bwp@ 38 - Juni 20

Jugendliche Lebenswelten und berufliche Bildung

Hrsg.: Karin Büchter, H.-Hugo Kremer, Anja Gebhardt & Hannah Sloane

Vom „Lehrling“ zum „Lernenden “ – Zur Wahrnehmung Jugendlicher in Ausbildung im Zuge der Transformation der beruflichen Bildung

Beitrag von Lena Freidorfer-Kabashi
bwp@-Format: Forschungsbeiträge
Schlüsselwörter: Lehrling/Lehrtochter, Öffentlichkeit, Genese, Alltagserleben, Berufsbildungssystem

Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, den historischen Wandel des Bildes des Lehrlings/der Lehrtochter als  wichtigsten/e Adressaten/in des schweizerischen Berufsbildungssystems in den für die Entwicklung des schweizerischen Berufsbildungssystems entscheidenden Jahren von 1950 bis 1970 in den Kantonen der Deutschschweiz zu veranschaulichen.

Zentral ist hierbei die Fragestellung, wie innerhalb dieser von der Bildungsexpansion und von zahlreichen Reformprozessen geprägten Zeitspanne an der Schnittstelle von Öffentlichkeit und Politik über den Lehrling/die Lehrtochter gesprochen und geschrieben wurde.

Mittels eines diskursanalytischen Zugriffs sollen wiederkehrende Muster im Reden und Schreiben über die Jugend in beruflicher Ausbildung erfasst und darauf basierend auf Darstellungen und Idealbilder der Lehrlinge/Lehrtöchter geschlossen werden.

Gefragt wird somit zum einen nach der Genese des Lehrlings/der Lehrtochter als öffentlicher Figur basierend auf den Ergebnissen von Deutungen und Denkmustern Erwachsener zu unterschiedlichen historischen Zeitpunkten, zum anderen nach dem Alltagserleben der Jugendlichen in beruflicher Ausbildung und ihrer Selbstdarstellung als Lernende, Arbeitende oder Schutzbedürftige bzw. Minderjährige.

From "apprentice" to "learner" - The perception of young people in training during the transformation of vocational education and training

English Abstract

The aim of this article is to trace the historical changes in the image of the apprentice as the most important addressee of the Swiss VET system during the years from 1950 to 1970, which were decisive for the development of the Swiss VET system in the cantons of German-speaking Switzerland.

The central question here is how the apprentice was spoken and written about at the interface between the public and politics during this period, which was marked by educational expansion and numerous reform processes.

By means of a discourse-analytical approach, recurring patterns in talking and writing about young people in vocational education and training are to be recorded and concluded on the basis of representations and ideal images of the apprentices.

Thus, on the one hand the genesis of the apprentice as a public figure is being investigated based on the results of interpretations and thought patterns of adults at different historical points in time, and on the other hand the everyday experience of young people in vocational training and their self-portrayal as learners, workers or persons in need of protection or minors are being examined.

1 Einleitung

Am 15. Januar 1969 erschien in der Zeitschrift „Helvetische Typographie“ ein Artikel unter dem Titel „Lehrlinge – Stiefkinder unserer Gesellschaft“. Es wurde darin über ein Referat des Zürcher Stadtpräsidenten Sigmund Widmer berichtet, in dem er sich zum mageren Wissensstand und der gesellschaftlichen Positionierung der jungen Rekruten äußerte. Er fasste den Stand der Dinge in folgenden Stichworten zusammen – „erschreckend bescheidenes Wissen“, fehlende „ernsthafte Weiterbildung“ und „offensichtliche Unklarheit über die eigene Position in der Gesellschaftsordnung“.[1] Sein Fazit wurde unter dem Postulat „Bildungsnotstand der schulentlassenen Jugend“ (ebd.) verortet. Über die Protagonisten/innen (Rekruten, sodann auch: Lehrlinge/Lehrtöchter) in diesem Artikel wurde aus einer grundlegend besorgten Haltung heraus berichtet. Sie wurden als gegenüber den gleichaltrigen Mittelschüler/innen, die in den Genuss einer vielseitigen geistigen Schulung kamen und innerhalb dieser ihre «geistigen Fähigkeiten» zur Entfaltung bringen konnten, als benachteiligt deklariert:

„Man beachte einmal den krassen Unterschied zwischen den privilegierten Mittelschülern[2] und den gleichaltrigen Lehrlingen. Sechs bis acht Prozent unserer Jugendlichen partizipieren am Bildungsgeschehen, sie werden geistig geschult, ihre ästhetischen Fähigkeiten werden entwickelt, ihr Körper wird gymnastisch ertüchtigt, und ihnen stehen drei- bis viermal mehr Ferien zur Verfügung als ihren gleichaltrigen Lehrlingskameraden“ (ebd.).

Weiter wurde der Lehrling/die Lehrtochter im Zuge dieses Artikels als am „Fuße der Pyramide der industriellen Welt“ platziert wahrgenommen, an einer Stelle, an der die meisten von ihnen „ihr Leben lang stehen bleiben“ (ebd.). Aus dieser den beruflichen Nachwuchs mit den Mittelschülern/innen vergleichenden Perspektive heraus wurde die Fragestellung aufgeworfen, inwiefern Lehrlinge/Lehrtöchter als eigenständige gesellschaftliche Akteure/innen wahrgenommen werden sollten. Gleichzeitig wurden auch Forderungen nach einer Erneuerung und Verbesserung der bildungspolitischen Strukturen für die Lehrlinge/Lehrtöchter laut. Den Berufsschulen und Lehrbetrieben wurde vorgeworfen, sie würden die Lehrlinge/Lehrtöchter „zu tüchtigen, betriebsbejahenden, aber völlig unkritischen Arbeitskräften“ (ebd.) heranbilden.

Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter am Pädagogischen Institut der Universität Zürich, Dr. Hans Ulrich Wintsch, der in diesem Artikel zitiert wurde, übte dahingehend vehemente Kritik an der gesetzlichen Rahmenlegung des Bundesgesetzes über die Berufsbildung 1963 und forderte die Gewerkschaften und Parteien auf, um eine „soziale Gleichstellung der Lehrlinge, Mittelschüler und Studierenden“ (ebd.) einzuschreiten. Die Kontextualisierung des hier ausschnittsweise einbezogenen Artikels basiert auf einer inhaltlichen Botschaft über Missstände in der beruflichen Ausbildung im deutschschweizerischen Kanton Zürich. Dahingehend wurden der fehlende Ausbau des berufsschulischen Unterrichts, der allgemeinbildenden Fächer, als auch ein fehlendes Turnobligatorium an den Berufsschulen oder auch die sozialen Benachteiligungen der „Arbeiterkinder“ (ebd.) beleuchtet. Das, was daran interessiert, ist die Thematisierung des Lehrlings/der Lehrtochter im Januar 1969 an der Schnittstelle von Politik und Öffentlichkeit. Hierbei sollen folgende den Lehrling/die Lehrtochter beschreibende Stichwörter festgehalten werden: „aussichtslos, heranwachsende Jugend“; „billige“, gleichzeitig aber auch „tüchtige Arbeitskraft“(ebd.).

Im vorliegenden Beitrag stellen Fremddarstellungen, aber auch konträr dazu die Selbstdarstellungen der Jugendlichen in beruflicher Ausbildung und deren subjektive Wahrnehmung des Lehrlings-/Lehrtochteralltags den Dreh- und Angelpunkt dar. Einzelne Ereignisse in der Entwicklungsgeschichte der Berufsbildung in den westschweizerischen Kantonen fungieren rahmengebend, werden als wesentliche Kontextfaktoren in Betracht gezogen und dienen der Herleitung vorherrschender Diskurse.

Folgende zentralen und ineinandergreifenden Fragestellungen (a, b, c) geraten in den Blickpunkt: 

  1. Wie wurden Lehrlinge/Lehrtöchter in den Jahren von 1950 bis 1970 in den Kantonen der Deutschschweiz vor dem Hintergrund berufsbildungspolitischer Problemkontexte gesellschaftlich thematisiert und wahrgenommen? Welche Lehrlingsbilder lassen sich davon ableiten?
  2. Wie gestaltete sich das Alltagserleben der Lehrlinge/Lehrtöchter in Betrieb, Berufsschule und Jugendverein zu verschiedenen Zeitpunkten und wie nahmen sich die Jugendlichen in beruflicher Ausbildung darin selbst wahr?
  3. Zu welchen Zeitpunkten und inwiefern beteiligten sich die Jugendlichen selbst an Diskussionen um Lehrlingsfragen und berufsbildungspolitischen/lehrlingspolitischen Anliegen und hielten Einzug in öffentliche Debatten?

Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut: Das nachfolgende Unterkapitel geht auf die Begründung des Untersuchungszeitraums ein. Kapitel zwei befasst sich aus ländervergleichender Perspektive sowohl mit einem State of the Art rückblickender Forschungserträge als auch mit zeitgenössischen Quellen um den Lehrling/die Lehrtochter. Im Zuge einer theoretischen Rahmung werden unter Kapitel drei Überlegungen zum Konzept der alltäglichen Lebenswelt und der historischen Diskursanalyse festgehalten. Kapitel vier behandelt die methodische Vorgehensweise. Unter Kapitel fünf werden Untersuchungsergebnisse in Form von Lehrlingsbildern dargelegt. Kapitel sechs nimmt in einem Ausblick die Jahre nach dem Untersuchungszeitraum in den Fokus. Mit einem Fazit schließt Kapitel sieben ab.

1.1 Begründung des Untersuchungszeitraums

Der gewählte Untersuchungszeitraum verweist auf die für die Entwicklung der schweizerischen Berufsbildung wichtigsten Jahre, die unter dem Zeichen der Bildungsexpansion stehen. Hierunter versteht sich ein „Wachstumsprozess“, der Mitte der 1950er-Jahre einsetzt, 1960 seinen „Höhepunkt erreicht“, bis Ende 1970 andauert und sodann eine „Verlangsamung erfährt“ (Criblez/Magnin 2001, 5). Neben einer wirtschaftlichen Prosperität war diese Zeitspanne auch durch einen Ausbau- und Umstrukturierungsprozess des Bildungssystems, unter anderem aufgrund demographischer Veränderungen hinsichtlich der geburtenreichen Jahrgänge der Nachkriegszeit (sog. „baby boom“), geprägt (ebd. 2001; Becker 2011; Becker/Zangger 2011; Rieger 2001). Es lassen sich dementsprechend folgende Phänomene innerhalb dieser „Epoche der neueren Bildungsgeschichte“ zusammenfassen: Eine gesteigerte wirtschaftliche Qualifikationserfordernis, Ausbau der Sekundarstufe II und der Tertiärstufe, aber auch die Öffnung der höheren Bildung (Gymnasien, Universitäten) für breitere Bevölkerungsschichten (vgl. Criblez/Magnin 2001). Weiters wurde im Jahr 1963 nach der Erstfassung von 1930 das erste revidierte Bundesgesetz über die Berufsbildung erlassen. Die gelisteten Eckdaten beschreiben Entwicklungslinien des schweizerische Bildungs- und Berufsbildungssystem in den Jahren von 1950 bis 1970 in Kürze und skizzieren eine Zeitspanne, die geprägt ist von Dynamiken, Reformimpulsen und Veränderungsprozessen.

1.2 Forschungsstand und Quellenlage

Die Situation des Lehrlings/der Lehrtochter und der historische Sozialisationsprozess des beruflichen Nachwuchses wurden in der schweizerischen Berufsbildungsforschung im Sinne rückblickender Forschungsarbeiten (wenngleich sich hierdurch ein weitreichendes berufspädagogisches Forschungsfeld eröffnet) bislang nur am Rande thematisiert.

Berner (2019, 311) beispielsweise unterzieht den Lehrling/die Lehrtochter mit Blick auf den schweizerischen Rechtsdiskurs einer „historischen Rekonstruktion“ (1870-1930) und spricht von einer „vernachlässigten Kategorie des Lehrlings bzw. des Auszubildenden“ (ebd., 311). Bonoli (2017) thematisiert den Lehrling/die Lehrtochter als eine mehrdeutige Begriffskategorie. Empirische Erkenntnisse um den Lehrling/die Lehrtochter sind darüber auch in den deutschsprachigen Nachbarländern bislang nur marginal vorhanden (vgl. Wettstein 1987; Wettstein/Gonon 2009).

Als ergiebiger, gleichzeitig aber auch als durchaus heterogen lässt sich der Bestand an zeitgenössischen Quellen, darunter Informationsbroschüren und Ratgeber für Lehrlinge/Lehrtöchter und Lehrmeister/innen, sozialhistorische Lehrlings-/Jugendstudien und auch periodische Mitteilungen institutioneller Akteure der Berufsbildung bewerten.

In die vorliegende Untersuchung einbezogen wurden unter anderem mehrere Lehrlingsuntersuchungen, die durch Hans Chresta[3], Sozialpsychologe und erster Vorsteher des Amtes für Berufsbildung im Kanton Zürich, durchgeführt wurden (Chresta 1962, 1969, 1970), darunter auch eine im Jahr 1968 durch eine Externe Studienkommission für Jugendfragen (Externe SKJ)[4] initiierte Studie mit dem Titel „Zur Unrast der Jugend“ (Blancpain/Häuselmann 1974[5]). Es handelt sich hierbei um eine vierteilige, interdisziplinär angelegte soziologische Studie, die auf nationaler Ebene großes Ansehen erlangte. Insbesondere wird im vierten Teil unter dem Titel „Eine sozialpsychologische Untersuchung der Beziehungen zwischen Erwachsenen und Jugendlichen in Familie, Bildung und Beruf“ der Forschungsfokus auf den beruflichen Nachwuchs gerichtet (vgl. Casparis 1975).

Anthamatten/Finger/Niklaus (1981) halten in einer Informationsbroschüre Erkenntnisse aus einer kleinräumigen Lehrlingsstudie, die im Jahr 1980 im Kanton Oberwallis durchgeführt wurde und ihren Fokus u.a. auf Phänomene wie Berufswahl, Freizeitgestaltung oder auch Einstellungen der Lehrlinge/Lehrtöchter zu Politik und Parteien richtet, fest. Kraft/Häfeli/Schallberger (1985) untersuchten in den Jahren von 1980 bis 1984 in einem am Psychologischen Institut der Universität Zürich angesiedelten Forschungsprojekt die Ausbildungssituation und Persönlichkeitsentwicklung von Lehrlingen/Lehrtöchtern; Amos (1986) analysiert die Lehrlingssituation im Kanton Genf, darüber auch Bernath/ Wirthensohn/Löhrer (1989), die in einem Untersuchungszeitraum von zehn Jahren Zürcher Jugendliche auf ihrem Weg vom schulischen Ausbildungssystem in die berufliche Ausbildung begleiteten und dabei die Qualität der beruflichen Sozialisation analysierten.

Auch zu verweisen sei auf zahlreiche Arbeiten eines ehemaligen Vorstehers des kantonalen Amtes für berufliche Ausbildung im Kanton Bern, des Berufspädagogen und Juristen Erwin A. Jeangros, der auch als Pionier der schweizerischen Berufsbildung bezeichnet wird. Jeangros hat im Zuge seiner Amtszeit (1929-1963) zahlreiche Arbeiten auf Grundlage subjektiver Wahrnehmungen und Erfahrungswerte in den periodischen Mitteilungen des Berufsbildungsamtes Bern, darunter auch Handbücher für Lehrmeister/innen, aber auch Lehrlingsratgeber verfasst[6]. Sein wohl bekanntestes Werk, „Maximen zur Berufserziehung“, eine Hilfsanleitung zur „Ausbildungs- und Erziehungsarbeit“, gerichtet an all jene, die sich in der Ausbildung der Lehrlinge/Lehrtöchter befinden, wurde zahlreich rezipiert (Jeangros 1953). So hat etwa Charles Schaer, ehemaliger „Lehrlingsvater“ in einem schweizerischen Industriekonzern (Sulzer) im Jahr 1953 einen Ratgeber für Berufsbildungsverantwortliche zu einer gelingenden Lehrlingsfürsorge unter dem Titel „Lehrlinge ihre Behandlung und Fürsorge“ veröffentlicht (Schaer 1953).

Ein Blick über den Tellerrand der Schweiz zeigt, dass auch in Deutschland und Österreich Forschungserträge, die sich aus heutiger Sicht mit der Sozialisation des Lehrlings/der Lehrtochter und seinem/ihrem Alltagserleben befassen, nur bescheiden vorhanden sind. Für den länderspezifischen Kontext Deutschland sind hierbei folgende Arbeiten zu nennen: Büchter/Kipp (2014) analysieren aus einem nachbetrachtenden Blick heraus die Lehrlingsbewegung der 1960- und 70er-Jahre und stellen u.a. Fragen in Bezug auf die politische Orientierung und das politische Engagement von Jugendlichen in der beruflichen Bildung. Gleichermaßen nehmen auch Bierhoff (2004), Riga (2007) oder Andresen (2009)[7] die genannten Lehrlingsbewegungen in den Fokus ihrer Analysen. Karlwilhelm Stratmann, ein Begründer der neueren historischen Berufspädagogik, beleuchtet in zahlreichen seiner Arbeiten die Berufserziehung im Wandel und sieht sich mit Sozialisationsfragen in der beruflichen Bildung konfrontiert (vgl. Stratmann 1967, 1992, 1994; Stratmann/Pätzold 1999).

Ähnlich heterogen wie in der Schweiz zeigt sich auch in Deutschland der Bestand an zeitgenössischen Quellen um die Situation der Lehrlinge/Lehrtöchter, hierunter eine an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik angesiedelten Lehrlingsstudie[8], welche die Situation der Hamburger Lehrlinge/Lehrtöchter im betrieblichen und schulischen Ausbildungssetting, die Berufswahl und Berufszufriedenheit sowie die Fortbildungsinteressen und Berufserwartungen der Lehrlinge analysiert (vgl. Crusius 1973; Crusius/Einsle/Wilke 1974; Daviter 1973; Epskamp 1973; Laatz 1973). Haug/Maessen (1973) befassen sich unter dem Titel „Was wollen die Lehrlinge“ mit der Akzeptanz und Wertigkeit der politischen Bildung in der Berufsschule. 

In Österreich erweist sich der Bestand an Arbeiten, die sich rückblickend mit dem Lehrling/der Lehrtochter als Forschungsgegenstand befassen, im Vergleich zu Deutschland und der Schweiz als marginal: Sorz/Waldert (1981) nehmen den beruflichen Nachwuchs aus einer Retrospektive unter dem Aspekt der sich verändernder beruflichen Ausbildung in den Blickpunkt. Ergiebiger ist der Bestand an zeitgenössischer Literatur, hierunter zahlreiche Forschungsberichte des ibw (Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft), die sich unter anderem mit den Einstellungen der Jugend zum beruflichen Alltagserleben (vgl. Gaspari/Prat De La Riba 1976), der Lehrlingszufriedenheit (vgl. Speiser 1976) und mit der Arbeiterjugend und den Lehrlingsbewegungen in Österreich befassen (Allerbeck/Rosenmayr 1971; Bednarik1953, 1969).

Aus den hier gelisteten Ergebnissen einer durchgeführten ländervergleichenden Dokumentrecherche (AUT, D, CH) geht hervor, dass sich aktuelle Forschungsarbeiten aus einer rückblickenden Perspektive nur marginal mit dem Lehrling/der Lehrtochter befassen und eine Art Randerscheinung in der berufspädagogischen Forschung darstellen. Der vorliegende Beitrag findet in dieser Erkenntnis seine Legitimation und möchte dahingehend Zeichen setzen, die berufsbildungshistorische Forschung um den Lehrling/die Lehrtochter und eine Auseinandersetzung mit Pionieren und Klassikern der Berufs- und Wirtschaftspädagogik wiederzubeleben.

2 Theoretische Perspektive

2.1 Konzept der alltäglichen Lebenswelt

Die nachfolgend geschilderte theoretische Perspektive stellt die Rahmung des vorliegenden Untersuchungsgegenstandes und der Fragestellungen dar. Es wird dahingehend an Überlegungen zur alltäglichen Lebenswelt nach Schütz und Luckmann (1988) als einem klassischen Konzept, das sich in den vergangenen Jahrzehnten durchaus bewährt hat, angeknüpft. Im Fokus stehen hierbei Wahrnehmungen und Erfahrungen (Handeln und Denken) des Subjekts, die durch empirische Analysen mit dem Alltag verbunden werden. Schütz und Luckmann (1979, 25f.) fassen die alltägliche Lebenswelt als einen intersubjektiven Handlungsraum, in dem sich wiederkehrende Lebenspraxis vollzieht, als einen Wirklichkeitsbereich, mit dem jeder Mensch «unausweichlich [und in] regelmäßiger Wiederkehr» in Berührung kommt, seinen Mitmenschen gegenübertritt, mit diesen zusammenwirkt und durch sein Handeln das vorgefundene Umfeld verändert (Schütz/ Luckmann 1979, 25f.).  Die alltägliche Lebenswelt (die alltägliche Wirklichkeit) lässt sich in eine räumliche, zeitliche und soziale Dimension „aufschichten“ (ebd., 30f.).

Nachfolgend soll punktuell auf die einzelnen Schichtungsdimensionen, welche in der vorliegenden Untersuchung als wesentliche Analysekriterien fungieren, eingegangen werden:

  • Räumliche Dimension: Der Ort, an dem sich ein Subjekt im lebensweltlichen Raum befindet, stellt den «Nullpunkt des Koordinatensystems, innerhalb dessen die Orientierungsdimensionen, die Distanzen und Perspektiven der Gegenstände in dem (…) umgebenden Feld bestimmt werden» (Schütz/Luckmann 2017, 71) dar. Der lebensweltliche Raum besteht um diesen Nullpunkt und gliedert sich in Sektoren aktueller (direkte Wirkzone, auf die ein Subjekt durch sein Handeln einwirkt) und potentieller Reichweite, untergliedert in die wiederherstellbare Reichweite (Zone der Wiederherstellbarkeit, des Wissens an das Vertraute und Rekonstruierbare) und die erlangbare Reichweite (Vorstellungen über die Zukunft).
  • Zeitliche Dimension: Die lebensweltliche Zeit konstruiert sich aus drei sich überschneidenden Dimensionen: der Weltzeit (Wissen über die Vergänglichkeit des eigenen Lebens, die Generationenabfolge und die Transzendenz der Weltzeit), der zeitlichen Struktur der Reichweite (Verknüpfungen von Erwartungen und Erinnerungen, Vergangenheit in Erinnerung zu rufen, Handlungswissen an die Gegenwart zu adaptieren) und der subjektiven Zeit (Bewusstseinsstrom auf Grundlage von Erfahrungen und Erlebnissen). Die Menschen «leben in all diesen Dimensionen zugleich» (Schütz/ Luckmann 1988, 75).
  • Soziale Dimension (Sozialwelt): Unter der Sozialwelt versteht sich die fraglos gegebene Existenz anderer Menschen, die mit einem Bewusstsein ausgestattet sind, in einen intersubjektiven Austausch und miteinander in Beziehung treten und grundlegend ähnliche Ziele verfolgen. Darüber baut die soziale Welt auf der Tatsache auf, dass eine «Sozial- und Kulturwelt (…) historisch vorgegeben ist», auf der neu entstehende Beziehungsgeflechte aufbauen (Schütz/Luckmann 2017, 98). Menschen erfahren andere Menschen «in verschiedenen Perspektiven», Beziehungen zu Mitmenschen gliedern sich nach «verschiedenen Stufen der Erlebnisnähe, Erlebnistiefe und Anonymität» (ebd., 101). Die soziale Struktur gliedert sich in die (direkte) Umwelt (Menschen, die einem persönlich bekannt und vertraut sind), die Mitwelt (Menschen, von deren Existenz ein Subjekt weiß), die Vorwelt und die Nachwelt. Zentral ist die Unterscheidung «zwischen der unmittelbaren Erfahrung eines Anderen» (Mitmenschen, zu denen eine direkte Verbindung besteht und mit denen ein Sektor der lebensweltlichen Zeit- und Raumstruktur geteilt wird, Wir-Beziehungen oder Face-to-Face-Kontakte) und «der mittelbaren Erfahrung in der Sozialwelt» (Zeitgenossen, zu denen keine gegenwärtige Wir-Beziehung besteht).

Die gelisteten Schichtungselemente (räumlich, zeitlich und sozial) der alltäglichen Lebenswelt dienen in der vorliegenden Untersuchung als Analysekriterien, um die im Zuge von Lehrlings- und Jugendbefragungen geschilderten Eindrücke, aber auch die jeweilige retrospektive Erzählung des/der Zeitzeugen/in zum subjektiven Alltagserleben in Betrieb, Berufsschule und Jugendverein zu verschiedenen Zeitpunkten deuten zu können.

2.2 Historische Diskursanalyse

Der Ansatz der historischen Diskursanalyse ermöglicht einen theoretischen Zugang zur Analyse und Erklärung der „klar abgegrenzten Bereiche des Machbaren, Sagbaren und Denkbaren (…) zu bestimmten Zeiten (…) in bestimmten Gesellschaften“ (Landwehr 2004, 21). Gleichbleibende oder sich verändernde Anhäufungen an Aussageereignissen lassen sich dahingehend nicht nur beobachten, sondern auch erklären. Diskurse strukturieren „das Sagbare, Denkbare und Machbare in einer Gesellschaft [und] organisieren dahingehend Wirklichkeit“ (ebd. 2004, 21). Sprache fungiert in der historischen Diskursanalyse als besonderer Bedeutungsträger. Wirklichkeit wird über Sprache wahrgenommen und strukturiert sich über Begriffe (ebd. 2004, 21; siehe auch: Mills 2004). Die mündliche Artikulation wird dahingehend in einer Gesellschaft als Handlung wahrgenommen. Vorstellungen und Sichtweisen über „Raum, die Zeit, den Menschen (…)“ als Ergebnisse sozialer Konstruktionsprozesse in einer Gesellschaft können sich verfestigen und über einen Zeitraum bestehen bleiben, sich sodann aber auch wiederum verändern (Landwehr 2003, 18). Im Zuge der vorliegenden Untersuchung stehen wiederkehrende, aber auch sich verändernde Aussagen und Redezusammenhänge durch Politiker/innen, Berufsbildungsverantwortliche, Psychologen/innen, Eltern und andere Erwachsene über den Lehrling/die Lehrtochter im Vordergrund (bspw.: die wiederkehrende Bezeichnung „billige Hilfskraft“ in Zeitungsartikeln, die in der Zeitspanne von 1950 bis 1960 in westschweizerischen Kantonen publiziert wurden). Sich wiederholende Bezeichnungen und Beschreibungen der Jugendlichen in beruflicher Ausbildung werden dahingehend mittels Dokumentanalyse aus Zeitungsartikeln[9] gefiltert, zu Aussagebündeln gruppiert und auf ihren jeweiligen gesellschaftlichen und bildungspolitischen Kontext zurückgebunden.

Eine Verbindungslinie der historischen Diskursanalyse zum Konzept der Lebenswelt und konkreter noch zur Aufschichtung der alltäglichen Lebenswelt zeigt sich insofern, als in der Sozialwelt Menschen miteinander in einen intersubjektiven Austausch treten, Auffassungen und Meinungen teilen und diese sodann auch wieder verwerfen. Hier findet kommunikatives Handeln statt, aus dem sich als eine Art zirkuläres Verhältnis Diskurse konstituieren.

3 Methodisches Vorgehen

Die im Zuge des Untersuchungsvorhabens genutzten Daten basieren auf einem Methodenmix.  Mittels einer Dokumentanalyse konnte die öffentliche Darstellung/Thematisierung des Lehrlings/der Lehrtochter vor dem Hintergrund berufsbildungspolitischer Problemkontexte nachgezeichnet werden. Der Fokus wurde dahingehend und anknüpfend an die Überlegungen der historischen Diskursanalyse auf Lehrlingsbilder, die sich in der mündlichen und schriftlichen Kommunikation manifestieren, gerichtet (vgl. Jäger 2012; Keller et al. 2001; Landwehr 2001, 2008, 2015; Sarasin 2003).

Ausgewertet wurden serielle Quellen in Form von insgesamt 200 Zeitungsartikeln unterschiedlicher Tageszeitungen der deutschschweizerischen Kantone, die im Zeitraum von 1950 bis 1970 zu Themenbereichen der Berufsbildung veröffentlicht wurden und sich im Spezifischen mit dem Lehrling/der Lehrtochter befassten. Unter anderem wurden Artikel der freisinnig-liberal ausgerichteten „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ), der katholischen Tageszeitung „Neue Zürcher Nachrichten“ (NZN), des parteipolitisch ungebundenen „Tages-Anzeiger“, der sozialdemokratisch ausgerichteten Zeitung «Volksrecht», der linksliberalen «National-Zeitung» aus Basel, der durch die Partei Der Landesring der Unabhängigen (LdU) ins Leben gerufenen Zeitung «die Tat» oder auch der parteipolitisch unabhängigen Zeitung «Helvetische Typographie» zur Analyse herangezogen. Die Zeitungsartikel wurden den Sammlungen des Schweizerischen Sozialarchivs und Online-Archiven der Zeitungen entnommen. Im Zuge der Online-Recherche wurde prioritär mittels folgender Suchschlagwörter vorgegangen: Berufsbildung, berufliche Ausbildung, Lehrling, Lehrtochter, beruflicher Nachwuchs, (Berufs-)Jugend.

Diese erstgenannte methodische Vorgehensweise strebt insbesondere die Beantwortung der Forschungsfrage (a) an. Insofern als sich aus der Analyse der Zeitungsartikel auch Rückschlüsse auf die Lebensgestaltung der Jugendlichen in beruflicher Ausbildung ziehen lassen, erschien dieser Fahrplan jedoch auch um die Beantwortung der Fragestellungen (b) und (c) von Bedeutung. 

Zu einer sequenziellen Nachzeichnung des Alltagserleben der Lehrlinge/Lehrtöchter in Betrieb, Berufsschule und Jugendverein zu verschiedenen Abschnitten innerhalb des angeführten Untersuchungszeitraums wurden zum einen mehrere kleinräumige Jugend- und Lehrlingsstudien herangezogen, die im weitesten Sinne Auskunft über das jugendliche Alltagserleben der Lehrlinge/Lehrtöchter in den Jahren von 1950 bis 1970 geben können (vgl. Chresta 1969; Jeangros 1950). In Ergänzung dazu wurden anonymisierte Zeitzeugeninterviews  im narrativen Interviewdesign mit einem ehemaligen Schneiderlehrling (Geburtsjahr 1936, Lehrbeginn um 1951, Interview A) und einer einstigen Absolventin der Lehre zur Coiffeuse (Geburtsjahr 1950, Lehrbeginn um 1965, Interview B)[10] durchgeführt. Insofern als von Beginn der Untersuchungsperiode bis ins Jahr 1965 nur ein geringer Bestand an Jugend-/Lehrlingsstudien, die auf das Alltagserleben und die Selbstdarstellungen der Lehrlinge/Lehrtöchter schließen lassen, vorliegt, wurden zwei Personen interviewt, deren Lehrbeginn sich jeweils in dieser Zeitspanne datieren lässt.  

In der Datenerhebung wurde auf das Heranziehen eines vorgefertigten wissenschaftlichen Konzepts verzichtet. Der Gesprächspartner und die Gesprächspartnerin wurden lediglich mittels einer offen formulierten Einstiegsfrage dazu bewegt, sowohl über Erinnerungen an ihre Lehrzeit als auch ihre Freizeitgestaltung zu sprechen. Der Detaillierungsgrad der Ausführungen wurde dementsprechend den erzählenden Personen überlassen (vgl. Atkinson/Delamont 2005, Schütze 1976). Die Audioaufzeichnungen der Erzählungen wurden transkribiert und mittels Textstrukturanalyse ausgewertet (ebd.). Darüber wurde die erzählten Gemengelage an gespeicherten Erfahrungen und Sinnbildungen hinsichtlich einer quellenkritischen Vorgehensweise auf Übereinstimmung mit Angaben aus anderen Quellen beziehungsweisen auf Passung zu bereits bestehendem Informationengehalt (Überlieferungen) zum geschichtlichen Hintergrund überprüft. Diese subjektiv geschilderten Erinnerungen unter Einwirkung der Folgeerfahrungen sollen und können in keinem Fall generalisiert werden. Vielmehr sollen einzelne Stellen der Interviews, die Parallelen zu Resonanzen aus den Lehrlings- und Jugendstudien aufweisen, näher in Betracht gezogen werden (Forschungsfrage b) (vgl. Schreiber/Árkossy 2009). Mittels dieser Daten zu den Aussagen der Jugendlichen in beruflicher Ausbildung lassen sich die unterschiedlichen Aufschichtungen der Lebenswelt operationalisieren.

Zur Nachzeichnung derjenigen Zeitpunkte, zu denen die Jugendlichen in beruflicher Ausbildung Einzug in öffentliche Debatten hielten, wurden die angeführten Zeitungsartikel unter anderem auf Beiträge und Wortmeldungen der Jugendlichen, aber auch Berichte über Protestaktionen und Aktionskomitees der Lehrlinge/Lehrtöchter analysiert (Fragstellung c).

4 Lehrlings-/Lehrtochterbilder

Im nachfolgenden Kapitel werden nun die zentralen Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Untersuchung herausgearbeitet. Dementsprechend werden drei Lehrlingsbilder (drei gleichbleibende gesellschaftliche Denk- und Vorstellungsmuster) skizziert, die sich aus den Diskursen innerhalb des Printmediums „Zeitung“ in der Zeitspanne von 1950 bis 1970 erschließen lassen. Jedem Lehrlingsbild als Ergebnis von Deutungen, Denkmustern und Wahrnehmungen Erwachsener zu einer gewissen historischen Zeitspanne stehen Selbstdarstellungen der Jugendlichen in beruflicher Ausbildung, aber auch Einblicke in das Alltagserleben der Lehrlinge/Lehrtöchter in Betrieb, Berufsschule und Jugendverein/Gewerkschaft gegenüber.

4.1 Der konforme Lehrling/die konforme Lehrtochter als Produktionsfaktor (1950-1960[11])

Der berufsbildungspolitische Kontext, auf den in den Jahren von 1950 bis 1960 vorherrschende Diskurse zurückgebunden werden können, konstituiert sich durch nachfolgend geschilderte Ereignisse und Entwicklungslinien: Nachdem die Lehrlingszahlen um 1930 in der Schweiz stark abgefallen waren, setzte nach dem zweiten Weltkrieg mit 1945 eine Hochkonjunktur ein, welche bis Mitte der 1960er-Jahre anhielt (vgl. Wettstein 1987; Wettstein 2020). Dieser Aufschwung wurde in allen volkswirtschaftlichen Sektoren wahrgenommen, besonders ausgeprägt jedoch in den Industriezentren. Die geburtenreichen Jahrgänge (sog. „Babyboom“) der Nachkriegsperiode wurden spürbar (vgl. ebd. 100f.; Suter 2013). Zu Beginn der 1950er-Jahre hatte sich an der Schnittstelle von Öffentlichkeit und Politik bereits längst die Überzeugung festgesetzt, dass die Zukunft der Jugend und so auch des Landes mit ihrer Ausbildung zusammenhänge (vgl. Suter 2013). Aufgrund der fortschreitenden Motorisierung stellten die technischen Branchen bereits zu Beginn der 1950er-Jahre einen Nachwuchsmangel fest (vgl. Halbeisen et al. 2012; Halbeisen et al. 2012). Diese Erkenntnis, aber auch die Sorge um die Konkurrenzfähigkeit der Schweizer Wirtschaft wurden durch den Sputnik-Schock im Jahr 1957 nur verstärkt (vgl. Wettstein/Gonon 2009).

Dem sei beizufügen, dass sich der Bestand an Zeitungsartikeln, die den Lehrling/die Lehrtochter auch tatsächlich thematisieren, im Vergleich zu dem Bestand der darauffolgenden zehn Jahren als relativ gering erweist. Darüber soll vorweggenommen werden, dass in linguistischer Hinsicht in den analysierten Artikeln überwiegend von dem „Lehrling“ oder in der Mehrzahl von dem „beruflichen Nachwuchs“ gesprochen wurde. Die weibliche Form „Lehrtochter“ sowie auch der Begriff „Jugendliche/r“ wurden nur in wenigen Fällen in Verwendung gezogen.

In der Mehrzahl der analysierten Zeitungsartikel wird der Lehrling/die Lehrtochter in Zusammenhang mit seinem/ihrem betrieblichen Ausbildungsumfeld thematisiert, so beispielsweise in der Schweizerischen Arbeitgeber-Zeitung vom 16. Februar 1951, in der ein Beitrag unter dem Titel „Die Lehrlingsausbildung und ihre Bedeutung“ veröffentlicht wurde. Es wird hierbei neben der Notwendigkeit der Berufsbildung als tragendem Element der schweizerischen Wirtschaft über den Lehrling/die Lehrtochter berichtet, der/die im Betrieb, «als Stätte der Lohnauszahlung, mit der es sonst keine andere Verbindung gibt» häufig als „Mädchen für alles verwendet wird“[12]. So wurden Putztätigkeiten, Hilfsarbeiten, das Ablegen von Unterlagen und Botengänge als feste Bestandteile des Lehrlingsalltages beschrieben. Der Lehrling/die Lehrtochter wurde hierbei nicht als etwas „Besonderes“ oder als „Hauptperson“ in dem betrieblichen Ausbildungssetting diskutiert, sondern viel eher als ein „Stift“[13], der dasselbe Rad zu durchlaufen hat, das bereits viele vor ihm/ihr durchlaufen haben (Jeangros 1950, 5). Daneben wurden die Lehrlinge/Lehrtöchter unter dem Aspekt der beruflichen Ertüchtigung thematisiert und dies insofern, als sie schnellstmöglich in der Lage sein sollten, „mit Sorgfalt Präzisionsarbeit zu leisten“[14], um die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit der Schweiz mittels eines Mitwirkens an der Herstellung hochwertiger Produkte bestmöglich zu unterstützen. Am 16.02.1952 erschien in der „Genossenschaft“ der Beitrag „Bevölkerungsbewegung, Hochkonjunktur und Lehrlingsnachwuchs“[15], im Zuge dessen der Lehrling/die Lehrtochter erneut aus der Betrachtungsweise der beruflichen Ertüchtigung thematisiert wurde. Hinsichtlich der sich stark entwickelnden Industriezentren und eines steigenden Bedarfs an tüchtigen Arbeitskräften wurde auch der Jugend in beruflicher Ausbildung abverlangt, ihre Lehrzeit mit einem „tüchtigen Arbeitscharakter“, aber auch dem Drang, „Tüchtiges zu leisten“, zu absolvieren (ebd.). Die berufliche Ertüchtigung und der Wille, als Lehrling der Wirtschaft produktive Leistungen zu erbringen, wurden hierbei als wesentliche, dem „beruflichen Nachwuchs“ zentrale ordnungs- und sinnstiftende Kategorien diskutiert.

In einem weiteren, in der Mai/Juni-Ausgabe der Fachzeitschrift „Berufsberatung“ unter dem Titel „Die Berufsausbildung der Schulentlassenen in der Stadt Zürich“[16] im Jahr 1953 veröffentlichten Artikel wurde die Problematik der Ungelernten, derjenigen Jugendlichen, die nach der obligatorischen Schulzeit ohne berufsspezifische Ausbildung direkt in die Erwerbstätigkeit übergingen, thematisiert. Es wurde der Gemeinderat der Stadt Zürich zitiert, der den Eltern dahingehend eine Schuldzuweisung aussprach, als sie „ihre Kinder unmittelbar nach dem Schulaustritt einfach als Hilfsarbeiter und Angelernte in irgendeinem Betrieb oder auf einem Bauplatz unterbringen, um sich rasch zu entlasten.“ (ebd.). Unter diesem Vorwand wurde von dem/der Lehrling/Lehrtochter gesprochen, der/die in seiner/ihrer beruflichen Ertüchtigung zu fördern sei, um nicht als „Ungelernte/r“ oder „Hilfskraft“ zu enden. Einige Monate später, am 8. Februar 1954, forderte der in einem Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) zitierte Sozialdemokrat R. Schmid, dass „Lehrlinge nicht mehr als billige Arbeitskräfte“[17] ausgenutzt werden dürfen. Stattdessen plädierte Schmid für Gewährleistung einer „gründliche Ausbildung“, aber auch für ein Umdenken in der Berufsberatung. So dürften Lehrlinge seines Erachtens nach nur mehr auf Mangelberufe hingewiesen werden, um in weiterer Folge einen Fachkräfteüberschuss in einigen Modeberufen/-branchen verhindern zu können. – „Es hat (…) keinen Sinn, mehr Leute in die Berufe hineinzuzwängen, wenn sie nachher keine Beschäftigung finden“ (ebd.).

Unter dem Aspekt der wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit sprach er die Warnung aus, dass „Lehrlingen nicht überall die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wird“ (ebd.). An vielen Orten, so beispielsweise in der Nahrungsmittelindustrie, würden sie aufgrund der starken Mechanisierung durch „billigere nicht gelernte Arbeitskräfte“ 24 ersetzt. Der Lehrling/die Lehrtochter wurde unter diesen Vorstellungen als eine grundlegend ersetzbare Arbeitskraft thematisiert. In unbeliebten Berufsfeldern wurde er/sie zum wertvollen Produktionsfaktor, in Modeberufen hingegen zur verzichtbaren Arbeitskraft im Überschuss. Im Zuge der Vorbereitungsphase auf die Revision des Bundesgesetzes über die Berufsbildung traten im Jahr 1958 angesichts der sich aus den industriellen Entwicklungstendenzen neu etablierenden Erwerbsberufe neben den traditionellen handwerklichen und kaufmännischen Berufen Fragen um eine Neuausrichtung des berufsschulischen Unterrichts in den Vordergrund gesellschaftspolitischer Debatten. Die Lehrlinge/Lehrtöchter wurden hierbei als diejenigen thematisiert, denen es in ihren „industrialisierten Lebenskreisen“[18] Orientierungshilfen entgegenzubringen galt. Erwin Jeangros verwies in Anbetracht der sich wandelnden Berufsbilder - einige „verkümmern“, andere „verschwinden“ gänzlich - und der damit einhergehenden Herausforderungen für die Berufslehre auf große Wissensmängel von Seiten all jener, die sich an der Gestaltung der beruflichen Ausbildung beteiligen (gemeint: Lehrmeister/innen, Berufsschullehrer/innen, Mitarbeitende der Aufsichtsbehörden, Fürsorger/innen, Eltern).

„Die bisherigen Erfahrungen in der Berufserziehung zeigen eine ebenso überraschende wie bedenkliche Tatsache auf: Wir sind spärlich über die Lebenswirklichkeit der Berufe unterrichtet. Wir wissen wenig vom grossen Strukturwandel im heutigen Berufsleben. Wir kennen uns nicht aus in den Besonderheiten der Psyche der berufstätigen Jugendlichen. (…) Arbeits- und Berufspädagogik stecken noch in den Anfängen“[19]

Die voranstehenden Feststellungen Jeangros‘ (insbesondere über bestehende Erkenntnis- und Wissensmängel um die psychische Entwicklung und Situiertheit der Lehrlinge) stellen einen zentralen Ausgangspunkt für die Skizzierung des Lehrlingsbildes unter Kapitel 5.3. dar.

4.2 Das Alltagserleben des Lehrlings/der Lehrtochter als Ausbildungsempfänger/in und Leistungserbringer/in in den Jahren von 1950 bis 1960 am Beispiel „Betrieb“

In dem vorliegenden Rekonstruktionsversuch des Alltagserlebens von Lehrlingen/Lehrtöchtern in dem Untersuchungszeitraum von 1950 bis 1960 stellen zum einen die Berichterstattungen und darin enthaltenen kleinräumigen Untersuchungen zur damaligen Lehrlingssituation, verfasst von Erwin Jeangros[20], eine wichtige Grundlage (Bezugspunkt) dar (vgl. Jeangros 1950, 1953, 1955, 1958). Zum anderen sind es die Inhalte eines Zeitzeugeninterviews (Interview A), welches mit einem ehemaligen Schneiderlehrling, der seine Lehre um 1951 begonnen hatte, durchgeführt wurde.

Dreh- und Angelpunkt der nachfolgenden Skizzierung ist das betriebliche Ausbildungssetting[21], welches im Zuge der analysierten Zeitungsartikel in großem Ausmaß als Beobachtungssetting für den Blick auf den Lehrling/die Lehrtochter angeführt wurde.

Dem sei vorwegzunehmen, dass es sich bei den Lehrlingen der 1950er- bis 1960er-Jahre um die Nachkriegsgeneration (Geburtsjahr zwischen 1925 und 1940) oder, wie sie Helmut Schelsky nannte, die „skeptische Generation“ (vgl. Schelsky 2016; siehe auch: Mannheim 1964) handelt. Schelsky beschreibt sie in seinem gleichnamigen Werk als eine Altersgruppe an Jugendlichen, die sich „auf das Überleben eingerichtet hat“, soziale Unsicherheit und wirtschaftliche Tiefgänge erlebt hat und diesbezüglich durch den Drang nach Verhaltenssicherheit geprägt ist (Schelsky 1963, 382). Die Beschreibungen Schelskys weisen zahlreiche Parallelen zu den Darlegungen der Freizeitgestaltung des Lehrlings/der Lehrtochter nach Jeangros auf: „Die meisten Lehrtöchter und Lehrlinge helfen zu Hause, im Haushalt, Garten, auf dem Feld oder im Stall willig mit.“ (Jenagros 1950, 13). Traditionen, religiöse Einstellungen und kulturelle Werte stellten beständige Größen im Alltagserleben der Jugend in beruflicher Ausbildung dar. In einer Befragung von 100 Lehrlingen/Lehrtöchtern, die im Kanton Bern um 1950 durchgeführt wurde, beschrieben sich 88 Lehrlinge/Lehrtöchter als gläubig, 74 gaben an, regelmäßig zu beten und 38 besuchten „häufig die Kirche“ (Jeangros 1950, 46). – „Sie [gemeint: die Berufsjugend] geht sonntags noch dort zur Kirche, wo das Herkommen in der Familie sie dazu veranlasst.“ (ebd. 1950, 46). Innerhalb dieser Aussage spiegelt sich die Welt in wiederherstellbarer Reichweite als Element der räumlichen Aufschichtung in den Überlegungen zur alltäglichen Lebenswelt wider. Es wird von Orten berichtet, die Jugendliche in beruflicher Ausbildung freiwillig oder auch unfreiwillig in regelmäßigen Abständen aufsuchten, um dort Erfahrungen zu sammeln. Auch der Ausbildungsbetrieb ist dieser Zone zuzuordnen. Lehrlinge/Lehrtöchter verließen diesen und kehrten hierhin aber auch wieder zurück und dies in der Regel im täglichen Rhythmus (vgl. Schütz 1974).

Nicht nur im häuslichen Umfeld, sondern auch im betrieblichen Alltagserleben erwiesen sich die Lehrlinge/Lehrtöchter als unproblematisch und gehorsam. Ihren Arbeitsaufträgen traten sie mit einer praktisch und beruflich orientierten „Tätigkeitslust“ und „Lernwilligkeit“ gegenüber (ebd. 1950, 13f.). Dies schließt jedoch nicht aus, dass sie sich auch gerne zu „dummen Streichen“ und unangebrachten Sprüchen verleiten ließen (Schaer 1953, 151). Der befragte Zeitzeuge beschrieb sich als Lehrling wie folgt: „Ich war ein tüchtiger und fleißiger Lehrling, wollte viel lernen, auch weil ich einmal mehr erreichen wollte als die Eltern. Ich dachte viel an die Zukunft.“ Auch führt der Erzählende aus, dass seine damaligen Kollegen diese Vorstellung mit ihm teilten: „Es war schon so, dass jeder weiterkommen wollte. Ich dachte auch viel daran, um den Eltern nicht lange auf der Tasche zu liegen. Die Zeit verging ja schnell, das wusste ich und ich hatte damals schon im Kopf größer und reicher zu werden, als die Eltern es waren.“ (Interview A, Z. 22-28)

Anhand dieser Ausführung lassen sich die theoretischen Überlegungen zur Weltzeit als Schichtungselement der alltäglichen Lebenswelt operationalisieren. Aus der Schilderung geht ein Bewusstsein über die Vergänglichkeit der eigenen Lebenszeit hervor. Zum anderen widerspiegelt sich der Bereich der erlangbaren Reichweite innerhalb der räumlichen Aufschichtung der alltäglichen Lebenswelt. Hier werden Vorstellungen über die Zukunft kreiert (Schütz/Luckmann 2017, 71). Weiter berichtet der Zeitzeuge, dass sich sein starrer und immer wiederkehrender Blick in die Zukunft und seine Zielstrebigkeit zu entwickeln begannen, als er durch die Eltern mehrfach mit Gedanken an finanzielle Nöte während der Kriegszeit konfrontiert wurde, und weil sich der Zeitzeuge zu Beginn seiner Lehrzeit mehrfach rechtfertigen musste, warum er einen Beruf erlerne, den zu seiner Zeit „nur die schlechten Schüler gelernt haben“ und der als „in der untersten Schublade [verortet] galt“ (Interview A, Z. 30). Aus diesem Fall heraus lässt sich schließen, dass Lob, aber auch Schikane oder Tadel Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Bereichs der erlangbaren Reichweite und dahingehend auf die Ausprägung von Zukunftsvisionen haben können.

Mit dem Betrieb als ökonomischem Zweckgebilde erlebte der Lehrling/die Lehrtochter einen Sozialraum, der aus einem Rahmengeflecht an Forderungen bestand und in dem das Erlernen von Handlungsabläufen und das Erbringen von Leistungen (Leistungssystem) die sinnbestimmende Substanz darstellten (vgl. Jeangros 1955). Vor allen Dingen begaben sich die Lehrlinge/Lehrtöchter hier in einen intersubjektiven Austausch und lernten, gemeinsame Ziele zu verfolgen. Ein Zitat aus dem Zeitzeugeninterview A unterstreicht dies: „Ich war meistens bei der Sache. Wir verfolgten gemeinsame Ziele und Visionen, das hat mich schon sehr geprägt.“ (Interview A, Z. 42-43) In dieser Aussage widerspiegeln sich die Vorstellungen der (direkten) Umwelt innerhalb der Sozialwelt. Lehrlinge/Lehrtöchter waren innerhalb des betrieblichen Settings umgeben von ihnen vertrauten Menschen, mit denen gemeinsame Ziele (bspw. Herstellung eines bestimmten Produkts) angestrebt wurden (Schütz/Luckmann 2017, 98 f.).

Innerhalb des betrieblichen Alltags nahm der Lehrling/die Lehrtochter eine Doppelfunktion ein; so war er/sie einerseits Ausbildungsempfänger/in und andererseits Arbeitskraft.

Der/die Lehrmeister/in, üblicherweise handelte es sich hierbei um den/die Betriebsinhaber/in, weitere mit der Ausbildung beauftragte Vertreter/innen, aber auch die Arbeitskollegen/innen stellten wichtige Bezugspersonen für den Lehrling/die Lehrtochter dar. Der Lehrling/die Lehrtochter erlebte an diesem Ort nicht nur fachliche Ertüchtigung, sondern durch den Austausch mit den ihn/sie umgebenden Sozialpartnern/innen auch Menschenbildung (vgl. Jeangros 1955; Schaer 1953). Außerberufliche oder nebenberufliche Tätigkeiten zählten zur Tagesordnung des Lehrlings/der Lehrtochter und sind als starre Gestaltungselemente der betrieblichen Sozialwelt festgelegt (vgl. Schütz/Luckmann 2003, 15).  „Die Lehrmeisterin hat zwei kleine Kinder von drei und sechs Jahren; am Morgen beginnt die Arbeit mit dem Anziehen, dann mit dem Aufpassen, besonders wenn das Wetter nicht schön ist und sie im Atelier herumlaufen, hier etwas nehmen und dort etwas fingerlen und dann heisst es: Warum hast Du nicht aufgepasst! Mit dem Gedanken bei der Arbeit sein und zugleich noch Kindermädchen sein, das ist zu viel!“ - Auszug aus einem Interview mit einer Lehrtochter (Jeangros 1950, 10; siehe auch: Jeangros 1958).

Gegenüber diesen Tätigkeiten nahm die Jugend in beruflicher Ausbildung mehrheitlich eine abneigende Haltung ein und führte ihre Unzufriedenheit diesbezüglich im Zuge von Lehrlingsbefragungen auch entsprechend aus. Schlussendlich folgte nicht selten auf erfüllte „Botendienste“ auch Tadel von Seiten des/der Lehrmeisters/in. Die Lehrlinge/Lehrtöchter nahmen dies ohne weiteren Aufstand oder Verweigerungsmaßnahmen hin (ebd. 1950). Der Zeitzeuge berichtet dahingehend im Zuge des Interviews (A, Z. 101-104): „Mein Lehrmeister, der war für mich wie ein Vater. Aber es hat da natürlich ganz verschiedene Lehrmeister gegeben. Ich hatte da wohl Glück. Wir hatten selten Ärger mit dem Lehrmeister. Aber wir konnten uns da auch nicht viel erlauben.“ (Interview A, Z. 60-64). Weiter verweist der einstige Schneiderlehrling darauf, dass es gewisse Regeln in seinem Ausbildungsbetrieb gab, denen er sich in keinem Fall widersetzen konnte. Er bezeichnet diese als Inhalte einer eigenen „Betriebskultur“. Diese Schilderung widerspiegelt die Notwendigkeit von Regeln in der sozialen Welt „Betrieb“, um ein möglichst konfliktfreies Handeln ohne Störungen und Unterbrechungen in der Intersubjektivität gewährleisten zu können (Schütz/Luckmann 2017, 660). 

Vermehrt wurden im Betrieb die Folgen des wirtschaftlichen Wachstums und Wettbewerbs, des Ausbaus der Industriezentren und der verstärkten Motorisierung durch die Lehrlinge/Lehrtöchter wahrgenommen. Die Anforderungen, die an die Einzelnen gestellt wurden, nahmen konstant zu. Es fehlte die notwendige Zeit, um noch auf ihre Anliegen und Fragestellungen eingehen zu können. Ein Lehrling aus dem Schreinerwesen äußerte sich dahingehend wie folgt: „Es hat niemand mehr Zeit für uns „Stifte“. Wenn ich eine berufliche Frage stelle, dem Meister oder dem Arbeiter, so wird mir nur ungern geantwortet, weil sie selber die «Sieche» sein wollen. In ihren Augen ist der Lehrling ein Zeitverlust, und ich kann mit keinem ein Wort reden, ohne eine gereizte Antwort zu erhalten.“ (Jeangros 1958, 12). Die Lehrlinge/Lehrtöchter machten hierbei die Erfahrung der begrenzten Zeit, der Fremdwahrnehmung unterschiedlicher „Dringlichkeitsstufen“, aber auch des Wartens als „subjektives Korrelat“, das auf der „Inkongruenz der verschiedenen Zeitdimensionen“ beruht (Schütz/Luckmann 2017, 92).

4.3 Der schutzbedürftige Lehrling/die schutzbedürftige Lehrtochter als ein psychologisches Untersuchungsobjekt (1960-1967)

Ab 1960 lässt sich ein diskursiver Wandel im Reden über den Lehrling/die Lehrtochter feststellen. Es wurde nun verstärkt von dem/der heranwachsenden Jugendlichen, der/die sich in einer Übergangsphase zwischen Kindheit, Pubertät und Erwachsensein befindet, gesprochen. Anders als in den 1950er-Jahren wurde der Lehrling/die Lehrtochter weniger aus der Perspektive der beruflichen Ertüchtigung oder wirtschaftlichen Anpassungsfähigkeit erörtert, sondern vielmehr vor dem Hintergrund entwicklungspsychologischer und gesundheitlicher Anliegen debattiert. Bereits zu Beginn der 1950er-Jahre verwies der Berufspädagoge Erwin Jeangros auf einen Mangel an Fachliteratur, welche die „Berufsjugend“ unter entwicklungspsychologischen Fragestellungen in den Fokus nehme: „Die Fachliteratur weist nicht viele Darstellungen über das Verhalten der Lehrtöchter und Lehrlinge auf und die jugendpsychologischen Werke im besondern behandeln meist nicht oder nur kümmerlich die Berufsjugend.“ (Jeangros 1950, 7).

Wie es Friedrich Schlieper in seinem 1963 erschienenen Werk „Allgemeine Berufspädagogik“ vorschlug, sei eine Orientierung an verschiedenen wissenschaftlichen Fachrichtungen wie der Soziologie, Psychologie oder Volkswirtschaftslehre notwendig, um eine reflexive Bearbeitung der Berufserziehung zu ermöglichen. (Schlieper 1963, 12 zit. n. Gonon 1997, 156; siehe auch: Gonon 1998; Schlieper 1957).

Auf ähnliche Art und Weise postulierten dies zwei Klassiker der Berufspädagogik, Georg Kerschensteiner und Eduard Spranger. Zweitgenannter wehrte sich gegen eine „berufliche Versklavung der jungen Menschen“ (Spranger 1950, 57). Denn nach Spranger dürfte Ziel der Berufsbildung „nicht der einseitige Fachmann, sondern der gebildete Mensch, der sich wohl seiner besonderen Aufgabe bewusst, aber in seinem Verhältnis zum Leben offen und vielseitig ist“ sein (ebd. 1950, 57f.). Spranger sieht darin eine Notwendigkeit, sich auf den Menschen an sich zu konzentrieren und den Fokus nicht nur auf die Vermittlung von „materialem Wissen“, sondern auch von „formalen Fertigkeiten“ zu legen. Berufsbildung und formale Bildung ergeben gerade dadurch eine „fruchtbare Verbindung“ (Spranger 1920, 10). Diese und weitere Denkansätze führten wohl dazu, dass ab den 1960er-Jahren zahlreiche Lehrlingsbefragungen und -untersuchungen, welche sich die Erforschung der menschlichen Grundhaltungen und des Sozialverhaltens der Jugend in beruflicher Ausbildung zum Ziel setzten, durchgeführt wurden (vgl. Chresta 1962, 1969, 1970; Wettstein 1980)

Interessant erscheint es darüber hinaus, dass die zahlreichen Arbeiten, die Erwin Jeangros aus seinen Beobachtungen und Wahrnehmungen aus dem eigenen beruflichen Umfeld heraus bereits ab den 1930er-Jahren zu den Lehrlingen/Lehrtöchtern verfasst hat, erst ab 1960 intensiv auch Einzug in die Printmedien gehalten haben und zahlreich rezipiert wurden.

Ein Symposium der Schweizerischen Industrie-Gesellschaft (SIG) war Ende November 1961 in der Gemeinde Magglingen im Kanton Bern dem Thema „Leibesübungen im Lehrlingsalter“ gewidmet.

Vor dem Hintergrund der sich laufend entwickelnden Automatisierung ist der Lehrling/die Lehrtochter, sich in „seiner körperlich-geistigen Spannungszeit“[22] befindend, von der Abnahme der manuellen Tätigkeiten und einer steigenden Bewegungsarmut besonders betroffen: „Er tritt aus der Schule, die ihm viel Ferien, eine herrliche Menge Freizeit und eine gezielte Bestätigung im Turnunterricht gab, unvermittelt hinaus in den Lebensraum der Erwachsenen, in dem ganz andere Gesetze gelten. Nun steht er während neun Stunden am Tag an der Arbeit, seine Freizeit beschränkt sich auf Wochenenden und Abendstunden, seine Ferien jährlich drei Wochen. Neue Vorgesetzte, neue Kollegen und eine neue, ungewohnte Arbeit schlagen ihn völlig in ihren Bann.“ (ebd.), so ein Vertreter der Gesellschaft, der sich für ein firmeninternes Lehrlingsturnen aussprach. Diese Aufzeichnungen verdeutlichten, dass der Lehrling/die Lehrtochter als ein/e (gesundheitlich) zu schützende/r, nicht aber ein/e beruflich zu ermüdende/r Jugendliche/r thematisiert wurde. Darüber wurde im Verlauf des Symposiums mehrmals darauf hingewiesen, dass die Jugend in beruflicher Ausbildung körperlich und geistig noch nicht in demselben Ausmaß entwickelt sei, sodass sie deshalb in ihrer physischen, aber auch psychischen Entwicklung Unterstützung benötige. Am 21. Mai 1962 erschien in der Berner Tagwacht ein Artikel, in dem die berufliche Allgemeinbildung der Lehrlinge/Lehrtöchter an den Berufsschulen kritisiert wurde. So forderte der Schweizerische Gewerkschaftsbund eine Zusammenfassung einzelner Berufssparten, um eine gemeinsame, fundierte Grundausbildung anbieten zu können. Die Lehrlinge/Lehrtöchter wurden hierbei als diejenigen jungen Menschen thematisiert, die während ihrer Lehrzeit nicht nur dem Wohlergehen der Lehrfirmen dienen sollen, sondern gleichsam auch wie die Mittelschüler/innen Anrecht auf eine umfangreiche Allgemeinbildung haben[23]

Am 11.11.1963, in dem Jahr, in dem auch die erste revidierte Fassung des Bundesgesetzes über die Berufsbildung (BBG) von 1930 erlassen wurde, erschien in der Zeitung Volksrecht ein Artikel unter dem Titel „Berufstätige Jugend – unsere Jugend[24]“. An die Leser/innen wurde ein klares Postulat ausgesprochen: Ein Lehrling ist in erster Linie ein junger Mensch, in keinem Fall ein „Mittel zu irgendeinem Zweck“. „Der Mensch, besonders aber der jugendliche Mensch, darf nicht nur als «volkswirtschaftlicher Faktor gesehen werden“ (ebd.), äußerte sich der Autor, ein Psychotherapeut aus Zürich. Gleichsam rief er dazu auf, den Lehrling/die Lehrtochter mit all seinen/ihren Problemen und Nöten ernst zu nehmen und Unterstützung bei der Lösung konflikthafter Ereignisse bereitzustellen. Der Autor beschrieb die Lehrlinge/Lehrtöchter als diejenigen „Halbwüchsigen“, die von Gewerbe, Handel und Industrie „gewaltsam zu Erwachsenen gemacht werden“ (ebd.). Er beschrieb den Lehrling/die Lehrtochter weiteres als einen jungen Menschen, dem seine jugendlichen Entwicklungsmöglichkeiten bereits nach Fertigstellung der obligatorischen Schulzeit genommen würden. Darüber hinaus wurde der Berufsnachwuchs im zweiten Teil dieses Artikels als gegenüber seinen „Kameraden von den Mittelschulen“ als in gesundheitlicher Hinsicht benachteiligt deklariert und dies insofern, als „Lehrlinge in einer vom hygienischen Standpunkt wesentlich ungünstigeren Umgebung leben und arbeiten müssen“[25]. Ein Jahr darauf thematisierte Jakob E. Jaggi, tätig als Berufsberater im Kanton Zürich, Lehrlinge als junge Menschen, die wie alle anderen Jugendliche auch mit dem „besonders schwierigen Problem der Akzeleration“[26] zu hadern hätten, zusätzliche zu dieser Belastung aber auch noch zwischen Berufsschule und Lehrbetrieb stehen würden. 

Um 1967 wurde auch im Kanton Zürich im Zuge der Vorberatungen um das kantonale Vollzugsgesetz zum BBG 1963 die Einführung eines obligatorischen Turnunterrichts[27] thematisiert[28]. Der Lehrling/die Lehrtochter wurde hierbei als ein/eine Jugendliche/r diskutiert, der/die im Zuge seiner/ihrer Lehrzeit eine „erhebliche Lücke in der körperlichen Ertüchtigung“ erleidet und sich dahingehend gegenüber seinen Altersgenossen, den „Gymnasiasten, Seminaristen und Handelsschülern mit systematischer Leibeserziehung“ (ebd.), als benachteiligt erweist. Auch aus diesem Fallbeispiel geht hervor, dass der Lehrling/die Lehrtochter intensiv vor entwicklungspsychologischen und gesundheitsbezogenen Fragestellungen thematisiert wurde. Darüber wurde ein Großteil der analysierten Zeitungsartikel, die dem Untersuchungszeitraum von 1960 bis 1967 zugeordnet werden können, von Sozialpsychologen/innen oder auch Berufsberatern/innen verfasst. Dies steht im Widerspruch zu den Verfassern/innen der Zeitungsartikel als Grundlage des voranstehend und des nachfolgend skizzierten Lehrlingsbildes.

4.4 Das Alltagserleben des Lehrlings/der Lehrtochter als Ausbildungsempfänger/in in den Jahren von 1960 bis 1967 am Beispiel „Berufsschule“

Die Berufslehre sah sich ab der 1960er-Jahren einer Legitimitätskrise konfrontiert, musste sie doch einen starken Zuwachs der allgemeinbildenden Ausbildungszweige erfahren. Sollte die berufliche Ausbildung auch weiterhin als ein zur Mittelschulbildung gleichwertiger Ausbildungsweg beibehalten werden, galt es, das „gefährdete Prestige“ verstärkt zu fördern[29]

Die Berufsschule diente hierbei als Angriffsfläche. Über Reformen des allgemeinbildenden Unterrichts, aber auch die Einführung eines Turnobligatoriums wurde in den deutschschweizerischen Kantonen mehr oder weniger stark diskutiert (Suter 2013, 85; siehe auch: Wettstein/Gonon 2009). 

Die Berufsschule war somit nicht nur Dreh- und Angelpunkt berufsbildungspolitischer Aushandlungsprozesse, sondern stellte daraus folgend auch dasjenige Setting dar, von dem ausgehend der Lehrling/die Lehrtochter in den Zeitungsartikeln des angeführten Zeitraums mehrheitlich thematisiert wurde. Die nachfolgende Lebensweltrekonstruktion wird sich dementsprechend auch auf den Erfahrungsraum „Berufsschule“ konzentrieren, wobei als Wissensgrundlage für eine solche Skizzierung kleinräumige, im Kanton Zürich durchgeführte Lehrlingsbefragungen aus den Jahren 1962 und 1969 (vgl. Chresta 1962, 1969) herangezogen wurden. In Ergänzung dazu werden Einblicke in das Zeitzeugeninterview (Interview B) mit einer ehemaligen Coiffeusenlehrtochter gegeben, welche im Jahr 1965 ihre Ausbildung begonnen hatte.

In der Regel wurde der berufsschulische Unterricht durch die Lehrlinge in den 1960er-Jahren an einem Tag pro Woche besucht. Anders als der Betrieb stellte die Berufsschule einen Lernort dar, an dem der/die Jugendliche die Rolle des Wissensempfängers/der Wissensempfängerin einnimmt, nicht aber die Doppelfunktion des/r „Lernenden“ bzw. „Ausbildungsempfängers/in“ und „Arbeitenden/r“. Der Aspekt der beruflichen Ertüchtigung fällt an dieser Stelle weg.

Berufsschullehrpersonen, Arbeitskollegen/innen und Freunde/innen stellten in diesem Umfeld wichtige Bezugspersonen dar, mit denen der Lehrling/die Lehrtochter einen regelmäßigen Austausch pflegte. Vertrauenspersonen sieht die Jugend in beruflicher Ausbildung vor allem in Freunden/innen und Arbeitskollegen/innen. Den Lehrpersonen stehen viele Lehrlinge/Lehrtöchter mit Misstrauen gegenüber und trauen sich kaum Ausbildungsprobleme im berufsschulischen Kontext anzusprechen (vgl. Chresta 1969). Wie der ausbildende Betrieb stellte auch die Berufsschule, verortet in der räumlichen Zone der Wiederherstellbarkeit, einen wichtigen Anteil der Sozialwelt der Jugendlichen in beruflicher Ausbildung dar (vgl. Schütz 2017). Die Lehrlinge/Lehrtöchter traten an diesem Ort in einen intersubjektiven Austausch mit Lehrpersonen, anderen schulzugehörigen Personen, aber auch gleichgesinnten Kollegen/innen. Die Beziehungen zu ihren Mitmenschen unterschieden sich grundlegend in ihrer Struktur, ihrer Erlebnistiefe und ihrer Erlebnisnähe (vgl. Schütz/Luckmann 2017). Eine Passage aus der Erzählung der interviewten Zeitzeugin unterstreicht diese Positionierung: „Unsere Lehrer waren autoritär. Ich überlegte mir immer zweimal, ob ich eine Frage stelle oder nicht. Mit meinen Kollegen war das anders, die kannten mich gut. Denen konnte ich alles erzählen.“ (Interview B, Z. 34-36). Mit den gleichgesinnten Schulkollegen/innen konnten die Lehrlinge/Lehrtöchter gemeinsame Erfahrungen sammeln. Die soziale Beziehung zu den Kollegen/innen endete nicht zwingend mit dem Übertritt von der räumlichen Dimension „Schule“ in das Freizeiterleben. „Am Freitagnachmittag gingen wir immer zum Schwimmen. Ich und zwei Schulkolleginnen. Wir mochten das sehr. Das machte mich als Lehrtochter stolz, ein Hobby zu haben (…) Am Sonntag wurden wir nostalgisch. Wir wussten, am Mittwoch erwartet uns wieder der Unterricht.“ (Interview B, Z. 55-59). Das angeführte Zitat verweist darauf, dass die Freundschaften (soziale Beziehungen) zu den Schulkameraden/innen auch unabhängig von den Schulzeiten gepflegt wurden und sich diese unabhängig vom Schulbesuch auch in der Freizeit weiterhin im unmittelbaren Erfahrungsfeld des anderen aufhielten (Schütz/Luckmann 2017, 101). Das angeführte Zitat verdeutlicht darüber hinaus, dass es sich aus lebenswelttheoretischer Perspektive bei der Berufsschule wie auch beim Betrieb um einen Ort in wiederherstellbarer Reichweite handelte. Die Lehrlinge/Lehrtöchter verließen die Berufsschule mit dem Wissen, in einigen Tagen wieder an diese zurückzukehren.

Eine Befragung von 190 Lehrlingen/Lehrtöchtern zeigt, dass 80 Prozent gerne den Berufsschulunterricht besuchten. Mehr als ein Viertel äußerte das dringende Anliegen, mehr beruflichen Unterricht und mehr Allgemeinbildung, etwa in den Bereichen der politischen Bildung und Staatskunde, erhalten zu wollen (vgl. Chresta 1969). Dies begründete auch die hohe Anzahl derjenigen, die sich in ihrer Freizeit aus Eigeninteresse weiterbildeten, Fachzeitschriften lasen (35 %) oder auch Sprachkurse (21 %) belegten.

„Mit einem beschäftigte ich mich in meiner Freizeit nicht - und das war Politik. Das interessierte mich nicht so. Aber es gab die, auch Mädchen, die das waren. Von den meisten (..) da waren die Eltern selbst in der Politik und da bekamen die Kinder das mit (…) die Begeisterung. Aber ich spürte das nicht. Das was ich gerne getan habe, ich las viel das Globi-Heft. Mit der Komik-Figur Globi. Das war ein Magazin für Kinder und Jugendliche, das hab ich auch gemeinsam mit den Freunden gelesen, am Abend hatten wir gut Zeit dafür.“ (Interview B, Z. 63-69). Anhand dieses Beispiels verdeutlichen sich die einstigen Abneigungen und Interessen in der Freizeitgestaltung der ehemaligen Coiffeusenlehrtochter. Das Lesen der angeführten Kinder- und Jugendzeitung stellte hierbei ein Interesse dar, welches die Lehrtochter mit ihren Freunden/innen vereinte. In Anlehnung an die Vorstellungen der Sozialwelt widerspiegelte sich hierbei eine wiederkehrende Begegnung, die durch „zeitliche und räumliche Unmittelbarkeit“ gekennzeichnet war. Die Mitmenschen, die hier zusammenkamen und sich mit der Lehrtochter trafen, teilten für eine bestimmte Zeit das „bewusste Leben“ ihrer Mitmenschen, indem sie an der „schrittweisen Konstitution“ des Sprechens der anderen teilnahmen (Schütz/Luckmann 2017, 103).

Ähnlich wie im Zeitzeugeninterview A wurden auch im Interview mit der einstigen Coiffeusenlehrtochter Zukunftsvisionen in Verbindung mit den Schilderungen zur Selbstwahrnehmung als Lehrtochter angesprochen: „Ich habe immer viel gelernt und ich war froh, dass ich als Mädchen eine Lehre machen konnte, die mir viel Freude machte. Auch in der Schule dazumal lernten wir viel, ich war zufrieden. Schlussendlich wusste ich, wenn ich einmal etwas erreichen will, dann muss ich noch mehr lernen  als die anderen.“ (Interview B, Z. 22-25) Das angeführte Zitat verweist auf diejenige Welt, die „nie in der Reichweite“ der Lehrtochter gelegen ist, welche jedoch unter Abwägung der subjektiven Wahrscheinlichkeiten, aber auch der technischen und physischen Vermögenswerten der aktuellen Reichweite angenähert und „in sie gebracht werden kann“ (Schütz/Luckmann 2017, 73). Ein weiteres Zitat unterstreicht noch verstärkt, wie sich die Zeitzeugin als Lehrtochter wahrgenommen haben könnte:  „Ich war sehr fleißig in meiner Lehrzeit, wollte immer viel lernen. Und ich war stolz auf mich und dass ich so schnell vorankam in der Lehre, ich lernte schnell. Dann hatte ich einen Cousin, der ging in Küsnacht in die Schule, der machte keine Lehre. Und wenn der kam, da hat er mir nur erzählt, wieviel er zu lernen habe in der Schule und dass er keine Lehre mache, weil die nichts bringt. Das hat mir dann nicht gutgetan.“ (Interview B, Z. 27-32).

Aus einer der Untersuchungen von Chresta (1970, 82f.) geht darüber hinaus hervor, dass nur ein geringer Prozentsatz der Befragten den Unterricht als langweilig oder uninteressant empfand. Eine Frage, mit der sich die Lehrlinge/Lehrtöchter im Betrieb, aber auch in der Schule konfrontiert sahen, betraf die Übereinstimmung der schulischen und betrieblichen Ausbildungsinhalte (ebd.).

4.5 Der/die protestierende und rebellierende Lehrling/Lehrtochter im Licht der Öffentlichkeit ab 1968

Bereits um 1900 bildeten sich in Zürich oppositionelle jugendliche Diskutier- und Bildungsklubs als Teil der Arbeiterbildung. Während des Ersten Weltkrieges formierten sie sich zu einer „Anti-Status-Quo-Gruppe“, die es sich zum Ziel setzte, die „Arbeiterjugend über die Entstehung des kapitalistischen Systems und seine Wirkung der heutigen Gesellschaft, speziell über die Rolle des Militärs als Instrument einer Klassenherrschaft aufzuklären“ (Bautz 1975, 5f.). Wurde diese formierte Arbeiterjugend anfänglich noch von Erwachsenen angeleitet, so löste sie sich um 1935 von der Sozialdemokratischen Partei und wandte sich gegen eine Mitarbeit der Erwachsenen (vgl. Bautz 1975; Métraux 1942).

Das Ende der 1960er-Jahre[30] ist weltweit geprägt von Jugend- und Studentenunruhen. Auch sind aufkommende Lehrlingsbewegungen und Proteste in diesem Zeitraum zu verorten. Auf schweizerischem Terrain haben zweitgenannte Reformphänomene in der historiographischen Bildungs- und Berufsbildungsforschung nur wenig Anklang gefunden bzw. werden Lehrlinge/Lehrtöchter hierbei nicht als von den Jugendbewegungen abgesondert betrachtet. Mitte des Jahres 1968 ereigneten sich in Zürich drei folgenschwere Proteste. So kam es am 31. Mai 1968 nach einem Jimi Hendrix-Konzert im Zürcher Hallenstadion zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizisten/innen und jugendlichen Konzertbesuchern/innen.

Am 15. Juni 1968 folgte im Zürcher Niederdorf ein Protestmarsch. Gleichzeitig forderten die Jugendlichen den Zürcher Stadtrat auf, ihnen ein Jugendhaus im Stadtzentrum bereitzustellen. Weil dieser Forderung nicht nachgekommen wurde, kam es am 29. und 30. Juni 1968 zu einer Demonstration und gewaltsamen Auseinandersetzungen (sog. „Globuskrawall“) in der Zürcher Innenstadt.[31]

Die geschilderten Aufstände und Straßenschlachten wurden mehrheitlich durch Studenten/innen angeführt, Lehrlinge/Lehrtöchter waren auch daran beteiligt, jedoch in der Minderzahl. Die Organisation dieser Demonstrationszüge und ein derart rebellisches Verhalten von Seiten der Studierenden schien bei den Lehrlingen/Lehrtöchtern auf Gefallen zu stoßen bzw. sie zum Lancieren eigener ähnlicher Projekte zu ermutigen[32].

Am 9. August 1968 erschien in der Zeitung Basel A-Z ein Artikel mit dem Titel „Lehrlinge wie Neger behandelt“. In diesem Artikel wurde gegenüber den Lehrlingen/Lehrtöchtern folgender Appell ausgesprochen: „Möglicherweise sollten die Basler Lehrlinge einmal auf die Barrikaden steigen“[33]. Es wurde aber nicht nur ein Appell an die Jugend in beruflicher Ausbildung ausgesprochen, sich gegen Defizite sowie mangelnde Qualität[34] in der Berufslehre aufzulehnen, gleichzeitig wurden diese auch in einen direkten Vergleich mit den Studierenden gestellt, welche sich innerhalb der Protestaktionen der vergangenen Wochen als federführend erwiesen hatten. Es wird folgendes Zwischenfazit gezogen, denn Lehrlinge/Lehrtöchter „sind keine Studenten und deshalb nicht in der Lage, ihre Anliegen in der Oeffentlichkeit vorzubringen. Dazu fehlt ihnen ganz einfach das Können, sich mündlich oder in schriftlicher Form zu äußern“[35]. Die Lehrlinge/Lehrtöchter wurden dahingehend als gegenüber den Studierenden benachteiligt postuliert, ihnen wurde ein Mangel an politischer Bildung und ein grundlegender Mangel an Allgemeinbildung unterstellt, wenngleich der staatsbürgerliche Unterricht zu diesem Zeitpunkt bereits Einzug in die Berufsschulen gehalten hatte. Der Artikel schließt mit der Frage, ob denn Lehrlinge/Lehrtöchter stets „im Schatten der Studierenden stehen müssen“[36].

Ab Mitte des Jahres 1968 finden sich in den analysierten Zeitungsartikeln vermehrt Titel wie  „Rebellion der Stifte“[37], „Lehrlinge stöhnen: Wir sind die Arbeitssklaven des 21. Jahrhunderts“[38] oder auch „Wann revoltieren die Lehrlinge?“[39]. Es wurde hierbei über den Lehrling/die Lehrtochter als einen jungen Menschen gesprochen, der sich noch nicht vollständig in der Lage zeigt, seine Meinung kundzutun, dennoch aber im Kollektiv unter Gleichgesinnten daran ist, „den Aufstand gegen veraltete Ausbildungsmethoden und überholte Autoritäten zu erproben“[40].

Unter dem Titel „Nun melden sich auch die Basler Lehrlinge zu Wort“ erschien am 3. Mai 1969 in der Zeitung A-Z Basel ein Artikel, der über die „Gruppe Progressive Lehrlinge und Mittelschüler“ (PLM) berichtete, welche eine schriftliche Stellungname, im Wortlaut der PLM als „Lehrlingsarbeitsdokument“ bezeichnet, zum kantonalen Einführungsgesetz veröffentlichten und der Großratskommission als dem das erwähnte Gesetz behandelnden Gremium zustellten.[41] Als Novum wäre hier nun zu vermerken, dass zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nur über die Lehrlinge/Lehrtöchter in der Presse berichtet und gleichsam gesprochen wurde, sondern sie selbst in diesen an der Schnittstelle von Öffentlichkeit und Politik geführten Debatten auf das über sie Gesprochene eingreifend wirkten und ihre Meinung im Kollektiv kundtaten. Dass Lehrlinge/Lehrtöchter ausgehend von der 1968er-Bewegung nun auch verstärkt Einzug in die Printmedien hielten, zeigte sich in einem weiteren Artikel, der einige Wochen später am 14.6.1960 unter dem Titel „Ein ehemaliger Lehrling bricht sein Schweigen“ in der Tageszeitung „Die Tat“ veröffentlicht wurde[42]. Ein Lehrling aus dem Kanton Bern, der erst kürzlich seine berufliche Ausbildung zum Goldschmied abgeschlossen hatte, meldete sich in einem Beschwerdebrief zu Missständen in der Lehrlingsausbildung im folgenden, auszugsweise wiedergegebenen Wortlaut:

„Ich habe erlebt, wie mein Chef, der in der Lehrlingskommission sitzt, den Lehrvertrag kaum kennt und somit in wesentlichen Punkten auch nicht befolgte. […]. Ich habe mir fest vorgenommen, nach der Prüfung nicht mehr zu schweigen, Ich habe gelobt etwas zu unternehmen, auch wenn’s nicht rentiert.“[43]

Auf diesen veröffentlichten „provozierenden Artikel[44]folgten zahlreiche kritische Rückmeldungen in Form von Leserbriefen oder telefonischen Meldungen an die Redaktion selbst.

Für die Lehrlinge/Lehrtöchter stellte der Einzug in die Printmedien eine bedeutsame Wende dar. Sozialpsychologen/innen, so auch Hans Chresta[45], begannen sich ab 1968 intensiv mit der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Jugendunruhen und Massenmedien auseinanderzusetzen und Lehrlinge/Lehrtöchter zu ihrem Konsumverhalten einzelner „Bildungs- und Kommunikationsmittel“ zu befragen (Chresta 1970, 98f.). Durch die Erwachsenen wurden die Lehrlinge/Lehrtöchter nun vermehrt als „angeregt vom Beispiel der Studenten“ als „rebellierend“ und „demonstrierend“ erlebt und diskutiert[46].

Im Kanton Basel bildeten sich etwa 20 weitere, teils kurzzeitig und teils längerfristig bestehende Lehrlingsgruppen, die über in Eigenregie erstellte Broschüren oder über Gewerkschaften mit ihrer Kritik an der Berufsbildung und ihrer Situation als Lehrlinge/Lehrtöchter an die Öffentlichkeit traten (vgl. Chresta 1970; Wettstein 1987). So entstand 1970 auch ein Aktionskomitee von Radioelektrikerlehrlingen, das schweizweit für Aufsehen sorgte. Gemeinsam setzten es sich die Lehrlinge zum Ziel, die Öffentlichkeit über das Ungenügen der Lehrlingsausbildung in zwei Basler Radiogeschäften in Kenntnis zu setzen[47]. Es folgten kritische Beiträge zur Lehrlingsausbildung in verschiedenen Zeitungen. Die Selbstaussagen der Jugendlichen gerieten mehr in den Blickpunkt der Printmedien als Jugend-/Lehrlingsstudien. So veröffentlichte bspw. Pro Juventute basierend auf Lehrlingsinterviews eine Spezialausgabe ihrer Zeitschrift unter dem Titel „Berufsbildung im Umbruch“. Hans Chresta publizierte zeitgleich 1970 die Ergebnisse zweier Lehrlingsstudien, die zu jugendlichen Selbstaussagen an der Gewerbeschule Zürich durchgeführt wurden. Auch wurde Anfang der 1970er-Jahre die Unterrichtsplanung der Staatbürgerkunde neu durchdacht und stärker als zuvor in die Lehrpläne an den Berufsschulen integriert (vgl. Dubs 1985; Dubs et al. 1973).

Gleichzeitig wurde auch die Einbeziehung der Filmerziehung in den berufsschulischen Unterricht und damit eine Förderung der Kritikfähigkeit Jugendlicher gegenüber den Mitteilungen der Massenmedien stärker debattiert (vgl. Bautz 1975; Chresta 1963, 1970).

4.6 Das Alltagserleben des Lehrlings/der Lehrtochter ausgehend von der 1968er- Bewegung am Beispiel „Jugendorganisation“  

Nachfolgend soll das Alltagserleben des Lehrlings/der Lehrtochter am Beispiel der Jugendorganisationen, Vereine und Gewerkschaften sequenziell dargelegt werden.

Die Grundlage für die vorzunehmende Skizzierung basiert unter mehreren auf einer kleinräumigen Studie, die im Jahr 1969 an der Gewerbeschule Zürich durchgeführt wurde und Selbstaussagen der Lehrlinge/Lehrtöchter zu ihrem Sozialverhalten und ihrem Freizeitverhalten in den Fokus nimmt (vgl. Chresta 1970). Darüber hinaus wird auf eine kleinräumige Untersuchung des Lehrlingsalltags, die Anfang der 1970er-Jahre im Kanton Oberwallis realisiert wurde, Bezug genommen (vgl. Anthamatten/Finger/Niklaus 1980) und ebenso auf die Erkenntnisse der dritten Teilstudie der soziologischen Studie «Zur Unrast der Jugend», die sich mit der „gesellschaftlichen Bedingtheit politischer Orientierungsmuster in Jugendgruppen“ (so der gleichnamige Titel) befasst (vgl. Bautz 1975). Da zu Ende der 1960er-Jahre mehrere Jugend-/Lehrlingsstudien publiziert wurden, mittels deren sich aus rückblickender Perspektive konkrete Rückschlüsse auf das Alltagserleben der Jugendlichen in beruflicher Ausbildung ziehen lassen, wurde hierbei kein weiteres Zeitzeugeninterview herangezogen.

Neben der Familie und den Berufsbildungsverantwortlichen (Lehrmeister/in und Berufsschullehrpersonen) stellten außerhäusliche Partner/innen wie Freunde/innen, Gleichaltrige und vor allen Dingen „Gleichgesinnte“ wesentliche Bezugspersonen für den Lehrling/die Lehrtochter zu Beginn der 1968er-Bewegung dar (Chresta 1970, 40f.; Schütz/Luckmann 2003, 581f.). Jugendorganisationen und Vereine, aber auch Gewerkschaften (Berufsverbände, Berufsorganisationen der Arbeitnehmer/innen) prägten das neue Abbild bedeutsamer Bezugsgrössen. Der Lehrling/die Lehrtochter begab sich in der Freizeit, als „Ausgleich zu den Anforderungen der Lehre und der Arbeit“, in das Umfeld all jener Personen, die ähnliche Interessen, Wahrnehmungen und Einstellungen teilten (Chresta 1970, 41). Es zeichneten sich hierbei die soziale Wirklichkeit und das Interesse der Lehrlinge/Lehrtöchter, mit Gleichgesinnten in einen intersubjektiven Austausch zu treten, soziale Beziehungen zu pflegen und „Wir-Beziehungen zu aktualisieren“, ab (Schütz/ Luckmann 2017, 105). Das Hineinleben in die „Bewusstseinsvorgänge“ und „subjektiven Motivierungen“ der anderen wie auch das Verstehen und Verstandenwerden standen bei den kurz vor 1970 durch Chresta befragten Jugendlichen im Vordergrund (ebd. 2017; Schütz 1974).

So gehörten 87 Prozent (aus n=190) der in der erstgenannten Studie Befragten einer Jugendorganisation oder einem Verein an. Beweggründe für den Organisations- oder Vereinsbeitritt waren mehrheitlich das Bedürfnis nach regelmäßigem „Kontakt mit Mitmenschen und Kameradschaft“, nach „sportlicher Ertüchtigung“, „Abwechslung und Unterhaltung“, aber auch nach einer „Betätigung des Selbstbewusstseins“ (Chresta 1970, 42). Die Mehrheit der 190 befragten Lehrlinge/Lehrtöchter gehörte einem Sportverein an, nur wenige waren zum Befragungszeitpunkt Mitglieder einer Gewerkschaft. Die deutliche Mehrheit verbrachte ihre Zeit in Berufs- oder Fachvereinen (ebd.). Viele von ihnen sahen die Gewerkschaften neben den Lehrlingsämtern als Gebilde, die ihnen Schutz und Hilfestellung gewährten, standen diesen positiv gestimmt gegenüber und waren von der Notwendigkeit einer „gewerkschaftlichen Organisierung überzeugt“ (Anthamatten et al. 1980, 94). Dennoch wünschte sich die Mehrheit der Lehrlinge/Lehrtöchter, dass sich die Gewerkschaften ihnen „entgegenkommender und attraktiver“ anbieten, sie besser über ihre Aufgaben informieren und im Allgemeinen ihr Engagement und ihre Einflussnahme auf die Arbeitsbedingungen steigern sollten (ebd. 1980, 95f.). Die Lehrlinge/Lehrtöchter zogen dem Gewerkschaftsbeitritt dementsprechend eher den Beitritt in einen Berufs- oder Fachverein oder eine informell gegründete Berufsgruppierung vor (vgl. ebd. 1980, Chresta 1970). Auch hier widerspiegelt sich die Sozialwelt. Lehrlinge/Lehrtöchter suchten bewusst nach Orten, an denen sie Gleichgesinnten von ihren (beruflichen) Erfahrungen und Motivationen berichten konnten. Im Zuge der Begegnungen mit anderen wurden Erfahrungen gespiegelt, gegenseitig interpretiert und auf Gemeinsamkeiten analysiert (Schütz/Luckmann 2017, 107f.), sodass im Hinblick auf die erlangbare Reichweite geteilte Überzeugungen und Einstellungen zu Zukunftsvisionen geschürt und gemeinsame Anliegen mobilisiert werden konnten (vgl. Schütz 1974).

Aus den zahlreichen Aktionskomitees und Lehrlingsbewegungen, die sich ab Mitte der 1960er-Jahre formierten und in der Folge auch an Auseinandersetzungen und Protestaktionen beteiligt waren, lässt sich anknüpfend an das Konzept der „Generationenlagerung“ nach Karl Mannheim (1964) schließen, dass die alltägliche Lebenswelt der Jugendlichen und so auch der Lehrlinge/Lehrtöchter der 1968er-Generation auf Grundlage „kollektiv erlebter Ereignisse“ andersartig geprägt waren, als die der Alterskohorten mit Geburtsjahr vor 1940 (vgl. Hurrelmann 2012; Hurrelmann/Albrecht 2014; Schelsky 2016).  Die Jugendlichen, deren Geburtsjahr in der Zeitspanne von 1940 bis 1950 lag, gehörten der 1968er-Generation an. Sie erlebten ihre Jugend und Lehrzeit in einer entspannten Lage unter dem Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit, im Gegensatz zu ihren Eltern, die den Zweiten Weltkrieg und Nationalsozialismus miterlebt hatten und nicht selten in autoritärer Grundeinstellung und Haltung ihren Kindern gegenübertraten[48] (vgl. Chresta 1970; Hurrelmann/Albrecht 2014). Die sozialen Haltungen, Werte und Normen der Erwachsenen schienen sich stark von denen der Jugendlichen zu unterscheiden und nährstoffreichen Boden für konfliktive Verhältnisse zu bieten (vgl. Bautz 1975, 62). 

Die Lehrlinge/Lehrtöchter suchten gezielt nach gleichgesinnten Gesprächs- und Freizeitpartnern/innen als „Ausdruck eines Ablösungsprozesses vom Elternhaus“ (Chresta 1970, 38), hatten sie doch den Eindruck, dass ihnen die elterliche Generation „vermehrt Grenzen aufzeigen“ möchte (Bautz 1975, 64). Unter dem Zeichen der populären Beat- und Rockmusik war es den Jugendlichen im Allgemeinen und so auch den Lehrlingen/Lehrtöchtern ein Anliegen, sich von der Masse abzuheben und diesbezüglich notwendige Distinktionsbestrebungen ins Auge zu fassen. Ausdrucksmerkmal ihrer Eigen-und Denkart war das Tragen von langen Haaren, hautengen Hosen oder Miniröcken. Gesamthaft betrachtet können Jugendkulturen als einflussreiche Größen in der Freizeitgestaltung der Lehrlinge/Lehrtöchter festgehalten werden (vgl. Schelsky 2016).

Die Jugend in beruflicher Ausbildung nahm ihre Positionen innerhalb der Gesellschaft, welche ihnen nur „wenig Zugang zu sozialer Macht und zu Entscheidungsmitteln“ ermöglichte, zu diesem Zeitpunkt als „diskriminierend“ wahr (Bautz 1975, 29), dies insofern als der soziale Rang eines Individuums anhand der jeweiligen Berufsposition gemessen wurde, die im Falle der Lehrlinge/Lehrtöchter, die sich noch nicht in „bestimmten Berufspositionen etabliert haben oder zumindest noch nicht lange in solchen sind“, nur vage festgelegt werden konnte (ebd., 29f.). Der Zustand der Nichtzugehörigkeit zu einem festen und unumstrittenen Berufsstatus lässt sich mit Orientierungsschwierigkeiten in Verbindung bringen. Lehrlingsgruppen und Aktionskomitees stellten hierbei einen wesentlichen Bezugsrahmen, welcher der „Interpretation der eigenen Situation und der eigenen Wünsche dient“, dar (ebd. 1975, 65; Anthamatten et al. 1980, 108). Im Kollektiven konnten in diesen Beziehungsstrukturen auch Protestdemonstrationen durch die Lehrlinge/Lehrtöchter initiiert und geplant werden.

Diese Vorgehensweise sollte den Lehrlingen/Lehrtöchtern bei der Aufhebung ihrer von ihnen als Experten/innen der eigenen alltäglichen Lebenswelt so verstandenen diskriminierenden Positionierung innerhalb der Gesellschaft dienlich sein (vgl. Chresta 1970; Deinet 2007).

5 Ausblick: Die Jahre nach 1970

Ein Nachklang auf die Lehrlingsbewegungen äußerte sich insofern, als ab dem Jahr 1970 zahlreiche Jugendzeitungen[49], welche sich unter anderem für die Interessensverwirklichung und Meinungsfreiheit der Lehrlinge/Lehrtöchter einsetzten, ins Leben gerufen wurden.  Darüber hinaus wurden auch von Seiten der Gewerkschaften Jugendzeitungen initiiert, von denen einige im Laufe der Jahre auch wieder verschwanden. Die Lehrlinge/Lehrtöchter hielten nun vermehrt Einzug ins Fernsehen. Wurde 1963 im Zuge der Sendereihe „Gesucht wird – der berufliche Nachwuchs“ noch mehrheitlich „über“ die Jugendlichen in beruflicher Ausbildung berichtet, so kamen sie ab 1982 in der Fernsehsendung „Kafi Stift[50]“ im Rahmen von Diskussionsrunden selbst zu Wort.

Ab dem Ende der 1960er-Jahre kam es zu einer sanften Abnahme der Lehrlingszahlen, „offenbar weil vermehrt Jugendliche in eine Mittelschule eintraten“ (Wettstein 1987, 26). Es folgten phasenweise Qualitätsvorbehalte, welche der schweizerischen Berufsbildung mehr oder weniger stark als Reformkatalysatoren dienten (Wettstein 1987, 67f.; siehe auch: Gonon 2015; Lipsmeier 2014). Ab 1970 wurden sodann Forderungen nach einem Ausbau des allgemeinbildenden Unterrichts an den Berufsschulen laut. Es folgten im Zuge der 1990er-Jahre die Einführung der Berufsmaturität, aber auch die Fachhochschulreform, und es kam zum sukzessiven Einsatz von Computern in der Berufslehre (Wettstein 1987; Suter 2013; Gonon 2015).

Im Jahr 2004 trat schließlich das „neu geschaffene Berufsbildungsgesetz“ in Kraft (Wettstein/Gonon 2009, 85). Dieses akzentuiert im Besonderen die „Innovation und Wandlungsfähigkeit der Berufsbildung“ (ebd. 2009, 85). Offiziell wird nun nicht mehr von dem Lehrling/der Lehrtochter, sondern dem/r „Berufslernenden“, dem/r „Lernenden“ oder auch der „lernenden Person“ gesprochen. 

Heute werden die Lernenden in den Medien wenig verwunderlich zunehmend unter dem Einfluss der Digitalisierung und Robotisierung, aber auch in Bezug auf die grenzenlosen Aufstiegsmöglichkeiten thematisiert. In der Neuen Zürcher Zeitung wurde am 01.11.2017 ein Artikel unter dem Titel „Wie Lehrlinge für das Roboterzeitalter lernen“ abgedruckt. Ein weiterer in der gleichnamigen Zeitung trägt die Überschrift „Im harten Wettbewerb um die Lehrlinge müssen Firmen Coolness demonstrieren“ (17.09.2019) oder auch „Richtig gefördert wird auch der Lehrling zum Chef“ (10.03.2020).

Lernende werden heute nicht mehr einem Mangelberuf zugeordnet, wie es Mitte der 1950er- Jahre üblich war, sondern sie können selbst zwischen mehreren Angeboten selektieren. Auch ist es längst keine Seltenheit mehr, dass Lernende von den Unternehmen rekrutiert werden (Stamm 2013; GFS – Nahtstellenbarometer 2019). Dies erweckt zunehmend den Anschein eines/r autonomen, sich selbst verwaltenden Lernenden.

6 Fazit

Der vorliegende Beitrag hat das Ziel verfolgt aufzuzeigen, wie der Lehrling/die Lehrtochter in den für die schweizerische Berufsbildung bedeutsamen Jahren von 1950 bis 1970 gesellschaftlich thematisiert wurde. Davon ausgehend wurden mittels des Konzepts der „alltäglichen Lebenswelt“ (vgl. Schütz 1974; Schütz/Luckmann 2003) einzelne Sozial- und Aneignungsräume (Berufsschule, Lehrbetrieb und Jugendorganisation) der Jugend in beruflicher Ausbildung und darin bestehende Beziehungsstrukturen einer Rekonstruktion unterzogen und dies nicht nur, um den gesellschaftspolitisch geführten Dialog einzufangen, sondern auch um Einblicke in das Alltagserleben der Lehrlinge/Lehrtöchter miteinbeziehen zu können.

Mittels eines diskursanalytischen Zugriffs ließen sich drei Lehrlingsbilder typisieren, die darauf schließen lassen, dass zu verschiedenen Zeitpunkten an der Schnittstelle von Gesellschaft und Politik unterschiedlich über den Lehrling/die Lehrtochter gesprochen, geschrieben und gedacht wurde. In den Jahren von 1950 bis 1960 wurde die Jugend in beruflicher Ausbildung überwiegend als „Produktionsfaktor“ oder „volkswirtschaftlicher Faktor“ diskutiert. Die Lehrlinge/Lehrtöchter wurden nicht als Subjekte mit individuellen Bedürfnissen wahrgenommen, sondern überspitzt formuliert einer (verbalen) Objektifizierung unterzogen. Unannehmlichkeiten und Missstände wurden nicht im Zuge von Protestaktionen an die Öffentlichkeit getragen, sondern aus einer der Generation der Nachkriegszeit entsprechenden konformistischen Haltung heraus angenommen. Die Lehrlinge/Lehrtöchter fügten sich mehr oder weniger widerspruchslos den gegebenen Strukturen. Um 1960, zu einem Zeitpunkt als in der Berufserziehung eine stärkere Auseinandersetzung mit psychologischen, aber auch soziologischen Erkenntnissen erfolgte, wendete sich das Blatt und der Lehrling/die Lehrtochter wurde vermehrt als ein in geistiger und körperlicher Entwicklung stehender und dadurch zu schützender junger Mensch thematisiert. Es wird ein gesellschaftliches Bedürfnis geweckt, vermehrt Einblick in das Lebensbild und die Verhaltensweisen der Jugendlichen zu gewinnen. Im Hinblick auf fehlende Bildungsangebote und Bildungsmöglichkeiten wurde der berufliche Nachwuchs diesbezüglich als gegenüber den Mittelschüler/innen benachteiligt deklariert. Die Jahre ab 1967 stellten sodann eine Wende und eine Art Kontrastprogramm dar und dies insofern, als sich die Lehrlinge/Lehrtöchter nun allmählich aus Strukturen des Konformismus lösten und in der Öffentlichkeit, in Printmedien und im Fernsehen, zu Wort kamen. Protestaktionen und Straßenschlachten, die sich ab 1968 ereigneten, sollen folglich als Ventile für jene Unzufriedenheit, die sich in den vorangegangenen Jahren aufgrund von akzeptierten Missständen und Unzulänglichkeiten angesammelt hatte, gesehen werden.

Unter einer Zunahme des schulischen Ausbildungsanteils ab den 1970er-Jahren und einer verstärkten Präsenz in der medial vermittelten Öffentlichkeit wurde nicht mehr selektiv von dem/r arbeitenden Lehrling/Lehrtochter oder dem/r lernenden Lehrling/Lehrtochter gesprochen, sondern seine/ihre auf dem dualen System beruhende Mehrfachrolle akzeptiert. Es zeichnet sich dahingehend ein Wandel in der Fremd- und Selbstdarstellung des Lehrlings/der Lehrtochter von der produktiven und autoritär anzuleitenden Arbeitskraft (Objekt) hin zu einem zu erziehenden und zu bildenden Subjekt, ähnlich dem/der ein Gymnasium besuchenden Jugendlichen ab. Ob sich zukünftig das Bild eines/r digitalen Lehrlings/Lehrtochter ergeben oder verstärkt von einem/r autonomen Lehrling/Lehrtochter ausgegangen wird, bleibt abzuwarten.

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[1]     Ohne Autor. Lehrlinge – Stiefkinder unserer Gesellschaft. In: Helvetische Typographia, Nr. 3, 15.1.1969, 5-7.

[2]     Zum Publikationszeitpunkt des zitierten Artikels waren mit «Mittelschüler/innen» in der Schweiz in der Regel Gymnasiasten/innen gemeint. 

[3]     Hans Chresta hat sich darüber auch intensiv mit der Filmerziehung im berufsschulischen Unterricht befasst (siehe hierzu: Chresta 1958, 1963, 1968). 

[4]     Die Externe SKJ wurde im Sommer 1968 anschließend an den «Globuskrawall» in Zürich gegründet. Die Studienkommission beschäftigte sich im Zuge ihrer ersten Teilstudie prioritär mit den politischen Einstellungen und Verhaltensweisen Jugendlicher. Siehe u.a.: Blancpain/Häuselmann, 1974.

[5]     Darüber: Bautz, R. (1975), Casparis, C. (1975) und Ambühl, H. (1976).

[6]     Siehe Literaturverzeichnis.

[7]      Dies als eine geringe Auswahl aus mehreren Beiträgen, die sich aus rückblickender Perspektive mit dem spezifischen Themenfeld der Lehrlingsbewegungen befassen.

[8]     Die Forschungsergebnisse der angeführten Lehrlingsstudie wurden in insgesamt fünf Bänden mit unterschiedlicher themenspezifischer Ausrichtung publiziert. 1. Teil: Crusius R. (1973). Der Lehrling in der Berufsschule. Fachliche Unterweisung und politische Bildung im Urteil der Lehrlinge., 2. Teil: Daviter, J. (1973). Der Lehrling im Betrieb. 3. Teil: Laatz, W. (1973). Berufswahl und Berufszufriedenheit der Lehrlinge. 4. Teil: Epskamp, H. (1973). Fortbildungsinteresse.

[9] Das Printmedium „Zeitung“ fungiert hierbei als „virtueller Spiegel“ einer realen Situation oder Gegebenheit, gleichsam als „integraler Teil sozialer Wirklichkeiten“ und wird als wesentlicher Bedeutungsträger historischer Entwicklungs- und Sozialisationsprozesse wahrgenommen (Bösch/Vowinckel 2017, 3; vgl. auch: McLuhan 2001).

[10]   Interview A mit Herrn E.S., geführt von Lena Freidorfer-Kabashi, Zürich, 7. Mai 2020, Dauer: 52 Minuten. Interview B mit Frau S.S., durchgeführt von Lena Freidorfer-Kabashi, Zürich, 8. Mai 2020, Dauer: 36 Minuten

[11]   Gemeint: Bis Anfang der 1960er-Jahre.

[12]   Reiwald, P. Die Lehrlingsausbildung und ihre Bedeutung! In: Schweizerische Arbeitgeber-Zeitung, 16.2.1951

[13]   Veraltete und umgangssprachliche Bezeichnung des Lehrlings/der Lehrtochter, die in den deutschsprachigen Kantonen der Schweiz, als auch vereinzelt in Deutschland gebräuchlich war.

[14]   Reiwald, P. Die Lehrlingsausbildung und ihre Bedeutung! In: Schweizerische Arbeitgeber-Zeitung, 16.2.1951

[15]   F.B. Bevölkerungsbewegung, Hochkonjunktur und Lehrlingsnachwuchs. In: Genossenschaft, 16.2.1952

[16]   Ohne Autor. Die Berufsausbildung der Schulentlassenen in der Stadt Zürich. In: Berufsberatung, Nr. 5/6, 5/6 1953   

[17]   Ohne Autor. Berufslehrstellen. In: NZZ, Nr. 311, 8.2.1954

[18]   Ohne Autor. Die Berufsschule von morgen. Zur Revision des Bundesgesetzes über die berufliche Ausbildung. In: Volksrecht, 31.7.1958

[19]   Erwin Jeangros zitiert in: Die Berufsschule von morgen. Zur Revision des Bundesgesetzes über die berufliche Ausbildung. In: Volksrecht, 31.7.1958

[20]   Die überwiegende Mehrheit der Lehrlingsbefragungen, die durch Jeangros durchgeführt wurden, beziehen sich auf den Kanton Bern. Dementsprechend verfügen diese kleinräumig angelegten Untersuchungen nur über einen geringen repräsentativen Charakter.

[21]   Die betriebliche Ausbildung wurde in der Regel durch einen Berufsschultag in der Woche ergänzt. Für diejenigen, denen der Unterricht aufgrund langer Anfahrtszeiten nicht zugemutet werden konnte, gab es Ausnahmebedingungen (BBG 1930, Art. 30). 

[22]   Frey, René. Lehrlingsturnen - aus der Sicht eines Unternehmens. In: Schweizerische Arbeitgeber-Zeitung, 18.1.1962

[23]   U.K. Wird der Lehrling zum Mittelschüler? In: Berner Tagwacht, 21.05.1962

[24]   Wintsch, Hansueli. Berufstätige Jugend – unsere Jugend. I. Teil. In: Volksrecht, Nr. 265, 11.11.1963. 

[25]   Wintsch, Hansueli. Berufstätige Jugend – unsere Jugend. II. Teil. In: Volksrecht, Nr. 266, 12.11.1963. 

[26]   Jaggi, Jakob E. Immer mehr Menschen in den Lehrbetrieben. In: Volksrecht, Nr. 203, 29.8.1964

[27]   Ein Obligatorium um das Lehrlingsturnen konnte auf kantonaler Ebene letztendlich nicht zur Umsetzung gebracht werden, jedoch wurde der Turnunterricht im BBG 1963 als durch den Bund subventioniertes Freifach festgelegt.

[28]   Ohne Autor. Regelmäßiger Turnunterricht. In: NZZ, Nr. 3270, 5.8.1967

[29]   Fragen der Gleichwertigkeit von Gymnasium und Berufsschule wurden im Zuge politischer Debatten verstärkt ab 1967 diskutiert. 

[30]   In der gesamten Schweiz entstanden bereits ab 1900 junge Parteien/jugendliche Sektionen, wie bspw. die «JUSO» - Jungsozialisten/innen Schweiz, als Jungpartei der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (Gründungsjahr: 1906), die Jungfreisinnige Schweiz (Gründungsjahr: 1928) oder die «Junge Sektion» der PdA (Partei der Arbeit) Zürich (Gründungsjahr: 1964).

[31]   Ohne Autor: Wehret den Anfängen! In: NZZ, Nr. 365, 17.6.1968, S. 1.

[32]   Ohne Autor. Wehret den Anfängen! In: NZZ, Nr. 365, 17.6.1968, S. 1

[33]   Hansruedi, W. Lehrlinge wie Näger behandelt. In: A-Z Basel, Nr. 185, 9.8.1968

[34]   So bspw. das Verrichten von ausbildungsfremden Tätigkeiten, Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz und das Ableisten von Überstunden ohne Entschädigung.

[35]   Ebd.

[36]   Ebd.

[37]   Ohne Autor. Rebellion der Stifte. In: A-Z Basel, 12.4.1968

[38]   Ohne Autor. Lehrlinge stöhnen: Wir sind die Arbeitssklaven des 21. Jahrhunderts. In: Die Tat, Nr. 91, 19.4.1969

[39]   Ohne Autor. Wann revoltieren die Lehrlinge? In: Zeitdienst, 1.5.1969

[40]   Ohne Autor. Lehrlinge stöhnen: Wir sind die Arbeitssklaven des 21. Jahrhunderts. In: Die Tat, Nr. 91, 19.4.1969

[41]   Ohne Autor. Nun melden sich auch die Basler Lehrlinge zu Wort. In: A-Z Basel, Nr. 101, 3.5.1969

[42]   Ohne Autor. Ein ehemaliger Lehrling bricht sein Schweigen. In: Die Tat, Nr. 138, 14.6.1969

[43]   Ebd.

[44]   Ebd.

[45]   Hans Chresta war im Zuge seiner beruflichen Laufbahn (Gewerbeschullehrer, Berufsschulinspektor und erster Amtschef des Amtes für Berufsbildung/ZH) u.a. auch mehrere Jahre als Sozialpsychologe in der schweizerischen Kinder-, Jugend- und Familienstiftung Pro Juventute engagiert.

[46]   Siehe bspw.: Andres, D. Lehrlingsmisserfolg – Symptom einer unbefriedigenden Situation. Der Sprung in eine feindselige Welt. In: National-Zeitung, Nr. 131, 20.3.1970

[47]   Ohne Autor. Wieder Druck auf Lehrling. In: National-Zeitung, Nr. 573, 11.12.1970, siehe auch: Ohne Autor. Basler Lehrlinge proben Selbsthilfe. In: Tages-Anzeiger, Nr. 274, 23.11.1970

[48]   I.B. Jugend und Gesellschaft. In: NZZ, Nr. 152, 30.3.1972

[49]   So beispielsweise die Jugendzeitung «maulwurf», welche von dem Lehrlingskreis der Revolutionären Marxistischen Liga gegründet wurde oder auch die Zeitung «spot», welche unter Initiative der christlichsozialen Partei entstanden ist.

[50]   Beide Sendungen wurden über das Schweizer Radio und Fernsehen (kurz: SRF) ausgestrahlt.

Zitieren des Beitrags

Freidorfer-Kabashi, L. (2020): Vom „Lehrling“ zum „Lernenden “ – Zur Wahrnehmung Jugendlicher in Ausbildung im Zuge der Transformation der beruflichen Bildung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 38, 1-34. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe38/freidorfer-kabashi_bwpat38.pdf (24.06.2020).