bwp@ Spezial 10 - November 2015

Berufsbildungsforschung im Gesundheitsbereich

Hrsg.: Ulrike Weyland, Marisa Kaufhold, Annette Nauerth & Elke Rosowski

Bewältigung demografiebedingter Herausforderungen in Pflegeberufen – Lösungsansätze und Praxisbeispiele

In den Pflegeberufen wird zukünftig eine geringere Zahl von Berufseinsteiger/-innen einer stetig wachsenden Zahl pflegebedürftiger Älterer gegenüberstehen. Dem Fachkräftemangel in der Pflege kann nur dann wirkungsvoll entgegengewirkt werden, wenn die erfahrenen Kräfte länger als bisher im Beruf verbleiben.

Der Aufsatz verdeutlicht, welchen Beitrag Projekte der anwendungsorientierten Berufsbildungsforschung leisten können, um die demografiebedingten Herausforderungen in Pflegeberufen zu bewältigen. Vorgestellt werden einzelne in einem Forschungs- und Entwicklungsprojekt erprobte Lösungsansätze zur Entwicklung einrichtungsbezogener Konzepte. Fokussiert wird auf Einrichtungen der ambulanten und stationären Altenpflege.

1 Einleitung

Zukünftig werden die in der Pflege zu verrichtenden Arbeitstätigkeiten mit einer zunehmend älter werdenden Belegschaft ausgeführt werden müssen. Hinzu kommt, dass die Zahl chronisch Kranker und Schwerstpflegebedürftiger weiter ansteigt. Die Nachfrage nach Pflegedienstleistungen wächst auch daher, da die Zahl der Einpersonenhaushalte ansteigt und damit die Zahl derer, die ihre Familienangehörigen nicht selbst pflegen.

Die Anforderungen an die Beschäftigten in Pflegeberufen sind heute bereits hoch. Angesicht der zu erwartenden Veränderungen werden sie noch weiter zunehmen. Schon heute wird von einem Fachkräftemangel in Pflegeberufen gesprochen: Die durchschnittliche Verweildauer in Pflegeberufen ist vergleichsweise gering, und junge Menschen empfinden den Beruf als wenig attraktiv.

Eine große Zahl an Herausforderungen ist zukünftig zu bewältigen. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel des Beitrags aufzuzeigen, welchen Beitrag transferorientierte Projekte der Berufsbildungsforschung leisten, um die Folgen des demografischen Wandels für Pflegeeinrichtungen handhabbar zu machen. Auf Basis erprobter Erkenntnisse aus einem anwendungsorientierten Forschungs- und Entwicklungsprojekt werden Lösungsansätze mit Blick auf den längeren Erhalt der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit der Pflegekräfte und die Reduktion von Arbeitsbelastungen beispielhaft benannt und der Entstehungsprozess skizziert. Abschließend wird auf Basis der Evaluationsergebnisse diskutiert, welche Wirkungen die Lösungsansätze erwarten lassen.

Die Erkenntnisse basieren auf den Ergebnissen des Projektes „Älter werden in der Pflege“, das vom Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) zusammen mit der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) durchgeführt und von der Robert Bosch Stiftung gefördert wurde.

2 Ausgangslage: Herausforderungen für die Pflege

In der Pflege ergibt sich seit Jahren eine paradoxe Situation, die sich aus den Folgen des demografischen Wandels begründen lässt. Der steigenden Zahl an Pflegebedürftigen steht eine geringere Anzahl an Pflegekräften gegenüber, die darüber hinaus durchschnittlich älter wird. Die Herausforderungen lassen sich in quantitative und qualitative unterscheiden und werden nachfolgend kurz skizziert.

Die quantitativen Herausforderungen beziehen sich vor allem auf die demografischen Trends:

1. Rückgang und Alterung des Erwerbspersonenpotenzials: Wird allein das Erwerbspersonenpotenzial berücksichtigt, so ist ein deutlicher Rückgang bis zum Jahr 2025 erkennbar. Es wird nach vorliegenden Prognosen von 44,7 Mio. im Jahr 2008 auf 41,3 Mio. im Jahr 2025 sinken (vgl. Fuchs 2013, 401). In dieser Betrachtung ist bereits eine jährliche durchschnittliche Nettozuwanderung von rund 100.000 Personen eingerechnet. Der Trend wird sich auch nach 2025 weiter fortsetzen.

Mit Blick auf die Altersgruppen ist weiterhin ein Ansteigen des Durchschnittsalters des Erwerbpersonenpotenzials deutlich erkennbar. Während die Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen bis zum Jahr 2020 auf unter 20 Mio. sinkt, steigt in demselben Zeitraum der Anteil der älteren über 50- bis 64-Jährigen auf rund 15 Mio. an und sinkt dann ebenfalls bis zum Jahr 2015 wieder leicht ab (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Altersstruktur des Erwerbspersonenpotenzials bis 2050 (in Tausend) (Fuchs et al. 2011, 5)Abbildung 1: Altersstruktur des Erwerbspersonenpotenzials bis 2050 (in Tausend)
(Fuchs et al. 2011, 5)

Mit Blick auf die in den Pflegeberufen Beschäftigten ist schlussfolgernd aus den prognostizierten Entwicklungen ein weiterer Anstieg des Altersdurchschnitts zu erwarten. Der bisherige Trend wird fortgesetzt. Während sich in der Altenpflege die Zahl der Beschäftigten über 50 Jahre seit dem Jahr 2000 innerhalb von acht Jahren verdoppelt hat (von 49.000 im Jahr 2000 auf 98.000 im Jahr 2008), stieg der Anteil der unter 35-Jährigen erkennbar langsamer an (vgl. Isfort/Weidner 2010, 28). Die Gruppe der über 50-jährigen Mitarbeiter ist aktuell größer als die unter 35-Jährigen.

2. Anstieg der zu pflegenden Personen: Bundesweit wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen gemäß Szenarien von 2,3 Mio. im Jahr 2009 auf 3,4 Millionen im Jahr 2030 ansteigen. Dies entspricht einem Anstieg von 47,4 Prozent des Ausgangswertes (vgl. Bertelsmann Stiftung 2012, 34).

3. Ansteigender Personalbedarf: Mit dem Anstieg der zu pflegenden Personen ist auch ein höherer Personalbedarf zu erwarten.Beispielsweisewird in der stationären Pflege der Personalbedarf bis zum Jahr 2030 von 441.000 auf 704.000 und damit um etwa 263.000 (60 Prozent) Vollzeitäquivalente steigen (siehe Szenario 1 in Abbildung 2) (vgl. Bertelsmann Stiftung 2012, 54). Dieser Anstieg begründet sich zum einen aus der Alterung der Bevölkerung und zum anderen aus dem damit einhergehenden Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen. Das sich das Arbeitsangebot aufgrund des rückläufigen Erwerbspersonenpotenzials reduziert, entsteht nach diesem Szenario in der stationären Pflege eine Bedarfslücke von 318.000 Vollzeitäquivalenten.

Abbildung 2: Bedarf und Angebot an stationärem Pflegepersonal in Deutschland (Projektion) (Bertelsmann Stiftung 2012, 55)Abbildung 2: Bedarf und Angebot an stationärem Pflegepersonal in Deutschland (Projektion) (Bertelsmann Stiftung 2012, 55)

In qualitativer Hinsicht ist vor allem der veränderte Pflegebedarf zu nennen. Ob der Zahlen ist mit einem Anstieg professioneller Pflegedienstleistungen zu rechnen. Es werden mehr hochaltrige, multimorbide und demente Patienten zu pflegen sein. Im Krankenhaus beispielsweise wird die Dauer der Pflege älterer Patienten deutlich langwieriger und zeitaufwendiger werden als die für jüngere (vgl. Statistisches Bundesamt 2007). Dies hat zur Folge, dass sich auch die psychischen und physischen Belastungen für die Pflegekräfte erhöhen mit negativen Auswirkungen auf die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit und letztlich auf die durchschnittliche Beschäftigungsdauer im Pflegeberuf (vgl. Freiling 2011).

Wird ob der Herausforderungen zusätzlich berücksichtigt, dass in den kommenden Jahren mit einem deutlichen Rückgang der Schülerabsolventenzahlen zu rechnen ist (vgl. KMK 2013) ist mit einem deutlichen Mangel an Pflegekräften zu rechnen. Nach einer Umfrage der Bundesagentur für Arbeit bei den Ländern wird nach derzeitigen Schätzungen allein in der Kurzzeitperspektive bis zum Jahr 2016 bzw. 2020 von einem Mangel von bis zu 18.800 Altenpflegekräften ausgegangen (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2014, 8). Langfristig wird nach 2025 von einem massiven Arbeitskräftemangel gesprochen (vgl. Afentakis/Maier 2010, 1001).

Ob dieser benannten Herausforderungen ist zu fragen, wie und durch welche Handlungsansätze und Strategien die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit der Beschäftigten in der Pflege erhöht werden kann. Deutlich wird, dass es sich um mehrdimensionale Ansätze handeln muss, da nicht nur die Kompetenzen der Mitarbeiter/-innen, sondern vor allem auch die Arbeitssituation in den Pflegeeinrichtungen Einfluss auf das Leistungsvermögen der Beschäftigten nehmen.

3 Methodik

Als Methode zur Generierung der Handlungsansätze wurden Fallstudien (vgl. Mayring 2001) durchgeführt und zwar in zwei ambulanten und zwei stationären Altenpflegeeinrichtungen sowie in zwei Krankenhäusern. Die insgesamt sechs Fallstudien intendierten die Identifizierung und Erprobung von Lösungsstrategien unter Berücksichtigung der benannten Herausforderungen des demografischen Wandels in Pflegeberufen.

Grundgelegt wurde ein Mehrebenen-Ansatz mit insgesamt vier Arbeitsphasen (Analyse, Konzepterarbeitung, Erprobung, Evaluation) und unter Berücksichtigung unterschiedlicher, nachfolgend beschriebener Methoden und Instrumente.

Abbildung 3: Fallstudienkonzept (eigene Darstellung)Abbildung 3: Fallstudienkonzept (eigene Darstellung)

Während der Analysephase (Betriebs-Check) erfolgte pro Einrichtung die Analyse zum einen personalwirtschaftlicher Risiken und zum anderen Potenziale zur Bewältigung der Herausforderungen. Folgende Methoden bzw. Instrumente fanden dabei Berücksichtigung:

  • Altersstrukturanalyse: Grundlage des Instruments sind wenige aktuelle Daten zur Altersstruktur der Belegschaft, die in die Zukunft fortgeschrieben werden (vgl. Gerisch/Knapp/Töpsch 2010). Somit lassen sich Erkenntnisse über zukünftige personelle Engpässe in bestimmten Arbeitsbereichen oder Abteilungen identifizieren.
  • Arbeitssituationsanalyse (ASitA): Die Methode ermöglicht Erkenntnisse über betriebliche Belastungssituationen, die gemeinsam mit Beschäftigten in Workshops generiert werden, da diese am ehesten über ihre Arbeitssituation Auskunft geben können (vgl. Gerisch/Knapp/Töpsch 2010). Ein Schwerpunkt wurde auf demografiebedingte Problemlagen gelegt.

In der Phase der Konzepterarbeitung fand die Entwicklung unterschiedlicher Handlungsstrategien auf Basis der Ergebnisse aus der Analysephase statt. Dies erfolgte mit den betrieblichen Expert/-innen gemeinsam auf Basis von jeweils zwei Workshops. Zentrale Fragestellungen waren dabei die ins Auge zu fassende Risiken, die Art der in jeder Einrichtung bestehenden Bedarfslage und die Art der kurz- und mittelfristig in den nächsten 3-5 Jahren umzusetzenden Strategien. Berücksichtigt wurden ‑ aufgrund der mehrdimensional beeinflussten Problemlage ‑ unterschiedliche Handlungsfelder wie „Kompetenz und Entwicklung“, „Personalgewinnung und -bindung“, „Führung- und Unternehmenskultur“, „Arbeitsorganisation und -gestaltung“ sowie „Gesundheitsförderung“. Im Ergebnis entstand ein auf die betriebliche Situation hin ausgerichtetes Maßnahmenbündel.

Die Erprobungsphase intendierte die exemplarische Umsetzung und Erprobung der entwickelten Maßnahmenbündel in Form einer formativen Prozessbegleitung. Umsetzungsschritte wurden gemeinsam mit den operativen Akteuren in jeder Einrichtung (u. a. Pflegedienstleitung, interessierte Mitarbeiter/-innen) besprochen, in regelmäßigen Reflexions-Workshops innerhalb eines Jahres auf ihren Erfolg hin überprüft und Veränderungsnotwendigkeiten abgeleitet und umgesetzt. Während dieser Phase wurden zudem Erkenntnisse für die Evaluation der Lösungsstrategien generiert. Bedingung für eine erfolgreiche Implementierung derartiger Strategien ist ein auf jede Einrichtung zugeschnittenes Maßnahmen-Portfolio, das nach der Konzepterarbeitung individuell erarbeitet wird.

Die Evaluation konzentrierte sich auf die Merkmale Implementierungsstrategie, Prozessgestaltung, Ergebnisse und Wirkung sowie Nachhaltigkeit der implementierten Lösungen. Durchgeführt wurden je Einrichtung Dokumentenanalysen, durchschnittlich rund vier leitfadengestützte Interviews mit den verantwortlichen Akteuren in den Einrichtungen, Gruppeninterviews mit den beteiligten Mitarbeiter/-innen sowie teilnehmende Beobachtungen in den Workshops.

4 Lösungsansätze

Die im Projekt entwickelten und erprobten Lösungsansätze orientieren sich an unterschiedlichen Einflussfaktoren zur Förderung der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter/-innen in der Pflege. Nicht nur die Schaffung besserer Arbeitsbedingungen oder individueller Entwicklungsmöglichkeiten sind entscheidend, wenn es darum geht, länger und vor allem gesund im Pflegeberuf arbeiten zu können. Weitere Faktoren wie Führung oder die Gesundheitsförderung kommen hinzu.

Dem Projekt zugrunde gelegt wurde daher ein Modell, das unterschiedliche Einflussfaktoren zum Erhalt der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit berücksichtigt und in einen ganzheitlichen Ansatz zusammenführt (vgl. Abbildung 4). Das zugrundeliegende Konzept bezieht sich auf das Modell „Haus der Arbeits(bewältigungs)fähigkeit“ (vgl. Ilmarinen/Tempel 2002) und ergänzt diese um Elemente des Konzeptes zur Beschäftigungsfähigkeit in einem integrierten Ansatz. Beschäftigungsfähigkeit meint hier „die Fähigkeit, fachliche, soziale und methodische Kompetenzen unter sich wandelnden Rahmenbedingungen zielgerichtet und eigenverantwortlich anzupassen und einzusetzen, um eine Beschäftigung zu erlangen oder zu erhalten“ (Rump/Eilers 2006, 21).

Abbildung 4: Faktoren der Beeinflussung der Leistungsfähigkeit Erwerbstätiger (eigene Darstellung)Abbildung 4: Faktoren der Beeinflussung der Leistungsfähigkeit Erwerbstätiger
(eigene Darstellung)

Die einzelnen Faktoren werden nachfolgend erläutert und mit Gestaltungsbeispielen aus den begleitenden Altenpflegeeinrichtungen bebildert.

4.1 Faktor „Kompetenz und Entwicklung“

Der Faktor intendiert den Auf- und Ausbau fachlicher und überfachlicher Kompetenzen. Es geht darum, bereits vorhandene Kompetenzen zu erkennen und die Voraussetzungen in den Einrichtungen zu schaffen, um während der Berufstätigkeit das Weiterlernen kontinuierlich zu ermöglichen. Es kommt darauf an, adäquate Lernarrangements in den Organisationen zur Vermittlung der notwendigen Kompetenzen zu gestalten, so dass die Pflegekräfte mit vertretbarem Aufwand an Weiterbildung partizipieren können.

Weiterbildung meint dabei nicht automatisch das Lernen in formalisierten, sondern insbesondere in arbeitsplatznahen Lernsituationen. Dies entspricht den spezifischen Anforderungen des Berufes. Es bietet sich an, sehr individuelle Lösungen zu entwickeln beispielsweise mithilfe durchgeführter individueller Bildungsbedarfsanalysen.

In unterschiedlichen Einrichtungen sind die folgenden praktikablen und arbeitsprozessnahen Lösungen entwickelt und erprobt worden (vgl. Freiling/Gottwald 2011, 20):

Förderung des Wissens- und Erfahrungsaustauschs zwischen Älteren und Jüngeren: Es werden so genannte Pflegeabende durchgeführt, die das Ziel des Wissensaustauschs haben. Ältere Mitarbeiter/-innen stellen ihr Erfahrungswissen, z. B. zum Umgang mit schwierigen Patientinnen und Patienten und Angehörigen oder zum Umgang mit Leid und Tod zur Verfügung. Umgekehrt präsentieren jüngere Beschäftigte aktuelles Fachwissen beispielsweise zum Thema „Multimorbidität“.

Entwicklungsplanung: Das Thema Weiterbildung wird in Mitarbeitergesprächen angesprochen. Es kommt darauf an, auf Basis bestehender Kompetenzen Entwicklungsmöglichkeiten zu thematisieren. Kompetenzpässe helfen, das Gespräch vorzubereiten und systematisch auszurichten. Sie berücksichtigen auch informell erworbene Kompetenzen (vgl. Loebe/Severing 2010).

Strategische Nachfolgeplanung: Auch im Kontext einer Nachfolgeregelung spielt die Kompetenzentwicklung zur Vorbereitung auf die Übernahme verantwortungsvoller Tätigkeiten eine Rolle. Auf Basis der Ergebnisse einer durchgeführten Altersstrukturanalyse für die gesamte Einrichtung und pro Station bzw. pro Arbeitsbereich ist es möglich, das Thema Weiterbildung mit der Entwicklungsplanung zu verbinden.

4.2 Faktor „Personalgewinnung und Personalbindung“

Auf dem Arbeitsmarkt stehen aufgrund des demografischen Faktors (vgl. Kapitel 2) immer weniger und zudem immer weniger gut qualifizierte Mitarbeiter/-innen zur Verfügung. Zu bedenken ist auch das bestehende negative Berufsimage der Pflegeberufe (vgl. Bomball et al. 2010). Hinzu kommt, dass die durchschnittliche Verweildauer beispielsweise in der Altenpflege bei nur 8,4 Jahren liegt (vgl. Hackmann 2009, 19). Herausforderung ist es, neue Wege der Rekrutierung und Bindung zu gehen, um dringend benötigte Pflegekräfte zu gewinnen. Folgende Strategien sind von den Einrichtungen umgesetzt worden:

Neue Rekrutierungswege: Es sind neue Zielgruppen angesprochen worden wie Migrantinnen und Migranten oder Wiedereinsteiger/-innen. Eine Einrichtung hat sich gezielt an ältere Mitarbeiter/-innen gewandt und diese eingestellt.

Positive Imagebildung: Es gilt, potenzielle Bewerber/-innen gezielt anzusprechen und für den Beruf zu gewinnen (auch Berufsorientierung in Schulen).

Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Eine Altenpflegeeinrichtung hat in Kooperation mit regionalen Trägern Betreuungsangebote für Kinder von Mitarbeiterinnen auch zu Spät- und Nachtzeiten organisiert und etabliert.

Wertschätzung von Berufs- und Lebenserfahrung: In einer Einrichtung wurde das Einarbeitungskonzept überarbeitet. Es sieht vor, dass erfahrene Mitarbeiter/-innen als Paten die Einarbeitung neuer Kolleginnen und Kollegen betreuen. Grundlage sind neu erarbeitete Checklisten. Auch die Einarbeitung von Quer- und Wiedereinsteigern kann so effizienter gestaltet werden. Die Überarbeitung des Konzepts führt zur Entlastung der Mitarbeiter/-innen, die sich mehr den Pflegeaufgaben widmen können.

4.3 Faktor „Führung und Unternehmenskultur“

Führungskräfte sind wichtige Treiber und Promotoren einer demografiesensiblen Unternehmenskultur. Ein Umdenken ist insbesondere zur Etablierung von Orientierungsmustern an den Kategorien „Kompetenz“ und „Ergebnis“ erforderlich, statt sich an Kategorien wie dem Alter zu orientieren. Führungskräfte vermitteln Ziele, Leitlinien und Werte des Unternehmens. Sie sind somit auch Vorbilder im Hinblick auf die Förderung und Initialisierung eines Miteinanders von Jung und Alt in den Pflegeeinrichtungen.

Ihre Rolle ist diesbezüglich komplex. Sie bekommen die Aufgabe, zur Wertschätzung der Mitarbeiter/-innen in ihrer täglichen Arbeit beizutragen und dem Abbau von Vorruhestandsdenken Vorschub zu leisten. Selbst das Hinwirken auf die Beschäftigten, einen Blick für eine längere Lebensarbeitszeit zu entwickeln, gehört in ihren Aufgabenbereich.

Im Projekt sind daher einzelne Maßnahmen zur diesbezüglichen Qualifizierung der Führungskräfte umgesetzt worden. Es wurde in begleitenden Workshops für die Übernahme dieser Aufgaben sensibilisiert.

Weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Führungs- und Unternehmenskultur sind (vgl. Geldermann 2011, 67):

  • Überprüfung des Führungsverhaltens und Erstellung von Führungsleitlinien beispielsweise in Umsetzungsworkshops
  • Integration des Themas „Arbeiten bis zur Rente“ in den Mitarbeitergesprächen
  • Klärung des Verhältnisses unterschiedlicher Führungsebenen zueinander, um Unklarheiten vorzubeugen

4.4 Faktor „Arbeitsorganisation und -gestaltung“

Voraussetzung eines längeren Erhalts der Arbeitsfähigkeit ist eine nähere Betrachtung des jeweiligen Arbeitsplatzes, der Arbeitsumgebung, der Arbeitsmittel und der Arbeitsprozesse. In der Pflege resultieren Belastungsfaktoren beispielsweise aus Problemen bei der Arbeits-/Schichtplangestaltung, unklarer Kommunikation oder Zuständigkeiten zwischen den einzelnen Berufsgruppen. Über die Arbeitssituationsanalyse (ASitA) mit demografieorientiertem Schwerpunkt können Belastungsfaktoren identifiziert sowie zu verändernde Belastungsschwerpunkte priorisiert werden.

In den einzelnen Einrichtungen sind unterschiedliche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt worden:

Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Fachkräftegruppen: Unklare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zwischen der Pflege und der Hauswirtschaft wirken sich negativ auf das Arbeitsklima aus und führen zu psychischen Belastungen. Schnittstellen- und Aufgabenanalysen tragen dazu bei, Defizite zu erkennen und zu bearbeiten.

Regelmäßige Dienstbesprechungen: Dienstbesprechungen werden regelmäßig durchgeführt mit dem Ziel, die interne Kommunikation zu verbessern und Probleme bei der Prozessgestaltung aufzulösen.

Einstellung einer Entlastungskraft: Um mehr Zeit für Pflegeaufgaben zur Verfügung zu stellen, wurde auf einer Pilotstation eine Entlastungskraft eingestellt, die nicht-pflegerische Nebentätigkeiten der Pflegekräfte ausführt[1]. Es handelte sich um zwei Teilzeitkräfte, die zu Spitzenzeiten verstärken.

Altersgemischte Arbeitsteams: Der systematische Einsatz von altersgemischten Teams mit unterschiedlichen Aufgaben zielt auf die Verschränkung vorhandener Fachkompetenzen und Erfahrungen ab.

Es haben sich weitere kleinere Lösungen ergeben, die eine größere Wirkung erzielen können. Dazu gehören die Verbesserung der Tourenorganisation ambulanter Pflegekräfte genauso wie die Überprüfung und genaue Festlegung der Aufgabenverteilung.

4.5 Faktor „Gesundheitsförderung

Ziel ist der Erhalt und die Entwicklung der Beschäftigungsfähigkeit über den gesamten Erwerbsverlauf hinweg, basierend auf Maßnahmen zum Erhalt der physischen und psychischen Gesundheit. Eine gesundheitliche Förderung des Arbeitsumfeldes wirkt sich positiv auf die Leistungsfähigkeit aus. Bekannt ist, dass die Arbeitsbelastung in Pflegeberufen sehr hoch ist und die körperlichen pflegerischen Tätigkeiten von den Beschäftigten als sehr belastend erlebt werden (vgl. Kromark/Ostendorf 2011, 27). Quantitative Anforderungen erwachsen u. a. aus dem Mehrschichtsystem, dem Arbeitsaufkommen oder Arbeitstempo. Qualitative Anforderungen bestehen beispielsweise aufgrund der Konfrontation mit Leid, Sterben oder Tod oder auch durch aggressive Patienten und Angehörige (ebd.).

Die einzelnen Einrichtungen haben die Möglichkeit, das Umfeld mit zu gestalten (Verhältnisprävention) und auf die Beschäftigten einzuwirken, Angebote der Gesundheitsförderung wahrzunehmen (Verhaltensprävention) (vgl. Freiling/Gottwald 2011, 24). Unterschiedliche Strategien sind dahingehend erprobt worden:

  • Gesundheitsprogramme/Entspannungstraining: Als Entspannungstraining wurde aus dem Angebot einer Krankenkasse beispielsweise die Blitzentspannung ausgewählt und erprobt. Diese ermöglicht kurze Entspannungsübungen am Arbeitsplatz.
  • Kostenlose Besuche eines Freizeitbades: Angebote zur Wassergymnastik konnten mit Besuch des Bades verbunden werden. Zudem wurde das Angebot von den Beschäftigten als Würdigung ihrer Arbeit empfunden.
  • Fahrsicherheitstraining: Alle Mitarbeiter/-innen einer ambulanten Altenpflegeeinrichtung absolvierten ein Fahrsicherheitstraining in Kooperation mit einem Automobilclub. Das hektische Fahren im dichten Verkehr führte nicht selten zu Unfällen und damit zu Gefährdungen.
  • Weiterbildungsangebot am Pflegebett: Unterweisungen am Pflegebett sollten das gesundheitsgerechte Heben und Tragen fördern. Ein Physiotherapeut unterwies die Pflegekräfte am Pflegebett zum Thema „körpergerechte Haltung und kräfteschonendes Arbeiten am Pflegebett“
  • Dialog Gesundheit: In fest institutionalisierten Gesprächen zwischen Führungs- und Pflegekräften werden körperliche und psychosoziale Belastungen identifiziert. Präventives Handeln auch des Arbeitgebers wird somit ermöglicht.
  • Anreizsystem: Zur Unterstützung von Verhaltensänderungen bei der Teilnahme an Gesundheitsangeboten wurden Anreize geschaffen wie z. B. der Erhalt zusätzlicher Urlaubstage bei nachgewiesener kontinuierlicher Fitness-Teilnahme.

5 Fazit

Die Entwicklung und Erprobung derartiger Strategien hat unterschiedliche Wirkungen erkennen lassen, die im Rahmen der Evaluation herausgearbeitet worden sind.

Festzustellen waren unterschiedliche Wirkungen aufgrund der Einbeziehung interessierter Beschäftigter in die laufenden Projektarbeiten: von der Problemanalyse bis hin zur Umsetzung einzelner Arbeitsschritte. Dies wirkt erkennbar motivationsförderlich und zeigt zudem, dass vielfältige Ideen bei den Beschäftigten selbst vorhanden sind, die von den Einrichtungen genutzt werden sollten. Zudem weist die Aktivierung auch kompetenzförderliche Effekte auf. Nicht nur fachliche, sondern auch methodische Kompetenzen werden erworben, die auch auf andere Anwendungskontexte übertragbar sind. Zusammen mit handhabbaren Instrumenten ergeben sich gute Voraussetzungen für die Problembearbeitung in den Einrichtungen.

Unterschiedliche Instrumente zur Unterstützung eines demografieorientierten Unternehmens können in die Prozesse der Einrichtungen implementiert werden, die nachhaltig Bestand haben. Dazu gehören beispielsweise die Einführung oder Modifikation von Mitarbeitergesprächen, Instrumente zur Bilanzierung vorhandener Kompetenzen oder auch Einarbeitungs- und Entwicklungskonzepte. Dies erhöht die Systematisierung der Arbeitstätigkeit.

Auch Belastungsfaktoren können reduziert werden beispielsweise durch die Verbesserung von Arbeitsabläufen, die Kommunikation zwischen den Fachkräftegruppen oder durch Angebote der Gesundheitsförderung.

Sicherlich handelt es sich um Strategien der kleinen Schritte, die aber einerseits zu einem stärkeren Bewusstsein für die Thematik beitragen und zum anderen eher anhaltende Veränderungen bewirken. Weitere Schritte und Aktivitäten sind sicherlich zur Verbreitung und Stabilisierung der Aktivitäten erforderlich. Die Strategie der kleinen Schritte kommt dort an Grenzen, wo das Kernproblem nicht mehr von Einzelnen beeinflusst werden kann. Dies ist erkennbar beispielsweise an dem Erfordernis der Entwicklung alternativer Beschäftigungswege. Hier gilt es, Wege zu identifizieren, die zu den Anforderungen und Erwartungen älterer und erfahrener Mitarbeiter/-innen passen und zumeist mit einem Tätigkeitswechsel verbunden sind. Dazu braucht es ein Kommittent der gesamten Einrichtung einschließlich der Geschäftsführung.

Zudem werden zukünftig organisatorische und technische Veränderungen zu erwarten sein. Neue Pflegekonzepte bewirken einen veränderten Aufgabenzuschnitt mit Blick auf alle Beschäftigtengruppen in den Einrichtungen. Hier gilt es, demografiebedingte Herausforderungen von Beginn an mit zu berücksichtigen. Dies kann sicherlich nicht allein von den Akteuren in den Einrichtungen geleistet werden, sodass komplementäre Forschungs- und Entwicklungsprozesse die Arbeit flankieren sollten (vgl. Freiling 2011a, 155).

Literatur

Afentakis, A./Maier, T. (2010): Projektion des Personalbedarfs und -angebots in Pflegeberufen bis 2025. In: Statistisches Bundesamt: Wirtschaft und Statistik, H. 11, Wiesbaden, 990-1002.

Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2012): Themenreport „Pflege 2030“. Was ist zu erwarten, was ist zu tun? Gütersloh.

Bomball, J. et al. (2010): Beruf oder Berufung – der Weg in die Pflege. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 18, 1-20. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe18/bomball_etal_bwpat18.pdf (28.5.2014).

Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.) (2014): Arbeitsmarktberichterstattung, Februar 2014. Der Arbeitsmarkt in Deutschland – Altenpflege. Nürnberg. Online: http://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Arbeitsmarkt-Allgemein/generische-Publikationen/Altenpflege-2013.pdf (28.5.2014).

Freiling, T. (2011): Demografische Entwicklungstrends und Auswirkungen auf die Pflegewirtschaft. In: Loebe, H./Severing, E. (Hrsg.): Zukunftsfähig im demografischen Wandel. Herausforderungen für die Pflegewirtschaft. Bielefeld, 9-26.

Freiling, T. (2011a): Demografiebedingte Herausforderungen in der Pflege nachhaltig bewältigen – Skizzierung des weiteren Forschungs- und Entwicklungsbedarfs. In: Loebe, H./Severing, E. (Hrsg.): Zukunftsfähig im demografischen Wandel. Herausforderungen für die Pflegewirtschaft. Bielefeld, 147-158.

Freiling, T./Gottwald, M. (2011): Handlungsfelder zur Gestaltung einer demografieorientierten Personalpolitik in Unternehmen der Pflegewirtschaft. In: Bettig, U./ Frommelt, M./Lerner, D. et al. (Hrsg.): Management Handbuch Pflege, 31. Aktualisierung. Heidelberg, 1-33.

Fuchs, J./Söhnlein, D./Weber, B. (2011): Projektion des Arbeitskräfteangebots bis 2050. Rückgang und Alterung sind nicht mehr aufzuhalten. IAB Kurzbericht, H. 16. Nürnberg.

Fuchs, J. (2013): Demografie und Fachkräftemangel. Die künftigen arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen. In: Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz, 56, H. 3, 399-405.

Geldermann, B. (2011): Methoden und Instrumente einer demografiefesten Personalpolitik in der Pflege. In: Loebe, H./Severing, E. (Hrsg.): Zukunftsfähig im demografischen Wandel. Herausforderungen für die Pflegewirtschaft. Bielefeld, 57-74.

Gerisch, S./Knapp, K./Töpsch, K. (2009): Demografiefeste Personalpolitik in der Altenpflege. Handlungsbedarf erfassen. Buchreihe: Leitfaden für die Bildungspraxis,39. Bielefeld.

Hackmann, T. (2009): Arbeitsmarkt Pflege. Bestimmung der künftigen Altenpflegekräfte unter Berücksichtigung der Berufsverweildauer. FZG Diskussionsbeiträge, Nr. 20. Freiburg.

Ilmarinen, L./Tempel, J. (2002): Arbeitsfähigkeit 2010. Was können wir tun, damit Sie gesund bleiben? Hamburg.

Isfort, M./Weidner, F. et al. (2010): Pflege-Thermometer 2009. Eine bundesweite Befragung von Pflegekräften zur Situation der Pflege und Patientenversorgung im Krankenhaus. Köln. Online: http://www.dip.de (28.5.2014).

KMK – Kultusministerkonferenz (Hrsg.) (2013): Vorausberechnung der Schüler- und Absolventenzahlen 2012 bis 2025. Berlin.

Loebe, H./Severing, E. (2010): Kompetenzpässe in der betrieblichen Praxis. Mitarbeiterkompetenzen mit Kompetenzpässen sichtbar machen. Buchreihe: Wirtschaft und Bildung, 59. Bielefeld.

Rump, J./Eilers, S. (2006): Managing Employability. In: Rump, J./Sattelberger, T./Fischer, H. (Hrsg.): Employability Management – Grundlagen, Konzepte, Perspektiven. Wiesbaden, 13-73.

Statistisches Bundesamt (2007): Gesundheit. Fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik (DRK-Statistik). Diagnosen und Prozeduren der vollstationären Patienten und Patientinnen in Krankenhäusern. Wiesbaden.

 


[1]     Es handelt sich um ein Beispiel eines beteiligten Krankenhauses. Dieses lässt sich aber durchaus auch auf stationäre Altenpflegeeinrichtungen übertragen.

Zitieren des Beitrags

Freiling, T. (2015): Bewältigung demografiebedingter Herausforderungen in Pflegeberufen – Lösungsansätze und Praxisbeispiele.In: bwp@ Spezial 10 – Berufsbildungsforschung im Gesundheitsbereich, hrsg. v. Weyland, U./Kaufhold, M./Nauerth, A./Rosowski, E., 1-13. Online: http://www.bwpat.de/spezial10/freiling_gesundheitsbereich-2015.pdf  (19.11.2015).