bwp@ 41 - Dezember 2021

Führung und Management beruflicher Schulen

Hrsg.: Karl Wilbers, Nicole Naeve-Stoß, Cornelia Wagner-Herrbach & Franz Gramlinger

Berliner Berufliche Schulen zwischen Eigenverantwortung und staatlicher Kontrolle

Beitrag von Hartmut Hannemann, Stefan Marien & Pit Rulff
bwp@-Format: Aus der Praxis
Schlüsselwörter: erweiterte Selbstverantwortung von Schule, Schulleitungen, Schulaufsicht

Schulen haben seit längerer Zeit vielfältige Herausforderungen aufgrund der sehr heterogenen Schülerschaft und der sich immer schneller wandelnden Lebensräume zu bewältigen. Dies gilt für berufliche Schulen in besonderem Maße, weil sie Schüler*innen im Spektrum von Berufsvorbereitung, dualen oder vollzeitschulischen Ausbildungen bis zur Hochschulreife und im Bereich Fort- und Weiterbildung zu unterrichten und zu betreuen haben. Vor diesem Hintergrund entstand die Auffassung, dass Schulen möglichst selbstständig sein sollten. Dieser Bericht aus der Praxis zeichnet die Entwicklung der eigenverantwortlichen Schule in Berlin, mit besonderem Blick auf die beruflichen Schulen, der letzten 30 Jahre nach. Er zeigt das Spannungsfeld für die Schulen zwischen Selbstständigkeit und hemmender Schulaufsicht, aber auch Voraussetzungen einer eigenverantwortlichen Schule. Neben Informationen aus offiziellen Dokumenten enthält er Einschätzungen der beteiligten Autoren, die zusätzlich einen Blick in die Zukunft werfen.

Vocational schools in Berlin between self-dependency and state control

English Abstract

For some time, schools have been managing a decreasingly heterogeneous student body as well as fast changing social environments of their students. This is a particular challenge for vocations schools mostly due to the wide range of educational branches taught under one roof (e. g. vocational preparation, vocational and advanced training, higher education entrance qualifications). For these reasons, the notion that schools should operate as autonomous as possible became common. In this practical paper, the authors trace the development of self-dependent schools in Berlin in the previous 30 years with particular focus on vocational schools. The tension between the independence of schools and the partly restraining policies of school supervisory boards is illustrated by using official documents as well as forward-looking assessments of the participating authors. Requirements for self-dependent schools are outlined.

1 Einleitung

Bei einer Sitzung des Ausschusses für Bildung, Jugend und Familie des Berliner Abgeordnetenhauses sagte der zuständige Abteilungsleiter für die berufliche Bildung zum Problem der Qualitätssicherung in der Ausbildung: „Ich möchte zum Punkt Qualität auch sagen, dass am Ende Qualität immer in der Einzelschule, egal ob privat oder öffentlich, im einzelnen Unterricht erzeugt wird. Wir [die Verwaltung] sind dafür da, die entsprechend günstigen Rahmenbedingungen zu setzen, aber das, was Bildungserfolg am Ende darstellt, muss in der Einzelschule generiert werden. Wir haben die eigenverantwortliche Schule, das gilt über alle Schularten hinweg“ (Wortprotokoll der 68. Sitzung des Ausschusses für Bildung, Jugend und Familie am 4. März 2021, 34). So richtig es ist, dass der Unterricht der wichtige Kristallisationspunkt für Qualität ist, die bei den Lernenden ankommt, so verwundert der Verweis auf die eigenverantwortliche Schule aus dem Mund eines hochrangigen Vertreters der Schulbehörde. Soll damit Verantwortung in die Schulen geschoben werden? Schulleitungen würden diese eindeutige oder gar ausschließliche Verantwortlichkeit ablehnen, weil sie ihre „Eigenverantwortlichkeit“ oft genug als nicht ausreichend ansehen. Immer noch gäbe es unklare und viele doppelte Zuständigkeiten zwischen Schulaufsicht, Schulträger und Schule sowie Eingriffe und Behinderungen seitens der Schulverwaltung.

Dieser Praxisbeitrag befasst sich mit der Entwicklung der eigenverantwortlichen Schule in Berlin seit Mitte der 90er Jahre, also seit bald 30 Jahren, und formuliert ein Fazit aus Schulleitungssicht. Mit Fokus auf der beruflichen Bildung in Berlin wird aufgezeigt, wie das Spannungsverhältnis zwischen Schulleitung und Schulaufsicht (vgl. auch Rosenbusch/Huber 2017) in Bezug auf Verantwortung, Unterstützung, Aufsicht und Kontrolle je nach bildungspolitischem Steuerungsansatz der jeweiligen Landesregierung und über die verschiedenen Modellversuche hinweg immer wieder neu ausgehandelt wird bzw. ausgehandelt werden muss. Deutlich wird in diesen Betrachtungen auch, dass neben den bildungspolitischen Leitbildern und Paradigmen, auch die jeweils handelnden Personen Einfluss darauf nehmen, wie repressiv bzw. wie permissiv die staatliche Steuerung der Einzelschule ausgestaltet ist.

Die Autoren sind ein langjähriger, ehemaliger Schulleiter eines Oberstufenzentrums, ein aktueller Schulleiter mit Leitungserfahrungen an zwei Oberstufenzentren und im Auslandsschuldienst sowie ein ehemaliger Abteilungsleiter eines Oberstufenzentrums. Der Beitrag befasst sich nicht mit Aspekten der Unterrichtsqualität, die letztlich Ziel aller Bemühungen ist, sondern mit den Voraussetzungen dafür, also mit den von außen gegebenen Rahmenbedingungen, deren Auswirkungen auf die innere Verfasstheit der Schule und dem Verhältnis zwischen Schulleitungen und Schulbehörde.

2 Die erweiterte Eigenverantwortung der Einzelschule

Die erweiterte Eigenverantwortung der einzelnen Schule erstreckt sich (auf) pädagogische, personelle, finanzielle und administrative Aspekte. Einher geht dies mit einem teilweisen Wechsel von der Inputsteuerung zu einer Outputsteuerung. Statt zu hoffen, dass bei entsprechendem Input gute Ergebnisse von den Schüler*innen in den verschiedenen Kompetenzbereichen erzielt werden, sollen Instrumente wie Schulprogramm, Schulverträge und Evaluationen genutzt werden, verbindliche Ziele und deren Überprüfung festlegen (vgl. van Buer/Köller 2009). Insofern geben Schulen Rechenschaft über ihre Tätigkeiten und Konzepte ab und können bezogen auf messbare bzw. überprüfbare Erfolge darlegen, wie sie Ressourcen genutzt haben, aber auch, was geschehen muss, um Ergebnisse zu verbessern. Wenn Schulen für die eigenen Prozess- und Ergebnisqualitäten verantwortlich sein sollen, stellt sich die Frage, welchen Einfluss auf die zugrundeliegende Potentialqualität sie für ihre Tätigkeit besitzen. D. h. je stärker die Einzelschule über sächliche, finanzielle und personale Ressourcen selbst entscheiden und je mehr sie eigene Entscheidungen für und im Schulbetrieb schaffen kann, desto eher ist von eigenverantwortlicher Schule auszugehen (vgl. Hannemann 2008, 189).

Die Idee der pädagogisch eigenverantwortlichen Schule ist allerdings um vieles älter als die Idee der Output-Steuerung. Schon 1973 hatte die Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates die Selbstständigkeit der Schulen empfohlen: „Jede staatliche Verwaltung steht vor der Schwierigkeit, dass so komplexe soziale Systeme wie die Schule nicht zentral verwaltet werden können. Wenn die immer differenzierter werdende Wirklichkeit in der Schule bewältigt werden soll, müssen die Schulen in der Lage sein, selbst flexibel und situationsgerecht zu handeln und zu entscheiden“ (Deutscher Bildungsrat 1973, 15). Es drückte die Einsicht aus, dass der Staat aufgrund zunehmender Differenzierung und Pluralisierung der Gesellschaft nicht mehr imstande sei, Bildung und Erziehung in den einzelnen Schulen zentral zu steuern. Gleichzeitig müsse jedoch weiterhin festgelegt werden, welche übergeordneten Aufgaben zentral bei der Schulaufsicht verbleiben müssten, um die Qualität des Schulwesens, z. B. die Vergleichbarkeit von Abschlüssen, zu sichern (vgl. Avenarius/Döbert 1998, 5).

3 Die Berliner Modellversuche zur Erweiterung der Eigenverantwortung der Einzelschule

3.1 Modellversuch Schule in erweiterter Verantwortung (1995 - 1998)

Berlin machte sich aufgrund eines Abgeordnetenhausbeschlusses von 1993 auf den Weg und gab ein Gutachten bei der Kienbaum Unternehmungsberatung GmbH in Auftrag zur Reorganisation der Berliner Schulverwaltung. Das Ziel, alle in Schule und Verwaltung anfallenden Aufgaben mit Leistungskennzahlen zu hinterlegen, scheiterte nach wenigen Jahren. Das Positionspapier von September 1994 „Schulen in erweiterter Verantwortung und Errichtung eines Landesschulamtes“ sah die Einrichtung eines Landesschulamtes (LSA) als operative Einheit neben der Schulverwaltung mit ministeriellen Aufgaben vor sowie für die Schulen die eigenverantwortliche Gestaltung schulischer Angelegenheiten innerhalb eines definierten Rahmens (vgl. ebd., 7). Die Senatsschulverwaltung sah ihre Aufgabe in erster Linie darin, Qualitätsstandards durch den Erlass von Rechts- und Ausführungsverordnungen sowie von Rahmenplänen vorzuschreiben. Die die Schulen sehr stark reglementierenden Vorschriften sowie die Zuweisungen von Personal- und Sachmittel wurden vorgegeben. Ein zur eigenen Verwendung zugewiesenes Budget war nicht vorgesehen (vgl. ebd., 4f.). Das Landesschulamt wurde 1995 geschaffen.

Hauptgrund war der dadurch mögliche zügige Personalausgleich zwischen den Berliner Bezirken. Nach der Vereinigung der beiden Berliner Stadthälften gab es hier deutliche Schieflagen. Die berufsbildenden Schulen wurden in einer eigenen Abteilung zusammengefasst. 2002 wurde das LSA wieder in die Schulverwaltung integriert und die berufsbildenden Schulen erhielten den Status eines 13. Bezirkes.

1995 startete in Berlin der Modellversuch „Schule in erweiterter Verantwortung" mit wissenschaftlicher Begleitung durch das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) und durch die Gesellschaft zur Förderung Pädagogischer Forschung (GFPF). Es beteiligten sich Schulen aus allen Schularten. Ziele neben erweiterten pädagogischen Freiheiten waren vor allem die Verstärkung der Eigenverantwortung der Einzelschule hinsichtlich der Entwicklung pädagogischer Profile, der Entscheidung über die Verwendung von Sach- und Personalmitteln, die Unterstützung der Dezentralisierung der Ressourcenverantwortung und die Verkürzung von Entscheidungswegen (ebd., 10f.).

Im Abschlussbericht für alle teilnehmenden 17 Schulen wird konstatiert, dass die Schulen die erweiterte Selbstständigkeit in pädagogischer Hinsicht unterschiedlich beurteilen. Offenbar hing dies von den jeweils zuständigen Schulaufsichtsbeamten ab (vgl. ebd., 61ff). Für den Bereich der Budgetierung wird zusammenfassend festgestellt, „dass die Realität im Berliner Schulwesen noch weit entfernt ist von den mit der Verwaltungsreform angestrebten Zielen“ (ebd., 48f). Als Gründe werden u. a. unklare Zuständigkeiten und „aus dem Bestreben nach ‚Besitzstandswahrung‘ resultierende Widerstände gegen eine Kompetenzverlagerung auf die Schulen“ angegeben (ebd., 49). Auch bei der Mitwirkung der Einzelschule bei Personalentscheidungen zeigten sich die Verantwortlichen in Bildungspolitik und Verwaltung kaum bereit oder fähig, die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen (vgl. ebd., 53).

An dem Modellversuch nahmen zunächst vier, dann drei Oberstufenzentren teil. Für sie ergab sich nur eine geringe Wirkung durch den Modellversuch, weil ihre Wünsche nach Übertragbarkeit von Haushaltsmitteln oder das Führen eines selbstverwalteten Einnahmen- bzw. Ausgabenkontos nicht realisiert werden konnten.

Letztlich räumt der Bericht ein, dass der dreijährige Modellversuch vor allem der „Eröffnung“ zukünftiger Entwicklungsprozesse diente und diesbezügliche Empfehlungen abgab. Zugleich wurde der größte Hemmschuh für ein Weiterkommen zur eigenständigen Schule benannt. „Als nachteilig erwiesen sich außerdem die geringe Identifikation der (derzeitigen) politischen und administrativen Führung der Berliner Schulverwaltung mit dem Modellversuch und die Neigung der Schulverwaltung und Schulaufsicht zu bürokratischer Reglementierung“ (ebd., 77). Die notwenige Umstrukturierung der Schulverwaltung und das Umdenken der Schulaufsicht hinsichtlich eines Dienstleisters für die Schulen, also eine andere Bildungssteuerung, hatte bereits 1997 ein hoher Schulverwaltungsbeamter angemahnt (vgl. Stryck 1997). Er forderte einen Paradigmenwechsel und eine „Umorganisation der Berliner Bildungsverwaltung“ (ebd., 2). Es müsse unterschieden werden zwischen dem politischen Steuerungsmanagement für den gesetzlichen und normativen Rahmen, dem Schulverwaltungsmanagement für steuerungsunterstützende Servicedienstleistungen und dem unmittelbaren Schulmanagement mit entsprechenden Verantwortlichkeiten und Kompetenzen in pädagogischen, administrativen, finanziellen und organisatorischen Angelegenheiten. Entsprechend sind die jeweiligen Kompetenzen festzulegen und die jeweiligen Ziele über Zielvereinbarungen abzusichern (vgl. ebd., 4).

3.2 Neues Berliner Schulgesetz (2004)

Im Jahr 2004 wurden das Berliner Schulgesetz und das Berliner Schulverfassungsgesetz in einem von Tom Stryck umfänglich erneuerten und langfristig erarbeiteten Schulgesetz zusammengefasst. Dieses stellt einen Paradigmenwechsel hin zur eigenverantwortlichen Schule dar. Mit den neuen Instrumenten Schulprogramm, äußere Inspektion und innere Evaluation sollte eine bessere Unterrichts- und Erziehungsarbeit und damit ein größerer Bildungserfolg für Schülerinnen, Schüler und Auszubildende erzielt werden. Das Gesetz stärkte die Rechte und Pflichten des Schulleiters bzw. der Schulleiterin und änderte seine/ihre Rolle in der Einzelschule deutlich.

Es wurde im Gesetz herausgestellt, dass der Schulleiter bzw. die Schulleiterin die „Gesamtverantwortung“ trägt. Seine bzw. ihre Verpflichtung, auf die ständige Verbesserung der Unterrichts- und Erziehungsarbeit in der Schule hinzuwirken (§ 69 Abs. 2 Nr.1 und Absatz 4 SchulG), ist Teil dieser Verantwortung. Er bzw. sie ist verpflichtet, bei Mängeln in der Qualität der pädagogischen Arbeit einzugreifen (§ 69 Abs.4 Nr. 3 SchulG). Dies geht weit über das hinaus, was vom Schulleiter bzw. von der Schulleiterin nach vorherigem Recht verlangt werden konnte. „Eingreifen“ bedeutet, dass der Schulleiter bzw. die Schulleiterin Lehrkräfte anweisen kann, bei Entscheidungen eine Korrektur vornehmen und anders zu verfahren bzw. durch Selbsteintritt eine andere Entscheidung treffen kann. Diese Befugnis war für das „neue“ Verständnis der Rolle des Schulleiters bzw. der Schulleiterin von zentraler Bedeutung, da in erster Linie nicht mehr die „ferne“ Schulaufsicht gefordert ist, sondern schulintern zu entscheiden ist.

Dem Schulleiter bzw. der Schulleiterin sind in einem nicht unwesentlichen Umfang Aufgaben eines Dienstvorgesetzten übertragen worden, u. a. auch die Erstellung dienstlicher Beurteilungen (§ 69 Abs. 6 SchulG). Bei der Einstellung und Umsetzung von Lehrkräften ist eine Mitwirkung vorgesehen (§ 69 Abs. 1 Nr. 4 SchulG), Dienstbehörde bleibt jedoch die Schulaufsichtsbehörde (§ 105 Abs. 2). Der Schulleiter bzw. die Schulleiterin bewirtschaftet die der Schule zugewiesenen Haushaltsmittel (§ 69 Abs. 3 i. V. mit § 7 Abs. 4 SchulG). Der Schulleiter bzw. die Schulleiterin muss Beschlüsse schulischer Gremien und Lehrkräfte beanstanden, wenn diese gegen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften oder gegen allgemeine pädagogische Grundsätze oder Bewertungsmaßstäbe sowie gegen Weisungen der Schulaufsichtsbehörde oder Schulbehörde verstoßen (§ 70 SchulG).

Die öffentlichen Schulen sind dabei nicht rechtsfähige Anstalten, die im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel befugt sind, Rechtsgeschäfte für das Land Berlin abzuschließen (§ 7 Abs. 1). Ihre Selbständigkeit und eigene Verantwortung im Rahmen der Vorschriften und Vorgaben werden betont, die Schulbehörden sind verpflichtet, die Schulen in ihrer Selbständigkeit und Eigenverantwortung zu unterstützen (§ 7 Abs. 2). § 106 Abs. 2 legt explizit fest, dass die Schulaufsichtsbehörde vorrangig beratend und unterstützend tätig werden soll und sie bei der Ausübung der fachlichen Aufsicht die Selbständigkeit und Eigenverantwortung der Schulen zu beachten hat.

3.3 Modellvorhaben eigenverantwortliche Schulen (MeS, 2003 - 2006)

Noch vor dem Inkrafttreten des neuen Schulgesetzes im Februar 2004 startete im Schuljahr 2003/04 das Modellvorhaben Eigenverantwortliche Schule (MeS). Das Modell nahm die Vorgaben des neuen Schulgesetzes vorweg. 31 Schulen aus allen Schulformen, davon neun berufliche bzw. zentralverwaltete Schulen nahmen teil. In den vier Arbeitsfeldern 1. Unterrichtsorganisation und Unterrichtsgestaltung, 2. Qualitätssicherung und Rechenschaftslegung, 3. Personalbewirtschaftung und 4. Sachmittelbewirtschaftung sollte den Schulen eine größere Selbstständigkeit und Entscheidungsbefugnisse gegeben werden (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport 2005, 4). Damit sollte das neue Schulgesetz von Berlin 2004, das eine größere Eigenständigkeit vorgab, umgesetzt und konkretisiert werden. Einschränkend muss erwähnt werden, dass im Zeitraum des Modellvorhabens in Berlin aufgrund haushaltsrechtlicher Vorgaben massiv im Personalbereich gespart wurde und es kaum Einstellungskorridore für Lehrpersonen gab (vgl. Fiedler/Richter/Volkholz 2007, 6).

Aufgrund der Schulgesetzänderung ging es im Modellvorhaben also nicht um das „Ob“, sondern um das „Wie“ von mehr Selbstständigkeit, also wie es durch eigenverantwortliche Schulen „zu einer deutlichen Qualitätssteigerung schulischer Arbeit“ (ebd.) kommen könnte. Die Schulverwaltung sollte diese Prozesse unterstützen. „Unter anderem ist vorgesehen, dass Schulen neue Unterrichtsformen entwickeln, am Schulprogramm und dessen Umsetzung arbeiten, ihre pädagogische Arbeit schulintern evaluieren und Konzepte zur Personalentwicklung vorlegen“ (DIPF 2004, 13). Neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Schulleitung, Schulaufsicht und Schulträgern, insbesondere in Form von Ziel- bzw. Schulvereinbarungen, sollten erprobt sowie Schlüsse für die Qualitätssicherung und Steuerung des Schulsystems gezogen werden (vgl. ebd.).

Um die neuen pädagogischen, personellen und finanziellen Gestaltungsfreiräume nutzen zu können, sollten sich die teilnehmenden Schulen ein Schulprogramm geben und „ihre besonderen pädagogischen Ziele, Schwerpunkte und Organisationsformen in Unterricht, Erziehung, Beratung und Betreuung“ (SchulG § 8 Abs. 2) definieren. Dafür erhielten sie die Möglichkeit, im personellen Bereich schulbezogene Einstellungen vorzunehmen und im kleinen Rahmen befristete Arbeitsverträge abzuschließen (Personalkostenbudgetierung im Umfang von 2 % der Personalausstattung) (vgl. Senatsverwaltung für Bildung 2005, 6f.). Im Bereich der Sachmittelbewirtschaftung bedeutete dies die Zuweisung eines Gesamtbudgets, innerhalb dessen die Mittel der Einzeltitel gegenseitig deckungsfähig waren. Gefördert wurde das Modellvorhaben durch umfangreiche und qualitativ herausragende gemeinsame Qualifizierungen der teilnehmenden Schulleitungen, Schulaufsichten dieser Schulen, Steuergruppen und Evaluationsberater. Dies war insbesondere für die Schulleitungen wichtig, die mit dem neuen Schulgesetz von 2004 Aufgaben als Dienstvorgesetzte, Teile der Personalauswahl und die Mittelbewirtschaftung übernahmen (vgl. ebd.). Die Steuerungsfunktion der Schulaufsicht wurde nicht eingeschränkt und es gab parallel auch keinen expliziten Auftrag zu Umgestaltungsvorschlägen für die Schulaufsicht. Ein gravierender Mangel, wie sich in der weiteren Entwicklung zeigen sollte.

Begleitet wurde das Modellvorhaben durch ein Board (aus Bildungspolitik und Wissenschaft), das eine übergeordnete Steuerungsfunktion für den MeS-Prozess übernahm. Das Board sollte den Prozess zwischen Verwaltung und Schulen begleiten, weil angenommen wurde, „dass die größere Selbstständigkeit von Schulen in pädagogischen Fragen, in Fragen der Schulgestaltung, der personellen Befugnisse und der Kompetenzen in der Mittelbewirtschaftung sich weder in den Schulen noch in der Verwaltung von selbst umsetzen würde“ (Fiedler/Richter/Volkholz 2007, 1). Außerdem wurde mit dem Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF)eine wissenschaftliche Begleitung herangezogen (vgl. ebd., 10).

Bereits im Zwischenbericht (Juni 2005) berichteten Schulen, dass die eigenen Einstellungsverfahren und die Personalkostenbudgetierung zu einer schnelleren und besseren Unterrichtsversorgung geführt hätten, auch wenn damit erhöhte Verwaltungsaufgaben verbunden sind. Durch die Übertragung der Mittel ins nächste Haushaltsjahr sei ein sorgsamerer Umgang mit den Mitteln erfolgt (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport 2005, z. B. 28). Im Abschlussbericht des DIPF wird festgehalten, dass die beruflichen Schulen mit der Ausschreibung und Besetzung schulbezogener Stellen insgesamt zufrieden sind und ihre größere Entscheidungsfreiheit wahrnehmen. Gleichermaßen gilt dies für das Instrument der Personalkostenbudgetierung, dass nach dem Vorlauf seit 2001 bei den beruflichen Schulen weitgehend etabliert ist (vgl. ebd., 179). Allerdings ist beides mit erhöhtem Aufwand verbunden und die Schulverwaltung bei den Einstellungszusagen zu langsam (vgl. DIPF 2006, 112f). Die Personalkostenbudgetierung führe leider nicht zu längeren oder dauerhaften Beschäftigungen (vgl. ebd., 114). Möglichkeiten zur befristeten Beschäftigung des sonstigen schulischen Personals (Verwaltung, Sekretariat, EDV-Wartung, etc.) wurden von den Schulleitungen als zu gering bewertet (vgl. ebd.). Erst über zehn Jahre später wurden an den beruflichen Schulen dauerhafte Stellen für Verwaltungsbeauftragte und teilweise für Systemadministratoren geschaffen.

Fortschritte hinsichtlich der Eigenverantwortlichkeit der Schulen wurden auch durch die Sachmittelbewirtschaftung gesehen. Die positive Einschätzung wurde nur dadurch getrübt, dass aus Sicht der Schulen zu wenig Mittel zur Verfügung gestellt wurden, so dass z. B. für die Übertragbarkeit ins nächste Haushaltsjahr keine Mittel gespart werden konnten (vgl. DIPF 2006, 182). Begleitet wurde diese Kritik von der Forderung nach einer abschreibungsbasierten, kaufmännischen Finanz- und Investitionsplanung statt des kameralistischen Haushaltsprinzips.

Die Schulleitungen der beruflichen Schulen zeigten sich letztlich mit dem Modellvorhaben weitgehend zufrieden und forderten vorrangig weitere Kompetenzen im Bereich der Personalhoheit und Sachmittelbewirtschaftung bei verbesserten Ressourcen in diesen Bereichen. Sie mahnten aufgrund der zusätzlichen Belastungen außerdem eine erhöhte Leitungszeit für die sorgfältige Planung, Steuerung und Evaluation der eigenverantwortlichen Schule an (vgl. Gemeinsame Stellungnahme der beruflichen Schulen zu 3 Jahren MeS vom 21.09.2006), wie es auch die Empfehlungen des DIPF benannten (vgl. Avenarius 2007, 5).

Als ein zukünftiges Steuerungsinstrument sollte beim Modellvorhaben das Instrument Zielvereinbarungen zwischen Schulaufsicht und Schulen geprüft werden. In diesem Zusammenhang wurde deutlich, dass auf der einen Seite die Schulen bzw. die Schulleitungen Ziele formulieren und Umsetzungszusagen machen konnten, auf der anderen Seite aber hatten die jeweiligen Schulaufsichten keine Kompetenzen und Mittel, ihrerseits Vereinbarungen zu treffen. Damit gab es nur eine verbindliche Zusage der Schulen und keine Gegenleistung der Schulaufsicht.

Die Mitglieder des Boards konstatierten in ihren Empfehlungen am Ende des Modellvorhabens: „Schulen, Schulverwaltung und Schulaufsicht sind auch durch das Modellvorhaben noch nicht zu einer Kommunikationsform gelangt, die Verhandlungen und Vereinbarungen auf einer gemeinsam getragenen Vertrauensgrundlage zur Selbstverständlichkeit gemacht hat“ (Fiedler/Richter/Volkholz, 2007, 9). Es bedürfe noch erheblicher Anstrengungen, das bisherige Verhältnis im Sinne einer größeren Eigenverantwortung der Schulen zu verändern (vgl. ebd.). Nach wie vor gäbe es zu viele Anweisungen und Verordnungen, die Verfahrensweisen in Schulen betreffen und von den Schulen als zu starke Eingriffe wahrgenommen werden (vgl. ebd.).

So schrieb auch Avenarius in den Empfehlungen des DIPF: „Der Paradigmenwechsel in der Steuerung des Berliner Schulwesens wird in der Praxis nur gelingen, wenn die Schulräte für ihre neue Rolle als professionell arbeitende Berater der Schulen qualifiziert werden. Personalentwicklung durch Fortbildungsmaßnahmen (Workshops, Seminare u.a.), Mitarbeitergespräche und Zielvereinbarungen ist daher nicht nur ein an die Schulen zu richtendes Postulat, sondern auch eine Herausforderung, der sich die Senatsschulverwaltung in Bezug auf die Schulräte ihrerseits stellen muss“ (Avenarius 2007, 6).

Die beteiligten Schulen bekamen durch das gesamte Vorhaben, die materiellen und personellen Unterstützungen bis hin zur wissenschaftlichen Begleitung, einen gewaltigen Schub in ihrer Schulentwicklung. (Dies lag auch an der erfolgreichen MeS-Projektleitung durch das Team um den späteren Leiter einer Abteilung der Bildungsverwaltung, der später auch die Schulstrukturreform mit der Einführung der Integrierten Sekundarschule verantwortete.) Die gemeinsame Arbeit mit Gleichgesinnten während des MeS-Projekts war sehr förderlich und die Teamarbeit bekam auf allen Beteiligungsstufen eine neue und tragende Bedeutung (vgl. Rulff 2007). Es war eine Zeit des Aufbruchs. Es bildeten sich neue schulzweigübergreifende Partnerschaften, Freundschaften und gegenseitige Unterstützungssysteme. Letztlich sahen die beteiligten beruflichen Schulen das Modellvorhaben und das neue Schulgesetz als Ausgangspunkte zur Entwicklung der eigenverantwortlichen Schule an. Es gab Freiräume auf allen Ebenen der Schulentwicklung und damit der Schulerfolge der Schüler*innen und Auszubildenden. Diese Freiräume mussten aber auch intelligent und selbstbewusst genutzt werden. Deutlich war aber neben der gestiegenen Anstrengungsbereitschaft und Arbeitszufriedenheit der Belastungsumfang aller Schulbeteiligten. Der Arbeitsumfang bei der kurzfristigen Personalbeschaffung und die Umsetzung der Sachmittelhaushalte trugen ihren Teil dazu bei.

3.4 Oberstufenzentren zu Kompetenzzentren

Im Schulgesetz 2004 von Berlin fand sich im § 35 das erste Mal die Formulierung „Oberstufenzentren … sollen sich zu Kompetenzzentren entwickeln“. Grundgedanke der Kompetenzzentren war, dass berufliche Schulen ihr spezifisches Handlungsfeld über ihre Pflichtaufgaben hinaus erweitern. Dazu gehört auch, Kooperationen mit Unternehmen, Forschungseinrichtungen usw. einzugehen und der regionalen Wirtschaft im Bereich der Fort- und Weiterbildung Angebote zu machen und Einnahmen zu generieren. Als erstes Oberstufenzentrum bezeichnete sich bereits 2003 das Oberstufenzentrum Wirtschaftssprachen (Friedrich-List-Schule) in Schöneberg als „Kompetenzzentrum Internationale Beziehungen“ und bot für alle beruflichen Schulen Berlins Serviceleistungen im Bereich der Auslandspraktika für Schülerinnen und Schüler an. Im Jahr 2016 wurde aufgrund der Fusion mit einer anderen Schule und damit verbundener Umsetzungsanträge des Großteils des Kollegiums und die Auslagerung der Serviceleistungen die Bezeichnung „Kompetenzzentrum“ aufgegeben.

Die Projektidee Oberstufenzentren zu Kompetenzzentren wurde allerdings erst 2011 auf der Basis neuer Koalitionsvereinbarungen wieder aktuell. Ein wesentlicher Grund seitens der Schulleitungen die Berliner Diskussion um selbstständigere berufliche Schulen und Oberstufenzentren erneut zu aktivieren, war die anhaltende Unzufriedenheit der Schulleitungen mit den Organisationskompetenzen der zuständigen Schulaufsicht und deren Bereitschaft zu Transparenz und Beteiligung der Schulleitungen. Die Schulleitungen als Entscheider vor Ort fühlten sich oft allein gelassen oder schlecht zu Entscheidungsgrundlagen informiert.

Im März 2011 fand eine Fachtagung zum Thema „Entwicklung beruflicher Schulen zu Kompetenzzentren“ statt, auf der u. a. das Konzept des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung (HIBB) vorgestellt wurde. Nach der Fachtagung benannte die Referatsleitung berufsbildende Schulen im März 2012 eine Arbeitsgruppe aus Berliner beruflichen Schulleitungen, schulischen Qualitätsbeauftragten und der Bildungsverwaltung, die 2013 einen Bericht vorlegte (vgl. Arbeitsgruppe Berufliche Schulen zu Kompetenzzentren 2013). Der Bericht enthält im Wesentlichen ein Konzept zur stärkeren Eigenständigkeit der Schulen insgesamt und einige Hinweise, wie die Eigenständigkeit auf Einzelschulebene umzusetzen ist. Der Bericht befasste sich gleichfalls mit Umstrukturierungen in der Senatsverwaltung, u. a. mit der Einrichtung einer organisatorischen (rechtlich nicht selbständigen) Einheit als Landesinstitut.

Der Entstehungsprozess des Berichts war sehr schwierig und wurde seitens der Schulleitungen zeitweise unterbrochen, weil keine konstruktive Zusammenarbeit mit der Schulaufsicht stattfand. Erst als sich der Staatssekretär für Bildung Marc Rackles (SPD) persönlich damit befasste, kam es zum Ergebnis bzw. zu einem Bericht. Nach Veröffentlichung dieses Berichts gab es mehrere Bedenken. So wies die Vereinigung der Leitungen berufsbildender Schulen in Berlin e. V. „Berufliche Bildung in Berlin“ darauf hin, dass der Bericht nur der erste Teil eines zweistufigen Prozesses sein könne, nämlich eine Verwaltungsreform. Ein zweiter Teil, der die Steuerung der Schulen und die Möglichkeiten der Partizipation beschreibt, fehle noch (vgl. Vereinigung der Leitungen berufsbildender Schulen in Berlin e. V. „Berufliche Bildung in Berlin“ 2013). Entsprechendes forderte auch die GEW Berlin, die allerdings eine eigene Bewirtschaftung von Stellen durch die Einzelschulen ablehnte, weil sie u. a. „die Gefahr deregulierter und prekärer Arbeitsverhältnisse“ sah (GEW Berlin 2013). Dahinter stand auch die Befürchtung, dass es zu Schulpersonalräten kommen müsste und damit die GEW-dominierten zentralen Räte weniger Kontrolle bzw. Einfluss hätten.

3.5 Projekt mit Widerständen „Pro WebeSO I und II“

Zu Beginn 2015 wurde eine neue Arbeitsgruppe eingerichtet zur„Weiterentwicklung und Stärkung der beruflichen Schulen und OSZ (Pro WebeSO). „Die Projektarbeitsgruppe … u. a. den Auftrag zu prüfen, „welche Maßnahmen … zur Stärkung der beruflichen Schulen und OSZ im Rahmen der eigenverantwortlichen Schule notwendig (sind)“ (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2015a, 3). Sie wurde extern durch einen Berater aus Hamburg (einen pensionierten Oberschulrat) geleitet wurde. Der von der Schulverwaltung zusammengestellten Gruppe gehörten Schulleiter*innen und Schulaufsichtsbeamt*innen an. 

Bereits im Zwischenbericht im September 2015 wurde konstatiert, dass sich die Schulleitungen „mehr Handlungsmöglichkeiten bspw. bei der Bewirtschaftung von Sach- und Investitionsmitteln, v. a. aber auch im Personalverfahren PKB (wünschten)“ (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2015b, 20). Für eine Flexibilisierung bei der Bewirtschaftung von Haushaltsmitteln empfahl der Zwischenbericht „die uneingeschränkte gegenseitige Deckungsfähigkeit aller Haushaltstitel von Sachmitteln“ (ebd.). Angeregt wurde ein Sachmittelfonds zur Selbstbewirtschaftung durch die Schulleitungen (vgl. ebd.). Unabhängig von diesem Vorschlag der Projektgruppe wurde ab dem Schuljahr 2016/17 berlinweit für alle Schulen ein sogenannter „Verfügungsfonds“ mit bis zu 25.000 Euro pro Schule eingeführt und verschaffte den Schulleitungen finanzielle Spielräume für die Unterrichts- und Personalentwicklung. Zielstellung des Verfügungsfonds war es, dass Schulen im Rahmen ihrer eigenverantwortlichen Bewirtschaftung vorzugsweise Fortbildungs- und Qualifizierungsbedarfe, Koordinationsaufwendungen für die Inklusion und Honorarverträge realisieren können. Auch bestand die Möglichkeit, Ausgaben für Ausstattungs- und Ausrüstungsgegenstände, Geräte und Geschäftsbedarf aus dem Verfügungsfonds zu leisten (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2016b).

Der Vorschlag des Zwischenberichts, Schulen zu eigenständigen Dienststellen mit Personalverantwortung und eigenem Personalrat umzugestalten, stieß bei den ausgewählten Schulleitungen auf Zurückhaltung (vgl. ebd.). Diese Schulleitungen wünschten zwar eine erweiterte Verantwortung für Ausschreibungen und Auswahl beim Lehrpersonal sowie dem nichtpädagogischen Personal, wollten aber aus Gründen der Effizienz an einer zentralen Personalverwaltung festhalten (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2015b, 21). Bei der Zusammenarbeit mit der Bildungsverwaltung „fordern die Schulleitungen Transparenz über die Kernprozesse der Senatsverwaltung, Zuverlässigkeit bei der Einhaltung von getroffenen Vereinbarungen sowie eine offene Kommunikation von Entscheidungen seitens der Senatsverwaltung“ (ebd., 24). Da die Schulen über Zielvereinbarungen zu Abschlüssen, zum Schulprogramm und zur Evaluation gesteuert werden sollen, wurde „eine verbindliche Reflexion der Evaluationsergebnisse mit der zuständigen Schulaufsicht“ eingefordert (ebd.). Wie ungeklärt das Verhältnis und die Zuständigkeiten zwischen Schulleitungen und Schulaufsicht war, zeigte ein internes Papier einer der Autoren, das in über 70% der Aufgaben und Entscheidungsfelder doppelte bzw. ungeklärte Zuständigkeiten aufwies.

Mit dem Zwischenbericht für Pro WebeSO verabschiedete man sich nebenbei vom Begriff „Kompetenzzentrum“, weil der damit verbundene Einstieg in den Fort- und Weiterbildungsmarkt von den Berliner Wirtschaftsverbänden abgelehnt wurde (vgl. ebd., 21f.). Der Zwischenbericht hielt fest, dass „die bereits jetzt schon weitgehend eigenverantwortlich zu gestaltenden Handlungsfelder Unterrichtsentwicklung (UE), Personalentwicklung (PE) sowie Organisationsentwicklung (OE) … von allen Schulleitungen als Kernaufgabe wahrgenommen (werden)“ (ebd., 19), wenn sie sich auch weitere Handlungsmöglichkeiten bei der Bewirtschaftung von Sach- und Investitionsmitteln und im Personalverfahren PKB wünschten (vgl. ebd., 20). Zudem wurde konstatiert, dass die Leitungsstrukturen „eine vergleichsweise flexible Handhabung der Zuordnung von Stellen zu Aufgaben in einem Geschäftsverteilungsplan“ ermöglichten (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2015b, 6) und damit einen weiteren selbstbestimmten Gestaltungsspielraum innerhalb der Schulen darstellten (vgl. VV Zuordnung vom 29.12.2010). Gewünscht wurde die Möglichkeit von Stellenbesetzungen auf Zeit und die Flexibilisierung der Stellenstrukturen hinsichtlich Wertigkeit und Anzahl (vgl. ebd., 7). Ergebnis war die Handlungsempfehlung für einen Pilotversuch mit einigen Schulen, das Konzept der eigenverantwortlichen Schule (EVS) weiterzuentwickeln und dabei Ergebnisse des Modellvorhabens Eigenverantwortliche Schule (MeS) zu berücksichtigen (vgl. ebd., 12). Schulleitungen kritisieren, dass der Handlungsempfehlung bis heute nichts folgte.

Im April 2016 wurde das Projekt für die beruflichen Schulen als Pro WebeSO II fortgesetzt. Die Teilprojektgruppe (TPG) „Steuerung und Qualitätsmanagement“ gab im Abschlussbericht 2018 mehrere Empfehlungen (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2018). Die erste Empfehlung sieht ein gemeinsames Web-Portal vor, in dem zentral Prozessbeschreibungen, Informationen, Dokumente und Formulare abgelegt werden, die die Eigenverantwortlichkeit der Schulen unterstützen. Das Web-Portal wurde anschließend eingeführt und wird von den Leitungen der beruflichen Schulen als sehr hilfreich angesehen, weil es verlässliche Informationen verschafft, Prozesse beschreibt, Transparenz schafft und ihre selbstständige Arbeit deutlich erhöht. Eine ständige Erweiterung und Evaluation des Portals ist nach Auffassung der Schulleitungen unerlässlich.

Die zweite Empfehlung befasste sich mit Qualitätsstandards an den beruflichen Schulen, die durch ein Indikatorenmodell gewährleistet werden sollen. Schulleitungen kritisieren nicht die Anwendung eines Indikatorenmodells, jedoch dessen Verwendbarkeit bzw. die mangelnden Hinweise zu dessen Nutzung. Zur zweiten Empfehlung gehört die Einrichtung einer Stabsstelle für Qualitätsmanagement in der zuständigen Abteilung berufliche Bildung in der Senatsverwaltung (vgl. ebd., 4). Bis April 2022 war diese Stelle zwar geschaffen worden, jedoch - wie oft in Berlin - noch nicht besetzt.

Letztlich kam der Abschlussbericht zum Ergebnis: „Insgesamt bleiben die konkreten Ergebnisse der Teilprojektgruppen hinter den im Projektauftrag formulierten Zielen zurück“ (ebd., 9). Die Zufriedenheit der Schulleitungen mit dem Fortschritt der angestoßenen Prozesse und ihren zuständigen Schulaufsichten würde immer noch sehr stark von den in der Abteilung berufliche Bildung handelnden Personen und weniger von einer klaren Struktur abhängen. Daraus resultieren erneute Überlegungen der Vereinigung der Leitungen berufsbildender Schulen in Berlin e. V. „Berufliche Bildung in Berlin“, die Einrichtung eines „Landesinstitutes für Berufliche Schulen LIBS“ zu prüfen, denn noch immer sei es nicht gelungen, mit der Abteilung beruflicher Schulen ein gut funktionierendes Unterstützungssystem für die beruflichen Schulen/OSZ zu schaffen.

Eine schmerzhafte Einschränkung erfuhren alle Berliner Schulen durch die Kürzung des Verfügungsfonds (vgl. Tagesspiegel vom 21.03.2022). Im Berliner Haushaltsplan sind statt 12,3 Mio. Euro nur noch 4,85 Mio. Euro für 2022 vorgesehen. Dies entspricht Kürzungen von 15.000 – 30.000 Euro (je nach Schulgröße) auf ca. 3.000 Euro pro Schule. Die Kürzung des Verfügungsfonds ohne Rücksprache mit den Schulleitungen zeigt, dass man häufig einen einfachen Weg beschreiten will, der aber für die Schulen nicht besonders zielführend ist. Eine Beteiligung der Schulen sowie eine schonungslose Ausgabenkritik erfolgen dabei nicht. Der Berliner Haushalt 2022/23 ist noch nicht abschließend entschieden worden, aber nach letzten Meldungen soll die Kürzung zurückgenommen werden (vgl. Tagesspiegel vom 27.04.2022).

3.6 Projektgruppe „Qualitätsmanagement in der Schulaufsicht“

Eine Projektgruppe hatte 2007 den Auftrag bekommen, „die Arbeit der Schulaufsicht zu analysieren, Prozesse zu standardisieren, Schnittstellen zu definieren und konkrete Vorschläge zu erarbeiten, wie das Qualitätsmanagement in der Schulaufsicht eingeführt werden kann“ (Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2007, 4). Der Abschlussbericht kritisierte die Arbeit der Schulaufsicht in vielerlei Hinsicht hart und stellte eine große Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung der Schulaufsicht fest (vgl. ebd., 9). Die weitreichenden Vorschläge der Projektgruppe wurden kaum weiterverfolgt. Ein „Qualitätshandbuch Schulaufsicht“ wurde im März 2011 intern fertiggestellt, hatte jedoch eher empfehlenden Charakter und wurde weder veröffentlicht noch explizit umgesetzt. Intern wurde kolportiert, die dort aufgestellten bzw. geforderten Standards ließen sich gegen das Beharrungsvermögen der Schulaufsicht nicht durchsetzen.

Das untermauert auch Jahre später eine 2019 berufene Expertenkommission zur Schulqualität in Berlin. Sie hat im Herbst 2020 ihren Abschlussbericht vorgelegt (sog. Köller-Bericht). Die Kommission empfiehlt zahlreiche Maßnahmen zur Steigerung der Qualität von Bildung und Unterricht in Berlin (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2020, 11). Zur Professionalisierung der Arbeit der Schulaufsicht heißt es dort: „Die Schulverwaltung wird in einem dialogischen Prozess mit Schulen, Schulaufsicht und Schulträgern bis Ende 2020 das „Qualitätshandbuch Schulaufsicht“ weiterentwickeln. Ergebnisse sind bisher nicht bekannt.

4 Fazit

Betrachtet man die Entwicklung zur eigenverantwortlichen Schule seit 1995, so besitzen die Schulleitungen heute wesentlich größere Gestaltungsspielräume, gerade die beruflichen Schulen. Ein Grund ist das Berliner Schulgesetz von 2004 mit der Stärkung der Schulleitungen. Ein weiterer Punkt ist, dass die Schulen durch Schulprogramme und Schulverträge im Rahmen bildungspolitischer Vorgaben wie dem Handlungsrahmen Schulqualität und der Handreichung zum Abschluss eines Schulvertrages ihre Qualitäts- und Ergebnisziele selbst setzen können und darüber Rechenschaft ablegen müssen. Dies soll auf der Grundlage verlässlicher Daten und klarer Rahmenbedingungen geschehen, die allerdings überwiegend fehlen. Einen vollumfänglichen Schulentwicklungsplan für die beruflichen Schulen gibt es seit 2012 nicht mehr, obwohl dies die letzten Koalitionsvereinbarungen vorsahen. Empfehlungen von Pro WeSo II können dies nicht ersetzen. Ohne Schulentwicklungsplan gibt es keine Zielrichtung über die Entwicklung des beruflichen Schulwesens in Berlin und seiner Schulen sowie keine regelmäßige Evaluation der Arbeit der Abteilung berufliche Schulen.

Hinsichtlich innerer Struktur sind den Schulen eigene Geschäftsverteilungspläne und Leitungsstrukturen möglich, aber auch notwendig, was sich auf innere Prozesse positiv auswirken kann. Im Bereich der Personaleinstellungen und -umsetzungen haben sie eine größere Beteiligung, bei schulspezifischen Stellenausschreibungen quasi Alleinentscheidung. Das Instrument Personalkostenbudgetierung für kurzfristige Vertretungen ist als Regelinstrument etabliert, wenn auch mit einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden. Schulleitungen werden durch Verwaltungsbeauftragte personell unterstützt, viele Oberstufenzentren haben seit kurzem Systemadministratoren für den IT-Bereich, zumindest tageweise. Für die Telefonsysteme gibt es andererseits keine Selbstständigkeit, die Anlagen müssen teuer über das IT-Dienstleistungszentrum (ITDZ) bezogen und bezahlt werden. Bei der Budgetierung sind die Schulleitungen nur innerhalb der Einzeltitel eigenständig, ansonsten gibt es keine Spielräume im Gesamtbudget. Enorm hilfreich war in den letzten fünf Jahren der Verfügungsfonds, der den Schulen große finanzielle Spielräume verschaffte.

Die Schulleitungen der beruflichen Schulen fordern für ihre Selbstständigkeit weitere Entscheidungskompetenzen, u. a.:

  • Vollständige Entscheidung über Personaleinstellungen, auch für einen Einstellungskorridor über 100 % Ausstattung, um Fachkräfte zu halten,
  • Einsatz von PKB-Mitteln für Verwaltungskräfte und unterrichtsnahes Personal sowie befristete Einstellungen für Projekte,
  • Schaffung eines Gesamtbudgets,
  • Erprobung schulspezifischer Arbeitszeitmodelle (unter Beteiligung schulischer Gremien).

Für das Verhältnis zur Verwaltung wird ein Dienstleistungsverständnis der Schulaufsicht gewünscht, verbindliche Fristen für Serviceleistungen der Schulverwaltung, eindeutige Verteilung der Zuständigkeiten innerhalb der Verwaltung und eine regelmäßige Evaluation der Schulbehörde. Dies steht mindestens seit 2007 auf der Agenda der Schulleitungen.

Als Fazit kann gezogen werden, dass die Schulleitungen der beruflichen Schulen größere Entscheidungs- und Gestaltungskompetenzen als früher besitzen und die „eigenverantwortliche Schule“ in mancherlei Hinsicht vorangekommen ist. Nicht alle Schulen nutzen jedoch diese Möglichkeiten. Zum Teil wird der Arbeitsaufwand dafür als zu groß empfunden, oft fehlt der Mut oder es fehlt an personellen Unterstützungen. Es gibt wenig externe Prozessberatungen, für die zukünftig auch die Mittel fehlen werden. Außerdem gab es lange Jahre mangelnde Leitungs-, Arbeits- und Verantwortungsstrukturen in der Abteilung IV für die berufliche Bildung, die die Entscheidungsprozesse gelähmt und zu Kommunikationsstörungen zwischen Schulaufsicht und Schulleitungen geführt haben. Von einer eigenverantwortlichen Schule kann daher noch lange nicht gesprochen werden.

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Zitieren des Beitrags

Hannemann, H./Marien, S./Rulff, P. (2022): Berliner Berufliche Schulen zwischen Eigenverantwortung und staatlicher Kontrolle. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 41, 1-16. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe41/hannemann_etal_bwpat41.pdf (22.05.2022).