bwp@ 41 - Dezember 2021

Führung und Management beruflicher Schulen

Hrsg.: Karl Wilbers, Nicole Naeve-Stoß, Cornelia Wagner-Herrbach & Franz Gramlinger

Stärkung der Schulführungskapazität durch verteilte Führung

Beitrag von Roman Capaul
Schlüsselwörter: Verteilte Führung, Gemeinschaftliche Führung, Mittlere Führungsebene, Schulführungskapazität, Delegation, Shared Leadership, Distributed Leadership, Teacher Leadership

Berufsschulen sind wachsenden Herausforderungen, wie Digitalisierung, neue Berufsausbildungen, Anpassung von Lehrplänen, Aufbau von Kompetenzzentren oder heterogeneren Schulklassen ausgesetzt. Die Schuleffektivitätsforschung zeigt auf, dass Schulen mit etablierten Formen von „Shared and distributed Leadership“ solche Herausforderungen besser bewältigen können und erfolgreicher sind als Schulen ohne eine Form von mittlerer Führungsebene. Zu Beginn wird die normative Basis und das Führungsverständnis offengelegt. Das Konzept der mittleren Führungsebene bewegt sich in diversen Spannungsfeldern. Es wird aufgezeigt, wie mit verschiedenen Funktionen die mittlere Führungsebene an Berufsschulen gestärkt und die Schulführungskapazität dadurch ausgebaut werden kann. Strukturelle Anpassungen stehen dabei immer in wechselseitiger Verbindung zur Schulkultur und Strategie. Basierend auf Praxiserfahrungen werden Gelingensbedingungen auf der Ebene Individuum, Schule und Bildungssystem für die Etablierung einer mittleren Führungsebene analysiert. Weiter werden konkrete Formen der mittleren Führungsebene beschrieben. Handlungsempfehlungen für Mitglieder von Schulleitungen, Schulbehörden und Schulträger schließen den Beitrag ab.

Strengthening school leadership capacity through shared and distributed leadership

English Abstract

Vocational schools are facing growing challenges such as digitalisation, new vocational training, adaptation of curricula, development of competence centres or more heterogeneous school classes. School effectiveness research shows that schools with established forms of „Shared and distributed leadership“ are better able to cope with such challenges and are more successful than schools without any form of middle leadership. At the outset, the normative basis and understanding of leadership is revealed. The concept of middle leadership operates in various areas of tension. It is shown how the middle leadership level at vocational schools can be strengthened with various functions and how the school leadership capacity can be expanded as a result. Structural adjustments are always interrelated with school culture and strategy. Based on practical experience, the conditions for success at the individual level, school level and education system level for establishing a middle leadership level are analysed. Furthermore, concrete forms of middle leadership are described. The article concludes with recommendations for action for principals, school authorities and school board.

1 Einleitung

1.1 Eigenschaften von Berufsschulen

Berufsschulen sind erstens offene Systeme, eingebettet in dynamische, sich immer rascher entwickelnde gesellschaftliche, rechtliche, ökonomische, politische, technologische und pädagogische Umwelten (Capaul/Seitz/Keller 2020). Zweitens sind Berufsschulen in einem hohen Masse arbeitsteilige Expertenorganisationen. Das heißt, die Lehrpersonen sind in ihren Fachbereichen Expertinnen und Experten. Sie leisten aus ihrer Fachbereichsperspektive einen Beitrag an den gesamten Bildungsauftrag der Schule. Schulleitungen koordinieren das Zusammenspiel der Expertinnen und Experten innerhalb und zwischen den Fachbereichen, können aber nur sehr eingeschränkt und indirekt fachliche Impulse an die Lehrpersonen geben. Der Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler hängt in hohem Masse von den Lehrpersonen selber („Teacher matters“), dem sozio-ökonomischen Status der Eltern, den Rahmenbedingungen der Schule für den Unterricht (Schulkultur, Infrastruktur, Alltagsorganisation, Lehrmaterialien) und den Bedingungen im Klassenzimmer (Zusammensetzung und Größe der Klasse, Vorwissen der Schülerinnen und Schüler) ab (Wahlstrom/Seashore Louis/Leithwood/Anderson 2010). Diese Entwicklungsdynamiken und die Eigenschaft der Expertenorganisation erfordern im Alltag rasches und fachkompetentes Handeln. Eine Organisation hat flexibel, beweglich und innovativ zu sein. Eine Möglichkeit, die Schulführungskapazität zu erweitern und damit als Organisation leistungsfähiger und beweglicher zu machen, ist die bewusste Ausgestaltung einer mittleren Führungsebene. Damit sind pädagogische Fachpersonen gemeint, die für einzelne, Bereiche oder Themen – neben der Schulleitung – Führungsverantwortung tragen.

Dieser Beitrag zeigt aus einer schweizerischen Perspektive, wie die mittlere Führungsebene ausgestaltet werden kann. Die personalrechtlichen Rahmenbedingungen sowie die Ressourcenausstattung in Form von Entlastungslektionen für zusätzliche Führungsaufgaben von Lehrpersonen unterscheiden sich je nach Bundesland oder in der Schweiz je nach Kanton z. T. erheblich. Entsprechend ist auch die konkrete Ausgestaltung der mittleren Führungsebene in der Praxis sehr verschieden. In diesem Beitrag wird, basierend auf Erkenntnissen der Schuleffektivitätsforschung, eine möglichst ideale Vorstellung von mittlerer Führungsebene beschrieben.

1.2 Wachsende Herausforderungen

Die auf die Berufsschulen einwirkenden Entwicklungsdynamiken nehmen tendenziell zu und werden insgesamt komplexer. Folgenden Herausforderungen müssen sich die Schulleitungen zunehmend stellen:

  • Die Digitalisierung verändert gewisse Berufsfelder disruptiv. Dies löst Anpassungen in den Lehrplänen aus. Sie schafft auch neue methodisch-didaktische Möglichkeiten im Unterrichtsalltag, in der Zusammenarbeit unter den Lehrpersonen sowie in der Führung und Organisation der Schule selbst (vgl. auch Anders et al. 2021, 153f.).
  • Der Lehrberuf ist tendenziell immer mehr zu einem Teilzeitberuf nebst Familienarbeit oder Arbeit in der Berufspraxis geworden. Um die gleiche Anzahl Lektionen zu unterrichten, sind mehr Lehrpersonen erforderlich. Die Führungsspanne der Schulleitung wird dadurch erweitert. Die Zusammenarbeit unter den Lehrpersonen wird schwieriger, da man sich nicht mehr täglich im Schulhaus begegnet.
  • Durch die Migration verändert sich die Zusammensetzung der Bevölkerung und damit auch der Schulklassen. Die Lernvoraussetzungen, Lernbiografien, kulturelle Werte, familiären und kulturellen Hintergründe der Schülerinnen und Schüler werden zunehmend heterogener. Dies löst neue pädagogische Fragen und Handlungsnotwendigkeiten aus, die im Dialog erarbeitet werden müssen. Gemeinsam erarbeitete, im Alltag sichtbare und laufend gepflegte Schulleitbilder werden noch relevanter, um für alle Anspruchsgruppen der Schule Orientierung zu schaffen. Personalisiertere und individuellere Lernformate werden wichtiger.
  • Die duale Berufsausbildung und die gymnasiale Vollzeitausbildung ergänzen sich und schaffen eine ausdifferenzierte Sekundarstufe II. Die beiden Ausbildungswege stehen aber auch in gegenseitiger Konkurrenz. Jede Schule muss sich im Bildungssystem durch eine sichtbare Strategie positionieren und laufend profilieren.
  • Berufsschulen müssen sich gegenüber den Schulträgern vermehrt über deren Mittelverwendung und Zielerreichung rechtfertigen („Accountability“). Qualitätsmanagementsysteme müssen entwickelt, etabliert und zweckmäßig betrieben werden.
  • Die Corona-Pandemie hat die Schulen in dieser Größenordnung weitgehend unvorbereitet vor unerwartete Herausforderungen gestellt. Die Raschheit und Intensität der Pandemie war ein externer Schock. Die ökologische, ökonomische, technische, rechtliche, gesellschaftliche, pädagogische und politische Umweltsphären interagierten plötzlich hochdynamisch und stellten die Schulen fast über Nacht vor eine völlig neue Ausgangslage, die sich täglich und schwer planbar verändert. Um solche Komplexitäten innerhalb der Organisation Schule erfolgreich zu bewältigen, sind möglichst breit verteilte Führungskapazitäten erforderlich. Gerade die Pandemie beweist, dass die besten Erfolge eintreten, wenn alle Beteiligten in ihren Funktionsbereichen Verantwortung übernehmen und zusammen adäquate und neuartige Lösungen entwickeln.
  • Die beschriebenen Herausforderungen lösen ständig neue Entwicklungsprojekte aus. Diese müssen von der Schulleitung erkannt, definiert, priorisiert und für die Umsetzung vorbereitet werden. Ein bewährtes Führungsinstrument für die transparente Darstellung der Projekte ist das Schulprogramm. Es strukturiert die strategische Entwicklung der Schule. Die Schulleitung kann die Fülle der Projekte nicht allein führen und schon gar nicht wirksam umsetzen. Sie muss die Projektsteuerung an erfahrene Lehrpersonen delegieren können. Die erfolgreiche Entwicklung, Implementierung und Institutionalisierung von Erneuerungen erfordern Agenten des Wandels.
  • Im dualen System in den Berufsschulen sind die Schülerinnen und Schüler nur einzelne Tage pro Woche oder während Phasen im Verlaufe ihrer Ausbildung an den Schulen. Der Kontakt zu den Lernenden ist weniger intensiv als an Gymnasien. Berufsschulen haben in der Regel eine grosse Zahl von Lernenden. Dies löst entsprechende Aufwände in der Schuladministration aus.
  • Berufsschulen benötigen eine starke Administration, welche die Schulleitung sichtbar entlastet, damit sich diese ausreichend auf die pädagogische Entwicklung der Schule konzentrieren kann. Die Frage der mittleren Führungsebene kann somit nicht losgelöst von der Administration und Verwaltung der Schule betrachtet werden.
  • Die duale Berufsausbildung erfordert Absprachen mit den Lehrbetrieben und Berufsverbänden. Es sind tragfähige Netzwerke in die Berufspraxis zu pflegen.
  • Diverse Berufsausbildungen erfordern hohe Investitionen in die Ausbildungsinfrastrukturen der Berufsschulen. Entsprechend gibt es Konzentrationsprozesse, damit die Infrastruktur optimaler ausgelastet werden kann. Es entstehen größere Kompetenzzentren für einzelne Berufsausbildungen.
  • Nebst der Grundbildung betreiben Berufsschulen zum Teil größere Weiterbildungsabteilungen, die sich am Bildungsmarkt bewähren müssen und entsprechende Managementkapazitäten erfordern.

1.3 Fragestellungen

Um diesen Herausforderungen erfolgreich begegnen zu können, sind ausreichende Schulführungskapazitäten erforderlich. Nebst der Schulleitung mit der obersten Führungsverantwortung, sind zusätzliche Führungsressourcen erwünscht. Die wachsende Komplexität erfordert nebst dem Führungspersonal v.a. auch Personen oder Teams mit Spezialwissen, um den erweiterten Ansprüchen gerecht werden zu können. Diese Ausdifferenzierung des Systems Schule muss wiederum koordiniert und bezüglich ihrer Wirkung reflektiert werden. Basierend auf diesen Herausforderungen stellen sich für die Berufsschulen folgende Fragen:

  1. Wie kann die Schulführungsverantwortung verteilt („shared“) und im System Schule auf mehrere Personen verteilt sowie breiter abgestützt („distributed“) werden? Welche Arten von Führungsfunktionen können Lehrpersonen dabei wahrnehmen?
  2. Wie können Schulleitungen „Shared and Distributed Leadership“ fördern, unterstützen und erfolgreich implementieren?
  3. Welches sind die Gelingensbedingungen für „Shared and Distributed Leadership“?

2 Theorie

2.1 Begriffsklärungen

Vereinfacht gesagt, geht es bei „Shared and Distributed Leadership“ um die Frage der Führungsarbeit durch oder besondere Themenverantwortungen von Lehrpersonen. Die Schulleitung führt und entwickelt die Schule somit nicht allein, sondern gemeinschaftlich und unterstützt durch Lehrpersonen mit formal zugeteilten oder informellen Führungs- und Themenverantwortungen. Durch den staatlich vorgegebenen Berufsauftrag sind die Lehrpersonen verpflichtet, sich neben der eigentlichen Unterrichtstätigkeit mit einem minimalen Prozentsatz innerhalb ihrer Arbeitszeit auch für gesamtschulische Themen zu engagieren. Dies kann die Verantwortung für ein Thema, die Leitung einer Arbeits- oder Projektgruppe oder eine andere kleine ständige oder temporäre Führungsaufgabe sein. Wenn wir hier über „Shared and Distributed Leadership“ sprechen, geht es somit um Führungsarbeiten, die über den Berufsauftrag hinausgehen. Ein Teil der Führungsverantwortung wird einzelnen Lehrpersonen zugeteilt. Sie nehmen dadurch Einfluss auf andere Personen in der Schule, um die Unterrichtspraxis (Lehren) und den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler zu verbessern. Dieses Konzept der geteilten Führung ist nicht neu. In der englischen Schulführungsliteratur wird unter den Begriffen „Distributed Leadership“, „Shared Leadership“, „Teacher Leadership“ schon in den neunziger Jahren dieses Führungsverständnis beschrieben und als wirksam erachtet (Spillane/Halverson/Diamond 2001, Crowther/Kaagen/Ferguson/Hann 2002, Harris/Muijs 2003, Spillane 2006, York-Barr/Duke 2004, Strauss/Anderegg 2020). Inzwischen wurden die Konzepte weiterentwickelt und ausdifferenziert. „Shared“ und „Distributed Leadership“ meinen dabei vor allem die Verteilung von Führungsverantwortung an Lehrpersonen in Form von Entscheidungsbeteiligung verbunden mit definierten Durchsetzungsmöglichkeiten. „Teacher Leadership“ betont eher eine Grundhaltung von Lehrpersonen, innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers Verantwortung für die Wirksamkeit des Lehrens und Lernens zu übernehmen und Innovationen zu unterstützen. Dies kann, muss aber nicht zwingend, mit einer spezifischen formalen Position und entsprechenden Entscheidungsbefugnissen verbunden sein. „Teacher Leaders“ initiieren die Zusammenarbeit unter Lehrpersonen und arbeiten gemeinsam an der Verbesserung des Unterrichts. Damit werden Lehrpersonen zu Professionellen Lerngemeinschaften (PLC) zusammengeschlossen, in denen sie sich laufend weiterentwickeln. „Teacher Leaders“ fühlen sich für die Weiterentwicklung der Schule mitverantwortlich. Die Konzepte „Teacher Leaders“ und „Distributed Leadership“ unterscheiden sich somit in ihren Akzenten, haben aber überschneidende Elemente.

Die Auseinandersetzung mit internationalen Führungskonzepten ist dreifach schwierig: Erstens braucht es eine passende sprachliche Übersetzung, zweitens eine kulturelle Übersetzung der Konzepte auf die länderspezifischen und regionalen Besonderheiten und drittens eine schulstufenspezifische Übersetzung. Die meisten Forschungsresultate entstehen in Primarschulen oder der Sekundarstufe I. Diese sind nur bedingt auf die Sekundarstufe II zu übertragen. Insbesondere die Berufsschulen sind typisch für die Schweiz oder Deutschland aber weniger im angelsächsischen Bereich. In der Folge wird vor allem eine strukturelle Perspektive eingenommen und dabei formale Funktionen umschrieben, weshalb sich der Beitrag am Begriff „Shared“ und „Distributed Leadership“ orientiert.

Das deutschsprachige Europa hat diese Terminologie inzwischen für Schulen intensiv und breit aufgegriffen. Vereinfacht gesagt, geht es um die Stärkung der mittleren Führungsebene (Capaul 2011). Darunter verstehen wir hier verschiedenartige Führungsfunktionen, zwischen der gesamten Lehrerschaft und der Schulleitung. Diese können ständig oder nur temporär (Projekte) sein. Wo immer möglich wird in diesem Beitrag die deutsche Bezeichnung „mittlere Führungsebene“ verwendet.

Aus Sicht der Betriebswirtschaftslehre geht es um Fragen der Delegation, Hierarchie, Führungslinien, Dienstweg oder Führungs- und Kontrollspanne.

2.2 Schuleffektivitätsforschung

In der Literatur können zwei wesentliche Treiber für das Konzept der gemeinschaftlichen Schulführung ausgemacht werden. Erstens erhärtet sich in der Schuleffektivitätsforschung bereits seit den 1980er Jahren die Erkenntnis, dass Schulen, welche möglichst viel vor Ort, situationsbezogen und selbst entscheiden können, bessere Leistungen zeigen. Aus einer strukturellen Sicht geht es um die Frage der Autonomie der Schule (Capaul/Seitz/Keller 2020, 28). Zweitens spricht die Schulführungslehre seit den 1990er Jahren zunehmend von der Schulleitung als „Transformational Leader“. Mit dem stärkeren Einbeziehen von Lehrpersonen in die Schulentwicklung und einer teamorientierten Führung erhält die Schulleitung die zentrale Aufgabe, die Organisation so zu führen, dass diese die Fähigkeit entwickelt, sich innovativ weiterzuentwickeln (Hallinger/Heck 1998, 169). Gerade in Expertenorganisationen, wie es Berufsschulen sind, müssen das pädagogische Wissen und die Erfahrungen der Lehrpersonen in die Entscheidungen und Schulentwicklungsprojekte einfließen können. Hierfür sind Substrukturen erforderlich, denn Projektentwicklungen können nicht mit der gesamten Lehrerschaft erfolgen.

Wahlstrom et al. 2010 beschreiben in ihrer umfassenden Langzeitstudie, dass in Schulen mit etablierten Formen von „Shared and Distributed Leadership“ die Lehrpersonen besser zusammenarbeiten. Erfolgreiche Schulen verfügen über eine starke „Shared and Distributed Leadership“. Dies geht einher mit einer starken Schulleitung. Starke Schulleitungen rekrutieren und positionieren im ganzen System Schule engagierte Lehrpersonen mit zusätzlichen Führungsverantwortungen und erschließen damit deren Potenzial (Capaul/Seitz/Keller 2020, 28-32).

2.3 Normative Basis und zugrunde gelegtes Führungsverständnis

Dieser Beitrag versteht Führung als eine ausbalancierte Kombination von Management und Leadership. Es geht also sowohl um das Bewältigen und Managen der Alltagsprozesse als auch um das Ausrichten der Schule auf die langfristigen Entwicklungsziele. Leadership heißt, über den momentanen Kernauftrag hinauszudenken, Entwicklungen zu beobachten und die Zukunft aktiv zu gestalten. Führungshandeln ist dabei konsequent auf die Verbesserung des Lernerfolges der Schülerinnen und Schüler auszurichten. Die Führung und Verwaltung dürfen nicht zum Selbstzweck werden.

Berufsschulen sind je nach Größe sehr komplexe Expertenorganisationen, die ständig neue Anforderungen bewältigen müssen und sich dadurch in einem konstanten Lernprozess befinden (vgl. Modell der Lernenden Organisation von Senge 1990). Die Gesamtorganisation wird insgesamt „intelligenter“, wenn möglichst viele Personen aktiv und konstruktiv mitdenken, ihre Erfahrungen einbringen und Teilverantwortungen im Hinblick auf die Erfüllung des Bildungsauftrags der Schule mittragen. Die Führungsverantwortung bleibt bei der Schulleitung, wobei diese das oberste Führungsgremium der Schule vor Ort ist. Auf die Aufsicht und Führung der Schulleitung gehen wir an dieser Stelle nicht näher ein.

Das Schulleitungsteam bedarf einer internen Struktur mit klaren Zuständigkeiten. In einer Kompetenzordnung oder dem Funktionendiagramm muss festgelegt sein, für was das Gremium und für was die einzelnen Mitglieder der Schulleitung zuständig sind.

Die Schulleitung kann einzelne Führungsaufgaben an Lehrpersonen delegieren. Damit verschiebt sie die Sach- oder Handlungsverantwortung auf eine nächste tiefere Führungsebene oder an einzelne Lehrpersonen. Damit diese Personen die Aufgabe auch erfüllen können, muss die Schulleitung die erforderlichen Kompetenzen delegieren (Nauer 1999, 61).

Die delegierten Aufgaben können eine Linienfunktion mit einer vereinbarten Weisungsbefugnis oder eine Stabsfunktion ohne eigentliche Weisungsbefugnis aber mit einer Fachverantwortung sein.

Führung ist ein gemeinschaftlicher sozialer Prozess. Er spielt sich kommunikativ zwischen Personen ab. Damit verbindet sich die strukturelle Perspektive mit der Schulkultur. Die Art und Weise, wie im Schulhaus täglich kommuniziert wird sowie der Umgang miteinander entlang den Führungslinien sind wesentliche Kulturmerkmale. Durch respektvolle und transparente Kommunikation kann sich Vertrauen entwickeln. Vertrauen ist ein zentraler Faktor, damit sich die Beteiligten wohlfühlen und dadurch ihr Potenzial optimal einbringen.

Die Schulleitung und Lehrpersonen entwickeln in einem gewissen Masse Projekte gemeinsam. Damit Projekte mit Überzeugung getragen und umgesetzt werden, müssen Lehrpersonen involviert werden und ihre Expertise einbringen können. Dieser gemeinsame Diskurs ist einfacher, wenn die Schulleitungsmitglieder unterrichtet haben oder es noch tun und über eine Lehrpersonenausbildung verfügen. Dadurch sprechen alle Beteiligten eine gemeinsame Fachsprache. Sie fördert die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der Schulleitung im Lehrpersonenkollegium.

2.4 Spannungsfelder

Die Führungspersonen in der Mitte der Organisation, zwischen Schulleitung und der gesamten Lehrerschaft, sind nicht unproblematisch. Das Konzept der „Shared and DistributedLeadership“ bewegt sich in verschiedenen Spannungsfeldern:

  • Systemebene: Die Ausgestaltung der Führungsstrukturen ist eine politische Frage. Die Wirkungskraft der verteilten Führung wird zwar erkannt, aber es fehlt an der Bereitschaft die entsprechenden Führungsfunktionen adäquat zu entschädigen. Es stehen oft nur wenige Entlastungslektionen zur Verfügung, die nur für eine beschränkte Zahl an Lehrpersonen in Führungsfunktionen verteilt werden können.
  • Schulleitung: Von Seiten der Schulleitung bestehen Ängste vor Kontrollverlust, wenn Lehrpersonen mit Führungskompetenzen ausgestattet werden. Solche Schulleitungen bekunden Mühe, Aufgabenpakete umfassend (inklusive Entscheidungskompetenzen) zu delegieren.
  • Personen auf der mittleren Führungsebene: Sie bewegen sich zwischen Schulleitung und Lehrerschaft. Die Ziele und Interessen der Schulleitung und der Lehrpersonen oder Gruppen von Lehrpersonen müssen nicht deckungsgleich sein. Diese Sandwich-Position löst immer wieder Loyalitätsfragen aus. Lehrpersonen auf der mittleren Führungsebene müssen sich oft fragen, ob sie bei kontroversen Fragestellungen eher die Position der Schulleitung oder die Position ihrer Fachgruppe oder der Gesamtheit der Lehrpersonen einnehmen sollen. Zahlreiche Lehrpersonen haben Respekt vor solchen Situationen und möchten sich deshalb nicht für Führungsfunktionen in der Schule zur Verfügung stellen, obwohl sie die erforderlichen pädagogischen Erfahrungen und didaktischen Kompetenzen hätten. Auch die disziplinarische Führung von deren Fachkolleginnen und Fachkollegen erachten viele Lehrpersonen als heikel.
  • Lehrpersonen: Zahlreiche Lehrpersonen haben die Auffassung, dass sie allein für ihren Unterricht verantwortlich seien und nicht durch eine mittlere Führungsebene gesteuert werden wollen (Capaul 2011). Einzelne Lehrpersonen sträuben sich gegen jede Art von Hierarchisierung. Möglichst viele Entscheide sollen basisdemokratisch im Kollegium gefällt werden.

Aufgrund der beschriebenen Spannungsfelder bleibt der Erfahrungsschatz von potenziellen Führungspersonen auf der mittleren Führungsebene innerhalb der Lehrerschaft in vielen Schulen ungenutzt.

3 Gestaltungsmöglichkeiten in der Schulführungspraxis

3.1 Führungsfunktionen für Lehrpersonen

Die Ausgestaltung von Führungsstrukturen ist situativ. Je nach vorliegenden Merkmalen der Schule (Größe, Alter, Ausbildungsangebot, Standort, Infrastruktur, Zusammensetzung des Lehrkörpers), Rahmenbedingungen und Möglichkeiten (Rechtliche Bestimmungen, staatliche Vorgaben und Aufsichtssysteme, Prüfungsformate, Lernortkooperationen mit unterschiedlichen Branchen und Berufsverbänden, finanzielle Ressourcen) sind andere Führungsstrukturen möglich oder angebracht. Es kann hier also kein Ideal- oder Rahmenmodell für Funktionen der mittleren Führungsebene vorgelegt werden, denn Berufsschulen sind besonders heterogene Gebilde. Vielmehr werden hier in der Praxis häufig beobachtete Führungsfunktionen beschrieben und an der Schulführungstheorie gespiegelt.

Es wurden hierzu keine expliziten Untersuchungen durchgeführt. Die Aussagen basieren auf der Erfahrung in der Zusammenarbeit mit ca. 60 Schulen während den letzten 30 Jahren und der Ausbildung von ca. 500 Mitgliedern von Schulleitungen auf der Sekundarstufe II in der Schweiz. Dieser Führungslehrgang ist berufsbegleitend und erstreckt sich über eineinhalb Jahre.

Tabelle 1 beschreibt einzelne Führungsfunktionen von Lehrpersonen. Sie werden nach den verschiedenen Gestaltungsebenen oder Wirkungsbereichen in der Schule gegliedert.

Tabelle 1:     Mögliche Funktionen für Lehrpersonen mit Führungsverantwortung

Gestaltungsebene/ Wirkungsbereich

Funktion

Beschreibung

Schulübergreifend

Regionale Fachgruppe

Sie vertreten das Fach in regionalen oder überregionalen Fachgruppen.

Praktikumslehrperson

Sie betreuen Lehramtskandidatinnen und -kandidaten während des Referendariats und stehen im Kontakt mit den Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktikern der Pädagogischen Hochschulen oder Universitäten.

Prüfungskommission

Sie entwickeln zentrale Aufnahme- oder Abschlussprüfungen.

Schule

Abteilungs- oder Lehrgangsleitung

Sie führen eine Teileinheit der Schule, müssen aber nicht in der Schulleitung sein. Manchmal gehören sie in die erweiterte Schulleitung.

Stufen- oder Jahrgangsleitung

Sie betreuen eine Ausbildungsstufe oder einen Jahrgang, müssen aber nicht in der Schulleitung sein.

Steuergruppe

Die Steuergruppe initiiert und lenkt zusammen mit der Schulleitung Schulentwicklungsprozesse.

Care Team

Die Schule muss über ein Care Team verfügen, welches in Krisensituationen abrufbar ist und sofort operativ werden kann. Im Care Team können nebst der Schulleitung auch Lehrpersonen mitwirken.

Task Force in Krisensituationen

In einer Krisensituation, wie z. B. der Corona Pandemie, empfiehlt sich eine Arbeitsgruppe im Sinne eines spezialisierten Fachgremiums einzusetzen. Die Task Force kann Weisungen erteilen. Lehrpersonen mit Spezialkenntnissen können in die Task Force berufen werden.

Leitung der Lehrpersonenkonferenz

In manchen Schulen wird die Versammlung des Kollegiums durch eine Lehrperson geführt. Diese bereitet die Versammlung zusammen mit der Schulleitung vor.

Stundenplanung

Diese Person erstellt den Stundenplan für den ordentlichen Schulbetrieb und Sonderstundenpläne für besondere Unterrichtswochen.

Organisation von schulischen Anlässen

Z. B. Thementage, Sporttage, schulinterne Weiterbildungen

Leitung von themenspezifischen Arbeitsgruppen

Z. B. Umsetzung der Einführung von Immersionsunterricht, Überprüfung und/oder Reorganisation der Zeitgefäße pro Fach, Einführung einer Projektwoche

Qualität

Qualitätsgruppe

Sie betreibt zusammen mit der Schulleitung das Qualitätsmanagement. Sie führt Fokusevaluationen durch.

Gesundheitsförderung

Diese Gruppe fördert die Gesundheit der Lernenden und Lehrpersonen.

Unterricht

Fachgruppenleitungen

Sie führen die Lehrpersonen einer Fachgruppe pädagogisch und organisatorisch. Dazu gehören Aufgaben wie Lehrplanentwicklung, Lehrmittelauswahl, Entwicklung von Unterrichtsmaterialien, Betreuung der Fachliteratur, von Sammlungen oder der Infrastruktur in der Fachgruppe, Pflege der internen Datenablage (Wissensmanagement) und der Webseite, Unterstützung bei der Auswahl von neuen Lehrpersonen, Organisation von Weiterbildungen für die Fachgruppe, Verwaltung des Kredits für die Fachgruppe oder die Entwicklung von gemeinsamen Prüfungen.

Kollegiale Fallberatung

Die Lehrpersonen besuchen sich innerhalb der Fachgruppe oder fachübergreifend im Unterricht und erteilen sich gegenseitig Feedback. Die Gesamtkoordination kann eine Lehrperson oder die Qualitätsgruppe übernehmen.

ICT-Verantwortliche

Sie ermöglichen und unterstützen den Unterricht mit ICT-Elementen.

Vertrauenslehrpersonen / Schülerinnen- und Schülerberatung

Sie beraten Schülerinnen und Schüler bei persönlichen Schwierigkeiten. In gravierenden Fällen haben sie eine Triage Funktion. Sie geben die Schülerinnen und Schüler weiter an das medizinische Fachpersonal.

Klasse

Klassenlehrpersonen

Sie führen die Klasse und sind bei Problemen mit der Klasse die erste Ansprechperson für die Schülerinnen und Schüler sowie anderen Lehrpersonen dieser Klasse.

Personalführung und -entwicklung

Mentorinnen und Mentoren

Sie begleiten und unterstützen jüngere oder neue Lehrpersonen im Schulhaus. Die Begleitung ist formativ.

Fachgruppenleitungen

Neben der pädagogischen Führung kann den Fachgruppenleitungen auch die disziplinarische Führung übertragen werden. In diesem Fall führen die Fachgruppenleitungen die Mitarbeitendengespräche mit den Lehrpersonen ihrer Fachgruppe. In kritischen Fällen können sie Personalführungsprobleme zur Schulleitung eskalieren.

3.2 Gelingensbedingungen

Die Rolle von Lehrpersonen auf der mittleren Führungsebene ist anspruchsvoll. Einerseits sind sie primär Lehrpersonen und andererseits haben sie für vereinbarte Funktionen zusätzliche Aufgaben und Kompetenzen. Man ist Kollege oder Kollegin und eine Art vorgesetzte Person. In dieser Rollenvielfalt können leicht Überforderungen, Missverständnisse oder Ungereimtheiten entstehen. Die latente Gefahr ist, dass Lehrpersonen der mittleren Führungsebene zwischen Kollegium und Schulleitung „verrieben“ werden. Dies muss aber nicht sein, wenn die zentralen Gelingensbedingungen sorgfältig berücksichtigt werden.

Auch im Schulbereich sollten attraktive und motivierende Karrierewege im Verlaufe einer Berufsbiografie möglich sein. Nach einer etwa fünfjährigen Berufseinführungsphase kann eine Funktion als auf der mittleren Führungsebene ein erster Zwischenschritt im Hinblick auf eine spätere Schulleitungsaufgabe oder eine zusätzliche fachliche Herausforderung nebst der Lehrtätigkeit sein.

3.2.1 Individuelle Ebene: Kompetenzen von Lehrpersonen auf der mittleren Führungsebene

Lehrpersonen mit Zusatzverantwortungen sollten sorgfältig ausgewählt, passend ausgebildet und auf mögliche Rollenkonflikte „Kollege/Kollegin versus vorgesetzte Person“ vorbereitet werden. Es sollten Personen sein, die vom Kollegium angesehen sind und über eine hohe Akzeptanz verfügen. Idealerweise können sie entsprechende Ausbildungsformate zur Vorbereitung oder begleitend zur Funktion absolvieren. Tabelle 2 zeigt, über welche Einstellungen/Grundhaltungen und Wissen Lehrpersonen mit Führungs- und Themenverantwortungen verfügen sollten. Das jeweilige Wissen sollten sie auch verstanden haben und situativ richtig anwenden können. Sie sollten handlungskompetent sein. Je nach Funktion sind andere Kompetenzen erforderlich.

Tabelle 2:     Ausgewählte Anforderungen an Lehrpersonen mit Führungs- und Themenverantwortungen

Einstellungen/Haltungen

Wissen

Verstehen/Anwenden

Reflexive Haltung bezüglich der eigenen Rolle

Empathie

Initiativ sein

Bereitschaft sich zu engagieren, Verantwortung zu übernehmen und Führungsentscheide zu fällen

Bereitschaft sich führen zu lassen

Werkzeuge zur Problemlöse- und Entscheidungsmethodik

Sitzungstechnik

Merkmale des guten Unterrichts

Testtheorie

Lernstrategien

Jugendpsychologie

Feedbackregeln

Kommunikationstechniken

Konfliktlösemethoden

Projektmanagement

Qualitätsmanagement

Sitzungen zielorientiert leiten

Lehrpersonen beraten

Schülerinnen und Schüler beraten

Unterricht entwickeln

Lehrplan überarbeiten

Schwierige Gespräche führen

Projekte planen, umsetzen und Zielerreichung überprüfen

Evaluationen planen, durchführen, Daten auswerten und Entwicklungsmaßnahmen ableiten

Tabelle 3 zeigt exemplarisch, welche Anforderungen Leiterinnen und Leiter von Fachgruppen erfüllen sollten.

Tabelle 3:     Anforderungen an Fachgruppenleitungen

Einstellungen/Haltungen

Wissen

Verstehen/Anwenden

Reflexive Haltung bezüglich der eigenen Rolle

Empathie im Umgang mit Fachkolleginnen und -kollegen

Initiativ sein

Bereitschaft sich zu engagieren, zusammenzuarbeiten und Verantwortung für die Entwicklung eines Fachbereiches zu übernehmen

Bereitschaft mit der Schulleitung zusammenzuarbeiten

Sitzungstechnik für die Leitung der Fachgruppensitzungen

Merkmale des guten Unterrichts für die kollegiale Unterrichtsbeobachtung, und Auswahl von Lehrpersonen

Feedbackregeln nach Unterrichtshospitationen

Testtheorie

Lernstrategien

Sitzungen zielorientiert leiten

Lehrpersonen auswählen, beraten, entwickeln

Unterricht beobachten und entwickeln

Lehrplan überarbeiten

Gemeinsame Prüfungen erstellen

3.2.2 Ebene Schule

Die Etablierung einer mittleren Führungsebene ist auf den ersten Blick ein struktureller (organisatorischer) Vorgang. Die sogenannten Ordnungsmomente Struktur, Kultur und Strategie können aber nie isoliert betrachtet werden, denn diese beeinflussen sich gegenseitig (Capaul/Seitz/Keller 2020). Im Folgenden werden die drei Ordnungsmomente im Zusammenhang mit der mittleren Führungsebene genauer beleuchtet.

Strategie

Basierend auf einem Leitbild benötigt die Berufsschule ein Schulprogramm. Dieses zeigt die größeren Entwicklungsthemen für die kommenden etwa vier Jahre im Sinne einer sich laufend fortentwickelnden Planung. Die Funktionen auf der mittleren Führungsebene sind äußerst anforderungsreich. Mit relativ wenig Weisungsbefugnis ausgestattet, gilt es im Rahmen der zugeteilten Funktion mit Beteiligten Ziele zu erreichen. Deshalb sollten diese Projekte und Arbeitsschwerpunkte möglichst einleuchtend und sinnstiftend sein sowie für den Lernerfolg, den Unterricht und die Schule einen Mehrwert bringen. Gemeinsame Ziele schaffen Orientierung und damit Vertrauen. Dies verleiht allen Beteiligten Sicherheit und erzeugt Engagement.

Struktur

Lehrpersonen der mittleren Führungsebene sind ein zentrales Bindeglied zwischen Lehrerschaft und Schulleitung. Sie üben eine Art Scharnierfunktion aus. Diese Scharniere können innerhalb der Organisation horizontal (Abteilungs- oder Fachgruppen übergreifend) oder vertikal (entlang der Dienstwege oder Führungslinien) wirken. Eine einseitig vertikal ausgerichtete Organisation führt zu „Silostrukturen“. Für den Zusammenhalt der Schule sind zusätzliche horizontale Funktionen wichtig.

Damit sich Arbeitsteams neben der Unterrichtstätigkeit treffen können, müssen strukturelle Voraussetzungen erfüllt sein. Im Stundenplan sind Zeitgefäße für den Austausch zu schaffen. Es braucht räumliche und technische Ressourcen, damit sich die Lehrpersonen austauschen und die Lehrpersonen mit Führungsverantwortung Kolleginnen und Kollegen für Workshops einladen können. Die gängigen Organisationsinstrumente müssen vorhanden und aktuell gepflegt sein: Ein Organigramm, welches die Organisations- und Führungsstrukturen im Überblick zeigt, Funktionsbeschreibungen für die einzelnen Führungsfunktionen auf der mittleren Führungsebene sowie ein Funktionendiagramm, welches die Zuständigkeiten der einzelnen Akteure für die zentralen Hauptaufgaben im Überblick darstellt (Capaul/Seitz/Keller 2020, 177).

Die Kommunikations- und Entscheidungsarchitektur muss geklärt und transparent sein. Das heißt, den Beteiligten ist klar, welche Themen in welcher Konferenz (Klassenlehrpersonen, Fachgruppenleitungen, Ausbildungsstufe, Abteilung, ganze Lehrerschaft) behandelt und entschieden werden. Die Schulleitung sollte sich in einem angemessenen Rhythmus mit den Fachgruppenleitungen und Klassenlehrpersonen treffen.

Allenfalls macht eine Rotation der Führungsfunktionen Sinn. Damit kann vermieden werden, dass einzelne Personen sich an eine Funktion klammern. Üben Personen eine Funktion sehr lange aus, kann dies zu Machtkonzentrationen, Verkrustungen in der Organisation oder Ermüdungserscheinungen führen. Regelmäßige Rotationen können die Dynamik in der Organisation positiv beleben.

Kultur

Oft wird die Kraft der Kultur von Schulleitungen unterschätzt. Die Kultur hält die Organisation zusammen. Es sind die über längere Zeit innerhalb der Organisation gewachsenen und geteilten Werte, Annahmen und Normen. Es sind Verhaltensregeln und Gepflogenheiten, die von allen Beteiligten akzeptiert werden. Eine Schule kann sich aus einer strukturellen Perspektive relativ schnell vornehmen, eine mittlere Führungsebene einzurichten und entsprechende Organisationsinstrumente zu generieren. Ob eine solche Struktur aber erfolgreich wird, hängt davon ab, ob sie auch kulturell getragen, akzeptiert und im Alltag gelebt wird. Entscheidend ist das gegenseitige Vertrauen aller Beteiligten in der Schule.

Die Aufgaben der Lehrpersonen auf der mittleren Führungsebene müssen positiv konnotiert sein und keine lästigen Pflichtübungen, die im Schulhaus herumgereicht werden. Positiv konnotiert werden sie, wenn die Schulleitung solche Funktionen wertschätzt, Ausbildungsmöglichkeiten zur Verfügung stellt, die Funktionsträger über Gestaltungspielräume verfügen und die gesprochenen finanziellen und zeitlichen Ressourcen mit den Aufgaben und Verantwortungen im Einklang stehen. Manche Schulleitungen sind nicht bereit, den Applaus mit anderen Personen zu teilen. Sie möchten im Rampenlicht stehen und den Schul- oder Projekterfolg primär für sich verbuchen. Solch eigensinnige Schulleitungsmitglieder verlieren allmählich den Rückhalt bei den Lehrpersonen und diese wiederum ziehen ihr Engagement für die Gesamtschule schrittweise und subtil zurück. Sie zeigen weniger „Teacher Leadership“. Das Gesamtengagement beginnt zu erlahmen.

Vertrauen in Lehrpersonen auf der mittleren Führungsebene entsteht, wenn die Rollen und Verantwortungen transparent ausgehandelt und sinnvoll festgelegt werden. Es erfolgt somit ein sorgsamer Umgang mit Machtfragen. Aus der Metaperspektive sollte die Schulorganisation von den Beteiligten in einer reflexiven Haltung regelmäßig überprüft, hinterfragt und allenfalls angepasst werden.

Motivierte Lehrpersonen in Führungsverantwortungen identifizieren sich mit der Schule und wirken in ihren Funktionsbereichen als Vorbilder. Mit ihrer positiven Ausstrahlung ziehen sie so andere Beteiligte in eine positive Richtung. Durch diese Grundhaltung werden sie auch außerhalb ihres eigenen Unterrichtszimmers zu „Teacher Leaders“.

3.2.3 Ebene Bildungssystem

Wie eingangs erläutert, werden hier zusätzliche Funktionen von Lehrpersonen beschrieben, die über den Berufsauftrag im Rahmen einer Lehrverpflichtung hinausgehen. Der Träger der Schule hat darüber zu befinden, wieviele finanzielle und zeitliche Ressourcen er für diese Führungs- und Fachfunktionen auf der mittleren Führungsebene zur Verfügung stellen will oder kann. Die gesprochenen Ressourcen müssen regelmäßig auf deren Wirksamkeit und Zweck hin überprüft werden. Die Schulleitung benötigt eine gewisse Flexibilität, um die Ressourcen zielorientiert einsetzen zu können. Oft spricht der Schulträger einen Führungspool von Entlastungslektionen. Es liegt dann in der Kompetenz der Schulleitung diesen Führungspool fair auf die Funktionsträger zu verteilen. Auf der anderen Seite haben die Lehrpersonen der mittleren Führungsebene einen Anspruch auf ausreichende Sicherheit, dass die Ressourcen auch mittelfristig für sie zur Verfügung stehen. Die detaillierten Festlegungen können im Rahmen von regelmäßigen Mitarbeitendengesprächen erfolgen.

3.3 Student Leadership

An dieser Stelle können wir das Konzept der „Shared and Distributed Leadership“ auch auf die Schülerschaft übertragen. Die Berufsschülerinnen und -schüler betrachten wir nicht als passive Rezipientinnen und Rezipienten des Unterrichts. Auch die Lernenden sollen befähigt werden, Führungsverantwortung zu übernehmen. Z. B. als Klassensprecher oder Klassensprecherin, Mitglieder von Arbeitsgruppen oder als Mitglied des Leitungsgremiums der eigenen Schülerinnen- und Schülerorganisation. Ein Engagement der Lernenden erhöht die Identifikation mit der Schule und die Motivation den eigenen Lernerfolg zu verbessern. Lernende auf der Sekundarstufe II können z. B. bei Leitbildentwicklungen wesentliche Beiträge leisten. Sie sollen mit ihren Wahrnehmungen und Interessen die eigene Schule mitgestalten und prägen können. Auch hier gilt das Anliegen, Potenziale zu erschließen und für den Lernerfolg, die Unterrichts- oder Schulentwicklung nutzbar zu machen. Für die Schülerinnen und Schüler wird damit ein Übungsfeld geschaffen, in dem sie Führung erleben und reflektieren können. Die gemachten Führungs-, Demokratie- und Projekterfahrungen helfen ihnen später, Verantwortung im Beruf oder in der Gesellschaft zu übernehmen.

4 Zusammenfassung

4.1 Analysefragen zur Überprüfung der eigenen Schulorganisation

Die Überprüfung der Funktionalität und Wirksamkeit der Organisation ist eine Daueraufgabe der Schulleitung. Auch Schulbehörden und Schulträger sollten sich den Anforderungen an die Ausgestaltung einer Schulorganisation bewusst sein. Folgende Leitfragen helfen den Schulleitungen, ihre Organisation mit gezieltem Blick auf die Etablierung einer mittleren Führungsebene zu verbessern. Im Sinne einer Zusammenfassung dienen die Leitfragen als Handlungsempfehlungen für das eigene Praxisfeld. Sie werden nach Hauptthemen gegliedert, sind aber nicht abschließend gedacht.

Organisationsinstrumente

  1. Verfügen die Lehrpersonen mit Führungsverantwortung über eine Funktions- oder Stellenbeschreibung?
  2. Wer führt mit wem Mitarbeitendengespräche? Sind die Führungslinien klar? Wer ist wem rechenschaftspflichtig?
  3. Ist das Grundprinzip Aufgaben = Kompetenzen = Verantwortung (AKV) auf allen Führungsebenen erfüllt?
  4. Sind alle ständigen Organisationseinheiten (Fachgruppenleitungen, Qualitätsgruppen, erweiterte Schulleitung, Kommissionen, etc.) im Organigramm der Schule aufgeführt? Ist das Organigramm vollständig und aussagekräftig, damit sich die Beteiligten orientieren können, wer für was zuständig und Ansprechperson ist?
  5. Haben wir für die relevanten Projekte einen Projektauftrag (Capaul/Seitz/Keller 2020, 622) formuliert?
  6. Verfügt die Schule über ein Funktionendiagramm (Capaul/Seitz/Keller 2020, 177), welches das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure für die wichtigsten Aufgaben regelt?

Ressourcen

  1. Werden die Lehrpersonen mit Führungsaufgaben finanziell ausreichend entschädigt oder von der Unterrichtsverpflichtung entlastet?
  2. Werden den Lehrpersonen Räumlichkeiten und technische Unterstützung (ICT) zur Verfügung gestellt, damit sie ihre Führungstätigkeiten ausüben können?
  3. Können Lehrpersonen mit Führungsverantwortung auf ein unterstützendes Sekretariat zurückgreifen?

Ausbildung der Lehrpersonen im Hinblick auf die Führungsfunktion

  1. Werden die Lehrpersonen mit Führungsaufgaben ausreichend für diese Aufgabe aus- und weitergebildet?
  2. Sind die Lehrpersonen mit Führungsfunktionen auf mögliche Rollenkonflikte zwischen Schulleitung und Lehrerschaft vorbereitet?
  3. Bestehen etablierte Netzwerke, in denen sich Lehrpersonen mit ähnlichen Führungspersonen schulübergreifend austauschen können?

Kommunikationsarchitektur

  1. Ist der Stundenplan so organisiert, dass sich die Lehrpersonen treffen und austauschen können? Gibt es institutionalisierte Zeitschienen für Sitzungen?
  2. Trifft sich die Schulleitung regelmäßig mit den Personen mit Führungsaufgaben (B. Konferenz mit allen Fachgruppenleiterinnen und -leiter, Klassenlehrpersonen)?

Schulkultur

  1. Ist die Führungsaufgabe von Lehrpersonen in der Schule kulturell positiv besetzt? Ist die Führungsaufgabe ein attraktiver Zwischenschritt auf dem Karriereweg in Richtung Schulleitungsmitglied?
  2. Sind wir uns den Wechselwirkungen zwischen Struktur, Kultur und Strategie bewusst?
  3. Pflegen wir täglich eine tragfähige Vertrauenskultur?
  4. Reflektieren wir in regelmäßigen Abständen unsere Organisationsstrukturen selbstkritisch im Hinblick auf Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit?

4.2 Schlussgedanken

In den nächsten Jahren werden große Reformprojekte auf die Berufsschulen (und Gymnasien) zukommen. Die Auswirkungen der weiteren Digitalisierung auf die Wirtschaft und Gesellschaft und damit auf die Berufsfelder, die Organisationsstrukturen der Schule, die Zusammenarbeit innerhalb der Schule und die Ausgestaltung der Lehr- und Lernprozesse sind noch nicht annähernd klar. Die Schulleitung kann diese Herausforderungen nicht allein bewältigen. Sie benötigt unterstützende Lehrpersonen, welche ebenfalls Führungs- und Themenverantwortungen übernehmen und mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet sind. Es empfiehlt sich deshalb, möglichst umfassende und qualitativ hochstehende Schulführungskapazitäten bereitzustellen. Dies einerseits strukturell aber noch mehr in Verbindung mit einer positiven Schulkultur, welche die ganze Schule von der Leitung über die mittlere Führungsebene, die Lehrpersonen, das nicht unterrichtende Personal bis hin zu den Lernenden durchdringt.

Literatur

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Zitieren des Beitrags

Capaul, R. (2021): Stärkung der Schulführungskapazität durch verteilte Führung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 41, 1-18. Online: https://www.bwpat.de/ausgabe41/capaul_bwpat41.pdf (20.12.2021).