarten/Rahmann/Rainer, 2011). Die Entwicklung kritischer Gestaltungskompetenz wird durch die Förderung beruflicher Selbstreflexionskompetenz unterstützt.

Auszubildende und Studierende sind nicht von sich aus kompetente IKT-Nutzer (Guggemos/Seufert, 2021). Das Gleiche gilt für die Lehrenden, möchten wir gerne ergänzen. Berufliche Selbstreflexionskompetenz kann unter anderem dabei helfen, die eigenen digitalen Anwendungskompetenzen zu verbessern. Sie ist deshalb ein zentrales Element der Lehrer*innenbildung im Allgemeinen (Berndt/Häcker/Leonhard, 2017). Für ihre Entwicklung und Verbesserung bedarf es zunächst geeigneter Instrumente der Erfassung des Status quo. Solche existieren bislang nur in qualitativer Form. So entwickelte Jahncke (2018) auf der Basis konkreter Reflexionsanlässe ein Kompetenzstruktur- und -stufenmodell und leitete daraus drei Selbstreflexionstypen ab, die Aufschluss über das vorhandene Selbstreflexionsniveau von Studierenden der Berufs- und Wirtschaftspädagogik geben. Dabei fasst sie unter dem Begriff Selbstreflexion sowohl die Reflexion der Studierenden über das eigene Wissen und Handeln wie auch die Reflexion über die äußeren Umstände und Rahmenbedingungen der Situation zusammen. In diesem Beitrag wird ein quantitatives Instrument zur Erfassung der beruflichen Selbstreflexionskompetenz bei angehenden Lehrkräften an Beruflichen Schulen vorgestellt. Anschließend werden Bezüge zur Nutzung digitaler Tools für den Schulalltag hypothesengeleitet ermittelt.

1.1 Kritische Gestaltungskompetenz von Berufsschullehrkräften

Die kritische Gestaltungskompetenz von Berufsschullehrkräften speist sich aus selbstreflexiver Autonomie und sozial-verantwortlichem Handeln (Kaiser, 2018). Sie setzt demzufolge die individuelle Fähigkeit ebenso voraus wie die Kenntnis um soziale Zusammenhänge und die Bereitschaft wertorientiert zu handeln. Selbstreflexive Autonomie ist die Fähigkeit, sich selbst vorzustehen (Cohn, 1975) und sozial-verantwortliches Handeln bedeutet, die Interessen der Allgemeinheit zu berücksichtigen. Kritische Gestaltungskompetenz kann bereits bei Studienanfänger*innen vorhanden sein. Die Schaffung von Gelegenheiten zu ihrer Weiterentwicklung ist im „Rostocker Studienerfolgsmodell für das berufsbildende Lehramt“ (Abbildung 1) ein zentraler Baustein für den Studienerfolg. Das Modell integriert das „Modell professioneller Kompetenz von Lehrkräften“ (Baumert/Kunter, 2006) in ein Studienerfolgsmodell (Thiel et al., 2008). Die Bezüge zwischen der kritischen Gestaltungskompetenz und den zentralen Elementen professioneller Kompetenzen von Lehrkräften manifestieren sich theoretisch in den Eigenschaften eines idealen Absolventen (ideal graduate), das sind konkrete Fähigkeiten und Fertigkeiten, die selbstreflexive Autonomie und sozial-verantwortliches Handeln ausmachen. Konkret sind es die Fertigkeiten der Lehrkräfte zum partizipativen Lehren, zur individuellen Unterstützung von Jugendlichen und zur Kooperationsentwicklung, und zudem die Fähigkeiten, einen achtsamen Umgang mit der eigenen Person und eine selbstkritische Haltung zur eigenen Kompetenzentwicklung zu pflegen sowie eigene Standpunkte zu vertreten (Kaiser, 2018). Diese Fähigkeiten und Fertigkeiten (skills and abilities) repräsentieren zugleich die Verbindung zwischen kritischer Gestaltungskompetenz und allgemeinen professionellen Kompetenzen von Lehrkräften (vgl. Traum/Ziegler/Kaiser, 2021). Theoretisch sollte sich die selbstreflexive Autonomie von Lehrkräften gut mittels beruflicher Selbstreflexion entwickeln lassen, da sie die eigene Wirksamkeit (Was hat gut funktioniert/habe ich gut gemacht? Warum hat es gut funktioniert?) bzw. Wirkungslosigkeit (Was hat weniger gut funktioniert/habe ich nicht gut gemacht? Warum hat es nicht funktioniert?) in vergangenen und zukünftigen Lehrsituationen in den Blick nimmt. Sie eröffnet dadurch Räume zur selbstkritischen Kompetenzentwicklung, zur Vertretung eigener Standpunkte (die Wirkung ungünstiger Außenfaktoren, z.B. Lärm, Hitze, räumliche Enge sind kaum zu beeinflussen) sowie einen achtsamen Umgang mit sich selbst, z.B. die Freude an eigenen Lehrerfolgen oder die Möglichkeit der Distanzierung von negativer Wirkung durch nicht beeinflussbare Faktoren (Kaiser 2020).

Abbildung 1: Rostocker Studienerfolgsmodell für das berufsbildende LehramtAbbildung 1: Rostocker Studienerfolgsmodell für das berufsbildende Lehramt

1.2 Berufliche Selbstreflexionskompetenz – ein Kernelement kritischer Gestaltungskompetenz

Berufliche Selbstreflexionskompetenz ist somit ein, wenn nicht der Kernaspekt kritischer Gestaltungskompetenz von Berufsschullehrer*innen, denn sie ermöglicht erst die sorgfältige Analyse des eigenen Handelns und seiner (Aus-)Wirkungen. Doch existiert dazu bislang keine quantitative Skala, die einen ökonomischen Einsatz ermöglicht und Entwicklungsfortschritte sichtbar machen könnte. Jahnke (2018) modellierte bzw. dimensionierte die (berufliche) Selbstreflexionskompetenz von beruflichen Lehramtsstudierenden qualitativ und kognitiv als rückwärts sowie vorwärts gewandte Perspektive auf eine bestimmte Lehrsituation, die innere und äußere Einflussfaktoren berücksichtigt. Das eigene vergangene bzw. zukünftige Handeln ist in dieser Betrachtung ein innerer Faktor und die Rahmenbedingungen in zurückliegenden bzw. zukünftigen Situationen sind äußere Faktoren. Entsprechend dieser vier unterschiedlichen Perspektiven und in enger Anlehnung an diese Vorarbeiten wurden kognitive Items formuliert; Items zur affektiven Perspektive auf die Lehrsituation wurden ergänzt und die vorläufige Skala der Beruflichen Selbstreflexionskompetenz erstellt. Hierbei ist zu beachten, dass zwischen der Betrachtung eigenen Handelns in einer bestimmten Lehrsituation und der Betrachtung des Selbst, Unterschiede bestehen, die sich auch in der Zusammensetzung der Items niederschlagen. So enthält die Skala zur beruflichen Selbstreflexion z.B. keine Aussagen über eigene Gedanken oder die Wahrnehmung somatischer Marker (Storch/Kuhl, 2012, 57) zum Zeitpunkt der Handlung. Tabelle 1 zeigt eine Übersicht der Items und die Zuordnung zu den jeweiligen Perspektiven in Anlehnung an Jahnke (2018).

In der vorliegenden Arbeit wird geprüft, ob sich die vier Dimensionen der Selbstreflexion auch faktorenanalytisch belegen lassen. Theoretisch sollten sich in der Analyse zwei (rückwärts und vorwärts bzw. innen und außen) bis maximal vier (rückwärts-innen, rückwärts-außen, vorwärts-innen, vorwärts-außen) Faktoren zeigen. Geprüft werden folgende Hypothesen:

H1: Die Faktorenanalyse der Items zur beruflichen Selbstreflexionskompetenz zeigt zwei separate Faktoren, die sich inhaltlich als nach rückwärts (Reflexion) bzw. nach vorwärts (Planung) gerichtete Reflexions-Perspektive interpretieren lassen.

H2: Die Faktorenanalyse der Items zur beruflichen Selbstreflexionskompetenz zeigt zwei separate Faktoren, die sich inhaltlich als nach innen bzw. nach außen gerichtete Reflexions-Perspektive interpretieren lassen.

H3:  Die Faktorenanalyse der Items zur beruflichen Selbstreflexionskompetenz zeigt vier separate Faktoren, die sich inhaltlich als rückwärts-nach innen, rückwärts-nach außen, vorwärts-nach innen und vorwärts-nach außen gerichtete Reflexions-Perspektive interpretieren lassen.

1.3 Nutzung digitaler Technologien zur Unterrichtsvorbereitung und -durchführung

Wie aktuelle Befunde zeigen, hat technologisches Wissen (Technological Knowledge, TK) von Berufsschullehrer*innen (an Beruflichen Schulen für kaufmännische Berufe) keinen direkten Effekt auf die Nutzung von Technologie. „TK in isolation may neither be sufficient to teach with technology nor about technology“ (Guggemos/Seufert, 2021, 8). Technologisches Wissen ist aber dienlich für technologisches pädagogisches Wissen (Technological Pedagogical Knowledge, TPK) und technologisches pädagogisches Inhaltswissen (Technological Pedagogical Content Knowledge, TPACK) bzw. es sagt dieses vorher. TPK kann verstanden werden als grundsätzliches Wissen darüber, wie die pädagogische Arbeit mittels digitaler Technik sinnvoll unterstützt werden kann. Zur pädagogischen Arbeit in diesem Sinne gehören die individualisierte Vermittlung von Lerninhalten, die valide Kompetenzdiagnostik, das Klassenraummanagement, eine weitreichende Kenntnis unterschiedlicher (digitaler) Lehr- und Lernmethoden sowie die effektive Unterstützung der Denk- und Lernprozesse der Schüler*innen (mit digitalen Medien). TPACK umfasst das inhaltliche Wissen und die Kompetenz einer Lehrkraft, mit digitalen Medien die Schüler*innen in ihrer Urteilsfähigkeit zu fördern (gemeint ist das Finden, Verstehen und Bewerten von Online-Informationen), sie zur Bearbeitung und Erstellung digitaler Lehrinhalte zu befähigen, sie bei der Zusammenarbeit zu unterstützen, sie in der selbständigen Problemidentifikation und Problemlösung zu fördern und zur Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) bzw. konkreter Software-Anwendungen (z.B. MS Office) zu befähigen. TPK unterscheidet sich insofern von TPACK, dass ersteres ‚nur‘ die eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten zum pädagogisch sinnvollen Einsatz digitaler Techniken und Medien umfasst, letzteres auch das Wissen zur Vermittlung an die Schüler*innen und die Fähigkeiten zur direkten Unterstützung und Förderung der Schüler*innen durch den Einsatz digitaler Medien.

Im Unterschied zur Arbeit von Guggemos und Seufert (2021), die einen konzeptionellen Rahmen zur Vorhersage der Nutzung von Technologie als Mittel und Gegenstand von Unterricht auf der Basis von technologischem, pädagogischem und Inhaltswissen vorstellen, wird in der vorliegenden Arbeit allgemeines und spezifisches Wissen angehender Lehrkräfte über konkrete digitale Tools erfasst. Hierdurch besteht eine größere theoretische Nähe zum Will Skill Tool – Modell (WST-Model) (Knezek/Christensen, 2016), denn es werden neben Einstellungen (will) und Fähigkeiten (skill) auch Zugangsmöglichkeiten (tool) berücksichtigt, letztere fanden bei Guggemos/Seufert (2021) keine Berücksichtigung. Ergänzend werden lerntheoretische Aspekte digitaler Kompetenzen aufgenommen (z.B. Ziele, Berücksichtigung verschiedener Sinnesmodalitäten) und Aspekte des Datenschutzes berücksichtigt. Zudem werden in der vorliegenden Arbeit konkrete digitale Werkzeuge aus der pädagogischen Praxis abgefragt, davon haben Guggemos und Seufert (2021) bewusst abgesehen. Wir möchten den Zusammenhang zwischen allgemeinem Wissen über digitale Werkzeuge und der tatsächlichen Nutzung digitaler Werkzeuge für die Unterrichtsvorbereitung und -durchführung prüfen.

In der vorliegenden Arbeit wurde ein praxisbezogener, Experten-basierter Ansatz gewählt. Mittels einer Befragung von Lehrer*innen (N = 10), die im Rahmen der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ an der Mentor*innenqualifizierung des Instituts für Berufspädagogik (ibp) der Universität Rostock teilnehmen, wurden relevante digitale Tools gesammelt. Gefragt wurde ausschließlich nach digitalen Werkzeugen, die diese Lehrer*innen in ihrer beruflichen Praxis nutzen. Anschließend wurden diese Tools kategorisiert und um weitere, zu diesen Kategorien gehörende Anwendungen ergänzt. Eine Liste dieser Tools wurde im Rahmen der vorliegenden Befragung von Studierenden im Lehramt für berufliche Schulen an der Universität Rostock verwendet. Untersucht werden soll der Zusammenhang zwischen allgemeinem Wissen (Einstellungen, Fähigkeiten, Zugangsmöglichkeiten etc.) über digitale Werkzeuge bei zukünftigen Berufsschullehrer*innen (Studierenden für das Lehramt an Beruflichen Schulen) und der tatsächlichen Nutzung konkreter Werkzeuge bei der Unterrichtsvorbereitung und -durchführung. Es wird die Hypothese geprüft:

H4: Allgemeines Wissen über digitale Werkzeuge für die pädagogische Arbeit hängt positiv mit der Nutzung digitaler Werkzeuge für die Unterrichtsvorbereitung und -durchführung zusammen.

Ergänzend werden die folgenden Hypothesen geprüft:

H5: Die Nutzung von Technologien hängt negativ mit der Innenperspektive der beruflichen Selbstreflexion zusammen.

H6: Die Nutzung von Technologien hängt positiv mit der Außenperspektive der beruflichen Selbstreflexion zusammen.

2 Methode

Die Online-Befragung wurde bei Studierenden der Berufs- und Wirtschaftspädagogik im Bachelor- und Masterstudium an der Universität Rostock und der Hochschule Neubrandenburg mit dem Programm „soscisurvey“ (www.soscisurvey.de) durchgeführt. Der ursprüngliche Befragungszeitraum vom 07.01.2021 bis 15.02.2021 wurde aufgrund des geringen Rücklaufs bis zum 06.03.2021 verlängert. Die Studierenden erhielten dafür eine zweite Erinnerung per Email. Dadurch erhöhte sich der Rücklauf jedoch nur minimal (um 10 Teilnehmer*innen). Insgesamt beteiligten sich 77 Studierende an der Befragung. Bezogen auf die Grundgesamtheit von 338 Studierenden (Universität Rostock: 240 Studierende (davon 80 Berufs- und 160 Wirtschaftspädagog*innen); Hochschule Neubrandenburg: 98 Studierende) lag die Rücklaufquote damit bei ca. 23%.

2.1 Berufliche Selbstreflexionskompetenz

Die berufliche Selbstreflexionskompetenz wurde mit den in Tabelle 1 dargestellten Items auf einer fünf-stufigen Likert-Skala (1 nie – 2 selten – 3 gelegentlich - 4 oft – 5 immer) erhoben. Die Umfrage war so angelegt, dass jeweils nur diejenigen Studierenden die Items zur beruflichen Selbstreflexionskompetenz angezeigt bekamen, die zuvor angaben, bereits Lehrsituationen selbst gestaltet zu haben.

2.2 Nutzung digitaler Technologien

In der vorliegenden Arbeit wurden die allgemeinen digitalen Kenntnisse von zukünftigen Lehrkräften erfasst. Dafür wurde die Zustimmung zu allgemeinen Aussagen (16 Items) über die Nutzung digitaler Tools im pädagogischen Kontext auf einer fünf-stufigen Likert-Skala (1 trifft gar nicht zu – 5 trifft voll zu) erfragt. Ein Beispiel-Item lautete: „Ich habe eine klare Vorstellung davon, was digitale Werkzeuge sind.“ Tabelle 2 gibt einen Überblick über alle Items zur Nutzung digitaler Tools und ihre theoretische Zuordnung zu den Bereichen des will skill tool (WST)-Modells, lerntheoretischen Aspekten und Datenschutz. Anschließend wurde der Einsatz konkreter Software-Anwendungen für die Unterrichtsvorbereitung und -durchführung in der Praxis erfragt (26 Items). Die Befragten konnten auf einer fünf-stufigen Likert-Skala (1 nie – 2 selten – 3 gelegentlich - 4 oft – 5 immer) angeben, wie häufig sie das jeweilige digitale Werkzeug für ihre Unterrichtsvorbereitung und -durchführung nutzen. Zur Beantwortung dieser Frage, wurden die zusätzlichen Antwortoptionen „ist mir nicht bekannt“ „möchte ich nicht nutzen“, „möchte ich nutzen, habe keinen Zugriff“ mit angeführt.

3 Ergebnisse

3.1 Deskriptiv

Ein Viertel (n = 19) der an der Umfrage beteiligten Studierenden (N = 77) kam von der Hochschule Neubrandenburg, drei Viertel (n = 58) von der Universität Rostock. Davon waren 53 (69 %) Frauen, 21 (27 %) Männer, 3 Personen (4 %) machten dazu keine Angabe. Die Studierenden waren im Durchschnitt 27 Jahre alt (M = 27, SD = 4.33, Mod = 26), die Alterspanne reichte dabei von 21 bis zu 40 Jahren. Von den Teilnehmenden strebten 46 zum Zeitpunkt der Befragung einen Bachelor und 30 einen Masterabschluss an (eine Person beantwortete diese Frage nicht). Durchschnittlich studierten die Teilnehmer*innen zum Zeitpunkt der Befragung im 4. Semester (M = 3.80, SD = 2.47, Mod = 3), die Antwortspanne reichte vom ersten bis zum 12. Semester, 6 Personen machten keine Angaben, in welchem Semester sie aktuell studieren. 15 Teilnehmende (20 %) hatten ein Kind oder mehrere Kinder. Die Items zur beruflichen Selbstreflexionskompetenz wurden von n = 52 Studierenden bearbeitet. Auf diese beziehen sich die folgenden Auswertungen.

3.2 Berufliche Selbstreflexionskompetenz - Skalenkonstruktion

Aufgrund des geringen Stichprobenumfanges verzichten wir auf die Prüfung der Hypothesen 1, 2 und 3 zur faktoriellen Struktur mittels konfirmatorischer Faktorenanalyse. Die Fallzahl sollte dafür mindestens der dreifachen Variablenzahl entsprechen (Backhaus/Erichson/Plinke/Weiber, 2018, 429), diese Bedingung ist nicht erfüllt, da nur 52 Teilnehmende die Fragen zur beruflichen Selbstreflexion beantwortet haben.

Die deskriptiven Analysen der Antworten zeigen außerdem für 12 der 20 Items starke Abweichungen von der Normalverteilung. (Der Quotient aus Schiefe und Standardfehler der Schiefe überstieg bei diesen Items den Wert von -2.0 bzw. 2.0 und Q-Q-Diagramme zeigten die Abweichung von der Normalverteilung.) Wir berichten im Folgenden die Ergebnisse der Item- und Skalen-Analysen für die berufliche Selbstreflexionskompetenz. Tabelle 1 zeigt eine vollständige Übersicht der verwendeten Items, ihre theoretische Zuordnung zu je einer der vier Reflexions-Perspektiven (rückwärts, vorwärts / innen, außen), die statistischen Kennwerte (M, SD, Schiefe, Standardfehler der Schiefe (SFSchiefe) sowie die korrigierten Trennschärfekoeffizienten („Item-Skala-Korrelationen“) und Fremdtrennschärfen. Die 8 Items mit normalverteilten Antworten sind fett hervorgehoben (Item-Nr. 7, 9, 10, 11, 12, 14, 18, 20).

Tabelle 1:     Berufliche Selbstreflexionskompetenz (BSR) – Items, Perspektiven, statistische Kennzahlen (in Anlehnung an Jahnke, 2018)

Nr.

Item-Wortlaut

Perspektive

 

 

 

Skala

       

M, SD

Sch.

SFS

RI

VI

RA

VA

gBSR

1

Ich reflektiere meine Gefühle in zurückliegenden Lehrsituationen.

rück

innen (RI)

3.76, .84

-.78

.31

.72 (.63)

 

.60

   

2

Ich reflektiere mein Handeln in zurückliegenden Lehrsituationen.

rück

innen

4.14, .78

-1.39

.31

.82 (.77)

 

.65

.31

 

3

Ich reflektiere den Zusammenhang zwischen meinem Verhalten und dem Lernerfolg der Schüler*innen.

rück

innen

3.98, .92

-1.25

.32

.82 (.75)

 

.65

.30

 

4

Ich reflektiere den Zusammenhang zwischen meiner Unterrichtsplanung und dem Lernerfolg der Schüler*innen.

rück

innen

4.00, .85

-1.55

.33

.83

(.77)

 

.57

   

5

Ich reflektiere Situationen, in denen ich erfolgreich gehandelt habe.

rück

innen

3.91, .93

-.97

.32

.70 (.60)

 

.63

.52

 

6

Ich reflektiere Situationen, in denen ich nicht erfolgreich gehandelt habe.

rück

innen

4.42, .79

-1.85

.32

.75 (.67)

 

.46

   

7

Ich reflektiere besonders intensiv die Situationen, die mir ein positives Gefühl vermittelten/in denen ich erfolgreich war.

rück

innen

3.45, .97

-.28

.32

.67 (.55)

 

.56

.29

.52

(.31)

8

Ich reflektiere besonders intensiv die Situationen, die mir ein negatives Gefühl vermittelten/in denen ich nicht erfolgreich war.

rück

innen

4.30, .89

-1.60

.32

.74 (.65)

 

.52

   

9

Ich plane erforderliche Veränderungen meines Handelns für zukünftige Lehrsituationen.

vor

innen (VI)

4.16, .66

-.19

.32

 

.71 (.55)

   

.55 (.42)

10

Ich plane zielgruppenspezifische Maßnahmen, um den Lernerfolg der Schüler*innen zu erhöhen.

vor

innen

4.02, .74

-.32

.33

 

.80 (.63)

.35

.47

.70

(.58)

11

Ich passe meine Unterrichtsplanung dem Kenntnisstand der Schüler*innen an.

vor

innen

4.26, .68

-.37

.33

 

.75 (.61)

   

.65

(.54)

12

Ich versuche, erfolgreiches Verhalten in zukünftigen Lehrsituationen zu wiederholen.

vor

innen

4.21, .57

-.01

   

.66 (.52)

.37

.39

.64

(.54)

13

Ich versuche, nicht erfolgreiches Verhalten in zukünftigen Lehrsituationen zu vermeiden.

vor

innen

4.19, .79

-.85

.33

 

.76 (.57)

     

14

Ich reflektiere die Rahmenbedingungen zurückliegender Lehrsituationen (Lernatmosphäre, Vorwissen, Lärm, Hitze ...).

rück

außen (RA)

3.91, .88

-.51

.33

   

.79

(.60)

 

.75

(.62)

15

Ich reflektiere das Verhalten der Schüler*innen.

rück

außen

4.17, .79

-.83

.33

.71

 

.70 (.51)

.33

 

16

Ich reflektiere für zurückliegende Lehrsituationen den Zusammenhang zwischen den Rahmenbedingungen und dem Lernerfolg der Schüler*innen.

rück

außen

3.86, .93

-.68

.34

.53

.31

.86 (.70)

.36

 

17

Ich reflektiere den Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Schüler*innen und ihrem Lernerfolg.

rück

außen

4.02, .77

-1.16

.34

.78

 

.84 (.71)

.36

 

18

Ich plane konkrete Verbesserungen von Rahmenbedingungen für zukünftige Lehrsituationen.

vor

außen (VA)

3.88, .76

-.08

.33

.44

.49

 

.78

(.53)

.70

(.58)

19

Ich plane unterstützende Maßnahmen, um den Lernerfolg der Schüler*innen zu verbessern.

vor

außen

3.96, .86

-.89

.33

.31

.34

.39

.86 (.63)

 

20

Ich plane Maßnahmen, um das Arbeitsverhalten der Schüler*innen zu verbessern.

vor

außen

3.98, .68

-.38

.33

.37

.33

.49

.85 (.68)

.67

(.55)

Legende: in Klammern: korrigierte Trennschärfekoeffizienten (Item-Skala-Korrelationen), das ist die Korrelation des Items mit dem Gesamtwert der Skala ohne das Item, alle angegebenen Korrelationen sind signifikant p < .05, M = Mittelwert, SD = Standardabweichung, Sch. = Schiefe, SFs = Standardfehler der Schiefe

Bei Betrachtung der Mittelwerte wird deutlich, dass die Fragen überwiegend mit hoher Zustimmung beantwortet wurden, aus testtheoretischer Perspektive ist ihre Schwierigkeit damit gering. Anders ausgedrückt, die Tendenz zu der Angabe, dass man die jeweilige Verhaltensweise beruflicher Selbstreflexion „oft“ bzw. „immer“ ausübt, ist sehr hoch. Weiter wird deutlich, dass nahezu alle Items substantielle Ladungen auch auf Fremdskalen aufweisen. Deshalb wurde abschließend aus den 8 Items, welche eine Normalverteilung aufweisen, eine Gesamtskala Berufliche Selbstreflexionskompetenz (gBSR) berechnet. Die Reliabilität der Skala ist gut (Cronbachs Alpha = .80). Die Korrelation der 8 Items mit der gBSR-Skala sowie die korrigierten Trennschärfekoeffizienten sind in der letzten Spalte von Tabelle 1 dargestellt. Die Analysen zeigen außerdem auch für die übrigen Items signifikante Korrelationen mit der gBSR-Skala (.30 < r < .64, p < .05). Die Ausnahmen bilden Item 4, r = .27, p = .058 („Ich reflektiere den Zusammenhang zwischen meiner Unterrichtsplanung und dem Lernerfolg der Schüler*innen“) und Item 8, r = .26, p = .068 („Ich reflektiere besonders intensiv die Situationen, die mir ein negatives Gefühl vermittelten/in denen ich nicht erfolgreich war“), wo die Korrelationen unter .30 liegen. Tendenziell ist hier dennoch von einem inhaltlichen Bezug zur gBSR-Skala auszugehen, er kann zumindest auf Basis der vorhandenen Daten bestätigt werden. Für die weiteren Analysen der Zusammenhänge zwischen beruflicher Selbstreflexionskompetenz und allgemeiner bzw. spezifischer digitaler Kompetenzen wird der Wert jedes*r Befragten aus der gBSR-Skala verwendet.   

3.3 Allgemeines Wissen über digitale Werkzeuge

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Befragung zum allgemeinen Wissen über die Nutzung digitaler Tools im pädagogischen Kontext berichtet. Tabelle 2 gibt einen Überblick der Items zur Nutzung digitaler Tools und ihrer theoretischen Zuordnung zu den Bereichen des will skill tool (WST)-Modells. 45 Teilnehmer*innen haben die Aussagen zum allgemeinen Wissen über digitale Werkzeuge vollständig bearbeitet. Auch hier liegen bei 7 von 16 Items deutliche Abweichungen von der Normalverteilung vor. Wir beschränken uns deshalb auf den Bericht der vorläufigen Berechnung einer Gesamtskala digi-general für das allgemeine Wissen über digitale Werkzeuge und verzichten auf die Berechnung von Einzelskalen. Die korrigierten Trennschärfekoeffizienten der Items sind der letzten Spalte von Tabelle 2 zu entnehmen. Die interne Konsistenz der Gesamt-Skala ist knapp akzeptabel (Cronbachs Alpha = .68). Es fällt auf, dass - mit einer Ausnahme (Item 1) - die höchsten Trennschärfekoeffizienten bei Items auftreten, deren Antworten nicht normalverteilt sind. In den weiteren Analysen wird der Gesamtwert digi-general jedes Teilnehmers berücksichtigt, der auf der Summe der 9 Items mit normalverteilten Antworten beruht (Items 1, 2, 6, 10, 11, 12, 13, 15 und 16).

Tabelle 2:     Allgemeines Wissen zur Nutzung digitaler Werkzeuge

Nr.

Item-Wortlaut

WST-Modell

M

SD

NV

rit

1

Ich habe eine klare Vorstellung davon, was digitale Werkzeuge sind.

will

4.02

.87

x

.41

2

Für meine Unterrichtsgestaltung kenne ich ausreichend digitale Werkzeuge.

will

3.47

.97

x

.27

3

Bei meiner Unterrichtsgestaltung kann ich auf digitale Werkzeuge vollkommen verzichten. (r)

will

3.90

1.03

 

.13

4

Ich informiere mich vorab über die Einsatzmöglichkeiten einer Software, die ich nutzen möchte.

skill

4.04

.98

 

.44

5

Bei der Auswahl einer Software berücksichtige ich das Lernziel.

Lerntheoretisch begründet

4.11

.83

 

.42

6

Bei der Auswahl einer Software verlasse ich mich auf das Urteil von Kolleg*innen. (r)

will

3.36

.86

x

.06

7

Ich teste Software vor der Verwendung im Unterricht.

skill

4.36

.96

 

.63

8

Ich suche im Internet nach kostenloser Software.

tool

3.84

1.04

 

.22

9

Ich nutze Software, mit der die Schüler*innen/ Auszubildenden selbst arbeiten können.

skill

4.22

.82

 

.50

10

Ich nutze digitale Werkzeuge (z.B. e-Portfolio) auch zur beruflichen Selbstreflexion.

skill

2.71

1.25

x

.25

11

Ich nutze ausschließlich digitale Werkzeuge, welche mir die Schule zur Verfügung stellt. (r)

tool

3.62

.98

x

.12

12

Ich nutze digitale Werkzeuge, die Wiederholung unterstützen.

Lerntheoretisch begründet

3.42

.75

x

.28

13

Ich nutze digitale Werkzeuge, die Lernen über verschiedene Sinneskanäle (auditiv, visuell, haptisch) unterstützen.

Lerntheoretisch begründet

3.96

.67

x

.25

14

Ich berücksichtige die DSGVO.

Datenschutz

3.71

1.22

 

.48

15

Datenschutz bedeutet Mehraufwand. (r)

Datenschutz

2.67

1.30

x

.14

16

Ich würde gern auf die Datenschutzvorgaben verzichten. (r)

Datenschutz

3.36

1.32

x

.15

Legende: NV = x: Normalverteilung der Antworten, (r) = Item revers kodiert, rit = Korrigierte Trennschärfe

3.4 Spezifisches Wissen über digitale Werkzeuge – Nutzung der Werkzeuge in der Unterrichtsvorbereitung und -durchführung

Im Folgenden berichten wir die Ergebnisse der Befragung bezüglich dem Einsatz konkreter Software-Anwendungen für die Unterrichtsvorbereitung und -durchführung in der Praxis. Für 39 Teilnehmer*innen liegen vollständige Antworten zu allen Werkzeugen vor. Die Antworten „ist mir nicht bekannt“ und „möchte ich nicht nutzen“ wurden für die quantitativen Analysen in 1 nie umkodiert. Die Antwort „möchte ich nutzen, habe aber keinen Zugriff“ wurde für die quantitative Analyse auf 3 gelegentlich umkodiert. Die übrigen Antworten auf der fünf-stufigen Likert-Skala „Nutze ich …“ (1 nie – 2 selten – 3 gelegentlich - 4 oft – 5 immer) blieben unverändert. Tabelle 3 gibt einen Überblick über die spezifischen Werkzeuge, ihre Zuordnung zu verschiedenen pädagogischen Anwendungsbereichen und die statistischen Kennwerte. Alle Werkzeuge (Items) wurden zu einer Skala digi-specific verrechnet. Die interne Konsistenz der Gesamt-Skala ist sehr gut (Cronbachs Alpha = .89).

Oft genutzte Werkzeuge sind Word (oder alternative Textverarbeitung), M = 4.23, SD = .84, PowerPoint (oder alternative Präsentationssoftware), M = 4.23, SD = .99 und E-Mails, M = 4.23, SD = 1.04. Zu den seltener genutzten digitalen Werkzeugen, gehören beispielsweise Kahoot, M = 2.21, SD = 1.24 oder e-Portfolios/Lerntagebücher, M = 2.15, SD = 1.11. Auch hier sind die Antworten bei 15 der 25 Items nicht normal verteilt, d.h., sie werden entweder überhaupt nicht (z.B. Plickers, Augmented Reality) oder fast immer benutzt. In testtheoretischer Hinsicht sind sie damit entweder zu leicht oder zu schwer, beides macht sie für eine Skala ungeeignet.

Betrachtet man nur die 10 Items, für die eine Normalverteilung der Antworten vorliegt, so fällt auf, dass sie fast alle (9 von 10) einen hohen Grad an Interaktivität aufweisen. Das heißt, dass sie einen oder mehrere der drei Bereiche Wiederholung und Übung, kollaboratives Arbeiten und Selbstreflexion unterstützen. Zudem haben fast alle (9 von 10) mehr als einen Anwendungsbereich. Hierin könnten entscheidende Hinweise auf den Kern spezifischen digitalen Wissens angehender Berufsschullehrkräfte liegen, die weiter untersucht werden müssen. In den weiteren Analysen wird der Gesamtwert digi-specific jedes Teilnehmers berücksichtigt, der auf der Summe der 10 Items mit normalverteilten Antworten beruht (Items 1, 4, 6, 11, 14, 15, 17, 18, 22 und 24).

 

Tabelle 3:     Nutzung digitaler Werkzeuge in der Unterrichtsvorbereitung und -durchführung, Mittelwerte, Standardabweichungen, korrigierte Trennschärfekoeffizienten

   

Anwendungsbereich

   

 

 

   

Darstellungsform

Grad der Interaktivität

Technische Umsetzung im Unterricht

Vielfalt der Anwendungsbereiche (kumulativ)

Nr.

Item

M

SD

NV

rit

Frontale Arbeits-materialien

Visuelle und auditive Vermitt-lung

Wieder-holung/ Übungs-anwendung

Kollabora-tives (Er)Arbeiten

Tools für die Selbst-reflexion

Hardware für digitalen Einsatz (im Präsenzunterricht)

Tools für die Bereit-stellung von Materialien

1

Smartboard

2.97

1.14

x

.48

1

 

1

   

1

 

3

2

It`s learning

1.44

.91

 

.34

1

1

1

1

1

1

1

7

3

Haleo

1.44

.91

 

.42

1

 

1

       

2

4

Kahoot

2.21

1.24

x

.35

1

 

1

 

     

2

5

Word (oder alternative Textverarbeitung)

4.23

.84

 

.33

1

           

1

6

Excel (oder alternative Tabellenverarbeitung)

3.05

1.26

x

.57

1

           

1

7

PowerPoint (oder alternative Präsenta-tionssoftware)

4.23

.99

 

.43

1

           

1

8

OneNote (oder alternative Notizsoftware)

2.10

1.31

 

.52

1

 

1

     

1

3

9

GeoGebra (oder andere mathema­tische Software)

1.08

.35

 

.36

1

1

1

       

3

10

Schulcloud

1.67

1.15

 

.38

           

1

1

11

Dropbox (oder Alternative)

2.54

1.29

x

.53

     

1

   

1

2

12

GoogleDocs

1.97

1.33

 

.45

     

1

   

1

2

13

E-Mails

4.23

1.04

 

.51

           

1

1

14

Digitale Skripte

3.49

1.35

x

.61

1

 

1

     

1

3

15

LearningApp (oder alternative Software zur Bild - Text-Zuordnung)

2.15

1.27

x

.62

1

 

1

1

1

   

4

16

Answergarden (oder alternative Software für Wortwolken)

1.44

.85

 

.55

1

 

1

 

1

   

3

17

Padlet

2.36

1.33

x

.54

     

1

   

1

2

18

Visualisierungssoftware

2.31

1.15

x

.45

1

1

 

1

     

3

19

Augemented Reality Anwendungen/ Software

1.23

.63

 

.33

1

1

1

       

3

20

Plickers (oder alternative Testsoftware)

1.21

.57

 

.38

   

1

 

1

   

2

21

Blogs

1.46

.79

 

.39

       

1

   

1

22

e-Portfolios/ Lerntagebücher

2.15

1.11

x

.63

1

1

1

1

   

1

5

23

Videoplattformen (z.B. YouTube)

3.49

.94

 

.26

1

1

1

 

1

   

4

24

Podcasts

2.51

1.21

x

.72

 

1

1

1

     

3

25

Software für Videokonferenzen (z.B. Jitsi. Zoom. ...)

3.62

1.29

 

.50

1

1

1

       

3

 

3.5 Korrelative Zusammenhänge zwischen allgemeinem und spezifischem Wissen über digitale Werkzeuge und beruflicher Selbstreflexionskompetenz

Zur Prüfung der Hypothesen 4, 5 und 6 ermitteln wir die korrelativen Zusammenhänge zwischen beruflicher Selbstreflexion (gBSR), allgemeinem Wissen über digitale Werkzeuge (digi-general) und der Nutzung digitaler Werkzeuge für die Unterrichtsvorbereitung und -durchführung (digi-specific) sowie die Zusammenhänge zwischen der Innen- und Außenperspektive der beruflichen Selbstreflexion und der Nutzung digitaler Werkzeuge für die Befragten mit vollständigen Daten (n = 45). In Tabelle 4 sind die korrelativen Zusammenhänge dargestellt.

Tabelle 4:     Mittelwerte, Standardabweichungen und Korrelationen

Variable

M

SD

1

2

3

4

5

1 digi-specific

2.62

.81

 

.21⸸

.21⸸

.17

.06

2 digi-general

3.44

.42

   

.24⸸

.21⸸

.13

3 gBSR

4.01

.47

     

.83**

.77**

4 BSR-aussen

3.95

.61

       

.72**

5 BSR-innen

4.10

.49

         

Legende: **p < .01, ⸸p ≤ .15

Die Analyse der korrelativen Zusammenhänge zeigt, allgemeines Wissen über digitale Werkzeuge für die pädagogische Arbeit (digi-general) hängt schwach positiv mit der Nutzung digitaler Werkzeuge für die Unterrichtsvorbereitung und -durchführung (digi-specific) zusammen, r = .21, p  = .15. Hypothese 4 kann tendenziell bestätigt werden.

Es besteht kein korrelativer Zusammenhang zwischen der Innenperspektive der beruflichen Selbstreflexion (BSR-innen: Items 1 bis 13, Tabelle 1) und der Nutzung von Technologien r = .06, p = .70. Hypothese 5 wird nicht bestätigt.

Der Zusammenhang zwischen der Außenperspektive der beruflichen Selbstreflexion BSR-aussen: Items 14 bis 20, Tab. 1) ist gering und nicht signifikant, r = .17, p = .24. Hypothese 6 wird auf Basis der vorliegenden Daten zurückgewiesen.

Interessant ist noch der Befund, dass allgemeines und spezifisches Wissen über digitale Werkzeuge tendenziell positiv mit beruflicher Selbstreflexion (gBSR) zusammenhängt, (digi-general: r = .24, p = .10; digi-specific: r = .21, p = .15). Dies könnte ein Hinweis auf einen vermittelnden Einfluss der beruflichen Selbstreflexion sein. Deutlich signifikante Zusammenhänge (p < .01) zeigen sich für die Gesamtskala der beruflichen Selbstreflexion (gBSR) und der Innen- und Außenperspektive der beruflichen Selbstreflexion (BSR-aussen und BSR-innen). Dieser Befund ist nicht überraschend, da die drei Maße gemeinsame Items aufweisen.

4 Diskussion

4.1 Theoretische Implikationen der Ergebnisse

Die wichtigste Implikation dieser Arbeit ist die fehlende Übertragbarkeit der Befunde zu den Dimensionen der Selbstreflexionsfähigkeit von Jahnke (2018) in ein ökonomisches, quantitatives Instrument. Zwar lassen sich die Items, welche entlang der vier Reflexions-Dimensionen (rückwärts-innen, rückwärts-außen, vorwärts-innen, vorwärts-außen) formuliert wurden, zu Skalen mit guter interner Konsistenz (Cronbachs Alpha zwischen .90 und .70) zusammenstellen, doch fehlt ihnen die Differenzierungsfähigkeit. Sie weisen eine geringe Varianz auf (werden überwiegend gleichartig zustimmend beantwortet). Das macht sie als Messinstrument weniger geeignet. Die Items sollten auch im unteren Bereich (niedrige Merkmalsausprägung) messen, das tun sie tendenziell nicht. Zumindest gilt das für diese Stichprobe.

Das hier vorgestellte Instrument zur Erfassung der beruflichen Selbstreflexionskompetenz ist in der jetzigen Form nicht geeignet, die valide Messung der beruflichen Selbstreflexionsfähigkeit zu gewährleisten. Das liegt einerseits an der fehlenden Schwierigkeit einzelner Items, die in hohen Mittelwerten der Antworten ihren Ausdruck findet, andererseits lassen sich die Items nicht eindeutig zu bestimmten Skalen zuordnen. Eine Ursache der hohen Mittelwerte bei den Antworten könnte die Formulierung der Items zur beruflichen Selbstreflexionsfähigkeit sein, die aus einem qualitativen, praktischen Ansatz abgeleitet wurden. Die hohen Fremdtrennschärfen deuten darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen den einzelnen Dimensionen der beruflichen Selbstreflexionskompetenz enger ist, als in den theoretischen Vorüberlegungen angenommen. Alternativ könnte ein hohes Maß an sozial erwünschtem Antwortverhalten die starken Zusammenhänge zwischen den Einzelskalen erklären. Die Studierenden im beruflichen Lehramt sind sich vermutlich bewusst, dass bestimmte reflexive Verhaltensweisen erwartet werden und antworten entsprechend konform. Hier wären möglicherweise Fragen zu ergänzen, die sich auf den tatsächlichen Zeitaufwand für die Reflexion beziehen so dass realistische und differenzierende Werte zu erreichen wären. Weitere empirische Studien mit größeren Stichprobenumfängen sind notwendig, um in diesem Punkt Klarheit zu gewinnen. Die Tendenz zu sozial erwünschtem Antwortverhalten kann z.B. mit der Kurzskala Soziale Erwünschtheit-Gamma (KSE-G) (Kemper/Beierlein/Bensch/Kovaleva/Rammstedt, 2012) erfasst werden. Bei zukünftigen Erhebungen wird deshalb eine solche Skala mitberücksichtigt.  

Trotz der Schwierigkeit, die berufliche Selbstreflexionskompetenz valide zu erfassen, sollte ihre positive Beziehung zum Einsatz digitaler Werkzeuge in der Unterrichtsvorbereitung und -durchführung nicht unberücksichtigt bleiben. Die hier gezeigten tendenziell positiven Zusammenhänge zwischen allgemeinem und spezifischem Wissen über digitale Werkzeuge mit dem Gesamtwert der beruflichen Selbstreflexionskompetenz (gBSR) (vgl. Tabelle 4) lassen eine vermittelnde Rolle vermuten. Diese sollte in der zukünftigen Forschung und inhaltlichen Auseinandersetzung argumentativ berücksichtigt werden.

Spezifisches Wissen über digitale Werkzeuge zeigt sich in der Häufigkeit der Nutzung konkreter Werkzeuge für die Unterrichtsvorbereitung und -durchführung. Einige digitale Werkzeuge sind selbstverständlich und allgegenwärtig bei der Unterrichtsvorbereitung und -durchführung angehender Lehrkräfte (z.B. Word, PowerPoint, E-Mail) und werden von allen Befragten gleichermaßen häufig genutzt. Das macht sie ungeeignet zur Feststellung von Unterschieden bezüglich des spezifischen Wissens angehender Lehrkräfte über digitale Werkzeuge, denn sie differenzieren nicht zwischen digital kompetenteren und weniger kompetenten Lehrkräften. - Hier besteht eine gewisse Parallele zur Nutzung von E-Mails durch die Beschäftigten in wissensintensiven Dienstleistungsberufen wie z.B. der Steuerberatung: Sie ist dort selbstverständlich. Die Zustimmung zu einer Aussage wie „In unserer Kanzlei erfolgt die Kommunikation mit unseren Mandant/innen per E-Mail“ sagt insofern nichts über den Digitalisierungsgrad einer bestimmten Kanzlei oder eines bestimmten Arbeitsplatzes aus (sie differenziert nicht), weil sie bei allen Beschäftigten in Steuerberatungskanzleien (nahezu) gleich hoch ausfällt (Mueller/Hummert/Traum/Goers/Nerdinger, 2018).  

Andere digitale Werkzeuge differenzieren stärker zwischen kompetenteren und weniger kompetenten Anwendern. Insbesondere die Nutzung digitaler Tools mit einem hohen Grad an Interaktivität (z.B. Learning App, Padlet, e-Portfolios), scheint ein Hinweis auf hoch ausgeprägtes spezifisches Wissen über digitale Werkzeuge zu sein. Tools mit hoher Interaktivität unterstützen einen oder mehrere der drei Bereiche Wiederholung und Übung, kollaboratives Arbeiten und Selbstreflexion. Sie werden (noch) nicht selbstverständlich genutzt. Speziell diese Befunde, legen die Berücksichtigung der affektiven Dimension, des Einsatzes digitaler Tools nahe. Hierbei sind Kenntnisse über den Anreizcharakter bzw. das Motivations- oder auch Frustrationspotential eines Tools zu erfragen, die bei der Auswahl für die Gestaltung einer konkreten Unterrichtssituation eine Rolle spielen können. Die Erfassung der generellen Einstellung zum Einsatz digitaler Tools scheint ebenfalls ratsam. Entsprechende Items (z.B. „I like working with digital media in class“) finden sich bei Guggemos und Seufert (2021). Vor dem Hintergrund der Bedeutung der Interaktivität beim Einsatz digitaler Tools erscheinen zudem Parallelen affektiven Erlebens in Lehrsituationen zum affektiven Erleben im Bewerbungsprozess (Traum, 2019) zu bestehen. In der Vorbereitung und Planung ist zunächst von einer Dämpfung positiven Affekts und einer gewissen Anspannung auszugehen. Während der aktiven Durchführung der Lehreinheit wäre mit einem Anstieg positiven Affekts zu rechnen. In der Bewertung von Lehrsituationen wäre ein Anstieg negativen oder positiven Affektes zu erwarten, je nachdem, ob das Unterrichtsziel erreicht wurde oder nicht. Dieser affektive Verlauf könnte durch die Auswahl geeigneter Tools unterstützt bzw. abgepuffert werden.

4.2 Praktische Implikationen für die zukünftige Weiterentwicklung berufs- und wirtschaftspädagogischer Studiengänge

Für die Weiterentwicklung berufs- und wirtschaftspädagogischer Studiengänge wäre eine valide Erfassung der beruflichen Selbstreflexionskompetenz sehr wünschenswert. Bei aller gebotenen Zurückhaltung aufgrund des geringen Stichprobenumfanges ist jedoch festzuhalten, dass die hier vorgestellte Skala zur Erfassung der beruflichen Selbstreflexionskompetenz nur bedingt für den gedachten praktischen Einsatzzweck – die Sichtbarmachung von Entwicklungsfortschritten - geeignet ist. Im Durchschnitt wurden die Items mit 4 („oft“) beantwortet (Skala: 1 nie – 5 immer), es besteht somit in der vorliegenden Stichprobe wenig Spielraum nach oben bzw. wenig Entwicklungspotential. Dafür gibt es verschiedene mögliche Gründe. Zum einen kann die berufliche Selbstreflexionskompetenz bei den Studierenden aufgrund ihrer didaktischen Ausbildung und eigenen Lehrerfahrungen tatsächlich sehr hoch ausgeprägt sein. Zum anderen könnten die Aussagen (Items) selbst erst das Nachdenken darüber angeregt haben, was sinnvoll und wünschenswert ist und sozial erwünschte Antworten (Paulhus, 1991, 2002) hervorgerufen haben.

Bezogen auf die Förderung der beruflichen Selbstreflexionskompetenz als Kernaspekt der kritischen Gestaltungskompetenz bei Studierenden, ist noch einmal das inhaltliche Ziel zu vergegenwärtigen: die „Selbstermächtigung des Menschen und Befähigung zur umfassenden Mitgestaltung gesellschaftlicher und individueller Verhältnisse“ (Kaiser, 2016, 181). Ihr kommt in der Ausbildung von Lehrkräften für berufliche Bildungseinrichtungen eine besondere Bedeutung zu, da sie ständig im Spannungsfeld zwischen den Anforderungen der Wirtschaft und den Bildungsbestrebungen des Individuums agieren (müssen). Daran anschließend sind zudem die Konsequenzen für die Nutzung digitaler Tools im Unterricht zu diskutieren. Dabei wäre bei den angehenden und praktizierenden Lehrkräften nachzufragen, für welche Zwecke und Ziele digitale Tools und Lernräume genutzt werden, welche rationalen oder emotionalen Beweggründe zugrunde liegen und auch gegen welche Widerstände eine solche Nutzung stattfindet. Erste Befunde zeigen, dass insbesondere in der Pandemie eine Abweichung vom regelkonformen Handeln den Lehrkräften an beruflichen Schulen notwendig erschien um sinnvoll ihrer Lehrtätigkeit nachzugehen (Lippold/Greding, 2020).

Zunächst aber ein Blick, wie bei Studierenden bzw. zukünftigen Lehrer*innen kritische Gestaltungskompetenz gefördert werden kann. Zentraler Aspekt ist dabei, die Möglichkeiten der Veränderung zu erkennen und gewahr zu werden, dass verwendete Technologien ebenso wie gesellschaftliche Konventionen „von Menschen gemachte Übereinkünfte“ (Kaiser 2016, 193) sind. Somit sind sie auch von Menschen gestaltbar. Hierbei geben die Erkenntnisse aus Tätigkeitsanalysen bei Berufsschullehrkräften Aufschluss über die Gestaltungspotentiale (z.B. Verfahren zur Tätigkeitsanalyse und -gestaltung bei mentalen Arbeitstätigkeiten (TAG-MA), Rau/Schweden/Hoppe/Hacker, 2021). Durch die Auseinandersetzung mit solchen Erkenntnissen kann Mündigkeit erlangt aber auch die Genese von Technologie angeregt werden. Hierzu ist perspektivisch ein reflektierter Umgang und Einsatz digitaler Tools im eigenen Unterricht zu zählen, der einschließt zu beurteilen inwieweit dies von außen verlangt wird und auch zur Vermittlung von Lerninhalten wirklich sinnvoll ist (Schuster/Riehle 2020).

Die Befähigung zur kritischen wie auch zur beruflichen Selbstreflexion fokussiert die eigene (berufliche) Identität und fördert die persönliche wie berufliche Auseinandersetzung mit der eigenen Lebens- und Berufsgeschichte. Studierende sollen dazu ein Kompetenzprofil entwickeln, welches ihnen ermöglicht, wechselnde Situationen der vielfältigen, komplexen Tätigkeitsfelder kompetent und kritisch wahrzunehmen, selbstbestimmt und professionell zu handeln. Daneben sollen sie lernen, Verantwortung im Beruf zu übernehmen für ihr eigenes Handeln und für die Gemeinschaft sowie auch, durch ethisch legitimierte und selbstreflexiv kontrollierte Perspektivübernahme, zu urteilen und angemessene individuelle wie gemeinschaftliche Entscheidungen zu treffen. Dies zu erlernen, zu erfahren und zu erproben, ermöglicht die Gestaltung von authentischen Begegnungssituationen in der universitären Lehre. Dabei können Studierende in Seminaren u.a. partizipative Leitung erproben, eigene Identität wie auch die Veränderbarkeit (selbst) erfahren und selbstbestimmtes Verhalten, im Sinne einer Mündigkeit, einüben. Sie thematisieren bspw. persönliche Themen ihrer Lebenssituation und zukünftigen Berufssituation und stärken sich (im Anschluss) durch wechselseitiges Feedback (Kaiser, 2019, 38ff.).

Um diese Ziele zu erreichen, wurden Aspekte des lebendigen Lernens anhand der Themenzentrierten Interaktion (Cohn, 1975) in einem Modul zur Didaktik und Methodik der beruflichen Bildung im Lehramtsstudiengang an der Universität Rostock implementiert, um derartige Erfahrungen und Möglichkeiten der Reflexion in gruppendynamischen und kreativen Lernformen den Studierenden zu ermöglichen (Kaiser, 2020, 72). Die Kompetenzentwicklung durch diese Seminarform wurde mit einem eigenen Messinstrument evaluiert und inzwischen wurde ein zweites Seminarformat im Masterstudiengang etabliert, das Unterrichtsplanung und -vorbereitung unter Einsatz lebendiger Lernformen in digitalen Räumen befördert (Kaiser/Kalisch, 2021). Die Bedeutung der Interaktivität, die nach unseren Befunden den Kern spezifischen digitalen Wissens angehender Berufsschullehrkräfte zu bilden scheint, weist darauf hin, dass hier das „Ich“, das „Es“ und das „Wir“ angesprochen werden sollen. Dies wäre im Sinne einer belebenden, abwechslungsreichen, aktivierenden und motivierenden Gestaltung der Lehre hochgradig wünschenswert.

Wie die empirischen Ergebnisse zeigen, besteht ein potenzieller Zusammenhang zwischen einer Fähigkeit zur beruflichen Selbstreflexion mit sowohl dem allgemeinen als auch dem spezifischen Wissen über digitale Werkzeuge. Studierenden eine berufliche Selbstreflexion zu ermöglichen bzw. diese bei ihnen zu fördern, trägt somit zu einem offeneren Umgang mit digitalen Werkzeugen bei, der Erfahrungswissen über digitale Werkzeuge generiert und einen bewussten Einsatz dieser Werkzeuge im Unterricht an der beruflichen Schule befördert. Somit kann die berufliche Selbstreflexionsfähigkeit auch als eine mögliche Voraussetzung für einen bewussten, angemessenen und reflexiven Einsatz digitaler Werkzeuge im Unterricht erachtet werden.

4.3 Limitationen

Die größte Limitation der vorgelegten Befunde ist der geringe Stichprobenumfang. Dadurch sind alle Befunde, auch die signifikanten, mit Vorbehalt zu sehen. Weitere Studien sind vorgesehen und erforderlich. Sie werden im Rahmen des Projekts als Längsschnittstudie erfolgen und Kooperationen mit anderen Studienstandorten sind zur Erhöhung der Rücklaufquote und der Synergien im Kontext der beruflichen Lehrkräftebildungsforschung angestrebt. (Im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung veranstalten die Autor*innen in diesem Jahr einen Vernetzungsworkshop.) Die geringe Beteiligung (bzw. der geringe Anteil von Teilnehmer*innen im Vergleich zur Grundgesamtheit) ist potenziell durch den hohen Zeitaufwand (ca. 60 min) zur Beantwortung des Fragebogens zu erklären. Zukünftig sollte der Fragebogen im Umfang reduziert, die Beantwortung in die Seminare und Lehrveranstaltungen integriert und mit größeren Anreizen versehen (z.B. Bücher-Gutschein) werden.

Weiterhin kann die Pandemie-Situation eine Rolle gespielt haben. Aufgrund der Online-Lehrveranstaltungen ist die verbrachte Zeit vor dem Bildschirm schon deutlich höher als in Zeiten von Präsenzveranstaltungen. Eine gewisse ‚Computer-Müdigkeit‘ könnte die Bereitschaft zur Beteiligung an einer zusätzlichen Online-Umfrage deutlich verringert haben. Zumal die Studierenden zurückmelden, dass die Onlinelehre eine deutlich höhere zeitliche Belastung für das Studium bewirkt, trotz Wegfall der Reise- und Pendelzeiten. In einer Gesamtbefragung aller Rostocker Studierenden geben etwa die Hälfte der Befragten (47,4%) an, „etwas oder viel mehr Zeit für Lehrveranstaltungen aufzuwenden. In Bezug auf das Selbststudium ist der Anteil deutlich größer, hier geben fast 80% an, etwas oder viel mehr Zeitaufwand zu haben“ (Universität Rostock 2020, S. 13).  

Ferner ist nicht auszuschließen, dass die Studierenden in hohem Maße positiv antworteten, sowohl auf die Aussagen zur beruflichen Selbstreflexion als auch auf die Aussagen zum allgemeinen und spezifischen Wissen über digitale Werkzeuge, weil sie den Erwartungen ihrer Dozierenden und ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden wollten. Es ist nicht auszuschließen, dass Studierende erst kurz über manche der Aspekte intensiv nachgedacht oder reflektiert haben und spontan die angesprochenen Aspekte als wichtig erachteten und konsequent positiv und erwünscht antworteten. Auch andere Autoren berichten Abweichungen von der Normalverteilung bei Aussagen zu technologischem, pädagogischen Wissen (Guggemos/Seufert, 2020), wenn auch weniger gravierende, bei größerem Stichprobenumfang.

Schließlich ist auch noch selbstkritisch anzumerken, dass wir mit der empirischen Umsetzung zur Erforschung der kritischen Gestaltungsfähigkeit als Bildungsziel im Kontext der beruflichen Bildung erst am Anfang stehen. Ausgehend von den Anregungen von Karin Büchter, Philipp Gonon, Marianne Friese und anderen Berufsbildungsforschenden beim Workshop zur kritischen Berufsbildungstheorie auf der Sektionstagung in Frankfurt 2019 implementieren wir Fragen nach Haltung zu Zielen beruflicher Bildung und nach Effekten unserer Lehre im Hinblick auf kritische Reflexionsfähigkeit und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen in unsere Forschungsdesigns. Vor diesem Hintergrund, ist die in dieser Arbeit vorgestellte theoretische Grundlegung zu digitalen Werkzeugen, überwiegend technologisch geprägt und kann nur teilweise über den Bezug zum entwickelten Messinstrument rekapituliert werden.

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Zitieren des Beitrags

Traum, A./Struck, P./Dahn, S./Ziegler, U./Kaiser, F. (2021): Unterstützt die berufliche Selbstreflexionskompetenz die angemessene Nutzung digitaler Tools in der beruflichen Schule? Zur empirischen Untersuchung von Aspekten kritischer Gestaltungskompetenz bei Studierenden des beruflichen Lehramts. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 40, 1-24. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe40/traum_etal_bwpat40.pdf (09.07.2021).