bwp@ Profil 3 - Mai 2014

Lehrerbildung und Unterrichts­entwicklung aus der Perspektive des lernenden Subjekts

Profil 3: Digitale Festschrift für TADE TRAMM zum 60. Geburtstag

Hrsg.: Nicole Naeve-Stoß, Susan Seeber & Willi Brand

Problemlösendes Denken und Handeln im wirtschaftspädagogischen Studium: die Sicht der Studierenden

In der Zunft herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass problemlösendes Denken und Handeln zentrale Komponenten sowohl der curricularen Entwicklung und didaktisch-methodischen Gestaltung von Unterricht als auch der Ausbildung von Handelslehrerinnen und Handelslehrern sind. Letztere hat sich mit der Bologna-Reform allerdings grundlegend verändert. Die Erarbeitung und Anwendung des Wissens mit Bezug zu komplexen (Praxis)Problemen findet in den Fachwissenschaften nur noch in Ansätzen statt und wird dominiert durch ein Workload- und Leistungspunktesystem, dem auch gesprächsintensive Lehr-Lern-Formen untergeordnet sind. Das trifft auch für das Diskutieren zur Schaffung von Klarheit und zum reflektierten Ausformen der Subjektposition zu. Vor diesem Hintergrund haben wir an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig einen Ansatz entwickelt und ein Projekt implementiert, in dem Studierende der Wirtschaftspädagogik und anderer wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge systematisch unter forschungsmethodischer Perspektive mit Problemen aus ihrer künftigen beruflichen Praxis konfrontiert werden, sich das Wissen und Können zur Problemlösung selbständig und unter Anleitung von Lehrenden und Experten aus der Praxis aneignen, gemeinsam Problemlösungen erarbeiten, präsentieren und erproben sowie die Problemlöseprozesse und die individuelle Entwicklung der Problemlösefähigkeiten reflektieren. Der Beitrag skizziert das entwickelte Konzept, beschreibt Themen und Formen seiner Umsetzung im Studienalltag und stellt empirische Befunde zur Diskussion, die insbesondere die Sicht der lernenden Subjekte, d. h. der Studierenden, thematisieren.

1 Ausgangssituation und Handlungsbedarf

Tade Tramm beschreibt in seiner 1992 erschienen Promotion (TRAMM 1992) einerseits Defizite der beruflichen Ausbildung und skizziert andererseits theoretisch fundiert Lösungsansätze, um diesen Defiziten wirksam entgegenzuarbeiten. Dabei plädiert er vor allem für die Gestaltung des Lernprozesses, als einen „Konstruktionsprozeß, der von einfachen zu komplexen Strukturen und Zusammenhängen voranschreitet“ (TRAMM 1992, 199) und für ein problemlösendes Denken im Kontext konkreter Handlungs- und Erfahrungsbezüge (TRAMM 1992, 201).

Mit der so genannten Bologna-Reform haben sowohl seine Defizitbeschreibungen als auch die theoretischen Überlegungen eine hohe Aktualität gewonnen, und zwar für die universitäre Handelslehrerausbildung: Die Erarbeitung und Anwendung von Wissen mit Bezug zu komplexen (Praxis)Problemen und „echten“ Forschungsfragen findet – wenn überhaupt – nur noch in Ansätzen statt und wird dominiert durch ein Workload- und Leistungspunktesystem, das auf eine schulähnliche, eng getaktete Aneignung und kurzzeitige Reproduktion von vielfach isolierten und portionierten sowie zum großen Teil abstrakten Wissensbeständen ausgerichtet ist. Auch gesprächsintensive Lehr-Lern-Formen sind dem Leistungsdruck untergeordnet, das Diskutieren zur Schaffung von Klarheit, zum persönlichen Erkenntnisgewinn oder zur Schulung des Denkens in Zusammenhängen und des Problemlösens sind zu Gunsten von Leistungsnachweisen und Prüfungsvorbereitungen in den Hintergrund getreten. Ein „Wechselspiel von konkret-gegenständlich handelnder Erfahrungsbildung und begrifflich abstrakter Reflexion“, das TRAMM (1992, 191) als ein entscheidendes Qualitätsmerkmal gelungener Lehr-Lern-Prozessgestaltung beschreibt, findet kaum statt, die begriffliche Systematisierung bleibt vielfach weitgehend losgelöst von pragmatisch bedeutsamen Handlungs- und Problemzusammenhängen, der Reflexion – soweit sie überhaupt stattfindet – fehlt auf subjektiver Ebene das empirische Korrelat, im Lehr-Lernprozess dominiert vielfach die Bewegung in Abstraktionshierarchien“ (TRAMM 1992, 191).

Vor diesem Hintergrund hat das Institut für Wirtschaftspädagogik an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig - gefördert durch die Joachim Hertz Stiftung - einen Ansatz entwickelt und ein Projekt implementiert, das die Überlegungen von Tade Tramm aufgreift und in seiner Gesamtanlage dem Wechselspiel von Konstruktion und Evaluation (vgl. TRAMM 1992) folgt. Dabei geht es um problemlösendes Denken und Handeln im Kontext der forschungsmethodischen Ausbildung der Studierenden oder kurz um forschendes Lernen (und Lehren). Der Beitrag skizziert das Konzept, beschreibt die Umsetzung im Studienalltag und stellt empirische Befunde zur Diskussion, die insbesondere die Sicht der lernenden Subjekte, d. h. der Studierenden, thematisieren.

2 Curriculare und didaktisch-methodische Konzeption

2.1 Forschungsprobleme als Ausgangs- und Bezugspunkt des Lernens und Lehrens

Im Projekt werden Studierende der Wirtschaftspädagogik systematisch mit Problemen aus ihrer künftigen beruflichen Praxis konfrontiert, eignen sich das Wissen und Können zur Problemlösung selbstständig und unter Anleitung von Lehrenden und Experten aus der Praxis an, erarbeiten, präsentieren und erproben gemeinsam Problemlösungen und reflektieren die individuelle Entwicklung ihrer Problemlösefähigkeiten. Den Ausgangs- und Bezugspunkt des Lehr- und Studienprozesses bilden dabei reale Praxisprobleme, die von Wissenschaftlern gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft und Verwaltung generiert werden. Die Studierenden werden an der Durchführung von Forschungsprojekten beteiligt und erarbeiten gemeinsam mit den Hochschullehrern Lösungen, die in der Praxis angewendet werden können. Sie entwickeln ihr Wissen und forschungsmethodisches Können vor allem im Prozess der Problemdefinition und Problembearbeitung und tragen im Idealfall auch zum wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt bei. Um diese Ziele zu erreichen, wurden die Forschungs-, Lehr- und Studienprozesse didaktisch-methodisch aufeinander abgestimmt. Dazu wurden die Sequenzierungsideen von SCHNEIDER und WILDT (2009) aufgegriffen und in vier aufeinander aufbauenden und miteinander verknüpften Organisationsformen vergegenständlicht: einem Marktplatz, einer Werkstatt, einem Labor und einem Transferstudio (vgl. Abbildung 1). Im Kern geht es darum, die individuellen Lernprozesse der Studierenden mit Forschungstätigkeiten, vor allem auf dem Gebiet der empirischen Sozialforschung zu verbinden und ihre Tätigkeit entsprechend dem idealtypischen Forschungsablauf nach FRIEDRICHS 1990 zu sequenzieren.

Abb. 1: Organisationsformen des Forschenden Lernens und deren SequenzierungAbb. 1: Organisationsformen des Forschenden Lernens und deren Sequenzierung

2.2 Marktplatz: Wissenschaft trifft Praxis

Auf dem Marktplatz stellen Praxispartner zunächst betriebliche Problemsituationen dar, für die Lösungsvorschläge erarbeitet werden sollen. Die Problemsituationen dienen einerseits als kognitiver und motivationaler Stimulus für den Lernprozess der Studierenden und fungieren andererseits als verbindendes Element zwischen wissenschaftlicher Theorie und betrieblicher respektive beruflicher Praxis (vgl. Abbildung 1).

Aufgabe der Studierenden ist es, gemeinsam mit den Lehrenden und Praxispartnern Forschungsfragen zu formulieren und zu strukturieren. Um die Problemsituationen in der Realität zu veranschaulichen - also um Anschauungen bei den Studierenden zu bilden - werden u. a. betriebliche Exkursionen, Beobachtungen im Feld oder teilnehmende Beobachtungen durchgeführt, mit dem Ziel, die in Rede stehenden Sachverhalte und die zu untersuchenden Objekte im Sinne wissenschaftlicher Fragestellungen präzise zu beschreiben (Exploration). Die entwickelten Forschungsfragen und Untersuchungsziele werden anschließend in der Werkstatt in eine wissenschaftliche Untersuchung „transformiert“ (siehe 2.3). Der Marktplatz ist aber nicht nur der gemeinsame Startpunkt des Forschungsprozesses, sondern zugleich auch das Forum, in dem die Problem(teil)lösungen vorgestellt und weiterführende Fragen und Aufgaben definiert werden (vgl. 2.5).

2.3 Werkstatt: Untersuchungen vorbereiten und begründen

In einer Werkstatt entwickeln die Studierenden und Lehrenden gemeinsam Ideen für ein Untersuchungsdesign und definieren mögliche Forschungsabläufe. Es werden Hypothesen formuliert, der Forschungsgegenstand operational beschrieben und der Forschungsablauf festgelegt. Das Studieren und Lehren wird dabei so konzipiert, dass Themenbereiche verschiedener Disziplinen miteinander verknüpft sind. Ein solches Vorgehen kann zugleich die Fähigkeit der Studierenden fördern, theoretisches Wissen in übergeordnete Zusammenhänge einzuordnen sowie vernetzt und systemisch zu denken. Für ein interdisziplinäres Vorgehen ist es u. a. notwendig, dass sich die Studierenden mit forschungsmethodischer Literatur auseinandersetzen. Sie müssen insbesondere lernen, Modelle von Forschung sowie Forschungsmethoden im Hinblick auf ihre Geeignetheit für Problemstellungen sowie spezifische Forschungsgegenstände zu beurteilen, auszuwählen und anzuwenden (u. a. mündliche Befragungen, Beobachtungen und qualitative Inhaltsanalysen). Didaktisch unterstützt werden die Studierenden durch Mentoren. Diese Rolle übernehmen in der Werkstatt in erster Linie Experten aus Wissenschaft und Praxis. Auch fortgeschrittene Studierende können in das Mentoring einbezogen werden (im Sinne eines „Lernens durch Lehren“, RENKL 1997). Studien zum Forschenden Lernen zeigen, dass der Erwerb von forschungsmethodischen Kenntnissen und Fähigkeiten intensiv durch Lehrende unterstützt werden muss (vgl. HELLMER 2009). Studierende können im Gegensatz zu Wissenschaftlern in der Regel nicht auf ein breites forschungsmethodisches Repertoire zurückgreifen. Lehrende müssen deshalb regelmäßig forschungsmethodische Impulse setzen. Das trifft auch auf die Entwicklung von Metakognition zu (GRÄSEL/FISCHER/MANDL 2001). Die systematische Aneignung von Denk- und Arbeitsweisen von Wissenschaftlern und Experten der Berufspraxis erfordert im Allgemeinen ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Selbststeuerung. Damit Studierende diese Fähigkeiten sukzessive weiter ausprägen können, ist es notwendig, die Metakognition in den Mittelpunkt der didaktischen Überlegungen zu rücken. Dazu gehört, dass die Studierenden ihr erworbenes forschungsmethodisches Wissen anwenden sowie ihr eigenes Denken und Handeln kontrollieren und bewerten. Das wird im Labor realisiert.

2.4 Labor: Experimentieren und Untersuchung realisieren

Unterstützt durch Mentoren wählen die Studierenden im Labor geeignete Forschungsmethoden und Verfahren aus, entwickeln theoriegeleitet konkrete Untersuchungsinstrumente (z. B. Interviewleitfäden, Skalen, Fragebögen, Formeln) und bereiten die Forschungsdurchführung vor. Im Anschluss erheben sie beispielsweise Daten im Feld, entwickeln Pläne, Skizzen und technische Zeichnungen, erstellen Modelle und führen Experimente durch. Erhobene Daten werten die Studierenden unter anderem mit Hilfe statistischer Verfahren und Technologien (z. B. SPSS) mit einer qualitativen Inhaltsanalyse aus.

In einem weiteren Schritt geht es im Labor auch darum, empirische Daten zu interpretieren, die Ergebnisse auf die Ausgangshypothesen und/oder Theorien zu beziehen sowie gegebenenfalls neue Hypothesen zu entwickeln.

2.5 Transferstudio: Ergebnisse reflektieren und verwerten

Im Transferstudio verwerten die Studierenden ihre Forschungsergebnisse einerseits auf studienorganisatorischer Ebene. Dafür müssen sie sich Techniken zum Verfassen wissenschaftlicher Texte aneignen, selbstständig Essays, Forschungsberichte und Qualifikationsarbeiten anfertigen sowie Präsentationsmaterialien gestalten. Andererseits stellen die Studierenden dar, inwieweit die gefundenen Problemlösungen für die Praxis verwertbar sind. Es geht zudem darum, den realisierten Forschungsablauf kritisch zu reflektieren und Rückschlüsse zu ziehen, wie künftig in ähnlichen Forschungs- und Problemlösesituationen effektiver vorgegangen werden kann.

Eine wichtige Aufgabe der Lehrenden besteht darin, die Arbeitsergebnisse der Studierenden kriteriengeleitet zu bewerten - insbesondere im Hinblick auf das wissenschaftliche Vorgehen, die Anwendung von Methoden und Instrumenten, die Nachvollziehbarkeit der Problemlösung und die Beachtung wissenschaftlicher Standards bei schriftlichen Arbeiten und mündlichen Präsentationen. Die Studierenden sollen ihren Lernerfolg aber auch selbst reflektieren und einschätzen.

Im Ergebnis ihrer Forschungsarbeit präsentieren die Studierenden die Lösungen (Exposition) und diskutieren darüber auf dem Marktplatz gemeinsam mit den Praxispartnern und Lehrenden. Dabei werden auch noch offene Forschungsfragen und Grenzen der studentischen Arbeit thematisiert.

3 Erprobung, Untersuchungsdesign und empirische Befunde

Die Organisationsformen und der didaktisch-methodische Ansatz wurden im Sommersemester 2012 in den Bachelor- und Masterstudiengängen der Wirtschaftspädagogik erprobt und wie folgt in den modularen Ablauf der Studiengänge integriert:

Der Marktplatz wurde zu Semesterbeginn und am Ende jeweils im Rahmen einer dreistündigen Blockveranstaltung realisiert, die als Pflichtbestandteil eines Mastermoduls (4. Fachsemester) und eines Bachelormoduls (2. Fachsemester) konzipiert wurde. Darüber hinaus stand die Teilnahme allen anderen interessierten Studierenden fach- und semesterübergreifend offen. Auf dem Marktplatz wurden zum einen Forschungsprojekte präsentiert und Problemstellungen erörtert, die bei der Entwicklung von Curricula und der Ausgestaltung komplexer Lehr-Lern-Arrangements in universitären Studiengängen und Zusatzqualifikationen der Energie- und Wasserwirtschaft zu lösen sind. Dabei ging es zum Beispiel darum, ein Lehr-Lern-Arrangement zu den Thematiken „Smart Energy“ und „Der Markt für erneuerbare Energien“ für die Weiterbildung in Unternehmen der Energiewirtschaft zu entwickeln. Aufgabe der Masterstudierenden war es, die Problemstellungen zu strukturieren und Forschungsfragen zu entwickeln, die während des Semesters zu bearbeiten waren. Zum Semesterende stellten die Studierenden ihre Lösungsansätze auf dem Marktplatz vor und zur Diskussion. Aufgabe der Bachelorstudierenden war es, die forschungsmethodischen Schritte der Problemfindung und Bearbeitung nachzuvollziehen, die präsentierten Lösungsansätze kritisch zu diskutieren sowie Rückschlüsse für eigene Tätigkeiten (insbesondere bei Seminar- und Bachelorarbeiten) zu formulieren.

Die Werkstatt, das Labor und das Transferstudio wurden in einer Kombination aus einem forschungsmethodischen Grundlagenseminar für Bachelorstudierende des 2. Fachsemesters sowie einem Zusatzangebot für Studierende aller Fachsemester in Form einer wöchentlichen Veranstaltung und semesterbegleitenden individuellen Beratungsgesprächen mit Mentoren umgesetzt. Die Nutzung des Zusatzangebots erfolgte freiwillig und wurde nicht mit Leistungspunkten bewertet. Den Teilnehmern wurde die Möglichkeit gegeben, ihr forschungsmethodisches und fachspezifisches Wissen und Können zu vertiefen und zu reflektieren. Dafür wurden zum einen Übungsaufgaben (u. a. zur Definition von Begriffen, zu lernpsychologischen und didaktischen Theorien, Forschungsmethoden und Instrumenten sowie zum Verfassen wissenschaftlicher Texte) bearbeitet. Zum anderen stellten die Studierenden sich gegenseitig Teile und Lösungsansätze ihrer Seminar- und Bachelorarbeiten vor und diskutierten ihr methodisches Vorgehen. Mentoren moderierten die Gruppendiskussionen und formulierten zu den präsentierten Zwischenergebnissen ein elaboriertes Feedback.

Die Konstruktion und Erprobung des Ansatzes erfolgt im Wechselspiel mit der Evaluation der Lehr-Lern-Prozesse und ist als eine kombinierte Quer- und Längsschnittstudie mit unterschiedlichen Erhebungszeitpunkten (Sommer 2012, 2013, 2014) konzipiert. Anhand standardisierter Fragebögen (mit geschlossenen und offenen Fragen) werden Studierende und Lehrende schriftlich befragt. Dabei ging es unter anderem um die Akzeptanz des Studienangebots, die Motivation und den Lernerfolg der Studierenden sowie die wahrgenommene Unterstützung durch Lehrende. Die folgenden Erörterungen beziehen sich auf die Ergebnisse der Befragung der Studierenden aus dem Sommersemester 2012. Tabelle 1 zeigt die Befragungszeitpunkte und jeweiligen Stichprobengrößen.

Tabelle 1: Befragungszeitpunkte und Stichprobengrößen (SoSe 2012)

Befragungszeitpunkte (ZP)

Stichprobengrößen (n)

insgesamt 44 befragte Studierende, die sich unterschiedlich beteiligten:

ZP1:

vor

1. Marktplatz

n=31, davon 8 MA, 23 BA

ZP2:

nach

1. Marktplatz

n=30, davon 8 MA, 22 BA

ZP 3:

nach

Werkstatt+Labor

n=14, davon kein MA, 14 BA

ZP 4:

nach

Transferstudio

n=7, davon kein MA, 7 BA

ZP 5:

nach

2. Marktplatz

n=20, davon 8 MA, 12 BA

Hinweis: MA = Masterstudierende, BA = Bachelorstudierende.

Die Erhebung erfolgt jeweils vor, während und nach der Erprobung. Die Daten wurden mit Hilfe deskriptiver und induktiver Verfahren sowie qualitativer Inhaltsanalysen ausgewertet. Es ist festzustellen, dass sich die Akzeptanz des Forschenden Lernens im Verlauf des Semesters verändert hat (vgl. Abbildung 2 und 3). Zwar nahmen lediglich wenige Studierende das Zusatzangebot (Werkstatt, Labor und Transferstudio) wahr, im Durchschnitt bewerten die Studierenden das Forschende Lernen dennoch als sehr nützlich. Das tun sie im Vergleich zum Semesterbeginn (Median x1 = 3) am Semesterende (x5 = 4) zudem in signifikant höherem Maße (Wilcoxon-Test, p = 0,013).

Abb. 2: Akzeptanz des MarktplatzesAbb. 2: Akzeptanz des Marktplatzes

Abb. 3: Akzeptanz des MarktplatzesAbb. 3: Akzeptanz des Marktplatzes

Die Nutzenbewertung korreliert dabei hoch signifikant mit berufsbezogenen Teilnahmemotiven (Spearman RS = .748), dem selbst wahrgenommenen Lernerfolg (RS = .659) sowie der wahrgenommenen Unterstützung bei der Problemstrukturierung (RS = .725). Als Grund für die Nichtteilnahme am zusätzlichen Studienangebot wird insbesondere ein Mangel an Zeit genannt, ein Argument, das im früheren Diplomstudiengang kaum angeführt worden ist, obwohl die zu bewältigende Stofffülle deutlich höher war.

Die Daten zeigen auch, dass die Studierenden vor allem aus selbstbestimmten Motiven forschend lernen (z. B. um eigene berufliche Ziele zu verwirklichen) (x = 4,57). Je weniger die Motivation der Studierenden fremdbestimmt ist, desto eher nehmen sie zusätzliche Studienangebote zur Werkstatt und zum Labor in Anspruch (RS = .437) bzw. beteiligen sich am Transferstudio (RS = .357) (vgl. Abbildung 4 und 5). Die Zusammenhänge sind signifikant.

Abb. 4: StudiermotivationAbb. 4: Studiermotivation

Abb. 5: StudiermotivationAbb. 5: Studiermotivation

Es wird darüber hinaus deutlich, dass forschendes Lernen zur Veränderung der Studienmotivation beitragen kann: Die Studierenden geben im Vergleich zum Semesterbeginn am Ende z. B. in signifikant höherem Maße an, dass es ihnen Spaß macht, Lösungen für die Praxis zu erarbeiten (x1 = 4, x5 = 5, p = 0.048). Die Daten deuten dabei auf ein spezifisches Antwortverhalten von Bachelor- und Masterstudierenden hin: Die Art des Studiengangs steht zum einen in einem signifikanten Zusammenhang mit berufsbezogenen Motiven zum forschenden Lernen (RS = .643). Zum anderen bestehen zwischen beiden Gruppen signifikante Unterschiede hinsichtlich des forschungsmethodischen Wissens und Könnens (Mann-Whitney-U, p = 0,002) (vgl. Abbildung 6 und 7).

Abb. 6: Wissen und Können der StudierendenAbb. 6: Wissen und Können der Studierenden

Abb. 7: Wissen und Können der StudierendenAbb. 7: Wissen und Können der Studierenden

Der Lernerfolg wird aus Studierendensicht zwar durch alle vier Organisationsformen (Marktplatz, Werkstatt, Labor, Transferstudio) gefördert. Die Datenlage zeigt jedoch auch, dass es bei deren didaktisch-methodischer Ausgestaltung weiteren Entwicklungsbedarf gibt, und zwar vor allem im Hinblick auf (vgl. Abbildung 8):

  1. die Strukturierung von Forschungsproblemen sowie die Formulierung von Forschungsfragen und von Zielen der Forschung;
  2. die Auswahl von theoretischen Konzepten zur Erklärung und Bearbeitung praxisrelevanter Forschungsprobleme;
  3. die Auswahl geeigneter Forschungsmethoden;
  4. die Datenerhebung im Feld und
  5. die Interpretation der Untersuchungsergebnisse.

Abb. 8: Hilfestellungen beim Forschenden LernenAbb. 8: Hilfestellungen beim Forschenden Lernen

Die Auswahl von Forschungsmethoden, die Datenerhebung im Feld und die Interpretation von Untersuchungsergebnissen sind in der Literatur hinreichend theoretisch fundiert und auch handlungsleitend beschrieben. Dafür bieten sich zudem Übungen an, die Studierende weitgehend selbständig bewältigen können und bei denen sie die individuellen Lösungen mit Musterlösungen vergleichen können. Anders sieht es im Hinblick auf die Strukturierung von Forschungsproblemen, die Formulierung von Forschungsfragen und von Zielen der Forschung sowie die Auswahl von theoretischen Konzepten zur Erklärung und Bearbeitung praxisrelevanter Forschungsprobleme aus. Die Literaturlage hierzu ist defizitär. Das betrifft sowohl den Bezug zu konkreten Forschungsproblemen als auch mögliche verschiedene (fachliche) Perspektiven auf ein Forschungsproblem sowie den handlungsleitenden Charakter zahlreicher Veröffentlichungen. Wir versuchen diese Lücke derzeit durch die Entwicklung von Handbüchern zu schließen, die den Forschungsprozess ausgehend vom konkreten Praxisproblem detailliert beschreiben und dabei insbesondere die dabei getroffenen Entscheidungen sowie mögliche Alternativen thematisieren.

4 Ein kurzer Schluss

Die bisherigen Projektergebnisse stimmen optimistisch im Hinblick auf die Wirkungen des vorgelegten Ansatzes. Unabhängig davon bedarf es weiterer didaktisch-methodischer Überlegungen, um das entwickelte Vorgehen unter den Bedingungen der aktuellen Studienstrukturen dauerhaft und als strukturtragendes Element zu etablieren. Dabei geht es neben studienorganisatorischen Problemen insbesondere um die Fragestellung, wie der Schwierigkeitsgrad der zu lösenden Praxisprobleme zum einen in Bezug auf die unterschiedlichen Anforderungen der Bachelor- und Masterstudiengänge und zum anderen hinsichtlich der individuellen Lernvoraussetzungen der Studierenden variiert werden kann, um sowohl im Curriculum als auch in den Lernprozessen „von einfachen zu komplexen Strukturen und Zusammenhängen“ voranzuschreiten. Darüber hinaus gibt es weiteren Untersuchungs- und Diskussionsbedarf in Bezug auf folgende Fragestellungen:

Zum einen ist zu prüfen, wie eine Kooperation zwischen Universität und Unternehmen bzw. Verwaltungsorganisationen ausgestaltet werden kann, sodass einerseits regelmäßig Praxisprobleme generiert werden, die den Ausgangs- und Bezugspunkt für die Forschungs-, Lehr- und Lernprozesse bilden und die andererseits die Autonomie der Universität bzw. die Freiheit von Forschung und Lehre nicht einschränkt.

Zum anderen ist zu erörtern, inwieweit das (praxis)problembasierte Forschende Lernen auf andere (z. B. wirtschaftswissenschaftliche) Studienrichtungen übertragen werden kann bzw. inwieweit dabei fachdidaktische Spezifika (z. B. theoretisch gewonnene Problemstellungen) zu berücksichtigen sind, ob und in welcher Art und Weise Studierende im Kontext eines solchen Ansatzes zum Erkenntnisgewinn im Fach beitragen können bzw. wie Praxis- respektive Forschungsprobleme didaktisch-methodisch aufzubereiten sind, um solche Beiträge zu ermöglichen.

Literatur

FRIEDRICHS, J. (1990): Methoden empirischer Sozialforschung, 14. Auflage. Opladen.

GRÄSEL, C./ FISCHER, F./ MANDL, H. (2001): The Use of Additional Information in Problemoriented Learning Environments. In: Learning Environments Research 3, 287-305.

HELLMER, J. (2009): Forschendes Lernen an Hamburger Hochschulen - Ein Überblick über Potentiale, Schwierigkeiten und Gelingensbedingungen. In: HUBER, L./ HELLMER, J./ SCHNEIDER, F. (Hrsg.): Forschendes Lernen im Studium. Aktuelle Konzepte und Erfahrungen. Bielefeld, 201-223.

RENKL, A. (1997): Lernen durch Lehren. Zentrale Wirkmechanismen beim kooperativen Lernen. Wiesbaden.

SCHNEIDER, R./ WILDT, J. (2009): Forschendes Lernen und Kompetenzentwicklung. In: HUBER, L./ HELLMER, J./ SCHNEIDER, F. (Hrsg.): Forschendes Lernen im Studium. Aktuelle Konzepte und Erfahrungen. Bielefeld, 53-69.

TRAMM, T. (1992): Konzeption und theoretische Grundlagen einer evaluativ-konstruktiven Curriculumstrategie - Entwurf eines Forschungsprogramms unter der Perspektive des Lernhandelns. Berichte des Seminars für Wirtschaftspädagogik der Georg-August-Universität, Band 17. Göttingen.

Zitieren des Beitrags

KLAUSER, F. (2014): Problemlösendes Denken und Handeln im wirtschaftspädagogischen Studium: die Sicht der Studierenden. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Profil 3, 1-13. Online: http://www.bwpat.de/profil3/klauser_profil3.pdf  (23-05-2014).