bwp@ 45 - Dezember 2023

Veränderungen der Arbeitswelt: Anforderungen, Gestaltungsfelder und Zukunftsfragen für die berufliche Bildung

Hrsg.: Nicole Naeve-Stoß, Lars Windelband, Matthias Kohl & Anja Walter

Der Umgang mit kommunikativen Veränderungen in der Pflege

Beitrag von Martin Ebers
bwp@-Format: Praxisbeiträge
Schlüsselwörter: kommunikativer Wandel, Pflegeausbildung, Lernen durch Lehren

In diesem Praxisbeitrag wird sich ausschließlich und anekdotisch auf die kommunikativen Veränderungen in der Pflege(-ausbildung) konzentriert. Gezielt wird das Spannungsfeld angehender Pflegefachkräfte aus Sicht eines Dozenten in der generalistischen Pflegeausbildung betrachtet, wohl wissend, dass sich nur auf Diskrepanzen in der Praxis bezogen wird. Doch dieser Blickwinkel ist notwendig: Angehende Pflegefachkräfte erfahren moderne und diskriminierungsfreie Ansätze in der Pflegeausbildung, die in der von nicht-generalistischen Pflegefachkräften dominierenden Praxis nicht durchweg vertreten werden.

Die exemplarischen Spannungsfelder geben Anlass, Handlungsempfehlungen für die Unterrichtsgestaltung zu ermitteln, um die entstandenen Diskrepanzen zwischen den neuen Erkenntnissen in der Schule und der von Routine und Tradition geprägten Pflegepraxis ansatzweise zu beheben. Dabei rückt die Methode Lernen durch Lehren in den Mittelpunkt.

Dealing with communicative changes in nursing care

English Abstract

This practical article focuses exclusively on the communicative changes in nursing. It specifically looks at the field of tension of prospective nursing professionals from the perspective of a lecturer in generalist nursing education, knowing full well that it will only focus on discrepancies in practice. But this perspective is necessary: Prospective nurses experience modern and non-discriminatory approaches to nursing education that are not consistently represented in practice dominated by non-generalist nurses.

The exemplary areas of tension give reason to identify recommendations for action in the design of teaching in order to begin to eliminate the discrepancies that have arisen between the new knowledge in school and nursing practice, which is characterized by routine and tradition. In doing so, the method of learning through teaching becomes the focus of attention.

1   Einleitung

Der Zahn der Zeit nagt am Pflegesektor: Privatisierungstendenzen von (pflegerischen) Einrichtungen, allgemeiner Arbeits- und Fachkräftemangel und eine stets älter werdende Bevölkerung bedrohen die Attraktivität des Pflegeberufs. Dieser muss sich, wie alle anderen Arbeitsbranchen, Herausforderungen stellen: (u. a.) Technologisierungs- und Digitalisierungsprozesse, Wertepluralisierungen oder (medizinische) Fortschritte und die damit einhergehenden Notwendigkeiten einer fachlichen Spezialisierung bzw. Fokussierung auf eine klientenorientierte Versorgungssituation. Deswegen bzw. zusätzlich zu diesen Veränderungen in der Arbeitswelt erlebt der Pflegesektor einen Paradigmenwechsel an der Wurzel des Geschehens: Die beruflichen (Aus-)Bildungsinhalte sind im theoretischen und praktischen Unterricht neu definiert und die veränderten Kompetenzprofile modifizieren das zukünftige Berufsfeld.

Am 01.01.2020 ist ein neues Pflegeberufegesetz in Kraft getreten, das eine neue generalistische Pflegeausbildung zur Folge hatte: Aus den „bisherigen Berufsausbildungen der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege und der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2020) wird eine Ausbildung, die gestattet, in allen Versorgungsbereichen arbeiten zu können (vgl. ebd.). Damit gehen weitreichende Veränderungen in der Arbeitswelt des Gesundheits- bzw. Pflegebereichs mit Folgen für angehende Pflegefachkräfte, etablierte bzw. examinierte Pflegefachkräfte sowie alle Pflegeschulen voraus; insbesondere die soziokulturellen, psychosozialen und kommunikativen Aspekte des pflegerischen Handelns rücken in den Vordergrund, um für die genannten Versorgungsbereiche der Arbeitswelt Pflege Fachkräfte auszubilden. Die berufliche Bildung im Pflegesektor reagiert somit mit einem konzeptuellen Wandel.

Um angehende Pflegefachkräfte (z. B.) auf die kommunikativen Mehrfachanforderungen beruflich und handlungskompetent vorzubereiten sowie auszubilden, gibt es vom jeweiligen Bundesland Landeslehrpläne. Fortführend wird sich exemplarisch auf das Bundesland Sachsen-Anhalt bezogen: „Basierend auf den Rahmenplänen der Fachkommission des Bundes, veröffentlicht am 01.08.2019, wurde dieser für das Bundesland Sachsen-Anhalt verbindliche Landeslehrplan entwickelt“ (LISA 2021, 4). Vor allem Lernfeld drei steht in diesem Beitrag im Mittelpunkt, in dem „Erste Pflegeerfahrungen reflektieren – verständigungsorientiert kommunizieren“ (ebd., 7, Hervorh. i. O.) im Vordergrund steht. Das in Schuljahr eins geplante Lernfeld fokussiert u. a., dass (angehende) Pflegefachkräfte in der Lage sind, „[m]it divergierenden Interessen in der Kommunikation umgehen“ (ebd., Hervorh. i. O.) zu können. (Angehende) Pflegefachkräfte sollen nunmehr in der Lage sein, „verständigungs- und beteiligungsorientierte[ ]Gesprächsführung[en]“ (ebd., 42) anwenden zu können. Aber wie soll das gelingen?

Im folgenden Kapitel werden anfänglich exemplarische Auszüge des Landeslehrplans für das Bundesland Sachsen-Anhalt dargelegt, die den kommunikativen Wandel in der Pflege darstellen. Damit geht eine diskriminierungsfreie Sprache einher: (Angehende) Pflegefachkräfte sollen im Zuge der generalistischen Ausbildung eine ressourcenorientierte (Fach-)Sprache verinnerlichen: Zu pflegende Menschen, Menschen mit Demenz bzw. demenziell erkrankte Menschen oder Menschen mit Behinderung gelten nur als Beispiele. Die sprachlichen Ansätze erzeugen jedoch ein Spannungsfeld angehender Pflegefachkräfte. Gezielt wird in Kapitel drei dieses Spannungsfeld aus Lehrenden-Sicht (anekdotisch) betrachtet. Hierzu muss betont werden, dass sich nur auf Probleme und Negativbeispiele aus der Praxis bezogen wird, wohl wissend, dass es unzählige Pflegeeinrichtungen gibt, die diesen kommunikativen Wandel bereits vollziehen. Kapitel vier beendet diesen praxisorientierten Beitrag mit Handlungsempfehlungen bzw. Umsetzungsprozessen möglicher Unterrichtsgestaltungen.

2   Kommunikativer Wandel in der Pflege

Im Fokus der generalistischen Ausbildung zur Pflegefachkraft steht die „[b]erufliche Handlungskompetenz“ (LISA 2021, 4), die „durch eine situations- und kompetenzorientierte Ausbildung erworben“ (ebd.) wird, d. h., Auszubildende sollen sowohl in der Theorie als auch Praxis auf Situationen im pflegerischen Kontext vorbereitet werden.

Nach den Rahmenrichtlinien des Landes Sachsen-Anhalt stehen für die Gestaltung des schulinternen Curriculums „Inhalte/Situationsmerkmale“ (ebd., 42, Hervorh. i. O.) zur Verfügung. Als Handlungsanlass sollen angehende Pflegefachkräfte bspw. „Kommunikations-/Informationsbedürfnisse zu pflegender Menschen und ihrer Bezugspersonen“ (ebd.) erkennen und entsprechend reagieren. Ebenso sind angehende Pflegefachkräfte angehalten, „Spannungen in der Interaktion aufzulösen“ (ebd.) und „zwischen Pflegeanforderungen und individuellen Bedürfnissen von Betroffenen“ (ebd.) auszuhandeln, d. h., sie sollen sich – laut „Handlungsmuster“ (ebd., Hervorh. i. O.) – „nicht nur sprachlich, sondern auch nonverbal und taktil“ (ebd.) angemessen verhalten. Die Angemessenheit, inklusive des kommunikativen Know-hows, orientiert sich an aktuellen pflegewissenschaftlichen Studien, die sich bspw. mit „Phänomenen von Macht und Machtmissbrauch in pflegerischen Interaktionen“ (ebd.) beschäftigen. Zugleich lässt sich die Angemessenheit nur über die Reflexion des Erlebens der angehenden Pflegefachkräfte ermitteln, um kritisch ihre Handlungen und die Reaktionen der zu pflegenden Menschen zu diskutieren, wohl wissend darüber, dass es Diskrepanzen zwischen idealtypischen Handlungsmustern „und die Wirklichkeit ihrer Handlungsmöglichkeiten einschließlich persönlicher und institutionelle[r] Begrenzungen“ (ebd., 37) gibt. Mit anderen Worten: Es besteht ein Bedarf, über kommunikative Spannungsfelder zu sprechen, die erzeugt werden, weil die Praxis von der Theorie abweichen kann. Solche „Lernsituation[en], in der divergierende Interessen in der Kommunikation mit zu pflegenden Menschen“ (ebd., 43) auftreten, sollen– wie auch „[g]elungene Kommunikationssituationen, in denen die Wirksamkeit und ästhetische Aspekte von Pflegesituationen sichtbar werden“ (ebd.) – didaktisch aufbereitet werden. Infolgedessen gilt es als Lehrkraft zu vermitteln, dass sich die Pflegequalität auch über die Kommunikation definiert. Aspekte wie die Kommunikation auf Augenhöhe und klientenorientierte Gesprächsführungen, inklusive einer gendersensibleren und diskriminierungsfrei(er)en Sprache mit der pflegebedürftigen Person (sowie Kontaktaufnahme und -pflege der Angehörigen) erhalten dergestalt eine (stets) hochwertige Bedeutung im Unterrichtsgeschehen. Infolgedessen sollen angehende Pflegefachkräfte auf Augenhöhe kommunizieren, empathisch und klientenorientiert interagieren sowie auf bspw. Bedürfnisse, Wünsche und Ängste der Pflegeklient*innen eingehen. Eine soziale Nähe ist somit erwünscht, jedoch soll die professionelle Distanz bewahrt bleiben. Ziel ist letzten Endes, das Selbstwertgefühl und Wohlbefinden der Klient*innen zu steigern. Zusätzlich sollen (angehende) Pflegefachkräfte in der Lage sein, Beratungsgespräche, entlastende und unterstützende Gespräche führen zu können. Welche Schlussfolgerungen können daraus gezogen werden?

Die kommunikative Kompetenz als Ur-Schlüsselkompetenz definiert die Handlungskompetenz in der Pflege. Folgerichtig geraten kommunikationsspezifische Aspekte in den Vordergrund der Pflegeausbildung. In Anbetracht des sprachlichen Wandels in der heutigen (Wissens-)Gesellschaft, stets pluralistischer, vielfältiger und individueller werdend, gilt z. B. fortan, Menschen nicht aufgrund (bspw.) ihrer Gebrechen, Krankheiten oder Behinderungen darauf zu reduzieren. Anstatt sich auf die Einschränkungen oder Probleme zu konzentrieren – z. B. die Dementen, die Behinderten oder die Alten – liegt der Fokus auf den Ressourcen und wertfreien/positiven Aspekten unter Berücksichtigung eines ganzheitlichen Ansatzes der Persönlichkeit. Das Individuum steht im Mittelpunkt. Aber: Inwiefern kann Sprache überhaupt wertfrei sein? Und: Wird der stetige sprachliche Wandel in der Pflege betrachtet, so werden im beruflichen Handlungsalltag Herausforderungen und Spannungsfelder deutlich, die auch mit Generationskonflikten innerhalb der Pflegefachkräfte begründet sein können. Im Folgekapitel wird das erzeugte Spannungsfeld näher beleuchtet.

3   Das erzeugte Spannungsfeld: handlungskompetent kommunizieren vs. praktisch kommunizieren

Der Rahmenlehrplan befindet sich noch bis einschließlich 2024 in Erprobung (vgl. LISA 2021). Die neu etablierten Kompetenzen sind in dieser Form noch nicht in curriculare Erscheinung getreten. So werden allen Lernfeldern Kompetenzen zugeordnet; beispielsweise sollen angehende Pflegefachkräfte u. a. „die Grundprinzipien von Empathie, Wertschätzung, Achtsamkeit und Kongruenz“ (ebd., 38) verinnerlicht haben. Auszubildende sollen bestmöglich über die komplexen Kommunikationsformen via nonverbale und verbale Sprache sowie die zum Teil unterschwelligen Auswirkungen auf den/die Gesprächspartner*innen sensibilisiert werden (vgl., ebd.).

Kommunizieren kann zwar jede*r, aber eine auf die Klientel samt dazugehörigen Bedürfnissen angepasste Sprache erfordert auch ein Feingefühl für gesellschaftliche Prozesse und gesellschaftliche Narrativen (siehe z. B. Framing-Effekte von politisierten Wörtern oder Diskurse der Identitätspolitik). Folgerichtig kann es vorkommen, dass die etablierten Fachkräfte in der Pflegepraxis, (v. a.) bestehend aus nicht-generalistischen Pflegefachkräften, mit den Neuheiten nicht konform sind. Dergestalt treffen traditionelle Terminologien (z. B. die Demenz-Station) auf aktuelle Ansätze (z. B. Station für Menschen mit demenzieller Erkrankung); etablierte Pflegefachkräfte sind oft mit dieser traditionellen terminologischen Sprache aus der Kinder-, Gesundheits- und Kranken- oder Altenpflege vertraut. Da die generalistische Pflegeausbildung eine enge Verzahnung der Theorie und Praxis vorsieht, entstehen Spannungszustände, die sich damit begründen lassen, dass angehende Pflegefachkräfte mit aktuellen Ansätzen und Begriffen vertraut(er) sind und (möglicherweise) von den etablierten Pflegefachkräften abweichen. Die erzeugten Missverständnisse, Meinungsverschiedenheiten und terminologischen Diskrepanzen erzeugen die besagten Spannungszustände. Daraus abgeleitet ergibt sich eine Leitfrage: Welche Herausforderungen haben Lehrkräfte bzw. Dozierende in der Vermittlung kommunikativer Handlungskompetenzen zu bewältigen?

Unterrichtsgespräche zeigen, dass die diskriminierungsfreie Sprache in den Pflegeeinrichtungen thematisiert, aber nicht durchgängig (modern) eingehalten wird. Am Beispiel der Anrede der Bewohner*innen eines Pflegeheims lässt sich festmachen, dass etablierte Pflegefachkräfte zu Kosenamen oder Verniedlichungen (pointiertes Beispiel: „Na, meine Schöne“) neigen, um eine fürsorglichere Kommunikation zu erreichen. Etablierte Fachkräfte könnten dergestalt an konventionellen Ausdrücken festhalten. Angehende Pflegefachkräfte werden jedoch dafür sensibilisiert, diese Formen zu unterlassen, außer sie sind von der/dem Bewohner*in ausdrücklich gewünscht; dieser Wunsch muss dokumentiert sein. Ebenso werden sie bspw. dafür sensibilisiert, dass ständige Wortunterbrechungen in den Gesprächen einen unterdrückenden Effekt auf die zu pflegenden Menschen auslösen können, Schimpfwörter (z. B. „So ein Mist hier“) unangebracht sind oder unterschwellige Äußerungen wie z. B. „Was stinkt hier denn wieder so?“ oder „Was haben Sie denn da schon wieder gemacht?“ diskriminierend wirken. Mit dem Ziel der Professionalisierung von Auszubildenden im rhetorischen Bereich werden solche Negativbeispiele und problembehaftete Interaktionen diskursiv im Unterrichtsgeschehen thematisiert und dramatisiert. In der Reflexion rechtfertigen sich Auszubildende partiell damit, dass sie diese (negativen) sprachlichen Stile auch so von ihren Kolleg*innen wahrnehmen. Da die Lehre über die Kommunikation so vielschichtig ist, besteht die Gefahr, dass Auszubildende aufgrund von Ehrfurcht vor Fehlern das Interesse verlieren, etwas verbal zu äußern. Speziell im Rahmen der gendersensiblen Sprache kann das Meinungsbild im Unterrichtsgeschehen so divergieren und polarisieren, dass Unmut und Unverständnis über die Sprachsensibilität geäußert werden. Wichtig ist, dass Lehrende und Praxisanleiter*innen stets eine diskriminierungsfreie Sprache anwenden; sie haben eine sozialisierende Wirkung auf Auszubildende. Inwiefern in den Praxis- und Lernfeldaufgaben die Kommunikation unterschwellig berücksichtigt werden kann, sollte kritisch reflektiert werden. Für Praxisanleiter*innen ist es eine Herausforderung, neben den (strukturellen) Abläufen auch (noch zusätzlich) auf das Sprachbild zu achten. Infolgedessen wird tendenziell der Gesamteindruck bewertet, nicht aber einzelne Wortformulierungen oder Phrasen. Eine von vielen Herausforderungen ist dergestalt die Hürde, die Theorie praxisnah zu vermitteln, ohne über die etablierte Praxis zu urteilen. Gleichwohl besteht die Herausforderung darin, angehenden Pflegefachkräften die Notwendigkeit der diskriminierungsfreien Sprache nachhaltig zu vermitteln, sodass sie die Ansätze aus der Schule in die Praxis mitnehmen.

Erforderlich sind Lehrkräfte und Dozierende, die gegenüber den lernenden und bereits Berufserfahrung sammelnden Subjekten eine lehrende, aber keine belehrende Rolle einnehmen. Dabei vermitteln sie das Wissen aus der Theorie und sind darüber hinaus impulsgebend für eine kritische Reflexion des praktischen Handelns. Hierzu bedarf es eine Lehr-Lernkultur, die auch von den Lernenden ausgeht. Da das Lernen „biografisch verankert und dadurch individuell höchst unterschiedlich“ (Siebert 2008, 150) sei, bedarf es subjektorientierter Gestaltungsversuche in der Ausbildung betreffs angehender Pflegefachkräfte. Konkret können praxis- und projektorientierte Unterrichtsverläufe im Hinblick der Berufserfahrungen der Schüler*innen gewinnbringend sein, von denen sowohl Lehrende als auch Lernende gleichermaßen profitieren können. Aber wie?

4   Handlungsempfehlungen – eine mögliche Unterrichtsgestaltung

Wenn Lehrkräfte Theoriemodelle wie bspw. die Axiome nach Watzlawick, das Kommunikationsquadrat nach Schulz von Thun oder die klientenzentrierte Gesprächsführung nach Carl Rogers vermitteln wollen, haben sie nur ein begrenztes Stundenkontingent zur Verfügung – der „Zeitrichtwert“ (LISA 2021, 42, Hervorh. i. O.) für Lernfeld 03.03 beträgt „40“ (ebd., Hervorh. i. O.) Stunden. Zur Veranschaulichung solcher Theoriemodelle und zur besseren Anwendbarkeit sollten auch noch Praxisbezüge hergestellt werden, die die Auszubildenden erfahren haben, d. h., zu jeder Theorievermittlung gehört auch eine praktische Umsetzung, die bspw. durch Reflexionsübungen hervorgerufen werden kann. Öffnen sich Lehrkräfte bzw. Dozierende der Arbeitswelt der angehenden Pflegefachkräften, können sie alltägliche Herausforderungen in der Praxis fachwissenschaftlich mit dem Plenum diskutieren. Hierbei können folgende Fragen aufgrund der Spannungszustände relevant werden: Wie können Lehrende trotz Widerstände in Form altbeständiger Kommunikationsformen in der Pflegepraxis Auszubildenden die (wandelnde) diskriminierungsfreie Sprache in der Pflege näherbringen? Wie können die Diskrepanzen zwischen Theorie und Praxis behoben werden? In diesem Zusammenhang ist es notwendig, Handlungsempfehlungen für die Unterrichtsgestaltung zu ermitteln, um die entstandenen Diskrepanzen zwischen den neuen Erkenntnissen in der Schule und der von Routine und Tradition geprägten Pflegepraxis ansatzweise zu beheben. Deswegen schließt der Praxisbeitrag mit einzelnen Handlungsempfehlungen ab, wohl wissend, dass diese Empfehlungen nur zur Inspiration für die eigene Unterrichtsgestaltung dienen.

Gemessen an den Rahmenrichtlinien ist es empfehlenswert, wenn Lehrkräfte in ihrem schulinternen Curriculum Raum für Reflexionen und Diskussionen schaffen. Dies kann bspw. ermöglicht werden, indem von den in Lernfeld 03.03 geplanten 40 Unterrichtsstunden mindestens zehn Unterrichtsstunden zur freien Gestaltung bewusst offen interpretiert werden, d. h., die Theorievermittlung sollte bis dahin auch abgeschlossen sein. So können die Lehrveranstaltungen in der Hinsicht interaktiv gestaltet werden, dass angehende Pflegefachkräfte ein Mitbestimmungsrecht an der Gestaltung einer gelungenen Lehrveranstaltung innehaben. Aber wie?

Zu Beginn eines Unterrichtsblocks (bestehend aus zwei Unterrichtseinheiten à 45 Minuten) sollten Lehrkräfte im zeitlichen Umfang von fünf bis zehn Minuten den Auszubildenden Auszüge des jeweiligen Lernfeldes aus den Rahmenrichtlinien offenlegen. Dadurch werden ihnen sowohl die „Handlungsanlässe“ (ebd., Hervorh. i. O.) als auch „Handlungsmuster“ (ebd., Hervorh. i. O.) bekannt. Daran anknüpfend ist es denkbar, dass in Anlehnung an curriculare Vorgaben Lerngruppen mit einer Größe von drei bis fünf Personen im Stil des Konzepts Lernen durch Lehren (vgl. Martin 2000) die Verantwortung für ein Thema (hier: der kommunikative Wandel anhand ausgewählter Beispiele aus der Praxis) übernehmen. Die jeweilige Lerngruppe berät sich innerhalb einer zehnminütigen Erarbeitungsphase über Alltags- oder Ausnahmesituationen in der Praxis. Dabei können folgende Fragen helfen: Welche Gesprächssituation hat mich an meine Grenzen gebracht? Welche Gespräche kann ich einfach nicht vergessen? Nach welchem Gespräch habe ich gemerkt, dass ich mich falsch verhalten habe? Dann verkünden die Lerngruppen die ausgewählte Situation im Plenum, sodass inhaltliche Dopplungen vermieden werden können. Im Anschluss erhalten die Lerngruppen weitere 20 Minuten, um die Situation, inklusive Gesprächsverläufe, entweder für die anderen Lerngruppen zu verschriftlichen oder ein Rollenspiel vorzubereiten. In beiden Fällen sollten sich die Lerngruppen an den Merkmalen einer Situation (vgl. LISA 2021) orientieren. Je nach Dringlichkeit, die die Lehrkraft zu entscheiden hat, kann die (erste) Lerngruppe ihr verschriftlichtes Fallbeispiel mitteilen oder das Rollenspiel vortragen. Innerhalb von maximal zehn Minuten sollten die anderen Auszubildenden so gut wie möglich über die Situation in Kenntnis gesetzt worden sein. Moderativ soll die jeweilige Lerngruppe in einer 20-minütigen Auswertungsphase mit ihren Mitschüler*innen die Phänomene interpretieren und die Gefühle und Gesprächsstrategien der beteiligten Akteur*innen ermitteln; stets mit der Frage, wie eine Pflegefachkraft sich gegenüber Familienangehörigen, Klient*innen, Kolleg*innen etc. idealerweise zu verhalten hat. Infolgedessen lernen Lernende durch das Lehren voneinander. Zugleich tragen angehende Pflegefachkräfte eine Mitverantwortung über den Lehrveranstaltungsverlauf unter den Vorgaben der Rahmenrichtlinien. Die in der Praxis erforderliche Selbstorganisation und Selbstständigkeit hinsichtlich der positiven (Fach-)Sprache werden mit diesen schulischen Herausforderungen gefördert. Dozierende wirken unterstützend, moderierend und katalysatorisch für die jeweilige Lehrveranstaltung, sodass sie unterstützend auf die Lerngruppe einwirken können. Hierzu ist eine sokratische Gesprächsführung nach Heckmann (2018) lohnenswert, in der die Lehrkraft eine moderierende Rolle und Auszubildende die einer/eines Expertin/Experten einnehmen. Beispielsweise kann eine Lehrkraft während der Auswertungsphase Aussagen, die noch nicht diskriminierungsfrei sind, notieren, um sie in der abschließenden Ergebnissicherung (ca. zehn Minuten) der Unterrichtseinheit zu korrigieren. In der Abschlussphase kann die nächste Lerngruppe bestimmt werden.

Zusammengefasst führt dieser Unterrichtsstil dazu, dass Lehrkräfte gezielt die Erlebnisse aus der Praxis unter Berücksichtigung der Lehrinhalte reflektieren lassen. Das kollektive Reflektieren schafft ein Bewusstsein für den sprachlichen Wandel; wenn es dabei gelingt, dass sich Auszubildende untereinander bezüglich einer diskriminierungsfrei(er)en Sprache korrigieren, gelingt die Umsetzung des sprachlichen Wandels. Mitnichten werden Auszubildenden hiermit vollends auf die kommunikativen Veränderungen in der Arbeitswelt vorbereitet, doch ist es ein Versuch, Situationen aufzubereiten, denn abschließend bedarf es zur Reduzierung der in Kapitel drei beschriebenen Spannungen, einen offenen und regelmäßigen Austausch zwischen Pflegeschule, Ausbildungsstätte und externen Praktikumseinrichtungen. Ebenso bedarf es grundsätzlich eines regelmäßigen Austausches zwischen Pflegeschule und Praxisanleitung bezüglich der Praxisaufgaben, eines ausformulierten Erwartungshorizonts und eines ausführlichen Reflexionsberichts der Schüler*innen sowie Praxisanleiter*innen zur Leistung der Auszubildenden. Nur wenn alle relevanten Akteur*innen zusammenarbeiten, können Auszubildenden auf den kommunikativen Wandel in der Pflege vorbereitet werden.

Literatur

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2020): Neue Pflegeausbildungen. Online: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/aeltere-menschen/berufsfeld-pflege/neue-pflegeausbildungen (15.09.2023).

Heckmann, G. (2018): Das sokratische Gespräch. 3. Auflage mit aktualisiertem Vorwort von Dieter Krohn. Band XVI. Schriftenreihe der Philosophisch-Politischen Akademie (PPA) und der Gesellschaft für Sokratisches Philosophieren (GSP). Münster.

Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt (LISA) (2021): Landeslehrplan. Teil 1. Pflegefachfrau/Pflegefachmann (Erprobung 2020-2024). Online: https://lisa.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/MK/LISA/Unterricht/Lehrplaene/BbS/LLPL_Pflege_Teil_1_2021_LP.pdf (16.09.2023).

Martin, J.-P. (2000): Lernen durch Lehren: ein modernes Unterrichtskonzept. Schulverwaltung Bayern. Online: https://www.ldl.de/Material/Publikationen/aufsatz2000.pdf (08.02.2023).

Siebert, H. (2008): Konstruktivistisch lehren und lernen. Grundlagen der Weiterbildung. 1. Auflage. Augsburg.

Zitieren des Beitrags

Ebers, M. (2024): Der Umgang mit kommunikativen Veränderungen in der Pflege. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 45, 1-8. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe45/ebers_bwpat45.pdf (21.03.2024).