bwp@ 26 - Juni 2014

Berufliche Bildung aus der Perspektive des lernenden Subjekts

Hrsg.: Tade Tramm, Martin Fischer & Nicole Naeve-Stoß

Situative Unterrichtswahrnehmung Lernender im kaufmännischen Bereich – Ein Blick ins Klassenzimmer

Beitrag von Doreen Holtsch, Eva Höpfer, Andrea Reichmuth & Franz Eberle
bwp@-Format: Forschungsbeiträge

Bei der Entwicklung von Fachwissen, Interesse und Motivation von Lernenden stellen Unterrichtsmerkmale wie Strukturiertheit und inhaltliche Relevanz zentrale Einflussfaktoren dar. Wie wirksam diese Merkmale sind, ist davon abhängig, wie sie einerseits von der Lehrperson gestaltet und andererseits von den Lernenden wahrgenommen werden. Um solche Lehr-Lern-Prozesse in kaufmännischen Berufsfachschulklassen besser zu verstehen, verfolgt das Schweizer Leading House LINCA das Ziel, neben den Kompetenzen der Lernenden auch die Unterrichtswahrnehmung von Lernenden und Lehrenden zu erfassen.

Der vorliegende Forschungsbeitrag stellt die situativ erfasste Perspektive von Lernenden auf ihren Unterricht vor. Neben theoretisch-konzeptionellen Grundlagen werden erste deskriptive Befunde vorgestellt. Die Schülerperspektive gewährt einen konkreten Einblick in den Unterricht im Fach Wirtschaft und Gesellschaft an kaufmännischen Berufsfachschulen in der deutschsprachigen Schweiz. Dabei wird die Wahrnehmung der Lernenden im Hinblick auf ausgewählte Unterrichtsmerkmale wie Strukturiertheit und inhaltliche Relevanz in konkreten Unterrichtsstunden fokussiert. Die Daten wurden im Rahmen einer Pilotierungsstudie in sieben Klassen (N=147) im Mai und Juni 2013 erhoben. Im Anschluss an die videographierte Unterrichtslektion wurden jeweils mit mehrheitlich geschlossenen Fragen Unterrichtsmerkmale erhoben. In drei der sieben Unterrichtslektionen wurde das Thema „Mehrwertsteuer“ eingeführt. Die empirischen Befunde geben im Rahmen eines ersten explorativen Feldzugangs Aufschluss über die Merkmalsausprägungen in unterschiedlichen kaufmännischen Berufsfachschulklassen und über deren Zusammenhänge zu situativem Interesse und der kognitiven Aktivität der Lernenden.

Learners’ situative perceptions of teaching in the commercial sector – a look at the classroom

English Abstract

For the development of subject knowledge, interest and motivation on the part of learners characteristics of lessons such as structure and the relevance of the content represent key influential factors. How effective these characteristics are depends, on the one hand, on how they are shaped by the teacher and, on the other hand, how they are perceived by the learners. In order to better understand such teaching and learning processes in commercial vocational school classes the Swiss Leading House LINCA aims to capture, as well as the competences of the learners, also the perceptions of lessons held by learners and teachers.

This research paper presents the perspective of learners of their lessons, collected on site. Alongside theoretical and conceptual foundations, initial descriptive findings are presented. The pupil perspective provides a concrete insight into lessons in the subject of economics and society at commercial vocational education schools in German-speaking Switzerland. In so doing the perceptions of the learners with regard to the selected lesson characteristics such as structure and the relevance of the content in actual lessons are brought into focus. The data were collected in the context of a pilot study in seven classes (N=147) in May and June 2013. Following the lesson, which was filmed, characteristics of the lesson were identified using predominantly closed questions. In three of the seven teaching units the topic of VAT was introduced. The empirical findings offer, in the context of initial exploratory fieldwork, information about the characteristics in different commercial vocational education school classes and about their connections with the situative interest and the cognitive activity of the learners.

1 Unterrichtswahrnehmung von Lernenden

Ob Lernende ihre Kompetenz im Unterricht erfolgreich entwickeln, hängt nicht nur vom gelungenen Unterrichtsangebot der Lehrperson ab. Die Kompetenzentwicklung wird auch davon beeinflusst, wie dieses Angebot in einer komplexen sozialen Situation – dem Unterricht – von Lernenden wahrgenommen und genutzt wird ( zum Angebots-Nutzungs-Modell vergleiche z. B. Helmke 2010, 71ff., Kunter/Voss 2011, Reiss/Reiss 2006). Damit kommt der Unterrichtswahrnehmung aus Sicht der Lernenden ein zentraler Stellenwert zu. Dies bestätigt sich bei Clausen (2002), der verschiedene Sichtweisen auf Unterricht vergleicht. Er zeigt, dass die Perspektive der Lernenden, neben der Beobachtersicht, in Bezug auf die Zieldimensionen von Unterricht (z. B. Förderung von Fachkompetenz, Motivation) die größte Erklärungskraft besitzt. Auch weitere Studien, welche die Wirkung des Unterrichts auf den Lernerfolg untersuchten, stützen dieses Ergebnis ( z. B. Kunter/Baumert 2006a). Basierend auf diesen Überlegungen stellt der vorliegende Beitrag die Unterrichtswahrnehmung der Lernenden ins Zentrum.

Über die Unterrichtswahrnehmung von Lernenden im kaufmännischen Bereich sowie über den Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung und dem situativen Interesse sowie der kognitiven Aktivität ist derzeit vergleichsweise wenig bekannt. Sowohl situatives Interesse als auch die kognitive Aktivität von Lernenden gelten als wichtige Voraussetzungen für die Leistungsentwicklung der Lernenden ( Ziegelbauer/Gläser-Zikuda/Girwidz 2010). Der folgende Beitrag greift dieses Forschungsdesiderat auf und stellt die Frage in den Vordergrund, wie das Unterrichtsangebot von den Lernenden wahrgenommen wird. Im ersten Schritt werden dazu verschiedene Ansätze und Perspektiven zur Erfassung der Unterrichtswahrnehmung erörtert. Anschließend wird die Unterrichtswahrnehmung nach verschiedenen Merkmalen systematisiert, um dann jene auszuwählen, die einen Einfluss auf das situative Interesse und die kognitive Aktivität erwarten lassen. Auf der Basis erster Befunde der im Folgenden vorgestellten Pilotierungsstudie wird die Fragestellung dieses Beitrags diskutiert und ein Ausblick gegeben.

1.1 Dimensionen der Unterrichtswahrnehmung

Bei der Untersuchung von Unterricht sind in Anlehnung an Helmke (2006, 814) ein prozess- und ein produktorientierter Ansatz denkbar. Zu der in Helmke (2010, 23) beschriebenen prozessorientierten Sichtweise gehören zum Beispiel Strukturiertheit und methodische Gestaltung des Unterrichts (Prozessmerkmale). Die empirische Erfassung von Unterrichtsprozessen ist relativ aufwendig, weil sie unmittelbar in die Lehr-Lern-Situation eingebettet werden muss. Alternativ oder ergänzend kann der Unterricht nach Helmke (2010, 24) auch hinsichtlich seiner Wirkungen untersucht werden. Dabei erfolgt ein nachträglicher Rückbezug der Unterrichtswirkungen auf den Unterricht selbst ( Helmke 2006, 814). Bei dieser produktorientierten Sichtweise werden vor allem die Lernergebnisse in Form von Schulleistungen berücksichtigt. Helmke (2010, 24) plädiert für eine Verschränkung beider Sichtweisen: Unterricht soll sowohl prozess- als auch produktbezogen betrachtet werden. In diesem Beitrag erfolgt eine solche Verschränkung. Zum einen wird die Wahrnehmung von prozessualen Unterrichtsmerkmalen innerhalb der Lehr-Lern-Situation erhoben. Zum anderen werden die kurzfristigen Wirkungen erfragt, die sich bereits in der konkreten Unterrichtssituation zeigen und die aus der Wahrnehmung der prozessualen Unterrichtsmerkmale in einer konkreten Lehr-Lern-Situation resultieren.

Neben der Differenzierung in eine prozess- und eine produktorientierte Betrachtung von Unterricht beschreiben Kunter und Trautwein (2013, 64-66) in Anlehnung an Oser und Baeriswyl (2001, 1043ff.) Unterricht auf der Ebene der Sichtstruktur und auf der Ebene der Tiefenstruktur. Zu den Sichtstrukturmerkmalen gehören die organisatorischen und methodischen Arrangements, die an der Oberfläche erkennbar und damit für jede Beobachterin und jeden Beobachter relativ eindeutig zu identifizieren sind. Sichtstrukturen werden an anderer Stelle auch als Oberflächenstrukturen bezeichnet ( vgl. z. B. Reusser 2009). Zur Sicht- bzw. Oberflächenstruktur zählt zum Beispiel der zeitliche Anteil kooperativer Arbeitsformen im Vergleich zu lehrerzentrierten Anteilen. Kunter und Trautwein (2013) argumentieren, dass unter vergleichbaren methodischen Oberflächenstrukturen dennoch unterschiedliche Tiefenstrukturen auftreten können. Tiefenstrukturen, so Kunter und Trautwein (2013, 65), umfassen zum Beispiel die kognitive Aktivierung der Lernenden. Nach Willems (2011, 103) entfalten sich die Effekte der Tiefenstrukturen in Interaktion mit der sichtstrukturellen, formalen Gestaltung des Unterrichts. Sie verweist auf Befunde von Kunter/Dubberke/Baumert et al. (2006), wonach Merkmale der Tiefenstruktur für die Erklärung von Wirksamkeit von Unterricht eine stärkere Bedeutung haben als jene der Oberflächenstruktur. Daher sind Tiefenstrukturen unter ähnlichen Oberflächenstrukturen besondere Beachtung zu schenken.

1.2 Perspektiven der Unterrichtswahrnehmung

Die Wahrnehmung des Unterrichts kann aus verschiedenen Perspektiven erfolgen ( vgl. Helmke 2006, 817). Lernende sowie Lehrende können den gemeinsamen Unterricht einschätzen. Darüber hinaus können Dritte, z. B. Schulleitung, Kolleginnen und Kollegen, den Unterricht beobachten. Die Eignung einer jeden Perspektive hängt stark vom jeweiligen Erkenntnisinteresse und Untersuchungsgegenstand ab ( Clausen 2002, den Brok/Brekelmans/Wubbels 2006, Kunter/Baumert 2006b, Lüdtke/Trautwein/Kunter et al. 2006, Prenzel/Lankes 2013, 95-97, Seidel/Shavelson 2007). So sind Oberflächenstrukturen niedrig-inferent und können von externen Personen gut erfasst werden ( Kunter/Trautwein 2013, 65). Beobachtungen durch Dritte ermöglichen aber nur begrenzt Aufschluss über die individuelle Wahrnehmung scheinbar objektiv vorhandener Merkmale. So kann die eingangs gestellte Frage, wie Unterrichtsangebote von Lernenden wahrgenommen werden und welche Wirkungen diese in den Tiefenstrukturen erzielen, von Dritten nur hoch-inferent beantwortet werden. Hoch-inferente Einschätzungen verlangen Schlussfolgerungen sowie Interpretationen und gehen insofern über das konkret beobachtbare Verhalten hinaus ( Seidel/Prenzel/Duit et al. 2003a, 65). Clausen (2002, 188) empfiehlt für die Vorhersage von kognitiven Entwicklungsmerkmalen die Erhebung von Schülerangaben. Wenn es um die Unterrichtswahrnehmung und die individuellen Lernprozesse der Lernenden geht, sind Aussagen der Lernenden selbst unerlässlich. Die hinsichtlich der kurzfristigen Wirkungen erfasste Unterrichtswahrnehmung muss sich außerdem auf eine konkrete Unterrichtssituation beziehen.

1.3 Prozess- und produktbezogene Wirkungen der Unterrichtswahrnehmung von Lernenden

Reiss und Reiss (2006) erläutern mit Bezug auf Weinert und Helmke (1996), dass der Unterrichtserfolg verschiedene Facetten haben kann. Aber auch je nach Zielgruppe werden unterschiedliche Unterrichtsziele angestrebt. In der beruflichen Grundbildung in der Schweiz können die angestrebten Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten sehr vielfältig sein und umfassen neben der berufsfachlichen Leistung auch motivational-emotionale, personal-methodische sowie sozial-kommunikative Zielkriterien. Sie dienen der Ausübung einer Tätigkeit in einem Beruf oder in einem Berufs- oder Tätigkeitsfeld (BBG 2002, Artikel 15). Diese globalen Unterrichtsziele sind eher als Produkte von Unterricht zu kategorisieren. Gleichzeitig gibt es Unterrichtsziele, die Teil des Unterrichtsprozesses sind und bei der Förderung globaler Ziele unterstützend wirken ( Klieme/Rakoczy 2008, 225). Zu diesen Zielen des Unterrichtsprozesses gehören beispielsweise erstens das situative Interesse und zweitens die kognitive Komponente bzw. Aktivität im Unterricht. Diese zwei Nutzungsprozesse sind einerseits eine kurzfristige Wirkung anderer, prozessualer Unterrichtsmerkmale. Andererseits sind sie wiederum Voraussetzungen für das weitere Lernen im Unterricht und das Erbringen von Lernprodukten ( ebd. 228).

In Anlehnung an Hidi und Renninger (2006) sowie Brandstätter/Schüler/Puca et al. (2013, 96) kann das Interesse von Lernenden in individuelles und situationales Interesse differenziert werden. Während das individuelle Interesse als Personenmerkmal stabilen Charakter besitzt, ist das situationale Interesse ein eher kurzfristiger Zustand, der im Unterricht gefördert werden kann ( Waldis 2012, 37-44). Situationales bzw. situatives Interesse bezieht sich dabei nicht auf ein Objekt, sondern auf einen Erlebniszustand, gekennzeichnet durch Aufmerksamkeitsfokussierung und eine positive Stimmung, und grenzt sich von der globalen und kontextuellen Ebene ab ( Brandstätter et al. 2013, 91ff.). Die Initiierung und Aufrechterhaltung des Lernens wird nach Sansone und Smith (2000) durch kontextuelle Merkmale (z. B. objektive Aufgabenmerkmale) und Merkmale der Person (z. B. ihre Ziele und ihre Motivation zur Zielerreichung) bestimmt. Die Gestaltung der Lernumgebung kann somit einen Impuls für situationales Interesse geben, was wiederum die Aufmerksamkeit und die kognitive Aktivität der Lernenden beeinflussen kann ( Waldis 2012, 44).

Unter kognitiver Aktivierung wird nach Kunter und Voss (2011, 88) eine Lernumgebung verstanden, welche Lernende zum vertieften Nachdenken und zur aktiven mentalen Auseinandersetzung mit den Unterrichtsinhalten anregt. Kognitive Aktivierung ist somit durch Instruktionsmethoden gekennzeichnet, welche kognitive Aktivitäten initiieren und somit wiederum zu kognitiver Aktivität bei den Lernenden führt ( Klieme/Rakoczy 2008, 228). Nach Ziegelbauer et al. (2010, 397) umfasst kognitive Aktivität dabei alle Prozesse, bei denen Informationen aufgenommen, verarbeitet und abgerufen werden. So werden beispielsweise Informationen in bestehende Wissensstrukturen integriert. Auch Mayer (2004, 17) bezeichnet nur jene Aktivitäten als kognitive Aktivitäten, bei denen Informationen ausgewählt, verarbeitet und integriert werden, und die sinnvolles Lernen ermöglichen.

1.4 Einflussreiche Unterrichtsmerkmale zur Förderung des situativen Interesses und kognitiver Aktivität

Die vorliegende empirische Grundlage für die Eingrenzung von Unterrichtsmerkmalen, die das situative Interesse, die kognitive Aktivität und Leistungsentwicklung beeinflussen, ist facettenreich. Helmke (2010, 169) stellt fest, dass „jede Klassifikation von Merkmalen der Unterrichtsqualität [...] eine individuelle Konstruktion“ darstellt. Klieme (2006, 769-770) schlägt einen Ansatz zur Systematisierung der Merkmalsammlung vor, indem die auf empirischer Grundlage identifizierten Merkmale in Basisdimensionen verdichtet werden ( siehe dazu auch Klieme/Schümer/Knoll 2001, 49-54). Neben empirischen Einzelstudien zur Unterrichtsqualität, z. B. „Unterrichtsqualität und mathematisches Verständnis in verschiedenen Unterrichtskulturen“ (Pythagoras Studie, 2000-2006) von Klieme/Lipowsky/Rakoczy et al. (2006) oder die „Studie zu Geschichte und Politik im Unterricht“ (2002-2007) von Gautschi/Moser/Reusser et al. (2007) liegen bereits Metaanalysen zum Unterricht vor, wie z. B. von Seidel und Shavelson (2007). Im Folgenden werden einige prägnante empirische Befunde zusammengefasst.

In der IPN-Videostudie wurden Lehr-Lern-Prozesse im Physikunterricht untersucht, wobei differentielle Effekte des Unterrichts auf die Lernentwicklung bei Lernenden erkannt wurden ( Seidel/Prenzel/Rimmele et al. 2006). Demnach wirken sich die Zielorientierung, Strukturiertheit und Strukturierungshilfen sowie das experimentelle Denken und Arbeiten im Unterricht besonders stark auf die kognitive Lernentwicklung aus. Die Autoren heben hervor, dass die beobachtbare Schülerzentrierung des Unterrichts für sich genommen keine Wirkung auf Lernentwicklungen entfaltet und im Zusammenhang mit weiteren Unterrichtsmerkmalen betrachtet werden muss.Aufbauend auf Befunden der TIMS-Studie in der Schweiz empfiehlt Waldis (2012, 314), das situative Interesse unmittelbar im Anschluss an eine videographierte Unterrichtsstunde zu erheben, um einen Rückbezug zur Unterrichtsgestaltung zu ermöglichen.

In einer weiteren Studie im Physikunterricht von Ziegelbauer et al. (2010) erwies sich die Wirkung des situativen Interesses auf die kognitive Aktivität der Lernenden im Unterricht als höchst signifikant (a < .001, b = .418; R2 = .608). Die Autoren geben jedoch zu bedenken, dass das Ergebnis aufgrund einer relativ kleinen Stichprobe (N=125) und einer höchst selektiven Auswahl derselben vorsichtig zu interpretieren sei.

Nickolaus/Rosendahl/Gschwendtner et al. (2010) stellen ein Modell zur Verfügung, das die Kompetenz- und Motivationsentstehung im kaufmännischen Bereich erklären kann. Im gewerblich-technischen und im kaufmännischen Bereich untersuchten die Autoren, wie Lernende Umgebungsbedingungen ihres Unterrichts wahrnehmen und wie diese ihre motivationale Entwicklung beeinflussen kann. Die Forschergruppe geht davon aus, dass die von den Lernenden wahrgenommenen Umgebungsbedingungen die Erlebnisqualitäten in der Schule beeinflussen. Zu den Umgebungsbedingungen gehören z. B. die wahrgenommene inhaltliche Relevanz des Schulstoffs oder das wahrgenommene inhaltliche Interesse der Lehrperson. Die Umgebungsbedingungen beeinflussen die Ausprägung zentraler Erlebnisqualitäten. Zu diesen Erlebnisqualitäten gehören in Anlehnung an Deci und Ryan (1985) Kompetenzerleben, Autonomie und soziale Eingebundenheit. Je nachdem, wie diese Bedingungen wahrgenommen werden, ist die Motivation resp. das Interesse der Lernenden unterschiedlich ausgeprägt. Die empirischen Befunde von Nickolaus et al. (2010, 80f.) stützen diese theoretischen Annahmen für den gewerblich-technischen Bereich sehr stark und weniger stark für den kaufmännischen Bereich. Für die Entwicklung der Fachkompetenz sind dagegen vor allem die kognitiven Fähigkeiten (z. B. kognitive Grundfähigkeiten) ausschlaggebend ( Nickolaus et al. 2010, 76, 83).

Anhand der Befragung von Lernenden in zwölf verschiedenen Bildungsgängen an beruflichen Schulen in Berlin konnten Seeber und Squarra (2003, 152-154) zudem zeigen, dass die im Unterricht wahrgenommene Praxisrelevanz den eigenen wahrgenommenen Kompetenzzuwachs beeinflusst. Die Zielgerichtetheit der Unterrichtsführung wirkt positiv auf die fachbezogene Motivation.

1.5 Fazit für die Erhebung der Unterrichtswahrnehmung

Die bisherigen Ausführungen verdeutlichen, wie vielschichtig die Frage nach der Unterrichtswahrnehmung ist. Ein ganzheitlicher Forschungsansatz, der sowohl prozess- als auch produktorientierte Sichtweisen aller Kriterien verschränkt, wäre zwar erstrebenswert, aber kaum realisierbar. Die vorgestellten Studien und Befunde im allgemeinbildenden, gewerblichen und kaufmännischen Bereich nehmen primär den Zusammenhang zwischen der Unterrichtswahrnehmung und der Kompetenz- bzw. Leistung(sentwicklung) sowie der Motivationsausprägung in den Blick. Wird die Unterrichtswahrnehmung jedoch global erfasst, wie beispielsweise in der TIMS- oder PISA-Studie, können Lernende jeweils eine andere Referenz für die Beantwortung heranziehen ( Prenzel/Lankes 2013, 93). Die Ergebnisse der IPN-Videostudie basieren wiederum auf Einschätzungen von Lernenden zu Unterrichtsbedingungen, Aspekten der Lernmotivation und kognitiven Aktivitäten, die unmittelbar im Anschluss an die videographierten Unterrichtsstunden mittels Fragebogen erhoben wurden.

Die vorgestellten empirischen Befunde sollen daher um eine weitere – bisher vor allem im Bereich des kaufmännischen Unterrichts zu wenig berücksichtigte – Perspektive ergänzt werden. Neben der Erhebung von Unterrichtsmerkmalen der Oberflächen- und Tiefenstruktur in konkreten Unterrichtssituationen an kaufmännischen Berufsfachschulen in der Schweiz werden als Nutzungsprozesse das situative Interesse sowie die kognitive Aktivität aus Sicht der Lernenden erhoben. Diese Prozessmerkmale resultieren aus der unmittelbaren Wahrnehmung von Unterrichtsmerkmalen und sind somit hochgradig situationsabhängig. In Hinblick auf die Zielsetzung, die Wahrnehmung von Unterricht mit dem situativen Interesse und der kognitiven Aktivität der Lernenden in einer Unterrichtsstunde in Verbindung zu bringen, empfehlen sich vor allem jene Unterrichtsmerkmale und Konstrukte der Tiefenstruktur, die ebenfalls einen starken Bezug zum erlebten Unterricht und zum Unterrichtsinhalt haben, wie beispielsweise die Strukturiertheit des Unterrichts, die sich u. a. über die kommunizierte Zielklarheit in einer Unterrichtsstunde zeigt. Das Interesse der Lehrperson, die inhaltliche Relevanz und der Alltagsbezug sowie die Strukturiertheit einer Unterrichtsstunde scheinen in den vorliegenden empirischen Untersuchungen von besonderer Bedeutung zu sein. Die inhaltliche Relevanz ist für Lernende in der kaufmännischen Ausbildung deshalb wichtig, weil sie das Gelernte unmittelbar am Lernort Ausbildungsbetrieb nutzen sollten. Die Verknüpfung der schulischen Inhalte mit dem beruflichen Kontext in authentischen Aufgabenstellungen kann darüber hinaus das Interesse steigern ( vgl. Seeber/Squarra 2003, 69).

Aufbauend auf diesen theoretisch empirisch geleiteten Überlegungen sollen im vorliegenden Beitrag explorative Erkenntnisse darüber gewonnen werden,

  1. wie sich die Oberflächenstrukturen im Unterricht für „Wirtschaft und Gesellschaft“ gestalten,
  2. wie kaufmännische Lernende ausgewählte Unterrichtsmerkmale der Tiefenstruktur in spezifischen Situationen des „Wirtschaft und Gesellschaft“-Unterrichts wahrnehmen und inwiefern sich ihre Wahrnehmung in Abhängigkeit vom Unterrichtsthema unterscheidet und
  3. inwieweit die ausgewählten Unterrichtsmerkmale jeweils das situative Interesse und die kognitive Aktivität der Lernenden beeinflussen.

2 Methodisches Vorgehen

Die vorgestellte Untersuchung ist Teil eines Projekts im Schweizer Leading House „Lehr-Lernprozessen im kaufmännischen Bereich“ (LINCA) am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich. Die Pilotierungsstudie hatte neben den vorgängig genannten Forschungsfragen auch das Ziel, den in diesem Projekt eingesetzten Fragebogen zur Unterrichtswahrnehmung für ausgewählte Konstrukte zu schärfen sowie die Forschungsmethode der Videographie zu erproben. Die Pilotierungsstudie geht der Hauptstudie 2014 voraus und trägt daher vor allem explorativen und deskriptiven Charakter.

2.1 Stichprobe und Unterrichtsstunden

Für die Pilotierung wurden in insgesamt sieben Klassen von Ende April bis Ende Juni 2013 jeweils eine Unterrichtsstunde im Fach „Wirtschaft und Gesellschaft“ (45 Minuten) auf Video und Audio aufgezeichnet. Die Lernenden wurden im Anschluss zur erlebten Unterrichtsstunde mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens befragt.

In der Schweiz können junge Erwachsene ihre kaufmännische Erstausbildung unter anderem im E- und M-Profil absolvieren ( KV Bildung 2014). Im E-Profil lernen künftige Kaufleute der erweiterten kaufmännischen Grundbildung und schließen nach drei Jahren mit einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis ab. Das M-Profil entspricht der dreijährigen, erweiterten kaufmännischen Grundbildung mit Berufsmaturität und der Abschluss berechtigt zu einem Fachhochschulstudium. Wie Tabelle 1 zeigt, lernen die hier Befragten (N=147) in der kaufmännischen Grundbildung überwiegend im E-Profil im ersten (N=67) und zweiten Lehrjahr (N=80). Das Alter der Lernenden liegt zwischen 16 und 23 Jahren (M = 17.21; SD = 1.01; Stichtag: 31.05.2013). Zwei Drittel (66 Prozent) der Lernenden sind weiblich, was dem entsprechenden Anteil in der Grundgesamtheit aller Lernenden an Schweizer kaufmännischen Berufsfachschulen entspricht ( Bundesamt für Statistik 2014).

Die Daten wurden an zwei Standorten erhoben. Standort 1 entspricht einer Schule in einer ländlichen Gegend mit insgesamt etwa 30 Klassen und Lehrpersonen. In dieser Schule wurden vier Klassen befragt. Standort 2 befindet sich in einer Stadt und umfasst insgesamt über 200 Klassen und Lehrpersonen. An diesem Standort wurden drei Klassen befragt. Wie Tabelle 1 zeigt, wurden Themen aus dem Bereich Finanz- und Rechnungswesen unterrichtet. In drei der sieben Unterrichtsstunden führten die Lehrpersonen in das Thema „Mehrwertsteuer“ ein (grau hinterlegt). Sechs der sieben Unterrichtsstunden (Ausnahme Klasse 6) waren Einführungsstunden. Sechs der sieben Lehrpersonen waren männlich.

Tabelle 1: Beschreibung der videographierten Unterrichtsstunden

LP / Klasse

Geschlecht
LP

Klassen-grösse

LJ

Profil

Thema der videographierten Unterrichtsstunde
(Unterrichtsstunde x von y des gesamten Themas)

Datum

Stand-

ort

1

männlich

21

1.

E

Einführung in die Kalkulation im Warenhandel (1 von 2)

25.06.2013

2

2

männlich

23

1.

E

Einführung in die Mehrwertsteuer
(1 von 6)

29.04.2013

1

3

männlich

23

1.

E

Einführung in die Mehrwertsteuer
(1 von 6)

29.04.2013

1

4

weiblich

23

2.

E

Einführung in die Mehrwertsteuer
(1 von 10)*

24.06.2013

2

5

männlich

18

2.

E

Einführung in die Bewertung einzelner Bilanzposten (1 von 20)

17.05.2013

1

6

männlich

18

2.

E

Übungsstunde zu Wareneinkauf/-verkauf
(3 von 8)

17.05.2013

1

7

männlich

21

2.

M

Einführung in die Nutzschwelle

22.05.2013

2

LP: Lehrperson; LJ: Lehrjahr

* Diese Klasse unterscheidet sich von Klasse 2 und 3, da 2012 eine Reform des E-Profils stattfand, in deren Rahmen der Lehrplan angepasst wurde, z. B. Kürzung von 10 auf 6 Unterrichtsstunden.

 

2.2 Eingesetzter Fragebogen zur Erfassung der wahrgenommenen Unterrichtsmerkmale

Die Befragung hat zum Ziel, die Wahrnehmung der Lernenden im unmittelbaren Anschluss an die erlebte Unterrichtsstunde zu erfassen. Dazu wurde ein standardisierter Fragebogen entwickelt, dessen Bearbeitung aus schulorganisatorischen Gründen maximal 15 Minuten in Anspruch nahm. Die Items wurden mit unmittelbarerem Bezug zur erlebten Unterrichtsstunde formuliert. Insgesamt wurden den Lernenden 60 Items zu 14 Unterrichtsmerkmalen und zur Repräsentativität der Unterrichtsstunde vorgelegt. Die Items konnten auf einer vierstufigen Likert-Skala beantwortet werden (1 – stimmt nicht, 2 – stimmt eher nicht, 3 – stimmt eher, 4 – stimmt genau). Der Fragebogen wurde auf der Basis vorliegender Instrumente entwickelt und angepasst. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die ausgewählten Konstrukte sowie die genutzten Quellen. Im Folgenden werden nur die empirischen Befunde für diejenigen Skalen berichtet, die im Zusammenhang zur Fragestellungen des Beitrags stehen.

Tabelle 2: Übersicht über ausgewählte Konstrukte des eingesetzten Fragebogens

Konstrukt

Quelle der Items

Anzahl Items

Beispielitem (größte Trennschärfe)

Cronbachs Alpha

Nutzungsprozesse

Situatives Interesse

In Anlehnung an
Ziegelbauer (2009, 198-199)

5

Im soeben erlebten W&G-Unterricht war ich mit Freude dabei.

.79

Kognitive Aktivitäten

Nachvollziehende Elaboration

In Anlehnung an
Seidel/Rimmele und Dalehefte (2003b)

4

Im soeben erlebten W&G-Unterricht waren mir die wesentlichen Inhalte klar.

.81

Vertiefende Elaboration

In Anlehnung an
Seidel et al. (2003b)

5

Im soeben erlebten W&G-Unterricht habe ich mir zu den Lerninhalten eigene Gedanken gemacht.

.76

Organisierende Prozesse

In Anlehnung an
Seidel et al. (2003b)

6

Im soeben erlebten W&G-Unterricht habe ich das Wichtigste selbst zusammengefasst (mündlich, schriftlich oder für mich in Gedanken).

.77

Unterrichtsmerkmale

Strukturiertheit

In Anlehnung an
Rakoczy/Buff und Lipowsky (2005) und Seidel et al. (2003b, 365)

6

Im soeben erlebten W&G-Unterricht war klar, was wir tun sollten.

.69

Interesse der Lehrperson

In Anlehnung an
Seidel et al. (2003b, 366)

3

Im soeben erlebten W&G-Unterricht hatte ich das Gefühl, dass sich die Lehrerin/der Lehrer für das Thema interessiert.

.69

Inhaltliche Relevanz

In Anlehnung an
Seidel et al. (2003b, 364)

4

Im soeben erlebten W&G-Unterricht haben wir gelernt, dass der Stoff für die berufliche Praxis wichtig ist.

.66

Alltagsbezug

In Anlehnung an
Seeber und Squarra (2003, 193) und Waldis und Buff (2007, 37)

3

Im soeben erlebten W&G-Unterricht haben wir die Hintergründe wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse analysiert (z. B. Arbeitslosigkeit, Eurokrise).

.81

Repräsentativität der Unterrichtsstunde

Eigenentwicklung

1

Haben Sie das Gefühl, dass der soeben erlebte W&G-Unterricht so ablief wie immer?

--

Für die Schärfung der Konstrukte zur kognitiven Aktivität bzw. für Hinweise auf die beste Passung der Skalen für die Zielgruppe wurden jeweils bei der Hälfte der Teilnehmenden drei konkurrierende Skalen zur kognitiven Aktivität eingesetzt, so dass sich die Stichprobenzahl hinsichtlich dieser drei Skalen halbiert. Die zwei Versionen der Fragebögen wurden innerhalb einer Klasse randomisiert eingesetzt. Im Folgenden werden ausschließlich Befunde für die letztlich ausgewählten Skalen berichtet. Die in Tabelle 2 berichteten Skalenqualitäten sind mit Werten für Cronbach’s Alpha zwischen .66 und .81 befriedigend bis gut ( Rost 2007, 157).

3 Empirische Befunde

Im Folgenden werden die empirischen Befunde der Pilotstudie vorgestellt. Die Darstellung orientiert sich an den Forschungsfragen aus Abschnitt 1.5. Die Beantwortung dieser Fragen erfolgt mittels deskriptiver Analysen (Mittelwerte, Standardabweichungen, Korrelationen) sowie multivariater Methoden (ANOVA, lineare Regression, Strukturgleichungsmodell).

Die Klassen schätzten die videographierten Unterrichtsstunden durchschnittlich als repräsentativ ein. Alle sieben Klassenmittelwerte liegen im positiven Bereich, wobei in der gesamten Spannbreite über die sieben Klassen die Unterrichtsstunde in Klasse 5 als repräsentativ (M = 3.00, SD = .89) und jene in Klasse 4 als sehr repräsentativ (M = 3.70, SD = .70) wahrgenommen wurde. Somit kann davon ausgegangen werden, dass die Unterrichtswahrnehmungen der Lernenden auf authentischen Unterrichtssituationen basieren.

3.1 Analyse der Oberflächenstruktur hinsichtlich der Sozialform

Zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage nach der Ausprägung der Oberflächenstrukturen im Unterricht für „Wirtschaft und Gesellschaft“ wurden die Sozialformen der videographierten Unterrichtsstunden analysiert. Einen Überblick über die sieben Klassen gibt Abbildung 1.

Abbildung 1: Sozialformen der videographierten UnterrichtsstundenAbbildung 1: Sozialformen der videographierten Unterrichtsstunden

Die niedrig-inferente Analyse der Videos durch zwei unabhängige Rater zeigt, dass sowohl eher lehrerzentrierte Unterrichtsstunden (z. B. Klasse 3) als auch schülerzentrierte Unterrichtsstunden (z. B. Klasse 5 und 6) aufgezeichnet wurden. In den gefilmten Unterrichtsstunden wurden insbesondere die Sozialformen Lehrervortrag (blau), fragend-entwickelndes Lehrgespräch (hellblau) und Einzelarbeit (weiss) beobachtet. Partnerarbeit (gelb) kam nur selten vor und Gruppenarbeiten wurden in keiner der Unterrichtsstunden durchgeführt. Die hier beobachteten Stunden zur Einführung der Mehrwertsteuer sind sowohl schüler- als auch lehrerzentriert. Die Übungslektion war eine eher schülerzentrierte Unterrichtsstunde.

Es muss jedoch angemerkt werden, dass es bei der Kodierung zum Teil schwierig war, zwischen Einzel- und Partnerarbeit zu differenzieren. Wenn von der Lehrperson z. B. ein Auftrag im Rahmen einer Einzelarbeit gegeben wurde, die Lernenden aber zum großen Teil in Partnerarbeit arbeiteten, wurde die Perspektive der Lehrperson favorisiert und Einzelarbeit kodiert. In Abbildung 1 ist somit jeweils die Sozialform abgebildet, die von der Lehrperson intendiert war.

3.2 Wahrnehmung ausgewählter Unterrichtsmerkmale

Zur Frage, wie kaufmännische Lernende ausgewählte Unterrichtsmerkmale der Tiefenstruktur in „Wirtschaft und Gesellschaft“ wahrnehmen, wurden die Lernenden gebeten, unter anderem ihre Wahrnehmung hinsichtlich der vier Unterrichtsmerkmale Strukturiertheit, Interesse der Lehrperson, inhaltliche Relevanz und Alltagsbezug der Unterrichtsinhalte der jeweiligen Unterrichtsstunde anzugeben. In Abbildung 2 sind die Wahrnehmungen der Klassen im Überblick zusammengefasst. Im Folgenden wird auf die Ausprägung der Unterrichtsmerkmale eingegangen. Es wird berücksichtigt, inwieweit sich die Wahrnehmung der Klassen, in denen die Einführung in die Mehrwertsteuer erfolgte, von den anderen Klassen unterscheidet. Außerdem wird einbezogen, inwieweit die Unterrichtsmerkmale unter ähnlicher Oberflächenstruktur variieren oder nicht.

Abbildung 2: Semantisches Differential zu den von den Lernenden wahrgenommenen MerkmalenAbbildung 2: Semantisches Differential zu den von den Lernenden wahrgenommenen Merkmalen

3.2.1 Zur wahrgenommenen Strukturiertheit

In allen Klassen wird die videographierte Unterrichtsstunde als sehr strukturiert wahrgenommen (M = 3.61, SD = .38, N = 140). Dies bedeutet, dass alle beobachteten Lehrpersonen einen Überblick über den Lernstoff geben und über die Ziele der einzelnen Unterrichtsstunde informieren. In ihren Urteilen waren sich die Klassen intern relativ einig (SDmin = .21 und SDmax = .52). Die Klassen, in denen die Mehrwertsteuer eingeführt wurde (Klasse 2, 3 und 4), unterscheiden sich hinsichtlich dieses Merkmals marginal. Die Klassen, die eher schülerzentriert lernten, zeigen hier geringfügig niedrigere Mittelwerte, aber immer noch im zustimmenden Bereich, z. B. für Klasse 5 (M = 3.33, SD = .40, N=16). Die Wahrnehmung der Strukturiertheit variiert über die schüler- und lehrerzentrierten Unterrichtsstunden hinweg nur geringfügig, wie auch die Werte grafisch in Abbildung 2 bestätigen.

3.2.2 Zum wahrgenommenen Interesse der Lehrperson

Das wahrgenommene Interesse der Lehrperson wird in Abbildung 2 durch die violette Linie rechts außen im zustimmenden Bereich repräsentiert. Die hier befragten Klassen bestätigen, dass sich die Lehrpersonen relativ stark für die unterrichteten Themen interessieren (M = 3.80, SD = .32, N = 140). Die Lernenden sind sich in diesen Urteilen nicht nur über die Klassen hinweg, sondern auch innerhalb der Klassen vergleichsweise einig, wie auch die relativ geringen Standardabweichungen für die einzelnen Klassen bestätigen (SDmin = .10 und SDmax = .53).

So zeigt auch der Vergleich der Klassen, in denen das Thema Mehrwertsteuer eingeführt wurde (Klasse 2, 3 und 4), ein homogenes Bild zum wahrgenommenen inhaltlichen Interesse der Lehrperson. Die Antworten der Klassen zu diesem Merkmal unterscheiden sich auch hinsichtlich der Sozialform kaum.

3.2.3 Zur wahrgenommenen inhaltlichen Relevanz

Die Lernenden konnten außerdem einschätzen, wie bedeutsam die Unterrichtsinhalte der erlebten Unterrichtsstunde für ihre berufliche Tätigkeit sind. In Abbildung 2 liegt die Linie für alle Klassen nur knapp im zustimmenden bzw. eher im neutralen Bereich. Im Durchschnitt schätzen die Lernenden die Unterrichtsinhalte als relevant für ihren beruflichen Alltag ein (M = 2.77, SD = .64, N = 140). Hinsichtlich dieses Merkmals variieren allerdings sowohl die Urteile zwischen den Klassen (Mmin = 2.44 und Mmax = 3.15) als auch innerhalb der Klassen (SDmin = .43 und SDmax = .77).

Auch der Vergleich der Unterrichtsstunden zur Mehrwertsteuer zeigt bei gleichem Unterrichtsinhalt insgesamt eine positive Wahrnehmung, wenn auch mit Differenzen. Klasse 3 stimmt der inhaltlichen Relevanz des Themas tendenziell stärker zu (M = 3.15, SD = .50, N = 21) als Klasse 4 (M = 2.82, SD = .72, N = 23) oder auch Klasse 2 (M = 2.99, SD = .60, N = 20). Auch in Abhängigkeit von der Oberflächenstruktur wird die inhaltliche Relevanz von den Klassen nicht unterschiedlich wahrgenommen.

3.2.4 Zum wahrgenommenem Alltagsbezug

Die Unterrichtsinhalte können sich auf den wirtschaftlichen und den gesellschaftlichen Alltag der Lernenden beziehen. Der wahrgenommene Alltagsbezug der Unterrichtsinhalte ist über alle Klassen hinweg gering ausgeprägt (M = 1.95, SD = .86, N = 140). Die Urteile der Klassen variieren außerdem vergleichsweise stark (Mmin = 1.43 und Mmax = 2.75), wobei aus Sicht der Lernenden die Übungsstunde zum Thema „Wareneinkauf und -verkauf“ in Klasse 6 den geringsten Alltagsbezug besitzt (M = 1.43, SD = .45, N=18). Die Unterrichtsumsetzung bei der „Einführung in die Bewertung einzelner Bilanzposten“ in Klasse 5 ist die einzige, für die zustimmende Urteile hinsichtlich des Alltagsbezugs gegeben werden. Diese Stunde schätzen die Lernenden als vergleichsweise alltagsbezogen ein (M = 2.75, SD = .79, N = 16).

Die Klassen, in denen die Mehrwertsteuer eingeführt wurde, erleben einen unterschiedlich starken Bezug der Inhalte zu ihrem Alltag. Klasse 2 schätzt den Bezug verhältnismäßig zurückhaltend ein, jedoch herrscht auch hier innerhalb der Klasse keine Einigkeit (M = 2.23, SD = .96, N = 20). Aus Sicht von Klasse 4 ist der Alltagsbezug bei der Einführung in die Mehrwertsteuer nicht gegeben (M = 1.81, SD = .72, N = 23). Klasse 3 liegt zwischen den beiden anderen Klassen (M = 2.14, SD = .73, N = 21). Unter einer ähnlichen Oberflächenstruktur sind keine Unterschiede festzustellen.

Die Unterschiede in der Unterrichtswahrnehmung wurden anhand von Mittelwertvergleichen (einfaktorielle ANOVA, Scheffé-Test) systematisch für alle Merkmale geprüft. Obwohl sich einige Klassen hinsichtlich des Merkmals „Alltagsbezug“ signifikant (p < 0.05) unterscheiden, ist die Mehrheit der Unterschiede bezüglich der vier Unterrichtsmerkmale zwischen den Klassen nicht signifikant.

3.3 Zum Zusammenhang zwischen wahrgenommenen Unterrichtsmerkmalen und situativem Interesse und kognitiver Aktivität

Abschließend wurde die Frage nach den Zusammenhängen zwischen den ausgewählten Merkmalen der Unterrichtswahrnehmungen mit dem situativen Interesse und der kognitiven Aktivität der Lernenden untersucht. Nachfolgend werden dazu Korrelations- und Regressionsanalysen sowie ein Strukturgleichungsmodell vorgestellt. Um die verschiedenen Variationen der Wahrnehmung auf das situative Interesse und die kognitive Aktivität beschreiben zu können, ist der Wechsel auf die Individualebene notwendig. Dies bedeutet, dass im Folgenden geprüft wird, inwieweit die individuelle Wahrnehmung ausgewählter Merkmale jeweils die Ausprägung des situativen Interesses und der individuell wahrgenommenen kognitiven Aktivität erklären kann. Die Analyse der Mittelwertunterschiede deutet an, dass der Klassenverband in der hier befragten Stichprobe kaum zur Erklärung der Wahrnehmungsunterschiede beiträgt, weshalb er bei diesen Analysen nicht berücksichtigt wird.

3.3.1 Korrelationsanalytische Untersuchungen

Aus Tabelle 3 wird deutlich, dass insbesondere die wahrgenommene Strukturiertheit positiv mit anderen wahrgenommenen Merkmalen des Unterrichts zusammenhängt. Ein relativ großer Zusammenhang zeigt sich dabei für organisierende Prozesse bei den Lernenden. Dagegen hängt das Interesse der Lehrperson nicht mit Skalen der kognitiven Aktivität der Befragten zusammen.

Tabelle 3: Bivariate Korrelationen zwischen wahrgenommenen Unterrichtsmerkmalen, situativem Interesse und kognitiver Aktivität

 

A

B

C

D

E

F

G

H

A

Strukturiertheit

r

1

             

N

140

             

B

Interessen Lehrperson

r

,348**

1

           

N

140

140

           

C

Inhaltliche Relevanz

r

,272**

,154

1

 

       

N

140

140

140

         

D

Alltagsbezug

r

-,046

,092

,349**

1

       

N

140

140

140

140

       

E

Situatives Interesse

r

,292**

,242**

,483**

,178*

1

     

N

140

140

140

140

140

     

F

Nachvollziehende Elaborationa

r

,631**

,142

,427**

,107

,589**

1

 

 

N

69

69

69

69

69

69

   

G

Vertiefende Elaborationa

r

,376**

,116

,566**

,338**

,562**

,610**

1

 

N

69

69

69

69

69

69

69

 

H

Organisierende Prozessea

r

,572**

,112

,622**

,304*

,610**

,724**

,721**

1

N

69

69

69

69

69

69

69

69


a   Die geringere Anzahl Personen basiert auf einer Fragebogenversion, die von der Hälfte der Befragten ausgefüllt wurde.

** Pearson-Korrelation r ist bei Niveau 0,01 signifikant (zweiseitig) (fett)

*   Pearson-Korrelation r ist bei Niveau 0,05 signifikant (zweiseitig)

Aus der vorliegenden Korrelationsanalyse wird deutlich, dass Strukturiertheit und inhaltliche Relevanz mit situativem Interesse und mit den Skalen der kognitiven Aktivität positiv zusammenhängen. Das Interesse der Lehrperson hängt mit keinem anderen Unterrichtsmerkmal und nur marginal mit dem situativen Interesse zusammen.

3.3.2 Regressionsanalytische Untersuchungen

Im Folgenden werden für die abhängigen Variablen „situatives Interesse“ und Merkmale der „kognitiven Aktivität“ lineare Regressionsanalysen mit den wahrgenommenen vier Unterrichtsmerkmalen als unabhängige Variablen geprüft.

Abbildung 3 zeigt, dass das situative Interesse ausschließlich von der wahrgenommenen inhaltlichen Relevanz erklärt wird. Aspekte wie Strukturiertheit und das eigene Interesse der Lehrperson leisten keinen Beitrag zur Erklärung der Varianz hinsichtlich des situativen Interesses. Dies untermauert die vorliegende Korrelationsanalyse.

Abbildung 3:  Zusammenhänge zwischen Unterrichtsmerkmalen und situativem Interesse (N=139)Abbildung 3: Zusammenhänge zwischen Unterrichtsmerkmalen und situativem Interesse (N=139)

Zur nachvollziehenden Elaboration gehört, dass die Lernenden dem Unterricht gut folgen können. Lernenden gelingt die nachvollziehende Elaboration eher, wenn sie den Unterricht als strukturiert wahrnehmen und für sie die inhaltliche Relevanz deutlich ist (siehe Abbildung 4).

Abbildung 4:  Zusammenhänge zwischen Unterrichtsmerkmalen und nachvollziehender Elaboration (N=68)Abbildung 4: Zusammenhänge zwischen Unterrichtsmerkmalen und nachvollziehender Elaboration (N=68)

Zur vertiefendenden Elaboration gehört, dass Schüler/innen eigene Beispiele für die Unterrichtsinhalte überlegen. Die Varianz in der vertiefenden Elaboration wird durch die wahrgenommene Strukturiertheit und die wahrgenommene inhaltliche Relevanz erklärt. Dabei leistet die wahrgenommene inhaltliche Relevanz den stärksten Beitrag (siehe Abbildung 5).

Abbildung 5:  Zusammenhänge zwischen Unterrichtsmerkmalen und vertiefender Elaboration (N=68)Abbildung 5: Zusammenhänge zwischen Unterrichtsmerkmalen und vertiefender Elaboration (N=68)

Organisierende Prozesse strukturieren beispielsweise den Unterrichtsinhalt und stellen Zusammenhänge her. Der erlebte Unterricht führt am ehesten zu organisierenden Prozessen, wenn die Strukturiertheit und die inhaltliche Relevanz wahrgenommen werden (siehe Abbildung 6).

Abbildung 6:  Zusammenhänge zwischen Unterrichtsmerkmalen und organisierenden Prozessen (N=68)Abbildung 6: Zusammenhänge zwischen Unterrichtsmerkmalen und organisierenden Prozessen (N=68)

Wie sich bereits in der Korrelationsanalyse andeutet, erweist sich Strukturiertheit auch in den regressionsanalytischen Untersuchungen als einflussreicher Prädiktor für Merkmale der kognitiven Aktivität. Die inhaltliche Relevanz ist sowohl für situatives Interesse als auch für nachvollziehende, vertiefende Elaborationsprozesse sowie für organisierende Prozesse von Bedeutung. Aus allen regressionsanalytischen Untersuchungen wird gleichzeitig deutlich, dass das wahrgenommene Interesse der Lehrperson – obwohl in den deskriptiven Analysen relativ hoch ausgeprägt – für die Erklärung der Wirkungen des Unterrichts auf die Lernenden keinen signifikanten Beitrag leistet.

In der korrelationsanalytischen Untersuchung zeigt sich, dass situatives Interesse und die Einzelskalen zur kognitiven Aktivität (nachvollziehende und vertiefende Elaboration sowie organisierende Prozesse) relativ stark zusammenhängen. Außerdem korrelieren die Einzelskalen zur kognitiven Aktivität untereinander. Aus diesem Grund wurden die Skalen zur kognitiven Aktivität in einem Strukturgleichungsmodell zu einer latenten Variable „kognitive Aktivität“ zusammengefasst (Abbildung 7).

Die empirisch ermittelten Werte für die Zusammenhänge im Strukturgleichungsmodell bestätigen teilweise die vorliegenden Korrelationen. Auch hier zeigen sich beispielsweise die Zusammenhänge zwischen inhaltlicher Relevanz und Alltagsbezug sowie Strukturiertheit. Die wahrgenommene inhaltliche Relevanz und die wahrgenommene Strukturiertheit des Unterrichts haben einen Einfluss auf das situative Interesse. Je positiver diese zwei Unterrichtsmerkmale wahrgenommen werden, desto größer ist das situative Interesse ausgeprägt. Der wahrgenommene Alltagsbezug und das wahrgenommene Interesse der Lehrperson scheinen sich weder auf das situative Interesse noch auf die kognitive Aktivität auszuwirken. 32 Prozent der Varianz im situativen Interesse werden sowohl von der wahrgenommenen inhaltlichen Relevanz als auch von der wahrgenommenen Strukturiertheit erklärt. Die Varianz der kognitiven Aktivität wird zu 75 Prozent direkt sowohl durch die wahrgenommene inhaltliche Relevanz als auch durch die Strukturiertheit erklärt. Da beide Merkmale auch das situative Interesse beeinflussen, kommt hier auch ein moderierender Effekt durch das situative Interesse für die kognitive Aktivität zum Tragen.

Abbildung 7:  Strukturgleichungsmodell zu den wahrgenommenen Unterrichtsmerkmalen (N=69)Abbildung 7: Strukturgleichungsmodell zu den wahrgenommenen Unterrichtsmerkmalen (N=69)

Ein Teil der Zusammenhänge im Strukturgleichungsmodell konnte bereits in den korrelations- und regressionsanalytischen Untersuchungen gefunden werden. Die Modell-Gütemasse (Chi2/df, CFI) liegen in einem akzeptablen Bereich und unterstützen die theoretischen Modellüberlegungen zu den Zusammenhängen zwischen den wahrgenommenen Unterrichtsmerkmalen und den erfragten Nutzungsprozessen auch empirisch. Allerdings liegt der RMSEA=.10 knapp außerhalb des Normbereichs, was die Modellgültigkeit wiederum einschränkt. Backhaus/Erichson/Plinke et al. (2006, 381-382) empfehlen für einen akzeptablen Wert einen RMSEA, der kleiner als 0.08 ist. Byrne (2010, 80-81) verweist in diesem Zusammenhang auf Referenzwerte verschiedener Autoren, die bis zu einem RMSEA=.10 reichen können.

4 Diskussion und Ausblick

Die vorgestellten exemplarischen Befunde zeigen, dass die Wahrnehmung des Unterrichts aus Sicht der Lernenden trotz ähnlicher Oberflächenstrukturen variieren kann. Dies lässt vermuten, dass lehrer- oder schülerzentrierter Unterricht per se noch kein Garant für kognitive Aktivität oder situatives Interesse ist. Dagegen scheinen die inhaltliche berufliche Relevanz für situatives Interesse und kognitive Aktivität eine wichtige Rolle zu spielen. Und in jedem Fall dürfte sich ein strukturiertes Vorgehen im Unterricht förderlich auf das situative Interesse und die kognitive Aktivität der Lernenden auswirken. Das situative Interesse korreliert wiederum stark mit der kognitiven Aktivität in einer konkreten Unterrichtssituation. Dies wäre für Lehrpersonen an kaufmännischen beruflichen Schulen ein wichtiger Hinweis für die Wirksamkeit authentischer Aufgabenstellungen und für die Unterrichtsgestaltung, um damit das Interesse zu wecken, kognitiv zu aktivieren und damit förderliche Bedingungen für die Leistungsentwicklung zu schaffen. Diese Befunde korrespondieren mit den Befunden von Seeber und Squarra (2003) und Nickolaus et al. (2010)

Der Vergleich der Wahrnehmung der Unterrichtsmerkmale zwischen den Klassen erweist sich als nicht signifikant. Dies lässt einerseits die Erklärung zu, dass Unterschiede aufgrund der geringen Stichprobengröße nicht gefunden werden können. Andererseits würden diese Befunde die Annahme stützen, dass die Unterschiede hinsichtlich dieser Merkmale eher auf Individualebene zu finden sind. Das bedeutet, dass Unterrichtsmerkmale trotz sehr ähnlicher Oberflächenstruktur und gleicher Unterrichtsthemen je nach individueller Wahrnehmung durch die Lernenden ihr situatives Interesse und kognitive Aktivität unterschiedlich beeinflussen können.

Die vorgelegten Befunde stützen bisher vorliegende empirische Erkenntnisse. Beispielsweise halten Prenzel/Kristen/Dengler et al. (1996) fest, dass die inhaltliche Relevanz Einfluss auf die Erlebnisqualität der Motivation besitzt. Oder auch Seidel et al. (2006, 811) fanden für den Physikunterricht „dass die beobachtbare Schülerzentrierung des Unterrichts für sich genommen keine Wirkung auf Lernentwicklungen entfaltet und im Zusammenhang mit weiteren Unterrichtsmerkmalen betrachtet werden muss.“ Die Befunde bieten darüber hinaus Anlass zu Überlegungen, welche Rolle die einzelnen Unterrichtsmerkmale in Bezug auf die Zielsetzungen von kaufmännischem Unterricht spielen. So üben die wahrgenommene Strukturierung und die wahrgenommene inhaltliche Relevanz für nachvollziehende und vertiefende kognitive Prozesse unterschiedlich großen Einfluss aus. Hier ließe sich somit die Hypothese formulieren, dass die Unterrichtsmerkmale auf die jeweiligen kognitiven Prozesse unterschiedlich wirken und möglicherweise entsprechend gestaltet werden könnten. Dies deckt sich auch mit dem Konzept des meaningful learning nach Mayer (2011, 76ff., 134), wonach bestimmte Lehrtechniken zu bestimmten kognitiven Prozessen führen.

Abschließend gilt zu beachten, dass die vorgestellten Befunde auf einer Pilotierungsstudie zur Unterrichtswahrnehmung basieren und daher nur vorsichtige Schlüsse zulassen. In jedem Fall bedarf die Überprüfung des Stukturgleichungsmodells und der angenommenen Zusammenhänge einer größeren Stichprobe. In der Hauptstudie wurde während des ersten Quartals 2014 die Unterrichtswahrnehmung zu ausgewählten Unterrichtsmerkmalen aus Sicht von Lernenden und ihren Lehrpersonen in 84 Berufsfachschulklassen quantitativ erhoben. Im Herbst 2014 soll der Unterricht in „Wirtschaft und Gesellschaft“ außerdem in ausgewählten Klassen dieser Stichprobe videographiert und erneut ein situationsspezifischer Kurzfragebogen eingesetzt werden. Auf diese Weise kann ein vertiefender objektiver Blick auf Lehr-Lernprozesse im Klassenzimmer geworfen werden. Die erfassten Videodaten können dann als ergänzende Perspektive der Lehrer- und Schülerperspektive gegenübergestellt werden. Darüber hinaus werden die Daten der Haupterhebung Gelegenheit bieten, die Gültigkeit der hier präsentierten Befunde nochmals zu prüfen. Inwiefern die vorgelegten Befunde mit der Kompetenzentwicklung korrespondieren und damit empirische Belege für die produktorientierte Sichtweise ( Helmke 2010, 23) ermöglichen, stellt eine weitere Frage der laufenden Hauptstudie dar.

5 Danksagung

Wir danken den Lehrpersonen, den Schulen und den Lernenden, die uns einen Blick in ihr Klassenzimmer gewährten. Wir danken Flavia Amann und Madeleine Scherrer für ihre Unterstützung bei der Durchführung der Erhebung. Und wir danken Matthias Sommer für die Erfassung der Daten und Denise Keller für Ihre Unterstützung bei der Datenaufbereitung.

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Zitieren des Beitrags

Holtsch, D./Höpfer, E./Reichmuth, A./Eberle, F. (2014): Situative Unterrichtswahrnehmung Lernender im kaufmännischen Bereich – Ein Blick ins Klassenzimmer In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 26, 1-24. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe26/holtsch_etal_bwpat26.pdf (20-06-2014).