bwp@ 26 - Juni 2014

Berufliche Bildung aus der Perspektive des lernenden Subjekts

Hrsg.: Tade Tramm, Martin Fischer & Nicole Naeve-Stoß

Die Charakteristika und Unterschiede wirtschaftswissenschaftlicher und wirtschaftspädagogischer Lernkulturen an Hochschulen aus Sicht der Studierenden

In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, welche Merkmale die Lernkulturen wirtschaftswissenschaftlicher und wirtschaftspädagogischer Studiengänge aus Studierendensicht charakterisieren. Ferner geht es um lernkulturelle Unterschiede der beiden Studienrichtungen.

Da die Studierenden das zukünftige Praxisfeld der Wirtschaftspädagogik maßgeblich vor dem Hintergrund ihrer eigenen lernkulturellen Erfahrungen prägen werden, wird der zielführenden Gestaltung von hochschulbezogenen Lernkulturen Bedeutung zugeschrieben. Lernkulturgestaltung setzt jedoch eine differenzierte Beschreibung und Erklärung bestehender Lernkulturen voraus. Bisher fehlen sowohl solche Beschreibungen als auch Instrumente, mit denen Lernkulturen an Hochschulen beschrieben und verglichen werden können.

Ausgehend von einem funktionalistischen Kulturverständnis wird das Lernkulturkonstrukt in drei Dimensionen (Individuum, pädagogische Interaktion, Organisation) und 25 Indikatoren operationalisiert sowie in ein valides und reliables Inventar überführt. Mit diesem wurden Daten bei 2171 Studierenden der Universitäten St. Gallen, Jena und Wien erhoben. Für die Beschreibung der Lernkulturen wurden die Daten deskriptiv ausgewertet. Um Unterschiede zwischen beiden Studienrichtungen zu identifizieren, wurden Varianzanalysen berechnet.

Die Studierenden der beiden Studienrichtungen unterscheiden sich hinsichtlich der individuellen Lernkulturmerkmale nur vereinzelt signifikant. Während die Wahrnehmungsunterschiede bezüglich der organisationalen Lernkulturmerkmale ebenso nur teilweise Signifikanzniveau erreichen, werden für alle Indikatoren der pädagogisch-interaktionalen Lernkulturdimension signifikante und praktisch bedeutsame Differenzen festgestellt. Die deskriptiven Maßzahlen der Gesamtstichprobe verweisen auf Handlungsbedarf bei einigen Indikatoren des Individuums und der pädagogischen Interaktion.

The characteristics of and differences between the learning cultures of the fields of economics and vocational education and business studies, respectively, at higher education institutions from the perspective of the students

English Abstract

This article examines the question of which features characterise the learning cultures of the degree courses of economics and vocational education and business studies, respectively, from the perspective of the students. Further, the paper deals with differences in the learning cultures of both degree courses.

Since the students will considerably influence the future field of practice of vocational education and pedagogy against the background of their own experiences of learning cultures, significance is ascribed to the targeted design of higher education related learning cultures. The design of learning cultures, however, requires a differentiated description and explanation of existing learning cultures. Up until now such descriptions have been absent, as well as instruments with which learning cultures at higher education institutions can be described and compared.

Beginning with a functional understanding of culture, the construct of learning culture is operationalised into three dimensions (individual, pedagogical interaction and organisation) and 25 indicators, as well as transferred into a valid and reliable inventory. With the latter, data were collected with 2,171 students at the universities of St Gallen, Jena and Vienna. The data were analysed descriptively for the description of the learning cultures. In order to identify differences between the two degree courses, analysis of variance was carried out.

The students of both degree courses differ with regard to their individual learning culture characteristics in significant ways in only isolated cases. While the differences in perception regarding the organisational learning culture characteristics also only reached a partial level of significance, for all indicators on the pedagogical-interactive learning culture dimension, significant and practically important differences were established. The descriptive measures of the full sample indicate the need for action regarding some indicators related to the individual and pedagogical interaction.

1 Einleitung

1.1 Relevanz der Betrachtung von hochschulbezogenen Lernkulturen aus Studierendensicht

In diesem Beitrag geht es um die Beschreibung und Unterscheidung von Lernkulturen in wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftspädagogischen Studiengängen. Im Fokus steht dabei die Sicht der Studierenden auf lernkulturelle Merkmale und deren Wahrnehmungen.

Denn Studierende der Wirtschaftswissenschaften und vor allem der Wirtschaftspädagogik sind aus zweierlei Gründen relevante Akteure, wenn es um die Betrachtung beruflicher Bildungsprozesse aus der Perspektive der Lernenden geht. Zum einen ist die Hochschulausbildung auch eine Form der beruflichen Bildung. Dementsprechend befinden sich die Studierenden inmitten einer beruflichen Ausbildung auf Tertiärstufe und nehmen in diesem Kontext selbst die Perspektive der Lernenden ein. Zum anderen zielt ihre Ausbildung auf eine Tätigkeit in einem Unternehmen oder – im Falle der Wirtschaftspädagogen/innen – auf eine Beschäftigung als Berufsschullehrer/in. Ein Teil der Studierenden wird daher zu einem späteren Zeitpunkt als Lehrperson oder Vertreter/in des betrieblichen Bildungspersonals für die Gestaltung beruflicher Bildungsprozesse bzw. konkreter beruflicher Lehr- und Lernsituationen verantwortlich zeichnen. Infolge dessen wird angenommen, dass viele Studierende das Erleben der Berufsausbildung zukünftiger Auszubildender determinieren und auf diese Weise wiederum die Perspektive von Lernenden in Bezug auf berufliche Bildungsprozesse prägen werden. Diesbezüglich ist davon auszugehen, dass die Gestaltung beruflicher Bildungsprozesse und von Lehr-/Lernsituationen auf dem eigenen Erfahrungshorizont als Lernende/r sowie den eigenen lernkulturellen Wahrnehmungen, Einstellungen, Werten und Grundannahmen zum Lehren und Lernen basiert. Die erfahrenen Lernkulturen stellen demnach eine Art Modell dar, das entweder als positives oder aber auch als negatives Beispiel handlungsleitend für die künftige Tätigkeit als Lehrperson bzw. Ausbilder/in wirkt (vgl. Seidel/Hoppert 2011, 155; vgl. Schaeper 2008, 210; vgl. Jenert et al. 2009, 27f.; vgl. Boyle/Boice 1998). Da die lernkulturellen Erfahrungen maßgeblich während des Studiums, sprich der eigenen beruflichen Ausbildung, gesammelt respektive geprägt werden, wird ihnen große Bedeutung zugeschrieben.

Der lernkulturelle Zugang scheint in diesem Zusammenhang, sprich bei der Erforschung (beruflicher) Lernprozesse in Hochschulen, vielversprechend zu sein. Denn zum einen gelten Hochschulen als eine der ältesten Bildungsinstitution, deren Kulturen sich in langen Traditionen entwickelt und gefestigt haben (vgl. Kreckel 2006, 101). Folge dessen ist, dass "die [lern]kulturellen Selbstverständlichkeiten [tief] sitzen" (Kreckel 2006, 115) und das Lernen an Hochschulen von daher in besonderem Maße von diesen geteilten Selbstverständlichkeiten getragen wird. Das Studien- und Lernerleben der Studierenden wird folglich stark von lernkulturellen Aspekten geprägt (vgl. Kreckel 2006, 101). Zum anderen beeinflussen zahlreiche Aspekte auf individueller und pädagogisch-interaktionaler Ebene sowie auch organisationale Rahmenbedingungen das Lernen der Studierenden. Das Konstrukt Lernkulturen an Hochschulen weist einen umfassenden Charakter auf, so dass der lernkulturelle Zugang der Komplexität der Studienrealität gerecht wird.

Die zielführende Gestaltung von Lernkulturen in wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftspädagogischen Studiengängen ist demnach bedeutsam. Lernkulturgestaltung „setzt jedoch eine differenzierte Beschreibung und Erklärung bestehender Lernkulturen voraus“ (Gebhardt 2012, 3; vgl. Seufert/Hasanbegovic/Euler 2007, 1; vgl. Müller 2007, 88). Hierfür benötigt man wiederum ein Instrument, das die Erfassung, die Analyse und den Vergleich bestehender Lernkulturen erlaubt (vgl. Gebhardt 2012, 3). Insbesondere ist dabei der Vergleich der beiden Studienrichtungen relevant, weil die Ausbildung der Wirtschaftspädagogen/innen spezifisch auf eine Lehrtätigkeit vorbereiten soll und daher anzunehmen ist, dass die Studierenden in wirtschaftspädagogischen Studiengängen andere lernkulturelle Erfahrungen machen als Studierende anderer wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge.

1.2 Forschungsstand und Forschungsdesiderate

Der beschriebenen Relevanz der Erfassung, Beschreibung und Unterscheidung von Lernkulturen wirtschaftswissenschaftlicher und wirtschaftspädagogischer Studiengänge aus studentischer Sicht auf der einen Seite stehen mehrere Desiderate in der empirischen Forschung auf der anderen Seite gegenüber (vgl. Gebhardt 2012, 131).

Dementsprechend sind der Autorin wenige umfassende Erhebungsinstrumente für den Kontext der Lernkulturen an Hochschulen bekannt (vgl. Gebhardt 2012, Kapitel 3). Zwar existieren verschiedene (Lern)kultureninventare, diese beziehen sich jedoch auf den Schul- (z. B. Dreesmann 1979; Bessoth 1989) und auf den Unternehmenskontext (z. B. Friebe 2005; einen Überblick über Verfahren zur Erfassung von Unternehmenskulturen liefern Sonntag/Schaper/Friebe 2005, 32) oder erfassen Organisationskulturen im Allgemeinen (für einen Überblick siehe Kluge 2003; Cooke/Szumal 2000). Die hochschulbezogene Forschung bezieht sich zumeist auf die Untersuchung disziplinärer (z. B. Becher 1981; Becher/Trowler 2001; einen Überblick hierzu liefert Neumann 2001) oder nationaler (z. B. Durand et al. 2006; Dippelhofer-Stiem et al. 1984; Helmke/Schrader 1999; Girlando/Anderson 2002) Vergleiche ausgewählter Lernkulturaspekte. Die häufige Fokussierung auf die Erfassung einzelner oder struktureller Aspekte widerspricht aber dem komplexen Charakter des Lernkulturenkonstrukts. Zusammenfassend bemerkt Cai (2008) diesbezüglich: „[o]nly a very few quantitative instruments have been developed to access culture in the higher education field“ (219). Demgemäß benennt Euler (2008) hinsichtlich der Beschreibung von Lernkulturen an Hochschulen die Konzeption und Validierung von Instrumenten, mit deren Hilfe Lernkulturen an Hochschulen beschrieben und verglichen werden können, als bestehende Herausforderung (11).

Da bislang wenig Erhebungsinstrumente existieren, die einerseits umfassend sind und damit dem komplexen Charakter des Lernkulturkonstrukts Rechnung tragen und andererseits auf den Kontext der Lernkulturen an Hochschulen zugeschnitten sind, sind auch dezidierte lernkulturelle Beschreibungen und Vergleiche wirtschaftswissenschaftlicher und wirtschaftspädagogischer Studiengänge selten. Zwar gibt es Studien, die lernkulturelle Teilaspekte in den Blick nehmen (z. B. Wosnitza 2007; Rindermann 2009; Lübeck 2009; Braun/Hannover 2008) und solche, die Lernkulturen in ausgewählten nationalen und/oder fachdisziplinären Kontexten untersuchen (z. B. Pävio 2008; Smeby 1996, Kember/Leung 2011, Hativa/Birenbaum 2000; Literaturübersichten stammen von Hativa/Marincovich 1995; Neumann/Parry/Becher 2002; Neumann, 2001). Nur wenige Forschungsarbeiten untersuchen aber ganz gezielt Lernkulturen in wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftspädagogischen Studiengängen im deutschen Sprachraum in umfassender Weise. Nach Kenntnisstand der Autorin widmen sich lediglich Jenert (2011), Ricken (2011) und Gebhardt (2012) selbst einer oder mehreren akademischen Disziplinen (darunter jeweils auch den Wirtschaftswissenschaften) und einem oder mehreren lokalen Kontexten (darunter jeweils auch der deutsche Sprachraum). Weitere Erkenntnisse zur Charakterisierung wirtschaftswissenschaftlicher Lernkulturen im deutschsprachigen Raum bieten ferner Arbeiten aus der deutschen Fachkulturforschung (z. B. Bargel 1988) und Langzeitstudien (vgl. Ramm/Multrus 2006; vgl. Multrus/Bargel/Ramm 2008; vgl. Heine et al. 2008), da sie dezidiert auch Ergebnisse für wirtschaftswissenschaftliche Studierende und Studiengänge im deutschen Sprachraum bieten.

Ein weiteres Desiderat betrifft die skizzierte Relevanz der Lernendenperspektive. Obwohl sie in verschiedenen Kontexten diskutiert und dabei sowohl in der pädagogischen Praxis als auch in der Forschung unbestritten ist, wird sie bisher in unzureichendem Maße berücksichtigt (vgl. Tramm/Fischer/Naeve-Stoß 2014). Insbesondere im Hochschulkontext ist das erstaunlich, da dort Forderungen nach Studierendenzentrierung Hochkonjunktur haben (vgl. Schneider et al. 2009; vgl. Wex 2005) und die Perspektive der Lernenden dementsprechend auch in Forschungsarbeiten im Mittelpunkt stehen sollte.

1.3 Erkenntnisinteresse und Forschungsfragen

Im Rahmen dieses Beitrags wird den skizzierten Forschungsdesideraten begegnet. Berufliche Bildungsprozesse, d. h. Lehr- und Lernerfahrungen an Hochschulen, werden beleuchtet, wobei der lernkulturelle Zugang gewählt und die Perspektive der Lernenden fokussiert werden. Von Interesse ist die Erfassung, Beschreibung und Unterscheidung bestehender Lernkulturen in wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftspädagogischen Studiengängen. Konkreter ausformuliert liegen der vorliegenden Studie folgende Forschungsfragen zugrunde.

  1. Welche Merkmale charakterisieren die Lernkulturen wirtschaftswissenschaftlicher und wirtschaftspädagogischer Studiengänge aus Studierendensicht?
  2. Inwiefern bestehen lernkulturelle Unterschiede zwischen den beiden Studienrichtungen aus Studierendensicht?

1.4 Aufbau des Artikels

Die beiden Forschungsfragen leiten den Aufbau des Beitrags. Kapitel 2 widmet sich zunächst den theoretischen Grundlagen, indem die Grundzüge des funktionalistischen Kulturverständnisses und die zugrunde liegende Lernkulturdefinition dargestellt werden. In Kapitel 3 wird das forschungsmethodische Vorgehen erläutert. Demgemäß wird auf die Konzeptspezifikation und Operationalisierung des Lernkulturkonstrukts eingegangen. Ferner werden die Datenauswertungen und die Stichprobe der Studierenden näher beleuchtet. Kapitel 4 ist schließlich dem Ergebnisbericht gewidmet, bevor in Kapitel 5 die Ergebnisse zusammengefasst und vor einem normativen Hintergrund und in Bezug auf die Bedeutung für die Lernenden und die berufliche Bildung diskutiert werden. Abschließend widmet sich Kapitel 6 der kritischen Reflexion des Beitrags. Zudem werden ein Fazit gefällt und ein Ausblick gegeben.

2 Theoretische und normative Grundlagen

2.1 Das funktionalistische Kulturverständnis

In der Literatur sind verschiedene Abhandlungen und detaillierte Darstellungen (vgl. Müller 2007, 83) auffindbar, welche konkurrierende Kulturansätze und -paradigmen beschreiben und differenzieren (z. B. Smircich 1983; Allaire/Firsirotu 1984; Schultz 1995; Dormayer/Kettern 1997; Gebhardt 2012). Im Kontext dieser Studie wird vor allem auf den Funktionalismus rekurriert, da es sich bei diesem kulturtheoretischen Zugang um eine klassische Perspektive der Organisationstheorie handelt (vgl. Schultz 1995, 13) und Hochschulen als Organisationen betrachtet werden können. Eine kritische Beleuchtung des funktionalistischen Kulturparadigmas und seiner Prämissen findet abschließend in Kapitel 6 statt.

Im funktionalistischen Kulturverständnis besteht die Auffassung, dass Kultur von den Organisationsmitgliedern erlernt, weitergegeben und für selbstverständlich gehalten wird. Der Funktionalismus versteht Kultur folglich als Modell geteilter Werte und Grundannahmen. Trotz der Annahme der Geteiltheit räumt der Funktionalismus die mögliche Existenz von Subkulturen ein. Ferner unterstellt das funktionalistische Paradigma Zusammenhänge zwischen den tieferliegenden Kulturebenen (Werte, Normen, Einstellungen und Grundannahmen) und den Kulturartefakten (sichtbare Ausprägungen der Kultur), also der oberen Kulturebene. Hinsichtlich der Anwendung in empirischen Untersuchungen baut der Funktionalismus auf vordefinierten und kategorisierten Kulturmodellen auf und analysiert Organisationskulturen mit Hilfe eines Analyserahmens, der aus vorbestimmten Kulturebenen, -dimensionen und -indikatoren besteht. Dieser wird unabhängig vom Organisationstyp bei jeder Kulturanalyse eingesetzt. Kultur wird aufgrund dessen als Liste von Kulturelementen abgebildet, wobei jedes Kulturelement unabhängig von den anderen kategorisiert werden kann. Unter forschungsmethodischen Gesichtspunkten wird vor allem auf objektive Methoden zurückgegriffen. Mit Hilfe des vorgängig definierten Modells von Kulturebenen, -dimensionen und -indikatoren können alle Organisationen beschrieben, analysiert und miteinander verglichen werden. Im Rahmen des Funktionalismus sind demgemäß häufig Arbeiten aufzufinden, die sich dem Vergleich und damit dem Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten und Unterschieden bestimmter Organisationskulturen widmen (vgl. Schultz 1995, 14f., 42, 53, 149-164).

Für quantitative Forschungsarbeiten ist der Funktionalismus als grundlegendes Paradigma geeignet, da er konzeptionelle Grundlagen vorab definiert und bereitstellt sowie überblicksartige Erhebungen von Organisationskulturen erlaubt (vgl. Schultz 1995, 157f.). Im Zuge dessen lehnt sich die in diesem Beitrag angewandte Forschungsmethodik am Funktionalismus an. Denn die betrachteten Lernkulturen werden mit Hilfe eines Lernkulturmodells analysiert, welches aus vorbestimmten Lernkulturdimensionen, -ebenen und -indikatoren besteht (vgl. Abschnitt 3.1).

2.2 Die funktionalistisch orientierte Definition von Lernkulturen an Hochschulen

Obwohl der Lernkulturbegriff seit geraumer Zeit Eingang in Bildungsdebatten und zum Teil auch in die Bildungsforschung (vgl. Abschnitt 1.2) gefunden hat (vgl. Huber 2009, 14f.; vgl. Dietrich/Herr 2003, 1f.), liegen bisher weder eine einheitliche Begriffsdefinition noch ein homogenes Begriffsverständnis vor (vgl. Dietrich/Herr 2003, 2). Eine Ursache hierfür ist, dass der Begriff der Lernkulturen in die Literatur verschiedener Forschungsdisziplinen (vgl. Achtenhagen 2004, 99) Eingang gefunden hat. Gleichermaßen zeichnet die Vielfalt an kulturtheoretischen Zugangsmöglichkeiten dafür verantwortlich (vgl. Gebhardt 2012, Kap. 2.1). Die Vielfalt hinsichtlich der Begriffsdefinitionen besteht im Hochschulkontext ebenfalls: "Culture has so many meanings and uses in higher education research that this variety may seem frustrating to a reader […]" (Välimaa 2008, 9).

Für den vorliegenden Beitrag wird eine von Jenert et al. (2009) entwickelte Definition für Lernkulturen an Hochschulen gewählt. Für diese diente die funktionalistisch orientierte Lernkulturdefinition von Sonntag et al. (2004) aus dem Unternehmenskontext als Ausgangspunkt. Diese Definition ist geeignet, dem umfassenden Charakter des Kulturkonstrukts Ausdruck zu verleihen. Da Sonntag et al. (2004) ihren Lernkulturbegriff auf Unternehmen anwenden, waren Adaptionen für den Hochschulkontext erforderlich: „Der Lernort Hochschule hat eine Lernkultur, die einen Teil der Organisationskultur darstellt und als ein Set von Variablen beschreib- und gestaltbar ist. Dabei zielt die Gestaltung von Lernkultur auf die individuelle Entwicklung von Studierenden. Lernkultur umfasst die Dimensionen Organisation, pädagogische Interaktion und Individuum: Sie zeigt sich (1) im Lernhandeln des Einzelnen sowie (2) im Interaktionshandeln zwischen Lehrenden und Lernenden in formal gestalteten Lehr-Lernumgebungen. Dieses Lernen ist (3) eingebettet in Rahmenbedingungen, welche im Organisationshandeln von Hochschulangehörigen gestaltet werden. Hierunter fallen sowohl Einflüsse auf das Lehrhandeln Lehrender wie auch die Ermöglichung oder Einschränkung formalen, non-formalen und informellen Lernens Studierender. Lernkultur in diesen drei Dimensionen manifestiert sich in Artefakten und Ritualen, welche Ausdruck zugrunde liegender Normen, Werte, Einstellungen und Annahmen sind. Die Lernkultur dient den Organisationsmitgliedern zur Orientierung und Identifikation, indem sie ihnen Ziele und Erwartungen bezüglich des Lernhandelns vermittelt. Lernkultur ist dabei nicht statisch, sondern verändert sich sowohl durch die Konfrontation mit gesellschaftlichen Anforderungen als auch durch Initiativen der Organisationsmitglieder. Entsprechend der Heterogenität innerhalb von und zwischen Hochschulen ist dabei von mehreren voneinander unterschiedlichen Lernkulturen auszugehen“ (Jenert et al. 2009, 11).

3 Forschungsmethodik

3.1 Entwicklung eines Erhebungsinstruments zur Erfassung von Lernkulturen an Hochschulen

Zur Beschreibung und Unterscheidung der Lernkulturen wirtschaftspädagogischer und wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge ist es – ausgehend von den skizzierten Forschungsdesideraten (vgl. Abschnitt 1.2) und einem funktionalistischen Kulturverständnis (vgl. Abschnitt 2.1) –erforderlich, das zuvor definierte zentrale Konstrukt (vgl. Abschnitt 2.2) einer Messung zugänglich zu machen, d. h. es zu operationalisieren (vgl. Diekmann 2007, 193) und in ein valides und reliables Inventar zu überführen (vgl. Gebhardt 2012). Da das Konstrukt komplex bzw. mehrdimensional ist, ist vor der Operationalisierung eine so genannte Konzeptspezifikation erforderlich. Gegenstand dieser ist die Aufschlüsselung des theoretischen Konstrukts in Dimensionen, Indikatoren und korrespondierende Ausprägungen (vgl. Diekmann 2007, 194; vgl. Schnell/Hill/Esser 2005, 128) (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Konzeptspezifikation und Operationalisierung des Konstrukts Lernkulturen an Hochschulen an einem Beispiel (Gebhardt 2012, 184)Abbildung 1: Konzeptspezifikation und Operationalisierung des Konstrukts Lernkulturen an Hochschulen an einem Beispiel (Gebhardt 2012, 184)

Gemäß der zugrunde liegenden Definition von Lernkulturen an Hochschulen (vgl. Abschnitt 2.2) umfasst das Lernkulturkonstrukt im Hochschulkontext die Dimensionen des Individuums, der pädagogischen Interaktion sowie der Organisation. Diese Dimensionen wurden des Weiteren in Indikatoren ausdifferenziert. Die Ableitung der Indikatoren erfolgte nach dem typologisch-induktiven Ansatz(vgl. Schnell/Hill/Esser 2005, 131f.). Hierfür sowie für die Festlegung möglicher Ausprägungen der Indikatoren wurden sowohl relevante Literatur als auch eigene inhaltliche Überlegungen zu Rate gezogen (vgl. Gebhardt 2012, Kapitel 5). Die Indikatoren und ihre korrespondierenden Ausprägungen wurden im Zuge der Operationalisierung weiter präzisiert, indem sie in Items überführt wurden (vgl. Bortz/Döring 2006, 3). Die Bildung des Itempools erfolgte theoriebasiert, durch Adaption von Items bestehender Instrumente sowie durch Neuformulierung von Items (vgl. Rindermann 2009, 58f.; vgl. Gebhardt 2012). Alle Items wurden so formuliert, dass die Studierenden den Grad ihrer Zustimmung auf einer fünf-stufigen Likert-Skala (1 = „trifft gar nicht zu“, 2 = „trifft wenig zu“, 3 = „trifft teilweise zu“, 4 = „trifft ziemlich zu“, 5 = „trifft völlig zu“) einschätzen können.

Zur Überprüfung der psychometrischen Güte wurde das resultierende Inventar einem zweiphasigen Validierungsverfahren unterzogen. Die erste Datenerhebung (Voruntersuchung) fand im Frühjahr 2010 bei 1001 Studierenden der Universität St.Gallen statt. Auf Basis von Faktoren- und Reliabilitätsanalysen wurde das Inventar überarbeitet. Im Herbst 2010 fand eine neuerliche Datenerhebung (Hauptuntersuchung) statt, bei welcher Daten von 3974 Studierenden aus unterschiedlichen Studiengängen an den Universitäten in St.Gallen, Jena und Wien gesammelt wurden. Konstrukte, die der wiederholten Validitäts- und Reliabilitätsprüfung standhielten, gelten fortan als Skalen bzw. Faktoren zur Repräsentation des hochschulbezogenen Lernkulturkonstrukts (vgl. Gebhardt 2012, 304-314). Die 25 Skalen sowie Angaben zu deren psychometrischer Güte werden in Tabelle 1 aufgeführt.

Tabelle 1:     Skalen/Faktoren des Lernkulturkonstrukts und deren psychometrische Güte (Eigene Darstellung in Anlehnung an Gebhardt 2012, Abschnitt 6.3)

Skala / Faktor

n

An-zahl Items

Cronbachs α

Part-whole korrigierte Trennschärfen (min. / max.)

Faktorladungen |a| (min. / max.)

Individuelle Dimension

Intrinsische Studienmotivation

3889

3

.641

.405 / .481

.446 / .560

Extrinsische Studienmotivation

3933

3

.839

.651 / .766

.818 / .879

Intrinsische Lernmotivation

3927

3

.855

.696 / .765

.714 / .769

Extrinsische Lernmotivation

3909

3

.735

.507 / .642

.708 / .795

Hoffnung

3877

3

.833

.679 / .707

.689 / .781

Angst

3899

3

.720

.395 / .628

.528 / .817

Langeweile

3927

3

.840

.663 / .776

.664 / .796

Fremdbestimmung

3868

3

.703

.296 / 663

.632 / .782

Proaktive Rolle des Lernenden

3881

3

.673

.412 / .534

.706 / .783

Metakognition

3928

3

.680

.444 / .534

.635 / .763

Wiederholung

3932

3

.646

.310 / .551

.514 / .804

Elaboration

3890

3

.808

.601 / .698

.721 / .819

Pädagogisch interaktionale Dimension

Instruktion

3069

3

.759

.527 / .637

.775 / .804

Konstruktion

3344

3

.706

.473 / .573

.528 / .752

Begleiterrolle

3406

3

.675

.468 / .503

.356 / .507

Formative Evaluation

3387

3

.795

.502 / .722

.585 / .857

Partizipation

3511

3

.689

.445 / .540

.464 / .748

Partnerschaftlichkeit zwischen Studierenden

3351

3

.613

.330 / .479

.476 / .728

Konkurrenz

2770

3

.747

.482 / .641

.515 / .747

Engagement

3692

3

.766

.578 / .637

.672 / .674

Organisationale Dimension

Erwartungen

3605

3

.736

.539 / .591

.697 / .793

Einführung

3876

3

.805

.533 / .740

.654 / .876

Infrastruktur

3466

4

.632

.370 / .468

.571 / .751

Extracurriculares Engagement

2945

3

.659

.381 / .620

.619 / .811

Freiheit

3873

3

.668

.397 / .582

.533 / .826

3.2 Stichprobe

Die Daten der Hauptuntersuchung wurden auch zur Beantwortung der Forschungsfragen genutzt. Dafür wurde die Stichprobe auf Studierende der Wirtschaftspädagogik (nachfolgend WP-Studierende genannt) und Studierende sonstiger wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge (nachfolgend Wiwi-Studierende genannt) reduziert. Die resultierende Stichprobe umfasst 2171 Studierende. Von diesen gehören 846 (39 %) der Universität St.Gallen (CH), 428 (19.7 %) der Friedrich-Schiller-Universität Jena (D) und 897 (41.3 %) der Wirtschaftsuniversität Wien (A) an. Während 356 Studierende (16.4 %) eine wirtschaftspädagogische Ausbildung durchlaufen, belegen 1815 (83.6 %) Studierende einen anderen wirtschaftswissenschaftlichen Studiengang. Das Verhältnis der Geschlechter in der Stichprobe ist nahezu ausgeglichen, da 49 % der Probanden weiblichen und 51 % der Probanden männlichen Geschlechts sind. Im Durchschnitt errechnet sich für die 2171 Studierenden ein Alter von 22.78 Jahren (SD = 4.05; Min. = 17; Max. = 54). Hinsichtlich der Studienerfahrung umfasst die Stichprobe sowohl Studienanfänger als auch erfahrene Studierende. Die Fachsemesterzahl variiert zwischen 1 und 20 und beläuft sich im Mittel auf 4.61 (SD = 3.36) (vgl. Gebhardt 2012, 350f.).

3.3 Datenauswertung

Bevor die gewonnenen Daten analysiert werden konnten, wurden sie bereinigt und aufbereitet (vgl. Gebhardt 2012, 178f.). Dabei wurden u. a. Skalenwerte gemäß den ermittelten Faktoren bzw. Skalen durch Aggregation über den Mittelwert gebildet (vgl. Bühner 2006, 76).

Für die Charakterisierung der Lernkulturen wirtschaftswissenschaftlicher und wirtschaftspädagogischer Studiengänge aus Studierendensicht wurden die Daten deskriptiv ausgewertet (vgl. Wirtz/Nachtigall 2008; vgl. Bortz 2005; vgl. Brosius 2008; vgl. Bühl 2006). Tabelle 2 informiert über die Bedeutung bzw. Interpretation der verwandten deskriptiven Maßzahlen.  

Tabelle 2:     Übersicht zu den deskriptiven Kennwerten und deren Bedeutung/Interpretation (Eigene Darstellung in Anlehnung an Gebhardt 2012, 362)

Deskriptive Maßzahl

Abkürzung

Bedeutung bzw. Interpretation der Maßzahl

Mittelwert

M

Durchschnitt aller Skalenwerte

Standardabweichung

SD

Abweichung der einzelnen Skalenwert vom Mittelwert („positive Quadratwurzel aus der Varianz“ (Wirtz/Nachtigall 2008, 85))

Minimum

Min.

Kleinster vorkommender Skalenwert

Maximum

Max.

Größter vorkommender Skalenwert

Schiefe

Schiefe

Schiefe < 0  à  rechtssteile bzw. linksschiefe Verteilung

Schiefe > 0  à  linkssteile bzw. rechtsschiefe Verteilung

Schiefe = 0  à  symmetrische Verteilung

Exzess/Kurtosis

Exzess/Kurtosis

Kurtosis < 0  à  breitgipflige Verteilung

Kurtosis > 0  à  schmalgipflige Verteilung

Um der zweiten Forschungsfrage nachzugehen, d. h. um signifikante lernkulturelle Unterschiede zwischen den Studierenden der beiden Studienrichtungen zu identifizieren, wurden T-Tests berechnet (vgl. Brosius 2008, 451f.; vgl. Bühl 2006, 299f.). Die statistische Signifikanz eines Mittelwertunterschiedes hängt u. a. von der Stichprobengröße der untersuchten Gruppen ab. Daher können bei großen Stichproben (wie in der vorliegenden Studie) auch weniger relevante Effekte statistische Signifikanz besitzen, obwohl sie nicht von praktischer Bedeutsamkeit sind (vgl. Rost 2007, 212f.). Damit die praktische Bedeutung der gefundenen lernkulturellen Unterschiede beurteilt werden kann, wird deshalb zusätzlich das Effektstärkemaß d berichtet (vgl. Wirtz/Nachtigall 2008, 206; vgl. Bortz/Döring 2006, 605f.; vgl. Rost 2007, 212f.). Hinweise zur detaillierten Interpretation von d sowie eine Übersicht bezüglich der weiteren Maßzahlen von T-Tests sind in Tabelle 3 enthalten.

Tabelle 3:     Übersicht zu den Kennwerten von T-Tests und deren Interpretation (Eigene Darstellung in Anlehnung an Gebhardt 2012, 367)

Deskriptive Maßzahl

Abkürzung

Interpretation der Maßzahl

t-Wert

t

Je grösser, desto grösser ist der Unterschied

Signifikanzniveau

p

p < .05   à  Unterschied ist auf einem Niveau von 5 % signifikant

p < .01   à  Unterschied ist auf einem Niveau von 1 % signifikant

p < .001 à  Unterschied ist auf einem Niveau von 0.1 % signifikant

Effektstärke

d

  1. àschwacher bzw. kleiner Effekt
  2. àmittlerer Effekt
  3. àstarker bzw. großer Effekt

4 Empirische Beschreibung und Unterscheidung wirtschaftspädagogischer und wirtschaftswissenschaftlicher Lernkulturen

Die statistischen Kennwerte befinden sich in den Tabellen 4 und 5 im Anhang.

4.1 Individuelle Lernkulturdimension

Hinsichtlich der individuellen Lernkulturdimension wurden die Studierenden um ihre Einschätzungen zur Ausprägung der Studien- und Lernmotivation, der Lernemotionen, des Grades an Fremdbestimmung und Proaktivität sowie diverser Lernstrategien gebeten.

4.1.1 Studien- und Lernmotivation

Die deskriptiven Maßzahlen (vgl. Tabelle 4) und Abbildung 2 zeigen, dass in Bezug auf die Studienmotivation sowohl intrinsische Motive (M = 3.81; SD = 0.69; Schiefe = -0.521) als auch extrinsische Motive (M = 3.72; SD = 0.91; Schiefe = -0.631) eine bedeutende Rolle bei den Studierenden spielen. Erkennbar ist das vor allem anhand der hohen Mittelwerte und den deutlich rechtssteilen Verteilungen. In Bezug auf die extrinsische Studienmotivation fällt ferner die hohe Standardabweichung auf, die signalisiert, dass die Einschätzung der einzelnen Studierenden hinsichtlich der Ausprägung ihrer extrinsischen Motivation fürs Studium stark variiert. Bezüglich der Lernmotivation in konkreten Lehr- und Lernsituationen berichten die Studierenden von hoch ausgeprägter intrinsischer Lernmotivation (M = 3.48; SD = 0.77). Dahingegen ist die extrinsische Lernmotivation (M = 3.03; SD = 0.90) lediglich in mittlerem Maße ausgeprägt, da der Durchschnitt nahe dem theoretischen Mittel von 3.00 liegt und die Schiefe in Höhe von 0.018 auf eine nahezu symmetrische Verteilung schließen lässt. Darüber hinaus weist die hohe Standardabweichung auf eine breite Streuung der einzelnen Skalenwerte hin. Die Einschätzung der Studierenden im Hinblick auf die Ausprägung ihrer extrinsischen Lernmotivation variiert demzufolge stark. Auch der hohe Wert für den Exzess (-.500) und die damit verbundene Breitgipfligkeit der Verteilung ist Indiz hierfür.

Abbildung 2 und Tabelle 5 veranschaulichen, dass die Studierenden der WP – sowohl in Bezug auf die Studien- als auch hinsichtlich der Lernmotivation – tendenziell stärker intrinsisch und weniger extrinsisch motiviert sind als Studierende der Wiwi. Der Mittelwertvergleich der WP- und Wiwi-Studierenden offenbart, dass sich diese Tendenz jedoch lediglich für die extrinsische Studienmotivation empirisch erhärten lässt. Demnach besteht ein signifikanter und praktisch bedeutsamer Unterschied (t = -6.295; p < .001; |d| = 0.38) mit kleiner Effektstärke zwischen beiden Studierendengruppen, dem zufolge die Studierenden der WP in deutlich geringerem Ausmaß extrinsisch für das Studium motiviert (M = 3.42; SD = 1.01) sind als ihre Kommilitonen/innen der Wiwi (M = 3.78; SD = 0.88). Für die anderen drei Motivationsarten sind die Unterschiede zwischen den beiden Studierendengruppen nicht signifikant bzw. nicht von praktischer Bedeutsamkeit.

Abbildung 2: Ausprägungen der Studien- und LernmotivationAbbildung 2: Ausprägungen der Studien- und Lernmotivation

4.1.2 Emotionales Erleben

Das emotionale Erleben ist gesamthaft eher von positiven denn von negativen Emotionen begleitet (vgl. Tabelle 4 und Abbildung 3). Denn das Lernen und Arbeiten der Studierenden ist dem hohen Mittelwert von 3.75 (SD = 0.71) zufolge primär durch die positive Emotion Hoffnung geprägt. Demgegenüber sind die negativen Emotionen Angst und Langeweile gering ausgeprägt, was vor allem anhand der niedrigen Mittelwerte in Höhe von M = 2.28 (SD = 0.84) bzw. M = 2.32 (SD = 0.82) und den positiven und hohen Werten für die Schiefe (0.653 bzw. 0.464), sprich den linkssteilen Verteilungen sichtbar wird.
Bei vergleichender Betrachtung der beiden Studierendengruppen treten jedoch zwei signifikante und praktisch bedeutsame Unterschiede zu Tage. Beide Differenzen besitzen eine kleine Effektstärke (vgl. Tabelle 5). Zum einen studieren WP-Studierende deutlich hoffnungsvoller (M = 3.90; SD = 0.75) als Studierende der Wiwi (3.72; SD = 0.70) (t = 4.489; p < .001; |d| = 0.25). Zum anderen berichten die WP-Studierenden (M = 2.18; SD = 0.81) von einem signifikant und bedeutsam (t = -3.484; p < .01; |d| = 0.20) geringeren Ausmaß an Langeweile, als dies Studierende der Wiwi tun (M = 2.34; SD = 0.81). Hinsichtlich des Erlebens von Angst ist kein praktisch bedeutsamer Unterschied feststellbar.

Abbildung 3: Ausprägungen der LernemotionenAbbildung 3: Ausprägungen der Lernemotionen

4.1.3 Fremdbestimmung und Proaktivität

Die Studierenden nehmen keine besonders proaktive Rolle in Lehrveranstaltungen (z. B. in Form von Themenvorschlägen und Stellen von Fragen) ein, wie der niedrige Mittelwert (M = 2.31; SD = 0.79) und die linkssteile Verteilung (Schiefe = 0.447) anzeigen. Darüber hinaus agieren die Studierenden beim Lernen und Arbeiten fürs Studium zu einem hohen Grad fremdbestimmt. Das hohe Mittel (M = 3.68; SD = 0.74) und die rechtssteile Verteilung (Schiefe = -0.465) sind Indizien dafür, dass sich die Studierenden beim Lernen und Arbeiten gern auf äußere Vorgaben verlassen (vgl. Tabelle 4 und Abbildung 4).
Wenngleich für beide Studierendengruppen das Ausmaß an Proaktivität gering bemessen ist, handeln die WP-Studierenden (M = 2.59; SD = 0.83) gemäß den Ergebnissen des Mittelwertvergleichs in Lehrveranstaltungen im Verhältnis signifikant und praktisch bedeutsam (t = 7.639; p < .001; |d| = 0.43) proaktiver als Studierende der Wiwi (M = 2.25; SD = 0.77). Es handelt sich dabei um einen kleinen Effekt. Bezüglich des Ausmaßes an Fremdbestimmung wird kein praktisch bedeutsamer Unterschied verzeichnet (vgl. Tabelle 5).

Abbildung 4: Ausprägungen der Fremdbestimmung und ProaktivitätAbbildung 4: Ausprägungen der Fremdbestimmung und Proaktivität

4.1.4 Einsatz von Lernstrategien

Das lernstrategische Handeln der Studierenden (vgl. Tabelle 4 und Abbildung 5) ist gekennzeichnet durch den ausgeprägten Einsatz metakognitiver Lernstrategien (M = 3.96; SD = 0.66). Dieses Resultat wird unterstrichen durch die geringe Belegung der unteren Skalenwerte (Min. = 1.33). Tendenziell etwas geringer, aber dennoch hoch ausgeprägt, setzen die Studierenden ebenso kognitive Lernstrategien ein. In diesem Zusammenhang werden gleichgewichtig sowohl Oberflächen- als auch Tiefenverarbeitungsstrategien eingesetzt. Differenzierter betrachtet, berichten die Probanden im Durchschnitt über den vermehrten Einsatz von Wiederholungsstrategien (M = 3.40; SD = 0.73), sprich der Oberflächenverarbeitung von Lernstoff. Etwas ambivalentere Resultate zeigen sich für den Einsatz von Elaborations-, sprich Tiefenverarbeitungsstrategien. Zwar beläuft sich das arithmetische Mittel auf einen Wert von M = 3.35 (SD = 0.86), doch bei eingehender Betrachtung der Verteilung der Skalenwerte wird offensichtlich, dass diese zwei „Gipfel“ aufweist, einen um das theoretische Mittel und einen im zustimmenden Bereich, nahe dem Skalenwert von 4.00. Diese Breitgipfligkeit findet auch numerisch Ausdruck, indem sich für den Exzess ein auffallend hoher Betrag (= -0.411) errechnet. Es lässt sich daher schließen, dass es einerseits Studierende gibt, die ausgeprägt von Elaborationsstrategien Gebrauch machen, und andererseits solche, die lediglich in mittlerem Maß unter Einsatz von Elaborationsstrategien lernen.
Gemäß T-Test zwischen den beiden Studierendengruppen gibt es keine praktisch bedeutsamen Unterschiede zwischen WP- und Wiwi-Studierenden hinsichtlich ihres lernstrategischen Handelns (vgl. Tabelle 5).

Abbildung 5: Ausprägungen des Einsatzes von LernstrategienAbbildung 5: Ausprägungen des Einsatzes von Lernstrategien

4.2 Pädagogisch interaktionale Lernkulturdimension

In Bezug auf die pädagogische Interaktionsdimension gaben die Studierenden Einschätzungen zum Lehr- und Rollenverständnis der Dozierenden, deren Engagement sowie zur Evaluationspraxis ab. Außerdem schilderten sie ihre Wahrnehmungen hinsichtlich der Partizipationsmöglichkeiten im Hochschulunterricht sowie in Bezug auf die sozialen Beziehungen zu anderen Studierenden.

4.2.1 Lehr- und Rollenverständnis

Die Wahrnehmungen der Studierenden bezüglich des Lehrverständnisses respektive der Lehrorientierung der Dozierenden sind ambivalent. Den deskriptiven Maßzahlen (vgl. Tabelle 4) und Abbildung 6 ist zu entnehmen, dass die Studierenden sowohl ein instruktives (M = 3.26; SD = 0.84) als auch ein konstruktivistisches Lehrverständnis (M = 3.05; SD = 0.77) seitens der Lehrenden auf jeweils mittlerem Niveau wahrnehmen. Die betragsmäßig geringe Schiefe unterstreicht (Schiefe = -0.06 bzw. Schiefe = -0.021), dass beide Lehrverständnisse in mittlerer Ausprägung vorliegen, da beide Verteilungen einer symmetrischen Verteilung nahekommen.
Die weiteren statistischen Kennzahlen legen in Bezug auf die Lehrverständnisse eine separate Betrachtung der beiden Studierendengruppen nahe (vgl. Tabelle 5). Zunächst gilt es festzuhalten, dass für beide Skalen signifikante und praktisch bedeutsame Differenzen kleiner Effektstärke zwischen WP- und Wiwi-Studierenden vorliegen (Instruktion: t = -7.230; p < .001; |d| = 0.42; Konstruktion: t = 4.922; p < .001; |d| = 0.29). Demnach nehmen die Studierenden der Wiwi (M = 3.32; SD = 0.82) in stärkerem Maße ein instruktives Lehrverständnis seitens ihrer Dozierenden wahr als die angehenden WP (M = 2.97; SD = 0.87). Umgekehrt berichten die WP-Studierenden (M = 3.25; SD = 0.83) von einer stärkeren Ausprägung der konstruktivistischen Lehrorientierung ihrer Dozierenden als die Kommilitonen/innen der Wiwi (M = 3.01; SD = 0.76).

Abbildung 6: Ausprägungen des Lehr- und Rollenverständnis sowie der formativen Evaluationen und PartizipationsmöglichkeitenAbbildung 6: Ausprägungen des Lehr- und Rollenverständnis sowie der formativen Evaluationen und Partizipationsmöglichkeiten

Im Hinblick auf das Rollenverständnis nehmen die Dozierenden eine begleitende Rolle nach Ansicht der Studierenden in mittlerem Maß ein. Der nahe dem theoretischen Mittel liegende Durchschnitt (M = 3.08; SD = 0.75) ist Ausdruck hierfür (vgl. Tabelle 4 und Abbildung 6).
Das betrifft zwar beide Studierendengruppen, trotzdem unterscheiden sie sich signifikant und praktisch bedeutsam diesbezüglich (t = 4.018; p < .001; |d| = 0.24), weil die WP-Studierenden (M = 3.22; SD = 0.74) ihre Dozierenden in ausgeprägterem Maße in der Begleiterrolle erleben als die Studierenden der Wiwi (M = 3.05; SD = 0.75). Die Effektstärke für den beschriebenen Unterschied ist klein (vgl. Tabelle 5).  

4.2.2 Evaluationspraxis und Partizipationsmöglichkeiten

Im Hinblick auf die Evaluationspraxis berichten die Studierenden vom besonders geringen Auftreten formativer Evaluationen (vgl. Tabelle 4 und Abbildung 6). Der äußerst niedrige Mittelwert von 1.89 (SD = 0.86), die auffallend linkssteile Verteilung (Schiefe = 1.066) und die starke Schmalgipfligkeit der Verteilung (Kurtosis = 0.761) indizieren, dass formative Rückmeldungen für Studierende im Studienalltag eher unüblich sind. Obige Beschreibung ist prinzipiell für beide Studierendengruppen zutreffend. Dennoch besteht ein signifikanter Unterschied von praktischer Bedeutsamkeit und kleiner Effektstärke (t = 7.517; p < .001; |d| = 0.48), d. h. die Studierenden der Wiwi erhalten gemäß ihren Antworten (M = 1.81; SD = 0.79) in geringerem Maß formative Rückmeldungen als Studierende der WP (M = 2.27; SD = 1.08) (vgl. Tabelle 5).

Auch die Partizipationsmöglichkeiten der Studierenden im Rahmen von Lehrveranstaltungen, z. B. durch aktive Aufforderungen seitens der Dozierenden, Fragen zu stellen oder Themenvorschläge zu unterbreiten, ist aus Sicht der Studierenden gering bemessen, wie anhand der statistischen Kennwerte (vgl. Tabelle 4) und Abbildung 6 für die Skala abzulesen ist (M = 2.33; SD = 0.75).
Hinsichtlich der antizipierten Partizipationsmöglichkeiten im Hochschulunterricht verzeichnet der T-Test einen signifikanten und praktisch bedeutsamen Unterschied (t = 4.897; p < .001; |d| = 0.29) zwischen WP- (M = 2.50; SD = 0.73) und Wiwi-Studierenden (M = 2.29; SD = 0.74). Die ermittelte Effektstärke zeigt an, dass es sich um einen kleinen Effekt handelt (vgl. Tabelle 5).

4.2.3 Soziale Beziehungen und Engagement

Mit ihren Antworten bekunden die Studierenden, dass die sozialen Beziehungen der Studenten und Studentinnen untereinander eher als partnerschaftlich denn als konkurrenzbetont zu charakterisieren sind (vgl. Tabelle 4 und Abbildung 7). Denn während die Skalenwerte für die Partnerschaftlichkeit der Studierenden untereinander auffällig rechtssteil verteilt sind (Schiefe = -0.515) und sich demgemäß auch ein hoher Mittelwert (M = 3.68; SD = 0.73) ergibt, beläuft sich der durchschnittliche Skalenwert für die Konkurrenzbetonung lediglich auf ein geringes Ausmaß von 2.34 (SD = 0.92). Überdies deutet die Schiefe (= 0.534) auf eine ausgeprägte linkssteile Verteilung hin. Bemerkenswert ist zudem die hohe Standardabweichung. Sie signalisiert, dass die Skalenwerte stark streuen. Infolge dessen variiert die Einschätzung der Konkurrenzbetonung zwischen den einzelnen Studierenden deutlich.
Obwohl die deskriptiven Beschreibungen für beide Studierendengruppen gelten, bestehen hinsichtlich beider Skalen signifikante und praktisch bedeutsame Unterschiede von mittlerer Effektstärke (vgl. Tabelle 5). Darauf bezugnehmend ist die Partnerschaftlichkeit bei den WP-Studierenden (M = 4.05; SD = 0.66) deutlich stärker ausgeprägt (t = 11.188; p < .001; |d| = 0.63) als bei den Wiwi-Studierenden (M = 3.61; SD = 0.72). Das Konkurrenzempfinden ist dahingegen bei den Studierenden der WP (M = 1.86; SD = 0.82) nachweisbar und vergleichsweise geringer ausgeprägt (t = -11.602; p < .001; |d| = 0.65) als bei den Wiwi-Studierenden (M = 2.43; SD = 0.91).

Abbildung 7: Ausprägungen der sozialen Beziehungen der Studierenden untereinander sowie des DozierendenengagmentsAbbildung 7: Ausprägungen der sozialen Beziehungen der Studierenden untereinander sowie des Dozierendenengagments

Alle Studierenden bescheinigen den Dozierenden ein stark ausgeprägtes Engagement in Bezug auf die Lehre. Ein hoher Mittelwert von 3.88 (SD = 0.67) deutet auf diese Erkenntnis hin, ebenso wie der Fakt, dass der Skalenwert in keinem Fall unter 1.33 liegt.
Trotzdem gibt es einen signifikanten und praktisch bedeutsamen Unterschied kleiner Effektstärke (t = 4.646; p < .001; |d| = 0.27) zwischen den beiden Studierendengruppen, dem zufolge die angehenden Wirtschaftspädagogen/innen das Engagement der Dozierenden ausgeprägter wahrnehmen (M = 4.03; SD = 0.68) als die Kommilitonen/innen der Wiwi (M = 3.85; SD = 0.66).

4.3 Organisationale Lernkulturdimension

Die Items zur organisationalen Lernkulturdimension thematisierten die Elaboriertheit der Erwartungen der Hochschule an die Studierenden, die Einführung der Studierenden in die Studienpraxis, den Grad an Freiheit hinsichtlich der Studiengestaltung, die bestehenden Möglichkeiten zu extracurricularem Engagement sowie die vorhandene Infrastruktur.

Eine visuelle Darstellung der Ausprägung der organisationalen Lernkulturskalen für die beiden Studierendengruppen ist Abbildung 8 zu entnehmen, die deskriptiven Maßzahlen sind in Tabelle 4 zusammengefasst. In Tabelle 5 werden des Weiteren die Kennwerte des Mittelwertvergleichs zwischen WP- und Wiwi-Studierenden aufgelistet.

Abbildung 8: Ausprägungen der Indikatoren der organisationalen DimensionAbbildung 8: Ausprägungen der Indikatoren der organisationalen Dimension

Im Hinblick auf die Wahrnehmung organisationaler Lernkulturelemente bekunden die Studierenden, dass die Erwartungen der jeweiligen Hochschule elaboriert sind (M = 3.43; SD = 0.78).

Gleichermaßen berichten die Befragten im Durchschnitt von einer systematischen Einführung zu Studienbeginn (M = 3.58; SD = 0.95; Schiefe = -0.512). Aufgrund der hohen Streuung der einzelnen Skalenwerte ist allerdings davon auszugehen, dass die Wahrnehmungen der Studierenden bezüglich der systematischen Einführung in die Studienpraxis zu einem gewissen Maß differieren.    

Insgesamt wird die Infrastruktur durch die Studierenden als ausgeprägt bewertet, wie der Mittelwert der Skala in Höhe von 3.56 (SD = 0.76) vermittelt. Die Resultate zu dieser Skala sind jedoch näher zu beleuchten, da die Skala additiven Charakter aufweist. Denn obwohl die Ausstattung der Hochschulen bezüglich der Aspekte EDV (M = 4.07; SD = 0.92) und Bibliothek (M = 4.10; SD = 0.99) deutlich positiv eingeschätzt wird, bekunden die Studierenden auch, dass Begegnungszonen für Studierende (M = 3.14; SD = 1.16) und vor allem Gruppenarbeitsplätze (M = 2.98; SD = 1.16) nur teilweise vorhanden sind. Es gilt in diesem Kontext zu beachten, dass die Wahrnehmungen sehr hohe Streuungen aufweisen. Insbesondere gilt das für die beiden letztgenannten Aspekte. Daraus ist zu folgern, dass die Einschätzungen der einzelnen Studierenden hierzu heterogen sind.

Beim empirischen Vergleich der Studierenden der WP und der Wiwi ergeben sich für die drei Skalen Elaboriertheit der Erwartungen, systematische Einführung in die Studienpraxis sowie Infrastruktur keine bedeutsamen Unterschiede.

Wenngleich in Bezug auf die wahrgenommenen Freiheitsgrade in der Studiengestaltung im Durchschnitt über alle Studierenden eine verhältnismäßig hohe Ausprägung (M = 3.45; SD = 0.93) registriert wird, ist eine differenzierte Analyse der beiden Studierendengruppen unverzichtbar. Denn den Ergebnissen des T-Tests zufolge besteht bezüglich dieser Skala ein signifikanter und praktisch bedeutsamer Unterschied zwischen WP- und Wiwi-Studierenden (t = -12.344; p < .001), für den sich eine mittlere Effektstärke (|d| = 0.71) errechnet. Im Detail illustrieren die Maßzahlen sowie auch Abbildung 8, dass die Studierenden der WP wenig Freiheit hinsichtlich der Studiengestaltung antizipieren (M = 2.90; SD = 0.90), wohingegen die Studierenden der Wiwi in ausgeprägtem Maße von solchen Freiheiten berichten (M = 3.53; SD = 0.88).

In ähnlicher Weise besteht eine signifikante und praktische bedeutsame Differenz von kleiner Effektstärke (t = -6.165; p < .001; |d| = 0.36) zwischen den beiden Studierendengruppen für die wahrgenommenen Möglichkeiten zu extracurricularem Engagement. Während die Studierenden der Wiw in hoher Ausprägung Möglichkeiten für extracurriculares Engagement sehen (M = 3.51; SD = 0.92), sind nach Ansicht der Studierenden im WP-Studium deutlich weniger Möglichkeiten für extracurriculare Aktivitäten gegeben (M = 3.18; SD = 0.92). Da in der Stichprobe die Wiwi-Studierenden stärker vertreten sind, ergibt sich für alle Studierenden ein Mittel von 3.45 (SD = 0.93), so dass bei gesamthafter Betrachtung eine hohe Ausprägung der Möglichkeiten zu extracurricularem Engagement festzustellen ist. Die relativ hohe Standardabweichung zeugt jedoch von einer gewissen Varianz im Antwortverhalten der Studierenden.

5 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

In diesem Kapitel werden die zuvor im Detail vorgestellten Ergebnisse zusammengefasst. Die zentralen Erkenntnisse werden ferner vor einem normativen Hintergrund interpretiert und diskutiert. Normativ wünschenswerte Ausprägungen der Lernkulturindikatoren sind in diesem Zusammenhang solche, die dem Erfolg der Lernenden im Kontext der (hochschulischen) beruflichen Bildung zuträglich sind. Bei der Bestimmung dieses normativen Rahmens wird – soweit vorhanden – auf empirische Ergebnisse und theoretische Überlegungen rekurriert. Die tatsächlichen Ausprägungen der Lernkulturindikatoren werden schließlich mit dem normativen Rahmen in Bezug gesetzt. Hierdurch sollen die Handlungsfelder für die lernkulturelle Gestaltung (hochschulbezogener) beruflicher Bildung identifiziert werden. Im Zuge dessen soll zudem die Bedeutung der Ergebnisse für die Lernenden verdeutlicht werden.

Mit Blick auf die individuelle Lernkulturdimension wird das Lernen und Arbeiten der Studierenden in hohem Maße von intrinsischer und extrinsischer Studienmotivation sowie intrinsischer Lernmotivation getragen. Die extrinsische Lernmotivation spielt eine etwas geringere Rolle. Ferner sind die studentischen Lernkulturen eher von positiven denn von negativen Emotionen geprägt. Das studentische Handeln ist zudem durch einen ausgeprägten Einsatz an Lernstrategien, einen hohen Grad an Fremdbestimmung und ein geringes Ausmaß an Proaktivität gekennzeichnet. Die Studierenden der beiden Studienrichtungen unterscheiden sich hinsichtlich der individuellen Lernkulturmerkmale nur vereinzelt signifikant und praktisch bedeutsam, wobei alle ermittelten Differenzen eine kleine Effektstärke besitzen. Demnach berichten die Studierenden der WP von einem geringeren Ausmaß an extrinsischer Studienmotivation und Langeweile, aber von einem höheren Maß an Hoffnung und Proaktivität als die Studierenden der Wiwi.

Unter einem normativen Blickwinkel auf die individuelle Lernkulturdimension ist u. a. von einer starken Determinierung des Lernerfolgs durch motivationale Aspekte auszugehen (vgl. Schiefele 2009, 167f.; vgl. Schiefele et al. 2003). Demnach sind für den Lernerfolg zum einen die Stärke und zum anderen die Qualität der Motivation maßgeblich (vgl. Pekrun/Schiefele 1996, 171). Studien zeigen, dass sich intrinsische Motivation stets positiv auf den Lernerfolg auswirkt. Im Gegensatz dazu fällt der Zusammenhang zwischen extrinsischer Motivation und Lernerfolg weniger eindeutig aus, die Ergebnisse hierzu erweisen sich als inkonsistent (vgl. Schiefele/Schreyer 1994; vgl. Pekrun/Schiefele 1996, 171). Diese Erkenntnisse konnten auch von Gebhardt (2012) repliziert werden: Während die meisten Motivationsarten (intrinsische Lern- und Studienmotivation, extrinsische Lernmotivation) dem Lernerfolg zuträglich sind, wirkt sich die extrinsische Studienmotivation negativ auf diesen aus (Abschnitt 7.4.4). Auch das emotionale Erleben der Lernenden entscheidet über deren Erfolg. Gemäß diversen Forschungsarbeiten leisten positive Emotionen (z. B. Hoffnung) einen leistungsfördernden und negative Emotionen (z. B. Angst, Langeweile) einen leistungsmindernden Beitrag (vgl. Titz 2001, 210ff.; vgl. Dietz 1998, 181ff.; vgl. Pekrun/Schiefele 1996, 167ff.; vgl. Pekrun/Hofmann 1999, 262; vgl. Gebhardt 2012, Abschnitt 7.4.4; vgl. Götz 2004; vgl. Grieder 2006; vgl. Siecke 2007). In mehreren empirischen Studien wurden überdies positive Zusammenhänge zwischen dem ausgeprägten Einsatz von Lernstrategien und dem Erfolg von Lernenden nachgewiesen (vgl. Metzger 1995, 298; vgl. Krapp 1993, 301). Andere Studien berichten demgegenüber von der vergleichsweise geringen Abhängigkeit des Lernerfolgs vom lernstrategischen Handeln der Lernenden (vgl. Schiefele et al. 2003, 196; vgl. Grätz-Tümmers 2003, 18ff.; vgl. Gebhardt 2012, Abschnitt 7.4.4). Fest steht jedoch, dass sich der Einsatz metakognitiver Lernstrategien am ehesten und in positiver Weise Einfluss auf den Lernerfolg entfaltet (vgl. Schiefele et al. 2003, 196). In Bezug auf die normative Bedeutung der Fremdbestimmung und der Proaktivität von Lernenden gibt es wenig empirische Hinweise. Basierend auf der Überlegung, dass (hochschulbezogene) berufliche Bildung einen hohen Grad an Selbststeuerung erfordert, ist zu vermuten, der der Erfolg der Lernenden positiv von Proaktivität und negativ von Fremdbestimmung beeinflusst wird (vgl. Gebhardt 2012).

Bei zusammenführender Betrachtung der Ergebnisse und des normativen Rahmens ergibt sich Handlungsbedarf hinsichtlich der geringen Proaktivität und der ausgeprägten Fremdbestimmung der Lernenden. Es wäre wünschenswert, die Studierenden zu mehr Proaktivität zu motivieren und eine höhere Selbstbestimmung zu initiieren. Die Ergebnisse des Lernkulturvergleichs verweisen vor dem skizzierten normativen Hintergrund auf günstigere lernkulturelle Bedingungen im Rahmen eines wirtschaftspädagogischen Studiums. Daher könnte die Gestaltung der wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge zusätzlich durch Vermeidung von Langeweile und Förderung positiven emotionalen Erlebens optimiert werden.

Gemäß den studentischen lernkulturellen Wahrnehmungen der pädagogisch-interaktionalen Aspekte zeigen die Dozierenden in mittlerem Maß sowohl instruktives als auch konstruktivistisches Lehrverständnis. Sie nehmen zudem in mittlerer Ausprägung die Rolle des Lernbegleiters ein und zeichnen sich durch hohes Engagement aus. Die Lehrenden bieten jedoch lediglich in geringem Ausmaß Möglichkeiten zur Partizipation sowie formative Rückmeldungen. Darüber hinaus werden die sozialen Beziehungen der Studierenden untereinander eher als partnerschaftlich denn als konkurrenzbetont beschrieben. Bemerkenswert ist, dass ausnahmslos für alle Indikatoren der pädagogisch-interaktionalen Lernkulturdimension signifikante und praktisch bedeutsame Differenzen zwischen den beiden Studienrichtungen zu verzeichnen sind. Von mittlerer Effektstärke sind dabei die Unterschiede hinsichtlich der sozialen Beziehungen der Studierenden untereinander: Demnach ist das Miteinander der WP-Studierenden vergleichsweise stärker von Partnerschaftlichkeit und weniger von Konkurrenzbetonung geprägt. Für alle weiteren Unterschiede ist die Effektstärke klein: Die Lernkulturen in wirtschaftspädagogischen Studiengängen sind durch ein geringes Ausmaß an instruktivem Lehrverständnis sowie stärkere Ausprägungen hinsichtlich der Skalen konstruktivistisches Lehrverständnis, Begleiterrolle, Engagement, formative Evaluationen und Partizipationsmöglichkeiten charakterisiert.

Die Zusammenhänge zwischen den pädagogisch-interaktionalen Lernkulturindikatoren und dem Lernerfolg sind weniger gut erforscht als dies in Bezug auf die individuellen Lernkulturmerkmale der Fall ist. Deshalb ist es hinsichtlich des Lehr- und Rollenverständnisses der Dozierenden kaum möglich, eine normative Setzung vorzunehmen. Ganz allgemein wird die Bedeutsamkeit des Lehr- und Rollenverständnisses jedoch durch Forster/Winteler (2006) wie folgt zusammengefasst: „Insgesamt weisen […] Studien darauf hin, dass sich die Lehrkonzeptionen der Dozenten auf die Lernkonzeptionen der Studenten dergestalt auswirken können, dass die Studenten diesen Lehrkonzeptionen entsprechende Lernkonzeptionen und Lernstrategien entwickeln“ (199). Ferner vermutet die Autorin hinsichtlich des normativen Rahmens, dass formative Evaluationen, Partizipationsmöglichkeiten im Hochschulunterricht, das Engagement der Dozierenden, partnerschaftliche Beziehungen der Studierenden untereinander und wenig ausgeprägte Konkurrenz in positiver Weise mit dem Lernerfolg korrespondieren.

Unter Bezug auf diese Annahmen und die zuvor skizzierten Resultate ergibt sich Handlungsbedarf für die Aspekte formative Evaluationen und Partizipationsmöglichkeiten. Wünschenswert wäre es, den Studierenden mehr Partizipationsmöglichkeiten und formative Rückmeldungen zu gewähren. Wie bei den individuellen Lernkulturaspekten geben die Ergebnisse Hinweise auf günstigere lernkulturelle Voraussetzungen im Rahmen eines wirtschaftspädagogischen Studiums. Daher könnte die Gestaltung der wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge zusätzlich durch Verminderung von Konkurrenzdenken optimiert werden.

In Bezug auf organisationale Aspekte weisen die beschriebenen Lernkulturen einen hohen Grad an Elaboriertheit der hochschulseitigen Erwartungen, eine systematische Einführung zu Studienbeginn sowie ausgeprägte Freiheitsgrade in der Studiengestaltung und ausgeprägte Möglichkeiten zu extracurricularem Engagement auf. Die erforderliche differenzierte Betrachtung der Einschätzung der Infrastruktur ergibt, dass die EDV- und Bibliotheksausstattung als in hohem Maße ausgeprägt eingeschätzt wird, während die Ausstattung in Bezug auf das Vorhandensein von Begegnungszonen und Gruppenarbeitsplätzen als mittelmäßig ausgeprägt angesehen wird. Die Wahrnehmungsunterschiede bezüglich der organisationalen Lernkulturmerkmale erreichen nur vereinzelt Signifikanzniveau und praktische Bedeutsamkeit. Demnach sind die Freiheitsgrade in der Studiengestaltung in der WP gering ausgeprägt, wohingegen sie in wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen hoch ausgeprägt sind (kleiner Effekt). Außerdem sind die Möglichkeiten zu extracurricularem Engagement in der WP deutlich geringer als in den Wiwi ausgeprägt (mittlerer Effekt).

Im Hinblick auf die Zusammenhänge der organisationalen Lernkulturindikatoren und den Erfolg von Lernenden gibt es nur wenig empirische Belege: Diesen zufolge gilt jedoch, dass sich elaborierte Erwartungen seitens der Hochschule (vgl. Kuh et al. 2006, 55f.; vgl. Kezar/Kinzie 2006) sowie eine systematische Einführung der Lernenden zu Studienbeginn positiv auf deren Erfolg (vgl. Kuh et al. 2006, 58) auswirken. Basierend auf inhaltlichen Überlegungen ist zudem davon auszugehen, dass hohe Freiheitsgrade in der Studiengestaltung (vgl. Jenert et al. 2009) und ausgeprägte Möglichkeiten zu extracurricularem Engagement (vgl. Kuh 1993, vgl. Kuh 1995) positiv mit dem Erfolg der Lernenden in Verbindung stehen. Ferner sollte die ausgeprägte Bereitstellung infrastruktureller Ressourcen dem Lernerfolg der Studierenden zuträglich sein.

Die Resultate und normativen Setzungen in Verbindung bringend, ergibt sich Handlungsbedarf hinsichtlich ausgewählter infrastruktureller Aspekte. Wünschenswert wäre in diesem Zusammenhang die vermehrte Bereitstellung von Begegnungszonen und Gruppenarbeitsplätzen für Studierende. Darüber hinaus wird in den wirtschaftspädagogischen Studiengängen Handlungsbedarf in Bezug auf die Gewährung von Freiheitsgraden in der Studiengestaltung und hinsichtlich der Möglichkeiten für extracurriculares Engagement verzeichnet. Beides wäre unter normativen Gesichtspunkten in stärkerer Ausprägung zu gewähren.

Zusammenfassend zeigen die Resultate unter Betrachtung normativer Gesichtspunkte, dass die lernkulturellen Erfahrungen der Studierenden in Bezug auf die mangelnde Proaktivität, die ausgeprägte Fremdbestimmung sowie die unzureichende Gewährung von Partizipationsmöglichkeiten und formativen Rückmeldungen optimierbar sind. Unter der Annahme, dass die eigenen lernkulturellen Erfahrungen (vgl. Abschnitt 1.1) handlungsleitend für die künftige Tätigkeit als Lehrperson oder Ausbilder/in sind, ist zu vermuten, dass sich die genannten Handlungsfelder auch als Herausforderungen in der zukünftigen beruflichen Bildung herauskristallisieren werden. Für die Lernenden bedeutet das, dass sie bezüglich der künftigen Gestaltung proaktiver und selbstbestimmter Lernsituationen sowie der Gewährung von formativen Rückmeldungen und Partizipationsmöglichkeiten nicht auf eigene Erfahrungen zurückgreifen können. Sie sollten daher den genannten Aspekten sowohl bereits während ihrer Ausbildung als auch in der künftigen Tätigkeit besondere Aufmerksamkeit schenken. Das gilt insbesondere für die Studierenden der Wirtschaftswissenschaften, da in Bezug auf die individuellen und pädagogisch-interaktionalen Aspekte lernkulturelle „Vorteile“ für die Wirtschaftspädagogen/innen zu verzeichnen sind. Demgegenüber ergeben sich lernkulturelle „Nachteile“ für die Studierenden der WP in Bezug auf die Freiheitsgrade in der Studiengestaltung und die Möglichkeiten für extracurriculares Engagement. 

6 Kritische Reflexion, Fazit und Ausblick

Ausgehend von bestehenden Forschungsdesideraten und auf Basis eines funktionalistischen Lernkulturzugangs wurde im Rahmen des vorliegenden Beitrags den Fragen nachgegangen, welche Merkmale die Lernkulturen wirtschaftswissenschaftlicher und wirtschaftspädagogischer Studiengänge aus Studierendensicht charakterisieren und welche Unterschiede zwischen beiden Studienrichtungen diesbezüglich bestehen. Nachdem die theoretischen Grundlagen in Kapitel 2 und das forschungsmethodische Vorgehen in Kapitel 3 erläutert wurden, war Kapitel 4 einem ausführlichen Ergebnisbericht und Kapitel 5 einer Zusammenfassung sowie einer normativen Diskussion der Resultate gewidmet. Zudem wurde der Handlungsbedarf für die Gestaltung der (hochschulbezogenen) beruflichen Bildung skizziert.

Da jede Forschungsarbeit sowohl in theoretischer als auch in empirischer Hinsicht Stärken und Schwächen aufweist (vgl. Bortz/Döring 2006, 202), ist die Aussagekraft und Gültigkeit empirischer Resultate sowie der daraus abgeleiteten Überlegungen und Handlungsempfehlungen begrenzt. Nachfolgend wird die in diesem Beitrag vorgestellte Studie daher kritisch reflektiert. Fokussiert werden dabei insbesondere die Prämissen des funktionalistischen Kulturparadigmas und die sich daraus ergebenden forschungsmethodischen Implikationen.

Ein wesentlicher kritischer Aspekt des funktionalistischen Kulturverständnisses betrifft die empirische Vorgehensweise. Demnach wird die Untersuchung von Lernkulturen auf Basis eines vorstrukturierten und vordefinierten Analyserahmens vorgenommen. Die Entscheidung, welche lernkulturellen Elemente als bedeutsam erachtet werden, erfolgt also im Vorfeld der Untersuchung. Zudem wird sie pauschal und damit unabhängig von den betrachteten Organisationen getroffen. Spezifische lernkulturelle Besonderheiten einzelner Organisationen werden folglich nicht berücksichtigt. Das trifft auch im Rahmen dieser Studie zu, da im Zuge der Konzeptspezifikation (vgl. Abschnitt 3.1) die für relevant erachteten Lernkulturelemente losgelöst von den untersuchten Universitäten und Fachkulturen ausgewählt wurden. Das entstandene Inventar wurde in allen drei Universitäten und beiden Studienrichtungen ungeachtet spezifischer lokaler und fachkultureller Gegebenheiten in gleicher Weise eingesetzt. Fraglich an diesem Vorgehen ist, ob die im Vorhinein festgelegten Dimensionen und Indikatoren die lernkulturelle Realität aller drei Universitäten und beider Studienrichtungen vollständig abzubilden vermögen. Ein Stück weit kann dieser Einwand jedoch entkräftet werden, da die Auswahl der Lernkulturelemente auf einem intensiven und umfassenden Literaturstudium fußte. Ein Vorzug dieser empirischen Vorgehensweise ist zudem, dass ein hohes Maß an Vergleichbarkeit gegeben ist, so dass der Vergleich der beiden Studienrichtungen überhaupt erst ermöglicht wurde.

Lernkulturanalysen werden gemäß dem funktionalistischen Paradigma vor allem mit quantitativen Erhebungsmethoden umgesetzt. Das ist auch in der vorliegenden Studie der Fall und führt zwangsläufig zu einer Fokussierung der oberen Lernkulturebenen (Artefakte; zum Teil Werte, Normen und Einstellungen). Die darunter liegenden Kulturschichten werden unzureichend erfasst und können allenfalls in Interpretationsprozessen erschlossen werden (vgl. Ashkanasy et al. 2000, 132). Bei der Diskussion der Ergebnisse (vgl. Kapitel 5) konnten dementsprechend lediglich Vermutungen bezüglich des Vorliegens von Werten, Normen und Einstellungen zugrunde gelegt werden. Es ist daher zweifelhaft, ob der eigentliche Lernkulturkern bei solchen Analysen angemessen berücksichtigt wird.

Im funktionalistischen Kulturverständnis wird darüber hinaus von der expliziten Gestaltbarkeit von Lernkulturen ausgegangen. Daraus folgt auch die Prämisse, dass Organisationen durch Kulturgestaltung gezielt beeinflusst werden können. Die Annahme dieser Prämisse erlaubte es, Handlungsfelder und Handlungsempfehlungen für die Lernkulturgestaltung aufzuzeigen (vgl. Kapitel 5). Es ist jedoch in Frage zu stellen, ob und inwiefern Lernkulturen an Hochschulen tatsächlich direkt gestaltet werden können. Dass Gebhardt (2012) keine korrelativen dimensionsübergreifenden Zusammenhänge zwischen Lernkulturindikatoren finden konnte, kann ein Hinweis darauf sein, dass Möglichkeiten zur äußeren Beeinflussung von Lernkulturen, d. h. zu deren Gestaltung nur begrenzt vorhanden sind. Hinzu kommt theoretische Einwand, dass Lernkulturen und insbesondere der aus Werten, Normen und Grundannahmen bestehende Kulturkern weitgehend verfestigt und daher nur schwer veränderlich seien (vgl. Friebe 2005, 18; vgl. Müller 2007, 85). Die Autorin geht dennoch weiterhin von der Prämisse der Gestaltbarkeit aus, relativiert diese aber vor dem Hintergrund dieser Argumente. Demnach sind Lernkulturen wohl nur begrenzt und bedingt beeinflussbar. Maßnahmen zur lernkulturellen Veränderung müssten angesichts dessen unter Einbezug der Kulturmitglieder (z. B. Studierende, Dozierende) geplant sowie mit Bedacht und schrittweise implementiert werden.

Obwohl die thematisierten Einwände berechtigt sind, erscheinen das empirische, quantitative Vorgehen sinnvoll. Denn hierdurch werden Erkenntnisse generiert, die einerseits selbst bereits wertvolle Ergebnisse darstellen und andererseits als Ausgangspunkte für weiterführende Forschung fungieren können. Anschlussfähige Forschungsvorhaben könnten so gezielt initiiert werden. Sie sollten vermehrt auch auf qualitative Forschungsmethoden setzen, z. B. wenn es darum geht, den Lernkulturkern zu erschließen. Beispielsweise könnten die quantitativen Resultate mit Hilfe von Fokusgruppengesprächen, Expertengesprächen, Tiefeninterviews oder teilnehmender Beobachtung vertieft erforscht werden. Der symbolistische Kulturzugang sowie der dynamische Ansatz wären dafür geeignete kulturtheoretische Grundlagen.

In der weiterführenden theoretischen und praxisbezogenen Auseinandersetzung mit diesen Resultaten wäre außerdem zu überlegen, wie der Handlungsbedarf präzisiert und in konkrete und handlungsleitende Empfehlungen – sowohl in Bezug auf die Gestaltung der Lernkulturen in wirtschaftswissenschaftlichen und wirtschaftspädagogischen Studiengängen als auch in Bezug auf die Gestaltung der dualen beruflichen Bildung – überführt werden könnte. Zukünftige empirische Untersuchungen sollten daher prüfen, inwiefern sich die eigenen lernkulturellen Erfahrungen tatsächlich auf die Gestaltung zukünftiger Lehr- und Lernsituationen auswirken.

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Anhang

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Zitieren des Beitrags

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