bwp@ 41 - Dezember 2021

Führung und Management beruflicher Schulen

Hrsg.: Karl Wilbers, Nicole Naeve-Stoß, Cornelia Wagner-Herrbach & Franz Gramlinger

Digital Ownership als Treiber der Schulentwicklung – Die Verantwortungsübernahme und -übergabe der Schulgemeinschaft für den digitalen Wandel in der beruflichen Bildung

Beitrag von Sönke Knutzen, Vanessa Kortegast & Ronny Röwert
bwp@-Format: Diskussionsbeiträge
Schlüsselwörter: Schulleitungshandeln, Steuerung, Schulmanagement, Leadership, Schulentwicklung

Jede berufliche Schule steht im Kontext von Digitalisierung vor der Herausforderung, Transformationsprozesse in sehr unterschiedlichen Handlungsfeldern der Schulentwicklung zu gestalten. Dieser Handlungsauftrag der Schulleitung für die digitalisierungsbezogene Schulentwicklung wird verstärkt unter dem Stichwort “Digital Leadership” besprochen. Diese Vorreiterrolle, welche die Schulleitung mit ihrer Führungs- und Managementverantwortung einnimmt, kann jedoch nur einen Teil der Gestaltung unterschiedlicher Schulentwicklungsdimensionen im Kontext von Digitalisierung ausmachen, denn der digitale Wandel an beruflichen Schulen erfordert im Vergleich zu klassischen Handlungsfeldern der Schulentwicklung neue Rollenverständnisse. Dem Konzept des “Digital Leadership” wird in diesem Beitrag das Konzept des “Digital Ownership” zur Seite gestellt werden. Dafür werden auf Basis der Literatur zu Lernenden Organisationen sowie organisationspsychologischer Forschung Szenarien zur verstärkten Verantwortungsübernahme sowie -übergabe im Kontext digitalisierungsbezogener Schulentwicklung in der beruflichen Bildung vorgestellt und diskutiert.

Digital ownership as a driver of school development – the takeover and handover of responsibility for the digital transformation in vocational education

English Abstract

In the context of digitalisation, every vocational school faces the challenge of shaping transformation processes in very different areas of school development. This responsibility of the school management for digitalisation-driven school development is increasingly discussed under the term "digital leadership". However, this supposedly pioneering role of the school management can only be part of the design of different school development dimensions in the context of digitalisation, because the digital transformation at vocational schools requires new role understandings in comparison to classic fields of action of school development. In this article, the concept of "digital leadership" will be complemented with the concept of "digital ownership". Based on concepts of learning organisations and organisational psychology, scenarios for the increased assumption and transfer of responsibility in the context of digitalisation-driven school development in vocational education will be presented and discussed.

1 Digitalisierungsbezogene Schulentwicklung als komplexe strategische Aufgabe

Die Einzelschulen der beruflichen Bildung stehen im Kontext von Digitalisierung vor der Herausforderung, Transformationsprozesse in sehr unterschiedlichen Handlungsfeldern der Schulentwicklung zu gestalten, damit Schüler:innen auch zukünftig als handlungsfähig in einer immer stärker digital geprägten Lebens- und Arbeitswelt agieren können. Zur Gestaltung dieser Herausforderung im Sinne einer strategischen Bearbeitung der besonderen Anforderungen identifizieren Eickelmann und Gerick (2017) für die digitalisierungsbezogene Schulentwicklung fünf Dimensionen, innerhalb welcher Transformationsprozesse in Schule angestoßen werden können: Organisationsentwicklung, Unterrichtsentwicklung, Personalentwicklung, Kooperationsentwicklung sowie Technologieentwicklung. Mit Blick auf berufsbildende Schulen ist dabei zu beachten, dass es sich hierbei nicht nur um digitale Unterrichtstechnologien handelt, sondern auch zentral um digitale Technologien des beruflichen Kontextes, z. B. bestimmte digitale Werkzeuge oder digitale Produkte.

Diese fünf Dimensionen können als Räume für eine strategische Weiterentwicklung der Einzelschule im digitalen Wandel verstanden werden und bilden damit einen wichtigen Bestandteil bei der Entwicklung und Veränderung der Organisation Berufsschule als einer unter vielen Lernorten. Unter Berücksichtigung des “magischen Dreiecks der Veränderung” nach Königswieser et al. (2001) muss dabei jedoch beachtet werden, dass “[e]ine Strategie [...] nur so gut [ist], wie sie auch (kulturell) umgesetzt wird, neue Strukturen nur so gut [sind], wie sie mental gelebt werden, und Unternehmenskultur wiederum nur so funktional [ist], wie sehr sie strategisch und strukturell passt” (ebd. 48). Grundsätzlich bedeutet dieses, dass bei der strategischen Weiterentwicklung einer Organisation wie der Berufsschule (Stichwort: Schulentwicklung) ebenso die Aspekte der Struktur- und Kulturentwicklung berücksichtigt und bearbeitet werden müssen, da diese in Beziehung zueinander stehen und sich damit gegenseitig bedingen. Die Berücksichtigung der drei Aspekte: Strategie, Struktur und Kultur in der Weiterentwicklung der Einzelschule kommt der Schulleitung eine besondere Bedeutung zu.

Die strategischen Stellschrauben im Kontext von Digitalisierung und Schulentwicklung können mit den Dimensionen von Eickelmann und Gerick (2017) benannt werden, jedoch bleibt offen, welche Beteiligten inner- und außerhalb der jeweiligen Berufsschule für die entsprechenden Umsetzungsschritte in welchem Umfang, mit welchen Ressourcen, welchem Mandat, mit wem und in welchem zeitlichen Rahmen verantwortlich sind bzw. verantwortlich zu machen sind. Also, welche strukturellen Bedingungen notwendig sind, um die strategischen Entwicklungen umzusetzen.

Im Kontext von Schule wird die Verantwortung für entsprechende digitalisierungsbezogenen Schulentwicklungsprozesse vornehmlich und zunehmend als Führungsaufgabe bei der Schulleitung der Einzelschule verortet. Beispielsweise formuliert die Kultusministerkonferenz im Strategiepapier “Bildung in einer digitalen Welt” (2017, 30): “Die zentrale Rolle, die Schulleitungen für die Qualitätsentwicklung an Schulen und das jeweilige Schulentwicklungsprogramm spielen, gilt auch für die Umsetzung der Ziele der Bildung in der digitalen Welt.” Verstärkt wird dieser Handlungsauftrag der Schulleitung für die digitalisierungsbezogene Schulentwicklung unter dem Stichwort “Digital Leadership” in der Forschungsliteratur (Glade/Schiefner-Rohs 2020) sowie praxisbezogenen Literatur (Reiter 2020) besprochen. Die Schulleitung wird dabei häufig als zentrale Schlüsselfigur für die Schulentwicklung genannt, entsprechend viele Erwartungen und Anforderungen werden an diese Funktionsträger:innen geknüpft (vgl. Eickelmann 2020, vgl. auch Tulowitzki/Gerick 2018). Gleichzeitig betonte die Kultusministerkonferenz in der leitbildförmigen “Bremer Erklärung” (KMK 2000), dass für die erfolgreiche Schulentwicklung eine “aktive Mitwirkung, Mitverantwortung und Teamarbeit erforderlich” (ebd., 4) ist. Dazu zählt die KMK neben der aktiven Mitwirkung der Lehrkräften “auch die Kooperation mit Experten und außerschulischen Einrichtungen” (ebd., 4). Vergleichbare Anforderungen werden auch in landesspezifischen Orientierungsrahmen für die schulische Qualitätssicherung und -entwicklung formuliert. Bisher fehlt die theoretische Expertise sowie das praktische Erfahrungswissen dazu, wie die Schulleitung im Schulterschluss mit der gesamten Schulgemeinschaft den komplexen Prozess der digitalen Transformation gestalten kann. Dieser Beitrag fokussiert durch einen theoretisch informierten Impuls auf die Frage: Wie kann sowohl die Übergabe als auch Übernahme von Verantwortung in der Berufsschulgemeinschaft zum entscheidenden Hebel für die digitale Transformation in der beruflichen Bildung werden? Dadurch sollen Ansätze des Digital Leadership als neue Anforderung an die pädagogische Professionalität konzeptionell erweitert und so neues zeitgemäßes berufsschulisches Führungsverhalten weiter konkretisiert werden.

Für die digitale Transformation im Bildungssystem stellt die berufliche Bildung einen besonderen Fall dar. Es kann angenommen, dass der Veränderungsdruck in der beruflichen Bildung besonders hoch ist, da neue digitale Technologien gleichzeitig auch Gegenstandsbereiche der Aus- und Weiterbildung sind durch den technologischen Wandel in den entsprechenden beruflichen Fachrichtungen (vgl. Kohl et al. 2021). Im Fall von Berufsschulen kann in der Dimension der Unterrichtsentwicklung die Bearbeitung dieser neuen technologiegetriebenen Anforderungen als Verantwortungsverteilung zwischen Schule und außerschulischen Einrichtungen zumindest formell festgestellt werden. So wird die organisatorische und didaktische Zusammenarbeit von Lehr- und Ausbildungspersonal durch die Lernortkooperation zwischen Ausbildungsbetrieb, überbetrieblichen Bildungsstätten und Berufsschule auf Bundes- und Landesebene schon seit vielen Jahren formell geregelt und ist damit strukturell im dualen Ausbildungssystem verankert (vgl. KMK 2018, 33). Ein Beispiel dieser Form der Zusammenarbeit findet sich im Hamburger Modell, welches den regelmäßigen Austausch über ausbildungsrelevante Themen von Lehr- und Ausbildungspersonal in Hamburg verpflichtet (vgl. HmbSG 2006). Bezogen auf die Schulentwicklung im Kontext von Digitalisierung bleibt dabei jedoch offen, ob und wie eine Verantwortungsverteilung in den anderen eingangs genannten Dimensionen der digitalisierungsbezogenen Schulentwicklung erfolgt und welche weiteren Akteur:innen neben der Schulleitung und dem Lehr- und Ausbildungspersonal eingebunden werden können. Labusch, Eickelmann und Conze (2020, 14) formulierten dazu den grundsätzlichen Handlungsauftrag, “[...] dass eine erfolgreiche Umsetzung schulischer Zielsetzungen im Kontext der Digitalisierung Maßnahmen und Veränderungen auf allen Ebenen von Schule erfordert”. Damit wird Schulentwicklung zu einer Gemeinschaftsaufgabe und es werden die grundsätzlichen Fragen aufgeworfen: Welche Beteiligten inner- sowie außerhalb der Schulgemeinschaft können neben der Schulleitung einen Beitrag zur Schulentwicklung im digitalen Wandel leisten und wie können diese weiteren Ebenen durch die Schulleitung verstärkt in die digitalisierungsbezogene Schulentwicklung miteinbezogen werden?

2 Die Schulgemeinschaft als Struktur im digitalen Wandel

Zur Frage, welche Akteur:innen aus der Schulgemeinschaft bisher vorrangig Verantwortung für eine digitalisierungsbezogene Schulentwicklung übernommen haben, liegen keine eindeutigen empirischen Hinweise vor. Übergeordnet kann interessanterweise festgestellt werden, dass Schulleitungen und Lehrkräfte als zentrale Akteur:innen der Schulentwicklung Initiativen und Verantwortungsübernahmen für den Einsatz digitaler Medien zum Lernen sehr unterschiedlich bewerten. Schulleitungen in der Allgemein- wie beruflichen Bildung geben mehrheitlich an, dass sie als Gruppe von Akteur:innen maßgeblich für die Initiative für digitalisierungsbezogene Prozesse in Schule verantwortlich sind. Lehrkräfte sind wiederum der Ansicht, dass sie im Sinne einer Bottom‑up Strategie der entscheidende Antrieb für Veränderungsprozesse im Kontext von Digitalisierung sind (Schmid et al. 2017). Zur Frage, welche Maßnahmen konkret in einzelschulischen Veränderungsprozessen von welchen Akteur:innen ergriffen und verantwortet werden, insbesondere im Kontext der Covid-19 Pandemie-Konsequenzen, liegen bisher kaum breit abgesicherter empirische Ergebnisse vor (Tulowitzki/Gerick 2020).

Dem Anspruch folgend, dass eine Beteiligung an digitalisierungsbezogener Schulentwicklung auf allen Ebenen der Schule erforderlich ist, sind zunächst genau diese Ebenen zu identifizieren und zu benennen. Ein etabliertes Modell zur Bestimmung der Ebenen der Schulgemeinschaft im Bildungssystem wird von Fend (2008) vorgeschlagen. Hier werden Ebenen der Schulgemeinschaft grundsätzlich nach internen und externen Akteur:innen sowie Rezipient:innen differenziert (vgl. ebd., 170). Die externen Akteur:innen umfassen das Gemeinwesen sowie (bildungs-)politische Institutionen wie Bildungspolitiker:innen und die Schulaufsicht sowie Lehrkräfte-, Eltern- und Bildungsverbände. Im Kontext des Berufsbildungssystems muss hierbei zusätzlich das Ausbildungspersonal aus den Ausbildungsbetrieben und überbetrieblichen Bildungsstätten sowie weitere Akteur:innen aus dem Wirtschafts- und Berufsbildungssystem berücksichtigt werden, wie beispielsweise die Industrie- und Handelskammer oder auch Arbeitgeberverbände. Zu den internen Akteur:innen sind Schulleitungen, Lehrkräfte sowie Schulpfleger:innen und das Schulsekretariat zu zählen. Auf der letzten Ebene sind die Auszubildenden, Schüler:innen und Eltern zu verorten, die als Rezipient:innen von Bildungsinstitutionen bezeichnet werden. Um dem Ziel gerecht zu werden, eine breite Verantwortungsverteilung in digitalisierungsbezogener Schulentwicklung zu beschreiben, zeigt sich, dass die hierarchische Einteilung der Schulebenen nach Fend (2008) überarbeitet werden muss. Am deutlichsten wird dieses bei der Definition von Auszubildenden, Schüler.innen als Rezipient:innen, welche durch diese passive Rollenzuschreibung vor dem Hintergrund gegenwärtiger Entwicklungen im Kontext von Digitalisierung nicht vollumfänglich erfasst werden.

Im Kontext der Digitalisierung ist vielmehr von einem Wechsel einer passiven zu einer aktiven Rolle der Akteur:innen auszugehen (vgl. Sutter 2010, 83). Vor allem durch die Ausbreitung des Internets und damit der Ermöglichung von vernetzter Kommunikation werden Akteur:innen “vom passiven, auf Distanz gehaltenen Rezipienten zum aktiven Nutzer, der nicht nur empfangen und rezipieren, sondern auch senden und gestalten kann” (ebd.). Damit erlangen die Akteur:innen im Kontext von Digitalisierung neue Handlungsmöglichkeiten, welche neue Formen der Mitgestaltung eröffnen und im Sinne einer Potenzialentfaltung berücksichtigt werden sollten. Zusätzlich ergeben sich durch die Auseinandersetzung mit digitalen Technologien neue, querliegende Kompetenzen, die nicht zwangsläufig in der klassischen Bildungshierarchie (Schulleiter:in-Lehrer:in, Lehrer:in-Schüler:in, Ausbilder:in-Auszubildende:r) abgebildet sind. Im Rahmen der voranschreitenden Digitalisierung in verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen wie auch dem Bildungssystem wird dieser Rollenwechsel zur Beschreibung der Schulgemeinschaft als erweiterter Gestaltungsspielraum berücksichtigt und entsprechend auf die Schulebenen nach Fend (2008) übertragen. Der Rollenwechsel wird dabei auf alle drei Ebenen bezogen, also sowohl auf externe und interne Akteur:innen als auch auf die Auszubildenden, Schüler:innen und Eltern. Alle Akteur:innen der Schulgemeinschaft haben demnach die Möglichkeiten im Kontext digitalisierungsbezogener Schulentwicklung passiv als Rezipient:innen sowie aktiv produzierend, unterstützend, planend oder dienstleistend zu agieren und damit an der Gestaltung der Einzelschule mitzuwirken, in dem sie sich in die Schulentwicklungsprozesse involvieren.

Anknüpfend an diese Überlegungen soll im Folgenden die Schulgemeinschaft als ein in Interaktion miteinander stehender Personenkreis verstanden werden, innerhalb dessen die einzelnen Akteur:innen die Möglichkeit haben, passive und aktive Rollen in den verschiedenen Dimensionen digitalisierungsbezogener Schulentwicklung einzunehmen. Der Personenkreis der Schulgemeinschaft besteht dabei im Kontext von Berufsschule aus ganze unterschiedlichen Beteiligten: Lehrkräften, Ausbildungspersonal, Fachschaften, Schüler:innen, Eltern, Schulleitung, Schulpfleger:innen, Schulsekretariat, Steuerungsgruppen, Medienbeauftrage, Schulaufsichten, Schulträger und Industrie- und Handelskammer sowie externe Partner:innen aus der Wirtschaft und Zivilgesellschaft.

3 Digital Ownership als Hebel für den Kulturwandel in Berufsschulen

Anschließend an die Überlegung, dass die Schulgemeinschaft im Kontext von Digitalisierung die Möglichkeit hat, durch den beschriebenen Rollenwechsel in den Dimensionen der digitalisierungsbezogenen Schulentwicklung mitzuwirken, sollte digitalisierungsbezogene Schulentwicklung als Gemeinschaftsaufgabe angesehen werden. Um diese Gemeinschaftsaufgabe möglichst konzeptionell zu fassen, eignet sich der Begriff des “Psychological Ownership” (PO) aus der Arbeits- und Organisationspsychologie (vgl. Pierce/Rubenfeld/Morgan 1991). Psychological Ownership ist nach Martins (2010, 3): “[...] das Erleben eines Individuums, (Mit-)Eigentümer eines materiellen oder immateriellen Objekts zu sein, wobei das Objekt im Kontext der arbeits- und organisationspsychologischen Betrachtungen die Organisation als Ganzes oder ein Teil der Organisation, wie z.B. die Abteilung, sein kann. [...]” Im Zustand des PO empfindet das Individuum das Objekt als „meins“ bzw. „unser“, und das Objekt stellt einen Teil der Identität des Individuums dar. Empirische Untersuchungen in der Organisationsentwicklung zum Thema Ownership haben gezeigt, dass Mitarbeiter:innen, die sich dieser Denk- und Handlungslogik angenommen haben u.a. eine höhere Arbeitszufriedenheit sowie Extra-Rollenverhalten zeigen und bei Prozessen des organisationalen Wandels aktiver unterstützen (vgl. Schübel 2016). Bisherige empirische Erkenntnisse deuten darauf hin, dass sich diese Formen von Ownership erzeugen lassen, indem Mitarbeitende Kontrolle über Ziele der Organisation verspüren, sie über spezifisches, intimes Wissen zu Zielobjekten der Organisation verfügen und sie erhebliche persönliche Energien in das Zielobjekt der Organisation investieren (vgl. ebd.).

Bezogen auf den Schulkontext kann mithilfe der Konzepte Leadership und Ownership im Kontext von Digitalisierung die Verantwortungsverteilung für Schulentwicklungsprozesse innerhalb der Schulgemeinschaft begrifflich erfahrbar gemacht werden. Zwar beziehen sich bisherige Studien zum Thema Ownership vornehmlich auf wirtschaftende Organisationen, die sich durch ihre Ziele deutlich von der Organisation der Schule unterscheiden, allerdings beschreibt das Konzept des Psychological Ownership grundlegende menschliche Denk- und Handlungsmuster, die allgemein in Organisationen produktiv werden (vgl. Martins 2010). Vor diesem Hintergrund wird das Konzept der Ownership im Kontext der Digitalisierung (Digital Ownership) als wertvolle Ergänzung betrachtet, um dem formulierten Anspruch eines sich auf allen Ebenen der Schule zu vollziehenden Prozesses der digitalisierungsbezogenen Schulentwicklung nicht nur auf Ebene der Leitung (Digital Leadership) und damit in der Verantwortung der Schulleitung angesiedelt zu sein, sondern breit in der Schulgemeinschaft zu begegnen. Digital Leadership als zentralisierte und personalisierte Aufgabe der Schulleitung zu verstehen, muss zwangsläufig zu einer Überforderung führen und wird wenig ertragreich sein. Ziel der Schulleitung sollte es entsprechend sein, das Verantwortungsgefühl des Digital Ownership bei der Schulgemeinschaft zu fördern, um damit die Grundlage für eine Verantwortungsverteilung zu schaffen und die digitalisierungsbezogene Schulentwicklung als Gemeinschaftsaufgabe zu bewältigen. Es ist damit Teil der Führungsaufgabe von Schulleitungen Digital Ownership in der Schulgemeinschaft zu fördern. Digital Leadership beinhaltet also die Verantwortungsübergabe, digital Ownership die Verantwortungsübernahme.

Das Begriffskonzept des Psychological Ownership wird in individuelles und kollektives Ownership unterschieden (vgl. Schübel 2016, 29ff.). Grundlegend ist dabei die Annahme, dass kollektives Ownership nur basierend auf dem Vorhandensein von individuellem Ownership entwickelt werden kann. Das bedeutet, dass ein Individuum das Zielobjekt als “meins” und Teil der eigenen Identität bereits ansieht (vgl. Schübel 2016). Das Konzept des “kollektiven Ownerships” kennzeichnet sich dann dadurch, dass die einzelnen Individuen ein Gemeinschaftsgefühl bezogen auf ein gemeinsames Zielobjekt (materielle oder immaterielle) entwickeln, welches das Kollektiv als “unser” bezeichnet (vgl. Pierce/Jussila 2010, 812). Der Übergang zu einem kollektiven Ownership Gefühl, also einer gemeinsam geteilten Denk- und Handlungslogik, vollzieht sich über ein individuelles Ownership Gefühl in drei Schritten (vgl. Schübel 2016, 32). Angelehnt an Pierce und Jussila (2010) beschreibt Schübel (2016) diese Schritte wie folgt:

  • Schritt 1: Das Zielobjekt wird vom Individuum als „meins“ und Teil seiner Identität gesehen.
  • Schritt 2: Das Individuum realisiert, dass es nicht alleinig an das Zielobjekt gebunden ist. Damit verschiebt sich die persönliche Referenz des Selbst zur Gruppe und umfasst nun auch andere.
  • Schritt 3: Durch interaktive Dynamiken, wie Aushandlungsprozesse, entsteht ein Gruppenkonsens und es entsteht ein kollektiver kognitiver und emotionaler Zustand.

Bezugnehmend auf die vorangestellten Überlegungen soll Digital Ownership im Kontext der digitalisierungsbezogenen Schulentwicklung als kollektives Verantwortungsgefühl der Schulgemeinschaft für Anforderungen und Maßnahmen im Kontext des digitalen Wandels verstanden werden, welches die Grundvoraussetzung für eine Verantwortungsverteilung innerhalb der Akteur:innen der Schulgemeinschaft bildet.

4 Verantwortungsübergabe als neue Professionalität von Führungskräften in der beruflichen Bildung

Basierend auf der erweiterten Möglichkeit der Verantwortungsverteilung durch die Schulgemeinschaft entstehen neue Formen des Zusammenwirkens im Kontext digitalisierungsbezogener Schulentwicklung. Der Möglichkeitsraum an Akteur:innen, die in die Entwicklung verschiedener Dimensionen von Schulentwicklung berücksichtigt werden können, hat sich damit erweitert. Eine hierarchische Darstellung des Zusammenwirkens der Schulgemeinschaft wird dabei zum einen den zu bewältigenden komplexen Aufgaben im digitalen Wandel nicht gerecht und zum anderen werden die bereits beschriebenen Möglichkeiten der Verantwortungsübernahme nicht genutzt. Vielmehr bearbeiten Akteur:innen der Schule spezifische Aufgaben in bestimmten dafür passenden Konstellationen, die sich eher hierarchiearm und dynamisch formen. Für den Fall der digitalisierungsbezogenen Schulentwicklung kann daher angenommen werden, dass eine dynamischere, flexiblere Form des Zusammenwirkens zweckmäßig ist. Das bedeutet konkret, dass für Aufgaben wie die Gestaltung von digitalen Lernumgebungen, technischer Services oder dem schulinternen Fortbildungsbedarf crossfunktionale Teams aus Schulleitungen, Lehr- und Ausbildungspersonal, Auszubildenden, Schüler:innen, Medienbeauftragten, aber auch externen Akteur:innen aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft mit den spezifischen Expertisen wirksam werden können. Eine eher flexible Form des Zusammenwirkens erlaubt dann, dass zuvor genannte Akteur:innen auf passende Art und Weise Verantwortung für Aufgaben des digitalen Wandels übernehmen können. Für die Schulleitung ist dabei von besonderer Relevanz, das Verantwortungsgefühl des Digital Ownership bei der Schulgemeinschaft zu fördern, um Verantwortung im Kontext digitalisierungsbezogener Schulentwicklung in die Breite zu verteilen und damit selbst entlastet zu werden. Diese Wege für eine passende Verantwortungsübergabe an die berufliche Schulgemeinschaft zu suchen und zu finden kann als neue Form der Professionalität beim Führungshandeln von Schulleitungen an beruflichen Schulen verstanden werden. Um dies zu erreichen, haben sich schulische Leitungspersonen mit folgenden fünf Fragen auseinanderzusetzen:

  1. Wie übergebe ich Verantwortung an die Schulgemeinschaft bei Aufgabenfeldern des digitalen Wandels im Rahmen meines persönlichen Führungsstils (autoritär, patriarchalisch, konsultativ, beratend, partizipativ, delegativ und demokratisch können die Stile nach Tannenbaum und Schmidt (1973) sein)? Wann ist mir dies in der Vergangenheit erfolgreich gelungen und wann nicht?
  2. Wie groß ist die Identifikation in welchen Bereichen und Teams der Schulgemeinschaft mit Fragen der digitalen Transformation und wie kann ich diese gestärkt werden?
  3. Wie halte ich in passender und für alle transparenter digitaler Form kontinuierlich fest, wer in der Schulgemeinschaft Verantwortung für den digitalen Wandel übernommen hat, übernimmt und übernehmen wird?
  4. Wie können wir als Schulgemeinschaft Erfolge beim langen und komplexen Prozess der digitalen Transformation einerseits Zwischenergebnisse identifizieren und diese (Zwischen-)Erfolge im Sinne der Stärkung des kollektiven Ownership-Gefühls auch gemeinsam würdigen?
  5. Wie trage ich die Erfahrungen der Schulgemeinschaft auf eine partizipative Art und Weise auch nach außen (z.B. Schulaufsicht und regionale Schulnetzwerke)?

5 Verantwortungsübernahme durch die berufliche Schulgemeinschaft als Gelingensbedingung für den digitalen Wandel

Ausgehend davon lässt sich zukünftig bestimmen, wer in der Schule für welche Aufgaben der digitalisierungsbezogenen Schulentwicklung Verantwortung übernimmt. Dies betrifft zweifelsohne das Lehrpersonal an allgemeinbindenden und beruflichen Schulen als zentrale Akteursgruppe der Schulgemeinschaft. Für diese kann nach Zlatkin-Troitschanskaia et al. (2009, 13) angenommen werden: “Vom Handeln der Lehrenden wird daher zu Recht Professionalität im Sinne einer spezifischen Verantwortungsübernahme gegenüber dem Individuum ebenso wie gegenüber dem Gemeinwesen eingefordert – eine Professionalität, die aufs Ganze gesehen, gegenwärtig offenbar noch nicht einmal näherungsweise in wünschbarer Vollendung anzutreffen ist.”

Als Orientierung für eine entsprechende Verantwortungsübergabe sowie -übernahme eignen sich die fünf Dimensionen des digitalisierungsbezogenen Schulentwicklungsmodells von Eickelmann und Gerick (2017): Organisationsentwicklung, Unterrichtsentwicklung, Personalentwicklung, Kooperationsentwicklung sowie Technologieentwicklung. Diese stellen potenzielle Entfaltungsräume für ein gelebtes digital Ownership und eine zeitgemäße Verantwortungsverteilung innerhalb der Schulgemeinschaft im Kontext der Schulentwicklung dar. Bezogen auf das über die entsprechenden fünf Handlungsfelder hergeleitete Modell der digitalisierungsbezogenen Schulentwicklung kann dann je Einzelschule geklärt werden, wer welche Rolle übernimmt und wie mehrere Beteiligte die Verantwortung in unterschiedlichen Unterkreisen übernehmen. Für diesen Kulturwandel Sorge zu tragen stellt eine zentrale zukünftige Aufgabe von Schulleitungshandeln für die digitale Transformation des beruflichen Bildungsauftrags dar.

Literatur

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Zitieren des Beitrags

Knutzen, S./Kortegast, V./Röwert, R. (2021): Digital Ownership als Treiber der Schulentwicklung – Die Verantwortungsübernahme und -übergabe der Schulgemeinschaft für den digitalen Wandel in der beruflichen. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 41, 1-11. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe41/knutzen_etal_bwpat41.pdf (20.12.2021).