bwp@ 40 - Juli 2021

Didaktisierung des Digitalen: Zur Entwicklung berufs- und wirtschaftspädagogischer Studiengänge

Hrsg.: H.-Hugo Kremer, Nicole Naeve-Stoß, Lars Windelband & Juliane Fuge

Kooperatives Lernen im virtuellen Raum: Welche Potentiale haben studentische Gruppenarbeiten in Breakout-Rooms?

Beitrag von Mario Vötsch & Gerlinde Schwabl
Schlüsselwörter: Kooperatives Lernen, virtuelle Räume, studentische Gruppenarbeiten, Breakout-Rooms, Computergestütztes kooperatives Lernen (CSCL)

Der vorliegende Beitrag untersucht die Potentiale und Probleme des kooperativen Lernens in virtuellen Räumen anhand des Instruments der Breakout-Rooms. Im Rahmen einer qualitativen Erhebung werden Studierende und Dozierende eines berufspädagogischen Masterstudiengangs über ihre virtuellen Lern- und Lehrerfahrungen befragt. Die zentrale Fragestellung lautet, wie sich Breakout-Rooms auf die Motivation der Teilnehmenden auswirken und ob die Nutzung verteilter Ressourcen ihre Effizienz und Problemlösungskapazität erhöht. Die Ergebnisse zeigen eine Reihe von Prozessgewinnen und Prozessverlusten, die das kooperative Lernen durch die Breakout-Rooms erfährt. Beispielsweise wird eine exklusive wie inklusive Atmosphäre erzeugt, die motivations- und lernförderlich sein kann. Auch kann das reduzierte soziale Umfeld Effizienzvorteile in der Kooperation bringen. Auch wenn es am Ende selten zur Generierung von neuem Wissen kommt, findet oftmals ein Kompetenzzuwachs statt.

Cooperative learning in virtual rooms: What are the potentials of student group work in breakout rooms?

English Abstract

The paper explores the potentials and problems of cooperative learning in virtual rooms using the instrument of breakout rooms. In the context of a qualitative survey, students and lecturers of a master's program in vocational education are interviewed about their virtual learning and teaching experiences. The leading question is how breakout rooms affect participants' motivation and whether the use of distributed resources increases their efficiency and problem-solving capacity. The results reveal a number of process gains and process losses of cooperative learning in breakout rooms. For example, an exclusive as well as inclusive atmosphere is created, which can be conducive to motivation and learning. Also, the reduced social environment can bring efficiency benefits to collaboration. Even if new knowledge is rarely generated in the end, there is often an increase in competence.

1 Einleitung

Eine der zentralen didaktischen Herausforderungen des digitalen Lernens ist das kooperative Lernen in virtuellen Räumen. Bereits in analogen Lehr-/Lernarrangements sind eine Reihe von Rahmenbedingungen und Voraussetzungen notwendig, damit die Potentiale des kooperativen Lernens ausgeschöpft werden können. Diese Voraussetzungen betreffen individuelle Merkmale, Gruppenmerkmale, Aufgabenmerkmale und Anreizmerkmale (vgl. Kopp/Mandl 2007). Viele dieser Merkmale erfahren im digitalen Kontext noch einmal eine erhöhte Relevanz, als sie darin auf andere Dynamiken und Strukturen stoßen (vgl. Stegmann et al. 2018). Online-Lerngemeinschaften zeichnen sich durch räumliche und zeitliche Flexibilität aus, sie schaffen virtuelle Lernräume mit eigenen Erfahrungsmöglichkeiten, zudem spielen Ressourcen und Hierarchien eine andere Rolle als in analogen Räumen. Insbesondere die Kommunikationsstrukturen gestalten sich neu: Zeitdimensionen, Symbolsysteme, Sender-Empfänger-Verhältnisse und Öffentlichkeitsgrade sind nur einige der wichtigsten Parameter (vgl. Ebner et al. 2013). Folglich werden auch andere Formen des Wissenstransfers und Kompetenzerwerbs möglich, angefangen von den Möglichkeiten des autonomen und selbstgesteuerten Lernens bis hin zu kollektiven Aneignungsprozessen durch digitale Interaktionsmuster. Gleichzeitig bestehen bekannte Herausforderungen des kooperativen Lernens weiter fort, etwa die Frage nach der Bereitschaft und Motivation der Lernenden, passives Verhalten, Trittbrettfahrerprobleme, soziales Faulenzen, Aspekte der Gruppenzusammenstellung oder auch die Frage, in welcher Phase des Lernprozesses die Kooperation zum Einsatz kommt.

Vor diesem Hintergrund gehen wir im vorliegenden Beitrag der Frage nach, welche konkreten Effekte virtuelle Räume auf das kooperative Lernen haben. Was sind, bezogen auf Wissenstransfer und Kompetenzerwerb, die zentralen Prozessgewinne (z. B. mehr Transparenz der Aktivitäten) und Prozessverluste (z. B. abnehmende Verbindlichkeit)? Im Anschluss daran diskutieren wir auch die Potentiale virtueller Gruppenarbeiten, insbesondere ihre Auswirkungen auf die Kooperationsqualität und -intensität, von denen lernförderliche Aspekte letztlich abhängen (vgl. Gössling 2020). In der Forschung gibt es dazu bereits einige Metanalysen, die die Wirksamkeit digitaler Medien quantifizieren (vgl. Stegmann et al 2018, 978f.). Ein zentrales Ergebnis ist mitunter, dass gerade in virtuellen Räumen soziale Interaktionen umso mehr strukturiert werden müssen, um lernförderlich zu sein (vgl. Dillenbourg/Fischer 2007; Saltz/Heckman 2020).

Wir untersuchen unsere Fragestellung anhand von virtuellen Breakout-Rooms, die von Webkonferenzanwendungen wie ZOOM inzwischen als Standard-Feature angeboten werden (vgl. Chandler 2016; Martin/Parker 2014; Saltz/Heckman 2020). Studierende werden dabei in Gruppen eingeteilt und virtuellen Räumen zugewiesen. Die empirische Basis unserer Untersuchung ist ein qualitatives Design mit semistrukturierten Interviews, die im Rahmen eines berufspädagogischen Masterstudiengangs (Inklusive Bildung) an der Pädagogischen Hochschule Tirol durchgeführt und inhaltsanalytisch ausgewertet werden. Dabei kommen jeweils fünf Dozierende als auch Studierende zu Wort. Die Studierenden beurteilen die virtuelle Gruppenarbeit aus mehreren Rollen, da sie ihrerseits Lehrende an Berufsschulen sind (die berufspädagogische Ausbildung findet in Österreich berufsbegleitend statt). Diese unterschiedlichen Perspektiven ermöglichen eine differenzierte Analyse der Effekte von virtuellen Räumen für das kooperative Lernen. Am Ende erlauben sie ein Fazit, unter welchen Umständen virtuelle Räume die Potentiale und Probleme von Gruppenarbeiten verstärken oder aber reduzieren können.

Unsere Ausführungen verstehen sich generell als vorläufiger Bericht zu einer aktuellen Forschungsthematik, in dem theoretische Fragestellungen mit empirischen Ergebnissen zusammengeführt werden, ohne damit eine systematische Theoriegenerierung zu verfolgen. Das vorgestellte empirische Material gewährt interessante Einblicke in die digitalen Lernprozesse einer berufspädagogischen Unterrichtspraxis, deren vorliegende theoretische Analyse eher den Anfang als das Ende eines systematischen Forschungsprozesses darstellt.

2 Kooperatives Lernen in virtuellen Räumen

Kooperatives Lernen in virtuellen Räumen ist ein relativ etablierter Forschungsbereich, der nicht erst im Zuge der jüngsten Digitalisierungsdiskussionen aufgekommen ist (vgl. Reinmann/Mandl 2002; Weinberger et al. 2003; Dillenbourg/Fischer 2007). Es geht dabei um Lernprozesse, die zwei oder mehrere Personen gemeinsam in digitalen Lernumgebungen vollziehen und die in der Regel synchron stattfinden. Zur Präzisierung dieser Lernaktivitäten dient die Unterscheidung zwischen Kooperation und Kollaboration: Dillenbourg (1999) zeigt auf, dass kollaboratives Lernen stattfindet, wenn gemeinsam ein vertieftes Verständnis generiert wird, das zur Erreichung eines kollektiven Ziels notwendig ist. Im kooperativen Lernen hingegen werden Aufgaben und Funktionen verteilt, um am Ende ein finales Ergebnis zu erreichen. Kooperation zeichnet sich demnach durch höhere Arbeitsteilung und strukturierte Lern- und Arbeitsprozesse aus, in denen individuelle Einzelbeiträge am Ende zu einem kumulativen Resultat zusammengefügt werden. Kollaboration hingegen betont das Gemeinsame und Synchrone, ihre Qualität definiert sich nicht notwendig über das Ziel, sondern durch den Prozess der gemeinsamen Wissenskonstruktion und die damit verbundenen Interaktionsdynamiken. Nach Dillenbourg (1999) betrifft kollaboratives Lernen nicht bloß den Austausch von Informationen, sondern die gegenseitige Bereicherung durch neue Perspektiven und Einsichten. Im Idealfall kommt es dabei zum gemeinsamen Erarbeiten von neuem Wissen oder einer geteilten Perspektive – ein Prozess, der über die Möglichkeiten des einzelnen Individuums hinausgeht, der aber in einer individualisierten Wissensökonomie alles andere als einfach ist: „Joint meaning making and constructing new knowledge can be regarded as a kind of gold standard in CSCL.“ (Cress et al. 2015, 111). Es ist dieser Aspekt der Ko-Kreation von Wissen, der über das übliche Ziel der Effizienzsteigerung von Kooperationen hinausgeht. Gleichzeitig kann aus dem gemeinsam konstituierten Gruppenzusammenhang eine individuelle Befähigung und Bestärkung (empowering) hervorgehen. Allerdings ist es aus wissenschaftlicher Sicht schwierig, die Dynamik der kollektiven Wissensgenerierung einzufangen, weil darin eine Vielzahl an Akteuren, Einflüssen und Umständen mitwirken (vgl. Sobko et al. 2020). Oftmals wird der Wissenserwerb überhaupt erst im Rahmen einer retrospektiven Sinngebung realisiert (vgl. Weick 1995).

Im vorliegenden Beitrag untersuchen wir diese Dynamiken des kooperativen[1] Lernens anhand von virtuellen Breakout-Rooms. Breakout-Rooms sind ein vergleichsweise junges Phänomen innerhalb der Forschung des computerunterstützten kooperativen Lernens (CSCL) (vgl. Chandler 2016; Martin/Parker 2014; Saltz/Heckman 2020). Studierende werden dabei in Gruppen eingeteilt und virtuellen Räumen zugewiesen. Breakout-Rooms sind Interaktionsräume, die nicht voraussetzungslos funktionieren – es bedarf der Strukturierung, Moderation und Interaktion. Der Wissenserwerb hängt somit nicht ausschließlich von kognitiven Dispositionen oder technischen Voraussetzungen ab, sondern ist in seinen Möglichkeiten an den Kontext und die darin stattfindenden Interaktionen mit der physikalischen oder sozialen Umwelt gebunden (vgl. Stegmann et al. 2018, 976). Folglich stellen Breakout-Rooms ein Phänomen des computerunterstützten situierten Lernens dar und können als soziales Lernarrangement begriffen werden, das Interaktionen gleichzeitig ermöglicht und strukturiert.

In Folge interessiert uns am Beispiel eines berufspädagogischen Masterstudiengangs, wie sich das soziale Lernarrangement der Breakout-Rooms auf die Motivation der Teilnehmenden auswirkt und ob die Nutzung verteilter Ressourcen ihre Problemlösungskapazität erhöht. Damit fragen wir, inwiefern Breakout-Rooms als konkrete Anwendung digitaler Medien dazu beitragen können, Formen der Kooperation und kooperatives Lernen zu fördern. Dies zeigt sich etwa daran, ob negative motivationale Effekte ausbleiben und Prozessverluste wie soziales Faulenzen (vgl. Williams/Karau 1991) reduziert werden. Umgekehrt zeigt es sich auch an allfälligen positiven Faktoren, durch die Interaktions- und Kommunikationsformen erleichtert und die Qualität der Lernaktivitäten (z. B. durch tieferes Verständnis und breiteren Austausch) gesteigert werden.

3 Forschungsdesign: Kontext und Methoden

3.1 Kontext der Untersuchung

Im Fokus der Erhebung stehen die Lehr-/Lernerfahrungen der Studierenden und Dozierenden des berufspädagogischen Masterstudiums „Inklusive Bildung“, das an der Pädagogischen Hochschule Tirol (PHT) berufsbegleitend angeboten wird. Die PHT ist eine überregionale Zentrumshochschule für Studien der Sekundarstufe Berufsbildung, hier werden Berufsschullehrer*innen und Lehrer*innen der fachtheoretischen und fachpraktischen Unterrichtsgestände an berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS) ausgebildet. Je nach Fachbereich wird das Studium in Vollzeit oder berufsbegleitend angeboten. Während in anderen Lehramtsstudien (Primarstufe, Sekundarstufe Allgemeinbildung) nach dem Bachelorstudium auch ein Masterabschluss verpflichtend ist, steht dieser in der Sekundarstufe Berufsbildung frei zur Option. Man kann daher davon ausgehen, dass die Motivation und Lernbereitschaft der Masterstudierenden relativ hoch sind, da sie ihr Studium freiwillig und berufsbegleitend absolvieren. Zudem bringen die meisten bereits berufliche Erfahrung, Professionalität und eine aufgeschlossene Haltung für verschiedene Lehr- und Lernsettings mit, was sich nicht nur an fachlichen, sondern auch an methodischen und sozialen Kompetenzen zeigt. Aufgrund ihrer eigenen Lehrtätigkeit an den Berufsschulen beurteilen die Studierenden den Lernprozess und das kooperative Lernen aus unterschiedlichen Rollen – sie studieren und lehren zugleich (wenn auch nicht am selben Ort). Wichtig festzuhalten ist schließlich, dass beide untersuchten Gruppen schon vor der Pandemie Erfahrungen im Distance Learning gemacht haben, insbesondere die Dozierenden, die bereits in früheren Semestern synchrone Online-Settings in ihrer Lehre eingebunden haben.

3.2 Methodisches Vorgehen

Für die Untersuchung wurde ein qualitatives Forschungsdesign gewählt. Qualitative Forschung wird bei komplexen Zusammenhängen eingesetzt, wenn wenig Vorwissen besteht oder, wie im vorliegenden Fall, tiefere Einblicke über einen Forschungsgegenstand gewonnen werden sollten (vgl. Flick 2017). Als Erhebungsinstrument dienten leitfadengestützte Interviews, die mit jeweils fünf Studierenden und Dozierenden durchgeführt wurden. Die Interviews verfolgten das Ziel, die studentische Einschätzung zu den Lernerfahrungen im virtuellen Raum zu erfassen und mit den Eindrücken und Lehrerfahrungen der Dozierenden abzugleichen. Durch die Befragung beider Gruppen konnten unterschiedliche Perspektiven auf das Phänomen gewonnen werden. Mit dieser „Datentriangulation” (Flick 1992, 15) in Bezug auf die verschiedenen Untersuchungsgruppen sollte eine höhere Plausibilität der Forschungsergebnisse erreicht werden.

Die Auswahl der Befragten erfolgte nach dem Prinzip der Diversität: Die Probanden decken ein breites Spektrum aus den Berufsfeldern Technik, Gewerbe, Industrie, Handel sowie Information und Kommunikation ab. Bei den Studierenden sind zwei Teilnehmende weiblich und drei männlich; zwei Personen sind zwischen 40‑49 Jahre alt, drei zwischen 50‑59. Bei den Dozierenden handelt es sich um Lehrpersonen mit mehrjähriger Berufserfahrung an Schulen bzw. Hochschulen. Von den fünf Dozierenden sind zwei weiblich und drei männlich. Eine Person ist 30‑39 Jahre alt, zwei 40‑49 und weitere zwei 50‑59. Die Interviews dauerten durchschnittlich 40 Minuten und wurden – bis auf eines in Präsenz – mit Hilfe einer Webkonferenzanwendung durchgeführt. Alle Interviews wurden aufgezeichnet und transkribiert.  Der theoretische Rahmen des Interviewleitfadens basiert auf dem Phasenmodell der E-Moderation von Salmon (2003) und besteht aus folgenden Themenblöcken: Erfahrungen in Online-Lehre und -Lernen, Zugang und Motivation, Online-Sozialisation, Informationsaustausch, Wissenskonstruktion, Reflexion sowie Erfahrungswerte aus der pandemiebedingten Fernlehre.

Die Analyse des empirischen Materials erfolgte nach inhaltsanalytischen Prinzipien, indem zunächst unter Bezug auf das genannte Phasenmodell ein Codierschema mit Hauptkategorien deduktiv erschlossen und dieses bei Bedarf mit induktiven Subkategorien weiter angereichert wurde (vgl. Kuckartz 2018, 100). Die anschließende Darstellung der Ergebnisse fokussiert die beiden Dimensionen Motivation und Ressourcen, die im vorliegenden Beitrag erkenntnisleitend sind, insofern wir danach fragen, wie sich das soziale Lernarrangement der Breakout-Rooms auf die Motivation der Teilnehmenden auswirkt und ob die Nutzung verteilter Ressourcen ihre Problemlösungskapazität erhöht. Die Dimension Motivation umfasst Kategorien wie Lernatmosphäre, Gelegenheiten des informellen Austausches, Möglichkeiten zur Aktivierung und Förderung der Lernbereitschaft sowie Aspekte der sozialen Präsenz und Verbindlichkeit. Die Nutzung verteilter Ressourcen betrifft die Effizienz des Arbeitens im Breakout-Room und fragt, inwiefern dafür Planung, Struktur und Professionalität erforderlich sind. Dabei gibt es, wie sich aus der Analyse gezeigt hat, mehrere soziale Faktoren wie persönliche Bekanntschaft oder körperliche Präsenz, die Einfluss haben können.

Aufgrund dieser thematisch-inhaltlichen Clusterung verzichten wir in der Ergebnisdarstellung auf eine gesonderte Trennung von Studierenden und Dozierenden. Da, wo es deutliche Perspektivverschiebungen gibt, werden diese erwähnt. Es bräuchte aber grundsätzlich mehr empirisches Material, als diesem Bericht zugrunde liegt, um allfällige Unterschiede der Probandengruppen systematisch herauszuarbeiten.

4 Empirische Ergebnisse

4.1 Motivation

Informelle Atmosphäre und (Un)Sichtbarkeit: Breakout-Rooms schaffen eine Atmosphäre des informellen Austauschs, der Persönliches und Vertrautes zulässt und förderlich für die Lernmotivation sein kann. Der private Austausch ist für die Studierenden „absolut essenziell“ und „genauso wichtig wie die Inhalte im Seminar“ (IP6, Z. 260-262). Je nach Gruppenkonstellation – „wenn die richtigen Leute zusammengekommen sind“ (IP10, Z 206-208) – starten viele Unterhaltungen zuerst einmal auf der persönlichen Ebene. Mitunter entsteht ein exklusives Gemeinschaftsgefühl, das insbesondere dann aktualisiert wird, wenn sich Außenstehende, etwa Lehrpersonen, zuschalten: „Im Grunde – der Eintretende ist der Ausgeschlossene“ (IP6, Z. 450-451). Der solcherart geschützte Breakout-Room schafft Raum für Vertraulichkeit, die sich auf die Qualität der Beziehungen ebenso auswirkt wie auf die Diskussionen: „In einer geschlossenen Gruppe, da ist man sich ein bisschen näher vielleicht, und da bespricht man Dinge, die natürlich zum Thema sind, aber vielleicht aus einem Blickwinkel, der doch wieder persönlich ist, und dann brauche ich nicht immer einen Vortragenden dabei haben“ (IP10, Z. 385-389). Das obige Zitat drückt neben den besprochenen Aspekten einen weiteren aus, der motivationsfördernd sein kann: die unmittelbare Abwesenheit von Kontrolle und Beobachtung. In der virtuell abgegrenzten Lernumgebung des Breakout-Rooms werden Studierendengruppen auf eine Art in Ruhe gelassen, die im analogen Unterricht, wo in der Regel alle Teilnehmenden im selben Raum anwesend bleiben, nicht möglich wäre. Umgekehrt bleiben Kontrolle und Beobachtung aus Sicht der Lehrenden eine allfällige Option, die in mancher Hinsicht an die umfassenden wie unsichtbaren Kontrollmöglichkeiten des Panoptikums erinnern (vgl. Foucault 1977). Durch die synchrone Darstellung aller Videoausschnitte überschaut man alle Beteiligten auf einen Blick. Breakout-Rooms unterbrechen diese Sichtbarkeit, erlauben es aber gleichzeitig, dass Lehrende (und eingeschränkt auch Lernende) den Raum selbstständig betreten und verlassen können. Manche Dozierende treten auch unangekündigt ein. „Ich bin in die Gruppen gegangen und hab bei manchen nur ganz kurz reingehört. Die haben mich, glaube ich, gar nicht bemerkt“ (IP2, Z. 268-269). Studierende empfinden das Erscheinen der Dozierenden im Raum nicht notwendig als Kontrolle, solange die Vorgehensweise vorab angekündigt wurde. „Wir sind uns da jetzt nicht irgendwie abgehört vorgekommen, oder sonst was. Wir wussten ja, dass die Dozierenden irgendwann einmal auftauchten“ (IP8, Z. 422-424). In manchen Fällen führt der plötzliche Eintritt der Lehrenden eher zu einem komischen Stelldichein, das von beiden Seiten mit Humor quittiert wird: „Achtung, jetzt kommt der Vortragende!“

Aufmerksamkeit und Aktivierung: Breakout-Rooms bringen Abwechslung in den Lernprozess und lassen auf Phasen der Wissensvermittlung solche des Austausches und der Wissenskonstruktion folgen. Studierende werden aktiviert durch den Wechsel der Sozialform sowie der Lernumgebung: „Unterricht lebt von der Abwechslung. Es braucht eine Vielfalt, eine Variabilität, es darf nie gleich dahin gehen“ (IP6, Z. 335-339). Im Idealfall werden dabei Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft gefördert. Die Variation von Lehr- und Lernmethoden sowie der Interaktionsformen kann einerseits helfen, die Studierenden zu aktivieren und einzubinden, andererseits auch notwendig sein, damit sie im Lernmodus (Flow) bleiben, nicht abtauchen und zum „Verschwindibus“ (IP3, Z. 195-199) werden. Vielleicht sind die Breakout-Rooms deshalb bei vielen Studierenden so geschätzt, weil sie eine paradox anmutende “Exklusivität für alle” anbieten, die gleichzeitig Inklusivität hervorbringt.

Verbindlichkeit und Präsenz: Der eingegrenzte Breakout-Room schafft im Gegensatz zum tendenziell unstrukturierten virtuellen Lernraum[2] mehr Verbindlichkeit. Das bildhafte Abtauchen fällt darin nicht mehr so leicht wie im vergleichsweisen anonymen und unüberschaubaren virtuellen Raum. In dem Maße, in dem sich der Breakout-Room der Beobachtung durch die Lehrperson entzieht, verschiebt sich die soziale Kontrolle auf die Autorität der Gruppe. So wird in manchen Fällen die Videopräsenz innerhalb wie außerhalb des Breakout-Rooms nicht nur von den Dozierenden aktiv eingefordert, sondern auch von den Studierenden untereinander: „Für mich ist das ganz normal, dass man eingeschaltet ist. Das wäre ungefähr das Gleiche, wenn ich heute in Präsenz einfach die Klasse, den Studienraum verlasse.“ (IP5, Z. 187-189). Im Vergleich zum analogen Raum bleibt die soziale wie physische Verbindlichkeit der Breakout-Rooms aber tendenziell ungenügend. So wie man in der Präsenz-Lehre (zumindest physisch) nicht einfach mal den Raum verlassen kann, so gibt es darin auch andere Möglichkeiten, aktive Mitarbeit einzufordern. „Wenn sich in Präsenz jemand abszediert, dann wird man wahrscheinlich schneller sagen: ‚Jetzt tu mitarbeiten, kannst irgendetwas anderes machen.‘“ (IP5, Z. 410-412). Im virtuellen Raum ist es einfacher, sich „zurückzunehmen” und zurückzulehnen, allein schon aufgrund der fehlenden Energie der ansonsten im gleichen Raum anwesenden Körper. Dieses Zurücknehmen muss gar nicht nur auf Kosten der Anderen im Sinne des sozialen Faulenzens gehen, sondern kann (ungewollt) auch gegen sich selbst gerichtet sein: „Das sehe ich ein bisserl die Gefahr über Videokonferenzen, dass man sich vielleicht zu wenig einbringt, zu wenig involviert ins Geschehen” (IP6, Z. 409-411).

4.2 Ressourcen

Effizienz durch den virtuellen Raum: Das Arbeiten im Breakout-Room wird von Studierenden wie Dozierenden durchaus als effektiv und produktiv erlebt. Ein Grund dafür mag die bereits diskutierte Abgeschlossenheit des Raums sein. So vermutet eine Dozierende, dass Studierende „sogar ein bisserl produktiver sind, als wenn man sie in der Präsenzlehre in Grüppchen zusammensitzen lässt, weil sie einfach mehr Ruhe haben“ (IP3, Z. 223-227). Gerade durch das reduzierte soziale Umfeld ergeben sich Effizienzvorteile – etwa in der Kommunikation: „Ich habe das Gefühl, dass die Kommunikation viel direkter läuft, viel effizienter, man erspart sich komischerweise gewisse Umwege, soziale Umwege“ (IP2, Z. 126-128). Effizienz gründet auch in unmittelbarer Präsenz: Alle können virtuell ‚mitschauen‘, direkter als im analogen Raum und stets aus der ersten Reihe. Oft ist das Mitschauen auch bei Lernhandlungen förderlich, etwa beim Nachvollzug von Arbeitstechniken (Wie navigieren andere im Internet?) oder bei der Erschließung des sozialen Raums (durch Einblicke in andere Arbeitsumgebungen). Hinzu kommt die Erleichterung durch Wegersparnisse, weil man im Breakout-Room rasch austreten kann, um bei der Lehrperson im virtuellen Raum etwas nachzufragen.

Planung und Struktur: All diese Vorteile sind allerdings nur bedingt wirksam, meist setzen sie Planung und Struktur voraus. Dies betrifft zunächst die pädagogische Präsenz der Lehrenden, die im virtuellen Raum oft sogar mehr gefordert ist als im analogen. Es beginnt beim angemessenen Auftakt der Online-Lehre, um der Besonderheit des Raums gerecht zu werden. Das virtuelle Ankommen muss initiiert und inszeniert werden, gedanklich wie visuell. Noch mehr sind gelingende Gruppenphasen von der pädagogischen Strukturierung und Unterstützung durch die Lehrperson abhängig: Vorinformation und vorab bereitgestelltes Material, Ablaufpläne, Kommunikations- und Kooperationsregeln sowie angeleitete Interaktionen sind förderlich für den kollektiven Arbeitsprozess. Insbesondere klare Aufgabenstellungen, Vorgaben und Arbeitsaufträge sowie damit verbundene Erwartungen an eine spätere Präsentation der Ergebnisse werden von Studierenden als wichtige Faktoren hervorgehoben. Dabei fällt auf, dass in den meisten Fällen ein vorgegebenes Lernprodukt (Output), das am Ende verbindlich präsentiert oder eingereicht werden soll, die Produktivität der Gruppe erhöht, weil es einen Fokus fordert und ein Ziel setzt.

Professionalität: Für das Arbeiten innerhalb der Gruppe des Breakout-Rooms sind dezidierte Absprachen, Koordination und zielgerichtetes („konsequentes“) Arbeiten förderlich. Im Vergleich zum analogen Raum gestaltet sich die Rollen- und Aufgabenverteilung vor dem Bildschirm oftmals schwieriger, es braucht „eine gewisse Zeit […], bis man wirklich zur Sache kommt“ (IP6, Z. 402-405). Manchmal gelingt die Selbstorganisation auch erst im letzten Moment des Abgabedrucks, bevor der Breakout-Room geschlossen wird. All diese Faktoren verweisen auf die Professionalität in der Zusammenarbeit und ihren Einfluss auf das Ergebnis. Professionalität meint dabei, sich vorzubereiten, Absprachen einzuhalten, Kommunikationsregeln zu beherrschen, die Rollen effektiv zu verteilen und zielgerichtet zu arbeiten. Dabei können die Arbeits- und Selbstdisziplin der Studierenden entscheidend sein: „[W]enn man sich einbringen will, dann brauche ich eine Selbstdisziplin. Dann kann ich mich nicht immer auf die anderen verlassen, sondern dann muss ich diese Unterlagen sichten, dann muss ich das anschauen, damit ich mich einbringen kann“ (IP10, Z. 264-267).

Soziale Faktoren: Es gibt aber Faktoren der gelingenden Online-Kooperation, auf die Planung und Professionalität keinen Einfluss haben. Einer ist die persönliche Beziehung der Teilnehmenden und die Frage, ob es zwischen den Studierenden ebenso wie mit den Dozierenden vorab bereits Erfahrungen und face-to-face-Kontakte gegeben hat: „[W]enn ich die Leute nicht so gut kenne, glaube ich nicht, dass solche Teamarbeiten von Anfang an wirklich gut funktionieren“ (IP10, Z. 247-249). Gerade wenn die persönliche Ebene nicht bereits geebnet ist, dann fehlen im virtuellen Raum die erweiterten Möglichkeiten des sozialen Austausches, die Zwischenkanäle der Kommunikation, wo man in unterschiedlichen Rollen auftreten kann. Folglich wird dem Präsenzerleben eine eigene Qualität attestiert, die Online-Lernformate prinzipiell nicht erreichen können: „Es war eine feine Atmosphäre, ganz persönlich auch und ohne Angst, aber so wirklich mit jemanden einmal real im gleichen Raum zu sein, hat noch eine andere Qualität“ (IP9, Z. 416-418). Im virtuellen Raum gibt es nicht dieselbe soziale Energie wie bei einer face-to-face-Begegnung – ein Aspekt, der bereits in Bezug auf die Motivation der Teilnehmenden als potenzieller Nachteil angedeutet wurde und insbesondere dann zum Tragen kommt, wenn Empathie und emotionale Unterstützung gefragt wären: „Ich muss ehrlich sagen, vor dem Bildschirm, ich habe mich oft sehr einsam gefühlt“ (IP6, Z. 630-632). Wenn die gemeinsame körperliche Erfahrung eines Raumes und das unmittelbare Zusammensein fehlen, dann ist es auch schwieriger, ein Gruppen- und Zugehörigkeitsgefühl zu generieren. Dies mag auch damit zu tun haben, dass das Spektrum der sozialen Interaktion begrenzt ist und viele Formen des spontanen und unvermittelten Handelns unmöglich sind, ebenso wie die Potentiale von Ironie, Humor und Situationskomik beschränkt bleiben. Zudem schafft die technische Umgebung auch klassische technische Beschränkungen: Gewisse Formate des (Sich-)Präsentierens sind nur im analogen Raum machbar, weshalb die Zusammenarbeit im Breakout-Room auf einzelne Tools fokussiert bleibt – wenngleich diese immer mehr und immer besser werden. Schließlich sind auch die körperlichen Nebenwirkungen des virtuellen Raums zu nennen, seine Effekte auf die Aufmerksamkeit und Gesundheit der Teilnehmenden. Stundenlanger Bildschirmkonsum schwächt nicht nur die Konzentration, sondern belastet auch den Körper (Haltungsschäden, Sehschwächen usw.). Abgesehen davon, dass der virtuelle Raum dazu verführt, sich gehen zu lassen, etwa wenn Studierende sich lässig zurücklehnen oder die Füße hoch lagern.

5 Diskussion: Potentiale des kooperativen Lernens im virtuellen Raum

Die dargestellten Ergebnisse lassen auf eine Reihe von Prozessgewinnen und Prozessverlusten schließen, die das kooperative Lernen durch virtuelle Breakout-Rooms erfährt. Einige davon wollen wir anschließend diskutieren, indem wir Implikationen und Ambivalenzen aufzeigen und Rückschlüsse auf die allgemeine Ebene des computergestützten kooperativen Lernens (CSCL) ziehen.

5.1 Atmosphäre, Präsenz und Identität

Wir haben gesehen, dass die informelle Atmosphäre der Breakout-Rooms und ihre besondere Form der (Un-)Sichtbarkeit lern- und motivationsfördernde Faktoren sein können. Die Gleichzeitigkeit von Exklusivität und Inklusivität erzeugt eine aktivierende Wirkung, zugleich entsteht eine Form von Verbindlichkeit, die anspornend sein kann. Ob daraus auch eine spezifische Gruppenidentität hervorgehen kann, muss dahingestellt bleiben. Grundsätzlich kann CSCL einen egalisierenden Effekt auf die Herausbildung von Gruppenidentität haben, weil damit real existierende Differenzen verdeckt bleiben (vgl. Cress 2005). So kann die virtuelle Gruppenidentität unter Umständen sogar stärker sein als in face-to-face-Settings, weil die „Gleichschaltung“ der Gruppe und ihre tendenzielle Anonymität dazu führen, dass die Teilnehmenden über ihre Heterogenität hinwegsehen und den Fokus weniger auf individuelle Merkmale denn auf die Gruppe als Ganzes richten (vgl. Cress et al. 2015, 110). Dennoch ist fraglich, ob im oftmals flüchtigen Format der Breakout-Rooms die Herausbildung einer Gruppenidentität überhaupt möglich ist, wenn dieser keine angemessene Phase der Gruppenformierung vorausgehen kann. In der vorliegenden Untersuchung bleibt bei manchen Studierenden am Ende der Eindruck eines kaum vorhandenen Gruppen- und Zugehörigkeitsgefühls zurück, was sie meist mit fehlender physischer Präsenz und damit ausbleibender sozialer Erfahrung begründen.

5.2 Anonymität, Partizipation und Kooperation

Die Ergebnisse zeigen, dass Planung und Struktur unerlässlich sind für eine effiziente Ressourcennutzung, ebenso die pädagogische Präsenz entlang der Lernaktivitäten. Die Rollen- und Aufgabenverteilung erfordert Klarheit und Zielgerichtetheit, wobei ein verbindliches Lernprodukt die Produktivität der Gruppe fördert. Interessant ist, dass bei all diesen Faktoren das reduzierte soziale Umfeld im virtuellen Raum durchaus Effizienzvorteile bringen kann. Gerade weil soziale Rollen und Beziehungen im Breakout-Room meist eindimensional bleiben, kann die Zusammenarbeit davon profitieren. Ein Grund ist – ähnlich wie bei der Identität –, dass die tendenzielle Anonymität einer virtuellen Gruppe und ihre soziale Unterdefiniertheit sich als Vorteil gegenüber der face-to-face-Kommunikation erweisen. Letztere ist durch den reichen sozialen Kontext des analogen Raums oftmals überdefiniert, angefangen bei der non-verbalen Kommunikation durch Kleidung und Körperhaltung bis hin zur Einnahme des Raums durch die Sitzplatzbelegung (vgl. Walter 1996). CSCL kann generell dazu beitragen, die Identität der einzelnen Teilnehmenden zu verbergen und damit jenen mit niedrigerem sozialem Status eine höhere Chance zu bieten, gleichwertig involviert zu sein und gehört zu werden wie jenen mit hohem Status (vgl. Cress et al. 2015, 110). Gleichzeitig gibt es Anzeichen dafür, dass erwartbare Effekte von realen sozialen Hierarchien auch im virtuellen Raum reproduziert werden, etwa dass Teilnehmende in höheren Hierarchiepositionen aktiver sind und bessere Lernleistungen haben als solche auf einer niedrigeren Ebene (vgl. Rehm et al. 2015). Während sich in den vorliegenden empirischen Ergebnissen der positive Einfluss der Anonymität durchaus wiederfinden lässt, konnte der Effekt von Hierarchien nicht ausreichend untersucht werden.

5.3 Interaktion, Aufmerksamkeit und Berührungspunkte

Wenngleich virtuelle Kommunikation in Bezug auf sinnliche und körperliche Kanäle reduziert erscheinen mag, kann CSCL Interaktionen auch anreichern – etwa durch Tools, Graphiken oder aggregierte Informationen, die in der face-to-face-Kommunikation nicht möglich wären. Dies kann den Werdegang der einzelnen Teilnehmenden betreffen, ihre Fachexpertise, ihren sozialen Status oder die über soziale Medien geteilten Einblicke in ihr Privatleben. In Bezug auf das kooperative Lernen können dabei schneller Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten unter den Teilnehmenden festgestellt, geteilt und ausgebaut werden. Diese Dynamik unterstreicht die hohe Bedeutung, die Elemente der sozialen Aufmerksamkeit im Gegensatz zu jenen der fachlichen Aufmerksamkeit für die Gruppeninteraktion haben (vgl. Lin et al. 2015). Auch in den vorliegenden Ergebnissen bestätigt sich der gesteigerte Einfluss der sozialen Aufmerksamkeit: Das Wissen um soziale Details, vom Banalen bis zum Privaten, stimuliert die peer-to-peer-Interaktion und stärkt die (Ver-)Bindung. Nicht unähnlich den „schwachen“ Kontakten in Granovetters sozialer Netzwerkforschung (1973), könnte man dabei von schwachen Einzelheiten sprechen, die den Austausch eher befördern als die starken Übereinstimmungen in inhaltlich-fachlicher Sicht. Das ist gerade im Kontext der Berufsbildung ein interessanter Befund, da es einer allfälligen Segmentierung von Fachrichtungen entgegenwirkt.

5.4 Erfahrung, Professionalität und Heterogenität

Während die bisher diskutierten Ergebnisse generell auf Breakout-Rooms zutreffen mögen, müssen manche Potentiale und Probleme eher im Kontext unserer spezifischen Zielgruppe betrachtet werden. Zum einen kann die Motivstruktur nicht verallgemeinert werden: Die befragten Studierenden, die das Masterstudium freiwillig und berufsbegleitend absolvieren, weisen eine besondere Motivstruktur auf, die sich in erhöhter Offenheit, Neugierde und Lernbereitschaft zeigt. Gleichzeitig ist damit ein besonderer Anspruch des persönlichen Erfahrungsaustauschs verbunden, der aufgrund der Altersgruppen meist an analogen Möglichkeiten gemessen wird und damit die Grenzen der virtuellen Interaktionsformen immer wieder aufzeigt.

Neben der Motivstruktur ist die Professionalität der Studierenden zu betonen, die sich im Umgang mit verteilten Ressourcen zeigt und ein effizientes kooperatives Arbeiten ermöglicht. Da alle Befragten an Berufsschulen unterrichten, manche darunter seit vielen Jahren, sind sie stark in der Praxis verankert, haben meist eine berufliche Identität, ein professionelles Rollenverständnis sowie eine persönliche Haltung entwickelt. Dieser professionelle Kontext wird ebenso als Ressource in das kooperative Lernen eingebracht wie die große Heterogenität, die die Gruppe auszeichnet – die vertretenen Berufe decken ein breites Spektrum aus den Bereichen Technik, Gewerbe, Industrie, Gastronomie, Handel und Information & Kommunikation ab. Mit diesem professionellen und heterogenen Hintergrund bilden die Teilnehmenden der Breakout-Rooms weniger eine Community of Practice als vielmehr Landscapes of Practice (vgl. Wenger-Trayner/Wenger-Trayner, 2014). Darin überschneiden sich Identitäten und Praxisgemeinschaften, wodurch unterschiedliche Bereiche des Lernens adressiert werden und es weniger um die Gemeinschaft als Referenzpunkt geht, sondern um die Räume, die damit eröffnet werden. Breakout-Rooms sind eine Möglichkeit, solche Räume des Austausches, solche Landschaften der Begegnung zu ermöglichen.

Ein weiterer Aspekt, der mit Rücksicht auf den konkreten Untersuchungskontext und die Eigenschaften der Probanden zu erklären ist, ist die weitgehende Abwesenheit des sozialen Faulenzens. Dieses Phänomen tritt häufig bei klassischen Gruppenarbeiten auf, wenn das Engagement der Einzelperson abnimmt im Glauben, die Gruppe werde es kompensieren. Auch der umgekehrte Fall ist möglich, dass nämlich die Gruppe glaubt, sich auf Einzelne verlassen zu können (vgl. Kerr 1983). Beide Richtungen konnten in der vorliegenden Untersuchung nicht bestätigt werden, weil dafür sowohl die Motivstruktur als auch die Professionalität der Probanden zu sehr ausgeprägt waren. Dennoch zeigen ihre Bekundungen zur Notwendigkeit von Gruppen- und Selbstdisziplin, dass das Phänomen auch im Rahmen von Breakout-Rooms relevant ist.

6 Resümee

Es ist fraglich, inwiefern in Breakout-Rooms tatsächlich neues Wissen generiert wird. Laut einer Studie von Siqin et al. (2015) findet in der Mehrzahl der Interaktionen lediglich Wissensaustausch statt, wo Wissen einfach angesammelt wird. In einem Drittel der Fälle findet, immerhin, Wissenskonstruktion statt, also ein Prozess, in dem die Gruppe ein tieferes Verständnis für das zentrale Problem erarbeitet. Keine Aktivität konnten die Autor*innen jedoch auf die Generierung neuen Wissens verbuchen, also darauf, dass durch den kollektiven Lernprozess ein Verständnis ermöglicht wird, das über das hinausgeht, was in der Gruppe bereits bekannt war. Dieser ernüchternde Befund mag dem Umstand geschuldet sein, dass CSCL oft nur vorübergehend und flüchtig stattfindet, kooperatives Lernen aber Kontinuität und Dauer voraussetzt (vgl. Wehr 2013), damit sich gruppenbezogene Praktiken und Normen entwickeln können. Folglich muss auch bezweifelt werden, ob durch die Lernaktivitäten in Breakout-Rooms klassische Prinzipien des kooperativen Lernens erfüllt werden können, insofern Kriterien wie positive Interdependenz und individuelle Verantwortlichkeit (vgl. Slavin, 1995) nur schwer erfüllbar sind. Dennoch zeigt sich in unseren Ergebnissen, dass Breakout-Rooms in Bezug auf die Motivation und Ressourcennutzung durchaus relevante Einflüsse auf den kooperativen Lernprozess haben. Dies betrifft wenn auch nicht die Generierung von Wissen, so doch die Förderung einzelner Kompetenzen (Problemlösungskompetenz, Kooperationskompetenz, generell soziale Kompetenzen). Dabei bleiben grundsätzliche Nachteile des virtuellen Raums zwar aufrecht, können aber zum Teil kompensiert werden. So mögen etwa die körperliche Präsenz und der soziale Erfahrungsaustausch fehlen, umgekehrt ergeben sich neue Formen von Präsenz und Austausch, die eine andere Qualität von Unmittelbarkeit und Verbundenheit mit sich bringen. Ein großes Potential liegt in der Heterogenität einer Gruppe, die durch die tendenzielle Anonymität gewahrt bleibt und gleichzeitig förderlich sein kann für Motivation und Inklusion, aber auch für das Verständnis von Lerninhalten. Wie dieser Prozess der Konstruktion (und im Idealfall der Generierung) von Wissen genau verläuft, wäre eine lohnende Forschungsaufgabe. Wie können Breakout-Rooms eingesetzt werden, mit welchen Bedingungen, Zielen und Vorgaben, um die Vielfalt der Perspektiven produktiv nutzbar zu machen? Wann hingegen bleibt es beim Wissensaustausch ohne Lernzuwachs?

Am Ende lassen die vorgestellten Befunde auch interessante Erkenntnisse für die Zielgruppe der berufspädagogischen Studiengänge zu. Denn auch wenn die Aussagekraft der empirischen Resultate naturgemäß begrenzt bleibt, so sind die theoretischen Schlüsse daraus sehr wohl übertragbar auf andere Kontexte. Allen voran zeigt sich, dass Breakout-Rooms gerade dann förderlich für die Motivation und Ressourcennutzung von Lerngruppen eingesetzt werden können, wenn die Teilnehmenden Berufserfahrung und Professionalität mitbringen und gleichzeitig eine hohe Heterogenität unter sich aufweisen. Das sind Voraussetzungen, die in berufspädagogischen Lehr- und Lernarrangements nicht selten anzutreffen sind. Auch aus diesem Grund bieten die dargestellten Ergebnisse vielversprechende Anknüpfungspunkte für weitere Studien im Themenfeld des kooperativen Lernens im virtuellen Raum.

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[1] Da die Unterscheidung Kollaboration/Kooperation im deutschsprachigen Forschungsdiskurs weniger präzise ist bzw. die Begriffe oft austauschbar verwendet werden, wird in Folge der geläufigere Begriff der Kooperation beibehalten, jedoch angereichert mit den oben diskutierten Implikationen der Kollaboration (vgl. Reinmann/ Mandl 2002, 45).

[2] Um begriffliche Trennschärfe zu gewähren, sprechen wir in den Ergebnissen von Breakout-Rooms, wenn damit das spezifische Gruppen-Setting bezeichnet werden soll, und von virtuellen Räumen, wenn damit Lernaktivitäten im Plenum beschrieben sind.

Zitieren des Beitrags

Vötsch, M./Schwabl, G. (2021): Kooperatives Lernen im virtuellen Raum: Welche Potentiale haben studentische Gruppenarbeiten in Breakout-Rooms? In: bwp@ Berufs- und Wirtschafts­pädagogik – online, Ausgabe 40, 1-15. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe40/voetsch_schwabl_bwpat40.pdf (09.07.2021).