bwp@ 41 - Dezember 2021

Führung und Management beruflicher Schulen

Hrsg.: Karl Wilbers, Nicole Naeve-Stoß, Cornelia Wagner-Herrbach & Franz Gramlinger

Zwischen inneren und äußeren Angelegenheiten: Typen von Leitungs- und Organisationsstrukturen für die regionale Kooperation von berufsbildenden Schulen und Schulträgern

Beitrag von Detlef Buschfeld & Bernadette Dilger
bwp@-Format: Diskussionsbeiträge
Schlüsselwörter: Schulführung, regionale Schulentwicklung, educational governance, Organisations- und Leitungsstrukturen von regionalen Verbünden

Die Schulleitungen von berufsbildenden Schulen (Berufskollegs in NRW) müssen zentrale Ansprechpartner hinsichtlich ihrer Ressourcen-Ausstattung im Blick haben: Der Schulträger sorgt für Räume und ihre Ausstattung, die Bezirksregierung oder Schulaufsicht für pädagogisches Personal. Lohnt es sich für Schulleitungen in einer Region, gemeinsame Anliegen und Anforderungen stärker kooperativ zu bearbeiten und stärker gemeinsam mit den beiden regionalen Ansprechpartner abzustimmen? Diesen beiden Fragen geht der Beitrag, mit Blick auf den Schul­versuch „Regionale Bildungszentren der Berufskollegs in NRW“, nach. Entlang der Diskussion dreier Organisationsmodelle für eine regionale Zusammenarbeit der Berufskollegs und ihres Schulträgers, werden Gestaltungsaspekte und erste Potentiale sowie Befürchtungen von Berufskollegleitungen an der Schnittstelle von inneren (pädagogischen) und äußeren (administrativen) Aufgaben dargestellt. Die Modelle binden einerseits die Berufskollegs in einer Region aneinander, was mit einem antizipierten Verlust von Gestaltungsfreiheit in einzelnen Berufskollegs einhergeht. Andererseits werden mit den Modellen Erwartungen verknüpft, darüber neue bzw. erweiterte Gestaltungs­spielräume für Schul- und Unterrichtsentwicklung zu schaffen. Die unterschiedlichen Einschätzungen von Schulleitungen zu den passenden Ausgestaltungen, den Mehrwerten aber auch Befürchtungen einer regionalen Kooperation und verschiedenen Leitungs- und Organisationsformen der Verbünde, stehen im Mittelpunkt des Beitrages. 

Regional cooperation between VET schools and school boards and their types of governance and organizational structures

English Abstract

School Leadership of vocational schools must have good and close contact regarding their resources: the school authority provides rooms and their equipment, the district government or school supervisory board is responsible for pedagogical staff. Is it worthwhile for school leadership in a region to work on common concerns and requirements more cooperatively internally and to coordinate more closely with the regional authorities? The article examines these questions with a view to a school development process “Regional Centers for Vocational Colleges in North Rhine-Westphalia”. Alongside the discussion of three organizational models for regional cooperation between vocational colleges and their school authorities, design aspects and initial potential and fears of vocational college management at the interface between internal (pedagogical) and external (administrative) tasks are presented. On the one hand, the models bind the vocational colleges in a region together, which is accompanied by an anticipated loss of freedom for the individual vocational colleges. On the other hand, expectations are linked to the models to create new or expanded design leeway for school development. The article focuses on the different assessments of school leadership about the appropriate design, the added value, but also fears of regional cooperation and different management and its organizational forms.

1 Kontext

Vielfach wird die Rolle von Schulleitungen über drei Aufgabenbereiche (vbw 2021, 147) oder Rollensegmente (Warwas 2009) beschrieben: Pädagogische Führung, pädagogisches Management (Administration bzw. Management), kollegiale Aufgaben. Wir heben in diesem Beitrag einen spezifischen Aspekt des pädagogischen Managements hervor, nämlich Formen der Zusammenarbeit unter der impliziten Maxime „in der Region, für die Region“. Mit „Region“ wird dabei ein unscharfer und vielfältiger Begriff benutzt, um das „Vor-Ort“-Zusammentreffen der Zuständigkeiten von „inneren“ und „äußeren“ Angelegenheiten der berufsbildenden Schulen zu umschreiben.

Das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen hat hierzu einen landesweiten Schulversuch in 2020 lanciert. Ziele dieses Schulversuches sind folgende: „Es soll im Rahmen des Schulversuchs zur Erprobung von Änderungen an Bildungsgängen kommen, die unter Berücksichtigung der jeweiligen regionalen Erfordernisse angezeigt erscheinen. Darüber hinaus soll die Erprobung von Leitungs- und Organisationsstrukturen erfolgen, die sowohl der Komplexität der Abstimmungs- und Kooperationsprozesse der teilnehmenden Berufskollegs untereinander als auch der ihrer Abstimmungs- und Verwaltungsprozesse mit Schulträgern bestmöglich gerecht werden.“ (Schulministerium NRW 2020). Eingeladen waren alle Berufskollegs und ihre Schulträger in NRW, sich an diesem Schulversuch zu beteiligen. Nach einem Auswahlverfahren durch das MSB wurden sieben verschiedene Regionen zur Teilnahme mit ihren Anliegen und spezifischen Maßnahmen-Bündel genehmigt.

Im Schulversuch „Regionale Bildungszentren der Berufskollegs“ wird die Region als Raum über den Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Schulträgers definiert. Das sind vier Städte (Bochum, Dortmund, Düsseldorf, Krefeld) und drei Kreise (Hochsauerlandkreis, Kreis Höxter, Kreis Recklinghausen). Diese haben jeweils spezifische „regionale Problemlagen“ als Grundlage für ihre Beteiligung im Schulversuch bestimmt. Die „regionalen Problemlagen“ bzw. dieser Bedarf, werden zum Anlass genommen, verschiedene Maßnahmen in Bildungsgängen des Berufskollegs zu initiieren, die über den bestehenden Rechtsrahmen hinausreichen. Das kann eine Modifikation bestehender Curricula sein, die Dauer von Bildungsgängen betreffen oder auf regional neuartige Formen der fachbereichs- bzw. berufskollegübergreifenden Beschulung bestimmter Zielgruppen abzielen. In einer Synopse der Anträge lassen sich – neben drei nur in jeweils einer Region etablierten Maßnahmen – vier Gruppen bilden. Sie betreffen:

  • die modularisierten, unterjährig organisierten Formen von Bildungsgängen für Menschen im Übergang zur Ausbildung oder nach Abbruch einer Ausbildung,
  • Konzepte zur beruflichen Integration von Menschen mit Fluchterfahrungen / Migrationshintergrund in der Region in Internationale Förderklassen,
  • die Einrichtung eines verstetigten und fachbereichsübergreifenden Angebotes „Ausbildung plus Hochschulreife“ und
  • digitalisierte und flexibilisierte Organisationsformen des Unterrichts in Klassen des dualen Systems und der Fachschule.

Die Synopse zeigt, dass es im Grunde um „traditionelle“ Aufgabenstellungen geht, die durch die regionale Zusammen­arbeit der Berufskollegs untereinander und zwischen den Berufskollegs und ihrem Schulträger (Sachaufwandsträger) der Region und der Bezirksregierung (Schulaufsicht) „neu“ konzeptioniert werden. Es sind „traditionelle“ respektive „in ihrer Dynamik beständige“ Probleme, die aus Sicht des Schulträgers jedoch die Breite der Berufsbildung als „regionalen Standortfaktor“ betreffen und von daher (i.d.R.) nicht von einem Berufskolleg allein gelöst werden können, sondern im Verbund erörtert und am besten im Konsens der Berufskollegs (der Region) gemeinsam angegangen werden. Die im Schulversuch adressierten Maßnahmen stehen beispielhaft für „operative Anliegen“ des Schulträgers und der Berufskollegs der Region, sie sind zugleich eingebunden in die Bemühungen, als Region die regionale Berufsbildungslandschaft auch „strategisch“ gestalten zu wollen. Dies etwa durch eine koordinierte und regional orientierte Berufskolleg-Entwicklungsplanung bzw. Entscheidungen über Standorte und Angebotsprofil der Berufskollegs in der Region, über Reihenfolgen von Instandhaltungen, Neubauten oder Modernisierungsvorhaben. Insofern lassen sich stetig Anlässe oder Aktivitäten bestimmen, die eine abgestimmte Vorgehensweise zwischen dem Schulträger, „seinen“ Berufskollegs und der Bezirksregierung (Schulaufsicht) einfordern. Dies legt eine Betrachtung der organisatorischen Verankerung der Zusammenarbeit nahe, die im Schulversuch mit Modellen der „Organisations- und Leitungsstrukturen“, also einer „Anlaufstelle“ oder eben einem „Zentrum“ der Kooperation bezeichnet werden.[1] Dafür bestehen im Schulversuch bei den Standorten unterschiedliche Leitvorstellungen, die in unterschiedlicher Weise das pädagogische Management des regionalen Verbunds sowie die Schulleitungen der einzelnen Berufskollegs betreffen. Die Einschätzungen der Schulleitungen zu den Organisations- und Leitungsstrukturen der regionalen Zusammenarbeit – und damit ihrer individuellen Beteiligung an einer solchen regionalen Zusammenarbeit – versuchen wir in diesem Beitrag nachzuzeichnen.

Der Beitrag zeigt zunächst die organisations- und schulleitungstheoretischen Bezugspunkte (Punkt 2) auf, die für die Entwicklung und Analyse der Diskussionen im Schulversuch orientierend sind. In Punkt 3 werden die verschiedenen projekt- und analytischen methodischen Vorgehensweisen beschrieben. Basierend auf diesen theoretischen Grundbezüge wurden zunächst zwei Szenarien als Diskussionsimpulse entwickelt. Diese wurden in verschiedenen Runden diskutiert. Über die Analyse von Gestaltungsaspekten (Punkt 4), auf die in den Diskussionen Bezug genommen wurde, wurden diese Grundszenarien zu drei Typen von Organisations- und Leitungsmodellen im regionalen Verbund weiterentwickelt. In einem weiteren Schritt, werden zunächst die aufgenommenen Einschätzungen der Schulversuchs-Beteiligten hinsichtlich von Hoffnungen und Befürchtungen analysiert. Diese werden in Punkt 5 mit Hilfe der organisations- und schultheoretischen Bezugspunkte zu einer ersten typen-spezifischen, zunächst konzeptionellen Stärken- und Schwächenanalyse zusammengetragen. Im Ausblick (Punkt 6) werden die nächsten Schritte dargestellt.

Ziel des Beitrags ist es, sowohl einen systematischen Einblick in die Gestaltungsfragen und in die im Schulversuch diskutierten Ausprägungen und Einschätzungen geben zu können. Damit ist die Intention verbunden, die Wissenschafts-Praxis-Kommunikation, die den Entwicklungsprozess prägt, nachvollziehbar zu machen. Die als erstes Zwischenergebnis im Schulversuch zu wertenden drei Typen von Organisations- und Leitungsstrukturen von regionalen Verbünden stellen dabei auch die Schnittstelle von idealtypischen und realtypischen Formen dar. Da sie in den nächsten Entwicklungsrunden als orientierender Rahmen für die konkreten empirischen Ausprägungen und Erfahrungen wirken.

2 Organisations- und schultheoretische Bezugspunkte

Die Analyse der Einschätzungen der Schulleitungen zu Organisations- und Leitungsstrukturen einer regionalen Kooperation basieren auf fünf theoretischen Bezugspunkten:

(1) Mit der Governance-Perspektive als Forschungsansatz in der Bildungsforschung werden die folgenden Ebenen adressiert:

  • “das Zustandekommen, die Aufrechterhaltung und die Transformation sozialer Ordnung und Leistungen im Bildungswesen
  • unter der Perspektive der Handlungskoordination
  • zwischen verschiedenen Akteuren
  • in komplexen Mehrebenensystemen“ (Altrichter/Maag Merki 2010, 22).

Mit diesem Bezug zur Theorie der educational governance wird der Fokus geschärft, dass mit einer Etablierung von «neuen» Organisations- und Leitungsstrukturen in regionalen Verbünden Prozesse und Strukturen der Handlungsregulation auf verschiedenen Ebenen aufgenommen werden, die einen Beitrag zur Weiterentwicklung leisten.

(2) Kooperation ist kein Selbstzweck, sondern, organisationstheoretisch gesprochen, häufig ein Ausdruck mangelnder Koordination, (d.h. nicht funktionierender Arbeitsteilung) und ein Instrument zur Lösung von Problemstellungen, die eine organisatorische Einheit allein nicht löst. Wird das Problem durch Kooperation gelöst (oder ist ein Konflikt befriedet oder der Anlass verschwunden), endet auch die Kooperation (Buschfeld 1994, 122). Ein Mehrwert der Kooperation entsteht dann, wenn durch die gemeinsame Sicht auf eine Aufgabe eine andere und bessere Aufgabenbewältigung realisiert werden kann im relativen Vergleich zu dem Fall, in dem die Akteure unabhängig voneinander sich der Aufgabe stellen. Dies greift zum Beispiel bei der Einrichtung von Internationalen Förderklassen: Eine gemeinsame Betrachtung aller zu beschulenden Schülerinnen und Schüler einer Region mit ihren heterogenen Eingangsvoraussetzungen, scheint bei hohen Zahlen sinnvoller als die mehr oder weniger zufällige und sukzessive Zuweisung zu und Aufstockung von verfügbaren Plätzen in Klassen einzelner Berufskollegs. Ließe sich aber die Integration der Schülerinnen und Schüler gut allein in einem einzelnen Berufskolleg gestalten, bräuchte es keine Kooperation zwischen Berufskollegs. Der Schulträger könnte mit einem Berufskolleg als Ansprechpartner kommunizieren. Kooperation bleibt organisationstheoretisch situativ, anlassbezogen und wird von Personen und dem Vertrauen zwischen Personen getragen. Koordination ist dagegen beständig, aufgabenbezogen und wird von Stellen und Stelleninhabern getragen. Insofern stehen „Organisations- und Leitungsstrukturen“ einer dauerhaft eingerichteten Stelle (z.B. einer Geschäftsstelle eines Regionalen Bildungszentrums für Berufskollegs) für die maßnahmen- und anlassbezogene Zusammenarbeit in einem Spannungsfeld. Es kann nur aufgelöst werden, wenn wiederkehrend stets neue Anlässe dafür sorgen (oder eben: geschaffen werden), dass durch Kooperation ein Mehrwert erzielt werden kann.

(3) Die Entwicklung von regionalen Verbünden der Berufskollegs erfolgt vor dem Hintergrund einer Sichtweise, dass diese Verbünde noch stärker als bisher die Innovationsprozesse in den Bildungsangeboten der Region übernehmen können. Für die Gestaltung von Innovationsprozessen bedarf es verschiedener Rollen in diesem Prozess. Folgend der Konzeption von Hauschildt et al. (2016, 195ff.) bedarf es dabei Macht-, Fach- und Prozesspromotoren. Diese Rollendifferenzierung kann genutzt werden, um spezifische Akteure und deren erforderliches Zusammenspiel in der Organisation und Leitung von Schulentwicklungsprozessen differenzierter darzustellen.

(4) Es lassen sich in Deutschland und in internationaler Perspektive (vgl. Bücking/Dilger 2015, 25f) durchaus Organisations- und Leitungsstrukturen finden, die hier in Rede stehende Formen der Zusammenarbeit „unter einem Dach“ etablieren. Darunter fallen Organisationsstrukturen, in denen das Gesamtspektrum der Berufsbildung in einer einzelnen, dann eher großen Organisation gebündelt wird bzw. sich in einem Berufsbildungszentrum für alle Berufe etabliert. In NRW sind die Berufskollegs aber vielfach fachbereichsbezogen profiliert oder vereinen überschaubar wenige Fachbereiche unter ihrem Dach. Sie sollen sich also voneinander abgrenzen, unterschiedlich und vielfältig entwickeln und unterschiedliche Profile ausweisen. Insofern geht es im Schulversuch auch darum, eine Kooperation von Wettbewerbern (Koopetition) zu organisieren und über eine regionale Verantwortungsgemeinschaft zu regulieren. Mit dem Ansatz der „kooperativ-gebundenen regionalen Gestaltungsspielräume“ im Schulversuch, wird eine Alternative zu den Ansätzen einer „Autonomie der Einzelschule“ und der Zusammenlegung von beruflichen Schulen zu Kompetenzzentren erprobt.

(5) Inhaltlich bezieht sich dies auf „Gestaltungsspielräume“ an der Schnittstelle von inneren und äußeren Angelegenheiten der Schulen, was im Bereich der berufsbildenden Schulen zusätzlich die Verflechtung mit der Wirtschaft, Arbeit und Sozialem beinhaltet. Die Schnittstelle von inneren und äußeren Angelegenheiten wird schul- und verwaltungsrechtlich viel diskutiert. Faktisch bedeutet sie für Schulleitungen einen Kern des pädagogischen Managements (vbw 2021, 147): Bereitstehende Lehrkräfte ohne geeignete Räume, pädagogische Konzepte ohne sachliche Ausstattung sind ebenso abzustimmen, wie geeignete Räume ohne Lehrkräfte oder ungenutzte sachliche Ausstattung mangels pädagogischer Ideen. Die unterschiedliche Logik von inneren und äußeren Angelegenheiten zu managen, die verschiedenen Ansprechpartner für innere und äußere Angelegenheiten zu erreichen und mit ihnen Maßnahmen abzustimmen prägen ein nicht unerhebliches, alltägliches Arbeitsfeld für Schulleitungen. Die Gestaltungsspielräume werden aber auch von Seiten des Schulträgers unterschiedlich interpretiert, etwa wenn es um Schulsozialarbeit und Beratungsleistungen, das Personal für die IT-Systemadministration oder die Einrichtung von Lern- und Medienzentren geht. Hermstein (2021, 225) systematisiert in einem Beitrag dazu unterschiedliche Formen der Unterstützungsleistungen von Schulträgern in einer Vierfelder-Tafel:

Tabelle 1: Formen der Unterstützungsleistung von Schulträgern (vgl. Hermstein 2021, 225)

 

Materielle Beiträge

Regulative Beiträge

Typ „Stabilisierung“

Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Schul- und Unterrichtsbetriebes

Bereitstellung der sachlichen Grundausstattung

Anpassung an vorgeschriebene Raumstandards

Schulorganisatorische Maßnahmen (kurzfristig)

Aufstellung von Zuweisungsregeln

Typ „Wandel“

Entwicklung von Schule und Unterricht

Sachliche Erfordernisse zur Teilnahme an Schulversuchen

Bauliche Erweiterungen und architektonische Umgestaltung gemäß pädagogischer Ziele und Programme

Schulorganisatorische Maßnahmen / Schulentwicklungsplanung (langfristig)

Allokationsprinzipien

Initiierung und Organisierung von Kooperationsbeziehungen entsprechend den Schulentwicklungszielen

Es sollte also theoretisch nicht überraschen, dass die Einschätzung der Schulleitungen zu den Organisations- und Leitungsstrukturen einer regionalen Zusammenarbeit maßgeblich von der vorhandenen Auffassung und Einstellung des Schulträgers zu seiner Rolle bei der Gestaltung einer regionalen Bildungslandschaft beeinflusst wird.

3 Projekt- und forschungsmethodisches Vorgehen

Seit Februar 2021 nehmen die sieben Schulträger mit insgesamt 42 Berufskollegs aus vier Regierungsbezirken in NRW, mit ihrem im Vorfeld regional unterschiedlich ausgewählten bildungsgangbezogenen Aufgaben- und Arbeitsbereiche, am landesweiten Schulversuch teil. Diese „innere Angelegenheit“ der Zusammenarbeit mehrerer Berufskollegs an einem Standort bedarf der internen Organisation bzw. der Zusammenarbeit in und von Bildungsgängen an verschiedenen Berufskollegs einer Region. Hierfür wird überwiegend der Begriff von „Arbeitsgruppen“ oder „Projektgruppen“ benutzt. Die sich um ein Regionales Bildungszentrum der Berufskollegs „kümmernden Ansprechpartner“, deren „Visitenkarten“ und „Büros“ bilden den äußeren Bezugspunkt der unterschiedlichen Aktivitäten der Kooperation in der Region, speziell im Zusammenspiel von Schulträger und Berufskollegs. Hierfür wird überwiegend der Begriff eines „Lenkungsgremiums“ oder einer „Steuergruppe“ genutzt. Mit dem Start des Schulversuchs setzt die operative Arbeit in beiden Punkten unmittelbar ein: Mitglieder von Berufskolleg-übergreifenden Projektgruppen müssen (in Zeiten der zweiten und dritten Welle der Corona-Pandemie) ausgewählt werden und zusammenkommen. Die Treffen von regionalen Steuergruppen müssen terminiert und mit einer Agenda versehen werden usw. Diese Aufgaben der Organisation der regionalen Zusammenarbeit betreffen vorrangig die jeweiligen Schulleitungen. Diese müssen einerseits etwa Schwierigkeiten bei der Bildung von Arbeitsgruppen im eigenen Haus auflösen andererseits in der Steuergruppe Arbeitsfortschritte vorstellen und legitimieren, Ressourcen vom Schulträger oder anderen einfordern und über inhaltliche Konzepte einen Konsens finden. Daher haben die beteiligten Schulleitungen empirisch den umfassendsten Einblick in die Chancen und Grenzen der Organisations- und Leitungsstrukturen Regionaler Bildungszentren der Berufskollegs und deren antizipierten oder bereits wahrgenommenen Mehrwerte.

Als Basis für die Rekonstruktion der Einschätzungen von Schulleitungen, haben wir zwischen Mai und November 2021 insgesamt fünf Gruppendiskussionen als Videokonferenzen durchgeführt. Beteiligt daran haben sich überwiegend Schulleitungen, aber auch Vertreter und Vertreterinnen der Schulträger und unmittelbar in die Organisationsstrukturen des regionalen Verbunds bereits eingebundene Lehrkräfte und Verwaltungsangestellte. Die fünf Gruppendiskussionen stellen die empirische Basis für diesen Beitrag dar, wobei wir uns auf die Äußerungen und Sichtweisen der Schulleitungen darin konzentrieren.

Die Gruppendiskussionen basieren auf der moderierten Diskussion zweier Szenarien, die wir im Vorfeld im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des landesweiten Schulversuches entwickelt haben. Die von uns beschriebenen Szenarien stellen die konzeptionelle Grundlage der Diskussion dar. Bezugspunkt für die Entwicklung sind die Antragsunterlagen und die ersten Gespräche mit den Standorten im Rahmen der vorbereitenden Arbeitsphase im Schulversuch. Deren Unterschiedlichkeit veranlasste uns, in der Rolle der wissenschaftlichen Begleitung, auch zu der Entscheidung, die Gruppendiskussion zunächst in zwei Teilgruppen zu organisieren (Gruppe I drei Standorte, Gruppe II vier Standorte). Gruppe I tendierte zu einer stärkeren Institutionalisierung und Gruppe II eher zu schwächer institutionalisierten Formen. Entsprechend wurden auch die Szenarien formuliert, die in den Gruppen diskutiert wurden. Grundlage der Diskussionen in den Gruppen (beide Gruppen mit im Durchschnitt 10 Teilnehmerinnen und Teilnehmern) sind die, etwa eine Woche vor den Terminen, versendeten Szenarien sowie eine Präsentation, die während der Diskussion erläutert wurde (und anschließend überarbeitet zur Verfügung gestellt wurde). Insofern kann von paarweise geordneten, Szenario-basierten Fokusgruppen gesprochen werden. Den Abschluss bildete eine Gesamt-Gruppendiskussion im November 2021, an der alle Standorte teilgenommen haben.

Die Diskussionen wurde transkribiert und entsprechend den weiter unten vorgestellten Kriterien für diesen Beitrag inhaltsanalytisch kategorisiert. Untersucht werden in der Auswertung folgende Fragen:

  • Welche Aspekte werden für die Ausgestaltung der Organisationsmodelle aufgenommen und in welcher Bandbreite werden diese diskutiert?
  • Welche Befürchtungen und Hoffnungen werden bei Schulleitungen ausgelöst, wenn eine kooperativ eingerichtete „strukturelle“ Organisationsform Einfluss auf die inneren Angelegenheiten eines Berufskollegs nehmen soll?

Allerdings ist festzuhalten, dass die Forschungsfragen nicht leitend für die Moderation der Gruppendiskussion war – sondern der Fokus auf der Entwicklung und weiteren Präzisierung der Szenarien lag. Wir arbeiten also die Antworten auf die Forschungsfrage am Material der Gruppendiskussion heraus. Damit nehmen wir eine sekundäre Analyse der Rohdaten vor. Diese sie sind in der Szenario-basierten Gruppendiskussion zur Entwicklung von typischen (vgl. Kluge 2000) Organisations- und Leitungsstrukturen von Regionalen Bildungszentren der Berufskollegs entstanden. Die transkribierten Gruppendiskussionen wurden inhaltsanalytisch in einem ersten Schritt deduktiv ausgewertet (Mayring 2000 [13]). Dabei wurden die Kategorien direkte aus den Forschungsfragen formuliert. Insgesamt lassen sich knapp 70 Codes für die Aspekte zur Ausgestaltung zuordnen, 44 zu Hoffnungen bzw. Potentiale und 26 zu Gefahren bzw. Befürchtungen. Die Codierung der Interviews wurde mit Hilfe von MaxQDA vorgenommen. Eine weitergehende Interpretation innerhalb der deduktiv gewonnenen Kategorien wurde induktiv vorgenommen. Dazu wurden die einer Kategorie zugeordneten Codes nach ihrer Nähe zu spezifischen Untergruppen daten-nah geordnet.

4 Erste empirische Befunde

4.1 Aspekte zur Ausgestaltung der Organisations- und Leitungsstrukturen

In den Diskussionen lassen sich verschiedene Bündel von Aspekten herausarbeiten, die für die Ausgestaltung der Organisations- und Leitungsstrukturen für die Beteiligten relevant sind. Diese können in die folgenden Aspekte unterschieden werden:

  • Entwicklungshorizont: Die Beteiligten sehen sehr deutlich, dass insbesondere eine langfristige Entwicklungsperspektive für die Entwicklung von Organisations- und Leitungsstrukturen von Bedeutung ist. „Wir wollen noch ein Konstrukt entwickeln, was dauerhaft, wenn der Schulversuch ausläuft, quasi Bestand haben kann“. (Gruppendiskussion 1, Abs. 46). Insbesondere die Perspektive, nicht nur für den Zeitraum des Schulversuchs zu arbeiten, sondern darüber hinaus zu denken, ist sichtbar.
  • Betrachtung der Verbundeinheit: Sehr divergent diskutiert wurde, ob die Einheit, die spezifische Verbundeinheiten übernimmt und bearbeitet, eine eigene institutionelle Stellenbildung benötigt oder nicht. Das Spannungsfeld zeigt sich im folgenden Zitat: “...auf der einen Seite Funktion, auf der anderen Seite ganz klar eine Institution“ (Gruppendiskussion 2, Abs. 56). Ein Teil der Beteiligten im Schulversuch macht sich sehr stark für die Betrachtung als Funktion und damit nicht als langfristig dauerhaft einzurichtende Stellen. Eine andere Teil-Gruppe plädiert sehr stark für eine Ausgestaltung als institutionelle Verankerung mit dauerhaft eingerichteten Stellen.
  • Übernahme von eigenständigen Entscheidungskompetenzen in der Verbundeinheit: Eng mit der Diskussion um das Spannungsfeld Funktion – Institution ist auch verbunden, ob und wie diese Verbundeinheit eigenständige Kompetenzen (im Sinne von Entscheidungsbefugnissen, Ressourcen oder auch eigenes Personal bis hin zu Schülerinnen und Schüler) zugewiesen bekommen kann. Zu diesem Bündel lassen sich sehr divergente Diskussionsbeiträge erkennen. Diese werden mit Begriffen wie „Mehr Eigenständigkeit, mehr Eigenverantwortlichkeit, bis hin zur Rechtsfähigkeit“ (Gruppendiskussion 1, Abs. 75) auf der einen Seite und „eine agile Managementstruktur“ (Gruppendiskussion 1, Abs. 72) in bestehenden Gremien und Stellen auf der anderen Seite belegt.
  • Einbindung des Schulträgers: Auch zum Aspekt der verschiedenen Sichtweisen auf die Einbindung des Schulträgers lässt sich in den Diskussionen keine Übereinstimmungen erkennen, sondern es ist eher die Bandbreite auszuloten. Votieren einzelne zu „das kann man ohne Schulträger machen“ (Gruppendiskussion 1, Abs. 8), sehen andere vielmehr die Aufgabe stärker als integrierte Aufgabe bis hin zu Aussagen, dass „das am besten sogar bei meinem Schulträger, also im Schulverwaltungsamt“ (Gruppendiskussion 2, Abs. 39) aufgehoben sein sollte.
  • Gestaltungsfokus: Unterschiedlich wird auch die Einschätzung aufgenommen, ob in besonderer Weise die Einheit auszugestalten ist, die spezifische Verbundaufgaben übernimmt, oder der Gesamtverbund in seinem Zusammenspiel auszugestalten ist, wie dies im nächsten Zitat ausgedrückt wird „... wir müssen wirklich quasi den Gesamtverbund in seiner Struktur, in der Organisations- und Leitungsstruktur versuchen abzubilden“ (Gruppendiskussion 1, Abs. 27).

Die Analyse der Gruppendiskussionen wurde im weiteren Entwicklungsprozess für die Entwicklung von Organisations- und Leitungsstrukturen genutzt.

4.2 Von zwei Ausgangs-Szenarien zu drei typischen Organisationsmodellen für Organisations- und Leitungsstrukturen

Die Diskussion mit den Schulleitungen wurde durch zwei Ausgangs-Szenarien gelenkt. Sie wurden in der ersten Diskussionsrunde mit „Szenario Sekretariat“ (Gruppe I) und „Szenario Portal“ (Gruppe II) geführt (Mai 2021). Beide Benennungen wurden von den Gruppen in der ersten Diskussion kritisch bewertet – sie stellten jeweils den Begriff der „Geschäftsstelle“ heraus. Deshalb konkretisierten wir für die zweite Diskussionsrunde (Juli 2021) verschiedene Fälle mit dem Begriff einer Geschäftsstelle. Diese waren zum einen mit der Idee einer koordinierenden „Geschäftsführung“ und zum anderen mit der Idee einer operativen Assistenz zur Unterstützung des regionalen Leitungsgremiums versehen. Die weitere Diskussionsrunde (November 2021) verdeutlichte, dass hinsichtlich der hilfreichen bzw. für notwendig erachteten, modellhaften Organisations- und Leitungsstrukturen keine Einigung auf ein Modell erzielt werden konnte. Die geführten Diskussionen machen eine Ausdifferenzierung in drei Typen erforderlich. Die beiden gewählten Ausgangsszenarien „Portal“ und „Sekretariat“ lassen sich links und rechts der Mitte im nachfolgenden Spektrum positionieren. Die Diskussion zeigt im Ergebnis also weniger eine Tendenz zu einem Konsens in der Mitte, sondern stellt die erforderlichen, differenzierenden Ausprägungen heraus.

Abbildung 1: Drei Typen von Organisations- und LeitungsmodellenAbbildung 1: Drei Typen von Organisations- und Leitungsmodellen

In einer ersten konzeptionellen Einordnung lassen sich die drei Typen hinsichtlich der folgenden Dimensionen voneinander unterscheiden:

  • Grad der organisatorischen Institutionalisierung über die Einrichtung von Stellen: In den beiden Typen «Service Verbundeinheit» und «Verbundakteur mit eigenen Kompetenzen» werden eigene Stellen für die Verbundsaufgaben definiert und etabliert. Im Typus der «agil organisierten Unterstützung» werden keine Verbundstellen definiert, sondern die Verbundaufgaben von den bestehenden Stellen und Gremienstrukturen übernommen.
  • Definition der Verbundaufgaben: Im Typ «agil organisierte Unterstützung» werden keine dauerhaften Verbundaufgaben definiert, sondern temporär – je nach Aufgabendauer – in projektförmigen Organisationsformen umgesetzt. Im Typ «Service Verbundeinheit» werden die Verbundaufgaben formuliert, die als stärker kontinuierliche Verbundaufgaben gesehen werden. Für diese werden konkrete Aufgabenbeschreibungen und dafür erforderliche Kompetenzzuweisungen vorgenommen. Im Typ des «Verbundakteurs mit eigenen Entscheidungs- und Steuerungskompetenzen sind die Verbundaufgaben ebenfalls stärker als dauerhafte Aufgaben definiert und der Einheit übertragen.
  • Zuweisung von Handlungs-, Entscheidungs- und Ressourcenkompetenzen: Im Typ der «agil organisierten» Unterstützung müssen je nach Verbundaufgabe die dafür entsprechend geltenden Rollen und zugewiesenen Kompetenzen definiert werden. Dies wird aufgabenspezifisch vorgenommen. Im Typ der «Service Verbundeinheit» wird über einen definierten Auftrag eine aufgaben-bezogene Delegation und Zuweisung von Kompetenzen vorgenommen. Dabei werden jedoch die Kompetenzen in Bezug auf das gesamte Bündel der Verbundaufgaben definiert. Im Typ des «Verbundakteurs mit eigenen Kompetenzen» wird die Formulierung der Handlungs-, Entscheidungs- und Ressourcenkompetenzen am umfassendsten ausfallen, da insbesondere dort auch Leitungs- und Steuerungskompetenzen für die Verbundaufgaben übertragen werden.

In den Ausführungen in Punkt 4.1 und 4.2 wird der Austausch und die Ko-Entwicklung zwischen konzeptionellen Entwürfen durch die wissenschaftliche Begleitung, Diskussionen durch die Beteiligten des Schulversuchs und Analyse der Diskussion zur Weiterentwicklung der konzeptionellen Beschreibungen sichtbar gemacht.

4.3 Hoffnungen / Potentiale und Befürchtungen / Risiken hinsichtlich der Organisations- und Leitungsstrukturen in den regionalen Verbünden

In den Diskussionen wird das Entwicklungsvorhaben im Schulversuch mit verschiedenen Hoffnungen und Potentialen gleichermassen wie mit Befürchtungen und Risiken eingeschätzt. Für die folgende Analyse wurden die Einschätzungen der Beteiligten zunächst deduktiv in die beiden Richtungen (Hoffnungen / Potentiale bzw. Befürchtungen / Risiken) kodiert und danach induktiv in Clustern weitergehend interpretiert. Die Analyse der Einschätzungen zeigt, dass es sich eher um globale, eher auch abstrakte Einschätzungen zum aktuellen Zeitpunkt des Schulversuchs (während des ersten Jahres der Laufzeit des vollständigen Schulversuchs) handelt und noch weniger konkrete Einschätzungen vorgenommen werden. In den aufgenommenen Einschätzungen kommen jedoch deutlich Vorerfahrungen oder Anlehnungen an alternative Erfahrungszusammenhänge zum Tragen. Diese werden auch herangezogen, um über die zukünftigen Entwicklungen und Einschätzungen in eher positiver oder eher kritischer Richtung zu sprechen.

4.3.1 Hoffnungen / Potentiale

In den Transkripten zu den Gruppendiskussionen lassen sich rund 40 Fundstellen für Hoffnungen und Potentiale auffinden, die in den folgenden Bereichen strukturiert werden:

  • Entwicklung von neuen Strukturen: In den verschiedenen Regionen setzt der Schulversuch mit seinen Entwicklungen für die regionalen Verbünde auf verschiedene Projekte und Initiativen (z. B. Selbstständige Schule und die dort eingerichteten Bildungsbüros) und den darin gemachten Erfahrungen an. Es wird jedoch mehrfach geäussert, dass durch die Ergebnisoffenheit im Schulversuch (“Aber wie gesagt, absolut ergebnisoffen“ (Gruppendiskussion 2, Abs.31) hier neue Entwicklungen befördert werden, die eben nicht das Bisherige replizieren. Die erwarteten Potentiale gehen so weit, “dass es ja auch einen grundlegenden dogmatischen Wechsel da gibt“ (Gruppendiskussion 2, Abs. 136). Dazu wird v.a. das Motiv der Förderung von Flexibilität und Gestaltungsfreiheit im Handeln der Berufskollegs adressiert ("...natürlich wünschen wir uns, ... mehr Flexibilität jetzt insgesamt für die Berufskollegs, diese Fußfesseln, dass die wegkommen “ (Gruppendiskussion 1, Abs. 64).
  • Intensivierung und Nähe zum Schulträger: Durch die verstärkte Arbeit im Verbund soll die Zusammenarbeit mit dem Schulträger intensiviert werden, um hierüber Abstimmungen und Absprachen «besser» gestalten zu können.
  • Etablierung von Handlungssicherheit im regionalen Verbund: Durch die Einrichtung von Verbundeinheiten und ggf. deren Institutionalisierung wird eine höhere Sicherheit, Klarheit und Transparenz in Bezug auf den Verbund erhofft (“... dass ich ja da auch eine gewisse Handlungssicherheit habe, okay, an wen wende ich mich? Wie wende ich mich daran (sic!)?“ (Gruppendiskussion 2, Abs. 95). Diese Nachvollziehbarkeit hilft aus Sicht der Beteiligten dann auch zur höheren Akzeptanz und macht die bestehenden Organisations- und Leitungsstrukturen auch unabhängiger von konkreten Personen.
  • Synergien, gemeinsame Nenner finden und schnellere Abstimmungen: Ein weiteres Potential von einer Ausgestaltung von Organisations- und Leitungsstrukturen wird im Ausschöpfen von Synergien zwischen den Berufskollegs in einer Region gesehen und in der erforderlichen Abstimmung untereinander. In einem klaren institutionellen Setting verspricht man sich vor allem eine Optimierung des Zusammenwirkens.
  • Verbundaufgaben und deren Etablierung unterstützen: Ein grosser Kreis von Einschätzungen zielt auf die Unterstützung der Verbundaufgaben (z. B. Organisation berufskolleg-übergreifende Bildungsangebote, Absprache mit Schulträgern, Organisation von Weiterbildung), die durch eine geeignete Organisations- und Leitungsstruktur gestärkt aufgenommen und besser unterstützt werden können.

Zusammenfassend verweisen die Hoffnungen und Potentiale sowohl auf potenzielle Effektivitätsgewinne (die Aufgaben der Berufskollegs in der Gestaltung eines möglichst für die regionalen Bedarfe passenden Bildungsangebotes in Zusammenarbeit mit dem Schulträger zeitnah zu gestalten) als auch auf Effizienzgewinne (die Abstimmungs- und Zusammenarbeitsprozesse selbst zu optimieren).

4.3.2 Befürchtungen / Risiken

Anzahlmässig weniger als Hoffnungen werden potenzielle Befürchtungen bzw. Risiken in den folgenden Themenfeldern gesehen:

  • Zukünftige Umsetzbarkeit von zu entwickelnden Organisations- und Leitungsstrukturen: Deutlich wird in der Diskussion die Sorge der Beteiligten im Schulversuch, dass Arbeiten geleistet werden, die nach Ende des Schulversuchs nicht mehr umsetzbar bzw. genehmigt werden würden. Diese wahrgenommene «Unsicherheit» in der Entwicklungsrichtung lässt sich an Einschätzungen wie der folgenden erkennen: “... genau das sind jetzt schon die Knackpunkte, wo auch die Arbeitskreissprecher nervös werden, weil sie sagen, ja, wir haben jetzt hier Ideen, aber wir wissen gar nicht, ob sich das überhaupt umsetzen lässt, ob das genehmigungsfähig ist und wenn ja, unter welchen Bedingungen“ (Gruppendiskussion 2, Abs. 95).
  • Zukünftige Nicht-Beachtung von regional differenzierten Modellen für die Organisations- und Leitungsstrukturen: Eine weitere Befürchtung ist, dass nach Ende des Schulversuchs, die ggf. jetzt entwickelten, regional spezifischen Modelle nicht mehr Bestand haben und danach in einer landesweiten Umsetzung ein Modell aufgenommen und implementiert wird. Hierunter können Diskussionsbeiträge aufgenommen werden wie z. B. “…wenn uns da was, das sehe ich als Gefahr, übergestülpt würde“ (Gruppendiskussion 2, Abs. 49). Es wird erwartet, dass in einer Verordnung ein einheitliches Modell zum “Rollout“ gebracht wird (Gruppendiskussion 2, Abs.49) “...wenn man tatsächlich hier in sehr differenzierten Modellen unterwegs ist, steigt einfach die Gefahr, dass am Ende der fünf Jahre ein etwas höherer Anteil Frustrierter aus diesem Schulversuch herausgeht“ (Gruppendiskussion 3, Abs.91).
  • Grösse und Differenziertheitsgrad als Grenze von organisier- und leitbaren Einheiten: In den Diskussionen werden insbesondere die Frage der Grösse (gemessen an den Schülerzahlen) oder der Ausdifferenziertheitsgrad (über verschiedene Berufsfelder) als kritische Grössen gesehen, wo die Steuerbarkeit als Verbund in Frage gestellt wird. Dabei werden nicht absolute Grenzen gezogen, jedoch die Frage der Grenze und wo diese liegen, gestellt.
  • Potenzielle Veränderung zu weiteren Bildungsanbietern in der Region: kritisch thematisiert wird auch, dass über die Organisation in regionalen Verbünden und über die ggf. vorgenommene Erschliessung von neuen Aufgaben (z. B. in der Weiterbildung) bestehende regionale Kooperationen belastet werden können.
  • Gefahr der selbstbezogenen Aufgabe der Verbundorganisation: Durch die aufgenommenen Diskussionen wird deutlich, dass die zentrale Ausrichtung der Organisation und Leitung von regionalen Verbünden die Mehrwertschaffung für die Zielgruppen der Regionen sein müssen. “Also, wir wollen ja nicht unser (sic!) selber organisieren und verwalten“ (Gruppendiskussion 1, Abs. 87).

Sichtbar wird in den Befürchtungen, insbesondere die schwer einzuschätzenden zukünftigen (nach dem Schulversuch) politischen Entscheidungen. Je nach antizipierter, dem Ministerium für Schule und Bildung zugeschriebener Einschätzung, werden die kritischen Einwände sehr deutlich formuliert.

5 Von Hoffnungen und Befürchtungen zu Ansatzpunkten für eine Stärken-Schwächen-Analyse

Aufbauend auf den definierten Typen für Organisations- und Leitungsstrukturen für die regionalen Verbünde der Berufskollegs in Verbindung mit den allgemeinen Einschätzungen von Hoffnungen und Befürchtungen lässt sich eine erste grobe Stärken-Schwächen-Analyse durchführen. Diese erste Analyse nimmt die grundlegenden konzeptionellen Strukturen auf. Diese erste Stärken-Schwächen-Analyse ist dabei noch nicht mit empirisch fundierten Erfahrungen unterlegt, sondern leitet sich aus den Einschätzungen in den Diskussionen heraus ab. Erst mit der Etablierung von Leitungs- und Organisationsstrukturen im regionalen Verbund und deren gemachten Erfahrungen können, die aktuell eher konzeptionell basierenden Einschätzungen mit einer weiteren Evidenzbasierung unterstützt werden. Bei vorliegenden Evidenzen müssen ggf. auch die Einschätzungen revidiert werden.

Für diese grobe konzeptionelle Einschätzung können die Stärken und Schwächen der drei Typen im folgenden tabellarischen Überblick zusammengetragen werden:

Tabelle 2:     Erste konzeptionelle Stärken- und Schwächen-Analyse der drei Typen von Organisations- und Leitungsformen

 

Stärken / Potentiale

Schwächen /Befürchtungen

«agil organisierte Unterstützung der Organisations- und Leitungs-gremien»

- Hohes Maß an Flexibilität und temporärer Anpassung

- Spezifische Entlastung der Schulleitung für spezifische Verbundprojekte

- Prozesspromotor innerhalb einzelner Verbundprojekte

- Umsetzbarkeit im geltenden Rechtsrahmen

- Fragmentierung von Verbundaufgaben

- Weniger hohe Priorisierung von Verbundaufgaben

- “Vereinnahmung“ durch Grundaufgaben

- Weniger klare Sichtbarkeit und Transparenz der Verbundaufgaben

 «Service-Verbundeinheit»

- Entlastung Schulleitungen / Sprecher*innen

- Planung / Organisation / Dokumentation
Unterstützungsaufgaben

- Service-Funktion (back office) übernimmt Fachaufgaben für den Verbund

- Fach- und Prozesspromoter des Verbundes in definierten Aufgaben

- Spezialisierung auf spezifische Verbundaufgaben

- Definierte Ansprechstelle und Adresse für spezifische Verbundaufgaben

- Zunahme von Formalisierung der Interaktionen zwischen den Berufskollegs

- Ggf. zunehmende Bürokratisierung von Verbundaufgaben

- Ggf. Überlagerungen zwischen Grundaufgaben einzelner Berufskollegs und Verbundaufgaben

- Erhöhte Komplexität und Aufteilung auf verschiedene Stellen

 «Verbundeinheit mit eigenständigen Entscheidungs- und Steuerungs-kompetenzen»

- Spezifizierung und Definition der Verbundaufgaben

- Zunehmende Entlastung Schulleitungen / Sprecher*innen
bei Verbundaufgaben

- Leitungs-, Fach- und Prozesspromotor
des Verbundes

- Spezialisierung auf umfassendere Aufgabenbündel im Verbund

- Ausweis des Knotenpunkts im Verbund

- Ggf. «Wettbewerbs-situation“ zwischen einzelnen Berufskollegs und den Verbundaufgaben

- Verantwortung für strategische Prozesse des Verbunds gebündelt in den Einheiten

- Steigende grundlegende Komplexität in der Gestaltung von Verbundaufgaben, da sich die Anzahl der beteiligten Stellen erhöht

- Zunahme der Formalisierung der Interaktionen zwischen den Berufskollegs und im Verbund

- Ggf. Zunahme von Bürokratisierung in der Bearbeitung

6 Erste Einordnung und weitere Schritte

Der landesweite Schulversuch intendiert eine explorierende und eine, möglichst an den regionalen Bedarfen ausgerichtete, Weiterentwicklung von Rahmenbedingungen für berufliche Bildung. “Damit die nordrhein-westfälischen Berufskollegs diese Herausforderungen unvermindert mit ihrem hohen Einsatz und mit kreativen Lösungen in hoher Qualität bewältigen können, müssen mögliche Veränderungen der Rahmenbedingungen ihrer Tätigkeit erprobt werden.“ (Schulministerium NRW 2020). Vor dem Hintergrund dieser grundlegenden Intention zeigen die ersten Diskussionen, dass die bisherig aufgenommenen Ausprägungen und deren Einschätzungen nicht zu einem Konsensmodell führen können, sondern eher zu einer regionalspezifischen Ausprägung spezifischer orientierender Typen. Die Diskussionen haben bisher gezeigt, dass stärker Ausdifferenzierung als adäquate Antwort auf die Herausforderungen der Berufskollegs und ihrer Zusammenarbeit mit den Schulträgern betont wird. Um den Hintergründen dieses Ausdifferenzierungsmotivs stärker nachgehen zu können werden in den nächsten Schritten im Schulversuch die regional spezifischen Besonderheiten mehr in den Fokus genommen.

Damit sind zwei Zielsetzungen verbunden: Zum einen soll die bisher vorrangig konzeptionell geführte Diskussion um die konkreten Umsetzungs- und Gestaltungserfahrungen angereichert werden. Nur so können die konkreten Erfahrungen für die Weiterentwicklung von regionalen Verbünden und deren Organisations- und Leitungsstrukturen genutzt werden. Damit wandeln sich die Typen dann auch hin zu Realtypen. Zum anderen können nur in Abhängigkeit von der differenzierten Betrachtung von regionalen Strukturen und Besonderheiten auch die Stärken und Schwächen in Relation zu den Organisations- und Leitungsstrukturen konkreter aufgezeigt werden.

Literatur

Altrichter, H./Maag Merki, K. (2010): Steuerung der Entwicklung des Schulwesens. In: Altrichter, H./Maag Merki, K. (Hrsg.): Handbuch Neue Steuerung im Schulsystem. Wiesbaden, 15-40.

Dilger, B./Bücking, K. (2015): Entwicklung von regionalen Verbund-Szenarien für berufliche Schulen. Kölner Zeitschrift für Wirtschaft und Pädagogik, Jg. 30, H. 59, 25-50.

Buschfeld, D. (1994): Kooperation an kaufmännischen Berufsschulen: Eine wirtschaftspädagogische Studie. Köln.

Hauschildt, J./Salomo, S./Kock, A./Schultz, C. (2016): Innovationsmanagement. München.

Hermstein, B. (2021): Wer spielt warum mit? Schnittstellen in der Schulsystementwicklung und Prozesse ihrer Rationalisierung. In: Die deutsche Schule, Jg. 113, H. 1, 14-29.

Kluge, S. (1999): Empirisch begründete Typenbildung. Zur Konstruktion von Typen und Typologien in der qualitativen Sozialforschung. Opladen.

Mayring, P. (2000): Qualitative Content Analysis. In: Forum Qualitative Sozialforschung/Forum Qualitative Social Research, Jg. 1, H. 2, 1-10.

Schulministerium NRW (2020): Ausschreibungstext RBZ. Online: https://www.schulministerium.nrw/system/files/media/document/file/Ausschreibungstext-RBZ.pdf (12.04.2022).

vbw - Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (Hrsg.): Führung, Leitung, Governance: Verantwortung im Bildungssystem. Gutachten. Münster. doi: 10.25656/01:22413.

Warwas, J. (2009). Berufliches Selbstverständnis und Beanspruchung in der Schulleitung. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Jg. 12, H. 3, 475-498.

 

[1]    Es wäre in einer eigenen Argumentationslinie aufzuzeigen, warum ein solcher Fixpunkt sich nicht über eine Anbindung an kommunale Koordinierungsstellen oder anderen Instanzen kommunaler Bildungslandschaften etablieren kann. In einer weiteren Argumentationslinie wäre auch zu klären, warum einzelne Bildungs- oder Kompetenzzentren (etwa von Kammern) diese „regionale“ Perspektive nicht ausfüllen, sondern darin eingebunden werden müssen.

Zitieren des Beitrags

Buschfeld, D./Dilger, B. (2020): Zwischen inneren und äußeren Angelegenheiten: Typen von Leitungs- und Organisationsstrukturen für die regionale Kooperation von berufsbildenden Schulen und Schulträgern. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Aus­­gabe 41, 1-16. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe41/buschfeld_dilger_bwpat41.pdf  (21.04.2022).