bwp@ 45 - Dezember 2023

Veränderungen der Arbeitswelt: Anforderungen, Gestaltungsfelder und Zukunftsfragen für die berufliche Bildung

Hrsg.: Nicole Naeve-Stoß, Lars Windelband, Matthias Kohl & Anja Walter

Biografische Arbeit als Bestandteil Betrieblicher Bildung

Beitrag von Dana Bergmann, Ulrike Frosch & Michael Dick
bwp@-Format: Forschungsbeiträge
Schlüsselwörter: Wandel, biografische Arbeit, biografische Kohärenz, berufliche Identität, Betriebliche Bildung

Die Berufs- und Arbeitswelt ist durch Wandlungsprozesse geprägt, welche sowohl technologische als auch globale Dimensionen umfassen. Dieser Wandel stellt keinen Zielzustand, sondern einen selbst beschleunigten Prozess dar, der sowohl Bedingung als auch Gegenstand von Beruflicher Bildung ist. In diesem Kontext verändern sich berufliche Tätigkeiten bis hin zum Wegfall, zur Transformation oder Neubildung ganzer Berufe bzw. Berufsbilder, sodass das Lebensberufskonzept zunehmend an Bedeutung verliert (Kraus 2006). Mit diesen strukturellen Veränderungen der Berufs- und Arbeitswelt, welche mit beruflichen Ein- und Ausstiegen sowie Wechseln verbunden sind, steigen die Anforderungen an die Individuen, anschlussfähig und mobil zu bleiben (Bergmann 2020, Dick 2009, Frosch 2020). Daran knüpft sich wiederum die Frage, wie trotz dieser Umbrüche und den damit einhergehenden verschwimmenden Berufsidentitäten die Funktionen des Berufs kompensiert werden können. Darüber hinaus ist es offen, welche Strategien die Subjekte im Umgang mit Unsicherheit innehaben, um den Schlüsselkategorien der Wandlungsfähigkeit und der beruflichen Mobilität gerecht zu werden. Aus pädagogischer Sicht steht dabei die biografische Kohärenz im Mittelpunkt.

Im Rahmen des Beitrags wird anhand von diskontinuierlichen Berufs- bzw. Erwerbsbiografien, welche durch autobiografisch-narrative Interviews erhoben wurden, aufgezeigt, wie potenziell krisenhafte Umbrüche subjektiv so gerahmt werden können, dass biografische Kohärenz sowie berufliche Identität entstehen kann. Durch die Interviews, welche narrationsanalytisch ausgewertet wurden, wird skizziert, dass sich diskontinuierliche Verläufe in der Biografie in den Spannungsfeldern zwischen Stabilität und Mobilität, zwischen Beschäftigungsfähigkeit und Beruflichkeit sowie zwischen Identität und Diffusion verorten lassen (Bergmann 2020, Frosch 2020). Die Ergebnisse zeigen, dass eine berufsbiografische Rekonstruktion individuelle Bildungsprozesse im Sinne der Herstellung kohärenter beruflicher Identitäten unterstützen und gleichzeitig die Anschlussfähigkeit an andere (berufliche) Kontexte ermöglichen und damit berufliche Mobilität fördern kann. Abschließend werden Impulse formuliert, wie Betriebliche Bildung reflexive Lern- und Bildungsprozesse über die berufliche Entwicklung hinweg unterstützen und somit zur Herstellung beruflicher Kohärenz beitragen könnte.

Biographical work as a component of in-company training

English Abstract

The world of work and professions is characterised by processes of change that encompass both technological and global dimensions. This change is not a target state, but a self-accelerating process that is both a condition and an object of vocational education and training. In this context, occupational activities change up to the elimination, transformation or new formation of entire occupations or occupational profiles, so that the life occupation concept increasingly loses significance (Kraus 2006). With these structural changes in the world of work and professions, which are associated with career entries and exits as well as changes, the demands on individuals to remain adaptable and mobile increase (Bergmann 2020, Dick 2009, Frosch 2020). This in turn raises the question of how the functions of the profession can be compensated despite these upheavals and the accompanying blurring of professional identities. Furthermore, it is an open question what strategies the subjects have in dealing with uncertainty in order to do justice to the key categories of mutability and occupational mobility. From an educational point of view, the focus is on biographical coherence.

This article uses discontinuous occupational and employment biographies collected through autobiographical narrative interviews to show how objective (crisis-like) upheavals can be subjectively framed in such a way that biographical coherence and occupational identity can emerge. The interviews, which were analysed using narrative analysis, outline that discontinuous biographical trajectories can be located in the areas of tension between stability and mobility, between employability and professionalism, and between identity and diffusion (Bergmann 2020; Frosch 2020). The results show that an occupational biographical reconstruction can support individual educational processes in the sense of creating coherent occupational identities and at the same time enable connectivity to other (occupational) contexts and thus promote occupational mobility. Finally, impulses are formulated as to how in-company training could support reflective learning and educational processes throughout professional development and thus contribute to the creation of professional coherence.

1 Transformation und Mobilität

Seit etwa 40 Jahren vollzieht sich in Deutschland und in vergleichbaren westlichen Industrienationen ein Wandel im strategischen Management von Produktions- und Dienstleistungsunternehmen. War bis in die siebziger Jahre hinein das Primat der standardisierten Massenproduktion dominierend, in der Planung und Ausführung von Arbeit strikt getrennt waren, veränderte sich dies mit dem wachsenden Erfolg japanischer Produzenten (vgl. Kern/Schumann 1984, Womack/Jones/Roos 1991). Diese Vorteile wurden auf ein besseres Qualitätsmanagement und eine höhere Variantenvielfalt, die Kundenbedürfnisse besser ansprach, zurückgeführt. Lean Management (vgl. Bungard 1995), Qualitätsmanagement bzw. Kaizen (vgl. Imai 1986) waren die Konzepte, mit denen Beschäftige mehr und mehr in Planungs- und Gestaltungsprozesse einbezogen wurden. Einerseits ermöglichte dies eine stärkere Partizipation Beschäftigter, durch die sie ihr Wissen und ihre Erfahrung systematisch einbringen konnten, andererseits wurde dadurch Verantwortung für Qualität von der Führung in die Linie verlagert (vgl. Derboven/Dick/Wehner 2003, Dick/Wehner 2002). Die Anforderungen an die Beschäftigten wachsen: Zunächst geht es darum, sich neuen Technologien anzupassen und die eigenen Fähigkeiten und Wissensbestände über fachliche Weiterbildung auszubauen, daraus folgen weitere arbeitsorganisatorische Veränderungen in Richtung erhöhter Dynamik und Flexibilität (vgl. Baethge/Baethge-Kinsky 1998). Von einzelnen Beschäftigten wird zunehmend Selbstorganisationsfähigkeit erwartet (vgl. Dick 2018). Mit dieser Individualisierung und Subjektivierung im Arbeitsleben ist eine stetige Expansion betrieblicher Bildung verbunden, die neben der klassischen beruflichen Aus- und Fortbildung nun auch Personal- und Organisationsentwicklung umfasst oder mit diesen Funktionen zusammenwächst (vgl. Dybowski/Haase/Rauner 1993; Dobischat/Düsseldorff/Schurgatz 2011Dehnbostel 2022).

Über diesen langen Zeitraum hinweg vergleichbare Zahlen liefert das Berichtssystem Weiterbildung (BWS, 1979 bis 2007), seit 2007 als Adult Education Survey (AES) weitergeführt. Über telefonische Interviews werden hierfür mehrere Tausend Menschen nach Ihren Weiterbildungsaktivitäten befragt, zunächst im drei-, dann im zweijährigen Turnus. Während sich 1979 lediglich 23% der Befragten an Weiterbildung beteiligten, sind es 2020 bei der jüngsten Erhebung 60% (vgl. Bilger et al. 2017, Bilger/Strauß 2022). 1979 war der Anteil derjenigen, die an allgemeiner Weiterbildung teilnahmen, höher als jener, die an beruflicher Weiterbildung teilnahmen (vgl. Nuissl/Brandt, 2009). Seitdem ändert sich das Verhältnis kontinuierlich zugunsten der beruflichen Weiterbildung. Seit 2007 wird der Anteil der betrieblichen Weiterbildung extra ausgewiesen, er betrug im Jahr 2007 60% und ist bis zum Jahr 2020 auf 75% angestiegen (vgl. Bilger et al. 2013, Bilger/Strauß 2022). Eine turnusmäßige Unternehmensbefragung des Instituts der deutschen Wirtschaft weist in die gleiche Richtung. Seit 2007 steigen die jährlichen Ausgaben der Unternehmen für Weiterbildung von 28,5 Mrd. auf 41,3 Mrd. Euro (direkte und indirekte Kosten zu etwa gleichen Anteilen) (vgl. Seyda/Placke 2020). Die fünfte europäische Unternehmensbefragung über berufliche Weiterbildung (CVTS5) schließlich zeigt, dass Unternehmen im Jahr 1999 noch 41% ihrer Weiterbildungsangebote extern eingekauft haben, 2015 waren es nur 20%, der weitaus größte Teil wird also durch eigene Angebote abgedeckt. Auch wenn diese Entwicklungen nicht ganz linear erfolgten, lässt sich über den Zeitraum von etwa 40 Jahren eine deutliche Expansion beruflicher, speziell betrieblicher Bildung nachweisen.

Aktuell lässt sich eine weitere Dimension dieser Veränderungsdynamik beobachten. Durch globale Krisen entstehen neue ethische, ökologische und technologische Anforderungen bis hin zur Abwicklung ganzer Industriezweige (bspw. Kohleförderung, Stahlerzeugung). Mit dieser normativen Dimension in der Organisationsentwicklung ergeben sich weitere subjektive Anforderungen, bspw. eine erhöhte individuelle berufliche Wandlungs- und Orientierungsfähigkeit oder wertebasierte Entscheidungs- und Begründungspflichten. Die Beziehungen zwischen Individuum und Organisation werden loser und vielfältiger, an die Stelle lebenslanger Beschäftigung und wechselseitiger Loyalität tritt eine steigende wechselseitige Mobilität (vgl. Dick 2009). Als Kategorie drückt Mobilität immer ein Verhältnis aus Person und (physischer, sozialer, kultureller) Umwelt aus, sie setzt Selbst und Welt in ein bewegliches Verhältnis und kann daher als Ausdruck von Bildungsprozessen verstanden werden (vgl. Kolland 2002). Mobilität als Kategorie des Wandels umfasst zwei Seiten, welche wechselseitig Anschlussfähigkeit gewährleisten: Auf struktureller Seite müssen Organisationen und Institutionen ihre Erreichbarkeit steigern, während von den Individuen eine erhöhte Beweglichkeit zwischen Gelegenheiten und Aktivitäten gefordert ist (vgl. Dick 2009; Stein 2009).

Verändert der Transformationsprozess in der Berufs- und Arbeitswelt die Mobilitätserfordernisse auf struktureller Ebene, steigen zugleich die Anforderungen an die Individuen, sich in einer von Wandel, Unsicherheit, Komplexität und Entgrenzung geprägten Arbeits- und Berufswelt zu behaupten. Gesellschaftliche Transformationsprozesse und die damit verbundenen Mobilitätserfordernisse führen dazu, dass sich die Verantwortlichkeiten im Rahmen von Arbeit und Beruf „nach unten“ verlagern. Sowohl die Betriebe als auch die Individuen sind zunehmend gefragt, auf den Transformationsdruck zu reagieren und Veränderungen proaktiv zu gestalten (vgl. Willke 2000). Das führt einerseits zu mehr Autonomie, andererseits ebenso zu wahrgenommenen Risiken (vgl. Beck 1986).

Der Betrieblichen Bildung als Klammerbegriff für Aus- und Fortbildung, Personal- und Organisationsentwicklung kann in diesem Kontext eine Schlüsselrolle zukommen. Voraussetzung dafür wäre, dass sie sich auf die Organisation als Ganze, aber auch auf die einzelnen Beschäftigten bezieht, zwischen Anforderungen, Kompetenzen, Wissen und Qualifikationen vermittelt und ebenso zwischen Unternehmensstrategie, kollektiven Interessen und individuellen Motiven. Betriebliche Bildung könnte als Unsicherheitspuffer ausgleichend zwischen äußeren Rahmenbedingungen, Strukturen und Prozessen der Organisation sowie den Bedürfnissen der Beschäftigten wirken. Aus pädagogischer Sicht stellt sich die Frage, inwieweit Krisen als Anpassungsprozesse im Sinne von Qualifizierung und Kompetenzerwerb oder als Bildungsprozesse im Sinne persönlicher Entfaltung betrieblich bearbeitet werden. Die Herausforderung an die Betriebspädagogik ist, Betriebe stärker als bisher darin zu befähigen, Mitarbeitende im Rahmen grundlegender Transformationsprozesse so zu unterstützen, dass selbstreflexive Bildungsprozesse angeregt werden.

2 Bildungstheoretische Implikationen und berufliche Identitätsentwicklung

„Wendungen und Brüche in der Berufsbiografie“ kommen „nun allesamt von außen, und zwar ungeplant und unberechenbar“ (Brater 2018, 563), was ein Charakteristikum des beschriebenen Wandels ist. Normalbiografien werden von individuell gestalteten Lebensverläufen abgelöst (vgl. Wittwer 2003), was wiederum dazu führt, dass die Bedeutsamkeit von individueller biografischer Arbeit steigt. Die Biografie kann dabei als „ein vom Subjekt hervorgebrachtes Konstrukt“ verstanden werden, „das als eine selbsterzeugte Einheit die Fülle von Erfahrungen und Ereignissen des gelebten Lebens zu einem Zusammenhang bedeutungsvoll und sinnhaft organisiert“ (Marotzki 1995, 100). Ahlheit (2010) definiert wiederum „Biographizität“ als die „prinzipielle Fähigkeit, Anstöße von außen auf eigensinnige Weise zur Selbstentfaltung zu nutzen, also auf eine nur uns selbst verfügbare Weise zu lernen“. Diese Anstöße führen dazu, dass subjektive biografische Reflexionen in Bezug auf bestimmte Umstände, Veränderungen und Handlungen sowie eigene Meinungen, Haltungen und Einstellungen im Rahmen von Veränderungen in der Berufs- und Arbeitswelt an Bedeutung gewinnen (Meulemann 1999).

Individuen internalisieren die von der Gesellschaft und dem Berufs- und Arbeitsleben auferlegten Anforderungen (vgl. Bröckling 2007, Bergmann 2022). Der Transformationsdruck einerseits und die zunehmenden Gestaltungsmöglichkeiten andererseits, aus denen für die Einzelnen auch immer „Diskontinuitäts- und Ausgrenzungsrisiken sowie Anpassungs-, Mobilitäts- und Flexibilitätserfordernisse“ hervorgehen (Frosch 2010, 3), führen dazu, dass sich die Individuen zwischen verschiedenen Sinnsystemen entscheiden müssen. Die Subjektivierung von Risiken und die Internalisierung beruflicher Anforderungen sind aber auch ein treibender Faktor für psychische Belastungen (vgl. Ehrenberg 2008, Krause et al. 2012). In diesem Kontext spielt die Frage nach der Identität und deren Quelle eine wesentliche Rolle. Neben der Leiblichkeit (bspw. Psyche, Körper), dem sozialen Netzwerk (bspw. Familie, Freunde, Kollegen), der materiellen Sicherheit (finanzielle Situation, Zukunftsperspektiven), eigenen Normen und Werten bildet die Arbeit bzw. der Beruf (bspw. Anerkennung in der beruflichen Entwicklung, Leistungsfähigkeit) die fünfte Säule der Identität (vgl. Petzold 2001).

Identität im Kontext der Arbeit und des Berufs kann als eine „mittels eines Lernprozesses vom Subjekt selbst herzustellende Passung zwischen Subjektivem und Objektivem“ verstanden werden (Unger 2008, 42). Dabei erscheint es unerheblich, wie der „Sinnhorizont des Berufs“ (bspw. in Form eines Ethos, eines Wertes oder eines Qualifikationsbündels) bestimmt wird (ebd.). Berufliche Identitätsentwicklung kann im Speziellen „als eine Identifikation des Subjekts mit einem extern (wie auch immer) Seienden verstanden“ werden, „deren Gelingen vom Grad der (zumeist einseitig verstandenen) Adäquation des Subjekts an dieses Seiende abhängt“ (ebd.). Dabei handelt es sich um einen offenen Entwicklungsprozess „solchen Wissens, das einer/einem AkteurIn die Kohärenz und Kontinuität des Selbsterlebens in beruflichen Sozialwelten ermöglicht“ (Unger 2010, 2). Auf Grundlage der strukturalen Bildungstheorie Marotzkis (2006) lässt sich konstatieren, dass berufliche Identitätsprozesse eng mit Bildungsprozessen verknüpft sind (Unger 2008, 44): „Ins Zentrum beruflicher Identität rückt damit […] der reflexive Umgang des Menschen mit seinen im Beruf erworbenen Selbst- und Weltreferenzen. Oder anders ausgedrückt: Es ist nicht ausschließlich das objektive Wissen über Arbeits- und Geschäftsprozesse [,] das berufliche Identität im Kern bestimmt, sondern dasjenige Wissen, das ein Subjekt über sich selbst und über seine berufliche Lebenswelt im Laufe seiner Berufsbiografie im Kontext des Berufs entwickelt hat“. Die Entwicklung beruflicher Identität meint dabei den Prozess, durch den eine Person im Laufe ihres Lebens über verschiedene Lebensphasen hinweg Werte, Überzeugungen, Fähigkeiten, Interessen und Ziele im Zusammenhang mit der beruflichen Entwicklung herausbildet. Der biografisch offene Prozess kann als individuelle Konstruktionsleistung verstanden werden und zielt auf die Passung zwischen dem Subjektivem („Innen“) und Objektivem („Außen“) ab (vgl. Keupp 1999). Er wird durch zahlreiche Determinanten (u. a. persönliche Erfahrungen, soziale Interaktionen, Bildungserfahrungen und berufliche Erfolge) beeinflusst. Die biografische Kohärenz bezieht sich auf das Gefühl, dass das eigene Leben verständlich, bedeutsam und kontinuierlich ist, also die oben angeführte Passung zwischen Innen und Außen gelungen ist. Es ist ein Konzept, das auf den israelischen Medizinsoziologen Aaron Antonovsky zurückgeht und im Wesentlichen drei Dimensionen umfasst (vgl. Antonovsky 1997):

  1. Verstehbarkeit (Comprehensibility): Die Fähigkeit, die Ereignisse und Erfahrungen in unserem Leben zu verstehen und zu erklären.
  2. Bedeutsamkeit (Meaningfulness): Das Gefühl, dass das Leben einen Sinn und einen Zweck hat, und dass die Erfahrungen und Entscheidungen einen Wert haben.
  3. Handhabbarkeit (Manageability): Die Überzeugung, dass man die Ressourcen und Fähigkeiten hat, um mit den Herausforderungen und Belastungen des Lebens umzugehen.

Basierend auf diesen theoretischen Überlegungen stellt sich die Frage, wie es Individuen unter den Anforderungen verschärfter Transformationsprozesse gelingen kann, ein kohärentes Selbst- und Weltverständnis im Kontext von Arbeit und Beruf herzustellen. Ist Beruf noch der geeignete Träger für Kohärenzerleben, oder was könnte an seine Stelle treten – vielleicht die Tätigkeit, die Organisation oder abstrakte Werte? Dieser Frage gehen wir entlang zweier Studien nach, die untersuchen, wie Akteure mit der Erfahrung beruflicher Diskontinuität ihre Erwerbsbiographie konstruieren. In deren Narrationen können Biografisierungsprozesse nachverfolgt und unterschiedliche Entwürfe beruflicher Identität und biografischer Kohärenz bzw. deren Substitute sichtbar werden.

3 Biografisierungsprozesse in diskontinuierlichen beruflichen Lebensverläufen

3.1 Berufsbiografisches Selbstverständnis und Biografisierungsmodi

3.1.1 Forschungsdesign

Die erste Studie (Frosch 2020) beschäftigt sich mit Biografisierungsprozessen als Akt der Erzeugung einer biografischen Erzählung im Kontext atypischer Erwerbsbiografien. Die Fragestellung lautete, ob und wie es dem Einzelnen angesichts beruflicher Diskontinuitäten gelingen kann, eine berufliche Identität herauszubilden, die sich in Form einer stimmigen (berufs-)biografischen Erzählung zeigt. Das methodische Vorgehen konzentriert sich darauf, die subjektiven Sinnzusammenhänge sowie impliziten Wissensstrukturen der einzelnen Akteure (Biografieträger) nachzuvollziehen, um ihre Erfahrungs- und Orientierungsmuster zu rekonstruieren. Die Analyse des Prozesses des Biografisierens als individuelle Verarbeitungs- und Integrationsleitung gesellschaftlicher (weltreferenzieller) und privater (selbstreferenzieller) Belange, so die Annahme, gibt dabei Aufschluss über individuelle Formen von Identitätsarbeit und biografischer Kompetenzentwicklung. Ein Hauptaspekt individueller identitätsstiftender Leistungen ist dabei die Herstellung von Kontinuität und Kohärenz in der eigenen biografischen Erzählung, der als entscheidend für eine gelungene Identitätsarbeit erachtet werden kann.

Die Forschungsarbeit kombinierte hierzu die Forschungslogik der Grounded Theory (vgl. Strauss 1998) mit der Narrationsanalyse nach Fritz Schütze (1983) und ergänzte sie um die Perspektive der Positionierung, wie sie zur Rekonstruktion narrativer Identität von Lucius-Hoene & Deppermann (2004) entwickelt wurde. Die Narrationsanalyse ermöglicht eine Erfassung von Primärdaten, „deren Analyse auf die zeitlichen Verhältnisse und die sachliche Abfolge der von ihnen repräsentierten lebensgeschichtlichen Prozesse zurückschließen läßt“ (Schütze 1983, 285). Der Ansatz zur Rekonstruktion narrativer Identität berücksichtigt zusätzliche Dimensionen, beispielsweise den Zeitpunkt, an dem die biografische Erzählung in die Gegenwart übergeht, sowie Determinanten wie Agentivität (die Frage nach der treibenden Kraft in der Erzählung), Stilisierung und (Re)Inszenierung. Diese Aspekte dienen dazu, die Konstitution der Identität in den einzelnen Lebensgeschichten zu verstehen und zusätzliche Interpretationsperspektiven zu ermöglichen (vgl. Lucius-Hoene/Deppermann 2004, 170ff.).

Das Sample dieser Studie umfasste 11 autobiografisch-narrative Interviews mit Männern im Alter von 35-55 Jahren, die berufliche Diskontinuitätserfahrungen aufwiesen. Mit Ausnahme der Berufsbiografie eines Interviewpartners handelte es sich dabei um (z.T. mehrfache) branchenübergreifende Wechsel. Die Fokussierung auf Männer geschah aus zwei Gründen: erstens gelten Erwerbsverläufe von Männern nach wie vor mit starker Orientierung am unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnis als verhältnismäßig kontinuierlich und stabil, während zweitens Diskontinuitäten (beispielsweise durch Mutterschaft und Erziehungsauszeiten) in weiblichen Erwerbsverläufen gesellschaftlich tradiert und akzeptierter sind (vgl. Falk 2005, 216ff.). Die Ergebnisse beziehen sich zunächst auf die Einzelfallebene, fallvergleichend wurden dann übergreifende Muster identifiziert und zur theoretischen Modellbildung der Biografisierungsmodi herangezogen (vgl. Tabelle 1). Die Modi geben Aufschluss über Formen der Identitätsarbeit und einer damit zusammenhängenden gelingenden konsistenten und kohärenten biografischen Erzählung (vgl. Frosch 2020, 124ff.).

3.1.2 Konstatieren, Hinterfragen und Verinnerlichung als Modi der Biografisierung
3.1.2.1 Biografisierungsmodus 1 - Konstatieren

Der Biografisierungsmodus 1 - Konstatieren zeichnet sich durch eine Dominanz weltreferenzieller Bezüge aus, in dem externale Begründungszusammenhänge für die biografische Erzählung überwiegen. Der Fokus liegt jeweils auf einzelnen Ereignissen oder Erfahrungen, die durch den Biografieträger jedoch in keinen schlüssigen Gesamtzusammenhang gebracht werden können. Die biografische Darstellung ist stark vergangenheitsverhaftet und sie enthält sehr viele argumentative Passagen zur Beschreibung der Umstände und zur Legitimation des eigenen Verhaltens. Gesellschaftliche Ausgrenzungserfahrungen bestimmen die biografische Entwicklung, als mögliche Reaktionen darauf können eine bewusste Abgrenzung gegenüber gesellschaftlichen Normen und Werten oder eine eher unbewusste Passivität bzw. Lethargie ausgemacht werden. Innerhalb dieses Modus lassen sich so zwei verschiedene Ausprägungen ausmachen. So lässt sich eine Form der Biografisierung ausmachen, die sich am ehesten mit einem „Einrichten“ (individuell und aktiv) in den ungünstigen Rahmenbedingungen beschreiben lässt. Die zweite Ausprägung ist gekennzeichnet durch das Verharren in alten Deutungs- und Handlungsmustern (kollektiv und passiv), die dem Biografieträger nur eine begrenzte Wahrnehmung beruflicher Optionen und kaum eine eigene Verfügungsgewalt über die berufliche Zukunft ermöglichen (exklusiv und handlungsunfähig). Beide Ausprägungen gehen mit einem hohen Unsicherheitsempfinden einher, zudem werden kaum Möglichkeiten zur Gestaltung der beruflichen Zukunft geäußert (nicht intendiert und defensiv).

3.1.2.2 Biografisierungsmodus 2 - Hinterfragen

Beim Biografisierungsmodus 2 - Hinterfragen dominieren selbstreferenzielle Bezüge und vorwiegend internale Faktoren werden zur Begründung der lebensgeschichtlichen Entwicklungen herangezogen. Der Fokus liegt auf einzelnen Lebenssituationen und den in ihnen getroffenen Entscheidungen. Die biografische Darstellung ist sowohl vergangenheits- als auch gegenwartsorientiert, wobei vergangene Ereignisse und Situationen stark auf das eigene Verhalten in ihnen reflektiert und aus der gegenwartsorientierten Perspektive bewertet werden. Die biografische Darstellung enthält erzählende und argumentative Passagen, die dem Verstehen des eigenen Verhaltens dienen sollen. In ihnen werden Ambivalenzen zum Ausdruck gebracht, die ein Hadern des Biografieträgers mit sich bzw. eine Distanz zu sich selbst thematisieren. Orientierungs- und Handlungsmuster werden z.T. erkannt und hinterfragt, unter Umständen finden sich auch biografische Wandlungsprozesse, die eine veränderte Haltung des Biografieträgers zu sich selbst ausdrücken. Auffallend für diesen Biografisierungsmodus ist, dass zwar problembehaftete Orientierungs- und Handlungsmuster durch den Biografieträger erkannt werden, es aber (noch) keine Strategien im Umgang hinsichtlich einer erfolgreichen Bewältigung gibt (individuell und passiv sowie inklusiv und handlungsunfähig). Ebenso können die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten sehr gut verbalisiert werden, die positive Selbstthematisierung erfährt jedoch in den biografischen Bilanzierungen stets eine Relativierung, der Fokus liegt hier eher auf Scheiternsprozessen. Bei diesem Modus fällt zudem eine fehlende Verbindung welt- und selbstreferenzieller Bezüge auf. Beispielsweise werden Passagen der Anerkennung, Wertschätzung und Kompetenzzuschreibung durch andere erwähnt, diese finden sich jedoch kaum in der biografischen Darstellung, bzw. werden ebenfalls relativiert. Es finden sich vorsichtige Äußerungen zur Gestaltung beruflicher Zukunft (nicht-intendiert und defensiv).

3.1.2.3 Biografisierungsmodus 3 - Verinnerlichen

Der Biografisierungsmodus 3 - Verinnerlichen zeichnet sich durch eine erfolgreiche Verknüpfung weltreferenzieller und selbstreferenzieller Bezüge aus, wobei die externalen Faktoren als auslösende Faktoren deutlich benannt werden, die internalen Faktoren jedoch die biografische Selbstpräsentation dominieren. Es findet sich also ein ausgewogenes Zusammenspiel externaler und internaler Faktoren statt, die das eigene Handeln im Kontext von Umwelteinflüssen widerspiegeln (individuell und aktiv). Der Fokus liegt dabei auf der eigenen Entwicklung und die biografische Selbstdarstellung erfolgt in Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. Dem Biografieträger gelingt die Generierung sinnstiftender Erzählungen als eine in sich schlüssige und in Zusammenhängen stehende Lebensgeschichte. Erkennbar ist dabei eine versöhnliche Haltung zu sich und eine aussöhnende Haltung zu seiner Umwelt (inklusiv und handlungsfähig). Das bedeutet jedoch nicht, dass für den Biografieträger durchweg eine positive Bilanzierung der Lebensereignisse stattfindet, sondern es können auch massive berufliche wie private Einschnitte deutlich gemacht werden, dennoch gelangt der Biografieträger zu einer für ihn zufriedenstellenden Haltung dieser Ereignisse gegenüber. Es finden sich konkrete berufliche Aspirationen zur Gestaltung der beruflichen Zukunft (intendiert und offensiv).

Tabelle 1:     Übersicht Biografisierungsmodi

Biografisierungs-modi/ Dimensionen

BM 1 - Konstatieren

BM 2 - Hinterfragen

BM 3 - Verinnerlichen

Berufsbiografische Entwicklung

beschreibende und argumentative Passagen zur Legitimation

vorwiegend entlang äußerer Rahmenbedingungen

Übergänge, Wechsel & Brüche können nicht plausibel dargestellt werden

a) kollektiv & passiv 

b) individuell & aktiv

individuell & passiv

argumentative und erzählende Passagen dienen dem eigenen Verstehen

distanzierter Blick auf sich selbst

individuell & aktiv

argumentative und erzählende Passagen zur Generierung einer (sinnstiftenden) Entwicklungsgeschichte

Gesellschaftliche Verortung

a) exklusiv & handlungsunfähig

Orientierung an gesellschaftlichen Normen und Werten (Karrieren, Normalarbeit)

b) exklusiv & handlungsfähig

bewusste Abgrenzung

'Selbstverwirklichung' im Rahmen der Möglichkeiten

inklusiv & handlungsunfähig

Orientierung an gesellschaftlichen Normen und Werten (Karrieren, Normalarbeit)

Wahrnehmung eigener Fähigkeiten und Kompetenzen

Ambivalenz zwischen Zuversicht und Hadern

Fehlende Handlungsstrategien

inklusiv & handlungsfähig

Auseinandersetzung mit der eigenen Identität

gesellschaftliche Verankerung

Erkennen beruflicher Optionen

offener Umgang mit eigenen Stärken und Schwächen (Authentizität)

Umgang mit Zukunft

nicht-intendiert & defensiv

sehr vage berufliche Ziele

kaum Möglichkeiten zur Gestaltbarkeit der Zukunft

hohes Unsicherheitsempfinden

nicht-intendiert & defensiv

Vorsichtiges Äußern beruflicher Ziele (nahe Zukunft, nächste Bewährungssituationen)

wenig konkret

Gestaltbarkeit der Zukunft wird gesehen

intendiert & offensiv

Selbstbewusstes Äußern beruflicher Ziele und Wünsche

Gestaltbarkeit der beruflichen Zukunft wird bei sich selbst gesehen

Berufliche Entwicklungsmöglichkeiten werden gesehen und realistisch eingeschätzt

Eine Biografisierung erfolgt immer im Kontext gesellschaftlicher Normen und Werte und kann sich, wie die Ergebnisse der Studie zeigen, auf verschiedene Arten manifestieren, u.a. in bewusster Abgrenzung (Konstatieren), Hadern durch Nichtentsprechen (Hinterfragen) bzw. Harmonisieren (Verinnerlichen).

Die erhobenen Interviews der Studie stellen jeweils eine Momentaufnahme der biografischen Identitätsbildung im Kontext des Interviews dar, weshalb sich auch nur jeweils einer der Biografisierungsmodi in den Interviews ausmachen lässt. Nichtsdestotrotz ist anzunehmen, dass die Biografieträger, die beispielsweise dem Biografisierungsmodus 3 zuzuordnen sind, auch die Entwicklungsstufen der jeweils anderen Biografisierungsmodi durchlaufen haben. Dementsprechend vollzieht sich biografische Kompetenzentwicklung entlang der drei Biografisierungsmodi und führt schließlich im Modus 3 – Verinnerlichen zum Vorhandensein von biografischer Kohärenz im Sinne individueller Handlungsfähigkeit als Ergebnis gelungener Identitätsarbeit (vgl. Keupp et.al. 2008, 294f.).

3.2 Biografisierung und berufliche Identitätsentwicklung

3.2.1 Forschungsdesign

In der zweiten Studie (Bergmann 2020) wurden 18 ehemalige Studierende mindestens fünf Jahre nach der vorzeitigen Beendigung ihres Studiums interviewt (sog. Studienaussteigende; davon sechs weiblich). Gegenstand der Untersuchung war die subjektive Rekonstruktion der beruflichen Entwicklung nach Ausstieg und die Entwicklung beruflicher Identität. Die interviewten Personen differieren hinsichtlich des Alters, der Anzahl der studierten Semester, der Studienrichtung, der formalen Qualifizierung nach Studienausstieg sowie nach der Tätigkeit zum Zeitpunkt des Interviews). Die Datenerhebung erfolgte durch autobiografisch-narrative Interviews (vgl. Schütze 1981, 1983). Den Studienaussteigenden wird damit die Möglichkeit geboten, ihre berufliche Entwicklung und die damit verbundene Erfahrungsaufschichtung rekonstruktiv zu explizieren. Die Datenauswertung erfolgte entlang der Systematik der Grounded Theory (vgl. Strauß/Corbin 2010, Tiefel 2005) sowie der Narrationsanalyse (vgl. Schütze 1981, 1983). In einem zirkulären Auswertungsprozess wurde das von Tiefel (2005) auf die erziehungswissenschaftliche Biografieforschung angepasste Kodierparadigma verwendet, was die Sinnkonstruktionen der Subjekte und die die Biografie umgebenden Strukturen bzw. sozialen Rahmen berücksichtigt, um folgend auf die explizite Handlungsebene zu schließen (vgl. Tiefel 2005). Aus dem Kategorisierungsprozess ergibt sich folgende Systematik:

Tabelle 2:     Konstitutive Merkmale einer Biografie mit Unterkategorien

Merkmal

Vergleichsdimension

Handlungsweisen

Berufsbiografische Entscheidungsebene

Umgang mit Krisen

Sinnebene/subjektive Deutung

Krisenempfinden und Attributionsmuster

Sinnstiftung

Strukturelle Ebene

Berufliche Bindung und Passung

Soziale Bindung

Prozessebene

Verkettung von berufsbiografischen Ereignissen

Das Kombinieren der entwickelten Kategorien und Dimensionen führte im Rahmen des Datenauswertungsprozesses zur Generierung der Schlüsselkategorie „berufliche Identitätsentwicklung“. Die in Tabelle 1 aufgeführten biografischen Merkmale und Vergleichsdimensionen stellen charakteristische Merkmale hinsichtlich der ordnenden Rückbezüglichkeit auf sich selbst (Selbstreferenz) und auf die Welt (Weltreferenz) dar. Das verschränkende Bindeglied zwischen dieser Sinnkonstitution in Bezug auf die Gesellschaft wird hier als „berufliche Identitätsentwicklung“ definiert (vgl. Bergmann 2020, 142). Die untersuchten Fälle konnten anhand der Schlüsselkategorie und den entsprechenden Merkmalen bzw. Vergleichsdimensionen in einer Typologie differenziert werden. Dazu wurden die Fälle hinsichtlich ihrer internen und externen Homogenität verglichen (vgl. Kelle/Kluge 2010), sodass drei Typen beruflicher Identität differenziert werden: Verwirklichung, Diffusion und Entwicklung.

3.2.2 Verwirklichung, Diffusion und Entwicklung von beruflicher Identität
3.2.2.1 Identitätsverwirklichung

Dieser Typus zeichnet sich auf der Handlungsebene durch Entscheidungen aus, welche im Spannungsfeld von Selbstbestimmung und Ereignetem vollzogen werden. Diese Entscheidungen sind selbst initiiert und nicht von der äußeren Umwelt (bspw. der Institution Universität oder die Arbeitgeber) bestimmt. Auch wenn berufliche Entscheidungen in der Rekonstruktion zumeist nicht intendiert, sondern eher von glücklichen Fügungen und Zufällen geprägt sind, dominiert das aktive Agieren der Subjekte. Angebotene berufliche Optionen werden angenommen und für die eigene berufliche Verwirklichung und Optimierung genutzt. Dennoch findet ein Abwägen von Alternativen und ein Ausloten bzw. die Selbstvergewisserung eigener beruflicher Interessen und Neigungen statt. Krisenhaften Situationen wird mit einer aktiven Lösungssuche bzw. dem Streben nach Alternativen begegnet, wobei permanent den eigenen beruflichen Interessen gefolgt wird und ein beruflicher Identifikationskern als biografischer Richtungsweiser und Orientierungsgrundlage fungiert. Sofern es im Rahmen der beruflichen Entwicklung zu krisenhaften Momenten in der Berufs- und Arbeitswelt kommt, haben diese zwar einen Einfluss auf die Handlungslogik der Subjekte (der Studienaussteigenden), allerdings werden sie als proaktive Kompensation für die eigene berufliche Gestaltung genutzt. Auf subjektiver Ebene ist es ein Charakteristikum für die Verwirklichung der beruflichen Identität, dass objektiv wahrgenommene Brüche bzw. Wechsel auf subjektiver Ebene nicht zwingend krisenbehaftet attribuiert werden. Eine Nichtübereinstimmung des Passungsverhältnisses zwischen dem Subjekt und der Umwelt stellt keine unmittelbar identitätsbedrohende Krise dar. Um entscheidungs- und handlungsfähig zu bleiben, erfolgt keine (lange) Resignation, sondern ein proaktives Handeln, welches auf einen sinnstiftenden (beruflichen) Orientierungskern ausgerichtet ist. Der Identifikationskern (bspw. der Fachbezug) stimmt im gesamten beruflichen Lebensverlauf mit den Interessen und Neigungen der Biografieträger überein und fungiert als biografischer Anker, der im Rahmen des Biografisierungsprozesses optimiert wird. Darüber hinaus gilt materielle Sicherheit als ergänzendes und optimierenden Kriterium für berufliche Identifikation (vgl. Bergmann 2020, 205). Neben der Rekonstruktion des Selbstbildes lässt sich hinsichtlich des Fremdbildes bzw. der strukturellen Ebene konstatieren, dass Identitätsverwirklichung immer mit der Antizipation und proaktiven Nutzung von institutionellen und beruflichen Möglichkeits- und Gestaltungsräumen einhergeht. Unabhängig von einer formalen Qualifizierung fungiert der Beruf sowohl als subjektiv bedeutsames Konstrukt als auch als strukturgebender Handlungsrahmen (vgl. Unger 2008) und spielt demnach in der berufsbiografischen Entwicklung eine wesentliche Rolle. Aufgrund des hohen Identifikationspotenzials ist die Bindung an den Beruf stark ausgeprägt. Für diese subjektive Bedeutsamkeit ist es aufgrund der inneren Verbundenheit irrelevant, ob der Beruf mit einer formalen Qualifizierung (bspw. durch eine Berufsausbildung) einhergeht. Weiterhin haben soziale Bindungen eine starke orientierungs- und strukturgebende Funktion. So stellen bspw. Mitstudierende, Kollegen oder Familie unterstützende Faktoren dar, die das Weltbild im Rahmen der Identitätsverwirklichung prägen (vgl. Bergmann 2020, 207).

Auf der Prozessebene zeichnet sich berufliche Identitätsverwirklichung durch eine kohärente Verkettung von beruflichen Einstiegen, Übergängen und Wechseln aus. Trotz objektiver Brüche (u.a. der Studienausstieg) ergeben sich subjektiv zufällige und glückliche Begebenheiten, welche genutzt werden, sodass die berufliche Entwicklung in der Selbstwahrnehmung als kohärent, individualisiert und kontinuierlich wahrgenommen wird. Dem identitätsstiftenden Anker folgend ist die Berufsbiografie von einer inkrementellen Handlungslogik bestimmt, welche einen optimierenden Charakter aufweist (ebd.).

3.2.2.2 Identitätsdiffusion

Bei einer diffusen Identitätsentwicklung zeichnet sich die Entscheidungsgestalt durch das Fehlen einer intendierten Handlungslogik aus. Vielmehr dominiert das Erfüllen von institutionellen Erwartungen und Mustern. Berufliche Alternativen werden nicht bewusst und interessengeleitet abgewogen, sondern werden auf Grundlage von Entscheidungen gewählt, welche eine eher reaktive Konsequenz äußerer, teilweise auferlegter Umstände bzw. subjektiv nicht mehr vertretbarer Situationen darstellen. Diese unbewussten und wenig intendierten Abwägungen beruflicher Alternativen stellen weniger „echte“ Entscheidungen, sondern vielmehr (meist selbstbestimmte) Abwägungen dar, die nur reaktiv getroffen werden, um die Handlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Aufgrund dieser reaktiven Passivität werden die Abwägungen weder interessengeleitet noch aus beruflichen Neigungen getroffen. Werden Krisen subjektiv wahrgenommen, gerät das Individuum unter Handlungsdruck, das eigene berufliche Handeln anzupassen. Die Handlungsweisen zeichnen sich demnach weniger durch ein proaktives Agieren als durch ein eher verteidigendes und passives Reagieren aus, um weiterhin in einem geschützten institutionellen Rahmen zu verweilen (bspw. an der Universität, im Betrieb). Darüber hinaus lässt sich konstatieren, dass Krisen unterschiedlich wahrgenommen werden. Trotz dieser subjektspezifischen Deutung werden Entscheidungen erst getroffen, wenn keine weiteren Handlungsoptionen bestehen. Erst mit diesem Handlungsdruck wird eine berufliche Neuausrichtung für das Subjekt notwendig (ebd., 220). Unabhängig von der subjektiven Wahrnehmung von Krisen wird anhand der entsprechenden Berufsbiografien deutlich, dass sich die Sinnkonstitution der Biografieträger ausschließlich entlang instrumenteller Faktoren (bspw. Abschlüsse, Zertifikate, Verdienst) ausrichtet, sodass vor allem die eigene materielle Sicherheit im Fokus des Erwerbslebens steht. Berufliche Interessen, Neigungen und Affinitäten spielen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit eine eher untergeordnete Rolle, sodass sich kein expliziter beruflicher Identifikationskern bestimmen lässt. Wenngleich die Subjekte ihr Selbstbild an die entsprechende berufliche Passage anpassen, identifizieren sie sich nicht mit der beruflichen Tätigkeit. So stehen weniger innerlich sinnstiftende Motive im Fokus, sondern eher erwerbsorientierte und sicherheitsbringende, was dazu führt, dass jene keinen kontinuierlichen inneren Orientierungskern entfalten (Bergmann 2020, 221). An die Stelle der Berufsbiografie tritt eine Erwerbsbiographie.

Darüber hinaus wird deutlich, dass die Handlungen im Kontext der beruflichen Tätigkeit immer in einem strukturgebenden Rahmen stattfinden (bspw. Studium, Berufsausbildung), welcher eine orientierende und schützende Funktion innehat. Sind die Biografieträger aufgrund von Unwägbarkeiten durch äußere Einflüsse dazu angehalten (z.B. Exmatrikulation, Kündigung), diesen schützenden Rahmen zu verlassen, wechseln sie in ein schützendes Muster. Die fehlende Aktivität im Handeln führt zu einer mangelnden beruflichen (inneren) Bindung. Dennoch benötigen diese Akteure einen strukturgebenden institutionellen Anker mit stabilisierender Funktion (z.B. Berufsausbildung, berufliche Tätigkeit). Trotz dessen spielen soziale Akteure in der Rolle der signifikanten Anderen eine untergeordnete Rolle. Werden Soziale Bindungen erwähnt, werden sie von den Subjekten als hemmend und passiv wahrgenommen. Dabei handelt es sich zumeist um Familienmitglieder, die bestimmte Erwartungen explizieren.

Auf der Prozessebene werden Einstiege, Übergänge und Wechsel eher als „ereignete“ Verkettung wahrgenommen. Je subjektiv krisenhafter die Rahmung des beruflichen Verlaufes, desto größer die Wahrnehmung der Diskontinuität, Gespaltenheit und Austauschbarkeit. Biografieträger mit einem eher geringfügigen Krisenempfinden rahmen ihren beruflichen Verlauf als kohärent und konsistent. Insgesamt basiert die berufsbiografische Haltung auf einer passiven und reaktiven Prozesslogik, welche in einem schützenden institutionellen Rahmen stattfindet (ebd., 223).

3.2.2.3 Identitätsentwicklung

Die Entscheidungsgestalt dieses Typus ändert sich im Rahmen der beruflichen Handlungen: Während Entscheidungen (u.a. im Studium) zunächst primär von äußeren sowie von Reaktivität geprägt waren und ein bewusstes Abwägen interessengeleiteter Alternativen eher zu kurz kam, ist innerhalb der weiteren beruflichen Entwicklung ein Wandel zur selbstbestimmten und intendierten Entscheidungsfähigkeit nachweisbar. Ergebnis dieses Wandels ist ein bewusstes biografisches Agieren, welches von Interessen und Ambitionen geprägt ist. Auch die subjektive Wahrnehmung von Krisen zeichnet sich durch einen Wandlungsprozess aus. Sofern Krisen als identitätsbedrohend wahrgenommen werden, kommt es zu einem Orientierungszusammenbruch mit einem hohen Leidenspotenzial. Während Krisen anfänglich mit einer eher verteidigenden und passiven Haltung begegnet wird, zeichnet sich der Umgang mit Krisen zum Zeitpunkt des Interviews durch Aktivität und Offensivität aus (ebd., 230). Auch die subjektive Deutung der Sinnhaftigkeit der beruflichen Entwicklung wandelt sich in der berufsbiografischen Rekonstruktion. Während es bspw. im Studium keinen sinnstiftenden Orientierungskern gibt, gelingt es den Biografieträgern nach einem impliziten oder expliziten berufsbiografischen Wendepunkt, einen sinnstiftenden Orientierungskern zu manifestieren, bei dem berufliche Interessen und Neigungen handlungsleitend sind. Dieser berufliche Entwicklungsprozess kann darüber hinaus mit dem Erfüllen materieller Sicherheit verknüpft sein. Auf struktureller Ebene fungiert der Beruf nach dem entsprechenden (impliziten oder expliziten) Wendepunkt als strukturgebender Handlungsrahmen, in welchem berufliche Möglichkeits- und Gestaltungsspielräume ausgeschöpft werden. Das Subjekt und die berufliche Tätigkeit weisen unabhängig von der formalen Qualifizierung eine ausgeprägte Verbundenheit auf. Darüber hinaus spielen soziale Bindungen eine erhebliche Rolle, weil sie Struktur geben (Bergmann 2020, 231). Über den beruflichen Prozess hinweg handelt es sich um eine „erarbeitete“ Verkettung von Einstiegen, Übergängen bzw. Wechseln, welche von einer hohen Dynamik geprägt sind. Während die berufliche Entwicklung zu Beginn eher von Destabilisierung und Desorientierung bestimmt wird, wandelt sich jene mit einem expliziten bzw. impliziten Wendepunkt zum entsprechenden Gegenpol. Auch wenn dieser Wendepunkt objektiv als Verkettungsbruch wahrgenommen werden kann, nehmen die Subjekte ihre berufliche Entwicklung als kohärent und kontinuierlich wahr, sodass die Biografieträger eine auf den Orientierungskern ausgerichtete Prozesslogik entfalten.

4 Biografische Kohärenz als Voraussetzung und Folge Betrieblicher Bildung

Mit Blick auf gesellschaftliche Transformationsprozesse zeigen beide Studien die Bedeutsamkeit und auch die Notwendigkeit biografischer Arbeit. Biografisierung fungiert als Voraussetzung für die Herstellung von beruflichem Kohärenz- und Identitätsempfinden, welches nicht automatisch hergestellt wird, sondern durch aktive Reflexion und Rekonstruktion. Die Frage um gelungene Biografisierung und die Ausbildung biografischer Kompetenz markiert den Übergang von der individuell gelingenden Konstruktion zur gesellschaftlichen Ressource. Es wird in beiden Arbeiten deutlich, dass Individuen Gestalter und Ausrichter der eigenen beruflichen Entwicklung sind und ihre rekonstruierten Biografien – trotz objektiver Brüche, Unwägbarkeiten und Veränderungen – personale Anschlussfähigkeit aufzeigen. Wechsel, Brüche sowie Ein- und Ausstiege in der Berufs- und Erwerbsbiografie scheinen feste Bestandteile beruflicher Entwicklungs- und Bildungsprozesse zu sein, in denen Orientierung verbunden mit Anpassung und Abgrenzung stattfindet. Während die Arbeit von Frosch (2020) vor allem den Modus der Biografisierung der Subjekte und die entsprechende biografische Kompetenzentwicklung fokussiert, differenziert die Studie von Bergmann (2020) vor allem biografische Merkmale im Rahmen beruflicher Identitätsentwicklung aus. Trotz dieser unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen geht es in beiden Arbeiten um die biografische Arbeit der Subjekte. Mit Blick auf Transformationsprozesse stehen nicht nur gesellschaftliche und institutionelle Veränderungen im Fokus, sondern ebenso die Leistungen der Subjekte, wandlungsfähig, mobil und anschlussfähig zu sein. Diese Anforderungen beziehen sich nicht nur auf (subjektive und strukturelle) Anschlussfähigkeit (im Sinne von Beschäftigungsfähigkeit), sondern ebenso auf biografische Kohärenz im Selbst-Welt-Verhältnis.

Biografische Kohärenz meint dabei die Fähigkeit eines Individuums, die eigenen beruflichen und privaten Lebenserfahrungen in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen und sich ggf. mit dem eingeschlagenen Weg in Abhängigkeit von der subjektiven Quelle zu identifizieren. Dieses Passungsverhältnis fußt auf Identifikationskernen wie Berufen und Tätigkeiten und damit verbunden Kompetenzerleben, Autonomie und Selbstwirksamkeit. Gelingt es Personen, ihre Arbeit als sinnvoll, erfüllend, konsistent und identitätsstiftend darzustellen, kann von beruflicher Kohärenz ausgegangen werden. Eine hohe berufliche Kohärenz bedeutet, dass eine Person und ihre Karriereentscheidungen zu ihrem langfristigen Ziel beitragen. Im Gegensatz dazu kann es aber auch sein, dass es nicht gelingt, die berufliche Entwicklung als kohärenten Weg zu rahmen, was wiederum zu Unzufriedenheit im beruflichen Tätigkeitsfeld und zu Unsicherheit hinsichtlich der eigenen beruflichen Entwicklung führen kann. In diesen Fällen bedarf es der Unterstützung.

Um auf diese Anforderungen zu reagieren und adäquate Unterstützungsangebote zu machen, muss Betriebliche Bildung ihre Rolle und Funktion im Unternehmen überdenken und weiterentwickeln. So werden Berufsbildung, Personalentwicklung und Organisationsentwicklung inzwischen disziplinübergreifend als zusammengehörig gesehen (Dehnbostel 2022, Becker 2023, Strohm/Ulich 1997). Jeder der drei Ansätze liefe für sich allein Gefahr zu kurz zu greifen: Berufsbildung erschöpft sich in Anpassungsqualifizierung als Reaktion auf neue Technologien, Personalentwicklung erstellt und vermarktet Trainings zu Schlüsselqualifikationen und Selbstoptimierung, und beiden fehlt es an Legitimation auf strategischer Ebene die Entwicklung der gesamten Organisation mit zu bestimmen. Letztere wiederum erschöpft sich in top down vorgetragenen, aber oft wirkungslosen Impulsen zu Strukturveränderungen (Greif/Runde/Seeberg 2004).

Wenn Betriebliche Bildung sich vom Mandat der Qualifizierung über das der Entwicklung hin zur Ermöglichung von Bildungsprozessen weiterentwickelt, verändert sich auch ihre Position in der Organisation insgesamt. Sie erfüllt nicht mehr nur eine Funktion in der Linie, sondern setzt eigene Impulse, agiert vorausschauend und in einem gewissen Umfang autonom. In der Beratung einzelner Beschäftigter muss sie auch Optionen außerhalb der eigenen Organisation thematisieren, was im Einzelfall zu einem Loyalitätsdilemma führen kann. Ähnliche Spannungsfelder können in der Bearbeitung körperlicher, mentaler oder psychischer Belastungen auftreten. Betriebliche Bildung müsste im Spannungsfeld von Individuum und Organisation unabhängig agieren.

Für diese Emanzipation Betrieblicher Bildung wäre eine Professionalisierung erforderlich, die Julia Evetts (2009) angelehnt an den soziologischen Professionsbegriff als „Occupational Professionalism“ in Abgrenzung von „Organizational Professionalism“ bezeichnet hat (vgl. Dick/Weisenburger 2019). Eine Voraussetzung, damit dies gelingt, wäre ein umfassenderes Wissen um Anforderungsanalyse, Arbeitsgestaltung, Kompetenzmodellierung, die Organisation als soziales und kulturelles System, neue Technologien und Medien, Resonanz in Lehr- und Lernprozessen u.v.m., dass sie selbst stetig weiterentwickelt. Eine weitere wäre die Verpflichtung auf eine ethische Position, zum Wohle jedes*r Einzelnen zu handeln.

5 Fazit

Gesellschaftliche Transformationsprozesse bieten sowohl Chancen als auch Herausforderungen für die Entwicklung der biografischen Kohärenz eines Biografieträgers, und sie haben in vielfältiger Weise Einfluss auf individuelle Lebenswege. Deshalb ist es von Bedeutung, die Fähigkeit zur Reflexion, Anpassung und Neubewertung der eigenen Biografie im Kontext einer sich wandelnden Welt zu fördern. Aus beiden Studien sind wichtige Implikationen für betriebliche Bildungsprozesse ableitbar. Sie bieten einen erweiterten Blick auf die Bedeutung biografischer Arbeit und beruflicher Identitätsentwicklung im Zusammenhang mit Kompetenzentwicklung und der Möglichkeit, diese in beruflich-betriebliche Bildungsprozesse und Personalentwicklungsmaßnahmen zu integrieren. Die Förderung der biografischen Kohärenz im Kontext Betrieblicher Bildung erfordert eine individuelle und ganzheitliche Herangehensweise, die die berufliche Entwicklung der Mitarbeitenden in den Kontext ihres Lebensverlaufs stellt. Dies kann dazu beitragen, dass sie motivierter und zufriedener sind und sich stärker mit der Institution, dem Beruf oder der Tätigkeit identifizieren, da ihre berufliche Entwicklung ihre persönlichen Interessen integriert.

Angesichts dauerhafter Transformationsprozesse, erhöhter individueller Orientierungs- und Begründungszwänge sowie steigender Mobilität und zunehmend fragmentierter und atypischer Berufs- bzw. Erwerbsbiografien ist es entscheidend, lebensbegleitende Bildungs- und Beratungsangebote zu schaffen, die Individuen dabei unterstützen, ihre beruflichen Entwicklungen sinnstiftend zu gestalten und ihre berufliche Identität – auch jenseits einer festen Ordnungsstruktur eines Berufsbildes – zu entwickeln und zu festigen. Die empirischen Ergebnisse eröffnen neue Perspektiven zur Integration von Identitätsbildung in beruflich-betriebliche Bildungsprozesse auf organisationaler und individueller Ebene. Letztlich geht es darum, Anlässe des Reflektierens zu schaffen und beim Erschließen von Sinnstiftungs- und Identifikationspotentialen beruflicher/ erwerblicher Tätigkeiten zu unterstützen. Durch Biografisierungsimpulse kann Betriebliche Bildung dazu beitragen, Erwerbs- oder Berufs-biografien als subjektive Ressource zu entfalten und dem hohen Transformationsdruck entgegenzuhalten.

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Zitieren des Beitrags

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