bwp@ 38 - Juni 20

Jugendliche Lebenswelten und berufliche Bildung

Hrsg.: Karin Büchter, H.-Hugo Kremer, Anja Gebhardt & Hannah Sloane

Welchen Herausforderungen begegnen Auszubildende im Berufs- und Privatleben?

Beitrag von Anja Gebhardt & Han Sam Quach
bwp@-Format: Forschungsbeiträge
Schlüsselwörter: Herausforderungen, Auszubildende, Lebenswelten, Entwicklungsaufgaben

Jugendliche stehen aufgrund der hohen Dichte und Vielfalt an Entwicklungsaufgaben im Jugendalter sowie der Konfrontation mit kritischen Lebensereignissen und Alltagsproblemen großen Belastungen gegenüber. Zudem ist die Berufsausbildung mit einer Vielzahl unterschiedlicher Herausforderungen verbunden. Im Fokus des vorliegenden Beitrags steht daher die Frage, welchen Herausforderungen Auszubildende in ihren privaten und berufsbezogenen Lebenswelten begegnen. Die Beantwortung dieser Forschungsfrage basiert auf schriftlich formulierten Antworten von 953 Auszubildenden aus der Ostschweiz, die im Rahmen einer Onlinebefragung erhoben und mit Hilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet wurden. Es zeigt sich, dass die Jugendlichen im privaten Bereich am häufigsten zwischenmenschliche Aspekte und die Umsetzung einer Work-Life-Balance als herausfordernd erleben. Mit Blick auf die berufsbezogenen Lebenswelten berichten die Auszubildenden primär von Herausforderungen im Umfeld des Lehrbetriebs sowie im Zusammenhang mit Lern- und Leistungssituationen.

Which challenges do apprentices face in their private and professional life?

English Abstract

Due to a wide range and variety of developmental tasks associated with adolescence and the confrontation with critical life events and everyday problems, young people face great stress. In addition, vocational education and training is associated with a multitude of different challenges. In this paper, we focus on the question of which challenges apprentices face in their private and professional life. To answer the research question, data of 953 apprentices was collected in the eastern part of Switzerland by using an online questionnaire. The written answers were evaluated by applying qualitative content analysis. The results show that young people most frequently perceive interpersonal aspects and the implementation of a work-life-balance as challenging in their private lives. With regard to their professional lives, the apprentices primarily report on challenges concerning the environment of the host company as well as in connection with situations regarding learning and performance.

1 Einleitung

„Probleme in der Familie. Komplizierte Freundschaften, die einem nahegehen und einen auch mal aus der Bahn werfen können. Gefühlschaos mit Männern“ oder „Abseits von der Arbeit gibt es nicht, wenn man nach Hause kommt, geht es mit dem Arbeiten weiter. Denn die AD und PD [Arbeits- und Projektdokumentationen] machen sich nicht selbst. Einen Teil des Haushalts sollte man auch noch machen. Freizeit gibt es seit der Lehre nicht mehr. Die Ausbildung ist sehr anstrengend und sie gibt einem auch ein permanentes Stressgefühl“. Das sind – exemplarisch aufgezeigt – Themen, auf die Auszubildende im Hinblick auf die Herausforderungen in ihrem Leben Bezug nehmen. Im Fokus des vorliegenden Beitrags steht die Auseinandersetzung mit diesen, von den Auszubildenden wahrgenommenen Herausforderungen als spezifischer Ausschnitt ihrer Lebenswelten.

Die Beachtung von Lebensweltbezügen fand im Zuge der so genannten Alltagswende seit den 1980er Jahren Eingang in verschiedene pädagogische und didaktische Konzepte und Ansätze (vgl. Barz/Tippelt 2011, 117; Meyer-Drawe 2005, 923). u. a. auch in die Berufs- und Wirtschaftspädagogik und damit in Überlegungen zur Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen im Kontext der beruflichen Bildung (vgl. Büchter et al. 2019, 1). Ein wesentliches Kennzeichen lebensweltorientierter Ansätze ist die konsequente Ausrichtung des Lehrens und Lernens an den Erfahrungshorizonten und Voraussetzungen der Lernenden (vgl. Barz/Tippelt 2011, 117; Heursen 1996, 42). Um der Forderung des Einbezugs der Lebenswelten der Auszubildenden bei der Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen in der Berufsausbildung gerecht werden zu können, ist das Verstehen der jugendlichen Lebenswelten essenzielle Voraussetzung. Hierfür ist es wiederum erforderlich, die Lebenswelten der Auszubildenden zu beschreiben und zu analysieren (vgl. Gebhardt 2012, 3f.).

In diesem Zusammenhang können – neben anderen Aspekten – die Herausforderungen der Auszubildenden adressiert werden. Die Relevanz der Betrachtung der Herausforderungen ergibt sich zum einen, weil „Jugendliche aufgrund der alterstypischen Entwicklungsprozesse [per se] vermehrt großen Herausforderungen und Belastungen gegenüber[stehen]“ (Hösli-Leu/Wade-Bohleber/von Wyl 2018, 25). Zum anderen ist insbesondere auch die (Aufnahme einer) Berufsausbildung mit einer Vielzahl unterschiedlicher Herausforderungen verbunden, da die Jugendlichen mit neuen Aufgaben, Erwartungen und Rollen konfrontiert werden (vgl. Lange 2019, 17, 85). Zudem verändert sich durch die Berufsausbildung das Alltagsleben der Jugendlichen, das sie umgebende soziale Gefüge und ihr sozialer Status (vgl. Eckert 1989, 43). „Die Bewältigung dieser vielfältigen Herausforderungen beeinflusst den … Verlauf der Ausbildung maßgeblich“ (Lange 2019, 17). Darüber hinaus belegen bestehende Arbeiten, dass sich verschiedene Entwicklungsbereiche wechselseitig beeinflussen und, dass Herausforderungen in bestimmten Lebensbereichen Herausforderungen in anderen Lebensbereichen nach sich ziehen können (vgl. Eschenbeck/Knauf 2018, 27f.; Quenzel 2010, 125f.; Coleman 1989, 43ff.). Dementsprechend wird angenommen, dass z. B. familiäre Konflikte, Liebeskummer oder der Kontakt zu Gleichaltrigen den Verlauf und Erfolg der Berufsausbildung determinieren können. Infolge dessen kann postuliert werden, dass die von den Auszubildenden wahrgenommenen Herausforderungen einen für die Berufsausbildung relevanten Aspekt der jugendlichen Lebenswelten darstellen und dass sowohl private als auch berufsbezogene Herausforderungen fokussiert werden sollten. In Bezug auf die privaten Herausforderungen werden im Rahmen des vorliegenden Beitrags zum einen die Entwicklungsaufgaben des Jugendalters (z. B. Berufswahl und Berufsausbildung, Erwerb ökonomischer Unabhängigkeit, Aufbau sozialer und romantischer Beziehungen) in den Blick genommen, weil sie als an die Lebensphase Jugend gebundene Herausforderungen interpretiert werden können (vgl. Quenzel 2010, 127; Flammer/Alsaker 2002, 63). Zum anderen werden kritische Lebensereignisse und Alltagsprobleme beleuchtet, die von der Lebensphase unabhängige Herausforderungen darstellen (vgl. Eschenbeck/Knauf 2018, 34). Da Auszubildende und ihre Lebenswelten im Mittelpunkt des Beitrags stehen, wird auf die Entwicklungsaufgabe Berufsausbildung und die damit einhergehenden Herausforderungen ein besonderes Augenmerk gelegt. Betrachtet werden in diesem Zusammenhang beispielsweise Herausforderungen im Umfeld des Lehrbetriebs (vgl. Prümper/Hartmannsgruber/Frese 1995) oder im Zusammenhang mit verschiedenen Beziehungen im Kontext der Berufsausbildung, z. B. zu Ausbilderinnen und Ausbildern, Lehrpersonen, Mitschülerinnen und Mitschülern oder Kundinnen und Kunden.

Das skizzierte, vergleichsweise breite Verständnis von Herausforderungen legt nahe, sich dem Thema in umfassender Weise und mit einem explorativen Vorgehen zu nähern. Das gilt umso mehr, als theoretische Grundlagen und empirische Untersuchungen, die der Komplexität und Vielfalt der Herausforderungen von Auszubildenden gerecht würden, nach Kenntnisstand des Autorenteams bisher nicht vorliegen. Der vorliegende Beitrag zielt dementsprechend darauf, die wahrgenommenen Herausforderungen auf Seiten der Lernenden zu eruieren. Konkret wird der folgenden Forschungsfrage nachgegangen: Mit welchen Herausforderungen werden Auszubildende in ihren privaten und berufsbezogenen Lebenswelten konfrontiert? Intendiert wird dabei zum einen die Beschreibung der Herausforderungen aus Sicht der Auszubildenden auf Basis empirischer Daten. Dabei werden auch Unterschiede nach Geschlecht, Migrationshintergrund und Berufsfeld untersucht. Zum anderen werden diese Erkenntnisse genutzt, um den Entwurf eines Theoriemodells zum Thema Herausforderungen von Auszubildenden herauszuarbeiten. Der Beitrag soll diesbezüglich einen Beitrag zur Exploration bzw. zur Weiterentwicklung entsprechender theoretischer Grundlagen leisten.

Lebenswelten konstituieren sich u. a. aus subjektiven Wahrnehmungen, Erfahrungen und Deutungen (vgl. Muckel/Grubitzsch 1993, 130), weshalb sie schwierig zu erfassen sind. Die Beschreibung der Lebenswelten oder von Lebensweltaspekten – wie hier den Herausforderungen – sollte infolge dessen aus der Perspektive der Jugendlichen und auf Basis von Selbstauskünften erfolgen (vgl. Tenorth/Tippelt 2007, 451f.). Dementsprechend und wegen der erwähnten Präferenz für ein exploratives Vorgehen basiert die Beantwortung der Forschungsfrage auf offenen, selbst formulierten Textantworten von 953 Auszubildenden. Diese wurden im Zuge einer Onlinebefragung erhoben, in der für die Analyse von Unterschieden auch Informationen zu verschiedenen sozioökonomischen Merkmalen der Lernenden und zum erlernten Beruf erfasst wurden.

Mit Blick auf die Bearbeitung der vorgestellten Forschungsfrage werden im zweiten Kapitel zunächst theoretische Konzepte erläutert, die im Zusammenhang mit privaten und berufsbezogenen Herausforderungen als theoretische Bezugspunkte fungieren können. Eingegangen wird dabei u. a. auf das Konzept der Entwicklungsaufgaben, kritische Lebensereignisse und Alltagsprobleme sowie die Funktion von jugendlichem Risikoverhalten in Bezug auf die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben. Außerdem werden verschiedene Belastungsfaktoren im Umfeld von Betrieben bzw. Lehrbetrieben sowie Beziehungen von Lernenden zu verschiedenen Akteuren, die im Rahmen ihrer Berufsausbildung eine Rolle spielen, beleuchtet. Erörtert wird ferner, was in diesem Beitrag unter Lebenswelten verstanden wird. Das dritte Kapitel widmet sich dem methodischen Vorgehen. Beschrieben werden das Vorgehen bei der Datenerhebung und der Datenauswertung sowie die Zusammensetzung der Stichprobe. Im vierten Kapitel werden die Ergebnisse berichtet, indem die empirischen Daten zu den wahrgenommenen Herausforderungen der Auszubildenden in deren privaten und berufsbezogenen Lebenswelten vorgestellt und Unterschiede in Abhängigkeit von Geschlecht, Migrationshintergrund und Berufsfeld aufgezeigt werden. Auf Grundlage der empirischen Ergebnisse schließt das vierte Kapitel mit der Herausarbeitung eines Theorieentwurfs, bevor die Erkenntnisse im fünften Kapitel zusammengefasst und im Rahmen einer Diskussion reflektiert werden.

„Probleme in der Familie. Komplizierte Freundschaften, die einem nahegehen und einen auch mal aus der Bahn werfen können. Gefühlschaos mit Männern“ oder „Abseits von der Arbeit gibt es nicht, wenn man nach Hause kommt, geht es mit dem Arbeiten weiter. Denn die AD und PD [Arbeits- und Projektdokumentationenfile:///C:/Users/Sigrid/AppData/Local/Temp/msohtmlclip1/01/clip_image002.gif" alt="" width="609" height="455" />

2 Theoretische Bezugspunkte für die Erforschung der Herausforderungen von Auszubildenden als spezifischer Ausschnitt ihrer Lebenswelten

Mit Blick auf die Analyse der Lebenswelten von Auszubildenden ist es unverzichtbar, zu erläutern, welches Verständnis von Lebenswelten dem vorliegenden Beitrag zugrunde liegt. In Abschnitt 2.1 findet deshalb eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Lebensweltkonzepten statt. Eine ähnlich intensive Auseinandersetzung mit dem Begriff der Herausforderungen ist bisher nicht Gegenstand bildungswissenschaftlicher Publikationen und daher auch im Rahmen des vorliegenden Beitrags nicht zielführend. In Anlehnung an das Alltagsverständnis und unter Bezug auf den subjektiven Charakter der Lebenswelten (vgl. Kapitel 1) werden Herausforderungen nachfolgend als Aufgaben, Arbeiten, Zustände oder Situationen definiert, die individuell als anspruchsvoll empfunden werden. Wie erwähnt (vgl. Kapitel 1) gibt es bis anhin keine elaborierte Theorie zu den Herausforderungen im Jugendalter oder gar spezifischer für die Herausforderungen von Auszubildenden. In den Abschnitten 2.2 und 2.3 werden daher theoretische Bezugspunkte erläutert, die geeignet erscheinen, den Gegenstandsbereich der privaten und berufsbezogenen Herausforderungen in theoretischer wie empirischer Hinsicht zu erhellen.

2.1 Das Konzept der Lebenswelten

Im Zuge der so genannten Alltagswende, die aus der Kritik an den wissenschaftsorientierten Unterrichtskonzeptionen in den 1960er und 1970er Jahren erwuchs, fand das Paradigma der Lebensweltorientierung seit den 1980er Jahren in verschiedenen pädagogischen Disziplinen verstärkt Beachtung (vgl. Büchter et al. 2019, 1). In diesem Zusammenhang gewann auch der Begriff der Lebenswelten zunehmend an Bedeutung und Beliebtheit (vgl. Barz/Tippelt 2011, 117; Kraus 2006, 117f.; Heursen 1996, 42; Eckert 1989, 37). Trotzdem oder vielleicht gerade wegen der vielfältigen Bezüge in unterschiedlichen pädagogischen Kontexten gibt es bis anhin keine allgemein etablierte Theorie bzw. Konzeption der Lebenswelten, weshalb auch hinsichtlich der Definition des Lebensweltenbegriffs Uneinigkeit herrscht (vgl. Schreiber 2005, 311). Kraus (2006) führt diesbezüglich aus, dass „der geradezu inflationäre Gebrauch des Begriffes … mit einer nicht eben geringen begrifflichen 'Unschärfe', um nicht zu sagen Beliebigkeit einher[geht]“ (116). Weiterführend kritisieren Winkler (2005, 16) sowie Muckel/Grubitzsch (1993, 132), dass der Betriff der Lebenswelten in einem Teil der bestehenden Publikationen theorieungebunden verwendet wird. Demgegenüber betont Winkler (2005, 16) jedoch auch, dass verschiedene Arbeiten im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Lebenswelten auf unterschiedliche Theorieansätze rekurrieren. Häufig werden in diesem Kontext die phänomenologischen Wurzeln des Begriffs beispielsweise in den Werken von Husserl (1954), Schütz/Luckmann (1975) und Habermas (1981) verortet (vgl. Kraus 2006, 116f.; Schreiber 2005, 312f.). Auf eine ausführliche Erörterung dieser unterschiedlichen Theorien sei an dieser Stelle verzichtet und auf Zusammenfassungen z. B. in Kraus (2006), Schreiber (2005) sowie Hitzler/Honer (1984) verwiesen.

Vielmehr werden nachfolgend die wesentlichen Merkmale des Lebensweltverständnisses skizziert, das dem vorliegenden Beitrag zugrunde liegt. Das Autorenteam ist sich dabei bewusst, dass mit diesem Vorgehen eine gewisse inhaltliche Reduktion, wenn nicht sogar Verkürzung bezüglich der Darstellung des Lebensweltkonzepts einhergeht. Bereits Eckert (1989) betont diesbezüglich, dass „die unumgängliche Transformation des Lebensweltbegriffs in empirisch handhabbare Fragestellungen ständig in der Gefahr schwebt, in problematische Verkürzungen abzugleiten“ (39).

Ein in den verschiedenen Lebensweltkonzepten kontrovers diskutierter Aspekt betrifft die Frage, inwiefern Lebenswelten subjektiv oder intersubjektiv geprägt sind. In Anlehnung an Schreiber (2005) wird im vorliegenden Beitrag von einer Lebensweltkonzeption ausgegangen, welche die subjektive und die intersubjektive Perspektive verbindet. Demnach weisen Lebenswelten einen subjektiven Charakter auf, weil jedes Individuum auf Grundlage seiner Erfahrungen, Voraussetzungen und Lebensbedingungen (s)eine spezifische Sichtweise auf die Welt konstruiert (vgl. Kraus 2006, 122; Heursen 1996, 42). Infolge dessen können Lebenswelten „nicht anders als subjektiv gegeben sein“ (Schreiber 2005, 314). Bereits für Husserl (1954) ist die subjektive Perspektive der Lebenswelten von zentraler Bedeutung und ausschlaggebender Punkt für die Verwendung des Begriffs im Plural (vgl. Schreiber 2005, 314). Gleichzeitig „konstituieren sich Lebenswelten nicht unabhängig und unbeeinflusst von gesellschaftlichen Strukturen“ (Heursen 1996, 42). Dementsprechend kann angenommen werden, dass auch gesellschaftlich akzeptiertes Wissen, Prozesse wie Sozialisation und Erziehung sowie gesellschaftliche und soziale Rahmenbedingungen die subjektive Deutung der Lebenswelten eines Individuums prägen. Die Wahrnehmung der Lebenswelten ist daher immer auch in den Kontext gesellschaftlicher Erfahrungen und Vorstellungen eingebettet (vgl. Muckel/Grubitzsch 1993, 130) und daher intersubjektiv (vgl. Schreiber 2005, 314). Schreiber (2005) fasst entsprechend zusammen: „Obwohl kaum jemand die subjektive Determinierung der Weltsicht in Frage stellt, wird gleichzeitig weitgehend akzeptiert, dass es die Lebenswelt auch als den 'alles umspannenden Horizont' gibt, als Welt, die von den verschiedenen Subjekten nur unterschiedlich aufgefasst wird“ (314). In Bezug auf das Thema des vorliegenden Beitrags bedeutet die skizzierte Prämisse, dass die Wahrnehmung von Herausforderungen – als Ausschnitt der Lebenswelten von Auszubildenden – einerseits individuellen Deutungen und Erfahrungen unterworfen und damit höchst subjektiv ist. Andererseits findet die Wahrnehmung der Herausforderungen nicht losgelöst von gesellschaftlichen Normen, Vorstellungen und Rahmenbedingungen statt, so dass sie in diesem Sinne auch intersubjektiv geprägt ist. 

Grunau/Sachse (2020, 4) schlagen eine Differenzierung in äußere und innere Lebenswelten vor. Dieser Systematisierungsansatz steht nach Ansicht des Autorenteams in Verbindung mit der Verschränkung der subjektiven und der intersubjektiven Perspektive. Demnach werden die äußeren Lebenswelten als die tatsächlich bestehenden sozialen Gefüge und/oder Orte interpretiert (vgl. Grunau/Sachse 2020, 4). Im Zusammenhang mit dem Fokus des Beitrags sind beispielsweise der Lehrbetrieb, die Berufsschule, die Familie und die Peergroup der Auszubildenden solche sozialen Orte bzw. Gefüge und damit Ausschnitte ihrer äußeren Lebenswelten (vgl. Götzl/Jahn 2017, 98). Eng verknüpft mit den äußeren Lebenswelten sind die inneren Lebenswelten. Diese sind vielschichtig und durch die individuelle Biographie geprägt. Durch die interne Auseinandersetzung mit den Erfahrungen in den äußeren Lebenswelten konstituieren sich die inneren Lebenswelten der Jugendlichen (vgl. Grunau/Sachse 2020, 5ff.). Dementsprechend verarbeiten die Lernenden Erfahrungen in den äußeren Lebenswelten wie dem Lehrbetrieb innerlich, wodurch sich z. B. die wahrgenommenen Herausforderungen in den berufsbezogenen Lebenswelten herausbilden.

Im vorherigen Abschnitt wurde angedeutet, dass sich das Leben der Auszubildenden in mehreren Lebensbereichen abspielt, so z. B. das Privatleben in der Familie und im Freundeskreis und die Berufsausbildung in der Berufsschule und im Lehrbetrieb. Demgemäß agieren Auszubildende auch in mehreren Lebenswelten, die jedoch nicht als trennscharfe Teillebenswelten interpretiert werden sollten. Vielmehr überschneiden sich die Lebenswelten der Auszubildenden (vgl. Götzl/Jahn 2017, 98). Wie in Kapitel 1 erwähnt, ist es aus diesem Grund relevant, bei der Betrachtung der Herausforderungen von Auszubildenden sowohl die privaten als auch die berufsbezogenen Lebenswelten in den Blick zu nehmen.

2.2 Bezugspunkte hinsichtlich der Herausforderungen von Auszubildenden in deren privaten Lebenswelten

Wie in Kapitel 1 erwähnt, erleben Auszubildende aufgrund von Entwicklungsprozessen, die für die Jugendphase kennzeichnend sind, vermehrt großen Herausforderungen. Deshalb werden im Zusammenhang mit den Herausforderungen in den privaten Lebenswelten der Auszubildenden zunächst die Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen und das zugrundeliegende Konzept erläutert.

Das Konzept der Entwicklungsaufgaben geht auf Havighurst (1953) zurück, dem zufolge jeder Mensch unterschiedliche Lebensabschnitte durchläuft, in denen er mit jeweils spezifischen Entwicklungsaufgaben konfrontiert wird. In diesem Zusammenhang können Entwicklungsaufgaben als an die Lebensphase gebundene Herausforderungen interpretiert werden (vgl. Quenzel 2010, 127; Flammer/Alsaker 2002, 63). Die erfolgreiche Bewältigung dieser Entwicklungsaufgaben ist essenziell für die Entwicklung einer Person und prägend für den weiteren Lebenslauf. Im Umkehrschluss wird angenommen, dass ein Scheitern bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben Schwierigkeiten in der weiteren Entwicklung nach sich zieht (vgl. Eschenbeck/Knauf 2018, 25; Grob/Jaschinski 2003, 22; Flammer/Alsaker 2002, 56). In diesem Zusammenhang wird der Phase des Jugendalters besondere Bedeutung zugeschrieben, weil sie durch eine hohe Dichte und Vielfalt an Entwicklungsaufgaben gekennzeichnet ist (vgl. Hösli-Leu/Wade-Bohleber/von Wyl 2018, 25; Hurrelmann/Quenzel 2012, 5; Papastefanou/von Hagen 2011, 118).

In der Literatur liegen unterschiedliche Aufzählungen und Kategorisierungen hinsichtlich der Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen vor (vgl. Flammer/Alsaker 2002, 56). Einer Einteilung von Grob/Jaschinski (2003, 28) folgend, wird im Rahmen dieses Beitrags zwischen persönlichen, zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Entwicklungsaufgaben differenziert. Im persönlichen Bereich ergeben sich Anforderungen resp. Herausforderungen zum einen infolge biologischer Veränderungen (z. B. Entwicklung des Körpers), zum anderen als Folge sich verändernder psychischer Voraussetzungen (z. B. Entwicklung kognitiver Fähigkeiten). Entwicklungsaufgaben, die mit der Jugendphase assoziiert und dem persönlichen Bereich zugeordnet werden, sind beispielsweise der Umgang mit der Entwicklung des eigenen Körpers und die Akzeptanz des sich verändernden Körpers, die Erarbeitung einer weiblichen oder männlichen Geschlechtsrolle, die Entwicklung einer eigenen Identität, eigener Werte und Überzeugungen sowie der Erwerb bzw. die Erweiterung verschiedener Kompetenzen. Die zwischenmenschlichen Entwicklungsaufgaben entstehen infolge neuer Beziehungsmuster und der damit einhergehenden Herausforderungen. Hierzu gehören beispielsweise der Aufbau und die Gestaltung von sozialen und romantischen Beziehungen (Freundschaften und Partnerschaften), die Umgestaltung der Beziehung zu den Eltern und die emotionale Loslösung vom Elternhaus sowie die Vorbereitung der eigenen Familiengründung. Des Weiteren verändern sich die soziokulturellen Anforderungen, die ausgehend von der Gesellschaft an die Jugendlichen gerichtet werden. Zu den Herausforderungen resp. Entwicklungsaufgaben im gesellschaftlichen Bereich zählen z. B. die Berufswahl und die Berufsausbildung (Erwerb einer beruflichen Qualifikation), der Erwerb ökonomischer Unabhängigkeit, d. h. finanzieller Selbstständigkeit, der Auszug aus dem Elternhaus und sozialverantwortliches Handeln (vgl. Grob/Jaschinski 2003, 28f.; Flammer/Alsaker 2002, 57). In neueren Publikationen wird auf einen vierten Bereich an Entwicklungsaufgaben hingewiesen. Dabei geht es um Anforderungen bzw. Herausforderungen, die im Zusammenhang mit der Nutzung von Konsum-, Medien- und Freizeitangeboten entstehen. Beispielsweise geht es um die Freizeitgestaltung und den damit in Verbindung stehenden Einsatz zeitlicher und finanzieller Ressourcen, den verantwortungsvollen Konsum (neuer) Medien oder die Regernation der psychischen und physischen Kräfte (vgl. Eschenbeck/Knauf 2018, 26f.; Hurrelmann/Quenzel 2012, 37). 

Neben den Entwicklungsaufgaben des Jugendalters werden auch kritische Lebensereignisse und Alltagsprobleme beleuchtet, die von der Lebensphase unabhängige Herausforderungen darstellen. Dabei sind kritische Lebensereignisse einschneidende Ereignisse oder abrupte Veränderungen der Lebensbedingungen, welche für die Jugendlichen folgenreich, unerwartet, unerwünscht oder überfordernd sind, wie beispielsweise Gewalterfahrung, die Scheidung der Eltern, das Zerbrechen einer Freundschaft oder ein Todesfall im persönlichen Umfeld (vgl. Eschenbeck/Knauf 2018, 34). Es wird angenommen, dass jedes kritische Lebensereignis eine Anpassung der Jugendlichen erfordert und dass die daraus resultierende Herausforderung umso grösser ist, je grösser sich die Veränderung darstellt (vgl. Raithel 2011, 74). Alltagsprobleme sind Herausforderungen, die nicht zwingend schwerwiegend sind. Sie treten auf im Zusammenhang mit Unannehmlichkeiten im Alltag (z. B. Erwartungen der Eltern), Leistungssituationen (z. B. schlechte Noten, Hausaufgaben), sozialen oder zwischenmenschlichen Beziehungen (z. B. Streit, Mobbing) (vgl. Eschenbeck/Knauf 2018, 34).

Im Zusammenhang mit den Herausforderungen der Auszubildenden wird auch das Risikoverhalten von Jugendlichen thematisiert, weil „[d]em Risikoverhalten eine instrumentelle Funktion bei der 'Bewältigung' von Entwicklungsaufgaben und anderen Herausforderungen zu[kommt]“ (Raithel 2011, 65). Teilweise wird Risikoverhalten sogar als eigenständige Entwicklungsaufgabe angesehen (vgl. Raithel 2011, 67). Es sei angemerkt, dass bei den nachfolgenden Ausführungen zum Risikoverhalten im Jugendalter auf Raithel (2011, 25f.) rekurriert wird, da er – als renommierter Forscher in diesem Bereich – Erklärungs- und Systematisierungsansätze für das jugendliche Risikoverhalten entwickelt hat. Risikoverhalten wird im Rahmen des vorliegenden Beitrags als bewusstes und unsicherheitsbezogenes Handeln definiert, das zu Schaden führen und Konsequenzen nach sich ziehen kann und unter Umständen die weitere Entwicklung der Jugendlichen gefährdet. Die Zusammenhänge zwischen jugendlichem Risikoverhalten und den Entwicklungsaufgaben sowie weiteren Herausforderungen sind vielfältig. Beispielsweise fungieren riskante Verhaltensweisen wie der Konsum von Alkohol und Zigaretten als Symbol der Autonomie und des Erwachsenseins. Auch können riskante Handlungen Ausdruck der bewussten Auflehnung gegen die Eltern im Zuge der emotionalen Loslösung vom Elternhaus sein oder der (erleichterten) Anerkennung in einer Gruppe von Gleichaltrigen dienen. Zudem erfüllt riskantes Verhalten bei Jugendlichen eine Entlastungs- und Kompensationsfunktion (Stress- und Emotionsregulation) bei auftretenden Entwicklungsproblemen (vgl. Raithel 2011, 65f.). Es gibt verschiedene Formen riskanten Verhaltens, die in der Literatur unterschiedlich kategorisiert werden. Raithel (2011, 27ff.) differenziert riskante Verhaltensweisen nach der Form der Unsicherheit bzw. des Schadens in vier Kategorien: gesundheitsbezogenes, delinquentes, finanzielles und ökologisches Risikoverhalten. Das gesundheitsbezogene Risikoverhalten Jugendlicher umfasst zahlreiche Facetten, z. B. den Konsum von Drogen, Alkohol, Tabak und anderen Substanzen, Extremsport oder Bewegungsmangel, restriktive resp. exzessive Ernährung, riskantes Verhalten im Straßenverkehr, ungeschützte Sexualkontakte, lautes Musikhören und vieles mehr. Solches Verhalten schädigt in der Regel die Jugendlichen selbst, beispielsweise durch Unfälle, Verletzungen oder Krankheiten. Auch führt delinquentes Risikoverhalten (z. B. Gewalt- oder Eigentumsdelikte, Schwarzfahren, Fälschen von Unterschriften) zu Schaden auf Seiten der Jugendlichen, und zwar in Form von Sanktionen oder Strafmaßnahmen. Übermäßiger Konsum von Waren und Dienstleistungen oder die Teilnahme an Glücksspielen sind Handlungen, die dem finanziellen Risikoverhalten zugeordnet werden. Sie schädigen ebenfalls die Jugendlichen selbst, z. B. durch Verschuldung. Dahingegen ist der Schaden beim ökologischen Risikoverhalten auf die Umwelt gerichtet. Es geht beispielsweise um naturressourcenverbrauchende Aktivitäten wie häufige Flugreisen oder das Wegwerfen von Müll in der Öffentlichkeit. Es sei darauf hingewiesen, dass die vorgestellte Kategorisierung idealtypisch und nicht überschneidungsfrei ist. Beispielsweise weist der Konsum von illegalen Drogen Bezüge zum gesundheitsbezogenen, delinquenten – und unter Umständen finanziellen Risikoverhalten – auf.

2.3 Bezugspunkte hinsichtlich der Herausforderungen von Auszubildenden in deren berufsbezogenen Lebenswelten

Die Berufsausbildung wurde in Abschnitt 2.2 zu den gesellschaftlichen Entwicklungsaufgaben gezählt. Da Auszubildende und damit der Kontext der beruflichen Bildung im Fokus des vorliegenden Beitrags stehen, werden die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Berufsausbildung in diesem Abschnitt detaillierter betrachtet.

In die berufliche Ausbildung sind in der Schweiz drei Lernorte involviert: der Lehrbetrieb, die Berufsfachschule und die überbetrieblichen Kurse (vgl. SBFI 2018, 1ff.). Während sich der Lehrbetrieb auf die praktische Ausbildung der Lernenden konzentriert, ergänzt die Berufsfachschule die praktische Ausbildung durch allgemeinbildenden und berufskundlichen Unterricht. Der allgemeinbildende Unterricht zielt darauf, die Jugendlichen auf ihr Leben und Wirken in der Gesellschaft vorzubereiten. Der berufskundliche Unterricht widmet sich dahingegen der Vermittlung von (theoretischen) Grundlagen, die für die Ausübung des jeweiligen Berufs notwendig sind. Die überbetrieblichen Kurse, die in der Regel als Blockveranstaltungen organisiert sind, dienen der Aneignung und Einübung (weiterer) grundlegender berufsbezogener Fertigkeiten (vgl. Art. 22, Art. 23 Berufsbildungsgesetz). Mit Blick auf die Herausforderungen in den berufsbezogenen Lebenswelten der Auszubildenden geht das Autorenteam davon aus, dass mit den verschiedenen Lernorten verschiedene Herausforderungen einhergehen. Die Dreiteilung der Lernorte wird daher als Ausgangspunkt für die Systematisierung der berufsbezogenen Herausforderungen gewählt.

In Bezug auf die Herausforderungen im Umfeld des Lehrbetriebs wird angenommen, dass Auszubildende grundlegend ähnlichen Herausforderungen und Belastungen begegnen wie (ältere) Arbeitnehmer*innen. In Anlehnung an Prümper/Hartmannsgruber/Frese (1995, 127) könnten Auszubildende vor allem durch quantitative Belastungsfaktoren, qualitative Belastungsfaktoren und belastende Arbeitsbedingungen herausgefordert sein. Dabei umfassen quantitative Belastungsfaktoren ein hohes Volumen an Arbeitsaufträgen, die damit einhergehende Erschöpfung sowie Zeitdruck und Stress bei der Erfüllung von Aufgaben und Aufträgen. Qualitative Belastung entsteht, wenn Aufgaben, Aufträge oder Situationen komplex, kompliziert oder in sonstiger Form (z. B. emotional) belastend sind. Überschreiten die damit verbundenen Anforderungen die gegebenen Voraussetzungen auf Seiten der Auszubildenden, könnte dies zu einer Überforderung der Jugendlichen führen, die sie als herausfordernd erleben. Zu den belastenden Arbeitsbedingungen gehören stressauslösende sensorische Eigenschaften der Arbeit. Herausforderungen in diesem Bereich können sich z. B. infolge von Lärm, Staub, Temperatur- und Lichtverhältnissen ergeben. Auch Herausforderungen im Zusammenhang mit der Ausgestaltung des Arbeitsplatzes und den Räumlichkeiten im Lehrbetrieb werden zu den belastenden Arbeitsbedingungen gezählt. Darüber hinaus werden im vorliegenden Beitrag auch Herausforderungen, welche die Arbeitsorganisation betreffen, als belastende Arbeitsbedingungen interpretiert. In diesem Kontext geht es z. B. um Wochenend- oder Schichtdienst sowie das Fehlen von Materialien und Informationen.

Hinsichtlich der Herausforderungen und Belastungen, die spezifisch den Lernorten Berufsfachschule und überbetriebliche Kurse zugeschrieben werden, finden sich in der Theorie kaum Anhaltspunkte.

Neben der Dreiteilung der Lernorte ist das Besondere an einer Berufsausbildung, dass zahlreiche Lern- und Leistungssituationen von den Auszubildenden zu bewältigen sind, die vermutlich und zumindest für einen Teil der Lernenden herausfordernden Charakter besitzen. So sind in der Berufsfachschule verschiedene schriftliche und mündliche Leistungsnachweise und Prüfungen abzulegen und Hausaufgaben zu machen, während im Lehrbetrieb und in den überbetrieblichen Kursen primär praktische Leistungen eingefordert werden. Ebenfalls gibt es lernortübergreifende Aufgaben, wie die Anfertigung von Arbeits- und Projektdokumentationen (vgl. Art. 12 Verordnung des SBFI über die berufliche Grundbildung Fachfrau Gesundheit/Fachmann Gesundheit mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ) vom 05.08.2016), die im Eingangszitat in Kapitel 1 thematisiert wurden. Am Ende der Berufsausbildung gilt es zudem, das so genannte Qualifikationsverfahren (Lehrabschlussprüfung in der Schweiz) zu bestehen (vgl. Art. 33 Berufsbildungsgesetz). Um den skizzierten Anforderungen gerecht werden zu können, lernen die Jugendlichen oder bereiten sich anderweitig vor. Die Lernenden müssen sich diesbezüglich in der Regel selbst organisieren und motivieren sowie sämtliche Aufgaben koordinieren (vgl. Götz 2017, 81ff.). 

Darüber hinaus werden im Rahmen der Herausforderungen in den berufsbezogenen Lebenswelten der Auszubildenden die Beziehungen zu verschiedenen Akteuren wie Lehrpersonen, Ausbilder*innen, Mitschüler*innen, Kolleginnen und Kollegen, Kundinnen und Kunden des Lehrbetriebs thematisiert. In Abschnitt 2.2 wurde erläutert, dass das Jugendalter durch vielfältige Entwicklungsaufgaben im zwischenmenschlichen Bereich geprägt ist und Konflikte im zwischenmenschlichen Bereich als Herausforderungen interpretiert werden. Das bestätigen auch verschiedene Jugendstudien, indem sie belegen, dass zwischenmenschliche Beziehungen für Jugendliche von besonderer Bedeutung sind (vgl. Huber 2019, 100ff.; Albert/Hurrelmann/Quenzel 2019, 105f.; Calmbach et al. 2016, 303ff.; Golder et. al 2016, 63ff.). Daher dürften zwischenmenschliche Beziehungen auch für den berufsbezogenen Kontext relevant sein. So zeigen mehrere Studien zu Lehrabbrüchen und Belastungen zu Ausbildungsbeginn, dass Konflikte im Arbeitsumfeld häufig für Vertragsauflösungen verantwortlich zeichnen (vgl. Lamamra/Duc 2015, 109ff.; Neuenschwander et al. 2012, 222f., Kutscha/Besener/Debie 2009, 43ff.) oder zumindest als Belastung empfunden werden (vgl. Lange 2019, 130ff.).

3 Methodisches Vorgehen

In diesem Kapitel wird die Onlinebefragung der Auszubildenden eingehend beschrieben. Nachfolgend werden daher das Vorgehen bei der Datenerhebung (vgl. Abschnitt 3.1), die Merkmale der Stichprobe (vgl. Abschnitt 3.2) und das Vorgehen bei der Datenauswertung (vgl. Abschnitt 3.3) erläutert.

3.1 Beschreibung der Datenerhebung

Im Frühjahr 2018 fand im Rahmen des Projekts „Lebenswelten Berufslernender“ (LEBEL) in der Deutschschweiz eine Onlinebefragung bei 953 Auszubildenden statt. Das Projekt zielt zum einen darauf, verschiedene Facetten der Lebenswelten von Auszubildenden zu beschreiben und durch weiterführende Analysen differenzierter zu ergründen. Zum anderen wird auf Basis von Interviews untersucht, wie Lehrpersonen an Berufsfachschulen die aus der Onlinebefragung resultierenden Erkenntnisse interpretieren und welche Schlussfolgerungen sie daraus für ihr Lehrhandeln und die Interaktion mit den Jugendlichen ziehen. Diese Lehrpersonen absolvieren parallel zu ihrer Tätigkeit als Berufsschullehrer*in ein Studium an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen. In Absprache mit den Schulen und den Auszubildenden erheben sie im Berufsschulunterricht Daten bei den Lernenden und erhalten im Gegenzug im Studium Gelegenheit, sich intensiv mit den Ergebnissen auseinanderzusetzen. In diesem Sinne zielt das Projekt auch auf die Verzahnung von Forschung und Lehre.

Im Kontext des vorliegenden Beitrags wird auf die Befragung der Auszubildenden fokussiert. Mit Hilfe eines Fragebogens wurden verschiedene Lebensweltaspekte und diverse sozioökonomische Merkmale der Lernenden sowie Angaben zu ihrer Ausbildung erhoben.

Hinsichtlich der Lebenswelten wurden die Jugendlichen zu ihren Wertorientierungen, berufsbezogenen Präferenzen, berufsbezogenen Belastungen, Lebensereignissen, zum Substanzkonsum und zu delinquenten Handlungen, zur Zufriedenheit mit verschiedenen Lebensbereichen sowie zu Herausforderungen im Privat- und Berufsleben befragt (vgl. Gebhardt/Quach 2020, 1; Gebhardt 2019, 14). Die von den Auszubildenden wahrgenommenen Herausforderungen in ihren privaten und berufsbezogenen Lebenswelten – die im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen – wurden aufgrund der beschriebenen Präferenz für ein exploratives Vorgehen (vgl. Kapitel 1) durch zwei offene Fragen erfasst. Sie lauten wie folgt.

Welches sind die drei größten Herausforderungen, die sich Ihnen in Ihrem Privatleben (d. h. im Alltag, abseits des Berufslebens) stellen?

Welches sind die drei größten Herausforderungen, die sich Ihnen in Ihrem Berufsleben (d. h. in der Berufsausbildung) stellen?

Die Jugendlichen beantworteten die Fragen durch Formulierung von Fließtext oder stichpunktartigen Textpassagen.

Mit Blick auf die sozioökonomischen Merkmale wurden die Auszubildenden u. a. gebeten, ihr Geschlecht anzugeben. Ferner wurde ihr Geburtsland sowie jenes von Vater und Mutter erfragt, um Informationen zum Migrationshintergrund der Jugendlichen zu generieren. Auf Grundlage dieser Angaben werden bezüglich des Migrationshintergrunds drei Kategorien unterschieden: (1) Jugendliche mit Migrationshintergrund in der 1. Generation (der/die Befragte wurde nicht in der Schweiz geboren), (2) Jugendliche mit Migrationshintergrund in der 2. Generation (der/die Befragte wurde selbst in der Schweiz geboren, mindestens ein Elternteil wurde jedoch außerhalb der Schweiz geboren) und (3) Jugendliche, die keinen Migrationshintergrund aufweisen (der/Befragte sowie beide Elternteile wurden in der Schweiz geboren) (vgl. Beck/Edelmann 2016, 171). In Bezug auf die Ausbildung wurden das Lehrjahr und der Lehrberuf erfasst. Die Berufe wurden anschließend jeweils einem Berufsfeld zugeordnet. Die Zuordnung der Berufe zu Berufsfeldern erfolgte dabei anhand von Angaben auf der Webseite berufsberatung.ch, die als Dienstleistung im Bereich der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung vom Schweizerischen Dienstleistungszentraum Berufsbildung angeboten wird.

3.2 Beschreibung der Stichprobe

Wie in Abschnitt 3.1 erwähnt, wurden die teilnehmenden Jugendlichen über Berufsschullehrpersonen rekrutiert, die berufsbegleitend ein Studium an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen absolvieren. Dementsprechend basiert die Befragung der Auszubildenden auf einer Gelegenheitsstichprobe. Die Lernenden stammen aus den Ostschweizer Kantonen St.Gallen, Thurgau, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden. Insgesamt beteiligten sich 953 Auszubildende aus 20 verschiedenen Berufen und zehn verschiedenen Berufsfeldern (Fahrzeuge; Gebäudetechnik; Gestaltung und Kunst; Gesundheit, Bildung und Soziales; Informatik; Metall und Maschinen; Verkehr und Logistik; Planung und Konstruktion; Verkauf; Wirtschaft und Verwaltung) an der Onlinebefragung. Rund zwei Drittel der Lernenden (65%) befanden sich zum Zeitpunkt der Datenerhebung im 1. Lehrjahr, 23% im 2. Lehrjahr, 10% im 3. Lehrjahr und 2% im 4. Lehrjahr. Die Jugendlichen sind im Durchschnitt 18.73 Jahre alt (SD = 4.62 Jahre). Während die jüngsten Auszubildenden 15-jährig sind, gibt die älteste Befragungsteilnehmerin ein Alter von 51 Jahren an. Mit rund 92% ist die Mehrheit der befragten Lernenden jedoch zwischen 15 und 22 Jahren alt. Bezogen auf die geschlechtsbezogene Zusammensetzung der Stichprobe lässt sich festhalten, dass jene zu 60% aus Frauen und zu 40% aus Männern besteht. Rund die Hälfte (52%) der Jugendlichen weist keinen Migrationshintergrund auf, wohingegen 33% der Auszubildenden über Migrationshintergrund in der 2. Generation und 15% der Auszubildenden über Migrationshintergrund in der 1. Generation verfügen (vgl. Gebhardt 2019, 16-19).

3.3 Beschreibung der Datenauswertung

Die von den Auszubilden schriftlich verfassten Antworten wurden mit Hilfe einer inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Kuckartz 2018, 29ff.; Mayring 2015, 50ff.) mit der Software MAXQDA ausgewertet. Die Bildung des Kategoriensystems und die damit verbundene Codierung der Antworten erfolgten in zwei Durchgängen und durch zwei Codierende, welche beide 100% des Datenmaterials codierten. Während im ersten Durchgang die Haupt- und Subkategorien deduktiv – ausgehend von den theoretischen Bezugspunkten (vgl. Abschnitte 2.2 und 2.3) gebildet wurden, wurden die Haupt- und Subkategorien im zweiten Durchgang durch induktive Kategorienbildung anhand des Datenmaterials ergänzt. Als Maß für die Intercoder-Reliabilität wurde Kappa (vgl. Brennan/Prediger 1981, 691) berechnet. Die Werte von Kn = 0.77 für den ersten Durchgang und Kn = 0.73 für den zweiten Durchgang signalisieren eine gute Intercoder-Reliabilität (vgl. Rädiker/Kuckartz 2019, 287ff.; Kuckartz 2018, 212ff.). Mit dem Ziel, Aussagen über die Relevanz der verschiedenen Herausforderungen der Lernenden treffen bzw. diese quantifizieren zu können, wurden mit Hilfe von MAXQDA relative Häufigkeiten (Prozentangaben) berechnet. Diese geben an, wie viel Prozent aller Codierungen auf eine bestimmte Haupt- resp. Subkategorie entfallen (vgl. Rädiker/Kuckartz 2019, 159ff.). Auch die Betrachtung von Unterschieden bezüglich der wahrgenommenen Herausforderungen in Abhängigkeit des Geschlechts, des Migrationshintergrunds und des Berufsfelds basiert auf entsprechenden Prozentangaben für die verschiedenen Gruppen von Auszubildenden (z. B. separate Prozentangaben für weibliche und männliche Lernende).

Zudem sei darauf hingewiesen, dass die schriftlich formulierten Antworten der Jugendlichen für die Wiedergabe von Zitaten bezüglich Rechtschreibung und Grammatik korrigiert und – sofern in Dialekt abgefasst – ins Hochdeutsche übersetzt wurden.

4 Herausforderungen von Auszubildenden – Ergebnisbericht zu den Wahrnehmungen von Jugendlichen in deren privaten und berufsbezogenen Lebenswelten

Kapitel 4 widmet sich der Beantwortung der Forschungsfrage, sprich der Beleuchtung der Herausforderungen von Auszubildenden. Dabei wird in Abschnitt 4.1 auf die Herausforderungen in den privaten Lebenswelten und in Abschnitt 4.2 auf die Herausforderungen in den berufsbezogenen Lebenswelten eingegangen. Auf Basis der Erkenntnisse wird anschließend ein entsprechender Theorieentwurf vorgeschlagen (vgl. Abschnitt 4.3).

4.1 Herausforderungen von Auszubildenden in deren privaten Lebenswelten

Hinsichtlich der wahrgenommenen Herausforderungen in den privaten Lebenswelten der Auszubildenden ist zunächst bemerkenswert, dass 81% der Jugendlichen, die an der in Abschnitt 3.1 skizzierten Onlinebefragung teilnahmen, Textantworten formulierten und demgemäß von Herausforderungen im privaten Bereich berichten. Insgesamt wurden N = 2100 Textsegmente codiert.

Diese wurden zehn Hauptkategorien zugeordnet, welche sowohl unter Bezug auf theoretische Bezugspunkte (vgl. Abschnitt 2.2) als auch auf Grundlage der Antworten selbst gebildet wurden (vgl. Abschnitt 3.3). Tabelle 1 zeigt die Hauptkategorien und deren prozentuale Häufigkeiten. Die Prozentzahl in der ersten Spalte der Tabelle 1 gibt an, wie viele Antworten (ausgedrückt als relative Häufigkeit in Prozent) der jeweiligen Hauptkategorie zugeordnet werden. Zudem informiert Tabelle 1 über die Untergliederung der Hauptkategorien in Subkategorien und über die prozentualen Häufigkeiten der Subkategorien (bezogen auf die jeweilige Hauptkategorie). Ferner werden in Tabelle 1 Textantworten der Auszubildenden zitiert, die den Inhalt der jeweiligen Subkategorie illustrieren.

Tabelle 1:     Haupt- und Subkategorien in Bezug auf die Herausforderungen in den privaten Lebenswelten von Auszubildenden und deren relativen Häufigkeiten

Hauptkategorien

Subkategorien

Beispielzitate

Zwischenmenschliche Aspekte

29.4%

Eltern und/oder Geschwister

41.5%

„Mit meinem Bruder klar zu kommen“

„Viele Diskussionen mit den Eltern“

Freundinnen und Freunde
30.7% 

„Zu wenig gute Freunde“

„Komplizierte Freunde“

Partnerin oder Partner

17.2%

„Ziemlich komplizierten Partner“

„Stress mit der Beziehung“

Eigene Kinder

1.4% 

„Genügend Zeit für meinen Sohn finden“

„Ein guter Vater zu sein“

Nicht spezifizierte Herausforderungen im zwischenmenschlichen Bereich

9.3%

„Anderen Menschen Vertrauen schenken“

„Möglichst ohne Stress und Streit durchzukommen“

Work-Life-Balance

24.4%

 

„Alles unter einen Hut zu bringen, Schule, Arbeit, üK, Privatleben“

„Nach der Arbeit bin ich müde und muss mich zusammenreißen um noch was zu unternehmen“

Kompetenzentwicklung

16.0%

Entwicklung von Selbstkompetenzen

55.0%

„Selbstständig werden“

„meine Faulheit überwinden“

Entwicklung von Sozialkompetenzen

28.7%

„Freundlich bleiben, bei Menschen, die ich nicht mag“

„Nicht zu direkt zu sein“

Entwicklung von Sachkompetenzen

11.7%

„Fahrprüfung“

„Neue Sprachen lernen“

Entwicklung von Methodenkompetenzen

4.6%

„Mich in Arbeitstechniken verbessern“

„Für alle organisatorischen Dinge den Überblick zu behalten“

Risikoverhalten

9.3%

Gesundheitsbezogenes Risikoverhalten

80.0% 

„keinen Alkohol zu konsumieren“

„genügend Schlaf bekommen“

Finanzielles Risikoverhalten

10.6%

„Glücksspiel“

„Finanzielle Schulden“

Delinquentes Risikoverhalten

8.3%

„Anzeige wegen schwerer Körperverletzung“

„Drogenhandel“

Ökologisches Risikoverhalten

1.1%

„Mehr auf die Umwelt schauen“

„… umweltfreundlich leben“

Erwerb ökonomischer Unabhängigkeit

9.1%

Umgang mit Geld

57.3%

„Finanziell unabhängig sein“

„Eigenes Geld managen“

Wohnsituation und eigene Haushaltsführung

42.7%

„Einen Teil des Haushalts sollte man auch noch machen“

„Meine Dachwohnung, die im Sommer wie eine Sauna ist“

Persönlichkeitsentwicklung

2.3%

Entwicklung der eigenen Identität und Geschlechtsrolle

88.6%

„Mich selber besser kennen lernen“

„Die eigene Moral finden“

Umgang mit der körperlichen Entwicklung

11.4%

„Mit meinem Körper bin ich nicht zufrieden“

„Schönheitsideal und der damit verbundene Druck“

Schicksalsschläge

2.3%

Eigene physische oder psychische Erkrankungen

75.0%

„Psychische Krankheit im Griff zu behalten“

„Schlafstörungen“

Todesfälle (inkl. Suiziden) im persönlichen Umfeld

13.6%

„Verlust von Familienmitgliedern verarbeiten“

„Mit dem Tod meines Vaters fertig zu werden“

Krankheiten im persönlichen Umfeld

9.1%

„Gesundheitszustand meiner Schwester“

 „Familienmitglied mit Down-Syndrom“

Unfälle im persönlichen Umfeld

2.3%

„Schicksalsschläge z. B.: Autounfall“

Umgang mit Medienangeboten

0.8%

 

„Obwohl ich eigentlich in die Natur gehen möchte, trotzdem am Handy hängenbleibe“

„Dass ich zu viel online am PC game, denn ich spiele teilweise bis 1 Uhr am Morgen und stehe um 5 wieder auf, um arbeiten zu gehen“

Keine Herausforderungen im privaten Bereich

2.0%

 

„In meinen Privatleben habe ich keine Herausforderungen …“

„Nichts“

Andere Herausforderungen im privaten Bereich

4.3%

 

„Im Sport weiter kommen“

„Meinen Hund tiergerecht zu versorgen“

In Bezug auf die größten Herausforderungen in den privaten Lebenswelten thematisieren die Lernenden am häufigsten zwischenmenschliche Aspekte (29.4%). Dabei sprechen die Jugendlichen vor allem Konflikte und Schwierigkeiten in der Familie oder in Freundschaften bzw. Partnerschaften sowie generell den Aufbau von Beziehungen an. Die Untergliederung in Subkategorien orientiert sich an verschiedenen Personengruppen. Vergleichsweise häufig werden Konflikte oder Schwierigkeiten mit den Eltern und/oder den Geschwistern (41.5%), mit Freundinnen und Freunden (30.7%) sowie mit der Partnerin bzw. dem Partner (17.2%) beschrieben. Mehrfach nehmen die Auszubildenden in einer Aussage Bezug auf mehrere Akteure, wie sowohl das Eingangszitat in Kapitel 1 als auch das folgende Beispielzitat verdeutlichen: „Mit dem Menschen, den ich liebe klarzukommen. Da er mich nicht liebt, wir aber eine Freundschaft-plus-Beziehung haben. Mit meiner Familie ohne Streit zu leben. Ich finde, sie geben mir zu wenig Freizeit und zu wenig Freiheit, meine eigenen Entscheidungen zu treffen“. Seltener – in lediglich 1.4% der Textsegmente – gehen die Lernenden auf die Beziehung zu eigenen Kindern ein. Das dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass wenige Auszubildende bereits Eltern sind. Weitere 9.3% der Ausführungen beziehen sich ebenfalls auf Herausforderungen im zwischenmenschlichen Bereich, nicht aber konkret auf eine bestimmte Personengruppe, weshalb sie unter der Subkategorie nicht spezifizierte Herausforderungen im zwischenmenschlichen Bereich subsumiert werden. „Konflikte mit Bezugspersonen“ und „werde nicht wirklich respektiert von Verwandten und Bekannten“ sind Beispielaussagen für diese Subkategorie. Mit Blick auf die theoretischen Bezugspunkte (vgl. Abschnitt 2.2) korrespondieren die Herausforderungen, die dieser Hauptkategorie zugeordnet wurden, mit den zwischenmenschlichen Entwicklungsaufgaben, ferner auch mit Alltagsproblemen.

Auch im Zusammenhang mit der Umsetzung einer zufriedenstellenden Work-Life-Balance nehmen viele Jugendliche Herausforderungen wahr (24.4%). Die Auszubildenden schildern Schwierigkeiten, „alles unter einen Hut zu bringen“. Anhand weiterer Beschreibungen der Auszubildenden wird ersichtlich, dass sie die Vereinbarkeit von Berufsausbildung, Freizeit, Regeneration, Hobbies, Pflege und Aufrechterhaltung von familiären, partnerschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen sowie sonstigen privaten Verpflichtungen (z. B. Haushaltsführung, Vereinstätigkeit) als herausfordernd und stressauslösend erleben. Aussagen wie „neben der Arbeit und dem Lernen noch Zeit für Hobbies zu haben“, „wenig Zeit für Freunde, Familie und mich“, „Schule, Familie, Beziehung, Freundschaft, Sport und Selbststudium unter einen Hut bringen“ oder „zu wenig Freizeit, um sich von der Arbeit und der Schule zu erholen“ illustrieren das. Unter Bezug auf die Textantworten schien eine Untergliederung dieser Hauptkategorie in Subkategorien nicht sinnvoll. Nach Ansicht des Autorenteams kann die Hauptkategorie Work-Life-Balance nicht direkt mit einer spezifischen Entwicklungsaufgabe assoziiert werden. Allerdings speisen sich die beschriebenen Herausforderungen aus der gesellschaftlichen Entwicklungsaufgabe, eine Berufsausbildung zu absolvieren (vgl. Abschnitt 2.2). Auch kann ein Bezug zur Anforderung, die psychischen und physischen Kräfte zu regenerieren – die im Zusammenhang mit der Nutzung von Konsum-, Medien- und Freizeitangeboten als Entwicklungsaufgabe identifiziert wurde – hergestellt werden.

In 16.0% der codierten Textsegmente nennen die Auszubildenden Herausforderungen, die in der Hauptkategorie Kompetenzentwicklung verortet werden. Diese Hauptkategorie korrespondiert mit einer Entwicklungsaufgabe aus dem persönlichen Bereich, nämlich dem Erwerb resp. der Erweiterung verschiedener Kompetenzen (vgl. Abschnitt 2.2). In den entsprechenden Aussagen der Lernenden geht es um einen Mangel in Bezug auf bestimmte Wissenselemente, Einstellungen und Fertigkeiten oder um die Absicht, bestimmte Kompetenzen zu entwickeln. Auf Basis der Antworten der Auszubildenden und in Anlehnung an Hahne (2007, 14) wurden vier Subkategorien gebildet, namentlich die Entwicklung der Sach-, Sozial-, Selbst- und Methodenkompetenzen. Mehr als die Hälfte der Aussagen (55.0%) bezieht sich auf die Entwicklung von Selbstkompetenzen, sprich auf Wissen, Einstellungen und Fertigkeiten im Umgang mit der eigenen Person (vgl. Euler/Hahn 2007, 134). Dabei werden von den Jugendlichen verschiedene Aspekte wie „Selbstbewusstsein“, „Durchhaltewillen“, „Pünktlichkeit“, Stress- und Emotionsregulation („Stressbewältigung“, „Nerven bewahren und ruhig bleiben“) thematisiert. Vergleichsweise häufig nehmen die Auszubildenden in ihren Aussagen auch auf die Entwicklung von Sozialkompetenzen, d. h. auf Wissen, Einstellungen und Fertigkeiten im Umgang mit anderen (vgl. Euler/Hahn 2007, 134) Bezug (28.7%). Angesprochen werden wiederum verschiedene Sozialkompetenzen, wie folgende Beispielaussagen demonstrieren: „freundlich bleiben bei Menschen, die ich nicht mag“, „sich gegenüber anderen Menschen zu öffnen“, „eigene Meinungen durchsetzen“, „für eine gute Kommunikation zu sorgen, damit es keine Missverständnisse gibt“. Seltener erwähnen die Lernenden die Entwicklung von Sachkompetenzen (11.7%). Diese sind immer dann angesprochen, wenn die Ausführungen Wissen, Einstellungen und Fertigkeiten im Umgang mit materiellen oder symbolischen Objekten (vgl. Euler/Hahn 2007, 134) adressieren. Die Entwicklung der Methodenkompetenzen (4.6%) wird noch seltener als Herausforderung genannt. Methodenkompetenzen umfassen Wissenselemente, Einstellungen und Fertigkeiten, die es ermöglichen, Aufgaben und Probleme zu bewältigen, z. B. Zeitmanagement, Lernkompetenz und Planungskompetenz (vgl. Pastoors 2018, 71). Während im Zusammenhang mit der Entwicklung von Methodenkompetenzen mehrheitlich Aspekte des Zeitmanagements, der Planung und der Organisation angesprochen werden, werden im Bereich der Sachkompetenzen – obwohl sich die entsprechende Frage auf die privaten Lebenswelten bezog – vielfach Fachbereiche wie „Mathematik“, „Deutsch“ oder „Rechtskunde“ sowie die Fahrprüfung genannt.

In 9.3% ihrer Antworten deklarieren die Jugendlichen riskante Verhaltensweisen als Herausforderungen. Dabei lassen sich die Antworten der Auszubildenden vier Subkategorien zuweisen, die den vier Formen des Risikoverhaltens entsprechen, die in Abschnitt 2.2 erläutert wurden. In einem Großteil der Ausführungen (80.0%) thematisieren die Jugendlichen gesundheitsbezogenes Risikoverhalten. Primär geht es um Schlafmangel („dass ich genügend schlafe, denn ich schlafe pro Tag maximal fünf Stunden“, „genug zu schlafen“), Alkohol- und Substanzkonsum („nicht zu viel Alkohol trinken (an Partys nicht zu hart abgehen)“, „Suchtmittel nur am Wochenende konsumieren“), Rauchen („aufhören mit dem Rauchen“), schlechte Ernährung („gesund ernähren“), unzureichende sportliche Aktivität („regelmäßige sportliche Betätigung) sowie das Verhalten im Straßenverkehr („nicht sterben (beim Motorradfahren)“). Weitere 10.6% der Antworten nehmen Bezug auf finanzielles Risikoverhalten. Sehr direkt bezeichnen die Jugendlichen mehrheitlich „finanzielle Probleme“ als herausfordernd. Zudem äußern sie relativ häufig das Bestreben, weniger Geld auszugeben und mehr Geld zu sparen. In Bezug auf delinquente Handlungen verweisen die Lernenden auf unterschiedliche Aspekte wie Drogenhandel oder Schlägereien und Körperverletzung. Teilweise sind den Ausführungen keine detaillierten Hinweise zur Art der kriminellen Handlung zu entnehmen. Das zeigt sich beispielsweise in Aussagen wie „sich nicht von der Polizei erwischen zu lassen“. Delinquente Verhaltensweisen nehmen einen relativen Anteil von 8.3% der Textsegmente in der Hauptkategorie Risikoverhalten ein. Ökologisches Risikoverhalten spielt eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. In lediglich 1.1% der Textsegmente werden entsprechenden Bezüge hergestellt.

Mit der gesellschaftlichen Entwicklungsaufgabe, ökonomische Unabhängigkeit zu erlangen (vgl. Abschnitt 2.2), stehen 9.1% der Textantworten in Verbindung. Auf Grundlage der Antworten der Auszubildenden wurden zwei Subkategorien gebildet. Knapp mehr als die Hälfte (57.3%) der codierten Textsegmente bezieht sich auf den Umgang mit Geld. In Abgrenzung zur Subkategorie des finanziellen Risikoverhaltens wurden Aussagen der Auszubildenden der Hauptkategorie Erwerb ökonomischer Unabhängigkeit und der Subkategorie Umgang mit Geld zugeordnet, wenn sie auf eher allgemeine Herausforderungen im Zusammenhang mit den finanziellen Mitteln gerichtet sind. Die Jugendlichen thematisieren diesbezüglich häufig den relativen geringen Lohn während der Lehre und die damit einhergehende Herausforderung, alle Ausgaben (z. B. auch jene im Freizeitbereich) decken zu können. Exemplarisch sei dies an der Aussage „mit meinem Lehrlingslohn meine Rechnungen zu zahlen, es bleibt kein Geld, um sich z. B. ein neues Handy zu kaufen“ veranschaulicht. Ausführungen, die explizit Probleme im finanziellen Bereich zum Gegenstand haben, wurden dahingegen der Subkategorie finanzielles Risikoverhalten zugerechnet. Darüber hinaus wird in den Textsegmenten auf Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Führen eines eigenen Haushalts und die Wohnsituation Bezug genommen (42.7%). Bezüglich der Haushaltsführung sind die Aussagen vielfach direkt auf die Arbeit im Haushalt bezogen („Haushalt machen“). Im Hinblick auf die Wohnsituation schildern die Jugendlichen unbefriedigende Zustände („Ich kann keine Freunde nach Hause einladen, da ich mich für unser altes Haus schäme“; „dass ich immer hin und her muss, während dem Arbeiten bin ich beim meinem Vater und sonst unter der Woche und dem Wochenende bin ich bei meiner Mutter“) oder Belastungen rund um die erste eigene Wohnung („eine Wohnung suchen“, „jetzt noch der Umzug, der während der Ausbildung auf uns zukommt“).

Herausforderungen, welche die Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen betreffen, werden in 2.3% ihrer Äußerungen adressiert. Die entsprechenden Antworten werden auf zwei Subkategorien, die mit persönlichen Entwicklungsaufgaben assoziiert sind (vgl. Abschnitt 2.2), aufgeteilt. Zum einen beinhaltet ein Großteil der Textsegmente Aussagen zur Entwicklung der eigenen Identität und der eigenen Geschlechtsrolle (88.6%). Zum anderen werden Herausforderungen im Umgang mit der körperlichen Entwicklung in 11.4% der Antworten beschrieben.

Des Weiteren nehmen 2.3% der Antworten Bezug auf Schicksalsschläge. Diese Hauptkategorie korrespondiert mit den Herausforderungen, die aus kritischen Lebensereignissen resultieren (vgl. Abschnitt 2.2). Induktiv wurden vier Subkategorien identifiziert. So berichten die Jugendlichen mehrheitlich von eigenen physischen oder psychischen Erkrankungen (75.0%) sowie ferner von Todesfällen (inkl. Suiziden) (13.6%), Krankheiten (9.1%) und Unfällen (2.3%) im persönlichen Umfeld.

Da der Konsum und die Nutzung von Freizeitangeboten bereits in andere Hauptkategorien hineinspielen, wurde bei der Auswertung der offenen Antworten in Bezug auf die Entwicklungsaufgabe der Nutzung von Konsum-, Medien- und Freizeitangeboten eine Adaption vorgenommen und die Nutzung von Medienangeboten isoliert betrachtet. Aus Sicht der Auszubildenden scheinen Herausforderungen in Verbindung mit der Nutzung von Medienangeboten eher nachgelagerte Bedeutung zu haben. Lediglich 0.8% der Antworten nehmen Bezug darauf. Wenngleich die geringe Anzahl der Antworten eine Aufteilung in Subkategorien verunmöglichte, weisen die Antworten der Jugendlichen vor allem auf exzessives Videospielen und auf die übermäßige Nutzung des Smartphones hin.

Darüber hinaus wurden zwei Hauptkategorien ohne Inhaltsbezüge gebildet. Zum einen geben die Jugendlichen in 2.0% der Antworten explizit an, keine Herausforderungen in ihren privaten Lebenswelten wahrzunehmen. Zum anderen ließen sich 4.3% der Textsegmente keiner Hauptkategorie zuteilen. Die entsprechenden Inhalte wurden jedoch zu selten genannt, als dass sie die Generierung einer eigenen Hauptkategorie gerechtfertigt hätten (z. B. Versorgung eines Haustiers, Erfolg bei der Ausübung eines Hobbies).

Mit dem Ziel etwas differenziertere Erkenntnisse zu gewinnen, werden mit Blick auf die Herausforderungen in den privaten Lebenswelten die Unterschiede nach dem Geschlecht und dem Migrationshintergrund der Auszubildenden beleuchtet. Die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Auszubildenden werden in Abbildung 1 dargestellt. Es zeichnet sich ab, dass weibliche Jugendliche häufiger als männliche Jugendliche von Herausforderungen in Bezug auf den zwischenmenschlichen Bereich, bezüglich der Work-Life-Balance und der Persönlichkeitsentwicklung sowie von Schicksalsschlägen berichten. Insbesondere hinsichtlich der Work-Life-Balance ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen groß. Demgegenüber nehmen männliche Lernende in ihren Textantworten häufiger als Frauen auf Herausforderungen im Zusammenhang mit der Kompetenzentwicklung, dem jugendlichen Risikoverhalten, dem Erwerb ökonomischer Unabhängigkeit und der Nutzung von Konsum-, Medien- und Freizeitangeboten Bezug. Bei der vergleichenden Betrachtung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der 1. und 2. Generation sowie Jugendlichen ohne Migrationshintergrund zeigen sich relativ geringe Unterschiede (vgl. Abbildung 2). Auszubildende ohne Migrationshintergrund thematisieren vergleichsweise häufig Herausforderungen bezüglich der Work-Life-Balance. Während Jugendliche, die selbst im Ausland geboren wurden, im Verhältnis zu Jugendlichen ohne Migrationshintergrund und mit Migrationshintergrund in der 2. Generation stärker von der Kompetenz- und Persönlichkeitsentwicklung herausgefordert zu sein scheinen, nehmen Jugendliche mit Migrationshintergrund in der 2. Generation in ihren Aussagen häufiger als die beiden anderen Gruppen Bezug auf das Risikoverhalten und den Erwerb ökonomischer Unabhängigkeit.

Abbildung 1: Häufigkeiten der Hauptkategorien in Bezug auf die Herausforderungen in den privaten Lebenswelten der Auszubildenden – Unterschiede nach Geschlecht.Abbildung 1: Häufigkeiten der Hauptkategorien in Bezug auf die Herausforderungen in den privaten Lebenswelten der Auszubildenden – Unterschiede nach Geschlecht.

Abbildung 2: Häufigkeiten der Hauptkategorien in Bezug auf die Herausforderungen in den privaten Lebenswelten der Auszubildenden – Unterschiede nach Migrationshintergrund (MH).Abbildung 2: Häufigkeiten der Hauptkategorien in Bezug auf die Herausforderungen in den privaten Lebenswelten der Auszubildenden – Unterschiede nach Migrationshintergrund (MH).

4.2         Herausforderungen von Auszubildenden in deren berufsbezogenen Lebenswelten

Mit 89% berichtet ein Großteil der an der in Abschnitt 3.1 skizzierten Onlinebefragung teilnehmenden Auszubildenden auch von Herausforderungen aus dem Berufsleben und führt deren Inhalt in den entsprechenden Antworten aus. Gesamthaft liegen N = 2023 codierte Textsegmente vor. Diese Textsegmente verteilen sich auf neun Hauptkategorien, die zum einen auf Basis theoretischer Bezugspunkte (vgl. Abschnitt 2.3) und zum anderen basierend auf den Antworten der Jugendlichen generiert wurden (vgl. Abschnitt 3.3). In Analogie zu Tabelle 1 sind der Tabelle 2 die Haupt- und Subkategorien sowie deren prozentuale Häufigkeiten zu entnehmen. Zur Veranschaulichung der Kategorien enthält Tabelle 2 zudem Beispielzitate der Lernenden.

Tabelle 2: Haupt- und Subkategorien in Bezug auf die Herausforderungen in den privaten Lebenswelten von Auszubildenden und deren relative Häufigkeiten

Hauptkategorien

Subkategorien

Beispielzitate

Lehrbetrieb

53.8%

Qualitative Belastungsfaktoren

54.2%

„Komplizierte Aufgaben effizient und richtig lösen“

„hohe Anforderungen, … die mich … körperlich überfordern“

„Mit depressiven Menschen umgehen“

Quantitative Belastungsfaktoren

23.5%

„Zu viele Aufträge auf einmal“

„Dass man meist unter sehr hohem Zeitdruck arbeiten muss“

„Den Druck und den konstanten Stress aushalten“

Belastende Arbeitsbedingungen

19.9%

„An unbrauchbaren Maschinen arbeiten“

 „Dann arbeiten, wenn andere frei haben und dafür unter der Woche frei haben, wo man mehrheitlich alleine ist“

„Lange stehen, Treppen laufen (6 Stöcke), ohne 5 min. Pause“

Arbeitsweg

1.6%

„Mein Arbeitsweg beträgt täglich 1 Stunde“

„Der lange Arbeitsweg“

Nicht spezifizierte Herausforderungen im Lehrbetrieb

0.8%

„Nicht sonderlich zufrieden mit meinem Lehrbetrieb“

„Die tägliche Arbeit“

Lern- und Leistungssituationen

22.8%

 

„Viele Prüfungen auf einmal …“

„Ständiges Lernen oder Vorbereiten für Prüfungen, Vorträge und Arbeiten“

„Lastwagenprüfung und Anhängerprüfung bestehen“

Beziehungen im Kontext der Berufsausbildung

10.6%

Klientel

36.4%

„Patienten, welche undankbar/ungeduldig sind und deine Arbeit nicht wertschätzen“

„Mit eher anstrengenden Kindern eine Beziehung aufbauen“

“Meine Kunden zufriedenstellen“

Team und Mitschüler*innen

30.0%

„Manchmal ist es auch schwierig mit dem Team zu arbeiten, da man sich nicht mit jedem versteht“

„mit gewissen Mitarbeitern zurechtkommen“

„Komplizierte Mitarbeiter (viele Missverständnisse, wenig Unterstützung)“

Ausbildner*in und Vorgesetzte

29.1%

„Mit meinem inkompetenten Lehrmeister eine Lösung zu suchen“

„Kommunikation und Verständigung mit dem Lehrmeister“

„Meine Vorgesetzten nehmen meine Interessen nicht immer wahr“

Lehrpersonen

4.5%

„Mit dem Lehrer klarkommen“

„Zum Teil schlechtes Lehrpersonal“

Berufsfachschule als nicht spezifizierte Herausforderung

5.5%

 

„Schule“

„Ich finde es sehr schwierig in der Schule“

Work-School-Balance

2.7%

 

„Schule und Arbeit unter einen Hut zu kriegen“

„Nach dem Arbeiten am Abend noch immer vieles zu lernen in verschieden Fächern“

Berufliche Zukunft

1.3%

 

„Gedanken über die Zukunft im Zusammenhang mit dem ausgewählten Beruf“

„Eine gute Anschlusslösung zu finden“

Überbetriebliche Kurse als nicht spezifizierte Herausforderung

0.8%

 

„Der Druck mit den Kursen, üK“

„Ich finde die überbetrieblichen Kurse schwer“

Keine berufsbezogenen Herausforderungen

1.9%

 

„Es gibt keine Herausforderung, welche ich nicht bewältigen kann“

„Momentan keine“

Andere berufsbezogene Herausforderungen

0.5%

 

„Geduld haben und dran glauben, dass es irgendwann vorbei ist“

„Alles ist zuerst eine Herausforderung“

Mit Blick auf die größten Herausforderungen in den berufsbezogenen Lebenswelten nehmen die Jugendlichen am häufigsten auf den Lehrbetrieb Bezug, 53.8% der codierten Textsegmente lassen sich diesem Lernort zuordnen. Unter Bezug auf die in Abschnitt 2.3 vorgestellte Differenzierung, wurden die drei Subkategorien quantitative Belastungsfaktoren, qualitative Belastungsfaktoren und belastende Arbeitsbedingungen auch anhand der empirischen Daten herausgearbeitet und somit bestätigt. Die Mehrheit der Antworten der Jugendlichen können in diese drei Subkategorien eingeordnet werden. Dabei überwiegen Aussagen, die sich auf qualitative Belastungsfaktoren beziehen (54.2%). So äußern sich Lernende zu hohen Anforderungen („Die Anforderungen der Ausbildnerin/Kompetenzen erreichen“) und Überforderung („wenn ich einen Auftrag bekomme und diesem nicht gewachsen bin“). Auch „Verantwortung zu übernehmen“ oder „immer an alles zu denken“ fällt den Jugendlichen nicht leicht. Teilweise beschreiben die Auszubildenden auch Herausforderungen im Zusammenhang mit konkreten Situationen, beispielsweise im Berufsfeld Gesundheit, Bildung und Soziales den „Umgang mit toten Menschen“ oder „unangenehme Telefonate mit Angehörigen führen“. Des Weiteren beschreiben die Jugendlichen in 23.5% ihrer Aussagen quantitative Belastungsfaktoren. Dabei wird in vielen Textsegmenten Zeitdruck thematisiert. Exemplarisch führt eine Lernende im ersten Lehrjahr aus: „Ich muss arbeiten als wäre ich fertig mit meiner Lehre, ich darf zwar fragen, wenn Fragen auftauchen, aber ich muss die Zeiten einhalten. Ich kann noch nicht mit dem Zeitdruck arbeiten, da ich erst im ersten Jahr bin“. Häufig beinhalten die Antworten zudem das Schlagwort „Stress“. Während zudem mehrfach von „zu viele[n] Aufträgen“ berichtet wird, geben Lernende nur vereinzelt an, „zu wenig Arbeit“ zu haben. Die Auszubildenden werden auch mit belastenden Arbeitsbedingungen (19.9%) konfrontiert. Diesbezüglich geht es häufig um die Ausstattung des Lehrbetriebs. Aussagen wie „unzureichende Ausrüstung der Lehrwerkstatt“ und „an einer nicht funktionsfähigen und sehr ungenauen Maschine möglichst genaue Teile herzustellen“ illustrieren das. Außerdem werden vielfach arbeitsorganisatorische Aspekte angesprochen. „Lange Arbeitstage“, „Schichtbetrieb“, „Wochenenddienst“, „unregelmäßige Arbeitszeiten“, ein genereller „Personalmangel“ und das „Aufstehen am Morgen“ werden als herausfordernd beschrieben. Ergänzt werden zwei weitere Subkategorien, die auf Grundlage der Textantworten induktiv identifiziert wurden. Zum einen geht es in 1.6% der Textsegmente um den Arbeitsweg („der lange Arbeitsweg (2 Stunden)“). Zum anderen werden in 0.8% der Antworten, weitere, nicht näher spezifizierte Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Lehrbetrieb genannt („nicht sonderlich zufrieden mit meinem Lehrbetrieb“).

Herausforderungen, die explizit den Lernorten Berufsfachschule und überbetriebliche Kurse zugeschrieben werden, schildern die Auszubildenden vergleichsweise selten. Lediglich 5.5% bzw. 0.8% der codierten Textsegmente enthalten entsprechende Aussagen. Dabei fällt auf, dass die Jugendlichen die Lernorte in der großen Mehrheit der Aussagen lediglich benennen (z. B. „Schule“, „überbetriebliche Kurse“), ohne die wahrgenommenen Herausforderungen weiter zu konkretisieren. Deshalb fehlen detailliertere Informationen dazu, welche Gegebenheiten die Lernenden an den beiden Lernorten als herausfordernd empfinden. Infolge dessen konnten die Herausforderungen in den beiden betreffenden Hauptkategorien auch nicht in Subkategorien untergliedert werden.

Des Weiteren berichten die Jugendlichen – lernortunabhängig resp. lernortübergreifend – von Herausforderungen und Belastungen, die aus Hausaufgaben („zu viel Hausaufgaben“), Lernen („den Stoff sehr schnell lernen“), Prüfungen und Leistungsnachweisen („viele Prüfungen auf einmal in der Schule und im Betrieb“, „Lehrabschluss schaffen“) resultieren (22.8%). Die genannten Herausforderungen können mit den in Abschnitt 2.3 beschriebenen Lern- und Leistungssituationen assoziiert werden. Sie werden daher unter der Hauptkategorie Lern- und Leistungssituationen subsumiert, für die eine weiterführende Aufgliederung in Subkategorien nicht zielführend erschien.

Darüber hinaus erleben die Auszubildenden herausfordernde Beziehungen im Kontext der Berufsausbildung (10.6%). Diese Erkenntnis korrespondiert mit der in Abschnitt 2.3 erläuterten Vermutung, dass Konflikte und andere Belastungen aus dem zwischenmenschlichen Bereich auch die berufsbezogenen Lebenswelten der Jugendlichen prägen. Die Untergliederung in Subkategorien orientiert sich – in Analogie zur Einteilung der zwischenmenschlichen Aspekte (vgl. Abschnitt 4.1) – an verschiedenen Personengruppen. 36.4% der Textsegmente beziehen sich auf Herausforderungen, die mit Zusammenhang mit der Klientel (z. B. Kundschaft, Patientinnen und Patienten, betreuten Personen) entstehen. Die Jugendlichen berichten beispielsweise von „undankbare[n] Patienten“, „aggressive[n] Patienten“, „Kunden …, die null Ahnung haben“ oder davon „mit schwierigen Kindern zu arbeiten“ und „Konflikte mit den Eltern der Kinder“ auszutragen. Ein Teil der Aussagen ist weniger auf Konflikte gerichtet, sondern fokussiert auf Ansprüche, wie z. B. eine hohe Zufriedenheit der Klientel („bestmögliche Kundenzufriedenheit“) erreichen zu wollen. Hinzu kommen Konflikte mit dem und im Team oder mit Mitschülerinnen und Mitschülern (30.0%). Die Beziehungen werden strapaziert durch Personen, die nicht gleicher Meinung sind oder weil unterschiedliche Charaktere aufeinandertreffen: „Manchmal ist es auch schwierig mit dem Team zu arbeiten, da man sich nicht mit jedem versteht“. Derweil handeln 29.1% resp. 4.5% der Textsegmente von herausfordernden Beziehungen zur Ausbilderin bzw. zum Ausbilder sowie zu Vorgesetzten und zu Lehrpersonen. Die Lernenden machen in diesem Zusammenhang Aussagen wie „meinen … Lehrmeister ertragen“, „Druck vom Vorgesetzten (Schimpfe/Anschreie)“ oder „mit dem Lehrer klarkommen“. In inhaltlich stärker spezifizierten Antworten wird oftmals die Kommunikationskultur oder das fehlende Verständnis der Vorgesetzten, Ausbilder*innen und Lehrer*innen für die Jugendlichen thematisiert.

In Ergänzung zu den theoretischen Bezugspunkten (vgl. Abschnitt 2.3) wurde die Hauptkategorie Work-School-Balance induktiv gebildet. Sie bezieht sich im Vergleich zur Kategorie Work-Life-Balance auf Aussagen, die spezifisch die Vereinbarung schulischer Anforderungen und der Arbeit im Lehrbetrieb betreffen. Die Lernenden bezeichnen demgemäß in 2.7% der Textsegmente die Anforderung, „Schule und Arbeit unter einen Hut zu bekommen“ als herausfordernd.

Ferner wurde eine Hauptkategorie zu Herausforderungen rund um die berufliche Zukunft generiert, in die 1.3% der Antworten verortet werden. Hierzu zählen alle Schilderungen, in denen sich die Jugendlichen berufsbezogene Gedanken um die Zeit nach der Lehre machen. Beispielhaft seien folgende Zitate vorgestellt: „ob ich nach der Lehre bleiben soll und auch in einem Vier-Schichten-Programm arbeiten soll“, „nach der Ausbildung eine Arbeitsstelle finden“ und „die Entscheidung der richtigen Weiterbildung, was ich nachher machen will“.

Wie bei den Herausforderungen in den privaten Lebenswelten (vgl. Abschnitt 4.1) wurden zwei Hauptkategorien ohne Inhaltsbezüge generiert. So ist einem Teil der Antworten (1.9%) explizit zu entnehmen, dass die Jugendlichen keinen Herausforderungen in den berufsbezogenen Lebenswelten begegnen. Außerdem beinhaltet ein kleiner Teil von 0.5% der Textsegmente Themen, die weder einer Hauptkategorie zugeordnet werden können noch die Bildung einer eigenen Hauptkategorie legitimiert hätten.

Hinsichtlich eines differenzierteren Einblicks in die Herausforderungen in den berufsbezogenen Lebenswelten ist nach Ansicht des Autorenteams ein Vergleich ausgewählter Berufsfelder zielführend. Für den Vergleich wurden drei Berufsfelder ausgewählt, in denen viele Auszubildende eine Lehre absolvieren und die hinsichtlich der Inhalte und Rahmenbedingungen unterschiedlich sein dürften. In Abbildung 3 sind die Unterschiede in Bezug auf die wahrgenommenen berufsbezogenen Herausforderungen von Lernenden in den Berufsfeldern Wirtschaft und Verwaltung; Gesundheit, Bildung und Soziales; Metall und Maschinen dargestellt. Auszubildende im Berufsfeld Gesundheit, Bildung und Soziales berichten vergleichsweise häufig von Herausforderungen im Umfeld des Lehrbetriebs sowie im Zusammenhang mit Beziehungen im Kontext der Berufsausbildung. Auch Herausforderungen mit der Work-School-Balance werden von diesen Lernenden etwas häufiger thematisiert als von Jugendlichen, die in den beiden anderen Berufsfeldern tätig sind. Für Auszubildende im Berufsfeld Metall und Maschinen werden Herausforderungen im Lehrbetrieb im Verhältnis zu den beiden anderen Berufsfeldgruppen weniger häufig verzeichnet. Dahingegen fühlen sich die Lernenden im Berufsfeld Metall und Maschinen deutlich stärker durch Lern- und Leistungssituationen belastet. Lernende im Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung adressieren in ihren Aussagen die überbetrieblichen Kurse vergleichsweise häufig. Allerdings geben diese Jugendlichen auch häufiger als die beiden anderen Gruppen an, keine berufsbezogenen Herausforderungen zu erleben.

Abbildung 3: Häufigkeiten der Hauptkategorien in Bezug auf die Herausforderungen in den berufsbezogenen Lebenswelten der Auszubildenden – Unterschiede nach Berufsfeld.Abbildung 3: Häufigkeiten der Hauptkategorien in Bezug auf die Herausforderungen in den berufsbezogenen Lebenswelten der Auszubildenden – Unterschiede nach Berufsfeld.

4.3 Theorieentwurf zu den Herausforderungen von Auszubildenden

Ein Teil der in den Abschnitten 2.2 und 2.3 diskutierten theoretischen Bezugspunkte für die Untersuchung der Herausforderungen auf Seiten von Auszubildenden fand im Zuge der in Kapitel 3 beschriebenen Studie empirische Evidenz. Insbesondere die Entwicklungsaufgaben im Jugendalter, die Facetten des jugendlichen Risikoverhaltens, die verschiedenen Belastungsfaktoren im Lehrbetrieb und die Relevanz der Beziehungen im Kontext der Berufsausbildung erwiesen sich in als tragfähige Konzepte bzw. Ausgangspunkte. Basierend auf den Antworten der Jugendlichen wurden weitere Aspekte als herausfordernd identifiziert. Abbildung 4 bietet eine graphisch aufbereitete Zusammenfassung der deduktiv und induktiv gewonnenen Haupt- und Subkategorien und soll den in Kapitel 1 versprochenen Beitrag zum Entwurf einer Theorie der Herausforderungen von Auszubildenden in deren privaten und berufsbezogenen Lebenswelten einlösen.

Abbildung 4: Theorieentwurf für die Herausforderungen von AuszubildendenAbbildung 4: Theorieentwurf für die Herausforderungen von Auszubildenden

5 Zusammenfassung und Diskussion

Im vorliegenden Beitrag ging es darum, die Herausforderungen von Auszubildenden in deren privaten und berufsbezogenen Lebenswelten mit einem explorativen Vorgehen zu erhellen. Hierzu wurden qualitative Daten in Form von offenen Antworten von 953 Auszubildenden unter Bezug auf theoretische Ausgangspunkte ausgewertet.

Zusammenfassend ist zunächst festzuhalten, dass bei den befragten Auszubildenden ein großes Mitteilungsbedürfnis hinsichtlich der von ihnen wahrgenommenen Herausforderungen besteht. In den privaten Lebenswelten empfinden die Jugendlichen vor allem zwischenmenschliche Aspekte und Beziehungen, die Realisierung einer Work-Life-Balance und die Entwicklung verschiedener Kompetenzen als herausfordernd. Weitere Herausforderungen resultieren aus riskanten Verhaltensweisen und dem Ziel des Erwerbs ökonomischer Unabhängigkeit. Die Wahrnehmung der privaten Herausforderungen scheint – wenn auch nicht gravierend – in Abhängigkeit von Geschlecht und Migrationshintergrund zu variieren. Mit Blick auf die berufsbezogenen Lebenswelten thematisieren die Lernenden primär quantitative und qualitative Belastungsfaktoren sowie belastende Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit dem Lehrbetrieb. Zeitdruck und arbeitsorganisatorische Aspekte nehmen dabei einen besonderen Stellenwert ein. Auf die Berufsfachschule und die überbetrieblichen Kurse nehmen die Auszubildenden deutlich seltener und weniger spezifisch Bezug. Welche konkreten Gegebenheiten an den beiden Lernorten als herausfordernd empfunden werden, konnte daher weder theoretisch noch empirisch eruiert werden. Dahingegen spielen in Bezug auf alle Lernorte und teilweise lernortübergreifend Lern- und Leistungssituationen sowie Beziehungen im Kontext der Berufsausbildung eine bedeutende Rolle. Das Empfinden von berufsbezogenen Herausforderungen differiert – teilweise deutlich – je nachdem, in welchem Berufsfeld die Auszubildenden tätig sind. So fühlen sich Auszubildende im Berufsfeld Metall und Maschinen vergleichsweise stark durch Lern- und Leistungssituationen und Lernende im Berufsfeld Gesundheit, Bildung und Soziales relativ stark durch Herausforderungen im Umfeld des Lehrbetriebs belastet.

Die vorgestellte Untersuchung wurde vom Konzept der Lebenswelten gerahmt. Diese theoretische Einbettung erwies sich aus der Perspektive des Autorenteams als tragfähig, da sich zentrale Merkmale des Lebensweltverständnisses auch in den empirischen Daten widerspiegeln. So konnte beispielsweise die theoriegespeiste Vermutung, dass sich Menschen in unterschiedlichen Lebenswelten bewegen und diese miteinander verschränkt sind, durch die Ausführungen der Jugendlichen empirisch erhärtet werden. Konkret stützt das häufige Thematisieren der Herausforderung, eine angemessene Work-Life-Balance zu erreichen, diese Annahme, zeigt sie doch, dass die privaten und berufsbezogenen Lebenswelten der Auszubildenden untrennbar miteinander verbunden sind. Interessant dabei ist, dass die Jugendlichen die Herausforderung, eine Work-Life-Balance zu finden, im Privatleben verorten. Hieraus könnte geschlussfolgert werden, dass nicht (nur) die Berufsausbildung per se, sondern das gleichzeitige Agieren in verschiedenen Lebenswelten herausfordernd ist.

In Bezug auf einen Theorieentwurf können verschiedene theoretische Bezugspunkte aufgegriffen werden. Vor allem die Entwicklungsaufgaben im Jugendalter, das jugendliche Risikoverhalten, die verschiedenen Belastungsfaktoren im Lehrbetrieb und die Beziehungen im Kontext der Berufsausbildung waren geeignete Ausgangspunkte für die deduktive Ableitung von Herausforderungskategorien. Induktiv – auf Basis der Antworten der Jugendlichen – wurden weitere Kategorien ergänzt, so dass der Ergebnisbericht mit einem Vorschlag für eine theoretische Grundlage im Hinblick auf die Herausforderungen von Auszubildenden abgeschlossen werden konnte. Wenngleich der entstandene Theorieentwurf wahrscheinlich nicht vollständig ist und die Kategorien nicht in jedem Fall trennscharf sind, ist es gelungen, die Herausforderungen der Lernenden zu systematisieren. Auf Grundlage weiterführender Studien könnte der Theorieentwurf zukünftig weiterentwickelt werden. Einbezogen werden sollten dabei auch quantitative Daten, da das gewählte explorative Vorgehen unter Einbezug von qualitativen Daten mit Schwächen verbunden ist. So gab es Antworten, die unverständlich waren oder zu vage und deshalb keiner Kategorie zugeordnet werden konnten. Ferner sind die angegebenen Prozentzahlen und die darauf basierenden Vergleiche nur beschränkt aussagekräftig.

Unabhängig von diesen Grenzen belegt der Beitrag jedoch, dass Auszubildende vielen und vielfältigen Herausforderungen – mit unterschiedlicher Tragweise – begegnen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Loslösung vom Elternhaus und der hohen Relevanz der Jugendphase für die weitere Entwicklung der Lernenden, ist zu fragen, inwiefern die Jugendlichen in der Lage sind, alle Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen und inwiefern sie dabei von Akteuren im Kontext der Berufsausbildung (Ausbilder*innen, Lehrpersonen) unterstützt werden könnten. Diese Überlegungen sprechen dafür, Ausbilder*innen und Lehrpersonen für die Herausforderungen von Jugendlichen zu sensibilisieren und die Förderung von Bewältigungsstrategien sowie von Resilienz in der Berufsausbildung zu verankern. Sofern die in Kapitel 1 angesprochene Lebensweltorientierung bei der Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen in der Berufsausbildung angestrebt wird, wären zudem die Inhalte bzw. Themen der Herausforderungen aufzugreifen. Wenngleich der vorliegende Beitrag keine konkreten curricularen und didaktischen Empfehlungen zu geben vermag, kann er einen (ersten) Beitrag zur Beschreibung und zum Verstehen der Lebenswelten der Auszubildenden – eine Voraussetzung für die Berücksichtigung der jugendlichen Lebenswelten im Rahmen der Berufsausbildung – leisten.

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Zitieren des Beitrags

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