bwp@ 26 - Juni 2014

Berufliche Bildung aus der Perspektive des lernenden Subjekts

Hrsg.: Tade Tramm, Martin Fischer & Nicole Naeve-Stoß

Weiterbildungsbeteiligung und individuelle Nutzenerwartungen

Beitrag von Marcel Walter & Normann Müller
bwp@-Format: Forschungsbeiträge

Empirische Arbeiten tun sich schwer, individuelle Weiterbildungspartizipation bzw. -abstinenz kohärent und sparsam zu erklären. Im Beitrag erfolgt zunächst eine theoretisch-paradigmatische Konzeptualisierung des individuellen Weiterbildungsverhaltens durch den Rückgriff auf das sozialwissenschaftliche Rational-Choice Paradigma. Anschließend beleuchten wir den Beitrag einzelner Nutzenelemente zur Erklärung der individuellen Weiterbildungsbereitschaft empirisch auf Basis der BIBB-DICT-Erhebung.

Individuelle Nutzenerwartungen nehmen im Entscheidungsprozess über künftige Weiterbildungsteilnahmen einen hohen Stellenwert ein. Nutzen, der schon im Verlauf einer Maßnahme erwartet wird, hat einen etwas stärkeren Einfluss auf die Weiterbildungsbereitschaft, als der Nutzen, der erst durch einen Lernerfolg verwirklicht werden kann. Das Knüpfen von Kontakten, die Anerkennung im beruflichen Umfeld und die Freude am Lernen selbst haben einen deutlich stärkeren Einfluss auf die Weiterbildungsbereitschaft als Einkommenszuwächse und Tätigkeitswechsel. Der wahrgenommene Beitrag von Weiterbildung zur Realisierung bestimmter persönlicher Ziele beeinflusst die Teilnahmebereitschaft zudem stärker als die grundsätzliche Relevanz, die Erwerbstätige diesen Zielen zuschreiben.

Diese Befunde lassen Zweifel am Sinn der an Individuen herangetragenen Appelle zur Ausweitung ihres finanziellen Weiterbildungsengagements aufkommen. Zugleich lassen sich aus den Ergebnissen jedoch auch Möglichkeiten zur Weiterbildungsförderung ableiten. Schließlich geben die Befunde Anlass, die Erfassung von Nutzenerwartungen in Erhebungen, die sich mit den Ursachen von Weiterbildungspartizipation und -abstinenz beschäftigen, zu überdenken.

Participation in further education and training and individual expectations of benefits from it

English Abstract

Empirical studies struggle with explaining individual further education participation or non-participation in a coherent and concise way. In this paper there is, firstly, a theoretical and paradigmatic conceptualisation of individual further education behaviour through recourse to the sociological rational choice paradigm. Finally we highlight the contribution of particular benefits in order to explain the willingness of individuals to participate in further education and training in an empirical way using the BIBB-DICT survey.

Individual expectations of benefits take on a high significance in the decision-making process about future participation in further education and training. Benefits which are expected in the course of a training programme have a somewhat stronger influence on the willingness to participate in further education and training than benefits which can only be realised through successful learning. Networking, recognition in the professional field and enjoyment of the learning itself have a significantly stronger influence on the willingness to participate in further education and training than increases in income and a change of working role. The perceived contribution of further education and training to the realisation of particular personal goals influences the willingness to take part more strongly than the fundamental relevance which workers attribute to these goals.

These findings raise doubts regarding the helpfulness of calls to individuals to increase their financial involvement in further education and training. At the same time the findings also, however, allow for the extrapolation of possibilities for supporting further education and training. Finally, the findings also give rise to the need to rethink the capturing of expectations of benefits in surveys which deal with the causes of participation and non-participation in further education and training.

1 Einleitung

In bildungspolitischen Veröffentlichungen, Forschungsbeiträgen sowie im nicht-wissenschaftlichen Nachrichten- und Meinungswesen wird allgemein ein steigender Weiterbildungsbedarf vorausgesetzt. Diese Annahme bezieht sich nicht allein auf das betriebliche Engagement zur Investition in das Humanvermögen der Belegschaft, sondern auch auf die Bereitschaft von Individuen, künftig mehr finanzielle und zeitliche Ressourcen in kontinuierliche Weiterbildungsanstrengungen zu investieren. Für die steigende Relevanz von beruflicher Weiterbildung ursächlich gemacht werden Elemente des sozialstrukturellen Wandels, die im Kern dazu führen, dass die berufliche Erstausbildung für die Anforderungen im Erwerbsleben lediglich noch eine – wenn auch sehr wichtige – Sockelfunktion darstellen kann, auf der kontinuierliche Weiterbildungsanstrengungen aufbauen. Ohne Weiterbildung sind hiernach eine dem jeweils aktuellen technischen und wissenschaftlichen Stand entsprechende Aufgabenerfüllung sowie die Beschäftigungsfähigkeit und gesellschaftliche Teilhabe breiter Personengruppen gefährdet.

Forderungen zur Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung wurden schon vom Deutschen Bildungsrat formuliert (vgl. Deutscher Bildungsrat 1970, 51ff.) und finden sich aktuell etwa in den OECD-Bildungsindikatoren (vgl. OECD 2010, 93) und im Ziel der Bundesregierung wieder, die Quote der Weiterbildungsteilnehmenden (allgemeine und berufliche Weiterbildung zusammen) bis zum nächsten Jahr auf 50% zu steigern.

Die Weiterbildungsstatistik liefert bezüglich der tatsächlichen Beteiligung von Individuen vor dem Hintergrund der Forderungen ambivalente Ergebnisse. Der aktuelle AES-Trendbericht weist auf die „höchste Weiterbildungsbeteiligung seit 1979“ (und damit der Weiterbildungsberichterstattung) hin (vgl. Bilger 2013). Insbesondere Betriebe sind nach der Wirtschaftskrise der vergangenen Jahre offensichtlich wieder stärker bereit, in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter/-innen zu investieren. Auf der anderen Seite ist die Bereitschaft von Individuen, in die eigene berufliche Weiterbildung zu investieren, weiter rückläufig. Ferner stagniert die Gesamt-Weiterbildungsbeteiligung faktisch seit 1997, sodass sich erst noch zeigen muss, ob der aktuelle Anstieg einen Entwicklungstrend einleitet oder lediglich einen positiven „Ausreißer“ markiert.

Neben der weiterhin bestehenden Ungleichheit im Zugang zu Weiterbildung macht gerade auch dieser Widerspruch zwischen dem in der öffentlichen Diskussion deutlich werdenden Konsens zum Stellenwert von Weiterbildung und dem tatsächlichen Weiterbildungsverhalten von Individuen die Bearbeitung der Frage, aus welchen Gründen bzw. unter welchen Voraussetzungen Individuen an Weiterbildung partizipieren, zu einem wichtigen und interessanten Forschungsfeld.

Die empirische Forschung tut sich allerdings schwer, individuelle Weiterbildungspartizipation bzw. -abstinenz kohärent und sparsam zu erklären. Eine Plausibilisierung von Weiterbildungsverhalten erfolgt zumeist

  • im Nachhinein über Informationen, die den Individuen zum Zeitpunkt der Teilnahmeentscheidung noch nicht vorlagen (z. B. späterer Einkommenszuwachs) (vgl. z.B. Beicht/Krekel/Walden 2006; Behringer 1999),
  • auf Basis der Zustimmung zu allgemeinen, in ihrer Auswahl nicht weiter begründeten Statements zur Messung der Einstellung gegenüber Weiterbildung (vgl. z.B. Bilger 2013; Rosenbladt/Bilger 2008)
  • mit Hilfe von individuell geäußerten Teilnahmemotiven bzw. -hemmnissen, die aber mitunter unscharf voneinander abgegrenzt werden (vgl. z.B. Baethge/Baethge-Kinsky 2004; Schröder/Schiel/Aust 2004)
  • über sozialstatistische Merkmale (Alter, Abschluss etc.) (vgl. z.B. Offerhaus 2013; Grund/Martin 2012).

Nähert man sich dem Teilnahmeverhalten auf Basis sozialstatistischer Merkmale, lassen sich zwar Ungleichheiten und Benachteiligungen im Zugang zu Weiterbildung demonstrieren. Über die „hinter“ diesen mit dem Weiterbildungsverhalten korrelierenden Merkmalen liegenden Ursachen des Teilnahmeverhaltens liefert eine solche Betrachtung jedoch keine Informationen. Nicht Merkmale wie das Geschlecht, Alter oder der höchste berufliche Abschluss determinieren das Weiterbildungsverhalten, sondern die mit diesen Merkmalen variierenden Nutzenzuschreibungen und verfügbaren Ressourcen. Da den Individuen der tatsächliche Eintritt von Nutzenaspekten im Anschluss an Weiterbildung zum Zeitpunkt der Entscheidung über eine Teilnahme in aller Regel nicht bekannt ist, erfordert ein genaues Verständnis des eigentlichen Entscheidungsprozesses die Kenntnis der vor der Entscheidung individuell wahrgenommenen Nutzen- und Disnutzenaspekte einer Weiterbildungsteilnahme. Empirische Arbeiten stehen dabei vor der Herausforderung, den individuellen Erwartungsraum durch eine systematische und möglichst kohärente Wahl an Nutzen- und Disnutzenaspekten möglichst erschöpfend zu erfassen. Zugleich müssen sie die individuellen finanziellen und zeitlichen Ressourcen sowie das lokale Weiterbildungsangebot und das persönliche Wissen über relevante Angebote berücksichtigen.

Einen Analyserahmen, der die entsprechenden Bedingungen erfüllt, liefert eine Individualdatenerhebung unter erwerbstätigen Personen in Deutschland, die kürzlich in einem Forschungsprojekt des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) durchgeführt wurde (Müller/Walter 2013a). Mit Hilfe einer innovativen Befragungsstrategie gelang es in diesem Projekt, systematisch den von potenziellen Teilnehmern ex-ante erwarteten Nutzen einer Weiterbildungsteilnahme zu erfassen. Hierzu wurden die interviewten Personen mit einem fiktiven Weiterbildungsszenario konfrontiert, für welches sie ihre Nutzenbewertungen abgeben sollten. Zu vier verschiedenen Szenarien wurden jeweils 400 Personen befragt. Unter den insgesamt 1.600 Befragten befanden sich dabei sowohl Personen, die zuvor regelmäßig an Weiterbildung teilgenommen hatten, als auch Personen, die in den letzten 5 Jahren keine einzige Maßnahme belegt hatten.

Eine Besonderheit der Erhebung liegt in der Erfassung der weiterbildungsbezogenen Nutzenerwartungen. Dieser wurde unter Rückgriff auf drei Teilkonstrukte gemessen, die sich aus einer psychologischen Motivationstheorie, der Instrumentalitätstheorie nach Vroom (1964) ergeben. Im vorliegenden Beitrag verwenden wir die Messungen dieser Konstrukte, um die Bedeutung der einzelnen Nutzenkomponenten für die individuelle Weiterbildungsbereitschaft aufzuklären. Die Analyse erfolgt dabei auf Basis von Regressionsmodellen. Zunächst diskutieren wir jedoch den theoretischen Ansatz und erläutern die empirisch gemessenen Konstrukte.

2 Theoretischer Ansatz und Untersuchungsziel

Die Untersuchung baut auf dem Rational-Choice Paradigma auf. Rational Choice besitzt in der sozialwissenschaftlichen Forschung eine lange Tradition und steht als Oberbegriff für eine Vielzahl theoretischer Modelle. Allen diesen Theorien gemeinsam sind dabei Prämissen bezüglich der Grundregeln des wissenschaftlichen Zugangs zu Forschungsgegenständen sowie bezüglich der Grundregeln des menschlichen Verhaltens.

Zu den methodologischen Prämissen gehört in erster Linie der methodologische Individualismus. Nach dieser Maxime sind soziale Phänomene als Ergebnis der Handlung von Individuen zu begreifen und folglich über individuelle Wahrnehmungen, Erwartungen, Wünsche und Handlungen zu erklären (vgl. Lindenberg 1977). Die anthropologischen Kernannahmen von Rational-Choice lassen sich folgendermaßen zuspitzen: Menschen handeln um der erwarteten Folgen willen und steuern ihr Handeln zielgerichtet, um ihr Wohlbefinden zu steigern (vgl. Esser 1996, 238). Allerdings geht jede Wohlbefindenssteigerung mit dem Verzicht auf andere Arten der Wohlbefindenssteigerung einher (vgl. Kunz 1997, 48ff.). Individuen wählen daher unter eine Reihe ihnen jeweils zur Verfügung stehender Handlungsalternativen jene aus, mit der sie bei gegebenen Restriktionen ihre Ziele bestmöglich realisieren können, die also den größten (Netto-)Nutzen verspricht (Kirchgässner 2008, 13ff.; Esser 1991, 431).

Grundsätzlich ist der Nutzenbegriff bei RC sehr weit gefasst. Er umfasst sämtliche Elemente einer Handlung, die geeignet erscheinen, die eigene Lebenssituation zu verbessern. Negative Nutzenelemente, die auf dem Weg zur Zielerreichung in Kauf zu nehmen sind, stellen dagegen die Kosten der Handlung dar. Schließlich handelt es sich bei Restriktionen um Ressourcen und Informationen, für das Handeln grundsätzlich zur Verfügung stehen. Auch Kosten und Restriktionen müssen damit ausdrücklich nicht rein monetär und auch nicht rein ökonomisch interpretiert werden.

Die methodologischen und anthropologischen Annahmen von RC bilden zunächst lediglich die Grundlage für die Analyse sozialer Phänomene auf der Basis individueller Handlungen. Um individuelle Entscheidungsprozesse einer theoretischen oder empirischen Erklärung zugänglich zu machen, setzen sie folglich eine Handlungs- bzw. Mikrotheorie voraus, welche die allgemeine Maximierungsannahme des RC-Paradigmas um Gestaltungsannahmen ergänzt. Gestaltungsannahmen geben die Entscheidungsregeln für die individuelle Nutzenmaximierung und damit die Handlungswahl vor (vgl. Pfister/Konerding 1996). Sie beziehen sich auf alle Elemente, die zur Nutzenbildung herangezogen werden und machen Aussagen über deren Ineinanderwirken.

Eine Familie von Handlungstheorien, die sich an den oben genannten methodologischen und anthropologischen Prämissen von RC orientiert, bilden die Wert-Erwartungstheorien. Wert-Erwartungstheorien wurden in der Vergangenheit in der Ökonomie, der Psychologie und der Soziologie unter anderem auch herangezogen, um Handlungswahlen im Kontext der Berufsbildungsforschung zu analysieren. Empirisch untersucht wurden so etwa die Arbeitgeber- bzw. Arbeitsplatzwahl (vgl. Osborn 1990), Bedingungen des Erfolgs betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen (vgl. Gegenfurtner et al. 2009), das schulische und universitäre Lernverhalten (vgl. Engeser et al. 2005), die Studienfachwahl (vgl. Gabay-Egozi et al.) und die Übergänge vom Hochschul- in das Beschäftigungssystem (vgl. Lange 1990).

Allen Wert-Erwartungstheorien ist gemeinsam, dass sie Handlungen als Mittel-Zweck-Beziehungen abbilden. Sie postulieren, dass Individuen ihren Handlungszielen positive und negative Bewertungen zuschreiben. Diese Bewertungen resultieren aus – hier fehlt es innerhalb und zwischen den sozialwissenschaftlichen Disziplinen an einem einheitlichen Begriff – individuellen Wünschen, Präferenzen, Motiven, Werthaltungen oder Bedürfnissen. Zugleich bilden Individuen Erwartungen darüber, inwiefern sie ihre Ziele über spezifische Handlungen erreichen können. Bei der Wahl zwischen Handlungsalternativen sollte also jene Handlung gewählt werden, bei der die Kombination aller im Handlungsvollzug bestehenden bewerteten Handlungsziele und der Wahrscheinlichkeit, dass diese Ziele durch den Handlungsvollzug zu verwirklichen sind, maximal ist. Hiermit kommt zum Ausdruck, dass ein hoher Wert eines Handlungsziels für die Wahl der Handlung nicht ausreichend ist, wenn die Folge als nicht oder auch unter höchster Anstrengung kaum erreichbar erachtet wird. Auf der anderen Seite ist auch eine hohe Erwartung wenig dienlich, solange das Ziel aus subjektiver Perspektive wenig erstrebenswert erscheint. In den meisten Wert-Erwartungstheorien wird die Maximierungshypothese über eine multiplikative Verknüpfung von Zielen und Eintrittserwartungen abgebildet. Jedes Handlungsziel wird vom Individuum also mit seiner Eintrittswahrscheinlichkeit gewichtet. Für Esser bildet die multiplikative Verknüpfung den Kern dessen ab, was RC als „rational“ begreift: „Strebe nach Dingen, die möglich und zuträglich sind, und meide ein Handeln, das undurchführbar und/oder schädlich ist“ (Esser 1999, 257).

Wert-Erwartungstheorien unterscheiden sich unter anderem danach, wie viele Wahrscheinlichkeitswerte zur Gewichtung der bewerteten Handlungsfolgen herangezogen werden und welche mathematische Verknüpfung der Werte und Eintrittserwartungen das tatsächliche Verhaltensmuster von Individuen vermeintlich bestmöglich approximiert. Wir stützen uns im Folgenden auf eine geringfügig modifizierte Form der Instrumentalitätstheorie. Hierbei handelt es sich um eine psychologische Variante der Wert-Erwartungstheorien nach Vroom (1964). Vroom sequenzierte den Handlungspfad in drei aufeinanderfolgende Ebenen. Er ging davon aus, dass das Individuum dem durch die Handlung unmittelbar hervorgerufenen Handlungsergebnis an sich zunächst keinen Wert beimisst. Der Wert eines Handlungsergebnisses entfalte sich vielmehr erst über die daraufhin eintretenden Folgen. Handlung und Handlungsergebnis sowie Handlungsergebnis und Handlungsfolgen sind dabei jeweils über Eintrittswahrscheinlichkeiten verknüpft. Die Stärke der Tendenz, eine Handlung auszuführen, geht im instrumentalitätstheoretischen Modell damit auf drei Komponenten zurück:

  • Die Erwartungen, dass die betrachtete Handlung erfolgreich sein wird, d.h. zu einem oder mehreren Handlungsergebnissen führt. Als wahrgenommene Wahrscheinlichkeiten können Erwartungen einen Wert zwischen 0 und 1 annehmen.
  • Die Instrumentalitäten, die jedes Handlungsergebnis mit Handlungsfolgen verbinden. Die Instrumentalität repräsentiert die subjektiv wahrgenommene Wahrscheinlichkeit, mit der ein Ergebnis mit bestimmten Nutzen- und/oder Disnutzenaspekten verbunden ist, d.h. zur Erreichung persönlicher Ziele beiträgt oder eine Zielerreichung verhindert. Da Handlungsergebnisse auch den Eintritt von (unerwünschten) Folgen verhindern können, liegt der Werteraum von Instrumentalitäten nicht zwischen 0 und 1, sondern zwischen -1 und +1.
  • Die Valenzen, welche die subjektive Bewertung der entsprechenden erwünschten und unerwünschten Folgen der Handlung widerspiegeln.

Bei entsprechender Operationalisierung können diese Konstrukte multiplikativ miteinander verknüpft werden, sodass sich der individuell erwartete Nutzen einer Handlung bezogen auf verschiedene persönliche Einzelziele und die Gesamttendenz zur Handlungsausführung berechnen lässt. Letztere stellt in psychologischer Perspektive die Motivation zur Handlungsausführung dar, wird von uns in Anlehnung an die wohl bekannteste soziologische Wert-Erwartungstheorie (vgl. z.B. Esser 1999) allerdings als subjektiv erwarteter (Netto-)Nutzen (SEU, Subjective Expected Utility) interpretiert (vgl. auch Vroom 1964, 19), weil dieses Konstrukt die Tendenz zur Handlungsausführung begrifflich präziser beschreibt als der grundsätzlich mehrdeutig verwendete Motivationsbegriff.

Unsere Modifikation bezieht sich jedoch in erster Linie auf die von Vroom unterstellte Handlungssequenz: Eine Aktivität bezieht ihre Attraktivität nach der ursprünglichen Formulierung der Instrumentalitätstheorie nicht aus sich selbst, sondern ausschließlich aus den Werten ihrer Ergebnisfolgen. Diese strikte instrumentelle Verkettung – Handlung, Handlungsergebnis, Handlungsfolge – scheint nicht durchgängig angemessen, weil sie Vollzugsanreize ignoriert, die ihren Wert schon im Handlungsvollzug erhalten (vgl. Rheinberg 2006). Wir unterscheiden folglich zwischen tätigkeits- und zweckspezifischen Zielen. Bei tätigkeitsspezifischen Zielen hängt die Erreichbarkeit nicht von einem definierten Handlungserfolg mit unsicherem Eintritt ab, sie stehen vielmehr in direktem Zusammenhang mit der Handlung. Die Zielbewertung muss in diesen Fällen daher nur mit der Instrumentalität, nicht mit der Erfolgserwartung gewichtet werden. Eine solche Unterscheidung drängt sich gerade mit Blick auf die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung auf. In der Literatur ist auf den konsumatorischen Charakter von beruflicher Weiterbildung schon oft hingewiesen worden (vgl. etwa Götzhaber/Jablonka/Metje 2011, 43; Behringer 1996, 84). So setzt etwa eine Anpassung an berufliche Anforderungen (zweckspezifisches Ziel) voraus, dass Weiterbildungsinhalte erfolgreich am Arbeitsplatz angewendet werden können, während sich etwa das Knüpfen sozialer Kontakte oder Lernfreude (tätigkeitsspezifische Ziele) auch ohne einen entsprechenden Erfolg bereits im Rahmen des Kursbesuchs verwirklichen lassen.

Als Handlung von Interesse betrachten wir im Weiteren die Weiterbildungsteilnahme, wobei die einzige von uns in Betracht gezogene Alternativhandlung die Nichtteilnahme ist. Unser Anliegen ist es, die Teilnahmeentscheidung zu hinterfragen. Dabei geht es zum einen darum, die Bedeutung verschiedener Nutzenaspekte aufzuklären. Zum anderen soll der Einfluss persönlicher Zielsetzungen mit dem Einfluss des der Weiterbildung zugeschriebenen Zielerreichungspotenzials verglichen werden.

3 Empirische Vorgehensweise

Die zur Erklärung des Teilnahmeverhaltens benötigten Konstrukte wurden im Rahmen der BIBB-DICT-Erhebung gemessen. Die Stichprobe wurde durch einfache Zufallsauswahl aus der Grundgesamtheit der deutschsprachigen 19- bis 64-Jährigen, die zum Befragungszeitpunkt mindestens zehn Stunden wöchentlich erwerbstätig waren, gezogen.[1] In einem computer-gestützten telefonischen Interview (CATI) wurden alle 1.600 Erhebungsteilnehmer zunächst nach ihren persönlichen Zielen befragt. Der vorgegebene Zielkatalog war dabei auf solche Ziele beschränkt, die im weitesten Sinne Relevanz im Zusammenhang mit einer Weiterbildungsteilnahme besitzen können. Grundlage für die Zusammenstellung der potenziellen Weiterbildungsziele bildete eine Analyse aller bundesdeutschen Berichtssysteme, regelmäßigen Personenbefragungen sowie Individualerhebungen zum Weiterbildungsverhalten. Bewertet werden sollte auf einer vierstufigen Skala (sehr wichtig, ziemlich wichtig, weniger wichtig, überhaupt nicht wichtig), wie sehr die folgenden zweckspezifischen Zielsetzungen angestrebt wurden (Valenzen):

  • Lohn-/Gehaltserhöhung
  • Sicherung des Arbeitsplatzes
  • Verbesserung der allgemeinen Beschäftigungsfähigkeit
  • Berufliche Veränderung[2]
  • Anpassung an sich wandelnde berufliche Anforderungen
  • Nutzensynergien für Freizeitaktivitäten

Außerdem war die subjektive Relevanz der folgenden tätigkeitsspezifischen Zielsetzungen anzugeben:

  • Berufliche Kontakte aufbauen/pflegen
  • Anerkennung durch das berufliche Umfeld
  • Freude beim Lernen

Bei den Zielen der Lohn-/Gehaltserhöhung und der beruflichen Veränderung wurde jeweils noch zwischen einem kurzfristigen („innerhalb des nächsten Jahres“) und einem langfristigen („in einigen Jahren einmal“) Zeithorizont unterschieden.

Im Anschluss wurde jeweils 400 Befragten eines der folgenden Weiterbildungsszenarien vorgestellt, um sicherzustellen, dass die Antworten auf alle weiteren Fragen vergleichbar waren:

  1. Weiterbildung mit dem Ziel, die beruflichen Qualifikationen deutlich zu erweitern und zur Mitarbeiterführung zu qualifizieren (Umfang: mindestens 800 Stunden über mehrere Monate berufsbegleitend)
  2. Maßnahme mit IT-Bezug (Umfang: 16 Stunden, außerhalb der Arbeitszeit)
  3. Maßnahme zur Vermittlung von Soft Skills (Umfang: 16 Stunden, außerhalb der Arbeitszeit)
  4. Fachliche Fortbildung im jeweiligen Beruf der Befragten (Umfang: 16 Stunden, außerhalb der Arbeitszeit)

Bezugnehmend auf diese Szenarien sollten die Befragten zunächst ihre Zahlungsbereitschaft für eine entsprechende Maßnahme angeben. Da die tatsächliche Teilnahme bei einer prospektiven Befragung nicht beobachtbar ist, wird ein Maß für die Teilnahmebereitschaft benötigt, welches durch die Zahlungsbereitschaft gegeben ist. Eine Zahlungsbereitschaft von Null steht dabei für das geringstmögliche Ausmaß der Teilnahmebereitschaft. In der Realität dürfte die Weiterbildungsbereitschaft mancher Personen allerdings so gering sein, dass man ihnen sogar etwas zahlen müsste, damit sie bereit wären, an Weiterbildung teilzunehmen. Insofern wird der Wertebereich der Teilnahmebereitschaft durch diese Annäherung im unteren Bereich abgeschnitten. Unbeschadet hiervon ist aber davon auszugehen, dass mit höherer Zahlungsbereitschaft auch die Weiterbildungsbereitschaft steigt.

Weil die Zahlungsbereitschaft erfasst wurde, bevor die Befragten das Potenzial des jeweiligen Kurses mit Blick auf die persönlichen Ziele einschätzen mussten, kann davon ausgegangen werden, dass sie von den Befragten im Zuge der hierfür notwendigen Reflektion nicht an diese Nutzenwahrnehmung angepasst wurde, sondern ein spontan geäußerter Ausdruck der Teilnahmeneigung in der Realität ist. Die Zahlungsbereitschaft wurde mit Hilfe einer siebenstufigen Skala gemessen. Sie bildet ab, wie teuer eine Weiterbildung des jeweils vorgestellten Typs maximal sein dürfte, damit die Befragten sich noch für eine Teilnahme entscheiden würden (Szenario 1: 1 = 0 €; 2 = 1-500 €; 3 = 501-1.000 €; 4 = 1.001-2.000 €; 5 = 2.001-5.000 €; 6 = 5.001-10.000 €; 7 = mehr als 10.000 €. Szenarien 1-3: 1 = 0 €; 2 = 1-50 €; 3 = 51-100 €; 4 = 101-200 €; 5 = 201-500 €; 6 = 501-1.000 €; 7 = mehr als 1.000 €).

Im weiteren Verlauf des Interviews sollten die Befragten dann angeben, ob der vorgestellte Kurs ihren Erwartungen zufolge für sie persönlich einen Lernerfolg ermöglichen würde. Ein Lernerfolg läge nach unserer Definition dann vor, wenn ein/e Weiterbildungsteilnehmer/-in sich nach abgeschlossenem Kurs prinzipiell in der Lage fühlen würde, die Weiterbildungsinhalte anzuwenden. Zur Erfolgserwartung dürften im Wesentlichen drei Faktoren beitragen: die wahrgenommene Kursqualität, die wahrgenommene Kompetenz des Lehrpersonals und die Einschätzung der eigenen Kompetenzen (Selbstwirksamkeit). Gefragt wurde daher, inwiefern jeder dieser drei Aspekte einem Lernerfolg zuträglich wäre (auf jeden Fall, wahrscheinlich, wahrscheinlich nicht, auf keinen Fall). Eine Erfolgserwartung wurde als nicht gewichteter Mittelwert aus den drei Items berechnet.

Schließlich wurden die Instrumentalitäten erfasst, also die wahrgenommenen Wahrscheinlichkeiten dafür, dass eine (erfolgreiche) Weiterbildungsteilnahme zur Erreichung der zuvor bewerteten persönlichen Ziele beiträgt (auf jeden Fall, wahrscheinlich, wahrscheinlich nicht, auf keinen Fall). Für das Ziele der Anerkennung durch das berufliche Umfeld sowie für das Ziel der Lernfreude wurden negative Instrumentalitäten zugelassen; es konnte hier also auch angegeben werden, dass Weiterbildung mit den durch die Skala vorgegebenen Wahrscheinlichkeiten sogar zu Frustration beim Lernen bzw. zu einer Ausgrenzung im beruflichen Umfeld führt. Durch diese Vorgehensweise sind mögliche Disnutzenaspekte für die Befragten berücksichtigt.

Dennoch ist die Liste der möglichen Entscheidungsfaktoren insofern nicht vollständig, als es für jeden Entscheider finanzielle und zeitliche Beschränkungen gibt, die als konkurrierende bzw. restringierende Ziele wirken: jede Handlung darf finanzielle und zeitliche Ressourcen nur in bestimmten – individuell verschiedenen – Grenzen verbrauchen. Aus praktischer Sicht erscheint es allerdings bei der Operationalisierung dieser Aspekte kaum sinnvoll, sich streng an der Vroom’schen Modellierung der Instrumentalitätstheorie zu orientieren, welche die Formulierung entsprechender restringierender Ziele und die Erfassung subjektiver Bewertungen und Eintrittswahrscheinlichkeiten für diese Ziele erfordert. Denn finanzielle und zeitliche Restriktionen lassen sich relativ leicht beobachten und objektivieren. Um diese Aspekte in unser Erklärungsmodell integrieren zu können, wurden mit dem Erhebungsinstrument das individuell verfügbare Nettoäquivalenzeinkommen und die individuell verfügbare Freizeit (unter Berücksichtigung des Zeitaufwands für Beruf und Betreuungspflichten) ermittelt. Zudem wurde erfasst, ob den Befragten eine flexible Gestaltung ihrer Arbeitszeit möglich ist. Denn falls nicht, müsste für Weiterbildungszwecke Erholungsurlaub genommen werden, was in Konkurrenz zu den persönlichen Zielen bezüglich der Freizeitgestaltung stehen könnte.

Abschließend ist überdies zu berücksichtigen, dass sowohl eine schlechte regionale Versorgung mit Weiterbildungsangeboten als auch ein individuelles Informationsdefizit mit Blick auf mögliche Weiterbildungsangebote die Weiterbildungsbereitschaft reduzieren dürften, weil ein höherer zeitlicher und/oder finanzieller Aufwand erforderlich ist, um ein passendes Angebot zu finden und letztlich daran teilzunehmen. Diese Faktoren wirken also zusätzlich restringierend. In der Erhebung wurden von den Befragten daher subjektive Angaben über ihren empfundenen Informationsstand (sehr gut, gut, nicht so gut, schlecht) eingeholt. Außerdem wurde mit Hilfe der Informationen zum Wohnort der Befragten die Gemeindegröße in fünf Kategorien an die Erhebungsdaten angespielt (unter 1.000 Einwohner, 1.000-9.999 Einwohner, 10.000-49.999 Einwohner, 50.000-249.000 Einwohner, mindestens 250.000 Einwohner).

Nachfolgend schätzen wir den Einfluss der subjektiven Nutzenerwartungen auf die individuelle Zahlungsbereitschaft mit Hilfe ordinal-logistischer Regressionsmodelle. In unser empirisches Schätzmodell gehen die vorgestellten Messkonstrukte wie folgt ein:

Zu erklären ist die Zahlungsbereitschaft für eine Maßnahme der beruflichen Weiterbildung. Die beschriebenen Nutzenaspekte gehen als die hauptsächlich interessierenden erklärenden Variablen in das Modell ein. Der Zusammenhang zwischen den Nutzenmerkmalen und der Zahlungsbereitschaft für Weiterbildung wird auf drei Ebenen Analysiert: Zunächst wird der Einfluss zweckspezifischer und tätigkeitsspezifischer Nutzenbestandteile auf die Zahlungsbereitschaft verglichen. Auf dieser Aggregationsebene sind die jeweiligen Zielbewertungen (Valenzen) mit dem auf das konkrete Weiterbildungsszenario bezogenen Zielerreichungspotenzial (Instrumentalitäten) bereits zu Teilnutzenwerten verrechnet und sämtliche zweckspezifischen und tätigkeitsspezifischen Teilnutzenwerte wurden aufsummiert. Bei den zweckspezifischen Zielen ist dieses Produkt noch mit der Erfolgserwartung gewichtet. Die vierstufigen Erfassungsskalen für das Zielerreichungspotenzial und die Erfolgserwartung werden dabei metrisch interpretiert und mit Wahrscheinlichkeiten belegt (auf jeden Fall = 1, wahrscheinlich = 0.66, wahrscheinlich nicht = 0.33, auf keinen Fall = 0). In einem zweiten Schritt wird der Einfluss der Erfolgserwartung, sowie der einzelnen Teilnutzenaspekte auf die Zahlungsbereitschaft analysiert. Schließlich werden in einem dritten Schritt – der niedrigsten Aggregationsebene – sämtliche Nutzendeterminanten einzeln betrachtet.

Der subjektiv erwartete Nutzen als Gesamtkonstrukt sowie die beschriebenen monetären, zeitlichen und informationsbezogenen Handlungsrestriktionen werden im Folgenden nicht weiter betrachtet (siehe hierzu Walter/Müller 2013b). Für sämtliche Handlungsrestriktionen wurde in den Regressionsmodellen jedoch kontrolliert. Da die einzelnen Nutzenparameter untereinander teilweise stark korrelieren, liefert ein gemeinsames Regressionsmodell für alle Nutzenparameter pro Analyseschritt keine verwertbaren Ergebnisse. Stattdessen wurden jeweils separate Modelle geschätzt. Neben einem Modell, das lediglich die Nutzenparameter und Restriktionen als unabhängige Variablen enthält (Modell 1), wurde zusätzlich ein Modell geschätzt, in dem eine Reihe personen- und berufsbezogener Merkmale kontrolliert sind (Modell 2), um ihren Effekt auf die Zahlungsbereitschaft aus dem Effekt der Nutzenparameter herauszurechnen.

Schätzkoeffizienten und Bestimmtheitsmaße erlauben es, Einfluss und Erklärungskraft der verschiedenen Nutzenaspekte zu vergleichen. Alle Nutzenparameter wurden zwar auf vierstufigen Likert-Skalen erfasst (s.o.). Allerdings führt die Weiterverarbeitung der Variablen (Zulassen von negativen Instrumentalitäten in zwei Fällen sowie Gewichtung und Aufsummierung der Valenz- und Instrumentalitätswerte) dazu, dass die Regressionskoeffizienten teilweise nur bedingt vergleichbar sind. Die nachstehenden Tabellen weisen daher zusätzlich standardisierte Koeffizienten aus. Für die Standardisierung wurden sämtliche Regressionskoeffizienten mit ihrer jeweiligen Standardabweichung multipliziert.

4 Ergebnisse

4.1 Aggregationsebene 1: Zweckspezifischer und tätigkeitsspezifischer Nutzen

Beide Teilnutzenkonstrukte besitzen einen signifikanten Einfluss auf die individuelle Zahlungsbereitschaft (Tabelle 1). Ein Vergleich der nicht-standardisierten und standardisierten Koeffizienten zeigt, dass der Nutzen, den die Befragten schon im Verlauf der Maßnahme erwarten, etwas stärkeren Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft hat, als der Nutzen, der erst durch einen Lernerfolg verwirklicht werden kann. Der Einfluss des tätigkeitsspezifischen Nutzens auf die Zahlungsbereitschaft ist hiernach etwa doppelt so groß wie der des zweckspezifischen Nutzens. Tabelle 2 überführt die Ergebnisse von Modell 2 in konkrete Antwortwahrscheinlichkeiten. Die Wahrscheinlichkeit, im Interview eine der drei höchsten Kategorien der Zahlungsbereitschaft zu wählen, lag hiernach bei Personen mit hohen zweckspezifischen Nutzenerwartungen bei nahezu zwei Dritteln, während sie bei Personen mit niedrigen zweckspezifischen Nutzenerwartungen lediglich etwa ein Viertel beträgt. Insgesamt zeigt die Tabelle deutlich, wie sehr die Weiterbildungsbereitschaft mit den Nutzenerwartungen ansteigt.

Bereits auf dieser groben Aggregationsebene zeigt sich, dass Nutzenkomponenten, wie das Knüpfen von Kontakten, die Anerkennung im beruflichen Umfeld und die Freude am Lernen selbst einen deutlich stärkeren Einfluss auf die Weiterbildungsbereitschaft besitzen wie „harte“ Nutzenkomponenten wie Einkommenszuwächse oder Tätigkeitswechsel.

Tabelle 1: Einfluss zweckspezifischen und tätigkeitsspezifischen Nutzens auf die Bereitschaft, Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung zu finanzieren

 

Modell 1

Modell 2

 

eß

x-std.

R2

eß

x-std.

R2

Zweckspezifischer Nutzen

1.07***

1.31

.07

1.08***

1.38

.15

Tätigkeitsspezifischer Nutzen

1.17***

1.47

.09

1.16***

1.45

.16

Anmerkungen: Jede Zeile präsentiert ausgewählte Kennzahlen logistischer Regressionsmodelle. Aufgeführt sind die Exponenzialkoeffizienten eß (odds ratios) für die links aufgeführten Merkmale/Konstrukte samt Niveau des einseitigen Signifikanztests (*** p<.01, ** p<.05, * p<.1, n.s. nicht signifikant), die standardisierten Koeffizienten sowie das Pseudo-R2 des jeweiligen Regressionsmodells. n = 1,373. Abhängige Variable: Zahlungsbereitschaft für berufliche Weiterbildung. In Modell 1 wurde für folgende Variablen kontrolliert: Einkommen, wöchentlicher Zeitaufwand für Erwerb und familiäre Betreuungsverpflichtungen, Arbeitszeitflexibilität, Informationsaufwand, Größe des Wohnortes. Modell 2 kontrolliert außerdem für Geschlecht, Alter, höchster beruflicher Abschluss, matching zwischen berufl. Anforderungen und eigenen Fähigkeiten, Familienstand, Betriebsgröße, Branche, Berufsfeld und im Interview verwendetes Weiterbildungsszenario. Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der BIBB-DICT-Erhebung.

Tabelle 2: Einfluss zweckspezifischen und tätigkeitsspezifischen Nutzens – Geschätzte Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Stufen der Zahlungsbereitschaft

 

Teilnahme-/Zahlungsbereitschaft

Nutzenkonstrukte

1 (0€)

2

3

4

5

6

7

Zweckspezifischer Nutzen

             

- Stark ausgeprägt

4

4

8

20

39

18

7

- Mittel ausgeprägt

9

7

13

26

32

9

3

- Schwach ausgeprägt

19

12

18

25

20

5

2

Tätigkeitsspezifischer Nutzen

             

- Stark ausgeprägt

5

4

9

22

38

14

6

- Mittel ausgeprägt

18

12

18

26

21

5

2

- Schwach ausgeprägt

32

15

19

20

12

2

1

Anmerkungen: n=1,373. Abgebildet sind die Wahrscheinlichkeiten (in%), mit denen Befragte die jeweiligen Kategorien der Zahlungsbereitschaft für berufliche Weiterbildung wählen. Grundlage: Ordinal-logistische Regressionsmodelle. Für die Nutzenausprägungen wurden jeweils der höchst- und niedrigstmögliche sowie ein mittlerer Skalenwert festgesetzt. Alle anderen Modellvariablen (Restriktionen und personenbezogene Merkmale) wurden zur Berechnung auf ihren jeweiligen Mittelwert fixiert.

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der BIBB-DICT-Erhebung.

4.2 Aggregationsebene 2: Gewichtete Ziele und Erwartungswerte

Auf dieser Aggregationsebene betrachten wir, welchen Einfluss die mit dem jeweiligen Erreichungspotenzial (Instrumentalitäten) gewichteten Zielbewertungen (Teilnutzenwerte) auf die Zahlungsbereitschaft ausüben. Diese Teilnutzenwerte für jedes potenzielle Weiterbildungsziel sind nun nicht mehr aufsummiert. Auch sind die Erfolgserwartungen aus den zweckspezifischen Nutzenerwartungen herausgelöst, um ihren Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft zu verdeutlichen.

Hierbei zeigt sich zunächst, dass sämtliche ausgewiesene Teilelemente der subjektiven Nutzenerwartungen einen signifikanten Einfluss auf die individuelle Zahlungsbereitschaft aufweisen (Tabelle 3). Mit Ausnahme des Koeffizienten zum Wunsch nach Anerkennung im beruflichen Umfeld sind alle Koeffizienten hochsignifikant.

Unter den zweckspezifischen Zielen beruflicher Weiterbildung sticht keines besonders heraus. Sämtliche Ziele wirken sich auf die Zahlungsbereitschaft also in etwa gleich aus. Kurzfristige Einkommenssteigerungen haben dem ersten Modell folgend einen vergleichsweise hohen Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft. Unter Kontrolle der personen- und berufsbezogenen Merkmale relativiert sich dieser Befund jedoch. Hiernach wirken sich langfristige Einkommenssteigerungen und berufliche Veränderungen am stärksten auf die Zahlungsbereitschaft aus.

Unter den tätigkeitsspezifischen Nutzenbestandteilen hat die Lernfreude einen besonders starken Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft. Vergleicht man etwa die unstandardisierten Koeffizienten, so ist der Effekt hier dreimal so stark wie jener der beruflichen Anerkennung. Der Antizipierung von Lernfreude kommt im direkten Vergleich unter allen gewichteten Weiterbildungszielen der höchste Stellenwert zu.

Besonders stark ausgeprägt ist auf den ersten Blick auch der Effekt der Erfolgserwartung. Die Ursache dafür liegt allerdings in der Skalierung der Variable – ein Blick auf den standardisierten Koeffizienten zeigt, dass der Einfluss ähnlich dem vieler potenzieller Weiterbildungsziele ausfällt.

Tabelle 3: Einfluss gewichteter Ziele (Teilnutzenwerte) und individueller Erfolgserwartungen auf die Bereitschaft, Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung zu finanzieren

 

Modell 1

Modell 2

 

eß

x-std.

R2

eß

x-std.

R2

Zweckspezifischer Nutzen

           

Kurzfristige Einkommenssteigerungen

1.22***

1.55

.06

1.27***

1.19

.13

Langfristige Einkommenssteigerungen

1.3***

1.25

.07

1.41***

1.34

.14

Kurzfristige berufliche Veränderungen

1.23***

1.16

.06

1.3***

1.2

.13

Langfristige berufliche Veränderungen

1.29***

1.23

.07

1.37***

1.3

.14

Arbeitsplatzsicherung

1.2***

1.21

.06

1.22***

1.23

.14

Beschäftigungsfähigkeit

1.18***

1.17

.06

1.23***

1.22

.14

Anpassung an berufl. Anforderungen

1.24***

1.2

.06

1.27***

1.23

.14

Synergien

1.2***

1.17

.06

1.26***

1.22

.13

Erfolgserwartung

3.86***

1.21

.06

3.6***

1.2

.13

Tätigkeitsspezifischer Nutzen

           

Lernfreude

1.27***

1.48

0.1

1.26***

1.44

.16

Anerkennung

1.09**

1.09

.06

1.07*

1.07

.13

Kontakte

1.29***

1.26

.07

1.35***

1.31

.14

Anmerkungen: Jede Zeile präsentiert ausgewählte Kennzahlen logistischer Regressionsmodelle. Aufgeführt sind die Exponenzialkoeffizienten eß (odds ratios) für die links aufgeführten Merkmale/Konstrukte samt Niveau des einseitigen Signifikanztests (*** p<.01, ** p<.05, * p<.1, n.s. nicht signifikant), die standardisierten Koeffizienten sowie das Pseudo-R2 des jeweiligen Regressionsmodells. n = 1,373. Abhängige Variable: Zahlungsbereitschaft für berufliche Weiterbildung. In Modell 1 wurde für folgende Variablen kontrolliert: Einkommen, wöchentlicher Zeitaufwand für Erwerb und familiäre Betreuungsverpflichtungen, Arbeitszeitflexibilität, Informationsaufwand, Größe des Wohnortes. Modell 2 kontrolliert außerdem für Geschlecht, Alter, höchster beruflicher Abschluss, matching zwischen berufl. Anforderungen und eigenen Fähigkeiten, Familienstand, Betriebsgröße, Branche, Berufsfeld und im Interview verwendetes Weiterbildungsszenario. Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der BIBB-DICT-Erhebung.

4.3 Aggregationsebene 3: Separate Betrachtung aller Nutzenkomponenten

Die bisherige Betrachtung lässt zunächst offen, ob der Einfluss der potenziellen Weiterbildungsziele auf die Zahlungsbereitschaft eher von den individuellen Zielbewertungen oder ihrer Erreichbarkeit ausgeht. Die nachstehende Tabelle[3] macht deutlich, dass die Einschätzungen, persönliche bzw. berufliche Zielsetzungen über Weiterbildung erreichen zu können, einen stärkeren Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft besitzen als die Bewertung dieser Ziele selbst. Dies zeigt sich zum einen darin, dass von der Bewertung vier der Ziele überhaupt kein signifikanter Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft ausgeht. Mit der Relevanz von Einkommenssteigerungen sowie der Lernfreude und Anerkennung handelt es sich dabei jeweils um zwei zweck- und zwei tätigkeitsspezifische Ziele. Unter Verwendung eines generalized ordered logit Modells (Williams 2006) zeigt sich, dass der Wunsch nach langfristigen Einkommenssteigerungen sowie beruflicher Anerkennung immerhin einen Einfluss auf die Chancen hat, eine grundsätzliche Zahlungsbereitschaft zu äußern (nicht abgebildet). Ist eine grundsätzliche Zahlungsbereitschaft jedoch bereits gegeben, verändert diese sich nicht mit der Bewertung der genannten Ziele.

Zum anderen zeigen die standardisierten Koeffizienten, dass der Einfluss der Instrumentalitäten durchweg stärker ausgeprägt ist als jener der Valenzen. Innerhalb der Instrumentalitäten zeichnen sich langfristige Einkommenssteigerungen und Lernfreude über vergleichsweise hohe Koeffizienten aus. Die Einschätzung, dass diese Ziele über Weiterbildung erreichbar sind, hat folglich einen besonders starken Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft.

Darüber hinaus gibt die separate Betrachtung aller Nutzenkomponenten Aufschluss darüber, wie sich die einzelnen Elemente der Erwartung eines Lernerfolgs auf die Zahlungsbereitschaft auswirken. Je eher die Befragten einen Weiterbildungserfolg für möglich halten, desto höher fällt auch ihre Zahlungsbereitschaft aus. Im direkten Vergleich ist das Vertrauen in die Kursqualität von besonderer Bedeutung. Der Zusammenhang zwischen der Einschätzung, dass die Kompetenzen des Lehrpersonals für einen Kurserfolg ausreichen, zeigt sich abermals nur für die grundsätzliche Zahlungsbereitschaft im generalized ordered logit Modell signifikant (nicht abgebildet).

Tabelle 4: Einfluss von Nutzenerwartungen auf die individuelle Weiterbildungsbereitschaft - getrennte Betrachtung aller Nutzenkomponenten

 

Valenz

Instrumentalität

 

eß

x-std.

R2

eß

x-std.

R2

Zweckspezifischer Nutzen

           

Kurzfristige Einkommenssteigerungen

n.s.

-

-

2.92***

1.34

.14

Langfristige Einkommenssteigerungen

n.s.

-

-

3.35***

1.44

.16

Kurzfristige berufliche Veränderungen

1.1**

1.1

.13

1.99***

1.28

.14

Langfristige berufliche Veränderungen

1.1**

1.1

.13

2.67***

1.36

.15

Arbeitsplatzsicherung

1.08*

1.07

.13

1.99***

1.28

.14

Beschäftigungsfähigkeit

1.1*

1.08

.13

2.26***

1.27

.14

Anpassung an berufl. Anforderngen

1.16**

1.11

.13

2.2***

1.26

.14

Synergien

1.13**

1.11

.13

2.18***

1.25

.14

Tätigkeitsspezifischer Nutzen

           

Lernfreude

n.s.

-

-

1.86***

1.45

.16

Anerkennung

n.s.

-

-

1.37***

1.15

.13

Kontakte

1.28***

1.2

.13

2.64***

1.3

.14

Erwartungswerte

Selbstwirksamkeit

1.49*

1.08

.13

     

Kursqualität

2.92***

1.27

.14

     

Kompetenzen des Lehrpersonals

n.s.

-

-

     

Anmerkungen: Jede Zeile präsentiert ausgewählte Kennzahlen logistischer Regressionsmodelle. Aufgeführt sind die Exponenzialkoeffizienten eß (odds ratios) für die links aufgeführten Merkmale/Konstrukte samt Niveau des einseitigen Signifikanztests (*** p<.01, ** p<.05, * p<.1, n.s. nicht signifikant), die standardisierten Koeffizienten sowie das Pseudo-R2 des jeweiligen Regressionsmodells. n = 1,373. Abhängige Variable: Zahlungsbereitschaft für berufliche Weiterbildung. Für folgende Variablen wurde im Modell kontrolliert: Einkommen, wöchentlicher Zeitaufwand für Erwerb und familiäre Betreuungsverpflichtungen, Arbeitszeitflexibilität, Informationsaufwand, Größe des Wohnortes, Geschlecht, Alter, höchster beruflicher Abschluss, matching zwischen berufl. Anforderungen und eigenen Fähigkeiten, Familienstand, Betriebsgröße, Branche, Berufsfeld und im Interview verwendetes Weiterbildungsszenario. Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der BIBB-DICT-Erhebung.

5 Diskussion und Fazit

Die Operationalisierung von Nutzenerwartungen setzt zahlreiche Annahmen im Forschungs- und Erhebungsprozess voraus. Für zukünftige empirische Arbeiten mit wert-erwartungstheoretischen Ansätzen wären alternative Umsetzungen wünschenswert, um die hier dargestellten Ergebnisse zu kontrastieren. Zum Beispiel unterstellt die unserer Arbeit zugrunde gelegte Handlungstheorie, dass sämtliche Ziele gleichberechtigt in die Nutzenwahrnehmung eingehen. Nach den hier vorgelegten Ergebnissen bewerten Individuen die einzelnen Nutzenkomponenten jedoch nicht nur unterschiedlich. Sie berücksichtigen die Handlungsfolgen im Entscheidungsprozess darüber hinaus unterschiedlich stark. Dieser Befund spricht dafür, Wege zu finden, die potenziellen Weiterbildungsziele bei der Berechnung von Nutzenindikatoren zusätzlich zu gewichten.

Ferner könnten die Zielkategorien von Weiterbildungsbeteiligung sicher alternativ abgegrenzt werden. Zwar gehen wir davon aus, dass die hier gewählten Kategorien den Raum an potenziellen Weiterbildungszielen erschöpfend abdecken. Allerdings ließe sich etwa das Ziel „berufliche Veränderung“ noch weiter ausdifferenzieren. Zudem zeigt die umfangreiche Literatur zu empirischen Umsetzungen von RC, dass allein die Formulierung der Handlungsziele deren Bewertung beeinflusst (vgl. Friedrichs/Stolle/Engelbrecht 1993, 9).

Dennoch erweitern die Befunde den Forschungsstand zu den Ursachen von Weiterbildungspartizipation bzw. -abstinenz. Individuelle Nutzenerwartungen nehmen im Entscheidungsprozess über zukünftige Weiterbildungsteilnahme einen hohen Stellenwert ein, indem sie die Entscheidung für oder wider Weiterbildung wesentlich mitbestimmen. Kontinuierliches Weiterbildungsengagement wird umso wahrscheinlicher, je attraktiver sich die möglichen Folgen einer Teilnahme aus der subjektiven Perspektive darstellen, je mehr die Möglichkeiten zur Gestaltung der eigenen Berufsbiografie geeignet erscheinen, eine Verwirklichung dieser Folgen herbeizuführen und je höher die Erwartungen ausfallen, dass sich Weiterbildungsinhalte erfolgreich auf den eigenen Erwerbskontext übertragen lassen.

Die Befunde zum Zusammenhang zwischen Nutzenerwartungen und der individuellen Teilnahmebereitschaft verweisen darauf, wie sehr bei den aus Bildungspolitik und -wissenschaft an Individuen herangetragenen Appellen zur Ausweitung von Weiterbildungsbereitschaft und finanziellem Weiterbildungsengagement Vorsicht angebracht ist. Gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklungen sowie der anhaltenden Tertiärisierungs- und Höherqualifizierungstendenzen wird immer wieder argumentiert, dass zunehmend weniger das Niveau der Erstausbildung die individuelle Beschäftigungsfähigkeit determiniert als kontinuierliches Weiterbildungsengagement. Die Weiterbildungsappelle richten sich zwar prinzipiell an die gesamte Erwerbsbevölkerung, erklären aber vor allem die Weiterbildungsbeteiligung von Personengruppen für defizitär, die in der Bildungsstatistik durch geringe Teilnahmequoten auffallen (Geringqualifizierte, Ältere etc.).

Ungeachtet der Qualifikationserfordernisse, die die genannten Tendenzen gesamtgesellschaftlich mit sich bringen, werden viele Erwerbspersonen hier mit einer Bringschuld konfrontiert, die in ihrer individuellen Perspektive gar nicht besteht. Anreize zum Lernen ergeben sich zum einen, wenn Individuen im Anschluss Vorteile im Bildungs- und Beschäftigungssystem und folglich hinsichtlich ihrer Arbeitsmarkt und Lebenschancen erwarten. Zeichnen sich Arbeitsplätze in ihrem Zuschnitt allerdings durch keinen erkennbaren Weiterbildungsbedarf aus, fallen entsprechende Erwartungen vermutlich gering aus. Gerade im Segment standardisierter und parzellierter Tätigkeiten steht der Sackgassencharakter der Beschäftigungsverhältnisse einem hohen Eigenengagement in der beruflichen Weiterbildung entgegen. Zum anderen erhöht sich die Teilnahmeneigung, wenn bereits der Vollzug einer Maßnahme mit positiven Affekten gekoppelt ist. Vielfach stellt sich der Konsum kursförmig organisierter Bildungsangebote im fortgeschrittenen Alter aufgrund jahrelanger Misserfolgserlebnisse im formalen Bildungs- und Qualifizierungssystem allerdings in erster Linie als psychosoziale Belastung dar.

Über eine Aufgliederung der Nutzenerwartungen lässt sich zeigen, dass sich ihre Teilkonstrukte und Einzelkomponenten unterschiedlich stark auf die individuelle Weiterbildungsbereitschaft auswirken. Die Überzeugungen, inwiefern eine Maßnahmebeteiligung zum Eintritt der persönlich-beruflichen Ziele führt, beeinflussen die Teilnahmebereitschaft stärker als die grundsätzliche Relevanz, die Erwerbstätige diesen Zielen zuschreiben. Die Relevanz von Einkommenssteigerungen, Lernfreude und der beruflichen Anerkennung zeigte keinen starken Einfluss auf die individuelle Weiterbildungsbereitschaft. Diese Ziele stellen dennoch wichtige Anreize zur Weiterbildungsbeteiligung dar, weil eine Antizipierung ihres Eintritts in Folge von Weiterbildung die Bereitschaft zur Teilnahme deutlich erhöht.

Auch wenn Entscheidungen für bzw. gegen Weiterbildung grundsätzlich zu respektieren sind: Neben der beruflichen Situation fließen zur Bildung der Nutzenerwartungen immer auch Erfahrungen aus der vorberuflichen Sozialisation ein. Das geäußerte Weiterbildungsverhalten ist damit immer auch offen für Fehleinschätzungen, die aus der Dekodierung früherer Erfahrungen, Haltungen und Handlungen resultieren können. Die vorgelegten Ergebnisse verweisen nun auf Möglichkeiten zur Förderung der Weiterbildungsbereitschaft von Erwerbstätigen, die über eine Gewährung finanzieller Mittel hinausgeht und das unmittelbare erziehungswissenschaftliche Kerngeschäft betrifft.

Zum einen wird das Förderpotenzial von Bildungsberatung unterstrichen. Diese besitzt nicht nur die Aufgabe, Weiterbildungsinteressierte über ihre persönlichen Fördermöglichkeiten zu informieren, sondern zugleich eine moderierte Auseinandersetzung mit beruflichen Zielen und etwaigen Weiterbildungsbedarfen anzuregen. Zur Förderung der Weiterbildungsbereitschaft kann sie insbesondere dann beitragen, wenn sie im Sinne einer aktivierenden, biografieorientierten Beratung und mit niedrigschwelligen Angeboten auch Personen erreicht, die institutionelle Beratungsräume nicht eigeninitiativ aufsuchen. Die Unterscheidung der drei großen Teilkonstrukte innerhalb der Erwartungsnutzens kann hier als Analyseraster dienen, um Weiterbildungsbedarfe differenziert auszuloten.

Vor dem Hintergrund der hier herangezogenen Handlungstheorie und den vorgelegten Ergebnissen lässt sich die Erfassung der Ursachen von Weiterbildungspartizipation und -abstinenz in der bundesdeutschen Weiterbildungsstatistik kritisch prüfen. Hier wird nicht systematisch zwischen den subjektiv an Weiterbildung gestellten Zielvorstellungen und den Vorstellungen ihres Eintritts unterschieden. Zumeist liegt der Fokus auf der Erfassung von Instrumentalitäten, wobei völlig offen bleibt, inwiefern die für mehr oder weniger erreichbar gehaltenen Ziele subjektiv überhaupt erwünscht sind.

Genauso kann die Unterscheidung zwischen Valenzen, Instrumentalitäten und Erwartungen dem kursleitenden Personal dabei helfen, die Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen zu überprüfen und im Lernprozess auftauchenden Motivationsproblemen entgegenzuwirken. So lassen sich etwa Anreizdefizite (Lernende betrachten die angestrebten Lernergebnisse als folgenlos oder die Folgen als unattraktiv), Wirksamkeitsdefizite (Lernende nehmen die Umsetzung der Kursziele als nicht umsetzbar wahr) und Volitionsdefizite (Lernende sind nicht in der Lage, aversive Momente des Lehr-Lernprozesses zu bewältigen, z.B. Prüfungsdruck) unterscheiden und gezielt bearbeiten.

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[1]     Methodische Details zur Erhebung, z. B. bezüglich Stichprobenziehung oder Rücklaufquote, können dem Projektbericht (siehe Walter/Müller 2013b) und dem Feldbericht des Erhebungsinstituts forsa GmbH (Forsa 2011) entnommen werden.

[2]     Berücksichtigt wurden: Beruflicher Aufstieg, Tätigkeitswechsel im aktuellen Beruf, Berufswechsel, Wechsel in Selbständigkeit/ nichtselbständige Tätigkeit, Arbeitgeberwechsel.

[3] Aus Platzgründen beschränkt sich die Abbildung lediglich auf Modell 2.

Zitieren des Beitrags

Walter, M./Müller, N. (2014: Weiterbildungsbeteiligung und individuelle Nutzenerwartungen. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 26, 1-19. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe26/walter_mueller_bwpat26.pdf (20-06-2014).